kinki magazin - #26

Page 71

I

nnert eineinhalb Jahren veröffentlichten Alex Amoon, Fabian Fenk und Anton K. Feist 2007 und 2008 zwei Alben, die sich direkt in die Herzen der Elektro-Indietronic-Fans bohrten. ‹No More Wars› und ‹Next Time› sprühen vor Experimentierfreude. Teile von kühlem Techno vermengen sich mit emotionalem modernem Songwriting und der frische Sound, der dabei entsteht, funktioniert im Club genauso gut wie auf der Platte. Heute füllt die Band grosse Clubs und spielt zusammen mit Why?, Zoot Woman oder Polarkreis18. Die Sets von Bodi Bill fordern das Publikum heraus: zum Mitmachen, Mittanzen, Mitdenken. Als die drei letzten Monat in Zürich Halt machten, nutzte kinki die Chance und traf die Jungs am Tag nach ihrem Konzert im Stall 6 zu einem Gespräch. Ein Gespräch, das sich trotz gemütlicher Katerstimmung als sehr fruchtbar für alle Beteiligten entpuppte. Wir fingen an bei J.D. Salingers ‹Der Fänger im Roggen› und landeten irgendwo zwischen Erwachsenwerden und Globalisierungskritik. kinki magazine: Ein Song von euch heisst ‹I like Holden Caulfield›. Warum mögt ihr Holden? Fabian: Ich mag J.D. Salinger total, ich mag seine Charakteren, die sind immer so lebendig. Holden Caulfield ist einfach ein Kumpel, schon seit Jugendtagen, obwohl es ihn natürlich eigentlich gar nicht gibt. Alex: Ich stell mir den Holden immer so vor wie eine ‹Weltliteratur-Beat-Generation-Figur›. Ein verlorener Typ, der durchs Leben wandert – so ein bisschen ‹Lost American Dream›mässig. Holden Caulfield macht sich in ‹Der Fänger im Roggen› viel Gedanken über die Verlogenheit der Gesellschaft. Seid ihr auch politisch? Alex: Also ich würde mich schon als gesellschaftlich interessiert betrachten. Politisch betrachtet geht’s mir vielleicht nicht unbedingt um Parteisysteme, sondern mehr um Orientierungen in Wertesystemen und so. Ich glaube, da sind wir alle wirklich auf der Suche. Heutzutage ist es ja auch wirklich schwierig geworden, ein sagen wir mal, ‹moralisches Leben› zu führen. Warum ist das schwierig geworden? Fabian: Alles, was du konsumierst, ist entweder verbunden mit Kinderarbeit, Umweltverschmutzung, Zerstörung oder Unterdrückung. Es ist wirklich sehr schwer. Ich muss hinzufügen, dass, als du gefragt hast, ob wir politisch seien, ich erst dachte: nein. Weil ich irgendwie mit dieser Politikverdrossenheits-Floskel aufgewachsen bin. Aber das ist ja gar nicht wahr, denn du hast ja Recht, es geht darum, sich um gesellschaftliche Themen zu kümmern. Alex: Also ich bin ein grosser FDP-Hasser. Das ist das eine, was ich wirklich sagen kann. Eine Gesellschaft so zu verleugnen als Gemeinschaft geht überhaupt nicht. Entweder man sagt, man ist eine Gesellschaft – dann trägt man auch die Verantwortung für die andern mit – oder man leugnet es. Aber dann sollen die auf eine Insel gehen und auch wirklich alleine leben. Fabian: Diese Politik ist teilweise wirklich ex-

trem darwinistisch. Die Schönen, Starken und Reichen gewinnen. Alex: Und wenn man mal ein paar Leute aus dieser Schicht kennengelernt hat, dann merkt man schnell, dass sich die wenigsten wirklich hochgearbeitet haben, sondern da reingeboren wurden und dann geht’s halt so weiter. Fabian: Oder man arbeitet sich hoch auf Kosten anderer, was ja auch oft passiert. Das stinkt einfach, das ist wirklich nicht okay. Zurück zu Holden. Der ist im Buch ja ungefähr 17 Jahre alt. Was sind denn aus eurer Sicht die drei schwierigsten Dinge in diesem Alter? Alex: Auf jeden Fall die Orientierung in einer nicht überschaubaren Menge an Informationen. Das verlangt eine unglaubliche Stringenz in sich selber. Fabian: Selbstsicherheit. Alex: Das mach ich, und da gehe ich jetzt lang. Fabian: Es braucht dann einfach so eine Ruhe. Also ich finde diese Zeit einfach sehr nervositätsfördernd. Ständig muss man multitasken, was eigentlich totaler Schwachsinn ist. Aber die gesellschaftliche Meinung sagt, man darf nicht ruhen. Anton: Man hat auch ständig das Gefühl, etwas zu verpassen.

‹Wir hoffen schon, dass bei den Leuten neben den Beinbewegungen auch immer noch Herz und Geist dabei sind.› Fabian: Ich finde einfach, wer wirklich produktiv sein will, der muss einen Weg finden, sich zu fokussieren. Also heutzutage stell ich mir das echt krass vor, mit den ganzen Reizen aufzuwachsen, ständig blinkt was auf oder es klingelt das Telefon. Alex: Das zweite grosse, wirklich grosse Problem ist das Wanken der Menschheit, gewisse Probleme anzugehen. Zum Beispiel das Umweltproblem, fehlende Gerechtigkeit oder die Globalisierung im weitesten Sinne. Es ist einfach wichtig, dass das gesellschaftlich so manifestiert ist. Anton: Es braucht einfach ein stabiles Wertesystem. Alex: Genau. Es gibt ja eigentlich ganz wichtige Dinge zu erledigen und die müssen ganz schnell erledigt werden. Und ich würde sagen, das dritte Problem ist die Gleichgültigkeit. Anton: Das musst du jetzt mal erklären (lacht). Alex: Ich würde das so erklären: Wer durch die Informationsflut überfordert ist und sich zu entscheiden hat, der hat es sehr schwer. Die Leute denken dann schnell: ‹Ach ja, irgendwie geht’s ja weiter, ob wir das nun so oder so machen, ist eigentlich auch egal, solange wir feiern können ist alles gut.›

Okay, vielleicht sollten wir doch mal noch ein bisschen über Musik reden. Fliessen denn solche Gedanken auch in eure Musik ein? Fabian: Wo es ganz klar einfliesst, ist in die Arbeitsweise. Zumindest meiner Meinung nach. Zum Beispiel sich zu entscheiden, dass weniger mehr ist, ist ein inhaltlicher Bezug auf die Tatsache, dass in der Welt so viel möglich ist. Das ist auch ein Ideal und schon vergleichbar mit einer gesellschaftlichen Vorstellung. Anton: Eigentlich eine Materialbegrenzung. Alex: Materialgewinnung und Materialbegrenzung. Aber teilweise schon auch thematisch. Es gibt von uns ja schon so ein paar Lieder die sich beispielsweise mit Aussenseitern beschäftigen. ‹Henry› ist zum Beispiel so ein Lied. Anton: Und trotzdem kannst du dich nicht dem Zeitgeist verschliessen. Das fällt mir dann auf, wenn wir live spielen, dann stellt sich auch immer die Frage, welche Titel wir an dem Abend spielen, wie spannen wir den dramaturgischen Bogen. Man kann dann natürlich eher ruhigere Stücke spielen, wo das Publikum auch mal ruhig sein und sich konzentrieren muss, um den Text zu verstehen, oder wir spielen die Knaller, zu denen die Leute halt feiern können. Und ich habe schon den Eindruck, dass die Leute gerade wirklich einfach feiern wollen. Wie in den 20ern, einfach nicht darüber nachdenken – Drogen. Fabian: Ich finde aber nicht, dass wir da einfach nur bedienen. Alleine schon durch die Art und Weise wie unser Live-Set die Möglichkeit zur Lücke, zur Pause oder sogar zum Loch lässt. Manchmal ist das auch nicht unbedingt gewollt und manchmal ist es nicht ideal, aber manchmal schätzt das Publikum auch, dass man immer mal wieder etwas Luft holen kann. Wir lassen die Leute auch immer wieder mit sich alleine. Alex: Das finde ich eigentlich auch das Schöne an Bodi Bill, es herrscht keine Leere. Fabian: Ja, und die Leute müssen unbedingt da mitmachen, jeder muss seinen Teil dazu beitragen. Alex: Wir hoffen schon, dass bei den Leuten neben den Beinbewegungen auch immer noch Herz und Geist dabei sind. Wir arbeiten am ganzheitlichen Menschen, am ganzheitlichen Bodi Bill (lacht)! Lange Arme, grosser Kopf, kräftige Beine und grosses Herz! Das Interview in voller Länge findet ihr auf kinkimag.ch. Weitere Info zu Bodi Bill gibt’s auf bodibill.de. Foto: Promo

kinki

71


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.