Nüüs - Neues aus dem Kleinwalsertal

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Aktiv // Wandern

Wo Kühe Urlaub machen

Von Kira Presch // Redakteurin Westfälischer Anzeiger

Das Kleinwalsertal ist nicht nur für Menschen wegen seiner schönen Berglandschaft eine begehrte Ferienregion. Auch rund 750 Kühe zieht es Jahr für Jahr in die Sommerfrische in das kleine Tal nahe Oberstdorf. Das Gras ist hier auf den Alpen eben ein bisschen grüner und nahrhafter als anderswo.

"Hallo! Grüß Gott!" Sabine tritt aus der Bärgunthütte heraus und begrüßt ihre Gäste draußen an den Biertischen herzlich und munter. "Wie geht's euch denn?" fragt sie, während sie in Wellen an den Tischen vorbeischlendert und jeden Wanderer, der bei ihr auf der Hütte Rast macht, in das Gespräch einbezieht. "Das ist wie beim Kühe

Heute hat sie allerdings alle Hände voll zu tun, denn die rund 250 Sommergäste, die bei ihr auf der Alp den Sommer verbringen, ziehen heute um. 250 Gäste auf der Bärgunthütte? Wo sollen die denn bleiben? Dafür erscheint die Hütte dann doch entschieden zu klein. Die Pensionsgäste, klärt mich Sabine auf, sind nämlich Vierbeiner.

Sabine Ott, Wirtin der Bärgunthütte und Walser Original.

treiben" erklärt die gestandene Hüttenwirtin, die das Herz auf dem rechten Fleck hat und manchmal auch auf der Zunge trägt. Man muss das Vieh in sanften Wellen vorantreiben, denn "a Kuah geht ned ums Eck". Und genauso verhält es sich nach ihrer Erfahrung mit den Gästen. Man muss ein wenig erzählen, auch mal einen deftigen Scherz machen, jeden mal ansprechen, dann kommen nach und nach alle auf der Terrasse miteinander ins Gespräch. Und so soll es sein. "Hier sollen irgendwo Gämsen sein, aber ich seh nix", jammert ein Gast, während er schon lange mit seinem Fernglas den Berg absucht. "Gib mal her", fordert Sabine energisch und erwartet auch keinen Widerspruch. Sie schaut durchs Glas und deutet etwas ungeduldig auf eine Stelle am Berg: "Da sends doch!" Egal wie viel Stress Sabine auf ihrer Hütte hat, die sie seit 20 Jahren bewirtschaftet, sie hat für jeden ein gutes Wort. Und genau deshalb machen manche Gäste immer wieder die gut eineinhalbstündige Wanderung von Baad aus am Bärguntbach entlang zu ihr -- und wohl auch, weil es immer leckeren selbstgebackenen Kuchen gibt, den sie schon in aller Herrgottsfrühe in den Ofen schiebt.

Kühe, die von ihren Bauern zum Teil weite Strecken aus dem Allgäu ins Kleinwalsertal transportiert werden, um den Sommer hier auf den Alpen zu verbringen. Gras gibts doch überall, werfe ich als Laie ein. "Ja, aber das Gras hier ist besser. Es hat viele verschiedene Kräuter und unterscheidet sich sogar von einer Höhenlage zur anderen", klärt Sabine mich Flachlandtiroler auf. "Ein guter Senn weiß zum Beispiel, welchen Käse er von welcher Milch macht", erfahre ich. Ihr Bruder Wolfgang ist so ein erfahrener Hirte mit Leib und Seele. Er lebt die Sommermonate oben auf der Alp mit seiner Familie, den eigenen Kühen und den Gast-Kühen. Manche Bauern bringen seit 50 Jahren ihre Kühe ins Kleinwalsertal, damit sie auf den guten Alpwiesen gesünder und robuster werden. "Das ist eine Vertrauenfrage", erklärt Sabine. "Schließlich vertraut man seine Herde nicht jedem an." Der Hirte muss sein Handwerk verstehen und die Chemie muss stimmen. "Ein guter Hirte sein ist eine Gabe", findet Sabine. "Der muss vorausahnen, wie das Wetter wird und wohin er die Herde führt. Denn da oben am Berg ist er allein mit den Naturgewalten -- mit Blitz, Donner und Hagel. Wenn du so lebst wie wir, dann wirst du demütig und gottesfürchtig",

bekennt Sabine. Denn eine Herde in Panik kann schnell Leben kosten. Die vierbeinigen Gäste beginnen im Frühsommer in den unteren Lagen zu grasen und wandern immer höher bis zur Hochalpe im Hochsommer. "Im Vorsommer scheißen sie -- im Spätsommer setzen sie an", erklärt Sabine kurz und bündig den Vorgang. Aha. Wenn im Spätsommer erste Schneeeinbrüche oben am Berg drohen können, wandert die Herde langsam wieder Richtung Tal. Heute ist so ein Tag, wo die 250 Kühe weitergetrieben werden müssen. Das schafft der Hirte nicht allein. Also hilft alles, was den Berg raufkommt: Familie, Freunde, Nachbarn -- alle tauchen an der Bärgunthütte auf mit Bergstiefeln und Wanderstäben und leeren Rucksäcken. Ich dachte immer, man wandert mit gut gefüllten Rucksäcken? "Darin wird der gesamte Hausstand der Hirtenfamilie von einer Hütte zur nächsten transportiert", erklärt Sabine. Alle marschieren nach und nach den steilen Berg hinauf, um sich nachmittags oben zu treffen, die Herde weiterzutreiben zur nächsten Weide und die Utensilien der Senn-Familie in die nächste Hütte zu tragen. Mittags halten die Kühe Mittagsruhe, da geht erstmal gar nix. Sabine hat keine Zeit mehr -- sie muss jetzt auch hinauf zur Herde. Der Berg ruft -- sozusagen. Und ohne sie geht es nun mal nicht. Sie zeigt mir noch das Matratzenlager unterm Dach der Hütte, wo die Helfer heute nacht schlafen werden -- nachdem sie sich ordentlich gestärkt haben. Hier hängen sie -die mächtigen Kuhglocken (rund und hell) und Schweizer Klöpfer (flach und dunkel), die schon auf ihren Einsatz beim Höhepunkt des ganzen Jahres warten: den Alpabtrieb. Mitte September ist es soweit: Dann wird die gesamte Herde ins Tal geleitet. Die beste Kuh darf geschmückt vorangehen durchs Tal bis nach Riezlern. Dort feiert man einen guten Viehsommer. Und die Bauern warten schon, um ihre Tiere nach der langen Sommerfrische wieder mit nach Hause zu nehmen.

Alpabtrieb Am 19. September 2013 ist es soweit. Das Vieh, das den Sommer über auf der Alpe verbracht hat, wird zu Tal getrieben, um es anschließend auf dem Scheidplatz an die Eigentümer zu übergeben. Im Laufe des Tages kommen über 600 Stück Jungvieh, Kühe, Ziegen und Pferde von den Alpen Obere Spitalalpe, Bärgunt, Zwerenalpe/Außerkuhgehren und Galtöde-Schwarzwasser am Scheidplatz in Riezlern an. Ein kleiner Bauern- und Krämermarkt mit landwirtschaftlichen Artikeln, zünftige Live-Musik und die Walser Buura mit ihren Produkten sorgen für ein geselliges Rahmenprogramm. Sennalpen Bergkäse, Romadur, Backsteinkäse, Ziegenkäse, Joghurt, Butterkäse sowie Alpbutter und viel frische Milch. Alle diese Milchprodukte werden im Alpsommer, von Juni bis September, während das Vieh auf der Alpe "gesömmert" wird, hergestellt. Auf unseren Sennalpen können Sie all das nicht nur genießen – echte Walser Spezialitäten können Sie auch mit nach Hause nehmen, zum Beispiel auf der: • • • • • • • •

Bärgunthütte Obere Lüchlealpe Alpsennerei Stutzalp Bernhard's Gemstelalpe Naturalp Gemstel-Schönisboden Innere Wiesalpe Alpe Melköde Mittelalp

Bsuach uf dr Mittelalp Gerhard Hilbrand, ausgebildeter Senn, lässt sich beim Sennen über die Schulter schauen. Jeweils mittwochs von 22. Mai – 25. September 2013 um 14.00 Uhr Ihr Vorteil: Teilnahme mit Gästekarte inklusive (38,00 EUR ohne Gästekarte).

KLEINWALSERTAL DAS MAGAZIN // 11


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