Kammermusikfest Sylt 2022 | ZEHN

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ZAUBERWELTEN

Franz Schuberts Streichquintett in C Dur: Dieses göttliche Streichquintett – das Einzige in der Besetzung mit zwei Celli – gehört unzweifelhaft in den Olymp der Kammermusik und entführt seine Hörer*innen in ein anderes Universum. Franz Schubert komponierte das viersätzige Stück im Jahr 1828, nur ein paar Monate vor seinem Tod. An seinen Bruder Ferdinand schrieb er 1824: „Freylich ist’s nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder Gegenstand mit einer jugendlichen Glorie umgeben scheint, sondern jenes fatale Erkennen der miserablen Wirklichkeit, die ich mir durch meine Phantasie (Gott sey’s gedankt) so viel als möglich zu verschönern suche.“ Seine Worte zeigen die große Zerrissenheit, die Schubert in dieser Zeit geplagt haben muss. Ob er sich gerade wegen des „fatalen Erkennens der miserablen Wirklichkeit“ in eine Phantasiewelt flüchtet, wissen wir nicht, aber sicher ist, dass dieses Quintett nichts hat von irgendeiner banalen Realiät, sondern uns in phantastische kammermusikalische Höhen führt ... göttliche Phantasie, ganz besondere Klangfarben durch

die Besetzung, die perfekte Verwobenheit der fünf Stimmen, lange melodische Bögen. Besonders im zweiten Satz erscheint die Zeit derart musikalisch gedehnt und in ihren puren und perfekten stehenden Harmonien verliert man sich tatsächlich in der Unendlichkeit. Zurecht gilt er als einer der Höhepunkte in der Geschichte der Musikkomposition und als Synthese der emblematischsten Züge der Schubert‘schen Poetik. Emotional so überwältigt kann man sich nach solch einem Stück nicht mehr auf der Erde befinden, sondern muss in einer wahrhaften Zauberwelt angelangt sein.

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