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Konjunktur-Radar

Am Puls der Wirtschaft

Die Rezessionsgefahren für Europa haben in den letzten Wochen abgenommen. Plötzlich ist das Glas wieder halb voll – die Stimmung bei Unternehmen und Verbrauchern hat sich aufgehellt. Für die Notenbanken wird 2023 dennoch eine Herausforderung. Das Risiko geldpolitischer Fehler ist erhöht.

Aufgehellte Perspektiven

Der Ausblick für die europäische Konjunktur hat sich jüngst aufgehellt. In China gewann die wirtschaftliche Aktivität nach dem Ende der Null-Covid-Politik wieder an Dynamik. Kurzfristig dürfte es dort einen Wachstumsschub geben, der auch auf Europa positiv ausstrahlen wird. Ebenfalls positiv auf die Stimmung wirkten die lange Zeit milden Wintertemperaturen und der stark gefallene Erdgaspreis. Die Wachstumserwartungen für den Euroraum wurden daher zuletzt wieder nach oben korrigiert. Der Eurozonen-Einkaufsmanager stieg im Januar mit 50.2. Punkten wieder über die Expansionsschwelle. Die Verbraucherstimmung hat sich vom Einbruch im letzten Herbst ebenfalls wieder erholt. Eine Rezession könnte in Europa ganz ausbleiben oder dürfte zumindest sehr mild verlaufen.

EZB-Falken in der Überzahl

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat mit dem verbesserten Konjunkturausblick neben der hohen Inflation ein weiteres Argument in der Hand das Leitzinsniveau im Euroraum weiter anzuheben. Nach der Erhöhung des Zinssatzes für Hauptrefinanzierungsgeschäfte auf 3.00% Anfang des Monats dürfte im März noch ein weiterer Schritt von 50 Basispunkten folgen. Danach dürfte

Restriktivere Geldpolitik kommt im Wirtschaftskreislauf an M2-Geldmengenwachstum USA

Quellen: Bloomberg, Kaiser Partner Privatbank das Tempo gedrosselt werden. In Kürze steuert die EZB damit in stark restriktive geldpolitische Sphären, deutlich über dem Potentialwachstum. In diesem Bereich wächst die Gefahr für Wachstum sowie überschuldete Staaten. Auch steigt das Risiko eines Politikfehlers, der bald wieder korrigiert werden muss.

US-Notenbank macht langsamer

Die Fed sieht sich derzeit mit widersprüchlichen Daten konfrontiert. Der Arbeitsmarkt ist oberflächlich (noch) robust. Diverse – in der Vergangenheit stets sehr zuverlässige – Rezessionsindikatoren wie die US-Zinskurve oder der Conference Board Leading Economic Index haben sich jüngst hingegen weiter eingetrübt. Derweil geht die Inflation tendenziell schneller als erwartet zurück und könnte in den kommenden Monaten weiter positiv überraschen. Auch die verzögerte Wirkung der massiven Zinserhöhungen 2022 gilt es zu berücksichtigen. Das Geldmengenwachstum ist zuletzt komplett zum Erliegen gekommen (siehe Grafik). Vor diesem Hintergrund hat die US-Notenbank anfangs Februar nur noch einen kleinen Zinsschritt von 25 Basispunkten vorgenommen. Die Makrozahlen der kommenden Wochen werden zeigen, ob damit bereits das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

Konsensschätzungen Wachstum & Inflation

Schuldenobergrenze erreicht

Bergsicht

Das nächste US-Schuldenspektakel

(Fast) alle Jahre wieder muss in den USA über die Anhebung der Staatsschuldenobergrenze verhandelt werden. Meist gelingt dies – nicht ohne Umwege und oft erst in der letzten Minute – ohne grössere Friktionen. In diesem Jahr sind die potentiellen Risiken und Nebenwirkungen der Schuldendebatte indes so hoch wie lange nicht mehr. Aufgrund erhöhter Konfrontationsbereitschaft droht im Kapitol ein wahres Schuldenspektakel, das auch die Finanzmärkte nicht kalt lassen dürfte.

Countdown bis zum Showdown

In diesen Tagen wird in den Vereinigten Staaten wieder einmal die vom Kongress regelmässig neu zu verhandelnde bzw. zu erhöhende Schuldenobergrenze erreicht. Mit den inzwischen zur Routine gewordenen finanziellen Kniffen („ausserordentlichen Massnahmen“) kann das Treasury seinen Zahlungsverpflichtungen zwar noch einige Zeit nachkommen. Im Sommer, möglicherweise auch erst im Oktober, dürften jedoch alle Tipps & Tricks verbraucht und die Staatskasse leer sein – dann droht ein Zahlungsausfall. Die Protagonis- ten in Washington, D.C. sind sich dieses Risikos wohl bewusst. Der rechte Flügel der Republikaner, welcher bei der katastrophalen Wahl-Seifenoper von Kevin McCarthy zum Sprecher des Repräsentantenhauses Anfang Januar bereits seine destruktiven Absichten offenbart hat, ist gar gewillt ordentlich Chaos zu stiften und das Schuldengrenzen-Anhebungsprozedere dazu zu nutzen, den Demokraten erhebliche Budgetkürzungen abzuringen. Insbesondere bei den Sozialausgaben soll der Rotstift angesetzt werden. Während die letzten Episoden der Schuldendebatte in den Jahren 2013, 2015 und 2021 meist erst „5 vor 12“, letztlich aber ein versöhnliches Ende fanden, drohen diesmal ähnlich grosse oder noch schlimmere Verwerfungen wie beim Schuldengrenzen-Showdown von 2011. Damals war ein Rating-Downgrade von Standard & Poor‘s (von AAA auf AA) sowie ein Einbruch des Aktienmarktes von mehr als 10% nötig, um die Politik(er) zur Besinnung zu bringen. Für 2023 ist ein vergleichbar negatives Szenario nicht auszuschliessen. Dieses Jahr scheint es durchaus möglich, dass ein „Deal“ in der letzten Minute nicht gelingt und das Treasury für Tage oder gar Wochen nur noch eingeschränkt agieren beziehungsweise (be)zahlen kann – mit entsprechenden Risiken und Nebenwirkungen.

Kein „Default“ – aber dennoch Risiken

Falls dem Finanzministerium spätestens im Herbst das Geld ausgeht, droht nicht sofort der Super-GAU im Sinne eines „Defaults“ von US-Staatsanleihen. Schon in den Jahren 2011 und 2013 machten das Treasury und die US-Notenbank Notfallpläne um die termingerechte Bedienung der Staatsschulden sicherzustellen, andere Zahlungen wurden dafür zurückgestellt. Auch für den nun drohenden finanziellen Engpass gibt es einen entsprechenden Priorisierungsplan. Sobald das schwarze Loch in der Kasse näher rückt, dürften die Staatsausgaben temporär um 30% bis 40% reduziert werden, die Zinszahlungen aber sichergestellt sein. Auch wenn den USA somit höchstwahrscheinlich kein Bankrott droht, stellt die Schuldenobergrenze ein nicht zu ignorierendes Risiko dar. Denn selbst in den weniger knappen Schuldendebatten der letzten Jahre war regelmässig ein merklicher Anstieg der Preise für amerikanische Kreditausfallversicherungen (CDS) festzustellen. Dies könnte sich 2023 wiederholen. Und auch am Markt für US-Staatsanleihen, der zuletzt ohnehin von tiefer Liquidität geplagt war, könnte es zu Verwerfungen kommen. Der Aktienmarkt dürfte ebenfalls nicht ganz unbehelligt davonkommen. Spe- ziell die Aktien von Unternehmen, welche von temporären Ausgabenstopps oder – zur Beendigung des Schuldenspektakels möglicherweise nötigen – dauerhaften Budgetkürzungen der Regierung betroffen wären (z.B. der Verteidigungssektor), könnten unter Druck geraten. Länger anhaltende Zahlungsstaus könnten schliesslich auch das Verbrauchervertrauen eintrüben. 2011 führte die Unsicherheit bezüglich der Schuldenobergrenze zum tiefsten Einbruch der Konsumentenstimmung neben der Finanzkrise. Neben volatilen Finanzmärkten droht somit auch ein Dämpfer für das Wirtschaftswachstum. Insgesamt stellt die absehbare Schuldendiskussion das wohl grösste Risiko in der amerikanischen Innenpolitik im Jahr 2023 dar. Die europäischen Märkte dürften sich dem möglichen Chaos nicht gänzlich entziehen können.

Fazit: „Rettung“ in letzter Minute – dieses Drehbuch kennen die Politiker in Washington, D.C. nur allzu gut. Gerade deshalb und aufgrund des konfrontativen Kurses einiger Republikaner könnte es in der diesjährigen Episode einmal nicht nach dem klassischen Skript laufen. Im Risikoszenario drohen grössere Verwerfungen an den Finanzmärkten und ein kleiner Wachstumsschock. Letztlich dürfte aber auch das diesjährige Schuldenspektakel ein Ende finden und sich etwaige Kursrückgänge als temporär erweisen.

Für 2023 ist ein vergleichbar negatives Szenario nicht auszuschliessen

„Rettung“ in letzter Minute

Wieder einmal am Limit – Dem US-Finanzministerium geht bald das Geld aus US-Staatsschulden und Schuldenobergrenze (in Billionen US-Dollar)

Quellen: Bloomberg, Kaiser Partner Privatbank

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