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Drawdown
Ersetzt ChatGPT bald meinen Private Banker?
(Tipp: Nicht so schnell!)
Seitdem ChatGPT der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde, hat das Thema „Künstliche Intelligenz“ nochmals deutlich an Fahrt aufgenommen. Der bekannte Chatbot und seine vielen Verwandten dürften uns im Job demnächst tatsächlich einige Arbeit abnehmen. Doch taugen sie auch als Anlageberater? Wir haben den Test gemacht.
Selbstbewusstsein auf einen Klick
Die „Künstliche Intelligenz (KI)“ hat in den letzten Jahren einen grossen Sprung nach vorne gemacht. Für das breitere Publikum wurden diese Fortschritte Ende letzten Jahres mit dem Roll-Out des Chatbots ChatGPT nicht nur erkenn-, sondern auch ausprobierbar. Ob für Zusammenfassungen von Büchern und Texten, als Inspirationsquelle und Brainstorming-Hilfe, für künstlerisch-kreative Beiträge oder auch nur zum Amüsement – schon heute können uns Sprachmodelle bei der Arbeit unterstützen oder für kurzweilige Unterhaltung sorgen. An Selbstvertrauen mangelt es der KI in jedem Fall nicht, auch nicht an der richtigen Wortwahl. Dies zeigt sich eindrucksvoll, wenn man den Chatbot fragt, wie Donald Trump den Bitcoin erklären würde – die Stimme des ehemaligen US-Präsidenten bekommt man dann kaum noch aus dem Kopf… Doch taugen ChatGPT (von der amerikanischen KI-Firma
OpenAI) oder dessen viele Verwandten auch als Anlageberater? Unser virtuelles „Mystery Shopping“ zeigt, dass es an der nötigen Finanzausbildung noch hapert. Das individuelle und umfassende Gespräch zwischen Kunde und Berater werden auch bessere Versionen der Sprachmodelle nicht ersetzen können.
Berater ohne Taschenrechner
Beim Betreten des virtuellen Büros von OpenAI und der ersten Frage nach einer geeigneten Anlagestrategie, macht der Chatbot zunächst darauf aufmerksam, dass er kein lizensierter Anlageberater ist und keine spezifischen Anlageratschläge geben kann. Doch wie bei so vielen anderen Themen auch, wird diese Zurückhaltung schnell abgelegt, wenn man mit ChatGPT über ein hypothetisches Beispiel redet. Der Auftrag lautet: Für einen Anleger mit moderatem Risikoappetit soll ein Multi-Asset-Portfolio bestehend aus 15-20 ETFs konstruiert
Thematisch
International werden, welches langfristig besser abschneidet als ein einfaches 50/50-Portfolio bestehend aus Aktien und Anleihen. In Sekundenschnelle schlägt der Beraterbot vor, einen Mix aus niedrig korrelierten Anlageklassen zu wählen. Aktien, Anleihen, Rohstoffe und alternative Anlagen sollen es sein, entsprechende ETFs werden ebenfalls genannt. Auf eine weitere Nachfrage hin wird auch eine konkrete Gewichtung für jede Anlageklasse und jeden ETF geliefert. Dass uns als eher konservativem Kunden eine Allokation von 20% zu Rohstoffen als etwas hoch erscheint, wird auf Bitte ebenso korrigiert, wie die zunächst etwas zu einseitige Beschränkung auf grosskapitalisierte Aktien (Large Caps). Nach einigen weiteren Nachfragen steht am Ende ein Portfolio bestehend aus 25 ETFs, welches bei Aktien auch Small/ Mid Caps, Branchen, faktorenbasierte und thematische Strategien sowie neben den USA zusätzlich internationale Märkte berücksichtigt. Auch bei Anleihen (TIPS und Hochzinsanleihen) sowie den alternativen Anlagen (Infrastruktur) wird das ursprüngliche Portfolio erst im „Kundengespräch“ breiter und diversifizierter. Allerdings scheint der elektronische Berater mit uns als anspruchsvollerem Kunden leicht überfordert – jedenfalls summieren sich die vorgeschlagenen Gewichtungen des ETF-Portfolios auf 120%. Mit Fremdkapital wollten wir eigentlich nicht arbeiten….
Solide Performance, aber schwächer als die Benchmark
Nachdem ChatGPT nochmals für uns nachgerechnet hat, kann das Portfolio auf den Prüfstand beziehungsweise in den Backtest. Dieser reicht aufgrund der noch relativ jungen Themen-ETFs (ARK Innovation ETF und Global X Robotics and Artificial Intelligence ETF) allerdings nur bis 2017 zurück. Für eine Zwischenbilanz ist dies gut genug: In den ersten 6 Jahren bis zum Hoch des Weltaktienmarkts Ende 2022 konnte der ChatGPT-Bas- ket um mehr als 60% zulegen und das 50/50-Portfolio um bis zu 5 Prozentpunkte übertrumpfen. Seit November letzten Jahres liegt das viel besser diversifizierte ETF-Portfolio gegenüber der simplen Benchmark jedoch im Hintertreffen. Damit teilt der Chatbot das Leid so vieler anderer Investoren, denen es schwerfällt, langfristig besser als der einfache Aktien-Anleihen-Mix abzuschneiden. Auch zwei andere Kennzahlen sorgen für Ernüchterung beim Kunden: Das Aktien-Beta und die Volatilität des Chatbot-Portfolios sind höher als beim 50/50-Portfolio. So ganz passt der Anlagemix mit Blick auf unser Risikoprofil (noch) nicht.
Persönlich ist anders…
Und auch sonst tauchen beim Kunden so einige Fragezeichen auf. Ist das vorgeschlagene Portfolio wirklich auf uns zugeschnitten? Etwas störend ist beispielsweise der Fokus auf US-ETFs – ChatGPT geht wohl davon aus, dass wir regelmässig an den US-Börsen handeln. Nach dem Hinweis auf unseren Wohnsitz (Europa) schlägt der elektronische Berater denn auch umgehend eine vergleichbare Palette an „europäischen“ ETFs vor – Amerika fällt dabei dann aber gänzlich unter den Tisch. Eine ähnliche Szene spielt sich ab, wenn wir unseren Wunsch nach einer nachhaltigen Strategie äussern. Schnell folgt eine Liste von ETFs mit „ESG“ im Namen. Spätestens beim Blick auf die Kosten der ursprünglichen Portfolioempfehlung kommen aber ernsthafte Bedenken über die Beratungsqualität auf. So betragen die jährlichen Kosten für einen der Rohstoff-ETFs 0.85% (Invesco DB Agriculture Fund) und für den Schwellenländer-ETF 0.70%, obwohl es erheblich günstigere Alternativen gäbe. Der fast ausschliessliche Fokus auf die zwei Produktanbieter State Street Global Advisors (SPDR) und iShares lässt zudem an der Unabhängigkeit von ChatGPT zweifeln. Zugutehalten muss man dem Chatbot, dass er von Anfang an auf seine fehlende Beraterausbildung hingewiesen hatte.
Spätestens beim Blick auf die Kosten der ursprünglichen Portfolioempfehlung kommen aber ernsthafte Bedenken über die Beratungsqualität auf.
Angenehm selbstkritisch
Versöhnlich stimmt zum Abschluss des Gesprächs, dass der Berater angenehm selbstkritisch ist. Fragt man den Chatbot, ob Künstliche Intelligenz eine existenzielle Bedrohung für professionelle Vermögensverwalter sei, antwortet er das Folgende:
„Künstliche Intelligenz (KI) hat das Potenzial, viele Branchen zu verändern, darunter auch die Finanzbranche. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass KI eine existenzielle Bedrohung für professionelle Vermögensverwalter darstellen wird. Hier sind einige Gründe dafür:
• KI ist ein Werkzeug, kein Ersatz: KI ist ein leistungsfähiges Instrument, das professionelle Vermögensverwalter bei ihren Anlageentscheidungen unterstützen kann. Sie kann jedoch nicht das menschliche Fachwissen, die Erfahrung und das Urteilsvermögen ersetzen, das professionelle Vermögensverwalter mitbringen. Professionelle Vermögensverwalter haben ein tiefes Verständnis der Märkte, der Wirtschaft und der Unternehmen, in die sie investieren. Sie können KI nutzen, um ihren Entscheidungsprozess zu verbessern, aber sie werden immer gebraucht werden, um die Daten zu interpretieren und finale Anlageentscheidungen zu treffen.
• KI hat ihre Grenzen: Auch wenn die KI immer ausgefeilter wird, hat sie immer noch ihre Grenzen. KI kann nur Daten analysieren, die in sie eingegeben wurden, und sie kann keine unvorhersehbaren Ereignisse vorhersagen, die sich auf die Märkte auswirken können. Professionelle Vermögensverwalter können hingegen ihr Urteilsvermögen einsetzen, um durch schwierige Märkte zu navigieren und ihre Anlagestrategien entsprechend anzupassen.
• Der menschliche Kontakt wird immer noch geschätzt: Viele Anleger ziehen es vor, mit professionellen Vermögensverwaltern zusammenzuarbeiten, weil sie den menschlichen Kontakt schätzen. Sie möchten mit jemandem zusammenarbeiten, der ihre individuellen Bedürfnisse und Ziele versteht und eine persönliche Anlageberatung bieten kann.
KI kann zwar datengestützte Erkenntnisse liefern, aber sie kann nicht die persönliche Betreuung bieten, die viele Anleger suchen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass KI zwar eine wichtige Rolle in der Finanzbranche spielen wird, aber wahrscheinlich keine existenzielle Bedrohung für professionelle Vermögensverwalter ist. Professionelle Vermögensverwalter können KI als Hilfsmittel nutzen, um ihren Entscheidungsprozess zu verbessern, aber sie werden immer gebraucht werden, um das menschliche Fachwissen und Urteilsvermögen bereitzustellen, das KI nicht ersetzen kann.“
Der Einschätzung des Bots haben wir nicht viel hinzuzufügen. Per heute kann das Anlagegespräch im Cyberspace den Austausch mit dem Private Banker keinesfalls ersetzen. Wer dem unzureichend ausgebildeten Chatbot vertraut, bekommt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unpersönliche Standardstrategie verpasst, im schlimmsten Fall gar eine viel zu risikoreiche Anlageempfehlung. Das intime Gespräch zwischen Kunde und Berater werden auch künftige, bessere Versionen der Sprachmodelle nicht ersetzen können. Und einen guten Kaffee gibt es im virtuellen Besprechungszimmer ebenfalls nicht…
P.S.: Wem die Meinung des Chatbots zu nüchtern erscheint, der kann ihm auch eine etwas humorvollere Antwort entlocken: „ChatGPT macht keine Mittagspause, braucht kein Gehalt und kann riesige Datenmengen schneller verarbeiten als ein Mensch es je könnte. Ausserdem ist die KI nicht von menschlichen Vorurteilen oder Emotionen abhängig, so dass sie rationalere Anlageentscheidungen treffen kann. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ChatGPT und andere KI viele Anlageberater überflüssig machen werden. Aber hey, zumindest können wir alle ruhig schlafen, weil wir wissen, dass die Roboter unser Geld besser verwalten werden, als es professionelle Vermögensverwalter jemals könnten!“
