kinki magazin - #18

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ten sei schön. Ausgeschlossen fühle sie sich nicht in der Schweiz, meint Maja. Das Kopftuch trägt sie nicht so oft und betet nur abends zuhause nach Feierabend. ‹Es braucht viel Mut, im Geschäft zu fragen, ob man beten oder das Hijab tragen darf. Aber vielleicht betrifft mich das bald nicht mehr: Sobald mein Mann genug verdient, höre ich auf zu arbeiten.› Das Leben in Saudi-Arabien wäre ganz anders. ‹In der Schweiz ist es freier als sonst wo, aber ich kann mein Kopftuch nicht anziehen. Dort wäre es einfacher, weil ich es tragen könnte, aber ich wäre als Frau eingeschränkt. Frauen dürfen in Saudi zum Beispiel nicht Auto fahren.› Auch an das Essen in getrennten Räumen müsste sie sich gewöhnen. Aber für ihre Tochter würde sie sich freuen. ‹Es ist viel einfacher in einem islamischen Land ein Kind islamisch zu erziehen.› Sie hätte keine Probleme mit dem Kopftuch oder dem Schwimmunterricht. Natürlich würde die Kleine in eine Privatschule gehen. In der Schweiz findet sie es schwierig, Muslimin zu sein. Zum Beispiel kann sie nicht in die Moschee, weil sie die jeweilige Sprache nicht beherrscht. Sie wäre froh, wenn mehr auf Deutsch gemacht würde, damit sie auch ein Teil der Gemeinschaft werden könnte. Auch die Schweizer im Umfeld könnten davon profitieren. Mehr als alles andere hofft sie jedoch, dass in der Schweiz die Religionsfreiheit bestehen bleibt. Sie findet, man solle tragen können, was man will. Ausser man gehe nackt wandern. ‹Irgendwo hat es Grenzen.›

Oscar Antonius Maria Bergamin alias Oscar Assadullah Mukhtar Bergamin aus der Schweiz, konvertiert Getroffen: In Felsberg bei Chur in einer Wohnung wie aus 1001 Nacht und bei ­Rooibos auf eigenem Feuerchen.

Oscar ‹Assadullah Mukhtar›, der ‹auserwählte Löwe›, ist ursprünglich in Holland aufgewachsen – katholisch. Er ist 1,86 m gross und blond. Sein Weg zum Islam begann mit der Faszination für islamische Architektur. Er war Auslandredaktor, immer an der Quelle, und mit der Schweizer Armee an den richtigen Orten. So hat er sich immer intensiver mit der Religion befasst. Seine Erlebnisse füllen eine riesige Powerpoint-Präsentation, gespickt mit Porträts von Strassenkindern im Balkan, Afghanistan, Irak, Syrien, Jordanien: ‹Meine Helden.› Oscar hat sein Bekenntnis in Skopje vor 2000 Leuten am 27. Ramadan abgelegt. Als er zurück in die Schweiz kam, freute er sich, endlich seinen muslimischen Freunden sagen zu können: ‹Ich bin jetzt euer Bruder!› Als Oscar als Muslim zurückkam, wurde er Mitglied des bosnischen Kulturvereins, damit er am Freitagsgebet teilnehmen kann. ‹Wenn man in der Schweiz den Islam annimmt, ist man auf eine Art 26

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heimatlos. Als Mann habe ich den Vorteil, nicht erkannt zu werden; ich kann relativ unauffällig meine Religion leben.› Inzwischen hat er seinen Namen zivilrechtlich ändern lassen, ist in vielen islamischen Organisationen aktiv, macht mit bei Podiumsdiskussionen und lebt einfach sein Leben als Muslim. ‹Ich interessiere mich für alles, was mit dem muslimischen Leben zu tun hat: Die «Halal-Industrie» – weltweit 16% vom FoodBereich! Der «Islamic Lifestyle»; mein Leben ist jetzt viel schöner als vorher. Es ist offener, man hat gleiche Grundwerte wie andere Muslime.› An Podiumsdiskussionen empfinde er seine Erscheinung als grossen Vorteil: ‹Alle erwarten einen Migranten. Dann kommt ein grosser, blonder, ehemaliger Offizier und plötzlich können sie nicht mehr auf Ausländern herumhacken. Viele sagen, der Islam müsse sich integrieren. Aber was soll ich als Schweizer? Man muss die Kultur von der Religion trennen: Nicht der Islam muss sich integrieren, sondern die Bosnier, die Türken, die Araber... Integration ist ein Prozess, den ein Zürcher auch machen muss, wenn er ins Bündner Oberland ziehen will. Da hat er dann Probleme!› Ein Spruch, der immer wieder aufkam: Es gibt 6,3 Milliarden Leute auf der Welt, 1,6 Milliarden Muslime, 1 Islam, 1,6 Milliarden Wege zum Islam und 6.3 Milliarden Meinungen zum Islam. Anders gesagt: Eine Religion, viele Ausdrucksformen, die alle regional und individuell geprägt sind. ‹Nur 18 % aller Muslime leben im arabischen Raum. Und sie haben ein riesiges wirtschaftliches Potential; auch grosse Schweizer Firmen produzieren schon lange islamkonform.› Es sei nur eine kleine Gruppe, die sich bewusst gegen den Islam wehre. Die grössere Masse müsse man nur mit genügend Information bestücken, damit sie auch das Schöne an der Religion sehen: Farbige Kopftücher anstatt schwarzen oder weissen, muslimisches Essen, Sport, Musik, Mode, Comedy... ‹Die Klassiker der Unwissenheit sind Zwangsheirat, Frauenbeschneidung und Ehrenmord. Das sind nicht muslimische Probleme, sondern ein generelles, kulturelles Problem. ­Ehrenmord ist absolut unislamisch – und es gibt ihn auch im Christentum, nur heisst er dann Familiendrama.› Auch Oscar sieht die Zukunft des Dialogs in der nächsten Generation. ‹Sie können besser mit der Medienflut umgehen und können sich so differenzierter dem Thema nähern. Die Migranten sind nicht erst angekommen, sie sind jetzt hier.›

Mohamed und Iris Ben Belaid aus Tunesien bzw. Genf er ist seit 1979 in der Schweiz. Getroffen: In der Primarschule von Rehetobel, AR. Kleine Tische, kleine StĂĽhle.

Mohamed und Iris haben sich in einem Club kennengelernt. Iris grinst: ‹Ich habe mir immer gesagt: Ich will nicht in die Deutschschweiz und keinen Araber als Mann. Jetzt hat sich beides

erfüllt.› Inzwischen sind sie fast 27 Jahre verheiratet, haben zwei Kinder, 20 und 25 Jahre alt. Gemeinsam sorgen sie seit 1994 an der Primarschule in Rehetobel, ‹am Ende der Welt›, wortwörtlich für Ordnung – nämlich mit Staubsauger und Gummihandschuhen. 35 Familien hätten sich für den Job interessiert, früher sei es einfacher gewesen, als Muslim Arbeit zu finden. Früher, das heisst vor 9/11. ‹Jetzt machen sie ein unverschämtes Tamtam wegen Kopftüchern und Minaretten, was früher kein Problem war!› Das bringe die Muslime dazu, sich noch mehr in ihren Glauben zu stürzen. Mohamed nickt und fügt hinzu: ‹Ich kenne beide Mentalitäten. Ich komme von dort und lebe hier. Wir Araber lernen europäische Sprachen – versuch mal einen zu finden, der hier Arabisch kann. Jetzt wollen sie plötzlich unsere Kultur verstehen – das kann man nicht in so kurzer Zeit, wir sind nicht erst gestern auf die Welt gekommen!› Als er hierher kam, war noch alles neu. Seine Mitarbeiter kannten Afrika nicht. Wie er hierher gekommen sei? Mit dem Kamel, habe er gesagt. Es stehe draussen auf dem Parkplatz. ‹Wirklich?› Mohamed lacht. Früher sei er aber noch nicht praktizierender Muslim gewesen. ‹Der «Chlapf» kam, als 2000 seine Mutter starb.›, erinnert sich Iris, als sei es gestern gewesen. Vom einen auf den anderen Tag war alles anders. Kein Alkohol mehr, er las im Koran, ging in die Moschee... ‹Es war, als hätte er ein schlechtes Gewissen.› Das Ziel ist Mekka. Iris kann natürlich nicht mitgehen, Mekka ist Nichtmuslimen verschlossen. ‹Eine Mus­ limin werden? Kann vielleicht mal passieren! Frieden und Toleranz sind die Grundlage der Religion. Und das ist ja ganz logisch.› Iris hat sich niemals unterdrückt gefühlt. Sie steht grade, wenn ein Kommentar zu ihrem Mann kommt. Sie lässt nichts durch. Die Kinder sind beide islamischen Glaubens – wenn sie zu Iris’ Eltern in die Ferien gehen, wird kein Schweinefleisch aufgetischt. ‹Das ist Toleranz›, meint Mohamed. Und wenn die Eltern zu ihnen zu Besuch kommen, bekommen sie ein Gläschen Wein. Es sei ein Zusammenwachsen, man finde automatisch zueinander. Seit Mohamed sich an die islamischen Fastengebote hält, macht die Familie mit beim Ramadan. ‹Es ist ein ganz anderes Leben: Man kocht füreinander, zelebriert die Gemeinschaft...› Mohammed sehnt sich dann ganz besonders nach Tunesien. ‹Der Unterschied in der Atmosphäre ist riesig.› In einer Millionenstadt ist alles plötzlich ruhig um halb sechs. Kein Auto, kein Bus, alles hält inne. Nach einer halben Stunde ist das Fastenbrechen vorbei. ‹Und dann kommt die zweite Halbzeit. Wie bei einem Fussball-Match.› Aber auch die Leute, die nicht fasten, respektieren die anderen. ‹Hier kann ich mich nicht einmal in ein Restaurant setzen und nichts trinken.› Es sei nicht schlimm, es wäre einfach schön, während des Ramadans in Tunesien zu sein. Die Ben Belaids halten sich raus aus dem Dorfleben. Klar halten sie hie und da ein Schwätzchen über den Schulhaus-Neubau oder das Wetter. ‹Privat ist privat. Das hat nichts mit der Religion zu tun, es ist einfach ein kleines Dorf.› Sie wollen den Frieden bewahren, vor allem, weil sie täglich mit den Kindern zu tun haben. Ihre eigenen Kinder sind sehr streng auf-


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