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Schleichhändler vor Gericht
Von Elisabeth Holzer
F otos:Bild- und Tonarchiv/Landesmuseum Joanneum
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Keine nennenswerten Vorräte, Plünderungen, verendetes Vieh: Die Ernährungssituation in Österreich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war fatal, die Menschen hungerten. Fast sämtliche Grundnahrungsmittel und Bedarfsgegenstände waren nur mit Bezugsscheinen erhältlich.
Doch wo Mangelwirtschaft herrscht, gibt es auch stets einen zweiten Markt, der gut besucht und gut gefüllt, aber illegal ist: den Schwarzmarkt. Schleichhandel passierte auf belebten Plätzen, in Gasthäusern, in Wohnungen, tagsüber oder nachts … Allerdings war das Schleichhandeln teuer und gefährlich: Denn ein eigenes Gesetz ahndete es mit Geld- und Haftstrafen – und drohte sogar die Todesstrafe an. Gehandelt wurde mit (Über-)Lebensmitteln und hier in erster Linie mit Kartoffeln, Getreide, Obst und Mehl. Unter den Genussgütern waren es wiederum die Zigaretten, die im Schleichhandel am häufigsten vertrieben wurden. Doch das war strikt verboten und wurde streng geahndet. Das Bedarfdeckungsstrafgesetz (BDSTG) wurde im Oktober 1945 beschlossen und trat im Februar 1946 in Kraft. Es ahndete Übertretungen, Vergehen und Verbrechen gegen die Bewirtschaftungsordnungen mit Geldund Haftstrafen, sogar die Todesstrafe wurde angedroht. Bei geringfügigen Verstößen war es jedoch auch möglich, Betroffene von Verwaltungsbehörden abstrafen zu lassen. Zudem wurden Verfahren gegen Angehörige der Besatzungsmächte sowie Displaced Persons vor den Militärgerichten der Alliierten geführt.
Ums nackte Überleben
In der Steiermark waren neben den Verwaltungsbehörden und den Bezirksgerichten auch das Straflandesgericht Graz und das damalige Kreisgericht Leoben mit der Ahndung gerichtlich strafbarer Verstöße gegen die Bewirtschaftungsordnung betraut. Rund 2000 Personen wurden von 1946 bis 1950 wegen Verstößen nach dem BDSTG allein von der Staatsanwaltschaft Graz verfolgt, vier Fünftel von ihnen waren Männer. In mehr als der Hälfte aller Fälle kam es auch zu einem Strafverfahren vor Gericht. Drei Viertel aller Beschuldigten mussten sich deshalb vor Gericht verantworten, weil sie Nahrungsmittel ge- oder verkauft hatten. Handel mit Zigaretten fand zumindest im Gerichtssprengel Graz nur unter „ferner liefen“ statt. Unter den Beschuldigten waren auffallend viele LandwirtInnen wegen Schwarzschlachtungen oder des Verkaufs von Vieh. Viele Beispiele aus den Gerichtsprotokollen zeigen, dass es meist nicht um Bereicherung ging, sondern ums nackte Überleben in einer Zeit, in der den Menschen zugemutet wurde, mit 800, 900 Kalorien pro Tag auszukommen. In Graz wurde am Jakominiplatz und im Volksgarten schwarz gehandelt, die Bauern in der Umgebung wurden von „Hamsterern“ heimgesucht – sie wurden für Geschäfte mit diesen und für die Missachtung der Ablieferungspflicht verfolgt. Das eigens ge-

Endlose Schlangen vor den wenigen Geschäften: Lebensmittel wurden auch „gehamstert“.

Karikatur aus der KPÖ-Zeitung „Die Wahrheit“
schaffene „Bedarfdeckungsstrafgesetz“ sah ab 1946 sowohl Verwaltungs- als auch Gerichtsstrafen vor, die durchwegs als Haft verhängt wurden. Oft ging es nur um kleine Delikte, etwa den Missbrauch von Bezugsmarken. So wurde die Inhaberin eines Milchgeschäftes, die zu viel bezogene Milch aus Mitleid kranken und alten Leuten zukommen ließ, zu acht Monaten Kerker, „verschärft durch ein hartes Lager alle zwei Wochen“, verurteilt. Ein anderer Fall betraf ein Lehrerehepaar, das Speck, Schnaps oder Eier für bessere Noten erhalten haben soll – sie gingen dafür mangels an Beweisen frei.
Heute unvorstellbar
Zweieinhalb Monate strengen Arrest fasste hingegen ein 22jähriger Dachdecker, weil er drei Meter Stoff und eine Aktentasche verkaufte und sich dafür ein gebrauchtes Fahrrad und Zigarettenpapier besorgte. Generell wurden viel mehr Männer als Frauen verfolgt, in der Regel handelte es sich um Einzeltäter, „gedealt“ wurde großteils mit Lebensmitteln. Zur Abschreckung wurden gefasste Schleichhändler mit Namen und Adresse in Zeitungen veröffentlicht. „Die Masse der Betroffenen scheint bloß eine Möglichkeit gesucht zu haben, der tristen Ernährungssituation zu entkommen“, schließt die Autorin aus heutiger Sicht dieses Kapitel Justizgeschichte und Rechtsprechung, das Mitte 1950 mit der Aufhebung des Bedarfdeckungsstrafgesetzes geendet hat. ❖ Nein, Elisabeth Holzer, 33, ist nicht für eine Notruf-Zentrale verantwortlich, sondern arbeitet seit Juni 1992 als Journalistin für die österreichische Tageszeitung Kurier. Sie fasziniere das aktuelle Geschehen, die Politik, „Zeit im Bild“ sei zu Hause immer ein Pflichttermin gewesen. Und da habe sich die Vorstellung geformt, Journalistin zu werden. „Ich habe als Mittelschülerin fleißig Leserbriefe geschrieben, die auch abgedruckt wurden“, erzählt sie im KLiPPGespräch. Die erste Chance, in ihrem Traumberuf zu arbeiten, erhält sie bei einem einmonatigen Praktikum nach der Matura in der Kurier-Redaktion in Graz. „Und wenn Sie so wollen: Dort bin ich picken geblieben.“ Weil die Tätigkeit so war, wie sie sich diese vorgestellt hatte. „Du bist dadurch nicht nur dabei, sondern mittendrin, hast mehr Informationen als andere und erlebst Dinge direkt mit.“
„SCHLEICHHANDEL-EXPERTIN“ UND KURIER-JOURNALISTIN ELISABETH HOLZER MEIN HANDY IST 24 STUNDEN EINGESCHALTET
Elisabeth Holzer, Schleichhändler vor Gericht. Der Schwarzmarkt in der Steiermark nach dem Zweiten Weltkrieg. 183 Seiten, ISBN 978-37011-7596-3, 19,40 Euro, edition 's, hg. von Andreas Schnider, Leykam, Graz 2007 Sind für alles zuständig
So zum Beispiel im Fall des Bombenbastlers Fuchs, beim Grubenunglück in Lassing im Jahr 1998 oder etwa bei der Landtagswahl 2005, als Waltraud Klasnic Abschied nehmen musste. Elisabeth Holzer und ihre Kollegin Ulli Jantscher bilden in Graz die kleine, aber recht schlagkräftige Kurier-Redaktion. „Wir sind für alles zuständig, was in der Steiermark passiert; und was mich bis heute freut, dass wir praktisch alle Sachen – außer Sport – machen dürfen.“ Einmal sei es ein tragisches Busunglück, dann wieder ein Mord oder ein Überfall, bei einer anderen Gelegenheit etwas Politisches. „Ich bin nicht beengt in meinen Möglichkeiten.“ Möglichkeiten, sich zu verändern, hätte es schon mehrere gegeben – von der „Peripherie“ etwa nach Wien zu übersiedeln. „Doch es gefällt mir in Graz.“ Bei einem solchen breiten Aufgabenbereich ist eines klar: „Mein Handy ist 24 Stunden eingeschaltet.“ (Elisabeth Holzer) Erreichbarkeit ist in diesem Beruf ganz, ganz wesentlich. Dazu gehört auch das entsprechende Netzwerk, das sich Elisabeth Holzer im Laufe ihrer Journalisten-Jahre aufgebaut hat. Sie lege klarerweise Wert auf ein korrektes Verhältnis, von Verbrüderung der Akteure halte sie aber nichts. „Was besonders für die Politik gilt, denn sonst geht dir die Distanz beim Schreiben verloren.“ Und wie wurde sie zur „Schleichhandel-Expertin“? „,War das alles?‘, fragte ich mich nach acht Jahren im Beruf und entschied mich neben dem Beruf zum Studium der Geschichte.“ 2004 gab es die Sponsion und 2006 folgte dann die Promotion. „Das war natürlich nur mit einem sehr genauen Zeitplan möglich und viel persönlicher Disziplin“, sagt die Frau Magister Doktor. Aber wenn man was gerne macht, dann gelingt das auch. „Da gibt’s nix darüber“ (gemeint war keine Literatur), schlug ihr der bekannte Grazer Zeitgeschichtler Martin Polaschek das Thema Schleichhandel vor. Elisabeth Holzer vertiefte sich und durchforstete rund 2.000 Gerichtsakten und Protokolle. „Es war eine wirklich lehrreiche Phase, weil man Einblick in eine Welt genommen hat, die heute unvorstellbar ist. Und plötzlich wirst du selbst zur Expertin und holst nicht nur als Journalistin Meinungen ein.“ Damals, nach dem Krieg, war die Ernährungssituation äußerst schwierig und es wurde eben mit allem gehandelt. Zum Teil gab es drastische Strafen für kleine Vergehen. Die Gesetze waren aus der Not heraus begründet. „Es waren irre Sachen dabei“, so Elisabeth Holzer, „wo du für eine Bagatelle Gefahr liefst, Monate, ja sogar Jahre ins Gefängnis zu gehen.“ Die Idee zum Buch selbst kam vor eineinhalb Jahren. „Natürlich macht es mich stolz, wenn ich in einer Buchhandlung mein Buch sehe.“ Für Familiengründung hat sich die Historikerin noch keine Zeit genommen. „Ich borg’ mir weiter meine Kinder aus. In meiner Familie habe ich einen Neffen, zwei Nichten und auch noch zwei Patenkinder. Das ist viel angenehmer“, formuliert die VielArbeiterin und Vegetarierin locker vom Hocker.