Jewish Museum Berlin: JMB Journal Nr. 13

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„Das Leben wird anders schauen nach dieser Schreckenszeit“ Der Nachlass von Gertrud und Margarete Zuelzer im Jüdischen Museum Berlin „Ich möchte dem Jüdischen Museum Berlin hiermit Kenntnis von dem Schicksal meiner Urgroßtanten Gertrud und Margarete Zuelzer geben.“ Mit diesen Worten wandte sich Dr. Max Bloch im Jahr 2006 an das Museum. Was als Mitteilung über das bewegte Leben der Schwestern begann, führte im Laufe der folgenden Jahre zur Schenkung einer bemerkenswerten Sammlung von Dokumenten, Fotografien, Malereien, Publikationen und Objekten, einer Sammlung, welche die Biografien der beiden Frauen eindrucksvoll widerspiegelt. Geboren wurden Gertrud und Margarete Zuelzer 1873 und 1877 als Töchter eines jüdischen Tuchfabrikanten in Chojnów (deutsch Haynau) in Niederschlesien. Während Gertrud Zuelzer, die ältere der beiden, sich in Berlin und Paris zur Kunstmalerin ausbilden ließ und anschließend als Porträt- und Landschaftsmalerin mit eigenem Atelier in Berlin arbeitete, studierte Margarete Zuelzer Biologie und Zoologie in Berlin und Heidelberg. Sie gehörte damit zur ersten Generation von Frauen in Deutschland, denen ein Studium an den allgemeinen Hochschulen gestattet war, und zu den wenigen weiblichen Studierenden, die ihre Studien 1904 mit einer Promotion in den Naturwissenschaften abschlossen. Margarete Zuelzer begann ihre berufliche Laufbahn an der Königlichen Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung in Berlin, bevor sie 1916

in den Dienst des Kaiserlichen Gesundheitsamtes wechselte. Sie war nun Beamtin im Staatsdienst, was einer der Gründe dafür gewesen sein mag, dass sie im Februar 1916 vom jüdischen zum protestantischen Glauben übertrat – ein Schritt, den auch ihre Schwester noch im selben Jahr vollzog. Als Spezialistin in der Forschung an Einzellern leitete Margarete Zuelzer nach 1919 mit dem Titel einer Regierungsrätin das Protozoenlaboratorium in Berlin-Dahlem und unternahm ausgedehnte Forschungsreisen. Sowohl Gertrud als auch Margarete Zuelzer blieben unverheiratet und lebten in einem gemeinsamen Haushalt in Berlin. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde Gertrud Zuelzer aus der Reichskunstkammer ausgeschlossen und hatte fortan keine eigenen Einkünfte mehr. „Ich durfte nicht mehr ausstellen – in den Jahren davor hatte ich im Glaspalast München, in der Grossen Berliner Kunstausstellung, im Verband Wilmersdorfer Künstler ausgestellt. Auf diesen Ausstellungen habe ich jedesmal verkauft“, schrieb sie nach dem Krieg. Auch ihre Schwester verlor ihre renommierte Stellung, als sie im Mai 1933 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurde. Die Frauen lebten jetzt von der Pension Margaretes und einer Familienerbschaft. Berufliche Kontakte in die Niederlande ermöglichten Margarete Zuelzer 1939 die Emigration nach Amsterdam, wo sie am Institut für tropische Hygiene arbeiten konnte. Ihre Schwester musste in Berlin zurückbleiben. Sie versuchte noch im September 1942 in die Schweiz zu flüchten, wurde jedoch gefasst und in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Aus Amsterdam erhielt sie Zeichenmaterialien, die es ihr ermöglichten, andere Häftlinge zu porträtieren und sich diese Arbeiten mit Lebensmitteln bezahlen zu lassen. „Schwester Grete [...] hatte mir Farbstifte geschickt, Papier beschaffte ich mir, so habe ich über 100 Portraitzeichnungen gemacht. Da die Tschechen viel Pakete bekamen, bezahlten sie mit Brot, und ich glaube,

Gertrud und Margarete Zuelzer, Berlin, ca. 1930 Gertrud and Margarete Zuelzer, Berlin, ca. 1930

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INSIDE JMB

dass ich es diesem Umstand zu verdanken habe, dass ich am Leben geblieben bin“, schrieb sie später. Trotz des Einsatzes von Kollegen, die sich vergeblich um eine „Sonderstellung“ für die Wissenschaftlerin bemühten, wurde Margarete Zuelzer von den nationalsozialistischen Besatzern im Mai 1943 in das Durchgangslager Westerbork verbracht, wo sie noch im selben Jahr umkam. Gertrud Zuelzer, die in Theresienstadt befreit wurde und schwer gezeichnet nach Berlin zurückkehrte, konnte den Tod ihrer geliebten Schwester nie verwinden, wie das Zitat aus einem ihrer Gedichte im Titel dieses Artikels verdeutlicht. Der umfangreiche Nachlass wurde inzwischen erschlossen und konservatorisch betreut, sodass er für die öffentliche Nutzung zugänglich und für die Zukunft gesichert ist. Zu den herausragenden Objekten in der Sammlung gehören Fotografien und Aufzeichnungen von den Forschungsreisen Margarete Zuelzers nach Niederländisch-Indien, sowie Landschaftsmalereien und Porträts von Gertrud Zuelzer. Darunter befinden sich vom Impressionismus beeinflusste Jugendwerke und Arbeiten aus den 1950er Jahren, sowie einige ihrer in Theresienstadt entstandenen Zeichnungen und Porträts. Die Zeit der Verfolgung ist gut dokumentiert, besonders im Fall von Gertrud Zuelzer, die detaillierte Schriften über das Ghetto Theresienstadt hinterließ. Weitere Materialien geben einen Einblick in die Familiengeschichte der Schwestern, deren Vorfahren einst erfolgreiche Geschäftsleute im schlesischen Tuch- und Kohlehandel waren. Wir danken Dr. Max Bloch und seiner Familie für die großzügige Schenkung des Nachlasses an das Jüdische Museum Berlin. Franziska Bogdanov

Zeichnungen von Gertrud Zuelzer, Ghetto Theresienstadt, Januar 1943 Drawings by Gertrud Zuelzer, Theresienstadt Ghetto, January 1943


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