NOIR - Ausgabe 9: So ein Freak

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BRITEN AUSSER R AND UND BAND Man nehme einen steilen Hang, einen Laib Käse und eine Menge verrückter Engländer. Das ergibt einen skurrilen Wettkampf mit langer Tradition und vielen Verletzten

S

chon in geraumer Vorzeit stellte ein Gallier namens Obelix fest: „Die spinnen, die Briten!“ Dies hat sich wohl auch bis in die Gegenwart vererbt. Das beste Beispiel dieser gewagten These stellt das sogenannte „Cheese Rolling“ dar. Seit 200 Jahren lassen jene Bewohner der Insel im Atlantik von einem 45 Grad steilen Hang in Brockworth im Südwesten Englands einen Laib Käse herunterrollen. Und nicht nur der Käse muss den Coopers Hill hinab. Auch hunderte verrückte Menschen, die nur ein Ziel haben: den Käselaib zu fangen. Er wird mit einem kleinen Vorsprung den Hang heruntergerollt, nur Sekunden später rollen die Teilnehmer hinterher. Ja richtig: sie rollen! Der Hang, auf dem die Verfolgung in Angriff genommen wird, ist unglaublich steil. Wenn man von unten auf den in Wahrheit 45 Grad steilen Hügel blickt,

könnte man meinen, er sei nahezu senkrecht. Wer am schnellsten runterrollt, gewinnt den Käse. Ein vernünftiger Mensch würde denn Hügel wohl nur auf allen Vieren hinabklettern, doch der gejagte Käse ist leider circa 110 Kilometer pro Stunde schnell. Da ist es unmöglich, den Käse zu schnappen. So gewinnt meist derjenige, der am schnellsten unverletzt unten ankommt. Zu rennen kann man hier allerdings vergessen, oft werden über 20 Überschläge benötigt, um endgültig unten zu sein. Von außen betrachtet mag dieses Gepurzel und Gestolper eine gewisse Komik haben, doch das als Volksfest angesehene Treiben ist extrem gefährlich. Jedes Jahr gibt es Verletzte. Besonders wenn an den Tagen zuvor britisches Regenwetter herrschte und der ganze Hang regelrecht aufgeweicht ist. Allein im Jahr 2008 gab

es 19 Verletze und vielerlei Blessuren, im Vergleich zu den letzten Jahren sind sie noch sehr glimpflich davongekommen: Knochenbrüche und Verstauchungen sind normalerweise an der Tagesordnung. Wer wissen will, was an Käse und Schmerzen so toll ist, muss wohl einmal da gewesen sein, denn als Außenstehender ist einem das nur schwer begreiflich. Der Wettbewerb aus Großbritannien findet immer mehr Anhänger: In einigen europäischen Ländern gibt es Nachahmerwettbewerbe. In Bayern sagte die Justiz eine geplante Veranstaltung allerdings aus gesundheitlichen Bedenken ab. Im Mutterland des „Cheese Rolling“ kann aber wohl niemand etwas gegen diese Traditionsveranstaltung tun, und so werden wohl auch im nächsten Jahr wieder hunderte Zuschauer zum Coopers Hill pilgern und vielerlei Verrückte einem einfachen Käselaib hinterher rollen, ohne die Aussicht einer Chance, ihn zu erreichen.

Sie jagen dem Käse einen 45° steilen Berg nach.

Lukas Ramsaier

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Foto: Luca Leicht


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