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Marrakesch

Die Altstadt – das Herz von Marrakesch. Lebensstil und Kulturen von Jahrhunderten existieren nebeneinander. Gewürze in einer Vielfalt, die für jeden Fotografen ein
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Schlangenbeschwörer am Platz der Gehängten – ständig umlagert von Touristen
Die rote Perle des Südens
Drei Steirerinnen absolvieren in Marrakesch ein Masterstudium
„In der Medina hat die Geschichte ihren Atem angehalten“, heißt es im Prospekt. So ist es nicht, ganz im Gegenteil. Die Lebensstile und Kulturen von Jahrhunderten existieren auch heute noch in der Altstadt Marrakeschs Tür an Tür.
Neben dem in europäischem Stil eingerichteten MieleGeschäft arbeiten und drechseln die Menschen in der Spenglerei nebenan, so wie sie es seit Jahrhunderten tun, wird die Wolle verarbeitet, wie das seit Generationen an Kinder und Kindeskinder übermittelt wird. Gleich um die Ecke aber begegnet man auf den Straßen und den Plätzen wild verschleierten Marokkanerinnen und im nächsten Augenblick aber auch grell und aufgedonnert geschminkten Schönheiten, die selbst bei uns auffallen würden. In Marrakesch studieren auch drei Steirerinnen, die sich aber sehr wohl fühlen in der 500.000-Einwohner-Stadt, die auch die rote Perle des Südens genannt wird. „Dieses Nebeneinander fällt einem als Besucher sofort auf, aber es kommt natürlich darauf an, mit welchem Auge man das sieht“, sagt Doris Vones. Wenn man zum Beispiel daran denkt, wie viele Kinder dort arbeiten oder unter welchen hygienischen und anderen Bedingungen die Menschen in dieser Altstadt und in diesen Gemäuern ihr Leben verbringen. Doris Vones betreut ein EU-Projekt, ein Masterstudium der Universitäten Foggia, Graz und Marrakesch. Sie besuchte anlässlich einer gemeinsamen Präsentation die marokkanische Königsstadt. Die Universität Graz erhielt mit ihrem Projekt den ersten Preis für Frauenförderungen und wurde daher in dieses Projekt eingebunden.
A u s l ä n d e r k a u f e n s i c h i n d e r A l t s t a d t e i n
Marrakesch wird meist im Rahmen von Marokko-Studienreisen angeboten. Und das Rot der mehr als 11 km langen Stadtmauer gehört zu den anmutigsten Facetten der halbmillionen Einwohner zählenden Stadt. Die „Place Djemaa El Fna“ (Platz der Gehängten), unweit der Koutoubia Moschee, bildet den Mittelpunkt von Marrakesch, einer der reizvollsten Königsstädte und kulturellen Zentren Marokkos. Auf der Freifläche in der Medina (Altstadt) führen nachmittags und besonders abends Gaukler ihre Kunststücke vor, bruzzeln Fleischspieße über dem Feuer und bieten „mobile Zahnärzte“ ihre Dienste an. L u x u r i ö s e , k l e i n e S t a d t h ä u s e r
Der Charme von Marrakesch weckt nun auch westliche Begierden. Unrenovierte Hofhäuser werden in der marokkanischen Stadt für eine Million Euro und
Fotos: Doris Vones



beliebtes Motiv sind. Einfallsreichtum und Improvisationskunst beim Arbeiten, unter schwierigsten Bedingungen
Drei Generationen von Fortbewegungs- und Transportmitteln: Esel, Moped und Fahrrad.
mehr verkauft. Einfache Hofhäuser gibt es aber auch schon ab 50.000,– Euro. In den letzten Jahren ist die Nachfrage wahrlich explodiert. War es um die Jahrtausendwende noch eine Hundertschaft, so sind mittlerweile viele der schönsten Häuser –etwa tausend – fest in ausländischer Hand. Ein guter Teil wird als kleine, luxuriöse Hotels oder Mesons von Verwaltern betreut und auch vermietet. Die Eigentümer sind Franzosen, Italiener, Belgier, Schweizer, Spanier, Amerikaner, Briten und auch Deutsche. Wie die deutsche Wochenzeitung Zeit berichtet, residieren dort unter anderem der französische Modephilosoph Bernat-Henry Levy, der italienische Prinz Ruspoli, der amerikanische Einrichter und Designer Bill Willis, der in Marrakesch die Häuser und Gärten von Yves Saint Laurent, Paul Getty und den Rothschilds entworfen hat. Aber auch Walter Gunz, der ehemalige Eigentümer der MediaMärkte, hat sich in Marrakesch ein Eigenheim angeschafft. Fast überall in den arabischen Städten hat die Schicht der Händler die Innenstädte vor Jahrzehnten bereits verlassen und ist in die im Kolonialzeitalter angelegten neuen Stadtteile gezogen, wo es bessere sanitäre Einrichtungen gibt und die Möglichkeit, mit dem Auto bis vor die Haustür zu fahren. An die Stelle der Händler wiederum rückten die Zukömmlinge vom Land, die aus den ländlichen Gebieten in die Städte drängten. Sie sind arm und haben nicht die Möglichkeit, sich woanders anzusiedeln. Die einen sind froh, die Baulasten und lästigen Mieter in der Altstadt loszuwerden, und nutzen die Erlöse, um draußen neu zu bauen. So kommt es ihnen auch entgegen, dass sich ausländische Investoren seit einigen Jahren als Retter der Tradition hinzugesellen.
S c h o n i m m e r G e s c h ä f t e m i t F r e m d e n
Marrakesch ist bestimmt die afrikanischeste unter den berühmten Königsstädten Marokkos. Während Reisende in Rabat in atlantische Atmosphäre schnuppern und Fes sowie Meknes ihre mediterran-arabische Herkunft nicht verleugnen können, gibt der grüne Palmenhain rings um Marrakesch bereits einen Vorgeschmack auf die Oasen-Städte in der großen afrikanischen Wüste. Der rote Lehm, aus dem die Stadtmauern, aber auch Häuser erbaut sind, erinnert dagegen an die roten Erden im tropischen Schwarzafrika. Die Datteln im prächtigen Palmenhain reifen im Klima nördlich des Atlas allerdings nicht aus, ohnehin ist der mediterrane Ölbaum die Charakter-Pflanze der Provinz Marrakesch. Aber dies sind nur kleine Schönheitsfehler, die das afrikanische Bild der Stadt nicht wirklich trüben. Schon immer lebte die Stadt vom Geschäft und Austausch mit den Fremden. Drüben im Dunkel der Souks endeten die Handelszüge, mit denen die Berber Gold und Sklaven aus dem trans-saharischen Afrika herbeischafften. Der Mittelpunkt der Altstadt ist Djemaa El Fna. Die „Place Djemaa El Fna“ im Zentrum der Altstadt hat ihren Namen nicht etwa von den Opfern giftiger Vipern und Ottern, die dort zu finden sind, vielmehr wurden dort gleich neben der großen Moschee einst Verbrecher und politische Gefangene reihenweise enthauptet und ihre abgeschlagenen Köpfe der Öffentlichkeit zur Abschreckung präsentiert. Zum Schneiden dick hängt in der Alt-


Alles andere als gesundheitsfördernd: die Arbeit der Gerber und Färber.

Blühen das ganze Jahr über – die Orangen stadt der Dunst von Gebratenem und Gekochtem über dem großen Platz der Gehängten. Der Platz ist gleichzeitig Markt, Volksbühne, Fest für die Sinne, für Einheimische genauso wie für die zahllosen Gäste Marrakeschs. Am Abend füllt sich der berühmteste Platz Nordafrikas mit Zuschauern, die eine viel spannendere Unterhaltung als TV-Serien genießen möchten. Denn was ist schon der Nervenkitzel eines Thrillers auf dem Bildschirm gegen das unbeschreibliche Gefühl, das ein Reptil erzeugt, wenn es sich um den Hals eines Zuschauers schlingt. Auf den ersten Blick gesehen wirkt die gern als „Gaukler-Platz“ bezeichnete Freifläche mit ihren Schlangenbeschwörern, Akrobaten, Tänzern, Feuerschluckern, Wahrsagern, Märchenerzählern, Schaustellern, Schreibern, Medizinmännern, Glücksspielern und Händlern chaotisch. Doch beim Blick von der Dachterrasse des beinahe weltbekannten Café de Paris entwirrt sich das Knäuel zu mehreren geordneten Reihen. Westlich des Platzes, in den Palästen der Kaspah, residierten die Almohaden, deren Herrschaft den Maghreb mit Al-Andalus auf der Iberischen Halbinsel vereinigte. Das wahre Zeichen der Stadt, die Kutubija-Moschee mit ihrem leuchtturmartigen Erscheinungsbild, ist eine Frucht ibero-islamischer Baukunst. Sie wurde zu jener Zeit erschaffen, als Marrakesch zur wichtigsten Vermittlerin zwischen antiker und moslemischer Philosophie und dem abendländischen Denken heranwuchs. Ibn Ruschd (lateinisch: Averroes) und der etwas ältere Ibn Tufail lebten vor 800 Jahren hier. Ihre Sprach- und Geisteskultur bildete die Grundlage für Scholastik, abendländische Logik, Lessing und die Aufklärung. Und an diese Tradition, wenn man so will, schließt auch das EU-Projekt mit dem Masterstudium an.


Die mächtige Kutubija-Moschee: Platz für 25.000 Gläubige. Der rote Lehm, typisch für das Bauen. Ve r b e s s e r u n g d e r L e b e n s r e a l i t ä t e n v o n F r a u e n
Ziel des Master-Studiums ist die Ausbildung von ExpertInnen in Fragen der Geschlechterthematik auf rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Ebene. Diese sollen den kulturellen und politischen Veränderungsprozess zugunsten einer stärkeren Respektierung der Frauen- und Menschenrechte positiv stimulieren und deren Lebensrealitäten verbessern helfen. In Graz, seit 2001 auch „Menschenrechtsstadt“, konnten dafür etwa das European Training Center für Menschenrechte und Demokratie (ETC) (Leiter Univ.-Prof. Wolfgang Benedek) oder das Frauengesundheitszentrum gewonnen werden. ■
Frauen, Zivilisation und Juristerei
Mit den seit 1990 durchgeführten TEMPUS-Programmen versucht die Europäische Union, in nichtassoziierten Partnerländern die Reformprozesse im Hochschulbereich zu unterstützen (z. B. Lehrplanentwicklung, Uni-Management, Aufbau von Institutionen). In der jüngsten, im Juni 2002 begonnenen Phase hat die
EU dieses Programm auf den Mittelmeerraum erweitert (Tempus/MEDA), wodurch ‚Anrainer’ wie etwa Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien, die Länder des Maghreb, das palästinensische Autonomiegebiet eingebunden sind. Zwischen den genannten Partner-Universitäten Marrakesch, Foggia und Graz sollen dauerhafte stabile Beziehungen etabliert werden. Langfristiges Ziel der Zusammenarbeit ist die Errichtung eines afro-europäischen Zentrums für Menschenrechte mit Sitz in Marrakesch, das den afrikanischen Ländern für Information, Dokumentation und Ausbildung offen stehen wird. Dieses Projekt trägt den Titel „L’Afrique, l’Europe et les droits humains“. Als Pilot-Projekt startet vorerst mit ca. 30 Studierenden ein auf sechs Module (= Trimester) verteiltes zweijähriges Master-Studium zum Frauen- und Geschlechterrecht mit dem Titel „Femmes, civilisations et systèmes juridiques“. AdressatInnen sind diplomierte JuristInnen, WirtschaftswissenschafterInnen und/oder SozialwissenschafterInnen. Die Kosten für die Organisation und Absolvierung dieses Masters trägt die EU.
Idylle im Uni- Club

Kinderarbeit an der Tagesordnung

Marrokanische Speisen: viel Gemüse

Bild oben: Majorelle, die berühmte grüne Oase: ein von Touristen viel besuchter Ort. Bild unten: Einer der Eingänge zur Moschee. Frühstücken über den Dächern der Altstadt. Häuser werden von Ausländern gekauft und zu kleinen, noblen Hotels umgebaut.




Beeindruckende Gegensätze
Die stärksten Eindrücke von Marrakesch sind solche der Gegensätze: der Eselskarren ist genauso Bestandteil des Straßenbildes wie der Mercedes Benz; durch Palmen hindurch kann man den schneebedeckten Atlas sehen; die moderne Stadt steht einem ursprünglichen Land gegenüber; auch die Frauentypen sind sehr konträr: in der Medina und auf der Universität begegnet man verschleierten, Kopftuch tragenden und auch völlig modernen und selbstbewussten jungen Frauen – und beinahe unverständlich selbstverständlich leben alle diese Gegensätze gemeinsam und miteinander hier. Der Universität merkt man natürlich mangelnde Ressourcen und dadurch bedingte einfachere Vorgehensweisen an, dennoch herrscht – auch unserem Thema gegenüber – großes Interesse und Engagement. Unsere marokkanischen Kolleginnen und Kollegen, auch in ihrer großen Unterschiedlichkeit untereinander, beeindrucken durch ihre Aufgeschlossenheit, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft und ermöglichten von Anfang an unsere Aufnahme in ihre Welt und ihr alltägliches Leben. Die ausländische (europäische) Frau hat hier einen Sonderstatus: teils voller Freiheiten, da einige unserer Angewohnheiten aufgrund unseres Europäer- und Christentums toleriert werden, teils mit Einschränkungen, da man uns landläufig einen „offeneren“ Lebenswandel nachsagt. Doch verallgemeinernd können wir sagen, dass wir – ohne allzu merkbare Einschnitte in den gewohnten Alltag, doch unter Einhaltung bestimmter Regeln – ein freies Leben führen. Abschließend gilt hier, was für jeden Ort gilt: Offenheit, Interesse und Freundlichkeit wird genau damit beantwortet.
lili.schmut@gmx.at simma_b@yahoo.com theresia.metzenrath@gmx.at
Tradition und Gegenwart – kein Gegensatz in Marokko. Handeln gehört einfach zum Alltag.




Märchenerzähler fesseln das Publikum in der Altstadt mehr als TV- Serie.