Perspektiven | Jahresbericht der Stiftung Niedersachsen 2020

Page 1

PERSPEKTIVEN



PERSPEKTIVEN Ja hresbericht 2020 Stif t ung Niedersachsen


INHALT

06 08

Editorial der Generalsekretärin der Stiftung Niedersachsen, Lavinia Francke.

Diskursräume Kulturorte können Orte des Diskurses, der politischen Auseinandersetzung und des Verhandelns der Welt sein. Florian Malzacher beschreibt in seinem Essay, wie das Thea­ ter zu einem Ort der radikalen Vorstellungskraft und der pragmatischen Utopien wird.

12

Eine wichtige gesellschaftliche Debatte konnte die Theaterproduktion Überleben von werkgruppe2 mit dem Oldenburgischen Staatstheater anstoßen. Textfragmente aus dem Stück, Interviewauszüge aus dem Programmheft und Presseberichte geben Einblicke in diese eindringliche Produktion.

20

Innovationsräume Entwickelt euch! Ein Gespräch mit Katrin Löwensprung (TPZ Hildesheim), Sebastian Cunitz (Cameo Kollektiv), Feliks Oldewage (Kulturzentrum Alte Polizei) und Kai Thomsen (freier Berater) über die Herausforderungen eines Changeprozesses. Moderiert von Daniela Koß.

34

Resonanzraum Wir eröffnen der niedersächsischen Kulturszene einen Resonanzraum und haben ausgewählte Projektpartner*innen nach ihrer Überzeugung, ihrer Haltung, ihren Innovationen und der Neugier, die sie antreibt, gefragt.

4


42

Bildserie Danach und Danach“ Die Fotografen Klaus Dierßen und Ditmar Schädel dokumentieren mit ihrer Langzeitbeobachtung die Prozesse der Erneuerung und der Umbrüche der Nachwendezeit in der ehemaligen DDR. Die Reihe entstand zwischen 1991 und 1995 und war 2020 bei der RAW Phototriennale in Worpswede ausgestellt.

66

Neue Kulturräume Was bedeutet es, „digital kompetent“ zu sein, und welches Handwerkszeug benötigen Kulturschaffende und ihr Publikum, um sich die neuen digitalen Räume gewinn­ bringend anzueignen? Ein Essay von Birte Werner.

70 75

Dazu vier persönliche Einblicke von Katharina Bäuml (Studio4Culture), der Künstle­ rischen Leitung von PROSANOVA 2020, Stefani Theis (LOT Braunschweig) und Michael Dreyer (Morgenland Festival Osnabrück).

Ländliche Räume Der gesellschaftliche und strukturelle Wandel stellt ländliche Regionen und kleinere Gemeinden vor große Herausforderungen. Gleichzeitig zeigt sich, dass der Kulturbereich hier seine Stärken ausspielen kann. Ein Gespräch mit Valeska Richter (Kulturverein ­Platenlaase), Gesche Gloystein (Seefelder Mühle), Karu-Levin Grunwald-Delitz (KulturKreis Gronau) und Elke Flake (freie Beraterin) über das sozioK_change-Programm, moderiert von Daniela Koß.

88 94

Fragen an … das Projekt PEX – Theaterarbeit in ländlichen Räumen, die Stiftung Frei­ lichtmuseum am Kiekeberg und die Stiftung Welterbe im Harz.

Wirtschaftliche und rechtliche Daten Gremien der Stiftung Impressum Bildnachweise

5


D

as Jahr 2020 hat neue Räume für die Kultur erschlossen.

Den Wandel nutzen und gestalten

In vorher nicht vorstellbarem Ausmaß konnten wir

Theater, Musik, Bildende Kunst und Literatur digital auf dem Bildschirm wahrnehmen. Dabei war zu beobachten, wie digi­ tale Formate sich von der reinen Abbildung hin entwickelten zu einer eigenen Kunstform, wie bewusst neue Möglichkei­ ten genutzt und die Situation der Rezipient*innen reflektiert wurde. Gleichzeitig hat das Jahr 2020 uns eindrucksvoll vor Augen geführt, wie wichtig das gemeinsame physische Erleb­ nis von kulturellen Veranstaltungen an einem Ort ist. Selten waren live besuchte Konzerte und Theateraufführungen so eindrucksvoll, konnte man das Hören, Sehen und Denken, die ganze Wahrnehmung künstlerischen Ausdrucks so neu und unverbraucht erleben wie in den wenigen Monaten im Sommer 2020, in denen unter strengen Hygienebedingun­ gen der Besuch von Kulturveranstaltungen möglich war. Zudem hat uns das Jahr 2020 mit der Frage konfrontiert, wie relevant Kultur für unser Leben ist. Was fehlt unserer Gesell­ schaft, wenn die Verständigung über Fragen des Zusammen­ lebens in den Kulturinstitutionen und in der freien Szene nicht mehr stattfinden kann? Verarmt der gesellschaftliche Diskurs, versiegt die kulturelle und politische Fantasie, lei­ det unser Möglichkeitssinn? Dies sind Fragen, denen wir uns stellen sollten, wenn wir Kultur weiterhin als wichtige Res­ source unserer Gemeinschaft, als Investition in die Zukunft und als unverzichtbar verstehen wollen. Das Corona-Jahr 2020 hat uns dies überdeutlich vor Augen geführt. In unserem Jahresbericht 2020 widmen wir uns den Themen Wandel und Transformation und eröffnen neue Perspektiven für und auf die Kultur. In zwei ausführlichen Gesprächen befragen wir Teilnehmer*innen unseres Förder­ programms sozioK_change nach ihren Erfahrungen mit den von der Stiftung ermöglichten Veränderungsprozessen — in urbanen Ballungszentren ebenso wie im ländlichen Raum. Dabei zeigt sich, dass die soziokulturellen Einrichtungen exemplarisch vielen Herausforderungen begegnen, denen sich eine Vielzahl von Kultureinrichtungen in den nächsten Jahren stellen müssen — sei es der Generationenwechsel, eine kluge Digitalisierung oder die Ausrichtung an (neuen) Zielgruppen. Drei geförderte Einrichtungen aus dem länd­ lichen Raum stellen wir zudem in Kurzporträts konkret vor.

6


L A I R O T I D E In zwei grundlegenden Essays beleuchten wir Themen rund

Gastronomie nach der Wende, jeweils mit einem Abstand

um die Zukunftsfähigkeit von Kultur: Florian Malzacher

von ein paar Jahren, und macht so den abstrakten Begriff des

widmet sich in seinem Text Radikale Vorstellungskraft und prag­

Wandels im scheinbar Kleinen sicht- und greifbar.

matische Utopien der Frage, wie sich politisches Theater heute definieren lässt und wie Theater zum Ort von Versammlung

Als Landeskulturstiftung stehen wir an der Seite aller Kul­

als Quelle politischen Handelns werden kann. Am Beispiel

turschaffenden in Niedersachsen, die nach wie vor durch

der viel diskutierten Theaterproduktion Überleben, die die

die Corona-Maßnahmen stark eingeschränkt sind. In diesen

Göttinger werkgruppe2 gemeinsam mit dem Oldenbur­

schwierigen Zeiten sollten wir auf die sinnstiftende und

gischen Staatstheater erarbeitet hat, wird dieses Potenzial

aktivierende Kraft der Kultur setzen und den gesellschaftli­

deutlich. Jan-Paul Koopmann von der taz schrieb zum Stück:

chen Wandel nutzen und gestalten.

„Ihre über Oldenburg hinaus skandalisierte Produktion Überleben hat eine beispiellose Gratwanderung zwischen

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!

dokumentarischem Theater, politischer Diskursentfaltung und praktischer Gedenkarbeit vollbracht.“

Ihre Lavinia Francke

Des Weiteren beschreibt Birte Werner in ihrem Essay Digital

Generalsekretärin

Literacy Schlüsselkompetenzen für Kulturschaffende und ihr Publikum in einer digital vernetzten Welt. Konkrete Bei­ spiele machen das Thema plastisch: Wie richtet man einen digitalen Konzertsaal ein, wie liest und veranstaltet man mit Gewinn Literatur im Netz, welche Erfahrungen machen Spielende und Zuschauende mit digitalen Theaterbühnen? All dies lassen wir uns von Kulturakteuren erklären. Außerdem bieten wir 15 von uns geförderten Institutionen und freien Gruppen die Möglichkeit, ihre Haltung zu Trans­ formation in der Rubrik Resonanzraum mit uns zu teilen. Alle haben wir gefragt, warum ihre Organisation wichtig ist, auf welche Innovation im eigenen Haus sie stolz sind und welche gesellschaftlichen Veränderungen sie zukünftig an­ gehen wollen. Entstanden ist ein interessantes Panorama der niedersächsischen Kulturlandschaft, die wie wenige andere von großen Flächen ländlichen Raums und sehr unterschied­ lichen Rahmenbedingungen für die Kultur geprägt ist. In unserer Fotostrecke werfen wir einen retrospektiven Blick auf das Jahr 1990 und damit auf eine Zeit epochalen Wandels unserer Gesellschaft. Wir präsentieren Ihnen in der Mitte unseres Heftes das Ausstellungsprojekt DANACH UND DANACH der beiden Fotografen Klaus Dierßen und Ditmar Schädel, das im Rahmen der von uns geförderten RAW Phototriennale im letzten Jahr in Worpswede zu sehen war. Es zeigt in teils melancholischen Bildern Stätten des Einzel­handels und der Editorial

7


E L A K I D A R T F A R K S G N U L L E T VORS E H C S I T A M G A R P D UN . N E I P O T U

g n u l m m a s r e Theater als V

Essay

Von Florian Malzacher

erichtsverhandlungen um Kunst­

G

Verfahrensweisen auszuprobieren, zu

freiheit, Religion und Zensur;

analysieren, zu performen, darzustel­

Gipfeltreffen, auf denen um Klima­

len, zu testen, zu strapazieren oder gar

ziele oder Kulturpolitik gerungen

neu zu erfinden.

wird; Parlamente, in denen jene reden, die sonst nicht zu Wort kommen ...

Die Versammlung (assembly), in der

das Theater ist in den letzten Jahren

Bedeutung wie beispielsweise Occupy

vielfach zum Schauplatz gesellschaft­

Wall Street den Namen verwendet hat,

licher Versammlungen auf dem schma-

spielt vor allem bei aktivistischen

len Grat zwischen Kunst und Wirk­

Bewegungen eine zentrale Rolle. Sie

lichkeit geworden, zu einer demokra­

markiert einen Bereich der Gemein­

tischen Arena, die nicht (nur) von

schaftsbildung, des Entscheidens und

Schauspieler*innen

wird

des Experimentierens damit, wie De­

und doch einen Raum der Fantasie

mokratie funktionieren kann. Solche

bespielt

und Vorstellungskraft markiert, der

Versammlungen haben nicht nur eine

anderswo so nicht existiert. Indem

eigene theatralische Ästhetik (wie den

es seinen unique selling point als ein

markanten Einsatz von Handzeichen

Medium nutzt, das temporäre Gemein­

oder, bei großen Zusammentreffen,

schaften erzeugen kann, die durch

des human microphone), sie leben von

Raum, Zeit und wechselnde Regeln

körperlicher Präsenz, wie die Philoso­

definiert werden, spiegelt dieses The­

phin Judith Butler in ihrer Rede bei

ater Gesellschaft nicht nur, sondern

Occupy Wall Street (2011) hervorhob:

ermöglicht es, soziale und politische 8


Es ist wichtig, dass wir als Körper […] zusammen in der Öffentlichkeit auftreten, dass wir uns in der Öffentlichkeit versammeln. […] Das ist das, was hier passiert, eine Politik des öffentlichen Körpers, der Bedürfnisse des Körpers, seiner ­Bewegungen und seiner Stimme. […] Wir sitzen und stehen, wir bewegen uns und wir sprechen, so wie es unseren Möglichkeiten entspricht, als Wille des Volkes, den die Wahldemokratie vergessen und im Stich gelassen hat. Aber wir sind hier. Und wir bleiben hier und füllen die Formel „We, the people“ mit Leben.1

So sehr diese Beschreibung auch auf

in denen so etwas wie eine radikale

viele künstlerische Versammlungen

Vorstellung von Demokratie greifbar

zutrifft, gibt es doch einen bedeutsa­

wird. Es gibt aber auch verstörende Au­

men Unterschied: Die aktivistische

genblicke oder gar Ärger. Schließlich

Versammlung wird meist als ein Ort

werden die teilnehmenden Organi­

der authentischen Verhandlung ver­

sationen offensichtlich nicht primär

standen, ein Ort, an dem etablierte

nach Kriterien politischer Korrektheit

Hierarchien abgeschafft sind, an dem

ausgewählt. Mit einigen mag dem

eine andere Art der Entscheidungsfin­

Publikum die Identifikation leichter

dung nicht nur ausprobiert, sondern

fallen – beispielsweise mit der kurdi­

wahrhaftig gelebt wird. Theater als

schen Frauenbewegung –, während

Versammlung mag mit solchen Vorstel­

die Ziele anderer schlichtweg inak­

lungen sympathisieren, seine Stärke

zeptabel scheinen mögen, beispiels­

aber ist gerade, dem Authentischen zu

weise wenn es um Nationalismus,

misstrauen, oder genauer: gleichzeitig

Gewalt, Patriarchat oder Hierarchien

authentisch und nicht authentisch zu

in vielen Unabhängigkeitskämpfen

sein. Denn Theater ist eine paradoxe

geht. Der New World Summit heißt sehr

Maschine, in der Situationen und

unterschiedliche Organisationen will­

Praktiken real und fiktional, tatsäch­

kommen, es wird kein Rat erteilt, wie

lich und symbolisch zugleich sind. Die

man sie zu bewerten hat oder sich in

sozialen Räume, die Versammlungen,

Beziehung setzen kann. Die einzige

die es erfindet, ermöglichen, teilzuha­

Klarheit liegt in der Kritik an westli­

ben und sich gleichzeitig von außen zu

chen Demokratien, deren Existenz auf

beobachten.

undemokratischer, heimlicher und nicht selten – nach ihren eigenen Stan­

Zu den herausforderndsten künstle­

dards – illegaler Ausgrenzung dessen

rischen Versuchen, Partizipation und

beruht, was nicht ins Schema passt.

Diversität zu ermöglichen, gehören die Arbeiten des niederländischen

Das Konzept eines agonistischen Plura­

Künstlers Jonas Staal. Der New World

lismus der politischen Theoretikerin

Summit entwirft seit 2012 alternative

Chantal Mouffe beschreibt Demokra­

politische Räume in Form quasi-

tie als ein Kampffeld, auf dem wir die

parlamentarischer Versammlungen,

Gelegenheit haben müssen, unsere

in denen Repräsentant*innen von

Differenzen als Gegner auszuagieren,

Organisationen aufeinandertreffen,

ohne sie beizulegen: „Die Gegner be­

die vom demokratischen Diskurs

kämpfen sich – sogar erbittert –, aber

durch die Kategorisierung als „terro­

sie halten sich dabei an einen gemein­

ristisch“ ausgeschlossen werden. Auf

samen Regelkanon. Ihre Standpunkte

diesen „Gipfeltreffen“ gibt es intensive

werden, obwohl letzten Endes unver­

und berührende Momente, in denen

söhnlich, als legitime Perspektiven

Stimmen zu hören sind, die sonst zum

akzeptiert.“2 Nur wenn wir dazu bereit

Verstummen gebracht werden, und

sind, können wir einen Antagonismus Diskursräume

9


verhindern, der allem Ver­

ater ist ein Ort des Verhan­

sche Künstler*innen und

der Religion fochten. Drei

handeln und Verstehen ein

delns, ein – wenn auch oft

Kurator*innen noch einmal

Tage lang wurde das Sacha­

Ende setzt und dessen letz­

parteiischer – Raum ago-

vor Gericht gebracht wer­

row-Zentrum in Moskau

te Konsequenz (realer oder

nistischen

Pluralismus,

den, diesmal aber im Raum

zum agonistischen Raum,

zumindest symbolischer)

mögen letzte Akte noch

der Kunst. Protagonisten

in

Bürgerkrieg ist. Denn De­

so oft einen beruhigenden

der tatsächlichen Fälle und

schiedliche Meinungen auf

mokratie muss immer neu

Abschluss suggerieren.

andere eng damit verbun­

eine Weise ausgetauscht

erstritten und ausgehan­

dem

radikal

unter­

dene Menschen wurden

wurden, die außerhalb des

delt werden, sie lebt von

Die Inszenierungen poli­

in einem künstlichen und

theatralen Settings längst

Konflikt und Parteinahme.

tischer

gleichzeitig

nicht mehr möglich war.

Theater kann ein solcher

und Versammlungen des

schen Setting mit einer

Raum sein, in dem ein spie­

Schweizer Theatermachers

Situation konfrontiert, in

Gerichtsprozesse

hochrealisti­

Ein anderes Spielfeld findet

lerischer (aber ernsthafter)

das Prinzip der performati­

Agonismus

ven Versammlung – spätes­

Widersprüche

nicht nur am Leben hält, sondern vor allem erlaubt, sie frei zu artikulieren. Schließlich ist es kein Zu­ fall, dass Mouffes Konzept seinen Namen den antiken

Florian Malzacher

Autor

tens seit Joseph Beuys’ Freier internationaler Hochschu­ le für Kreativität und in­ terdisziplinäre Forschung (1973–1988) – im Bereich der Wissens­vermittlung

und

Turnieren in Sport und Kul­

ist freier Kurator, Dramaturg und Autor. 2012–2017

-gene­rierung. Einige der

tur entlehnt hat. Agon, so

war er Künstlerischer Leiter des Impulse Theater

prominentesten, aber auch

heißt auch der Wettstreit

Festivals, davor sieben Jahre Leitender Dramaturg/­

am sorgfältigsten durch-

der Argumente in der grie­

Kurator des Festivals steirischer herbst. Zu seinen

dachten Beispiele stammen

chischen Tragödie. Tatsäch­

Publikationen gehören u. a. Not Just a Mirror.

dabei von der Theater­ma-

lich war Theater immer ein

­Looking for the Political Theatre of Today (Hg., 2015)

cherin Hannah Hurt­zig und

Medium zur Darstellung

und Empty Stages, Crowded Flats. Performativity as

der von ihr ins Leben ge-

von Konflikten und Gegen­

Curatorial Strategy (Hg. mit Joanna Warsza, 2017).

rufenen Mobilen Akademie

sätzen: zwischen Gut und

2020 erschien sein Buch Gesellschaftsspiele. Politi­

Berlin. Theorie und Pra­

Böse, zwischen Ideen und

sches Theater heute.

xis, Inhalt und Form sind

Ideologien, Gesellschaften

nicht voneinander trenn-

und Nationen, Mächten und

bar, wenn bei Hurtzigs

Mächtigen, Idealen und Tra­

Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen (seit

ditionen, zwischen Gene- rationen, Familien und Ehe­

Milo Rau können fast als

der Kurator*innen, Kün­st­

2004)

paaren – oder gar innerhalb

Textbuchillustrationen für

ler*innen, Kritiker*innen

und hundert Expert*innen

der Psyche eines einzelnen

ein agonistisches Theater

auf der einen Seite für die

in einem großen Saal an

Menschen.

Auseinander­

gelten: Die Moskauer Pro­

Freiheit der Kunst kämpf­

kleinen, von je einer Glüh-

setzungen wer­den stellver-

zesse (2013) beispielsweise

ten, auf der anderen Seite

birne erleuchteten, sorg-

tretend aus­getragen, mal

sind ein theatrales Setup,

Fernsehmoderator*innen,

fältig arrangierten Tischen

körperlich, mal psycholo­

in dem drei traumatische

orthodoxe Aktivist*innen

sitzen, bereit zu Vieraugen-

gisch, mal dis­k ursiv. The-

Rechtsfälle gegen russi­

und Priester für das Primat

gesprächen, die Besucher*

10

zwischen

fünfzig


innen für einen Euro bu­

Der Wissenstransfer als

Feld stammt: die kolum­

Die Arten und Weisen, in

chen können – sofern der

kommunikativer und per­

bianische Wahrheitskom­

denen sich Theater als ein

Platz noch frei ist.

formativer Akt wird in

mission, die sich um die

öffentlicher

dieser Nacht im Theater,

Aufarbeitung der jüngeren

wirft, der radikale Vor­stel-

Das Schachern um die Kar­

dem ursprünglichen Ort öf­

Geschichte und die Aner­

lungskraft ebenso wie prag-

ten für ein one to one mit

fentlichen Debattierens, zu

kennung und Rechte ihrer

matische Utopien ermög­

den eigenen Wunschpart­

einer kollektiv gewisperten

Opfer kümmert. Thema­

licht, sind vielfältig und

nern gehört beim Schwarz­

Wissenserzählung.

tisch wählte der Schwarz­

widersprechen sich nicht

markt einen Zugang, der das

selten sowohl in ihren äs­

3

markt, der auch schon in

Raum

ent-

Braunschweig (2018) und

Dass Wissen auch sehr di­

gemeinsame Reden ermög­

thetischen als auch in ihren

Oldenburg (2019) stattfand

rekt politisch sein kann,

lichen sollte: Es ging um

politischen Positionen. Was

und demnächst für Hanno­

machte ein Schwarzmarkt

Ozeane und Flüsse, die in

sie verbindet, ist ihr Anlie­

ver geplant ist, ebenso zum

deutlich, der im Herbst

Kolumbien sowohl wichtige

gen, das Feld des Theaters

Spiel wie die hohe Wahr­

2019 in der kolumbiani­

Verkehrsverbindungen und

zu erweitern, seine Mittel

scheinlichkeit, dass man

schen Hauptstadt Bogotá

ökologische Lebensräume,

und Möglichkeiten heraus-

letztlich bei einem anderen

stattfand. Nach Jahrzehn­

als auch Orte der Umweltka­

zufordern und Wege zu

Gegenüber landet als ge­

ten des Bürgerkriegs, zu

tastrophen, Allianzen, blu-

finden, sich mit den sozia-

wollt – vielleicht bei einem

Zeiten eines wackligen Viel­

tigen Kämpfe und wässri­

len und politischen The­

Wahrsager statt der erhoff­

leichtfriedens, sollte ein

gen Friedhöfe sind. Im Zuge

men unserer Zeit so ausein-

ten Wirtschaftsprofessorin

Ort entstehen, der dem Er-

der Diskussionen um Black

anderzusetzen, dass politi­

oder bei einem Friseur

innern gewidmet ist und

Lives Matter reagierte der

sches Denken und Handeln

statt der weltberühmten

dieses Erinnern gleichzei­

Schwarzmarkt mit einer spie­

auch jenseits der Kunst da-

Choreografin. Fakten, Er­

tig hinterfragt. Wichtig da-

lerisch-solidarischen Geste:

von inspiriert werden kann.

fahrungen, Selbsthilfe oder

bei war, dass dieser Schwarz­

Künftig heißt er nur noch

schlicht etwas Einblick in

markt einen Auftraggeber

„Markt für nützliches Wis­

Wissensgebiete, die einem

und Partner hatte, der

sen und Nicht-Wissen“ …

völlig unbekannt waren.

nicht aus dem kulturellen

inweise: Literatur und H

ochen in New Die ersten W

umentation. York. Eine Dok

upy! et al. (Hg.). Occ 2007. S. 30. Blumenkranz la ar C : ch n: Suhrkamp, na ai M t/ ur Zit iert kf an f. ochschule lusion. Fr mp, 2011. S. 35 nierte Volk sh opolit ische Il zi ka sm hr llu ko Su ha : e ie in di D rl er n. Be isse lit ische. Wid n und Nicht-W e. Ü ber das Po zm.html tzliches Wisse 2 C ha nt al Mou ff nü r fü kt /2005/schwar ar ch ts zm eu ar /d w ch om .c „S : my-berlin ie Berlin 3 Mobile A kadem .mobileacade r: http://w w w te un “, ie m kade ). der Mobilen A ptember 2019 ufen am 30. Se er fg au zt et (zul

1

Diskursräume

11


ÜBERLEBEN EIN DOKUMENTARISCHES THEATERPROJEKT VON WERKGRUPPE2 MIT DEM ENSEMBLE DES OLDENBURGISCHEN STAATSTHEATERS Eine Textcollage

werkgruppe2 um Silke Merzhäuser,

Auf der Grundlage von Interviewtex-

Julia Roesler und Insa Rudolph verfolgt

ten und O-Tönen, die wortwörtlich von

in ihren Inszenierungen die Methodik

Schauspieler*innen wiedergegeben

des verbatim theatre und entwickelt

wer­den, sowie musikalischen Neukom­

Textfassungen ausschließlich auf der

po­sitionen für ein Bläser-Trio ermög­-

Basis von wortwörtlich übernomme­

licht werkgruppe2 eine Auseinander­

nen Interviewtexten. 2020 realisierte

setzung, die im weitesten Sinne vom

werkgruppe2 am und mit dem Olden­

Überleben handelt: Angehörige leben

burgischen Staatstheater die Produk­

ohne

tion Überleben. Das dokumentarische

weiter, Menschen haben dank ge­

Theaterstück bietet Raum zur Dis­

glückter Reanimationen Tötungsver­

kussion der offenen Fragen und der

suche überlebt, Zeugen ringen um ihre

ihre

getöteten

Verwandten

Suche nach den Leerstellen in den

Glaubwürdigkeit, Krankenschwestern

Erzählungen rund um die Klinikmor­

und Ärzt*innen erfüllen ihre Dienste

de in Oldenburg und Delmenhorst,

in den Krankenhäusern Oldenburg

die die Region und das Land so massiv

und Delmenhorst gewissenhaft und

erschüttert hatten. Die unvorstellbar

brauchen dazu das Vertrauen der

hohe Zahl an Getöteten und die der

Patient*innen.

versuchten Tötungen, ebenso der Zeitraum, in dem der Täter scheinbar

Das Stück hatte am 29. Februar 2020

unbemerkt handelte, zerstörten auch

Premiere. Eine Wiederaufnahme in

das Vertrauen in das medizinische

der kommenden Spielzeit ist geplant.

Versorgungssystem unmittelbar. Wie geht eine Stadt mit diesem Er­ eignis um, das jetzt Teil der eigenen Geschichte ist? 12


Ich möcht auf jeden Fall wissen, was is genau mit meinem Vater passiert … wie und warum. So bis jetzt ’ne richtig eindeutige Antwort hab ich bis jetzt noch nicht. Kann es sein … ist ja lange her …, dass man sich nicht erinnert? ... Ich glaube eigentlich, dass man sich an- ... so sehr besondere Dinge durchaus erinnern kann- ... nicht- ... ich weiß vieles nicht, was vor 15/16 Jahren war, aber- aber- so besondere Dinge- ...

Ja sowas, irgendwie mal n-n schönen Gedenkort … keine Ahnung, das-das wäre schon mal … ja, das wär ne- ich-ich würds gut finden also- sehr gut sogar … wenn man dann auch mal hinfahren kann … Ich mein jetzt kann man ja nur auf dem eigenen Grab ’ne Kerze dahin bringen … also was Allgemeines, das wär schon …

Ich würde mir eigentlich wünschen, dass ähm … dass-dass äh … ohne Angst vor Rufschädigung jetzt endlich … ja einfach reiner Tisch gemacht wird und alles offengelegt wird, was damals war …

Wenn schon damals nich richtig gehandelt und nich die richtigen Konsequenzen draus gezogen worden sind, dann würd ich mir wünschen, dass sie wenigs­ tens jetzt gezogen werden und dass jetzt … mit aller Kraft daran gearbeitet wird, das … aufzuarbeiten. Das würd ich mir wünschen von dem Haus ...

Diskursräume

13


IM TIEFSTEN ERSCHÜTTERT taz, 3.3.2020

Von Jan-Paul Koopmann

A

n „Überleben“, einem Theater­

Was auf der Bühne geschieht, ist leicht

stück über die massenhaften

zu beschreiben, in seiner Wirkung

Patient*innenmorde an den Kliniken

aber nur schwer zu erfassen. Julia

in Delmenhorst und Oldenburg, gab es

Roesler

im Vorweg viel Kritik. Nun feiert das

Gespräche mit größtenteils anony­

Stück Premiere: kluges, unaufdring­

misierten Zeug*innen: Angehörige,

liches politisches Theater. Aber im

Mitarbeiter*innen der Krankenhäu­

Publikum wird weiter gestritten.

ser, eine der Überlebenden. Die war

inszeniert

wortwörtliche

nach einem Unfall von „ihm“, wie der Theater ist ein Ort gesellschaftlicher

Täter hier meist nur genannt wird, in

Auseinandersetzung. Das mag über

Lebensgefahr versetzt und mit Erfolg

die „Ahs“ und „Ohs“ opulenter Insze­

wiederbelebt worden.

nierungen irgendwelcher Klassiker

[…]

mitunter in Vergessenheit geraten.

Schon um diese Stimmen der Übergan­

Dermaßen handgreiflich wie am ver­

genen mit allen „Ähs“ und „Hmms“

gangenen Wochenende in Oldenburg

zu hören, lohnt sich der Gang ins

geraten solche Interventionen aller­

Theater – auch für die Wütenden und

dings nur höchst selten. Gestritten

jene, die selbst keine Ahnung haben,

hatte man in der Stadt schon lange

wie damit jetzt umzugehen sei. „Viel-

vor dieser Premiere, eigentlich schon

leicht“, heißt es einmal im Stück, „ist

seit die Göttinger werkgruppe2 auch

es ja sogar die Aufgabe des Theaters,

nur angekündigt hatte, mit „Überle­

solche Prozesse zuzuspitzen.“ Es

ben“ ein Stück über die massenhaften

bleibt nur die Frage nach dem Wie,

Patient*innenmorde an den Kliniken

und die verhandelt die werkgruppe2

in Delmenhorst und Oldenburg auf die

mit entwaffnender Offenheit.

Bühne des Staatstheaters zu bringen. Pietätlosigkeit hatte man ihnen vorge­

Gleich

zu

Beginn

suchen

die

worfen, Ausverkauf und unangemes­

Schauspieler*innen vor der Bühne

sene Eile […].

das Gespräch mit dem Publikum: Wann haben Sie zum ersten Mal von

Entsprechend hoch ist die Anspan­

einem Fall gehört? Aus der Presse?

nung am Premierenabend vor und

Waren Sie beim Prozess? Was heißt

auf der Bühne. Immer wieder wird ge­

eigentlich erinnern und wie geht das?

schluchzt, an Stellen mitunter, die gar

Auch später im Stück wird direkt mit

nicht sonderlich drastisch scheinen,

den Zuschauer*innen diskutiert, nach

sondern eher auf persönliche Erfah­

Ideen für eine Gedenkstätte gefragt

rungen schließen lassen. Noch beim

und nach Einwänden.

zweiten Gong diskutieren manche, ob sie nicht doch wieder gehen sollten –

Die Antworten kommen: Den Täter zu

vereinzelt tun sie’s.

entmenschlichen, verstelle gerade den Blick auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung, sagt etwa ein Zuschau­

14


er. Ksch. Thomas Lichtenstein und

zur Selbstreflexion und weiter zu

Dass der fast zweistündige Balance­

Caroline Nagel fragen von der Bühne

Ansätzen einer Strategie des weiteren

akt bei enormer Fallhöhe nicht ein

nach, diskutieren und widersprechen

Umgangs. Bis hin zum nächsten Ein­

einziges Mal auch nur ins Straucheln

auch. Als Menschen, wohlbemerkt,

zelfall, der genau dort wieder neue

kommt, ist eine Sensation. Auch wenn

nicht in ihren Rollen, sondern als

Schwierigkeiten aufzeigt.

einem das Wort hier schwer über die

langjährige Ensemblemitglieder und

Finger geht. Man ist hier nicht gerne

damit eben auch Teil der oldenburgi­

Mit außerordentlichem Fingerspitzen­

begeistert, und ja, es tut auch weh, wie

schen Stadtgesellschaft.

gefühl lassen die Schauspieler*innen

treffsicher das Theater die Bälle zu-

[…]

ihre Rollen zittern, verzweifeln und

rück in die Öffentlichkeit spielt, die

Und Theater ist es – das darf man bei

lachen. […] Klug ist das, wie alles hier,

sich zuvor echauffiert hatte. Denn es

aller Authentizität von Text und Wie­

aber unaufdringlich – ohne dramatur­

geht ja wirklich – wie einer im Text

dergabe nicht vergessen. Die Texte sind

gische Schaumschlägerei. Ein Stück

sagt – um das, „was die Gesellschaft

arrangiert, folgen einer bestechend

wie „Überleben“ ist eine Ensembleleis­

im Tiefsten erschüttern muss“.

klaren Linie vom öffentlichen Diskurs

tung oder es scheitert zwangsläufig.

über verschiedene Einzelpositionen

Man könnte sagen: „Na ja, soll die nächste Generation

Jahre Menschen auf diese Weise um ihr Leben gebracht

das doch aufarbeiten.“ Die kann dann wiederum sagen:

wurden. Für die Angehörigen ist das eminent wichtig.

„Warum habt ihr nicht anders reagiert?“ Das ist immer

Das wissen wir von anderen Opfern solcher Verbrechen.

die viel einfachere Rolle. Aber bei allem, was wir aus an­

Weil die den Eindruck haben müssen, es wurde uns nicht

deren Kriminalfällen und bis hin zum Genozid wissen,

nur ein Leben vorzeitig genommen durch einen Mörder,

muss man sagen, dass es genau so funktioniert: Die Ge­

sondern es wird auch so getan, als sei das nichts. Weil er

neration, die Augen- und Ohrenzeugen waren, die muss

eben nicht erschossen oder überfahren wurde, sondern

es verdrängen, will es verdrängen. Und dann folgt diese

in einem Krankenhaus gestorben ist. Wo gemeinhin das

heftige Auseinandersetzung. Die Frage ist für mich, ob

Risiko zu sterben mit zur Logik gehört. Gleichzeitig ist

man diese krasse Auseinandersetzung, die dann daraus

aber die Lehre des Heilens ja immer wichtiger als die

folgt, nicht mäßigen kann, indem man sich mit seiner

Logik des Sterbens. An dieser Stelle scheint es aber in

eigenen Unterlassung einfach auseinandersetzt. Man

der Wahrnehmung eine Art Beschwichtigung zu geben.

könnte ja in diesem Falle einigermaßen gelassen sagen:

Also, wer im Krankenhaus stirbt, ist, ich sage einmal

„Na ja, wir konnten ja nichts tun. Erst als es geschehen

zugespitzt, immer auch ein bisschen selber schuld. Denn

war.“ Und damit geht es gar nicht um die Frage, ob eine

sein Körper war ja wehrlos. Oder so. Das muss man sich

Stadt öffentlich beschuldigt wird, sondern wie sie mit

unbedingt klar machen. Dass das ein Tabu ist, über das

diesem Ereignis umgeht, das jetzt Teil der eigenen Ge­

man sprechen muss. Weil die Angehörigen derjenigen,

schichte ist. Das könnte ja auch entlasten. Denn es geht ja

die auf diese Weise jemanden eben nicht durch einen na­

nicht um Schuldvorwürfe, sondern es geht um die Frage,

türlichen Tod verloren haben, sondern durch Mord, sonst

wie reagieren wir darauf, dass mitten unter uns über

ganz alleingelassen sind.

Diskursräume

15


ÜBER KONTROLLVERLUSTE, GEMEINSAME VERANTWORTUNG UND DAS TEILEN VON LEID Silke Merzhäuser: Vor zwei Jahren

Gespräch mit dem Künstlerischen Team und der Schauspielerin Nientje C. Schwabe (Auszug aus dem Programmheft)

Denn das ist nach wie vor der Status

haben wir begonnen uns mit den Kli­

quo: Die Angehörigen und Überleben­

nikmorden in Oldenburg und Delmen­

den sitzen allein zuhause und kriegen

horst zu beschäftigen. Wenn wir nun,

vermittelt, die Schwierigkeiten bei der

kurz vor der Premiere, rekapitulieren,

Verarbeitung seien individuelle Pro­

was sind die Themen und Fragen, die

bleme, für die sie allein verantwortlich

uns immer noch interessieren?

sind. Unsere Theaterinszenierung hält dafür keine Antworten parat, aber wir

Insa Rudolph: Mich interessiert an

laden dazu ein, gemeinsam darüber

dem Thema, wie Menschen mit etwas

nach­zudenken.

so unfassbar Grausamem, Unmensch­ lichem umgehen können. Wie so etwas

Silke Merzhäuser: Doch die Gemein­

überhaupt verarbeitet werden kann.

schaft der Betroffenen und Opfer zu

Wie eine Gesellschaft so etwas thema­

benennen ist kompliziert. Es gibt die­

tisiert. Wo die Auseinandersetzung

sen gemeinschaftsbildenden Moment,

in der Gesellschaft verortet, in einer

wie etwa bei einem Flugzeugabsturz,

Stadt verortet wird. Wie viel Raum

erstmal nicht. Man kann sagen, alle

es dafür gibt. Und wie Aufarbeitung

Opfer waren irgendwann in diesen

stattfindet.

Krankenhäusern. Doch bei manchen wurde Mord nachgewiesen und ein

16

Julia Roesler: Und die Frage, wie

Urteil

man Opfer ins Recht setzen kann. Im

vermutet, aber die Indizien reichten

Gerichtsprozess konnten wir erleben,

nicht aus, bei manchen konnten keine

gesprochen,

bei

manchen

dass für die Hinterbliebenen wenig

Indizien mehr gesammelt werden.

Raum zur Aufarbeitung vorhanden

Und manche haben die Manipulation

war und dass die Überlebenden nicht

und Reanimation des Täters überlebt,

einmal Teil dieses Prozesses waren.

manche davon bis heute unwissend.

Was kann es dann für gesellschaftliche

Sie sind keine Gruppe, die irgendwo

Räume geben, welche Institutionen

zusammenkommen kann, sondern

könnten Verantwortung übernehmen,

es sind viele Menschen. Diese leben

damit solche Menschen nicht so isoliert

in Oldenburg und Delmenhorst und

bleiben mit dem, was sie erlebt haben.

Umgebung oder haben dort gelebt.


Aber das gibt es ja offenbar nicht. Das

Meldesystem? Wie kann es sein, dass

Was die Gesellschaft so im

finde ich tatsächlich strukturell ein

große Mengen von Medikamenten

Tiefsten erschüttern muss, das

Defizit in unserer Gesellschaft. Also

verbraucht und bestellt werden, ohne

bleibt so unbearbeitet. Weil

ich würde mir wünschen als Betroffe­

dass dokumentiert wird, wo diese

es individualisiert wird, das

ner, dass ich nicht händeringend und

eingesetzt wurden? Reicht da ein ver­

Leiden.

vergeblich nach einer solchen solida­

pflichtender Stationsapotheker? Wie

rischen Hilfe suchen müsste. Sondern

kann es sein, dass die Justiz erst eine

dass da irgendeine Stelle proaktiv auf

Dekade verstreichen lässt, bevor sie

mich zukommt und mir ein Angebot

ihre Arbeit umfassend macht? Wenn

macht. Was ich dann eben annehmen

die Systeme versagen, bleibt doch nur

kann oder nicht. Aber das Angebot

ein Aufruf an die Gesellschaft: Tut euch

auch die Frage nach Solidarität. Also

sollte es geben. Im Sinne gesamtgesell­

zusammen! Schaut nicht weg! Greift

was gibt es über das zufällige, persönli­

schaftlicher Solidarität.

an! Greift ein! Wenn der*die Einzelne

Marc-Oliver Krampe: Das ist dann

plötzlich verwundet, erkrankt und ge­

che Engagement von Einzelnen hinaus an gesellschaftlichen Mechanismen,

Charlotte Pistorius: Jenseits der In­

schwächt im Krankenhaus aufwacht,

die da greifen könnten? Das gibt es

stitutionskritik frage ich mich, was

ist es zu spät dazu.

nämlich offensichtlich nicht. Man

dieser Fall über unsere Gesellschaft

könnte jetzt denken: Wenn jemand

offenbart. Angefangen bei mir, wie

Julia Roesler: Die erste Inszenierung,

für einen solchen Fall zuständig wäre,

weit kann ich anders bereitstehen,

die wir hier in Oldenburg gemacht

dann wäre das die Kirche. Aber die

hinsehen und offenen Ohres sein? Wie

haben, war Blankenburg. Und im

zeigt ja wenig Interesse, sich da allzu

kann unsere Gesellschaft durchlässi­

­Moment entsteht für mich die Frage:

tief mit dem zu beschäftigen. Also die

ger sein?

Was tut eine Stadtgesellschaft, die

Frage nach Solidarität. Dabei ist eines

eine „Tradition“ darin hat, Menschen­

interessant: Dass wir als Theater uns

Silke Merzhäuser: Aber kann ich nicht

gruppen, mit denen das Zusammen­

damit befassen, das fanden irgendwie

dann erst solidarisch sein, wenn ich

leben innerhalb der Stadt schwierig

alle tendenziell ganz blöd am Anfang.

mir sicher bin, nicht betroffen zu sein?

ist, aus der Stadt nach Blankenburg

Aber was gibt es dann? Wer beschäf-

Ist nicht von dem Vertrauensverlust in

zu verdrängen, mit dieser Gruppe von

tigt sich denn damit? Wer sorgt denn

die Kliniken und von der grundsätzli­

Opfern und Überlebenden der Klinik­

in solchen Fällen dafür, dass eben Ge-

chen Verunsicherung, dass eine solche

morde? Auch mit diesen Menschen

sellschaft zusammenbleibt? Und von

Mordserie überhaupt hier in dieser

wird sich, meines Erachtens, zu wenig

wem könnte oder sollte ein solches

Stadt möglich war, jede und jeder

beschäftigt. Doch weiß ich, die Verun­

Angebot kommen? Das ist das Eine.

Mensch betroffen?

sicherung lässt sich nicht wegschie­

Und das Andere ist, dass die solidari­

ben, nur verdrängen. Es gibt keine

sche Auseinandersetzung damit ganz

Nientje C. Schwabe: So wie sich das

gute Umgangskultur mit dem, was

klar auch viele erst einmal nervt. Aber

Klinikpersonal im Prozess verhalten

einen verunsichert oder wo Menschen

trotzdem glaube ich, muss das proak­

hat, bleiben einfach berechtigte Zwei­

versehrt sind, wo sie bedürftig sind.

tiv als Angebot einfach da sein. Als

fel, ob die Kliniken überhaupt ein Ei­

Und selbst wenn am Anfang nicht klar

Angebot, das man dann auch ablehnen

geninteresse haben, über eine interne

war, dass so viele Menschen involviert

kann. Wenn man seine Ruhe haben

Kommunikationsreform nachzuden­

sind – inzwischen ist es lange klar.

will oder nicht darüber reden will.

ken und diese dann umzusetzen. Wer

Dass es sehr viele Opfer gibt, dass es

aber fordert von außen diese Reform

eine große Dunkelziffer gibt von Men­

ein? Die Politik mit einem halbgaren

schen, die es überlebt haben. Und wir Diskursräume

17


wissen aus den persönlichen Erzählun­

kann ich da natürlich sagen, dass

gen wie tief der Schaden ist, den die

es eine Urfunktion des Theaters ist,

Umso größer der zeitliche

Menschen dabei nehmen. Das heißt,

Menschen zusammenzubringen, um

Abstand ist, umso leichter ist

eigentlich wissen wir seit langem, dass

Dinge miteinander zu verhandeln

es dann auch für die Familien

da etwas schwelt.

und zu erleben. Das ist die besondere

und so, ne. Wenn das jetzt

Kraft dieser Kunstform und je ernst-

die vierte Generation danach

Silke Merzhäuser: Also eigentlich eine

hafter wir als Künstler*innen mit

ist, die wissen das vielleicht

Krise in der Stadt, die aber gar nicht als

diesem Wissen umgehen, desto mehr

irgendwie, da gab’s was in der

solche wahrgenommen werden will.

kann in der Zusammenkunft der an-

Familiengeschichte. Aber wenn

wesenden Menschen entstehen.

das jetzt irgendwie der Vater

Julia Roesler: Ja. Die hier so punktuell

ist, dann ist das natürlich was

nur rausbricht. Plötzlich – wenn man

Charlotte Pistorius: Bedeutet ja aber

im Krankenwagen liegt.

zwangsläufig einen Kontrollverlust.

Marc-Oliver Krampe: Interessant fin-

Julia Roesler: Ja klar. Und deswegen ist

de ich auch, dass uns als Theater offen-

es wichtig für uns klarzustellen, das

sichtlich von einigen gar nicht diese

ist keine Inszenierung für die Angehö­

öffentliche Funktion der Solidarität

rigen. Sondern das ist eine Inszenie­

Das ist ja auch, also ich glaube

oder des Dialogangebotes zugeschrie-

rung für eine Stadtgesellschaft. Da wir

als Betroffener ist es ja auch

ben wird. Sondern dass davon ausge­

das Gefühl haben, dass da ein Diskurs

schwer, sich damit auseinan­

gangen wird, da wird populäre Unter­

und eine Aufarbeitung für alle nötig

derzusetzen, in so ’ner, wenn

haltung geboten und das hat etwas

ist. Die Perspektiven der Angehörigen

so ’ne Distanz von dir verlangt

Unernsthaftes und verbietet sich des­

und der Opfer sind dabei elementar,

wird. Aber das muss ja auch gar

halb in dem Zusammenhang. Also dass

um die Dimension und die Tragweite

nicht sein, also die Perspektive

selbst die Institutionen, die vielleicht

der Ereignisse zu begreifen. Meine

des Betroffenen, der einfach

möglicherweise ein Fenster aufstoßen

Hoffnung wäre, dass es uns gelingt,

nur wütend ist oder einfach

könnten, nicht angenommen werden

eine etwas offenere und tiefere Ausei­

nur traurig ist, die ist ja auch

dafür.

nandersetzung anzuregen als den Re­

okay. Aber vielleicht hilft es

flex: „Ich habe das Thema Klinikmorde

dem ja auch mehr, wenn es

ganz anderes, ne?

Julia Roesler: Man könnte sagen: Diese

so satt.“ Denn ich würde so weit gehen

mal abgefragt wird, als wenn

gesellschaftliche Funktion hatte frü­

zu sagen, es gibt da ein kollektives

er das immer für sich still be­

her die Kirche. Sie hat eine Gesellschaft

Trauma. Und das wirkt in diesen bei­

halten muss. Also das ist doch

gerade in solchen Bereichen getragen.

den Städten. Und je weniger man es

für, möglicherweise für Opfer

Und es war klar, dass für Trauern, für

anschaut, desto länger bleibt es. Und

ja auch, oder Angehörige von

Gedenken, für Erinnern Kirchen ganz

desto unkontrollierter, unkontrollier­

Opfern oder so, kann’s ja auch

wesentliche und wichtige Institutio­

barer bricht es wieder hervor.

ganz gut sein, dass ich offen

nen sind. Und wenn die Kirchen nun

rede, weil was bringt’s dir

zunehmend weniger diese Institutio­

denn, wenn das erst 30 Jahre

nen sind oder sein können, die diese

später aufgearbeitet wird, ne?

Räume öffnen, müssen dann andere Institutionen diese Funktion über­ nehmen? Und als Theatermacherin 18


Hannoversche Allgemeine Zeitung Bert Strebe, 1.3.2020 „Die werkgruppe2 gibt all dem Raum, was in Paragrafen nicht unterzubrin­ gen ist. Trauer. Wut. Angst. Niedergedrückt sein. Schuldgefühlen. Verzweif­ lung. […] Es wird klar: Die Stadt, das Land, die Politik, das Krankenhaus – alle haben zu wenig auf die geachtet, die zurückbleiben mussten. Doch das Und zu sagen, erst wenn, ja,

Theater hat ihnen zugehört.“

die Elterngeneration verstor­ ben ist – dann – und so lange lässt man die Finger davon? Bedeutet ja was, ne? Bedeutet ja auch genau für diese Frage, was, wessen, welche Geschichte wird eigentlich erzählt?

NordwestZeitung Oliver Schulz, 1.3.2020 „Es war die erwartete Zumutung, die die werkgruppe2 und die daran be­ teiligten Schauspieler und Musiker auf die Bühne brachten. Weil alles dort Gesprochene und Unausgesprochene so wirklich ist. […] Denn was gibt und gab es bislang an gesellschaftlichen Reflexen über die kollektive Betroffen­ heit und das persönliche Engagement Einzelner hinaus? Insofern hat sich das Oldenburgische Staatstheater selbst den Klotz ans Bein gebunden und

Im Grunde muss immer eine Generation vergehen, damit diejenigen, die sich damit be­ fassen, nicht die ganze Zeit das Gefühl haben, sie müssen sich mit ihren eigenen Unterlassun­

verdient dafür großes Lob. ,Überleben‘ ist ein wichtiger Beitrag, der zur Premiere großen Anklang des Publikums fand. Die Inszenierung bringt Menschen zusammen, um das Thema, um die Getöteten, die Davongekommenen, die Angehörigen, aber auch die Schweiger, Verdränger und Mittäter nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Lange war Theater nicht mehr so lebensbejahend wie diesmal.“

gen beschäftigen. Und was wir jetzt dem Publikum zumuten, ist ja, dass wir dem Publikum die ganze Zeit signalisieren: Hier haben wir einen Fall von fahrlässigem Unterlassen einer ganzen Gesellschaft. Also, alle, die,

ähm,

hierherkommen,

haben schon gelebt. Das heißt, jeder und jede muss sich fra­ gen, wieso hat mich das vorher nicht berührt. Das ist immer automatisch eine Publikums­ beschimpfung. Da können wir

Süddeutsche Zeitung Alexander Menden, 1.3.2020 „Im Staatsschauspiel kann man nun einem gewagten Unterfangen beiwoh­ nen: Mit Mitteln des Theaters wird hier versucht, einen Teil zur Aufarbei­ tung dieser Verbrechen beizutragen. […] Man gewinnt den Eindruck, dass hier Menschen zum ersten Mal Gelegen­ heit bekommen haben, über Traumata zu sprechen, welche durch die späten Ermittlungen neu aufgerissen wurden oder durch sie überhaupt erst ent­ standen – und mit denen sie dann oft allein gelassen wurden.“

machen, was wir wollen.

Diskursräume

19


E G N A H C E S S E Z O R P RBANEN

IN U O I Z SO N E L L E R KULTU TUNGEN H C I R N I E

20


Ein Gespräch mit Sebastian Cunitz, Katrin Löwensprung, Feliks Oldewage und Kai Thomsen Moderiert von Daniela Koß Das Gespräch wurde am 17. Dezember 2020 via Zoom geführt.

Daniela Koß: Hallo und herzlich willkommen zu unserem digitalen Tischgespräch über Changeprozesse im urbanen Raum. Ich begrüße ganz herzlich – vor dem Hintergrund, dass wir in Deutschland seit dem 16. Dezember einen zwei­ ten Shutdown erleben – Katrin Löwensprung vom TPZ Hildes­ heim, Feliks Oldewage von der Alten Polizei in Stadthagen, Sebastian Cunitz vom Cameo Kollektiv in Hannover und Kai Thomsen, Geschäftsführer der CD-Kaserne Celle und freier Berater. Bitte stellen Sie sich und Ihre Institution einmal vor und gehen Sie auf die Herausforderungen ein, mit denen Sie in den Changeprozess gestartet sind. Herr Oldewage. Feliks Oldewage: Vielen Dank. Wir sind tatsächlich das klassische soziokulturelle Zentrum. Das Kulturzentrum Alte Polizei in Stadthagen gibt es seit 30 Jahren an dem Ort, seit 40 Jahren als Verein. Wir sind auf dem Land in der Kleinstadt Stadthagen in der Nähe von Hannover im Landkreis Schaum­ burg beheimatet. Das Gebäude, in dem wir ansässig sind, ist früher eine Polizeistation gewesen, und daher kommt auch unser besonderer Name. Unter normalen Umständen besu­ chen bis zu 50.000 Besucher*innen jährlich unser Haus und unsere Veranstaltungen. Die Stadt ist Eigentümerin unseres Gebäudes und wir haben einen Nutzungsvertrag mit ihr Innovationsräume

21


geschlossen. Dort richten wir unser klassisches Kulturprogramm aus und bieten Räumlichkeiten für die unter­ schiedlichsten Nutzergruppen, die bei uns im Haus von Yoga bis zu Bastelar­ beiten und auch mit politischer Arbeit aktiv sind, an. Darüber hinaus rea­ lisieren wir die unterschiedlichsten Projekte. Unsere Herausforderungen und Probleme am Anfang des Change­ prozesses betrafen vor allen Dingen das Thema Digitalisierung. Als wei­

sUnsere Herau forderungen e und Problem am Anfang des Changeprozesses betrafen vor allen Dingen das Thema Digitalisierung.

ausrichtung. Und wir haben uns sehr intensiv mit Teamprozessen und der Entwicklung von Arbeitsstrukturen beschäftigt. Daniela Koß: Das Cameo Kollektiv ist ein ganz anderer Zusammenschluss von Kreativen in kollektiver Form. ­Sebastian Cunitz, bitte erzählen Sie uns, was das Cameo Kollektiv ist und wie Sie aufgestellt sind.

teren großen Themenbereich hatten

Sebastian Cunitz: Die Frage, wer wir

wir die strategische Planung unserer

sind, ist eigentlich im Moment noch

Zielgruppenansprache, Stichwort Di­

aktueller als zuvor. Durch den Change­

versity Management, festgelegt.

prozess sind wir was ganz Neues ge­ worden. Er hat uns tatsächlich in eine

Daniela Koß: Frau Löwensprung, stel­

Organisation verwandelt. Zu Beginn

len Sie bitte einmal das Theaterpäda­

waren wir das klassische lose Kollektiv,

gogische Zentrum in Hildesheim vor.

das sich vor allem aus Student*innen zusammengefunden hat, die der Frage

Katrin Löwensprung: Unser Verein

nachgehen wollten, wie man Migrati­

ist ein Zusammenschluss von rund

on und Transkultur anders bebildern

50 Kultur- und Theaterpädagog*innen,

kann, neue Lebenswelten dazu er­

die in der Regel freiberuflich tätig

schaffen kann. Und so sind am Anfang

sind. In unserer Geschäftsstelle, wo

beispielsweise

inzwischen vier hauptamtliche und

standen. Wir mussten dann aber fest­

Ausstellungen

ent­

ein paar sonstige Mitarbeitende invol­

stellen, dass man als Kollektiv keine

viert sind, organisieren wir, fädeln die

Fördergelder beantragen kann. Und so

Kooperationen ein, bringen Projekte

ist 2016 ein Verein entstanden und wir

auf den Weg und gestalten diese in­

konnten gleich zu Beginn ein relativ

haltlich. Wir sind mit einem großen

großes Projekt, das Cameo-Magazin,

Vorhaben in

sozioK_change-

umsetzen. Es ging um Coworking,

Prozess gestartet: dem Aufbau eines

es ging um begegnungsorientierte

eigenen Kulturzentrums. Wir arbeiten

redaktionelle Arbeit und es ging um

den

seit mehreren Jahren daran, in eigene

Themen wie Migration und Teilhabe.

Räume zu gehen und in der Nordstadt

Beteiligt sind vor allem Menschen mit

in Hildesheim ein eigenes Kultur- und

Migrationsgeschichte oder Menschen,

Bildungszentrum aufzubauen. Daraus

die ein postmigrantisches Verständnis

ergaben sich weitere Schwerpunkte,

teilen bzw. sich den Genderfragen stel­

etwa die Arbeit an der Basisfinanzie-

len. Das Magazin war sehr erfolgreich.

rung, aber auch eine inhaltliche Neu­

Allein 70 Leute haben gesagt: „Wir

22


wollen weiter daran arbeiten“ und 40

Ihrem Vorgänger geleitet, das heißt,

weiteren Kleinstädten die Bekanntheit

davon: „Wir gehen mit euch in den

Sie haben eine gut aufgestellte Institu­

der Alten Polizei nicht so groß. Da

Verein und wollen ihn mit aufbauen“.

tion übernommen. Und natürlich das

sehen wir auf jeden Fall Potenzial. Im

Das sozioK_change-Programm war

Erbe Ihres Vorgängers. Zusätzlich ist

Bereich Diversity Management sind

daher mit dem Wunsch verbunden,

die Gründergeneration immer noch

wir als Akteur in der Region ohnehin

dieses Projekt in eine Organisation zu

im Vorstand aktiv. Welche Herausfor­

sehr aktiv. Seit vielen Jahren sind wir

überführen. Dazu war zu klären, was

derungen mussten Sie meistern?

Anlaufpunkt für Menschen, die neu

kann diese Organisation sein und wie

nach Deutschland kommen. Unser

können wir sie dauerhaft finanzieren?

Feliks Oldewage: Ja, in jedem Fall

ganzes Programm steht unter dem

Wir mussten Strukturen schaffen, in

war das für das Team eine große Her­

Motto Interkulturalität und Vielfalt.

denen die Vielfältigkeit des Projekts

ausforderung und natürlich auch für

auch weiterhin beibehalten werden

mich persönlich. Bei uns hat sich der

Daniela Koß: Wie haben Sie die Über­

konnte.

Wechsel aber wirklich gut entwickelt.

gabe gestaltet? Würden Sie das einmal

40 Jahre Verein, 30 Jahre Haus, das ist

skizzieren?

Daniela Koß: Herr Thomsen, Sie

schon eine enorme Vorgeschichte. Aber

haben von unseren insgesamt 15

die Zusammenarbeit bei uns im Team

Feliks Oldewage: Wir hatten eine drei­

Institutionen, die sich in Changepro­-

funktioniert äußerst gut und ich habe

monatige Übergangszeit, in der Herr

zessen befinden, mehrere begleitet.

das Gefühl, dass der Changeprozess

Strempel, der vorherige Geschäftslei­

Bitte sagen Sie doch etwas zu Ihrem

auch dazu geführt hat, dass das Team

ter, und ich gemeinsam arbeiten konn­

Erfah­r ungshintergrund.

noch mal enger zusammengewachsen

ten. Das war wirklich eine fürstliche

ist. Trotz aller Schwierigkeiten und

Zeit. Ich konnte das Team, die Partner

Kai Thomsen: Ich bin systemischer

Herausforderungen sind wir ein sehr,

und viele Institutionen kennenlernen

Organisationsberater,

systemischer

sehr gutes Team und haben eine wun­

und natürlich den Changeprozess wei­

Coach und hypnosystemischer Or­

derbare Arbeitsatmosphäre, das kann

ter vorantreiben.

ganisationsberater, habe also zwei

ich gar nicht genug betonen. Daniela Koß: Können Sie etwas zur

große Berater-Ausbildungen genießen dürfen. Ich kümmere mich vor allem

Eine der aktuellen Herausforderungen

um Strategieprozesse, aber auch um

ist die Verjüngung und Erweiterung

Teamentwicklungsprozesse bis hin zu

unseres Publikums. Es gibt bei uns

Feliks

Führungskräfte-Coachings. Als Bera­

ein großes Stammpublikum, das dem

wenn Kulturveranstaltungen laufen

ter bin ich im Kulturbereich, aber auch

Haus schon seit vielen Jahren treu ist,

und in unserer Gastronomie alle

in ganz anderen Bereichen tätig, zum

und es gibt viele Gruppen, die eine Ver­

Mitarbeiter*innen tätig sein kön­

Beispiel im Stiftungs­wesen. Zurzeit

lässlichkeit für die Zukunft erwarten.

nen, sind wir ungefähr 15 Personen.

berate ich eine Bank auf Vorstands­

Aber wir haben über diese Gruppen

Im hauptamtlichen Team sind wir

ebene und coache alle Führungskräfte

hinaus wenige komplett neue Gäste

aktuell sieben Personen. Das haupt­

einer großen Stadtverwaltung in

­begrüßen dürfen. Es geht also nicht

amtliche Team ist ungefähr aus einer

Niedersachsen.

nur um eine Verjüngung, sondern

Generation. Ich bin fast 30 Jahre jün­

auch um eine Vergrößerung durch

ger als mein Vorgänger. Meine Kolleg*

Daniela Koß: Herr Oldewage, Sie

neue

innen sind etwas älter.

stehen in der Alten Polizei für einen

haben ein relativ großes Einzugsge­

Generationenwechsel. Die Institution

biet und trotzdem ist in der dörflichen

Daniela Koß: Herr Thomsen, wir hören

wurde lange Zeit sehr erfolgreich von

Struktur, um uns herum und in den

ja immer wieder, dass es beim Gene­

Veranstaltungsformate.

Wir

Altersstruktur in Ihrem Team sagen? Oldewage:

In

Hochzeiten,

Innovationsräume

23


rationenwechsel auch zu

sehr viel vor. Und wenn

auch mal, jetzt ist auch mal

Sebastian Cunitz: Anfangs

Pro­blemen kommen kann.

man als neue Geschäfts­

gut. Aber dadurch haben

waren wir einfach sehr

Was wir gerade gehört

leitung beginnt, habe ich

wir uns sehr stark über alle

verliebt in die Idee, dass

haben, ist eher ein Best-

es oft erlebt, dass jüngere

Bereiche noch mal grund­

alle Menschen, die für das

Practice-Beispiel – der Ge-

Führungskräfte ohne De-

legend verständigt. Wir

Cameo-Magazin

ne­rationswechsel

zusam­

wurde

mut starten. Sie sagen: Ich

haben einerseits versucht,

mengekommen sind, auch

sehr teamorientiert und in

kremple hier jetzt alles um,

jeden Arbeitsschritt ver­

die Organisation mitent­

einem vertrauensvollen, ­zu-

was ihr aufgebaut habt.

ständlich zu machen, und

wickeln. Wir haben uns vor

kunftsorientierten

Aus­

Ich habe im kulturwis­

andererseits immer wieder

allem die Fragen gestellt:

tausch vollzogen. Was sind

senschaftlichen Studium

neue Dinge einzubringen.

Was ist das Cameo Kollek­

die Erfolgsfaktoren? Was

das und das gelernt, und

Durch dieses hohe Maß

tiv? Ist es ein Verein oder ist

muss man bei einem Gene-

ich mache jetzt alles neu.

an Kommunikation gab es

es ein Unternehmen? Oder

rationenwechsel besonders

Das wäre quasi eine Worst

eine große Bereitschaft,

vielleicht etwas ganz ande­

beachten?

Practice. Aber diese Worst

Veränderungen auch anzu-

res? Für uns war letztlich

Practice kommt vor. Auf der

nehmen. Wir haben zum

ein gemeinnütziger Verein

Kai Thomsen: Herr Olde­

anderen Seite gibt es noch

Beispiel eine ganz extreme

die

wage hat tatsächlich eine

die ältere Generation: Sie

Verjüngung im Kulturcafé.

der anfänglichen Analyse

Best Practice geschildert

muss loslassen können.

Dort bringt sich die neue

zeigten sich schnell unsere

Koordination mit neuen

großen Baustellen: 1. die

Haltung heraus, wie er es

Daniela Koß: Ich habe im-

Ideen ein, sodass u. a. viele

Organisation des eigenen

geschildert hat, ist auch

mer wahrgenommen, dass

neue Veranstaltungsforma­

Hauses,

erklärbar, warum es so gut

bei der Alten Polizei die

te entstanden sind. Ich ver-

Space. Hier können migran­

gelaufen ist. Es gibt zwei

Kommunikation sehr gut

suche,

Mitarbeiter*

tische und andere Organi­

Erfolgsfaktoren. Der eine

geklappt hat, dass es ein

innen

Gestaltungsspiel-

sationen Räume nutzen.

Erfolgsfaktor ist Demut,

großes Miteinander gab.

raum zu geben und Verant-

Wir haben das große und

und der andere ist Los­

Beschäftigen wir uns ein-

wortlichkeiten zu delegie-

besondere Glück, dass die

lassenkönnen. Und beide

mal mit der Organisa­t ions-

ren. Auf diese Art und

Stadt Hannover uns diese

Erfolgsfaktoren sind un­

struktur. Gab es in der Alten

Weise bekommen wir fri­

Räumlichkeiten

fassbar schwierig für alle

Polizei Veränderungen im

sche Formate.

zur Verfügung stellt; 2. ging

Beteiligten durchzuhalten.

Organigramm, im Bereich

Ich fange mal bei der Demut

der Zuständigkeiten? Wur­

an. Wir haben eine jüngere

den Aufgaben neu verteilt?

und ich finde, aus seiner

Generation, die jetzt in die

den

Wunschoption.

des

Bei

Coworking-

mietfrei

es bei uns darum, wie das Daniela

Koß:

Kommen

Magazin und die daraus

wir einmal zum Cameo

entstandene Online-Platt-

Kollektiv. Sie sind heute ein

form upgration.de redaktio­

Soziokultur hineinkommt.

Feliks Oldewage: Wir ha­ben

Verein, haben ein eigenes

nell betreut und finanziell

Das sind Menschen, die ein

nicht so viel an der Orga­

kleines Haus, haben eine

auf sichere Beine gestellt

Studium gemacht haben,

nisationsstruktur geändert

sehr gut funktionierende

werden kann.

ganz andere Rahmenbe­

und auch die Zusammenset­

Website. Und Sie nehmen

dingungen vorfinden als

zung unseres Kernteams ist

heute auch Fördermittel in

die

Gründergeneration.

ähnlich geblieben. Aber es

Anspruch. Wie hat sich der

Sie müssen nicht mehr

gab eine intensivere Kom­

Weg dorthin gestaltet?

Stein auf Stein aufbauen,

munikation. Bisweilen an

sondern finden schon sehr,

der Grenze zu: Jetzt reicht’s

24


In verschiedenen Mitglie­

Daniela Koß: Und Sie

derumfragen haben wir

haben die Geschäftslei­

nach der Rolle der eigenen

tung übernommen.

Person im Verein gefragt.

Ist es ein Verein oder ist es ein Unternehmen? Oder vielleicht etwas ganz anderes?

man merkt so richtig, wir sind jetzt gut aufgestellt und können einen neuen Weg gehen – sobald Corona

„Freunde“ haben wir zum

Sebastian

Cunitz:

Beispiel als Menschen defi­

Genau.

mussten

niert, die gerne mal mit an­

durch die ganzen struk­

packen oder mal bei einem

turellen Entscheidungen

Hildesheim bestand immer

Aufruf dabei sind. Dann

feststellen, dass wir die

der große Wunsch, eigene

gab’s die „Kumpanen“, das

Geschäftsleitung im Kol­

Räumlichkeiten zur Verfü­

sind Menschen, die sich

lektiv nicht lösen können.

gung zu haben, doch war

mit uns schuldig machen

Dank der Beratung von

der Weg dorthin bis jetzt

wollen, das heißt die Ge­

außen und, ich nenne es

recht steinig.

sellschaft

ein

jetzt mal einfach so, das

bisschen zu verändern. Und

freundlichen Klopfen auf

Katrin Löwensprung: Ja.

dann gab’s noch die „Pro­

den Popo haben wir uns

Die Verantwortung für ei­

jekteure“. Die Projekteure

dann zu einer Geschäfts­

gene Räume bringt enorme

sind Menschen, die sich

führung durchgerungen.

zusätzliche Verbindlichkei­

dazu berufen fühlen, im

Und so habe ich jetzt die

ten mit sich. Wir sind in

Cameo Kollektiv gemein­

Ehre,

mit

unserer bisherigen Arbeit

sam Projekte umzusetzen.

Julius Matuschik diese zu

sehr flexibel gewesen. Wir

Und dadurch konnten wir

übernehmen. Der Verein

haben nur einen kleinen

ein Bild davon gewinnen,

brauchte aber auch noch

Anteil an laufenden Ausga­

welche Menschen sich bei

einen Vorstand. Das war

ben. Wenn wir nun konti­

Cameo versammeln und

eine

Riesenherausforde­

nuierlich Räumlichkeiten

was ihr Selbstverständnis

rung: Niemand im Verein

bespielen, dann bedeutet

innerhalb dieses Vereins

wollte in den Vorstand.

das auch, dass man die

ist. Ausgehend von diesen

Ich glaube, die Menschen

Verantwortung dafür über-

Rollen haben wir dann alle

hatten in den Gesprächen

nimmt, zehn Jahre lang,

zusammen unsere Vision

immer das Gefühl: Oh

die Miete gegenzufinan­

bzw. unsere Mission entwi­

Gott, das ist so viel Verant­

zieren, die Raumpflege ge-

ckelt. Das war alles nicht

wortung, und Überreden

genzufinanzieren und das

so einfach, auch weil wir

wollten wir sie nicht. Wir

inhaltliche Angebot auf die

mehrsprachig unterwegs

haben dann sehr proaktiv

Beine zu stellen. Es bedeu­

sind. Aber herausgekom­

in der Stadt Menschen

tet neue Aufgaben fürs

men ist dabei, dass wir

gesucht, die uns durch

Team zu überlegen, z. B. wie

gemeinsam den Vor­sprung

Zusammenarbeit und Ko­

organisiert man die Raum-

von Vielheit erlebbar ma­

operationen kannten, und

verwaltung oder wer küm­

chen möchten, und das

konnten so einen Traum­

mert sich um Neuanschaf­

für eine gleichberechtigte

vorstand gewinnen. Mit

fungen. Um den hohen

Gesellschaft.

diesem neuen Team macht

Druck und die Belastung

Change richtig Spaß. Und

zu minimieren, haben wir

vielleicht

Wir

gemeinsam

das mal wieder zulässt. Daniela Koß: Beim TPZ

Innovationsräume

25


nanzverwaltung eingerichtet und eine zusätzliche Stelle für Projektarbeit mit einem Schwerpunkt in der Stadt­ teilarbeit geschaffen. Der ganze Prozess begann mit der ein­ maligen Gelegenheit, dass ein Gebäu­ de an einen gemeinnützigen Träger zu verschenken war. Dabei handelt es sich um Räume einer Moschee, die vor drei Jahren geräumt und deren Verein wegen salafistischer Aktivitäten auf­ gelöst wurde. Für diese Räume haben wir ein stadtteilbezogenes Konzept erarbeitet, um kulturelle Bildung im Stadtteil zu verankern. Wir haben uns in Kooperation mit der Lebenshilfe be­ worben, um im Gebäude ein gemeinsa­ mes Kultur- und Bildungszentrum mit Schwerpunkt auf Theaterpädagogik und Inklusion einzurichten. Für dieses Konzept haben wir dann den Zuschlag bekommen. Das ist zwei Jahre her. Wir haben es seitdem geschafft, Politik und Verwaltung von unseren Ideen zu überzeugen und eine Erhöhung unserer Strukturförderung zu erhal­ ten. Wir haben Ausstattung für die Räumlichkeiten bewilligt bekommen und uns wurde in Aussicht gestellt, den Theaterraum und die Büroräume umbauen zu können. Dafür haben wir die Hauptförderung und die Drittmit­ tel eingeworben sowie über vier Jahre Mittel aus dem Bundesmodellprojekt „Utopolis, Nordstadt im Rampenlicht“, um die inhaltliche Arbeit im Stadtteil aufzubauen. Daniela Koß: Das Thema Identität steht im Prinzip immer über allem. 26

Auch das Cameo Kollektiv hat sich in

Wir sind einfach niemanden, der sehr schnell gewachsen und e irgendwie andergesagt hat: Halt, stopp, macht ds gab as m a l s.

einen zusätzlichen Minijob in der Fi­

den letzten Jahren weiterentwickelt und viel Verantwortung übernommen. Wie sind nicht nur das Team, sondern auch die Mitglieder mit diesem Thema Identität und der Entwicklung umge- gangen? Sebastian Cunitz: Ich hatte ja vorhin schon einmal diese Rollen angespro­ chen. Aber beim Thema Identität hatten wir auch noch ganz andere Probleme. Dadurch, dass wir uns für die Themen Migration und Diversität einsetzen, gab es im Bezug auf unsere Homepage immer wieder Diskussio­ nen, wie man die Homepage sicherer für unsere Mitglieder machen kann. Es kamen immer wieder Anfeindun­ gen von rechts und unsere Mitglieder hatten doch massiv Angst vor rassisti­ schen Anfeindungen. Daher haben wir noch mal mit einem völligen Umbau unseres Außenbildes begonnen. Wir bauen jetzt eine völlig neue Corporate Identity auf, die eigentlich nur noch von Formen ausgeht. Die Identität unseres Vereins hat sich vor allem unterteilt in Handlungsfel­ der. Wir wollen eine Plattform sein. Das heißt, wir haben uns sehr stark stadt- und bundesweit vernetzt und sind sehr viel in der Wissensvermitt­ lung von kultureller, politischer und transkultureller Bildung unterwegs – beispielsweise arbeiten wir mit dem VNB [Anmerkung der Redaktion: Verein Niedersächsischer Bildungsini­ tiativen] und dem VEN [Anmerkung der Redaktion: Verband Entwicklungs­ politik Niedersachsen e. V.] zusammen.


Das heißt, unser zweites Handlungs­

Daniela Koß: Corona hat bei uns allen

Und jetzt profitieren wir davon. Ein

feld

Wissensvermittlung.

dazu geführt, dass wir wesentlich digi­

weiterer Bedarf war eine neue Website.

Darüber hinaus vergeben wir Räume

taler geworden sind und Hemmungen

Das ist ein sehr großer Aufwand für

und wir gestalten auch Räume in der

abgebaut haben. Herr Oldewage, Sie

alle Beteiligten. Die Digitalisierung

Öffentlichkeit, zum Beispiel in Leer­

sind mit dem Thema Digitalisierung

hat jetzt durch die Fördermöglichkei­

ständen. Das sind die Themen, die uns

schon vor einiger Zeit gestartet und

ten in der Corona-Pandemie noch mal

jetzt auch identitär prägen.

haben relativ rasant Ihr Zentrum auf

richtig Fahrt aufgenommen. Aber die

allen Ebenen, von der Telefonanlage

Implementierung in unseren Alltag,

bis hin zum Online-Booking, erneu­

das wird uns noch lange beschäftigen.

ist

die

Daniela Koß: Diese Art der Selbstver­ gewisserung, also immer wieder zu

ert. Wie ist dieser Prozess gelaufen?

hinterfragen, wer sind wir eigentlich,

Wie lange hat er gedauert? Was ist

Daniela

wo stehen wir, und vor allen Dingen,

unterwegs passiert? Und wie stehen

Sie sind mit der Internetplattform

wer wollen wir zukünftig sein, wie

Sie heute da?

upgration.de sehr erfolgreich. Intern

wichtig ist das für eine Organisation,

Koß:

Sebastian

Cunitz,

gab es allerdings Organisationspro­ Feliks Oldewage: Also tatsächlich

bleme. Sie mussten bzw. wollten daher

ging es relativ rasant. Die eigene Iden­

ein technisches Tool finden, das relativ

Kai Thomsen: Das ist zentral. Für alle

tität ist natürlich auch eng verknüpft

niedrigschwellig ist, das einfach zu

Organisationen wird es das Zukunfts­

damit, wie man sich technisch aufstel­

bedienen ist und das eine hohe Akzep­

thema überhaupt sein, wer man ist, wie

len muss. Aus meiner persönlichen

tanz bei den Mitgliedern haben sollte.

man zusammenarbeiten und wie man

Sicht ist das ja alles kein Selbstzweck.

Wie sind Sie vorgegangen, um dieses

miteinander kommunizieren möchte.

Digitalisierung an sich ist weder gut

Tool zu finden?

Durch Corona wurde das Hinterfragen

noch schlecht, sie ist einfach da, und

Herr Thomsen?

und Selbstvergewissern auch noch

man muss sich damit auseinanderset­

Sebastian Cunitz: Wir waren immer

mal sehr beschleunigt. Wir machen

zen. Aber immer in Zusammenhang

Freunde davon, uns zusammenzuset­

das zum Beispiel in der CD-Kaserne so:

mit den sachlichen und inhaltlichen

zen, zu quatschen und zu machen,

Einmal im Jahr gibt es eine Tagung,

Fragen. Und insofern haben wir unse­

und dann hatte man irgendwo noch

wo es nur darum geht, wie wollen wir

ren Digitalisierungsprozess aus dem

eine WhatsApp-Gruppe und eine Face­

arbeiten, wie wollen wir miteinander

einfachen Grund gestartet, dass wir

book-Gruppe. Und auf einmal hat man

umgehen.

Defizite gesehen haben, also Bedarfe.

festgestellt, alles ist komplett intrans­

Es war bei uns zum Beispiel relativ

parent. Wir sind einfach sehr schnell

Daniela Koß: Was würden Sie heute

klar, dass unser Server gewisse Funkti­

gewachsen und es gab niemanden, der

empfehlen? Leitbildentwicklung? Wel­

onen für die gemeinsame Arbeit nicht

gesagt hat: Halt, stopp, macht das mal

che Tools würden Sie anwenden, um

mehr erfüllen konnte. Wir haben

irgendwie anders. Im Rahmen dieser

sich selbst zu vergewissern?

glücklicherweise vor anderthalb Jah­

ganzen Findung und Strukturanalyse

ren schon angefangen, die Technik

mussten wir uns dann ganz offen die

Kai Thomsen: Leitbildentwicklung,

relativ schnell umzustellen. Das war

Frage stellen: Wie können wir anders

regelmäßige, wir nennen es Pitstops,

begleitet von vielen Diskussionen:

kommunizieren, und was kann uns

Strategietagungen, wo man sich ein­

Brauchen wir das? Sind nicht vielleicht

helfen? In der Folge haben wir viele

fach genau darüber unterhält. Damit

andere Dinge wichtiger? Wir haben

Projektmanagementtools in kleine­

sich auch alle fallenlassen können,

aber schnell herausgefunden, dass wir

ren Kreisen ausprobiert. Schlussend­

sollte es auf jeden Fall extern mode­

durch die Digitalisierung gewisse Vor­

lich haben wir mit Basecamp ein

riert sein.

züge haben – zum Beispiel Homeoffice.

Projektmanagementtool

und

Innovationsräume

eine 27


ung r e i s i l a t i g i D Die u hat total daz dass beigetragen, r wir viel meh als Communit y s Wir ein konkrete d. geworden sin

Schön, wie Sie das gerade

hohe

beschrieben haben.

also

rung, ist eine besondere Beim TPZ Hildesheim waren

Herausforderung. Jeder För­

Sie vor ein paar Jahren noch

derer hat andere Prinzipien

gemeinsame Cloud

sehr analog unterwegs. Wie

der Abrechnung und möch­

gefunden. Dokumente und

sind Sie heute aufgestellt,

te diese in unterschiedli­

Ergebnisse können direkt

und was hat sich alles ent-

chen Formaten aufbereitet

an einem Ort gespeichert

wickelt?

haben. Diese ganzen Aktu­

und bearbeitet werden. Ein

alisierungen von Kosten-

absoluter Benefit ist zudem,

Katrin Löwensprung: Wir

und Finanzierungsplänen

dass wir Partner in Projek-

haben viele digitale Tools,

und das Controlling und

ten super einbinden kön-

die wir jetzt benutzen. Wir

das Monitoring über die

nen. Wenn wir zum Bei-

haben unsere Prozessketten

Ausgabenplanung in den

s­piel mit dem Schau­spiel

analysiert und geschaut,

Projekten ist eine ganz schö­

Hannover zusammenarbei-

für welche Abläufe wir

ne Herausforderung. Ich

ten, dann haben wir einen

Tools brauchen. Praktisch

habe da inzwischen aner­

gemeinsamen Teamordner.

haben wir sofort einige

kannt, dass das sehr viel mit

Das hilft uns enorm auf

Dinge eingeführt, die sehr

Handarbeit und mit grauen

ganz vielen Ebenen.

hilfreich waren, wie z. B.

Zellen zu tun hat. Und dass

ein To-do-Tool, welches wir

das auch so bleiben wird.

Unsere Redaktionssitzun­

gemeinsam nutzen. Unser

gen haben wir aktuell in

Server hat inzwischen eine

Daniela Koß: Es ist span­

digitale Räume verlagert.

gute Struktur. Unsere ge-

nend, dass die Komplexität

Und auf einmal sind in die­

samten

anscheinend doch nicht

sen Besprechungen Men-

Verwaltungsprozesse zu di­

digi­tal abgebildet werden

schen aus Indonesien, aus

gitalisieren hat leider nicht

kann. Je komplexer es wird,

Amerika oder aus Brasilien

so gut funktioniert. Das war

desto schwieriger wird es

dabei, die einfach an der

schwieriger als gedacht.

letztendlich mit der Soft­-

administrativen

Diskussion über eine offene

ware.

Gesellschaft teilhaben wol­

Daniela Koß: Woran lag

len. Es ist auf einmal völlig

das?

entgrenzt. Die Digitalisie­

28

Projektförderung, Drittmittelfinanzie­

Katrin Löwensprung: Ak­ tuell stellen wir komplett

rung hat total dazu beige­

Katrin Löwensprung: Das

auf digitale Telefonie um,

tragen, dass wir viel mehr

Informatikerteam hat sich

sodass man entscheiden

Community als ein kon­

die Aufgabe einfacher vor-

kann, wo das Bürotelefon

kretes Wir geworden sind.

gestellt, als sie ist. Wir arbei-

gerade klingelt. Wir nutzen

ten als Einrichtung 60 Pro-

jetzt Microsoft Teams. Wir

Daniela Koß: Es ist fantas­

zent projektfinanziert und

haben wirklich schon viel

tisch zu sehen, wie sich aus

sind unter 10 Prozent struk­

umgesetzt. Aber unsere An-

dem Lokalen auf einmal

turell gefördert. Der Rest

fangsstrategie, die Infor-

etwas Globales entwickelt.

läuft über Aufträge. Diese

matiker*innen analysieren


uns einmal und program­

Daniela Koß: Sehen Sie für

Sebastian Cunitz: Unser ers­

und von anderen moder­

mieren uns die Schnitt­

Kultureinrichtungen und

ter Schritt war ein Wochen­

nen Unternehmen besucht,

stellen, das hat nicht funk-

kleine Initiativen Be­sonder-

ende mit allen Mitgliedern

die uns echt gute Tipps an

tioniert.

heiten?

in Petershagen unter der

die Hand geben konnten,

Leitung der Tricon AG, das

wie wir mit unserer Mit­

Daniela Koß: Ich würde da­-

Kai Thomsen: Nein. Ich

ist eine Unternehmensbera­

gliedschaft anders und bes-

zu gerne noch Herrn Thom-

glaube

im

tung aus der Schweiz. Wir

ser kommunizieren kön­-

sen befragen. Wir haben

Hinblick auf Agilität nicht.

fanden es sehr spannend,

nen. Wir sind eher die

jetzt schon vom Gelingen

Gerade in kulturellen Ein­

uns von jemandem beraten

­lernende Organisation. Das

tatsächlich,

und Scheitern im digita­

richtungen begegnen mir

zu lassen, der nur wirt­

Quäntchen Naivität ist bei

len, aber auch in anderen

ganz, ganz viele Menschen,

schaftlich denkt. Zusätz­

uns immer ganz wichtig.

Bereichen gehört. Was ist

die gerne an Prozessen oder

lich beriet uns aber auch

Und das wollen wir auch

wichtig zu beachten, wenn

an Werkzeugen festhalten

Frau Wagemann von der

weiter behalten.

man sich in Changeprozes­

wollen, die vor Corona

Landes­arbeitsgemein­schaft

se begibt und Strategien

funktionierten. Die leiden

Soziokultur. Sie hat uns

Daniela Koß: Beim TPZ

entwickelt? Was würden

jetzt sehr, weil sie merken,

auch gesagt: So, jetzt mal

Hildesheim wurde auch

Sie empfehlen?

sie kommen nicht weiter.

Butter

Fische,

recht viel Beratung auf un­

Insofern wären eigentlich

kommt mal zu einer Ent-

terschiedlichen Ebenen in

Kai Thomsen: Insgesamt bei

die Kultur und Soziokultur

scheidung. Die organisato­

Anspruch genommen. Was

Strategieprozessen

hätte

sehr gut beraten daran, sich

rischen Perso­nal­ent­schei­

genau haben Sie gemacht?

ich vor einem Jahr noch

sehr agil aufzustellen und

dungen haben dann den

gesagt, es geht vor allem

mit den ganzen Methoden

Ausschlag und uns eine

Katrin Löwensprung: Wir

um die Vision. Je unklarer

zu versorgen.

Richtung gegeben. Julius

haben die Beratung mit

Matuschik und ich haben

Elke

die Vision ist oder der ge­

bei

die

Flake

intensiviert,

meinsame Fixstern, desto

Daniela Koß: Beim Cameo

diesen Prozess von Anfang

die uns ja seit vielen Jah­

größer sind die Probleme

Kollektiv habe ich immer

an geleitet und waren

ren berät. Wir haben die

im Team. Das würde ich in

eine hohe Agilität festge­

auch in vielen Projekten

Schwerpunkte auf die in­

einem Leitbildprozess oder

stellt. Alle Institutionen im

sehr aktiv. Wir haben fest­

stitutionelle Entwicklung

in einem Strategieprozess

sozioK_change-Programm

gestellt, dass wir starke

und die kommunalen­ Stra­

immer nach vorne stellen.

haben über die letzten

treibende Kräfte sind, und

tegien gelegt. Frau Flake

Natürlich gefolgt von der

Jahre einiges an Beratung

uns zur Geschäftsführung

hat mit uns zusätzlich

Analyse, wo man eigentlich

und Weiterbildung in An­

bereiterklärt.

Teamprozesse gestaltet und

gerade steht, mit allen

spruch genommen. Auch

wir haben analysiert, wie

Schwächen, Stärken usw.

das Cameo Kollektiv war

Ich persönlich bin für den

wir aufgestellt sind und

Durch Corona hat sich das

nicht nur mit einer Bera­

Prozess viel gereist, um

wie wir mit Belastungen

geändert. Durch Corona

terin unterwegs, sondern

bei anderen Häusern und

im Team umgehen können.

geht es jetzt viel agiler zu.

hat durchaus verschiedene

Online-Plattformen heraus­

Chris Mielke vom Landes­

Und da merkt man, dass die

Angebote genutzt. Bitte er-

zufinden: Wie macht ihr

verband Soziokultur hat

Leute, die im Bezug auf agile

zählen Sie uns, was Sie ge­

das? Was ist eure Vision?

die Teamprozesse später

Managementtools nicht gut

macht haben.

Was passiert da eigentlich?

übernommen und mit Kai

aufgestellt sind, natürlich

Wir haben zusätzlich Wei­

Thomsen arbeiten wir nun

größere Probleme haben.

terbildungen von Zalando

auch zusammen. Außer­ Innovationsräume

29


dem haben wir geschaut, wer braucht

in der Zukunft. Und natürlich auch

mussten wir schwerpunktmäßig die

welche individuelle Weiterbildung.

mit der gegenwärtigen Identität.

Kombination von Online-Kommunika­

Wir haben aber auch mit den Beraten­

Wir haben ein ganz klares – wach­

tion mit analoger kreativer Tätigkeit

den strategische Workshops zu spezifi­

sendes – Aufgabenspektrum gehabt.

erproben und neue Formate finden.

schen Themen durchgeführt.

Es sind sehr viele Projekte hinzuge­

Da bin ich ganz zufrieden. Da machen

Daniela Koß: Das ist schon ein bunter

kommen, der Aufgabenbereich der

wir gerade sehr viele Erfahrungen und

Alten Polizei hat sich über viele Jahre

werden auch dabeibleiben.

Strauß an Dingen. Herr Thomsen,

maßgeblich erweitert. Das ist auch der

dazu noch mal die Frage an Sie: Was

guten Zusammenarbeit mit der Kom­

war Ihre größte Herausforderung?

mune zu verdanken.

Für den Changeprozess war unsere Projektitis ein wichtiges Thema. In un­ serem Verein werden so viele Projekte

Kai Thomsen: Das ist schwierig zu

Diesen Sommer mussten wir – wie es

umgesetzt, dass die Projekte eigentlich

beantworten. Die größte Herausforde­

eben genannt wurde – sehr agil pla­

die Basis sind und nicht die Ergänzung.

rung existiert immer dann, wenn es

nen. Wir brauchten unbedingt einen

In diesem Jahr kam uns das wiederum

eine unklare Führung gibt. Führung

Außenbereich. Mit dem Stadtschloss

zugute, weil diese Organisationsform

hat eigentlich nur die Aufgabe, in

haben wir einen tollen Partner gleich

sehr viel einfacher flexibles Arbei­

Patt­situationen zu entscheiden, auch

gegenüber gewonnen. Dort konnten

ten ermöglicht. Ursprünglich sind

in modernen agilen Unternehmen.

wir sechs Wochen lang unseren

wir aber gestartet, um aus unseren

Immer, wenn Führung nicht das Füh­

SoKo-Kultursommer durchführen –

ganzen innovativen Modellprojekten

rungsinstrumentarium, also die ganze

Sonderkommission-Kultursommer.

wiederholbare Formate und Module zu

Klaviatur spielen kann, dann wird es

Der Sommer war ein Riesenerfolg. Wir

entwickeln und anbieten zu können.

problematisch. Dann kann man nicht

waren über mehrere Wochen sehr gut

sagen: Wow, okay, wir arbeiten jetzt

besucht bis nahezu ausverkauft. Das

Daniela Koß: Wie sieht es beim Cameo

mit dem Team, machen eine tolle Klau­

hat sehr dazu beigetragen, dass wir in

Kollektiv aktuell aus? Herr Cunitz, wie

surtagung. Dann muss man erstmal

der Stadtgesellschaft und in der Politik

sind Sie durch die Corona-Pandemie

ganz woanders ansetzen.

als ein maßgeblicher Standortfaktor

gekommen?

im Bereich Kultur wahrgenommen Daniela Koß: Gehen wir einmal zu

werden. Und das möchten wir inten­

Sebastian Cunitz: Corona war für

der inhaltlichen Ausrichtung, Herr

sivieren, verstärken und in den nächs­

uns auf jeden Fall eine Blutgrätsche.

Oldewage. Sie haben gerade ganz viel

ten Jahren ausbauen.

Neues ausprobiert. Bitte skizzieren Sie

Laufende Projekte wurden im März entweder radikal beendet oder kamen

uns einmal, was sich an inhaltlichen

Daniela Koß: Beim TPZ Hildesheim ist

einfach gar nicht zustande. Wir hatten

Dingen bei Ihnen durch Corona und

auch viel Neues ausprobiert worden,

vielfach überhaupt keine Möglichkeit,

durch den Changeprozess geändert

oder?

auf die Schnelle Lösungen dazu zu fin­ den. So sind viele tolle Projekte unter

hat. Gab es eine Ansprache an ein Katrin Löwensprung: Ja. Also für uns

die Räder geraten. Auf der anderen

ist natürlich die kontinuierliche Ar­

Seite hat, wie schon vorhin beschrie­

beit im Stadtteil neu. Manche Projekte

ben, die Online-Plattform upgration.de

inhaltliche Ausrichtung sollte auch

morphen ein paarmal, bis sie eine pas­

wirklich gewonnen. Für alle, die den

immer mit einer Vision verbunden

sende Form finden, vom Online-Zirkus

Coworking-Space nutzen, ist es aber

sein, also was möchte man eigentlich

über den Sommerschnupperzirkus bis

ein Desaster, weil wir ihn komplett

damit erreichen, wie sieht man sich

zu den Stadtteil-Clowns. In diesem Jahr

geschlossen haben. Die Zeit haben wir

neues Publikum, neue Zielgruppen? Feliks Oldewage: Ich denke, eine

30


in dauerhafte Angebote umwandeln können. Also für uns war es irgendwie Chance und bitter zugleich. Ich hätte auch gut drauf verzichten können. Daniela Koß: Herr Oldewage, wie ist im Moment bei Ihnen die Situation? Feliks Oldewage: Wir haben die Corona-Zeit als Haus sehr gut über­ standen. Um es noch mal kurz zusam­ menzufassen: Wir haben eine sehr enge und sehr gute Anbindung an die Kommune. Das heißt, das hat uns maß­ geblich Sicherheit und Unterstützung gegeben in dieser Zeit. Wir konnten die meisten Projekte durchführen. Wir konnten das Team zusammen­ halten. Kopfschmerzen hat uns unser wirtschaftlicher Bereich gemacht, der komplett brachliegen musste. Trotz­ dem haben wir auch hierfür Wege und Mittel gefunden. Ein zentraler Punkt für unsere zukünftige Entwicklung ist die Per­- sonalplanung. Was wir anfangs nicht weiter bedacht hatten, war die Not­ wendigkeit, mehr Personal für die ganzen Aufgaben zur Verfügung zu haben. Also alles, was wir machen, ist am Ende des Tages aus meiner Sicht auch immer eine Personalfrage. Jede Digitalisierung, jede inhaltliche Planung, auch eine Vision ist immer damit verbunden, dass wir im Team ausreichend Kapazitäten haben.

Für den Changeprozess ist so ein Corona-Lockdown total spannend, weil einfach die Normalität außer Kraft gesetzt ist.

dennoch genutzt, um zu überlegen, wie wir unsere innovativen Projekte

Dank der Fördergelder, die wir in die­ sem Jahr einwerben konnten, haben wir jetzt im zweiten Lockdown eine große Motivation und wir freuen uns einfach auf das nächste Jahr. Daniela Koß: Schauen wir noch mal zum TPZ Hildesheim. Wie kreativ sind Sie bis jetzt mit der Corona-Zeit umgegangen? Katrin Löwensprung: Sehr! Unsere Projekte konnten wir gut umplanen. Das war zwar viel Aufwand, weil man dreifach plant, aber das ging. Ich empfand eher die Motivation als Herausforderung: Einerseits finde ich es herausfordernd, als Geschäftslei­ tung das Team zu motivieren, und andererseits muss man ja selber auch mit der Situation umgehen. Und ich habe erlebt, dass ganz, ganz viele frei­ schaffende Kulturschaffende in sehr existenzielle Krisen geraten sind. Für den Changeprozess ist so ein Co­ rona-Lockdown total spannend, weil einfach die Normalität außer Kraft gesetzt ist. Es gibt halt nicht mehr die Routinen, es gibt nicht mehr die normalen Abläufe. Dafür eröffnet es einem ganz viel Spielraum, wenn die All­tags­routinen entfallen. Daniela Koß: Zum Schluss würde ich die drei Institutionen noch bitten, ein kurzes Fazit zu ziehen. Changeprozes­ se sind ja eigentlich nie zu Ende, son­ dern gehen immer weiter. Und Corona hat von uns allen viel Flexibilität, aber auch Solidarität gefordert. Wie sieht Ihr Fazit aus, Herr Oldewage? Innovationsräume

31


Feliks Oldewage: Besonders

uns wahrscheinlich nicht

Das hat uns so viel gebracht.

im Moment geht es auch

gerade einen Gefallen ­ge-

Und natürlich ist die fi­

ein bisschen um Resilienz,

tan, weil es ein großes Leck

nanzielle Förderung wahn-

also die Fähigkeit, Dinge

an Geld geben wird. Als

sinnig hilfreich. Wir konn­

aushalten zu können und

Fazit bleibt aber, noch mal

ten

über

Möglichkeiten

trotzdem eine hohe Moti­

zu sagen: Ohne den Change­-

nachdenken, die wir uns

vation beizubehalten. Ich

prozess hätten wir niemals

sonst gar nicht hätten leis-

denke, insofern ist Corona

so

ten können. Von daher ist

ein großer Test für uns

dungen

Sich

das ganze Förderprogramm

alle. Als Team gehen wir

selbst erstmal bewusst zu

wirklich hilfreich. Durch

aber optimistisch in die

­machen, dass man sich

den Austausch mit den

konkrete

Entschei­

getroffen.

Zukunft. Der Changepro­

verändern will und dass

anderen Kultureinrichtun­

zess hat das aber überhaupt

man auf ein gemeinsames

gen haben wir gemerkt,

erst möglich gemacht. Wir

Ziel hinarbeitet, das hat der

dass es ist normal ist, dass

haben vor der Pandemie be­

Changeprozess eigentlich

in Changeprozessen nicht

reits Dinge geschaffen, die

erst möglich gemacht. Und

alles glattgeht und dass

uns jetzt geholfen haben,

das ist das wirklich positive

nicht alles so schnell und

sprich Digitalisierung und

Fazit.

reibungslos läuft, wie man

die Entwicklung einer Zu­

es sich wünscht.

kunftsvision. Eine Arbeit,

Katrin Löwensprung: Ich

die wir mehr und mehr

glaube, der größte Schritt

Daniela Koß: Vielen Dank

abstimmen. Eine intensive

war, die Anerkennung in

für diese tollen Einblicke

Kommunikation. Das sind

der Stadtverwaltung zu

in das, was über die letzten

die Sachen, die uns neu

bekommen. Da nehmen sie

Jahre geleistet und erarbei­

geformt und die eine posi­

uns jetzt in den verschie­

tet wurde.

tive Entwicklung möglich

denen Dezernaten, also sei

gemacht haben.

es im Bau-, im Sozial- oder im Kulturbereich, als einen

Sebastian Cunitz: Stichwort

guten, zuverlässigen Part­

Resilienz: Wir haben tat­

ner wahr. Der auch fähig

sächlich die Sorge, dass wir

ist, für den Umbau ein paar

als ein ganz anders Cameo

hunderttausend Euro Dritt-

aus der Corona-Zeit hin­

mittel zu akquirieren, und

ausgehen. Das liegt daran,

die inhaltliche Arbeit leis-

dass manche Leute im

ten kann. An der Stelle

Moment ganz andere Pro-

haben wir uns viel Respekt

bleme haben und sich auch

verdient.

dementsprechend aus unse- ren Diskussionen ausschal-

Wichtig für uns war auch

ten. Zusätzlich ist die Finan-

der Austausch mit den

zierung bei uns ein großes

anderen Einrichtungen im

Fragezeichen. Corona hat

sozioK_change-Programm.

32

Das Förderprogramm sozioK_change: 2015 bis 2021 hat die Stiftung Niedersachsen in dem exemplarischen Förderprogramm sozioK_change 15 aus­­gewählten soziokulturellen Einrichtungen aus Niedersachsen einen Changeprozess ermöglicht, um sich zukunftsfähig aufzustellen. Die Einrichtungen erhielten für ihren dreijährigen Veränderungsprozess 25.000 Euro, Beratungsleistungen und Fortbildungsangebote.


BIOGRAFIEN : Feliks Oldew age, geboren 1982 in Minde Abitur am R n. K indheit un atsg ymnasiu d Jugend in Sc m Stadthagen haumburg. schichte, Phil . Beginn eine osophie und s Mag isterstu Kultur w issens di u m s der G e­ dienaufent ha chaf ten an de lte an der Un r Universität iversität Helsi Bremen. Stu­ in Moskau. N nki sow ie der ach dem Absch Higher School lu of ss Economics de s Studiums Ro Russischen Fö bert Bosch Ku deration in A lt ur m rc anager in der hangelsk von in der Organ 2013 bis 2015 isat ion eines . A nschließen überregional d A ssistenz en Schülermus K irchenkreis Neustadt-Wun icalprojek ts fü storf. Seit Augu r den Ev.-lut h. tr ums A lte Po st 2018 Gesch lizei in Stadth äf tsleitung de agen. s Kulturzen­

Sebastian Cunitz ist gelernter Kaufmann im Einzelhandel, freischaffender Fo­ tograf und studierter Master of Design and Media. Er ist Gründungsmitglied der Galerie BOHAI, des Cameo Kollektivs und der Agentur für kreative Zwischenraum­ nutzung in Hannover. Als Geschäftsführer des Cameo Kollektivs forscht er an den Möglichkeiten, wie transkultureller Austausch und Design gemeinsam Räume im Sinne einer offenen und gleichberechtigten Gesellschaft schaffen können. Sebas­ tian Cunitz beschäftigt bspw. eine Frage wie: Kann man Genuss teilen und wenn ja, wie?

K atrin Löwen sprung, gebo ren 1976 in M Projek tmanag ünchen, ist D iplom-Kulturw erin und Mus ik issenschaf tler er in . Si e ist Mitbegr ün im Hildeshei in, derin des Folk mer Trillke G ’n’Fusion Fest ut und in za hlreichen Net Seit 2009 ist ivals Katrin Löwen zwerken und sprung als G Verbänden ak eschäf tsführ des Theaterp tiv. erin und Küns ädagogischen Zent rums (T PZ tlerische Leit er ) Hildesheim in tätig.

anisat ions­- gGmbH, Org le el C ne er t D -K as k auf Lehram führer der C d Germanisti ist G eschäf ts n un se ik us om M Th e rt ai K m Staats­ . Er studie logie. Nach de ischer Coach ho em yc st Ps sy d he un sc gogi n berater ogie und päda i verschiedene fächern Soziol ikbranche be en us eb M N r n de de in it m anage­ nalist und war t (Produkt m itete er als Jour ft beschäft ig ra sk ng ru examen arbe h hrung). In und Fü als Manager t, G eschäf tsfü en en rm em rfi ag ge an rä lm be Tont bH. agement, La -K aserne gGm /Vertriebsman hrung der CD fü ts äf ch ment, Retail es G atungen für m er die ren übernah it St rategieber h m Ja 00 er 20 00 r 20 h Ja den begann er im t als Berater Seine Tätigkei n. Künstler*inne professionelle

Innovationsräume

33


ÜBERZEUGUNG. UNSERE ORGANISATION IST/ WIR SIND WICHTIG, WEIL …

Theater an der Glocksee, Hannover Lena Kußmann, Milena Fischer und Jonas Vietzke

Morgenland Festival Osnabrück Michael Dreyer

Die Worpsweder Museen Matthias Jäger

… wir zeigen, dass es weit mehr span­

turelle

… wir unser „Profil“ selbst nicht so

nende Musik gibt, und weil sich die

Künstlerdorfes Worpswede identitäts­

wichtig nehmen! Wir erfinden uns

Diversität unserer Gesellschaft auch

stiftend sind und dem Ort und seinen

stattdessen mit jeder Produktion neu,

in den Konzerthäusern spiegeln muss.

Besucher*innen aus aller Welt immer

der Inhalt bestimmt die Form, immer

Das ist gesellschaftlich überfällig und

wieder aufs Neue ästhetische Impulse

gleichzeitig ein wundervoller Gewinn

geben.

am Puls der Zeit und darüber hinaus.

… die Worpsweder Museen als kul­ Kristallisationspunkte

des

an Schönheit.

Literaturhaus Hannover Kathrin Dittmer … Kultur ein Überlebensmittel ist und Literatur Raum für Reflexion und De­ batten bietet. Öffentliche Foren wie wir sind Teil der Demokratie. Die Entwick­ lung der Sprachen ist sicherlich die größte Kulturleistung des Menschen, und sie steht nicht still! Alle Kunst „spricht“ zu uns. Poesie und Prosa sind ihr Kern und bei uns zuhause.

34

LOT-Theater, Braunschweig Stefani Theis

Kulturfabrik Löseke, Hildesheim Stefan Wehner

… unser Theater ein sozialer Ort ist, an

… wir Kultur für alle zugänglich und

dem ein Zusammentreffen und eine

erlebbar machen, unser Haus als Pro­

konstruktive

duktions- und Kommunikationsort,

Auseinandersetzung zu

als Kulturwerkstatt und Veranstal­

unterschiedlichsten Themen möglich

tungszentrum öffnen und darüber

und gewollt ist.

hinaus das Kulturangebot der Stadt

unterschiedlichster

Menschen

mitgestalten.


Literaturhaus Oldenburg Monika Eden

Fuchsbau Festival, Lehrte Christoffer Horlitz & Lucie Werndl

musica assoluta, Hannover Kari Träder

kenntnismittel unserer Welt darstellt.

… es sich nicht an vorgegebene Choreo­

­Brücken schlagen, die sonst vernach­

Sie verleiht den Erscheinungsformen

grafien hält, sondern aus vorhandenen

lässigt werden: klassische und zeitge­

und Befindlichkeiten der Gegenwart

Festivalformen ausbricht.

… die Literatur eines der zentralen Er­

Unser Ensemble ist wichtig, weil wir

nössische Musik in Spitzenqualität im

sprachlichen Ausdruck. Deshalb spie­

Dialog mit gesellschaftlich relevanten

geln sich aktuelle gesellschaftliche

Themen, in spartenübergreifenden

Diskurse in zeitgenössischer Literatur

Kontexten, ohne Berührungsängste.

wider.

Kunsthalle Osnabrück Anna Jehle & Juliane Schickedanz

Kunstverein Göttingen Helmut Wenzel

Festival Theaterformen, Hannover und Braunschweig Anna Mülter

… Kunst ein Drehkreuz sein kann,

… sich unsere Ausstellungs- und Kunst-

um sich mit gesellschaftlichen Ver­

vermittlungsprojekte der Aufgabe

… wir gesellschaftspolitische Themen

fasstheiten auseinanderzusetzen. Der

widmen, Welt und Leben aus ver­

in neuen performativen Formen ver­

Fokus auf Jahresthemen, die in Aus­

schiedenen, auch ungewohnten Pers­

handeln, und das in engem Austausch

stellungen oder Vermittlungsangebo­

pektiven zu zeigen. Die Experimente

mit den Städten Hannover und Braun­

ten münden, erlaubt es uns, von der

junger, noch nicht arrivierter Kunst

schweig und ihren Bewohner*innen.

Kunst ausgehend interdisziplinär in

können treibende Kraft für weitere

Ein zentrales Anliegen sind dabei Zu­

Themen einzusteigen und diese für

Entwicklungen sein.

gänge für ein breites und vielfältiges Publikum.

ein diverseres Publikum zugänglich zu machen.

theater wrede +, Oldenburg Lou Kordts

Emsland Moormuseum Janna Gerkens

Sommerliche Musiktage Hitzacker Oliver Wille

Das theater wrede + ist wichtig, es

… Moorlandschaften in aller Munde

begreift sich seit Beginn als gesell­

sind. Mit dem Moorbrand bei Meppen

… wir neugierig Abenteuer leben und

schaftspolitisch und ästhetisch aus­

schaffte es auch das Emsland 2018 in

beleben, weil wir den Anspruch haben,

gerichtetes Forschungstheater. Nicht

die internationale Berichterstattung.

ausgetretene Pfade zu verlassen und

nur mit dem eigenen innovativen

Die Mitarbeitenden des Museums er­

über neue Brücken ins Unbekannte zu

Theaterprogramm, sondern auch in

klärten interessierten Bürger*innen

tasten.

der Förderung neuer Talente mit dem

ein Phänomen, welches, historisch

Modellprojekt flausen+.

betrachtet, zum Alltag der in Moor­ regionen Lebenden gehörte, in Zeiten der Klimakrise aber deutschlandweit Schlagzeilen erzeugte.

Resonanzraum

35


HALTUNG. WIR STEHEN FÜR ...

Morgenland Festival Osnabrück Michael Dreyer

musica assoluta, Hannover Kari Träder

Die Worpsweder Museen Matthias Jäger

… Menschlichkeit in allen Facetten;

… das Zusammenleben in einer offe­

… einen musikalischen Dialog, in dem

für Kunst und Kultur und deren Ver­

nen Gesellschaft, die ihre Werte und

sich die Reichtümer der verschiedenen

mittlung in Einklang mit dem Kampf

ihre Ziele in einem alle Gruppen ein­

Kulturen entfalten, einander beflü­

für mehr soziale Gerechtigkeit und

schließenden Dialog aushandelt. Als

geln und im besten Falle etwas Neues,

Klimaschutz. Wir sind überzeugt, dass

Orte der Kunst ermöglichen wir die Be­

nie Dagewesenes hervorbringen.

jedem Menschen ein instinktiver Aus­

gegnung mit der Vielfalt individueller

druckswille zu eigen ist, und wollen

Welterfahrung und bereichern diesen

Mut machen, diesen zu nutzen.

Dialog so um eine unverzichtbare, ge­ nuin menschliche Perspektive.

Theater an der Glocksee, Hannover Lena Kußmann, Milena Fischer und Jonas Vietzke

theater wrede +, Oldenburg Lou Kordts

Kunstverein Göttingen Helmut Wenzel

Unser Motto: Theater verführt zum

… Offenheit für mögliche zukünftige

Denken. Und manchmal tut das auch

Entwicklungen, ungewöhnliche Pers­

… Auseinandersetzung mit intellek­

weh. Aber solange es weh tun kann, ist

pektiven auf scheinbar Selbstverständ­

tu­ellen, wissenschaftlichen, soziolo­

Theater noch ein wichtiger Ort des ge­

liches, die Auseinandersetzung mit

gischen und politischen Themen, die

sellschaftspolitischen Diskurses und

Fragen zu unserem Leben in der heu­

wir sinnlich erfahrbar und spürbar ma­

diesen Platz verteidigen wir leiden­

tigen Gesellschaft unter den Bedin­

chen. Verantwortlichkeit. Gesellschaft-

schaftlich gegen jegliche autokrati­

gungen unserer natürlichen Umwelt,

liche Anregung. Nähe. Austausch. Expe-

schen Bestrebungen.

Besinnung auf unsere zentralen Werte

riment. Wandel. Forschergeist. Überra­

und auf das, was unserem Leben Sinn

schende Blickwinkel. Freudvolle Begeg-

gibt.

nungen.

36


LOT-Theater, Braunschweig Stefani Theis

Kulturfabrik Löseke, Hildesheim Stefan Wehner

Fuchsbau Festival, Lehrte Christoffer Horlitz & Lucie Werndl

… eine Nähe zum Publikum, für eine

… Kommunikation und Toleranz; Par­

… eine diverse, kühne und politische

Verbundenheit mit „unseren“ Künstler*

tizipation fördert das Bewusstsein,

Kulturszene. Wir organisieren uns

innen, für Verlässlichkeit und Zuge­

Aktivierung fördert verantwortungs­

selbst und setzen Themen auf die

wandtheit. Wir wollen zu einem barri­

volles Handeln. So bringt die KUFA

Tagesordnung, die unsere Generation

erefreien Ort werden.

in ihrer Arbeit Menschen mit unter­

bewegen.

schiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen zusammen.

Literaturhaus Oldenburg Monika Eden

Kunsthalle Osnabrück Anna Jehle & Juliane Schickedanz

… die Vermittlung von Gegenwarts­

für zeitgenössische Kunst in einer

… eine diskriminierungskritische Her­

literatur in Gesprächsformaten, in

Architektur des 16. Jahrhunderts. Die

angehensweise, die wir sowohl auf in­

denen wir Schriftsteller*innen mit

eigene Geschichte, (Arbeits-)Struktur

haltlicher als auch struktureller Ebene

Wissenschaftler*innen verschiedener

und die gesellschaftliche Einbettung

umsetzen wollen. Wir wollen einen

Disziplinen

Die Kunsthalle Osnabrück ist ein Ort

Festival Theaterformen, Hannover und Braunschweig Anna Mülter

Austausch

der Kunst sind für die Kunsthalle Aus­

solidarischen Raum schaffen, in dem

führen. Dem hektischen Netzwerk-

gangspunkt für Reflexion und Kritik,

Platz für Diskussion und Austausch ist

Gezwitscher der digitalisierten Gesell­

auch an der eigenen Institution und

und sich Menschen mit strukturellen

schaft begegnen wir mit der Qualität

ihrem Kontext.

Diskriminierungserfahrungen wohl

in

einen

des analogen Gesprächs.

fühlen.

Sommerliche Musiktage Hitzacker Oliver Wille

Emsland Moormuseum Janna Gerkens

Literaturhaus Hannover Kathrin Dittmer

… Geschichte und Natur erleben – Zu-

… das gute Buch zu jeglicher Stunde, für

… Tradition trifft Moderne, so steht es

kunft gestalten. Durch positive emo­

Teilhabe am Dialog über Gesellschaft,

im Programm. Dies immer wieder neu

tionale Moorerlebnisse und interdiszi­

Freude am Lesen, am Denken, Infor­

zu erfinden, überhaupt das Festival

plinäre Wissensvermittlung schaffen

mation und Austausch. Nicht zuletzt

immer wieder neu zu erfinden – ohne

wir Verständnis für den Natur- und

für die Freiheit des Wortes, weswegen

unsere Genese mit allen Markenzei­

Kulturraum Moor. Damit legen wir

wir auch das Hannah-Arendt-Stipendi­

chen und erreichten Plattformen zu

Grundlagen für gesellschaftliches

um der Stadt Hannover mitbegründet

verraten – ist Ansporn, Segen und

Engagement, leisten einen Beitrag

haben und betreuen, das verfolgten

Fluch. Musikvermittlung und die fast

zu einer nachhaltigen Entwicklung

Autor*innen Schutz bietet.

jährlich neuen Formate sind dabei na­

und unterstützen die heimische Iden-

türlich schönste Spielwiese, die jeweils

tität in den niedersächsischen Moor-

in die etablierten Serien und geliebten

landschaften.

Gewohnheiten greifen, um letztlich alles im Wandel zu halten. Resonanzraum

37


NEUGIER. GESELLSCHAFTLICHE VERÄNDERUNGEN, DIE WIR/UNSER TEAM ANGEHEN WOLLEN/WILL … Theater an der Glocksee, Hannover Lena Kußmann, Milena Fischer und Jonas Vietzke

musica assoluta, Hannover Kari Träder

Morgenland Festival Osnabrück Michael Dreyer

Klimafreundlicheres Leben, Nutzung

Neugier ist das Lebenselixier des

… optimistisch, kreativ, utopisch mit

der digitalen Möglichkeiten zur Ver­

Morgenland Festivals – musikalisch,

zu suchen und die Lust auf Verände­

ankerung von zeitgenössischer Musik

menschlich,

rung auch bei unserem Publikum zu

in der Mitte der Gesellschaft, mehr Dia­

licher musikalischer Dialog ist ein

triggern. Dreck, Körper, Spucke wur­

log zwischen Kunst und Wissenschaft,

Beitrag zur musikalischen Avantgarde

den 2020 verdammt, 2021 fordern wir

unkomplizierte kulturelle Bildung für

und gleichzeitig eine Metapher für

dazu auf, menschliche Grundbedürf­

alle, Kreativität wagen!

eine fruchtbare und friedvolle gesell­

nisse und Gemeinsamkeit künstle­

gesellschaftlich.

Ehr­

schaftliche Perspektive.

risch wiederzuentdecken. Wesentlich dabei: Kooperation statt Konkurrenz!

Kunsthalle Osnabrück Anna Jehle & Juliane Schickedanz

Kulturfabrik Löseke, Hildesheim Stefan Wehner

Festival Theaterformen, Hannover und Braunschweig Anna Mülter

mit dem Thema „Barrierefreiheit“

Soziale Arbeit stärken, benachteiligten

… ist die selbstverständliche Einbezie­

zwischen Körpernormen und Natio­

Menschen echte Chancen bieten und

hung von internationalen Künstler

nalstaatlichkeit. Wir möchten gerne

den Arbeitseinstieg niedrigschwellig

*innen mit Behinderungen, deren

das Programm nutzen, um gemeinsam

gestalten sowie praktische Erfah­

eigene Arbeiten ihre Perspektiven auf

die eigene Arbeitsweise und Haltung

rungen, Teamarbeit und sinnhafte

die Welt präsentieren. Gleichzeitig

immer wieder zu (v-)erlernen. Wir fra­

Tätigkeiten zu ermöglichen – auch in

wollen wir Zuschauer*innen mit ver­

gen uns: Wen haben wir bisher noch

Studien- und Schulpraktika – ist im-

schiedenen Behinderungen mittels

nicht angesprochen?

mer wieder eine Herausforderung:

barrierefreier Angebote kulturelle

konkretes Handeln im Grenzgebiet

Teilhabe ermöglichen.

2021 beschäftigt sich die Kunsthalle

von Sozial, Bildung und Kultur. 38


Literaturhaus Oldenburg Monika Eden

Literaturhaus Hannover Kathrin Dittmer

Kunstverein Göttingen Helmut Wenzel

… sind bei aller Begeisterung für das

Gesellschaftliche Veränderungen er-

… sind mehr kulturelle Bildung, die

analoge Gespräch letztlich doch die

fordern, dass man genau hinsieht. Das

die drängenden Fragen und Krisen der

Digitalisierungsprozesse. Schon 2008

behalten wir bei und bleiben ein viel­

Gegenwart und Zukunft kreativ ein­

veranstalteten wir honeyPod 1, das

stimmiges Haus. Am liebsten würden

bezieht; mehr „Kunst für alle“ durch

erste Festival für Literatur und Neue

wir trotz Absage bis 2025 unser für

die Arbeit unserer Artothek; mehr

Medien. Um das Literaturhaus zu­

das Kulturhauptstadtjahr entworfene

Anregung durch Ausstellungsprojekte

kunftsfähig aufzustellen, müssen wir

Projekt zum Thema Transfer/Transit

wie das aktuelle, das auch das Leben,

das Thema im Blick behalten. Inhalt­

umsetzen, mit vielen, internationalen

die Träume und Wünsche von Minder­

lich und formal.

Partner*innen.

heiten thematisiert.

theater wrede +, Oldenburg Lou Kordts

Fuchsbau Festival, Lehrte Christoffer Horlitz & Lucie Werndl

Neugier lässt uns konstant in die

… sind zum Beispiel der Kampf gegen

LOT-Theater, Braunschweig Stefani Theis

Zukunft blicken. Gesellschaftliche

den Klimawandel, welcher uns die

… sind die unterschiedlichen Zugangs­

Entwicklungen mitzugestalten ist uns

nächsten Jahre immer stärker beglei­

möglichkeiten zu zeitgenössischen

ein großes Anliegen: Wir wollen Ver­

ten wird, und das Vorantreiben eines

Theaterformaten aufgrund fehlender

bindungen schaffen, Fragen aufwer­

intersektionalen und solidarischen

Mobilität im ländlichen Raum. Unser

fen und Barrieren abbauen. Daher sind

Klassenkampfes, vor unserer Haustür

Antrieb ist, kulturelle Teilhabe und

wir überzeugt, dass Theater auch für

und global.

somit gesellschaftliche Teilhabe zu

die Kleinsten schon das Größte ist.

ermöglichen.

Die Worpsweder Museen Matthias Jäger

Emsland Moormuseum Janna Gerkens

Wandel ist das Schlüsselwort un­

Der Großteil unserer Moore wurde

Sommerliche Musiktage Hitzacker Oliver Wille

serer Zeit. Angesichts der in den

entwässert und zerstört – ist somit

Wir wollen nachhaltiger werden, ver­

kommenden Jahren zu erwartenden

als Naturraum bis auf wenige Reste

zichten in diesem Jahr schon auf den

ökologischen, technologischen und

verschwunden. Die aktuellen Diskus­

seit 75 Jahren üblichen Programmpro­

sozialen Disruptionen stehen wir als

sionen um die verbliebenen Moore

spekt. Wir wollen digitaler werden,

Kulturinstitutionen vor der gewalti­

und ihre Bedeutung als CO2-Speicher,

sowohl in der Konzertpraxis – Video­

gen Herausforderung, unsere Rolle

der immer noch aktive Torfabbau

wände im Saal zeigen seit 2020 in

für die Gesellschaft neu zu definieren

und Landwirtschaft auf Mooren sind

Echtzeit die Musikstücke und Informa­

und uns selbst, unsere Inhalte und un­

ohne historischen und ökologischen

tionen – als auch in der Reichweite – un­

sere Vermittlungsformen ganz neu zu

Kontext nur schwer zu verstehen. Um

sere Künstler*innen senden via Social

denken. Da bleibt keine Zeit, sich auf

unserer Vermittleraufgabe auch zu­

Media Videogrüße im Vorfeld des Fes­

Erreichtem auszuruhen. Wenn wir die

künftig gerecht zu werden, erarbeiten

tivals – und wir wollen den Bereich der

auf uns zukommenden Veränderun­

wir zurzeit ein Konzept zur Überar­

KI betreten. Kann KI künstlerisch sein,

gen aktiv mitgestalten und nicht von

beitung und Erweiterung unserer

kann sie mit menschlicher Intuition

ihnen überrollt werden wollen, müs­

Dauerausstellungen.

auf Augenhöhe treten, sind virtuelle

sen wir uns dem Wandel mit großer,

Konzepte kammermusikalisch sin­

nicht nachlassender Beweglichkeit

neserweiternd? Uns interessiert fast

und Neugier stellen.

alles, außer langweilige Livestreams! Resonanzraum

39


WANDEL. EINE INNOVATION IN UNSEREM HAUS/PROJEKT/ TEAM, AUF DIE ICH STOLZ BIN/ WIR STOLZ SIND … Literaturhaus Oldenburg Monika Eden

musica assoluta, Hannover Kari Träder

Morgenland Festival Osnabrück Michael Dreyer

… ist das klima­f reundliche Festival

Dass wir in dieser herausfordernden

entwickelten und mit dem Oldenbur­

„Menschlichkeit“

September!

Corona-Zeit alle Musiker*innen bezah­

gischen Staatstheater als Livestream-

Unser erstes eigenes Festival bietet

len konnten, sollte keine Innovation

Quizabend um Literatur, Sprache und

eine bunte Palette an Kulturevents, die

sein. Ist es aber vielleicht doch ... und

Theater durchführten. Auf unserem

unsere Ideale wunderbar verkörpern.

ich bin ein bisschen stolz darauf ...

digitalen Spielplatz wetteiferten die

Unsere Bemühungen um den Klima­

Spieler*innen in Minispielen um den

schutz beginnen bei uns selbst – auch

Sieg des Abends.

geprobt wird bereits emissionsarm.

LOT-Theater, Braunschweig Stefani Theis

Kulturfabrik Löseke, Hildesheim Stefan Wehner

… ist das Format HURRA SPRACHE!, das wir während des Lockdowns

im

Theater an der Glocksee, Hannover Lena Kußmann, Milena Fischer und Jonas Vietzke

… ist die digitale Umsetzung vom nord­

Wir sind im Verlauf unseres Change-

deutschen Kinder- und Jugendtheater­

prozesses als Team enger zusammen­

… dass wir mutig und kreativ mit den

festival Hart am Wind im Juni 2020 als

gerückt, ziehen an einem Strang und

überraschendsten Umständen umge­

partnerschaftliches Projekt zweier so

gehen verantwortungsvoller mit unse­

hen: So haben wir in der Pandemie

unterschiedlicher Organisationen wie

ren Zielen und Aufgaben um.

schillernde Formate in einer flexiblen

das Staatstheater Braunschweig und

Art des Theatermachens entwickelt,

das LOT-Theater.

die uns ermöglichten kontinuierlich – auch in einem Lockdown – tätig zu bleiben.

40


Literaturhaus Hannover Kathrin Dittmer

Kunstverein Göttingen Helmut Wenzel

Kunsthalle Osnabrück Anna Jehle & Juliane Schickedanz

Bei der Kulturarbeit ist es wie in Alices

… sind unsere Kunstvermittlungspro­

Seit 2020 veröffentlicht die Kunsthalle

Spiegelland (Lewis Carroll): Man muss

jekte, die seit 2008 mit innovativen

Osnabrück alle vermittelnden Texte

sehr schnell rennen, um am Platz

Methoden in Schulen, Kitas, Stadt­

ausschließlich in einfacher Sprache,

zu bleiben. Am Ende nur Status quo?

teilzentren etc. arbeiten und dabei

sowohl auf Deutsch als auf Englisch.

Nein: Wir haben im Mehrgenerationen-

auch aktuelle Fragen der Gesellschaft

Texte in einfacher Sprache verste­

Team neue Projekte entwickelt und

aufgreifen, wie z. B. in „Odyssee Zu­

hen 85 Prozent der Besucher*innen.

unser Netzwerk ist wieder gewachsen!

kunft“ u. a. die Entstehung virtueller

Vorher haben nur 45 Prozent der Be-

Dieses Jahr in Richtung Hochschulen

Realitäten oder in „Upcycling“ die

sucher*innen unsere Texte verstanden.

und Universitäten. (Und wir haben

Klimakrise.

das schwierige Jahr 2020 gemeinsam gemeistert!)

Fuchsbau Festival, Lehrte Christoffer Horlitz & Lucie Werndl

Festival Theaterformen, Hannover und Braunschweig Anna Mülter

Sommerliche Musiktage Hitzacker Oliver Wille

weise. Unser gesellschaftlicher An-

… ist das für 2021 geplante Stadtpro­

… ist das Stattfinden 2020, als (fast)

spruch und unsere inhaltlichen Kon­

jekt zum Thema Klimagerechtigkeit,

einziges Festival unserer Größe in

zepte finden sich nicht nur im Pro­

das marginalisierte Perspektiven ins

Deutschland. Salzburg und Hitzacker

gramm wieder, sondern überall – bis

Zentrum stellt. Gemeinsam entwi­

hieß es in den Medien – das schmei­

hin zu den Sanitäranlagen und der

ckeln hier indigene und behinderte

chelt und hängt die Latte für die nächs­

Technik.

Künstler*innen mit lokalen Initiativen

ten Jahre hoch. Einige aus der Not

und Stadtmacher*innen alternative

geborenen Maßnahmen wurden zum

Sichtweisen auf Natur, Energie und

Aha-Erlebnis: ein neuer Saal- und Büh­

… ist die Politisierung unserer Arbeits-

Konsum.

nenplan, welcher dem Motto „Nähe mit Abstand“ folgte, die „Rück-“Besinnung auf die Kraft der Kammermusik, auf die Momente aus der klingenden Stille heraus, schließlich die Erkenntnis:

theater wrede +, Oldenburg Lou Kordts

Emsland Moormuseum Janna Gerkens

Der Fluss des Wandels ist die Essenz

Seit Januar 2020 ist das Emsland Moor­

Musik lässt uns nicht im Stich, sie berührt alle menschlichen Sinne und schafft Gemeinschaft.

unseres Theaters. Nicht reaktiv, son­

museum vom Kultusministerium aus­­-

dern progressiv schauen wir, was pas­

gezeichneter Lernstandort. Angelehnt

sieren muss, und setzen Impulse. So

an eine Bildung für nachhaltige Ent-

haben wir auch das Theater zum bun­

wicklung ermöglichen wir handlungs-

desweiten Forschungszentrum wei-

bezogene Moorerlebnisse. Ausstellun-

terentwickelt und als Nächstes steht

gen, das große Außengelände mit Sied­

der Generationswechsel an.

lerhof und Moorfläche bieten infor- melle Erfahrungsräume.

Resonanzraum

41



Langzeitbeobachtung der Nachwendezeit. Gezeigt bei der RAW Phototriennale in der Ausstellung Zeitenwende, Worpswede 2020. DANACH UND DANACH handelt von

DANACH UND DANACH wurde mit

Die Fotografen:

den Veränderungen in den neuen

dem Kodak Fotobuchpreis ausgezeich­

Bundesländern nach der sogenannten

net. Ausgestellt wurden die Arbeiten

Klaus Dierßen.

Wende 1989. Farbfotografien zeigen

u. a. in: Kunstkreis Meppen, Universi-

die Außenansichten von Gebäuden

tät der Bundeswehr Hamburg, Bund

und Geschäftsfassaden in der ehemali­

Bildender Künstler Hannover, Kunst­

Geboren 1949 in Hildesheim. Studium an der Pädagogischen Hochschule Hildesheim (Hauptfach Bildende Kunst) und Studium der Grafik, Druckgrafik und Fotografie an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Meisterschülerdiplom bei Prof. Malte Sartorius. Bis 2012 Dozent/Professor für Bildende Kunst und Fotografie am Institut für Bildende Kunst und Kunstwissenschaft der Universität Hildesheim. Lehraufträge, Vorträge, Ausstellungen, Publikationen und kuratorische Tätigkeiten. www.klausdierssen.de

Ditmar Schädel. Geboren 1960 in Stade, lebt in Kevelaer. Studium der Bildenden Kunst und Literatur im Studiengang Kulturpädagogik an der Universität Hildesheim. Verschiedene künstlerische Lehraufträge und wissenschaftliche Tätigkeit, seit 1995 wiss. Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Photographie, Köln. Ausstellungen und Lehraufträge in verschiedenen Institutionen. www.schaedel.eu

Hildesheim,

Kreismuseum

gen DDR nach diesem geschichtsträch­

verein

tigen Datum. Bei gleichem Ausschnitt

Peine, Kreis­museum Aschersleben,

und identischer Perspektive, jedoch

Kreismuseum Senftenberg, Roemer-

mit zeitlichem Abstand, wird die Ver­

und Pelizaeus-Museum Hildesheim,

änderung der Situation feststellbar. In

Städtische Galerie Nordhorn, Schles-

der Gegenüberstellung der Bilder wer­

wig Holstein-Haus Schwerin und RAW

den äußerlich sichtbare Änderungen

Phototriennale Worpswede.

erkennbar. Der Vergleich der Bilder deutet auch innere Befindlichkeiten an, die sich aus der zeitlichen Distanz der Bilder ablesen lassen. Das künst­ lerische Konzept dieser Fotografien beinhaltet das beharrliche, geduldige und langjährige Beobachten einer grundlegenden Veränderung: Typische Kennzeichen einer vergangenen Zeit verschwinden und werden von neuen Gestaltungsformen abgelöst. Die Foto- grafien sind weder als Werbung für den Aufschwung Ost noch als pittoreske Bilder voller Nostalgie und Morbidität zu verstehen.
























DIGITAL . Y C A R E LIT

. s m u a R n e l a t i g i d s e d g n u Die Erober

Essay

Von Birte Werner

Warum soll ich noch in ein Museum gehen?

die Darstellenden Künste ist das Strea­ men einer Vorstellung, das einige Häu­

Warum noch ein Theater, Tanz- oder

ser und Ensembles seit Jahren erprobt

Konzerthaus besuchen? Warum wei­

hatten und das in den letzten Monaten

ter ein Archiv oder eine Bibliothek

die probate „Notlösung“ für viele in

betreten? Befeuert durch die Pan­

der Szene war, ganz sicher nicht der

demie 2020 arbeiten sie alle unter

Weg, mit dem sie sich dauerhaft arran­

Hochdruck an ihrer Online-Präsenz.

gieren werden. Zum einen konkurriert

Kulturförderprogramme und Privat­

das Streaming einer Performance oder

wirtschaft unterstützen sie seit et­li-

der ins Netz gestellte Mitschnitt mit

chen Jahren dabei. Inzwischen kann

dem Medium Film. Die Mehrheit der

ich mit den digitalisierten Samm-

abgefilmten Bühnenereignisse kann

lungs­beständen eines Museums meine

es aber an technischer, dramaturgi­

eigene Ausstellung im Netz kuratieren

scher und erzählerischer Qualität

(www.oww.io). Ich komme meinen

nicht mit einem Film aufnehmen. Eine

Lieblingsschauspieler*innen, Tänzer*

abgefilmte Performance wird in der

innen und Musiker*innen im Live-

Aufmerksamkeitsökonomie eines brei­

stream so nah, wie ich es in einem

teren Publikums den Kürzeren ziehen,

Theater niemals könnte – ausreichend

wo Netflix und Co. als second screen ver­

gute Kameratechnik und Bildregie vor­

fügbar sind. Zum anderen fehlt beiden

ausgesetzt. Ich kann europaweit durch

Seiten – Bühnenkünstler*innen und

digitalisierte Kunst- und Archivschätze

Publikum – der unmittelbare Kontakt,

stöbern (www.europeana.eu) und kann

die Kopräsenz im Raum, im Moment,

in der Digital Public Library of America,

das unmittelbare Feedback.

die nach dem Vorbild der Europeana entstanden ist, weitermachen. Warum 66

also noch „physisch hingehen“? – Für


Wir sind mittendrin im digital-analogen Vernetzungsprozess.

erst noch mit neuen Begriffen wie

every time you are given a new tool, it

Digitalität vertraut machen müssen,

gives you a different way of impacting

sehen uns andere längst in der post­

upon the world. […] We need to talk

digitalen Realität angekommen, in

about digital literacies, because they

Das Tempo ist rasant. Interessant ist,

der „nachdigitalen“ Gegenwart, in der ­

are plural. They are context-depen­

was an den Schnittstellen zwischen

uns ubiquitous computing selbstver­

dend. And they need to be socially ne­

analoger Praxis, digitalen Plattformen

ständlich geworden ist und sich unser

gotiated.“1 In eine ähnliche Richtung

und Tools an neuen künstlerischen

Denken, Wahrnehmen und Handeln,

zielen Georg Dietz und Emanuel Hei­

Formen und Möglichkeiten entwickelt

unsere Identität dadurch grundlegend

senberg mit ihrem jüngsten Buch, in

wurde und weiter entwickelt werden

verändert haben. Das Wissen und

dem sie darüber nachdenken, wie sich

wird. Die klare Trennung zwischen

die Fähigkeiten, die jede*r von uns

mit Technologie die Demokratie neu

einem „Hier“, der analogen Welt, in

braucht, um die technischen Möglich­

erfinden lässt: „Technologie ist eine

dem das Original, das „auratische“

keiten und neuen Entwicklungen zu

Art, zu denken und zu handeln. Darin

Kunstobjekt, zuhause ist, und einem

überblicken, kritisch zu befragen, auf

liegt das konstruktive Potenzial, eine

„Da draußen“, der virtuellen/digitalen

den eigenen Kontext zu beziehen, für

andere Form von Gesellschaft zu ima­

Welt, ist in Auflösung begriffen. Span­

sich nutzbar zu machen und gestalten

ginieren und zu gestalten. Wie können

nend ist, aus ihrer Verzahnung inhalt­

zu können, werden unter dem Begriff

Prozesse und Abläufe beschleunigt

lich kluge, künstlerisch interessante

digital literacy zusammengefasst. Digi­

und

transparenter,

durchlässiger,

Funken zu schlagen. Was brauchen

tal literacy ist das, das Kunstschaffende

partizipativer,

Kunstschaffende und ihr Publikum

und ihr Publikum jetzt und zukünftig

werden?“2 Es geht um Zukunft und

dafür? Wenn dieser Text erscheint,

brauchen.

ihre Gestaltung, es geht um Teilhabe

wird die große Jahrestagung der Dra­ maturgischen Gesellschaft sich gerade in mehreren Konferenz-Sessions mit dieser Frage beschäftigen.

Digital literacy meint mehr als nur die Fähigkeit, einen Computer nutzen und sich im WWW bewegen zu können.

Ubiquitous computing, die Allgegenwart

gerechter

gemacht

und Mitbestimmung, um öffentlichen Raum. Welche Rolle – so müssen sich insbesondere Künstler*innen und/oder Kulturvermittler*innen fragen, die ihre Arbeit auch als eine politische ver­ stehen – können und wollen sie dabei

rechnergestützter Informationsverar­

Der Begriff umfasst politische, ju­

spielen? Welche Themen wollen sie

beitung, prägt unseren Alltag, digitale

ristische, kreative, ethische und ge­-

für und mit ihrem Publikum verhan­

Medien sind omnipräsent. Der Begriff

sellschaftliche Dimensionen. Dough

deln? Sind Identität, Aushandlungs­

„Digitalität“ entstand als Neologismus

Belshaw, der sich seit vielen Jahren

prozesse, wünschenswerte Formen

aus „digital“ und „Materialität“, um

als Experte für Bildung mit digital

von Gesellschaft nicht ihre Themen?

die Verzahnung und wechselseitige

literacy

dass

Interessant ist darum nicht nur, was

Durchdringung der digitalen mit

darum im Plural von digital literacies

an den Schnittstellen zwischen ana­

der materiellen Welt beschreiben zu

zu sprechen sei. Er schlägt ein Modell

loger Praxis und digitalen Tools neu

können. Im Moment wird auf allen

vor, das acht Aspekte berücksichtigt.

an künstlerischen Formen und Mög­

erdenklichen Ebenen ausgehandelt,

Kognitive, kreative, kommunikative

lichkeiten entsteht. Interessant sind

welche demokratischen Regeln gelten

und gesellschaftspolitische Gesichts­

insbesondere die Inhalte: Was haben

beschäftigt,

betont,

sollen, um die sich damit eröffnenden

punkte ebenso wie die Fähigkeit,

die Künste unter Nutzung der neuen

Möglichkeiten für alle nutzbar zu

einen informiert-kritischen Blick auf

digitalen Möglichkeiten inhaltlich zu

machen und gleichzeitig Missbrauch

das Feld richten zu können: „Digital li­

diesem Diskurs beizutragen?3

auszuschließen. Während viele sich

teracy […] effects your identity. Because Neue Kulturräume

67


Be online, or else be dead.

sich in radikalisierter Form, wenn die

überhaupt die grundsätzliche Haltung

Veranstaltung online stattfindet. Die

eines ganz wesentlichen Teils der

Zugespitzt formuliert war das im

Konkurrenz, der sie damit ausgesetzt

Netz-Community, nämlich Wissen zu

Frühjahr 2020 die Situation für ei­

ist, ist riesig. Sie ist auch internatio­

teilen, Tools allen kostenlos zur Ver­

nige Kultureinrichtungen und viele

nal. World Wide Web eben. Die Frage

fügung zu stellen und sie kollaborativ

Freischaffende, die im Bereich Kultur

„Warum soll ich noch in ein Museum

weiterzuentwickeln, in den analogen

und/oder Vermittlung arbeiten. Die

gehen?“ stellt sich gleichlautend, egal,

Arbeitsalltag Einzug halten sollte.

Notwendigkeit, sich dem Thema Di­

ob von einem Gebäude oder einem

Wenn dieser Prozess gelingt, wird sich

gitalität verstärkt oder erstmals zu

digitalen Angebot die Rede ist.

die Szene verändern und weiterent­

widmen, war und ist entsprechend groß. Viele der technischen und

It’s all about content, stupid!

sozialen Probleme, die sich aktuell

wickeln können.

Was ist mit dem Publikum?

dabei stellen – nicht jede*r hat ein

In dem Maße, wie neue technische

ausreichend gutes Endgerät; nicht

Entwicklungen aufhören werden, ein

Weiterhin gilt, dass viele Kulturein­

jede*r hat schnelles Internet; nicht

Publikum um ihrer selbst willen zu

richtungen und -veranstaltungen ein

jede*r kann aus Datenschutzgründen

interessieren – „Wow, Theater in VR!“

spezifisches Vorwissen bei ihrem

mit jeder Plattform und allen Tools

„Krass, Malerei durch KI!“ –, werden

Publikum

arbeiten – harren ihrer (politischen)

Inhalte wieder verstärkt in den Fokus

adressieren sie bestimmte Menschen

Lösung, werden hoffentlich in nicht

rücken und mit darüber entscheiden,

mit ihrem Programm, während sie

zu ferner Zukunft gelöst sein. Wichtig

welches Publikum sich warum für

andere nicht im Blick haben. Ein Be­

wäre, dass aus der extrinsischen Moti­

­welches Angebot interessiert. Im Mo­

wusstsein nicht nur dafür, sondern

vation des Jahres 2020, sich aus exis­

ment sind viele Kulturinstitutionen,

ein Wissen um alle Aspekte von Di­

tentiellen Gründen mit dem Thema

Künstler*innen und Kulturschaffende

versität, verbunden mit einer offenen,

Digitalität beschäftigen zu müssen,

in der Phase des Experimentierens

selbstkritisch-reflexive Haltung, ist bei

nun ein genuines Interesse und damit

und Lernens. Was es für sie bräuchte,

weitem noch nicht verbreitet genug.

die intrinsische Motivation erwächst,

sind spartenübergreifende Treffen,

In den kommenden Jahren muss das

am Thema zu bleiben (so man auf dem

um sich wechselseitig inspirieren und

selbstverständlich werden. Ein Instru­

voraussetzen.

Dadurch

Feld nicht ohnehin unterwegs war).

voneinander lernen zu können. Dazu

ment dazu sind Besucher*innen- bzw.

Es gilt, digital literacies zu erweitern

bedarf es grundsätzlich einer besseren

Nicht-Besucher*innen-Studien. „Wen

und zu vertiefen: sich zu informieren,

Kommunikations- und neuen Fehler­

erreichen wir? Evaluation der Educa­

Überblick und Inspiration zu suchen,

kultur. Aus Fehlern lernt man am

tion-Arbeit in professionellen Orches­

sich weiterzubilden und zu vernet­

besten. Warum müssen alle dieselben

tern Baden-Württembergs“4 ist eine

zten, um für die jeweilige Institution

Fehler selber machen? Das ist nicht

der jüngsten Arbeiten zu diesem The-

oder die individuelle Praxis kluge,

nur ineffizient, das ist auch frustrie­

ma, die zeigt, dass die Befragten mehr­

interessante Konzepte zu entwickeln.

rend und demotivierend. Wenige Pro­

heitlich weiblich, älter als 51 Jahre und

Denn hat man die nicht, dann – um bei

grammpunkte bei Konferenzen sind

sehr gebildet sind. Die Herausforde­

der zugespitzten Formulierung zu blei­

so unterhaltsam, so ermutigend und

rung, die sich hier spiegelt, ist seit

ben – ist man zwar mit einem Angebot

so hilfreich wie „Fuck up nights“, bei

Jahren bekannt: Ob in Deutschland

online, aber trotzdem tot. Tot im Sinne

denen grandios gescheiterte Ideen und

jemand an Kunst und Kultur partizi­

der Aufmerksamkeitsökonomie. Denn

Projekte vorgestellt werden. Fehlerwis­

piert, woran genau, und ob eine Person

die Frage, warum sich ein Publikum zu

sen sollte viel selbstverständlicher ver­

aktiv daran teilhaben kann, hat u. a.

einer Veranstaltung begeben soll, stellt

öffentlicht und geteilt werden. Wie

mit den Parametern gender, race, age,

68


education, class zu tun. Wenn zukünf­ tig Angebote entwickelt werden, die ein bestimmtes Maß an digital literacy beim Publikum voraussetzen, was ist dann mit in den Blick zu nehmen? „Hurra, dann erreichen wir vor allem junge Menschen zwischen 14 und 35!“, mag man denken. Sicher ist das eine Altersgruppe, die sich selbstver­ ständlich in der postdigitalen Welt bewegt. Das heißt aber nicht, dass sie auch über die höchste digital literacy verfügte. Es gibt eine Studie dazu, wo in der Bevölkerung aktuell die höchste digitale Mündigkeit vorhan­ den ist. Digitale Mündigkeit ist ein Aspekt von digital literacy und meint die Befähigung zum konstruktiven und souveränen Umgang mit digitalen Räumen.5 Der Studie zufolge verfügen in Deutschland mehrheitlich Männer mit hohem Bildungsniveau nicht zu hohen Alters darüber. Die Fragen, was es braucht, damit ein Publikum von einem Angebot erfährt, sich davon angesprochen fühlt und welche Vor­ aussetzungen es ggf. mitbringen muss,

Autorin

Dr. Birte Werner ist seit April 2021 Leiterin des neugegründeten Kom­ petenzzentrum Kulturelle Bildung und Vermittlung Baden-Württemberg. Zuvor leitete sie den Programm­ bereich Darstellende Künste an der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel. Zusammen mit Yves Regenass (machina eX) hat sie die berufsbeglei­ tende Qualifizierungsreihe „Gameplay@stage“ für die Akademie konzipiert und geleitet. Nach ihrem Germanistik- und Kunstgeschichtsstudium an der Universität Göttingen arbeitete sie als Wissenschaft­ liche Mitarbeiterin an der FU Berlin, schloss ihre Promotion über die österreichische Exilautorin Anna Gmeyner ab und war von 2006 bis 2011 als Dramaturgin am Theater engagiert. 2008 war sie Sti­ pendiatin beim Internationalen Forum des Berliner Theatertreffens. Birte Werner ist Vorstandsmitglied der ASSITEJ und gibt die Zeitschrift IXYPSILONZETT. Magazin für Kinder- und Jugendtheater mit heraus. Sie wirkt in Jurys und Kuratorien mit und unterrich­ tet an Hochschulen.

um daran teilhaben zu können, sind in postdigitalen Zeiten noch wichtiger und vielschichtiger geworden.

inweise: Literatur und H

z 2012, TED -Talk, Mär s. ie ac er lit l digita n. l elements of tie neu er finde : The essent ia 1 Dough Belshaw e die Demok ra nuar 2021). gi Ja lo 5. f no if ch gr Te Zu it tzter w ir m 3nhdyW k (le e people. Wie Quelle: bit.ly/ g: Power to th er nb se ei H l d Emanue 2 G eorg Dietz un vöse Systeme. 9. nte, war „Ner n rlin, 2020, S. ko Be r en se rn an le H : Fragen 16. München elt, Berlin, 20 viel zu diesen hestern lturen der W , in der man sionellen Orc Ku es r of de pr s 3 Eine Ausstellu ng in au t H . ei e“ ion-A rb e soziale Frag on der Educat s Leben und di w ir ? Evaluati n he 2021). ic re Quant ifizierte er ven grif f 5. Januar aun: Wen m konstr uk ti ann, Olivia Br zOP (letzter Zu Ko 3h y/ 4 A nd rea Hausm t.l eutschland zu bi D e: in ll ue er Q rg . Bü 20 st 20 ar 2021). eiten der embergs. Augu Zugrif f 5. Janu se der Fähigk r ly te tz na A (le ne pe Baden-Württ Ei m 3on5 ündigkeit. . Quelle: bit.ly/  a.: Digitale M 5 Roman Beck u. en. März 2018 um Rä n le ta it digi en Umgang m und souverän Neue Kulturräume

69


Wie macht man Konzerte digital erlebbar? Studio4Culture.net –
 eine digitale interaktive Musikplattform Von Katharina Bäuml Gründerin Ensemble Capella de la Torre und Studio4Culture

er Moment des Livekonzerts bleibt ein­

D

stream Zeit, in der die Musiker*innen vor

zigartig und ist nicht ersetzbar. Aber

der Kamera für Fragen zur Verfügung ste­

es braucht vor allem in dieser Zeit innova­

hen, die im Chat gestellt werden, eine neue

tive Möglichkeiten, um Musik weiterhin

Form von Nähe und Austausch, die sich

erleben zu können. Dabei dürfen wir uns

bereits bewährt hat.

nicht vorrangig an unserer gewohnten ana­ logen Welt und ihren Ritualen orientieren.

Um Musik und weitere Inhalte besser ken­

Vielmehr sind Umdenken und Neugierde

nenzulernen, können Nutzer*innen selbst

gefragt. Welche neuen Strategien und

entscheiden, wann, wo oder wie viel Infor­

Interaktionsmöglichkeiten gibt es, um ein

mationen sie im digitalen Programmheft

zufriedenstellendes digitales Erleben von

lesen möchten. Per Mausklick sind für alle

Kultur zu ermöglichen? Mit Experimentier­

Titel Informationen abrufbar, auch die

freude und Pioniergeist kann es gelingen,

Gesangs- und Notentexte stehen zur Ver­

die Lücke zwischen digital und analog auf

fügung. Wer nur einmal kurz in einen

neue, kreative Weise weiter auszuloten und

Konzertabend „hineinschnuppern“ möchte,

die Krise auch als nachhaltige Chance für

kann dies problemlos tun und dabei Berüh­

neue Formate des (gemeinsamen) Kultur­

rungsängste mit der klassischen Musik nach

erlebens zu nutzen.

und nach abbauen. Auch der „BackstageBereich“ im weiteren Sinn kann in digitaler

Wir müssen anders vergleichen,

Form nun für das Publikum zugänglich

nach neuen Wegen suchen

werden: mit Erklärungen, Lageberichten

Das Projekt Studio4Culture möchte Live-

und Mitmach-Formaten.

konzerte nicht ersetzen, sondern sie auf neue Weise ergänzen und digitale Wege

Neue Denkansätze sind gefragt

gehen, die auch später noch funktionieren

Singen ist in einer Zeit der Corona-Beschrän­

und sich zu nachhaltigen Bausteinen der

kungen oft nicht erlaubt – was können wir

Kulturlandschaft entwickeln. Seit Septem­

aber auf neuen digitalen Wegen tun, das

ber 2020 sind auf der digitalen Plattform

vielleicht sonst nicht geht?
Zusammen mit

eine ganze Reihe von Auftritten etwa von

Profis singen und musizieren, z. B. im Win­

Capella de la Torre oder dem RIAS Kammer­

terkaraoke.
Für Studio4Culture wurden

chor audiovisuell abrufbar, auch weitere

noch weitere eigens angepasste Konzert-

Ensembles sind zur Mitwirkung eingeladen.

Formate entwickelt, die im Zusammen­

Es gibt einerseits Livestreams, aber auch

spiel mit Disziplinen wie Videokunst und

andere Konzertformate, die speziell für die

Mediendesign die Interdisziplinarität des

Plattform entwickelt wurden.

Projekts belegen.

Interaktion zwischen Akteur*innen

Einen Konzertsaal digital umzusetzen

und Publikum

braucht Mut und Experimentierfreude, si­

Besonders wichtig ist die Interaktion zwi­

cher wird es keinen vollwertigen Ersatz für

schen Akteur*innen und Publikum. Hier

das gemeinsame Liveerlebnis geben, aber

bietet der digitale Raum eine Möglichkeit

eine perfekte Ergänzung dazu. Gemeinsam

zur Nähe, die live nicht möglich wäre. Auf

wird ein Schuh draus …

Studio4Culture gibt es nach jedem Live- 70


F

rüh stand für uns fest, dass wir im Pro­

Dabei geschah viel Gutes und Interessantes!

gramm des PROSANOVA 2020 mehr als

Vieles ließ sich übersetzen, anderes war

eine Veranstaltung zum Übersetzen haben

überhaupt nur digital möglich. Nehmen

wollten: Wir dachten an Reibungsmomente

wir das neu erfundene Genre „Text-Video“

zwischen den Sprachen. Wir dachten, mit

(angelehnt an Musikvideos), das wir von

Enis Macis Eiscafé Europa und Marius Gold­

Anaïs Meier bekamen, aber auch die me­

horns Park, auch an die Übersetzung digita­

ditative Video-Illustration der Texte von

ler Alltagspraktiken in Literatur (Wissen im

Judith Keller. Isabelle Lehns Literarisierungs­

Text als Reihe offener Tabs, Gefühle darin

maschine und das Zusammen-Schreiben der

als Spotify-Playlist). Was wir nicht dachten:

Brüder Tharayil brauchten den abgefilmten

dass wir innerhalb von zweieinhalb Mona­

Bildschirm.

ten ein analoges Festival in ein OnlineLiteratur-Event umwandeln müssten.

Eine allgemeine Bilanz:

Ein von Beginn an digital geplantes PROSA-

–  Videos haben insgesamt mehr Beachtung

NOVA hätte mit Sicherheit anders ausgese­

gefunden als Audios. Eine Ausnahme

hen. Durch die Übersetzungsarbeit verschob

bildeten Audio-Walk (flexen*-Flaneusen

sich kurz vor Schluss, was uns beschäftigte:

schreiben Städte) und Hörspiel (Zusammen

Es war plötzlich nicht mehr die Frage „wie

von Simone Dede Ayivi), die das Publikum

könnten wir performativ den Festivalablauf

in den öffent­lichen Raum und in Bewe­

stören: Wann kommen die Megafone in den

gung brachten.

PROSANOVA 2020 – Reibung und schließlich Glätte Von der Künstlerischen Leitung von PROSANOVA 2020

Raum, durch die wir die Missstände des Be­ triebs anklagen?“. Stattdessen erweiterten

–  Vorgedrehte Videos sind für Publikum

wir unser Team um Verena Spilker, die eine

und Veranstalter*innen angenehmer als

wunderbar reibungslos funktionierende

Liveveranstaltungen.

Webseite für uns einrichtete, und um Júlia Kühne Éscolà, die professionell Videos für

–  Um der Vereinsamung vor dem Bild­-

uns drehte und schnitt. Zwischen März und

schirm ent­gegenzuwirken, helfen inter-

Juni kümmerten wir uns um den Versand

­­­­aktive Formate (wie eine Drama-Telefon-

von Videokameras. Um sichere oder förde­

Hotline). Aber auch community-Plattfor­

rungswürdige Alternativen zu den digita­

men wie Gather.town und nicht zuletzt

len big playern Zoom, Telegram, Instagram

die Telegram-Gruppe zum Festivalwo­

und Google Drive kümmerten wir uns

chenende konnten ahnen lassen, dass

nicht. Subversion erfordert vielleicht ganz

auch andere gerade live dabei sind.

einfach eine gewisse Expertise im Umgang mit dem Medium. Ein von vorneherein digi­

Hin und wieder entdecken wir jetzt auf

tal gedachtes Festival hat hier hoffentlich

Fotos von verschiedensten Personen unse­

mehr Ambitionen. Gewissermaßen aus

ren Festival-Merch wieder und sehen es als

Versehen verlegten wir uns auf das Schöne,

Zeichen: Auch 2020, wenn auch unsichtbar

Laufende – auf die Glätte, die der Bildschirm

für uns, haben mit dem PROSANOVA hun­

mit sich bringt.

derte Menschen die deutschsprachige Lite­ ratur gefeiert.

Wie liest man im Netz? Neue Kulturräume

71


Wie führt man sein Publikum ins Netz?

Morgenland digital Von Michael Dreyer Künstlerischer Leiter Morgenland Festival Osnabrück

D

er Weg des Morgenland Festivals Osna­

mischlo im kurdischen Teil Syriens nach Os­

brück in die digitale Welt startete eher

nabrück und hinterließ uns alle sprachlos,

zufällig. 2009 wurde ich mit dem Praetorius-

erstmals trafen Mitglieder der NDR Bigband

Preis ausgezeichnet und der NDR drehte ein

auf Musikerkolleg*innen aus Damaskus und

kleines Porträt für das Kulturjournal. Die

Teheran und das Morgenland Chamber Or­

Dreharbeiten fanden ein paar Tage vor der

chestra wurde aus der Taufe gehoben.

Eröffnung des Festivals statt. Als alle Stative und Kameras verpackt waren und das Dreh­

Aus dem Filmmaterial entstand der preis­

team nach Hamburg aufbrechen wollte,

gekrönte Dokumentarfilm „Eastern Voices“.

saßen wir noch kurz vor dem Kulturzentrum

Wir starteten einen YouTube-Kanal und

Lagerhalle und hörten durch die Fenster eine

stellten kurze Ausschnitte der Konzerte vor.

syrische Band, die zum Spaß „Deine blauen

2009/2010 waren diese Kanäle bei weitem

Augen“ von Ideal spielte. Die Redakteurin

nicht so allgegenwärtig wie heute und ich

traute ihren Ohren nicht. Wir blieben also

staunte nicht schlecht, als wir innerhalb

noch ein bisschen sitzen und ich beklagte,

kurzer Zeit Zigtausende Zuschauer*innen

dass wir zwar den Osnabrücker NDR direkt

hatten. Ich war begeistert, dass wir so viel

vor der Haustür hätten, dieser aber unsere

mehr Menschen erreichen konnten als über

Konzerte nie mitschneide, weil das nun mal

das Festival selber, und beschloss, diesen

nicht zu seinem Tagesgeschäft und seinen

Kanal sehr sorgfältig zu kuratieren und im

Formaten passe. Wir hatten mit Frank

Budget zu bedenken.

Scheffer einen der renommiertesten Doku­ mentarfilmer im Bereich Musik zu Gast,

Für mich ist dieser Kanal ein wichtiger Teil

es fehlten nur professionelle Kameras und

des Festivals geworden. Er wird uns über­

Kameraleute. Die Redakteurin überlegte

leben, auch wenn das Festival irgendwann

kurz und sagte, ihr Mann sei Kameramann

einmal ein Ende finden sollte. Für Musikin­

und musikbegeistert noch dazu. Sie rief

teressierte weltweit ist er eine großartige

ihn an und ein paar Stunden später war er

Quelle. Für die Musiker*innen selber bietet

da … Das war der Anfang unserer filmischen

er eine großartige Form der Präsentation.

Dokumentationen und somit auch unserer

Der uigurische Sänger Perhat Khaliq etwa

digitalen Aktivitäten.

wurde durch ihn zum ersten uigurischen Superstar in China. Über den Kanal errei­

2009 war ein fantastischer „Jahrgang“:

chen wir eine Altersgruppe, die uns in den

Alim Qasimov sang so, dass Michael Boder

Konzerten oft zu rar erscheint: Die 27- bis

ihn später den Sängern der Wiener Staats­

34-jährigen machen den Löwenanteil der

oper vorspielte, „um zu zeigen, was geht“.

Zuschauer aus.

Ibrahim Keivo kam zum ersten Mal aus Qa­ 72


Wie konnte sich dieses digitale Medium so erfolgreich entwickeln? „Morgenland“ präsentiert eine Musikkultur, die immer noch nahezu unbekannt in der westlichen Welt ist und bislang höchstens als „Weltmusik“ gelabelt ein Nischendasein führt. Unsere Projekte sind eigene Produk­ tionen, die wir mit demselben Respekt, derselben Liebe und letztlich auch demsel­ ben Budget zu realisieren versuchen wie die Top-Acts der klassischen Musikwelt. Die Musik, die wir vorstellen, ist für die meisten Hörer*innen im wahrsten Sinne des Wortes „unerhört“. Es geht um Entdeckungslust und das Teilen von Begeisterung, um kulturelle Heimat und die Belebung eines unfassbar anachronistischen Konzertbetrie­ bes. Das spürt das Publikum in Osnabrück und das spüren auch die Menschen an den Bildschirmen. Diese Begeisterung auch digital zu ver­- mitteln gelingt dadurch, dass das gesamte Team – eben auch Kameraleute, Tontech- niker*innen und Künstlerbetreuer*innen – an dieser Entdeckungstour teilhaben. Ich bin überzeugt, dass sich immer am Ende Au­ thentizität, gute Musik und Liebe durchset­

MORGENLANDYOUTUBE-KANAL IN ZAHLEN (STAND JANUAR 2021): 16.000 – 20.000 ZUSCHAUER*INNEN TÄGLICH 17,2 MIO. ZUSCHAUER*INNEN INSGESAMT WEITERE 5 MIO. AUF ANDEREN KANÄLEN 51.200 ABONNENT*INNEN, ETWA 1.000 NEUE ABONNENT*INNEN PRO MONAT

zen werden. Das klingt banal und kitschig, ist aber im Falle des Morgenland Festivals nicht weniger als jährlich zehn Tage geleb­ tes Utopia im echten Leben und tausendfach täglich ein Hauch davon im Web.

Neue Kulturräume

73


Von Stefani Theis Geschäftsführung LOT-Theater e. V.

K

eine einfache Frage, wir beantworten

größte Schwierigkeit war, den unterschied­

sie für jede Produktion neu. Grund­

lichen Bedürfnissen des Publikums (junges

sätzlich geht es um die Entscheidung, ob

Publikum, Pädagog*innen, Fachpublikum,

live oder eine zusammengeschnittene Auf­

Eltern etc.) in einem Stream gerecht zu

zeichnung gestreamt werden soll. Letztere

werden. Das ist auch nicht immer gelungen.

hat den großen Vorteil, dass durch eine

Die drei Tage hatten einen durchgetakteten

Kameraregie ein filmisches Rohmaterial

Sendeplan mit komplexer Bild- und Tonregie

entsteht, das die Grundlage für einen der

ähnlich wie bei Livesendungen beim Fernse­

Produktion dienlichen Zusammenschnitt

hen und sie endeten mit der Prämierung der

ist. Gerade bei Tanzchoreografien können

Kinder- und Jugendjury in einer Liveschal­

durch die Rhythmisierung der Schnitte im

tung mit den Gruppen/Theatern, die sehr

Zusammenspiel mit Musik und Bewegung

berührend war.

die Handschriften der Choreograf*innen hervorgehoben werden.

Allgemein kann ich sagen, dass ein Live­ stream von unterschiedlichen Kamerapers­

Beim norddeutschen Kinder- und Jugend­

pektiven, der Direktheit der Spieler*innen

theaterfestival Hart am Wind bildete die

in der Interaktion mit den Kameras und mit

Grundlage ein Livestream aus dem Hart-

dem virtuellen Publikum lebt. Unsere Er­

am-Wind-Studio mit unterschiedlichen

fahrung zeigt, dass Streamings seitens der

Programmpunkten, die live im Studio

technischen Betreuung, der Kameraregie

stattfanden oder per Zoom zugeschaltet

und der Kosten nicht zu unterschätzen sind.

wurden. An bestimmten Stellen des Sen­

Erfreulich ist, dass wir einen Zuwachs bei

deplans

vorproduzierte

der Publikumszahl haben und sich damit

Filmbeiträge der ausgewählten Gruppen/

wurden

auch

die Reichweite der Produktionen erhöht.

Theater und der Kinder- und Jugendjury

Unser Ziel ist auch, neues Publikum zu

zugeschaltet. Außerdem gab es teilnahme­

erreichen, das bisher nicht ins LOT-Theater

begrenzte Online-Workshops, die nicht im

gekommen ist oder auch kommen kann.

Livestream zu sehen waren. Intention war,

Wir können sehen, dass Streaming Zugänge

den Festivalcharakter für das Publikum an

schafft, die bisher nicht da waren. Unter

den Bildschirmen erlebbar zu machen. Die

dem Arbeitstitel „LOTflix“ bauen wir gerade an einer Streamingplattform, d. h. wir wol­ len uns ein Know-how an der Schnittstelle Film und Theater zulegen, wobei der Film das Theater nicht ersetzen oder einfach nur abbilden soll. Wir wollen damit mehr Lust auf Theater und weiterführende Experimen­

Wie filmt man Theater? 74

Neue Kulturräume

te auch für hybride Formate machen. Parallel gilt es auch den Aspekt von Be­ zahlschranken beim Streaming mitzuent­ wickeln, damit Kunst im Netz nicht per se kostenfrei ist.


CHANGEPRO ZESSE IN LÄNDLIC HEN SOZIOKULTU RELLEN EINRICHTUN GEN Ein Gespräch mit Elke Flake, Gesche Gloystein, Karu-Levin GrunwaldDelitz und Valeska Richter Moderiert von Daniela Koß Das Gespräch wurde am 14. Dezember 2020 via Zoom geführt.

Daniela Koß: Hallo und herzlich willkommen. Ich darf Sie ganz herzlich begrüßen zu unserem digitalen Tischgespräch über Changeprozesse im ländlichen Raum. Frau Richter, Sie haben mir irgendwann im Laufe des Prozesses, als ich Sie fragte: „Was haben Sie eigentlich erreicht in der Zeit?“, geantwortet: „Wir leben noch.“ War es wirklich anfangs so schlimm? Valeska Richter: Ja, die Ausgangslage war, dass wir als kleine Initiative im Rahmen des ganzen Gorleben-­Widerstandes angefangen haben und immer größer geworden sind. Aber die Strukturen sind nicht entsprechend mitgewachsen. Und es gab keine gut funktionierende interne Kommuni­ kation mehr, die diese Vergrößerung abgebildet hätte. Die ganzen ehrenamtlich organisierten Bereiche, alles, was mit Veranstaltungen zu tun hat, hatte keine Verbindung mehr untereinander. All das, was sonst abends beim Bier am Tresen besprochen wurde, hatte sozusagen keinen Ort mehr, an dem es jetzt hätte besprochen werden können. Und Ländliche Räume

75


dadurch kam es zu Reibereien in den Abläufen, es kam zu schwierigen Ver­ anstaltungskonstellationen. So lief im Kino ein Film über ein relativ schwie­ riges Thema, und nebenan war Party. Das war oft nicht so gut. Dann gab es große Reibereien im Büro, das in klei­ nen Kultureinrichtungen eine relativ wichtige Institution ist. Das Büro ist

Wie können wir diese Personalstellen überhaupt mittelfristig halten?

ßen, aber auch mit den Menschen vor Ort weiterzuarbeiten. Ziel war und ist es, im Sinne der Gründergeneration weiterzuarbeiten, aber auch die See­ felder Mühle weiterzuentwickeln. Mit den hauptamtlichen Stellen entstand die Frage: Wie können wir diese Per­ sonalstellen überhaupt mittelfristig halten? Weil eben die Finanzierung

bei uns die Eier legende Wollmilchsau.

von Jahr zu Jahr erneut sichergestellt

Wir machen Veranstaltungsplanung,

werden musste.

wir machen Abrechnung, und wir sind auch immer Ansprechpartner*in für

Daniela Koß: Ich denke, in Gronau war

alle. Es waren aber Kompetenzen nicht

das ähnlich? Herr Grunwald, wie sind

geklärt. Und da hat es richtig gekracht.

Sie gestartet?

Wir hatten aber die Hoffnung, dass wir unsere Probleme über diesen Change­

Karu Grunwald: Bei uns war die große

prozess mit ein paar bezahlten Mehr­

Frage: Wie kann es für die hauptamtli­

stunden wieder in den Griff kriegen.

che Führung des Vereins weitergehen? Wir hatten zu dem Zeitpunkt schon

Daniela Koß: Frau Gloystein, Sie sind

zwei Jahre lang eine hauptamtliche

heute hier als ehemalige Geschäftslei­

Geschäftsführung, die ich innehabe,

tung der Seefelder Mühle – sie haben

die immer nur auf befristeten Förder­

vor kurzem den Job gewechselt. Sie

mitteln gefußt hatte, und wir hatten

haben den Changeprozess aber über

keine langfristige Perspektive zur

einen längeren Zeitraum begleitet.

F­inanzierung der Stelle. Und gleich­

Womit sind Sie gestartet?

zeitig mussten wir auch den Vorstand weiter entlasten. Die größte Frage

Gesche Gloystein: Wir hatten eigent­

war also: Wie können wir langfristig

lich eine ganz ähnliche Ausgangslage.

überleben, wenn wir mehr und mehr

Die Seefelder Mühle ist auch ein lange

Verantwortung aus dem Ehrenamt ins

Jahre überwiegend ehrenamtlich ge­

Hauptamt geben, aber nicht wissen,

führtes Kulturzentrum gewesen. 2013

wie wir es finanziert kriegen? Und

gab es eine erste Geschäftsführung,

dann gab’s noch andere Themen,

meine Vorgängerin. Auch dieser Verein

zum Beispiel wie können wir beim

war so groß geworden, dass er ehren­

Kino eine schwarze Null am Ende des

amtlich nicht mehr zu führen war.

Jahres schreiben, oder wie finden wir

Außerdem wollten viele Ehrenamtli­

überhaupt qualifiziertes Personal und

che, die vor 30 Jahren dort angefangen

binden jungen Nachwuchs im Ehren­

hatten, ein bisschen weniger machen.

amt ein?

Und so entstand eine Lücke. Es war bis jetzt ein Prozess, diese Lücke zu schlie­ 76


Daniela Koß: Gehen wir noch mal auf

dessen Erlös dann in die Kasse des

Slam- und Singer/Songwriter-Formate

die Kombination aus Haupt- und Ehren­

Kulturzentrums fließen soll. Und eben

anzubieten, was dann inhaltlich eine

amt ein. Frau Gloystein, was haben Sie

auch, die Mühlenflüsterer zu überneh­

neue Richtung genommen hat, was

im Prozess getan, damit dieses Verhält­

men, das ist eine Theatergruppe, die

aber auch vom Stammpublikum und

nis weiter gut Bestand haben kann,

unser Vorstand immer sehr intensiv

von den Ehrenamtlichen gut ange­

und wie sind Sie mit Problemen, die

begleitet hat. Wir wollten durch neue

nommen wurde.

aufgetaucht sind, umgegangen?

Bündelung und auch neue Verantwort­ lichkeiten für mehr Entlastung bei

Daniela Koß: Auch in Gronau gab es

Gesche Gloystein: Wir haben im Laufe

den Ehrenamtlichen sorgen. Und das

sehr viele gestandene ältere Damen

des Prozesses erstmal analysiert,

hat tatsächlich sehr gut funktioniert

und Herren, die diesen Verein nicht

woran das Ungleichgewicht liegt. Wir

und einen neuen Drive in die Gruppe

nur aufgebaut und getragen haben,

haben viele inzwischen nicht mehr ak­

gebracht. Es gab nun nicht mehr die

sondern zum Teil auch sehr stark in

tive Ehrenamtliche, die diesen Status

eine große Ehrenamtlichengruppe,

einer Person ein großes Arbeitskontin­

aber auch gerne behalten möchten,

sondern vier Untergruppen, mit denen

gent gebündelt haben. Wie haben Sie,

also sich noch ein wenig einbringen

wir dann auch einzelne Treffen durch­

Herr Grunwald, das neu strukturiert?

wollen, aber nicht mehr so viel. Das hat

geführt haben. Sie haben sich dadurch

sich ein bisschen unbefriedigend ange­

auch mehr eingebunden gefühlt und

Karu Grunwald: Wir haben viel an

fühlt, weil man manchmal nicht mehr

wurden auch aktiver.

der internen Struktur gearbeitet, also das Organigramm neu oder erstmals

wusste, wer unterstützt jetzt wen wie. Daniela Koß: Und wie ist das Verhält­

richtig aufgestellt und Arbeitsbereiche

viel Arbeit im Büro liegen. Wir sind

nis von Ihnen als junger Geschäftslei­

neu definiert – vom Vorstand über die

den Prozess so angegangen, dass wir

tung zu den gestandenen Damen und

Geschäftsführung bis hin zur Be­

versucht haben, alle mitzunehmen,

Herren? Sie haben im Vergleich zum

reichsleitung. Da sind wir immer noch

und wir haben uns mit Gruppentreffen

Ehrenamt relativ viel Arbeit und dafür

im Prozess. Das ist langwierig, da es so

diesem Changeprozess erstmal ange­

relativ wenige Stunden zur Verfügung.

einfach ist, in alte Strukturen zurück­

Und irgendwie bleibt dann doch sehr

nähert. Wir haben eine Vision und ein

zufallen. Und da gab es manchmal auch

Leitbild mit den Ehrenamtlichen for­

Gesche Gloystein: Grundsätzlich war

Unsicherheiten oder Missverständnis­

muliert und daraus konnte das Büro

unser Arbeitsverhältnis immer sehr

se, doch an den Stellen, wo der Prozess

die nächsten Handlungen ableiten.

gut und freundlich. Aber man hat auch

schwierig geworden ist, haben uns

Der nächste Schritt mit den Ehren­

ab und zu mal ein bisschen Widerstän­

immer unser Vertrauen ineinander

amtlichen war, eine neue Gruppe

de gespürt. Die waren häufig unausge­

und unser großer Respekt voreinander

zu gründen. Wir hatten langjährige

sprochen. Nach dem Motto: Das haben

geholfen. Also das Wissen, dass wir alle

Gruppenleiter*innen, die teilweise

wir aber immer so und so gemacht.

mit Herzblut dabei sind. Der Verein

auch noch aktiv sind, aber eben auch

Oder: Das hätten wir eigentlich auch

kommt aus dem Ehrenamt, das heißt,

ein paar neue Interessent*innen, die

lieber weiter so behalten, aber du bist

bevor es mich als Geschäftsführung

wir in neue Gruppen eingebunden

ja die Junge, also mach mal. Das war

gab, waren die ­Mitarbeitenden eher die

haben. In eine Fundraising-Gruppe,

manchmal ein bisschen aufreibend,

Unterstützenden der Ehrenamtlichen.

die wir neu gegründet haben, eine

da den Mittelweg zu finden. Zum Bei­

Dieses Verhältnis bewegt sich nun im

Catering-Gruppe, die sich bei den grö­

spiel jüngere Formate ergänzend zu

Prozess mit einer hauptamtlichen

ßeren Veranstaltungen zum Beispiel

dem Standardprogramm anzubieten,

Geschäftsführung und einer damit

beim

Mühlenwochenende

auch wenn es ein bisschen mehr Arbeit

einhergehenden höheren Professiona­

um einen Crêpes-Stand kümmert,

für uns ist. Zum Beispiel auch Poetry-

lisierung Schritt für Schritt von der

großen

Ländliche Räume

77


Unterstützung weg und

diese basisdemokratischen

als Ärztin oder Arzt, als

hört auf? Wie kriegen wir

hin zu einer Leitung der

Strukturen wiederbeleben

sonst was, und es ist ihre

junges Publikum? Wer sind

Ehrenamtlichen. Und da

möchten, wir möchten ein­

Freizeit, die sie uns freund-

wir in diesem Publikum?

steckt natürlich ganz viel

mal in der Woche ein Ple­

licherweise zur Verfügung

Die Bedingungen sind auf

Konfliktpotenzial drin.

num haben, wir möchten,

stellen. Sie sind natürlich

dem Land auch anders als

dass alle beteiligt sind an

mit anderen ­Voraussetzun-

in der Stadt. Es muss mehr

der Programmgestaltung

gen dabei und haben nicht

Gemischtwarenhandlung

Zeit,

sein. Wir können keine klar

für

abgegrenzte Zielgruppe an­-

Daniela Koß: Gehen wir noch mal nach Platenlaase.

und an dem Wissen um den

die

ganze

Da ist es ein bisschen anders

Verein. Wir konnten in dem

zu

überlegen,

gelagert. Erzählen Sie doch

Prozess Kommunikations­

den Verein sinnvoll ist.

noch mal, Frau Richter, wie

wege festlegen, wir konn­

Und dadurch hatte die

das Haupt- und Ehrenamt

ten Verantwortlichkeiten

hauptamt­liche Bürogruppe

Daniela Koß: Frau Flake,

bei Ihnen strukturiert ist.

festlegen und wir konnten

häufig einen Diskussions­

Sie

auch Kompetenzen festle­

vorsprung. Dadurch hatten

zähen Prozesse über einen

Valeska Richter: Wir haben

gen, also wer darf wann

wir aber auch oft Vermitt­

langen Zeitraum mit un­

uns im Gegensatz zu vielen

was entscheiden. Das ist ein

lungshakeleien mit denen,

endlich vielen Workshops,

anderen entschieden, kein

langwieriger Prozess und

die sich aus nachvollziehba­

Austauschgesprächen und

Geschäftsführungsmodell

entsprechend

ren Gründen nicht so viel

Strategieentwicklungs­plä­

einzuführen. Nach wirklich

als Erfolg nach außen zu

damit beschäftigt haben.

nen begleitet. Nehmen wir

langen und auch durchaus

verkaufen. Das ist viel in­

Dieser

Abstimmungspro­

einmal das Thema Haupt­

kontroversen Diskussionen

terne Kommunikation und

zess war sehr, sehr zäh. Ich

amt/Ehrenamt. Wie wir ge-

haben

beschlossen,

ganz viel Abstimmung. Es

finde, letztendlich hat es

rade gehört haben, wurde

die basisdemokratischen

basiert, wie Herr Grunwald

sich gelohnt. Es haben alle

das sehr strukturell ange­

Tu­genden

wiederzubele­

gesagt hat, ganz viel auf

nachvollziehen

können,

gangen und sehr kleintei­

ben. Durch die Förderung

Vertrauen, auf gegensei­

warum wir das so machen.

lig überlegt, wie mit den

von sozioK_change und

tiger Akzeptanz, darauf,

Alle waren damit einver­

Problemen

der LAGS hatten wir ein

dass wir akzeptieren, dass

standen. Und es tragen alle

wird. Wie wichtig ist diese

paar Arbeitsstunden mehr

Menschen anders sind und

mit. Wir haben wirklich

Vorgehensweise für einen

zur Verfügung, die sonst

dass natürlich auch Haupt-

mit allen geredet, die an

Changeprozess?

im Alltagsgeschäft nicht

und Ehrenamt sehr unter­

Entscheidungsprozessen

drin sind. Wir haben eine

schiedlich funktionieren.

und an Gestaltungspro­

Elke Flake: Ich habe schon

wir

schwierig

Woche was

sprechen.

haben

diese

etwas

umgegangen

zessen beteiligt sind. In

viele

mit allen Ehrenamtlichen,

Ich habe mir bezahlterwei­

dieser Diskussion stellt sich

und du kommst immer auf

Menschen, die für unsere

se viele Gedanken darüber

natürlich dann auch raus,

viele, viele kleinteilige Ge­

Veranstaltungen zuständig

machen können, was wir

wer wir eigentlich sind und

schichten. Es ist fast egal,

sind und die auch sonst

für eine Struktur brauchen,

was wir eigentlich wollen.

welchen Faden du ziehst,

Sachen übernehmen im

was ich sinnvoll und richtig

Kulturverein, und haben

finde. Die Menschen, die

Die

Herausforderungen,

das Thema Struktur auf,

uns zusammengesetzt und

bei

ehrenamtlich

die Frau Gloystein und

kommt immer das Thema

überlegt, wie wir weiter

enga­g iert sind, arbeiten

Herr Grunwald beschrei­

Hauptamt/Ehrenamt rein,

machen wollen. Und haben

40 Stunden die Woche als

ben, sind natürlich auch

kommt das Thema der

dann entschieden, dass wir

Erzieher*in, als Lehrer*in,

für uns ein Problem: Wer

internen Kommunikation

Strukturgruppe

78

gebildet

uns

Prozesse

begleitet

irgendwie kommt immer


Wie finden Struktur, wir eine gutecht alles sodass das ni riftet? auseinanderd und des Vertrauens mit

wann mal haben sie dann

Kultur gäbe. Wir mussten

dazu. Wenn eine Gruppe

gemeinsam die Lösungen

ein Standing als Verein

anfangs wenig Vertrauen

gefunden, und zwar durch­

entwickeln, vor allem beim

ineinander hatte, dann ist

aus auf  Wegen, die nicht

Vorstand und bei den Eh­

es klar, dass dieses Vertrau­

die Standardwege sind.

renamtlichen, dass man für

en erstmal wachsen muss.

das, was wir hier beitragen,

Und das sind immer ganz

Daniela Koß: Gehen wir

auch um Geld fragen darf.

kleinteilige,

mühselige

noch auf das wichtige

Und im nächsten Schritt

Pro­zesse, die man übrigens

Thema Finanzen ein. Alle

sich zu trauen, dieses Geld

auch häufig wiederholen

Einrichtungen sind struk-

auch anzufragen. In der

muss. Das ist normal bei

turell unterfinanziert, und

Öffentlichkeit, vor der Pres-

Gruppenprozessen.

man

wün­

se und gegenüber den Bür-

dann­ braucht es eine ganze

schen, dass die hauptamt­-

germeistern zu sagen: Wir

Weile, bis ein Durchbruch

liche Tätigkeit kontinuier­

haben ein Problem, uns

erzielt wird, und dann

lich nachhaltig gefördert

laufen die Förderungen

kann man hinterher sagen:

werden ­w ürde. Herr Grun­

aus, und ab nächstem Jahr

Das hat sich gelohnt!

wald, Sie sind an dieses

haben wir ein richtig gro­

Thema sehr strategisch her­

ßes Problem. Das waren

Daniela Koß: Gibt es den

angegangen. Was haben Sie

zwei wirklich sehr grund­

Moment, wo der Kno­ten

konkret getan und wie ist es

legende Schritte.

platzt?

zum Erfolg gekommen?

Und

würde

sich

Daniela Koß: Und was Elke Flake: Irgendwann

Karu Grunwald: Wir haben

haben Sie getan, dass es tat-

ist zumindest das Gefühl

uns damit beschäftigt, wie

sächlich geklappt hat?

da: Mein Gott, wir haben

viel Geld wir brauchen und

was geschafft. Und dann

woher wir es bekommen

Karu Grunwald: Ich glau­

kann man den Erfolg rück­

können. Da stand dann

be, offen mit der Situation

blickend an bestimmten

ziemlich schnell die Zahl

umzugehen. Wir haben Ge-

Dingen

In

15.000 Euro im Raum und

spräche gesucht mit der

Gronau haben sie sehr viel

dass unsere einzige Mög­

Presse und mit unseren

geschafft. Der Durchbruch

lichkeit darin bestand, das

beiden Bürgermeistern, der

kam mit der dauerhaften

Geld bei der Stadt Gronau

Samtgemeinde

Finanzierung. Das hatten

anzufragen. Wir sind ins­

Stadt. Wir haben zwei Jubi-

festmachen.

und

der

sie sich anfangs auch als

gesamt sehr strategisch

läumsjahre, das vom Kino

Ziel gesetzt und zäh daran

vorgegangen.

gearbeitet. Und in Pla­

wichtigsten

tenlaase war die zentrale Frage: Wie finden wir eine

bewusstsein zu steigern.

auf uns aufmerksam zu

gute Struktur, sodass das

Zu schauen, was wir als

machen. Wir haben Presse­

nicht alles auseinanderdrif­

Verein alles machen und

reihen um die Veranstaltun­

tet? Und irgendwann sind

wie wichtig wir vor Ort sind

gen drum herum gestrickt.

die Fragen gelöst. Irgend­

und dass es ohne uns keine

Daher waren wir über an­

Einer

der

und das vom Verein, dazu

Schritte

zu

genutzt, um Sonderveran­

Beginn war, unser Selbst­

staltungen zu machen und

Ländliche Räume

79


Sie sind quasi das Kulturamt. Und mit diesem Bewusstsein konnten sie

das Gespräch mit den Bürgermeistern und mit wichtigen Förderern gesucht und sind kontinuierlich im Austausch mit den Bürgermeistern gewesen und an der Politik drangeblieben. Also es war wirklich ein sehr gezieltes Vor­ gehen. Die Stadt hat auch ziemlich bald gesehen, was sie an uns hat. Wir haben auch die Zahlen aufbereitet: was wir alles leisten, wie viele Leute wir erreichen, wie hoch unser Haus­ halt ist, warum das alles nicht mehr nur Ehrenamtliche alleine bewältigen können und wie teuer so eine Stelle anderswo wäre. Und dann haben wir auch einfach einen guten Zeitpunkt erwischt. Daniela Koß: Dazu würde ich gerne noch Frau Flakes Meinung hören. Sie haben den Prozess intensiv begleitet und sind auch ein alter Hase in diesem Bereich, verfügen über sehr viel Er­ fahrung aufgrund eigener politischer Arbeit. Wie würden Sie den Erfolg in Gronau einschätzen: Gab es ein Zeit­ fenster? Warum war dieser Prozess gerade in Gronau erfolgreich? Elke Flake: Es gibt drei Gelingens­ bedingungen, die vorhanden sein müssen, oder vielleicht sind es sogar vier, wenn man sich erfolgreich durchsetzen will. Die erste ist: Ich bin überzeugt von der Sache, sodass ich sie auch mit Vehemenz nach außen vertreten kann. In Gronau waren sie hinterher selbst erstaunt, dass sie fast die gesamte Kulturarbeit organisie­ ren und dass es sonst gar nichts gibt. 80

In Gronau waren dass sie fast die sie hinterher selbst erstaunt, und dass es sonsgesamte Kulturarbeit organisie ren t gar nichts gibt .

derthalb Jahre wesentlich häufiger als sonst in der Presse, haben relativ früh

auch selbstbewusst auftreten. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist Kompetenz. Und zwar Kompetenz in zwei Richtungen: Einerseits machst du gute Arbeit und bist kompetent, und andererseits wird dir auch viel zuge­ traut. Das brauchte der Kulturverein nicht mehr zu beweisen, das war klar. Wichtig war auch das Wissen um die Strukturen der Kommune und des Um­ feldes. Wir haben zum Beispiel einen ganzen Nachmittag im Internet die kommunalen Haushalte studiert, weil wir wissen wollten, wie sieht es dort überhaupt aus. Und die dritte Sache nenne ich immer das Möglichkeiten­ fenster. Es gibt manchmal Situationen, da entsteht ein Zeitfenster, in dem be­ stimmte Dinge möglich werden. Und das war in Gronau der Fall: Es war klar, es musste kulturell was geschehen. Daniela Koß: Auch bei der Seefelder Mühle gab es ein solches Zeitfenster. Sie hatten die Möglichkeit, Ihre Geschäfts­ stelle längerfristig für die nächsten drei bis fünf Jahre finanzieren zu kön­ nen. Wie ist es dazu gekommen? Gesche Gloystein: Ende 2018 waren wir auch in einer zwar nicht ganz so düsteren Lage, aber es zeichnete sich ab, dass eine bis dahin erst einmal gewährte Förderung durch den Land­ kreis nicht noch mal gezahlt werden sollte und auch die Gemeinde sich nicht mehr engagieren wollte. Man muss dazu wissen: Die Gemeinde trägt die ganzen Gebäudekosten, stellt uns die historische Mühle und die Neben­


gebäude kostenfrei für unsere Vereins­

Künstlerwohnung umgebaut worden.

Für diesen Umfang lassen sich keine

arbeit zur Verfügung und zahlt auch

Unsere Finanzierung setzt sich aus

jungen Leute mehr finden. Und jetzt

die Nebenkosten. Also man kann nicht

ungefähr 50 Prozent Fördermitglied­

steht man vor der Herausforderung:

sagen, dass die Gemeinde nichts tun

schaften

haben

Wie kriege ich es hin, Nachwuchs zu

würde. Sie tut eigentlich sehr viel, aber

300 Leute, die irgendwas zwischen

finden und den Betrieb zu sichern,

eben noch nicht für die Personalkos­

5 und 100 Euro jeden Monat zahlen

wenn zusätzliche Mittel fehlen und

ten. Und wir haben, als sich abzeichne­

und damit ungefähr die Hälfte der

nicht erwirtschaftet werden können?

te, dass es ab 2019 wieder schwieriger

Betriebskosten und Personalkosten

werden würde, eine kleine Demo mit

decken. Und die andere Hälfte sind

Daniela Koß: Ich würde da gerne ganz

unseren Vereinsmitgliedern organi­

erwirtschaftete Gewinne. Das ist alles

kurz einhaken und Frau Gloystein zu

siert und sind vors Rathaus gezogen.

nicht üppig. Und für jedes Extra fehlt

diesem Themenkomplex der abwan­

Dort haben wir für die Kulturarbeit

uns eben Geld. Also diese Extrastun­

dernden jungen, gut ausgebildeten

der Seefelder Mühle demonstriert.

den für Strukturarbeit, diese Extra­

Führungskräfte befragen. Ich weiß,

Um es abzukürzen: Wir haben über

stunden, um mal draufzugucken. Es

dass Sie gerne in der Seefelder Mühle

mehrere Gespräche hinweg erreicht,

würden uns auch Extrastunden für

gearbeitet und dort mit viel Herzblut

dass die Gemeinde uns mit 10.000 Euro

Kommunalpolitik fehlen.

die Dinge vorangetrieben haben. Wie

zusammen.

Wir

jährlich fürs Personal fördern will.

hätten die Rahmenbedingungen für

In diese Gespräche haben wir auch

Daniela Koß: Kommen wir zu den Pro­

Sie sein müssen, damit Sie geblieben

immer den Landkreis miteinbezogen

zessen und zur Prozessbegleitung. Elke

wären?

und konnten auch dort im letzten Jahr

Flake: Wie sind Ihre Erfahrungen? Was

einen Vertrag über eine Förderung

ist wichtig, in den Changeprozessen

Gesche Gloystein: Ich hätte mir ein

von 20.000 Euro jährlich abschließen.

zu beachten, vielleicht auch mit dem

bisschen mehr Perspektive gewünscht.

Das ist schon ziemlich gut, allerdings

besonderen Blick auf den ländlichen

Man bekommt immer nur Jahresver­

erst einmal nur für fünf Jahre. Und es

Raum?

träge, das hat mich gestresst und auf längere Zeit hin belastet. Da hätte ich

deckt tatsächlich nur ungefähr 50 Pro­ zent der Personalkosten ab.

Elke Flake: Der ländliche Raum hat

mir ein bisschen mehr Verlässlichkeit

immer ein paar spezifische Bedin­

gewünscht, dass zum Beispiel irgend­

Daniela Koß: Wie ist das im Wendland

gungen. Erstens haben sich dort

wann eine Entfristung in Aussicht

in Platenlaase? Sie haben sich für die

Einrichtungen etabliert, die mit der

stehen könnte. Aber das kann man in

basisdemokratische Variante entschie­

Zeit gewachsen und ganz stark eh­

diesen Strukturen gar nicht verspre­

den. Sind Sie auch finanziell unabhän­

renamtlich getragen sind. Das sind

chen. Das wäre hochgradig unseriös.

gig geblieben?

bedeutsame Zentren im ländlichen Raum geworden. Allerdings mit einer

Daniela Koß: Kommen wir zum Pro­

Valeska Richter: Das Haus ist vor

Ausstattung, die richtig mies ist. Wenn

zess zurück. Ich fand es sehr spannend,

30 Jahren von ein paar Leuten gekauft

es eine fest bezahlte Stelle gibt – die

zwei Institutionen, also die Seefelder

worden. Im Wendland sind Häuser

meistens auf mehrere Personen auf­

Mühle und der Kulturverein Platen­

zu diesem Zeitpunkt durchaus er­

geteilt wird –, ist das schon fast eine

laase, haben beide einen Leitbildpro­

schwinglich gewesen. Es ist in den

Luxusausstattung. Und jetzt kommt

zess gemacht. Frau Richter, Sie sind das

90ern zu einem wirklich großen Kul­

nach und nach überall der Generati­

mit viel Spaß und Energie angegangen.

turzentrum für unsere Gegend mit

onenwechsel. Die Gründergeneration

Was hat Ihnen dieser Leitbildprozess

Kino, Theater, Musiksaal, Büro, einem

leistet die Arbeit ehrenamtlich mit

für die Institution gebracht?

großen Café und einer Gäste- und

20, teilweise 30 Stunden die Woche. Ländliche Räume

81


Was hat Ihnen dieser ss Leitbildprozeution für die Instit gebracht?

Gesche Gloystein: Ja. Das

sisdemokratische

hat in erster Linie viel

gibt, die Einrichtung auch

Klarheit gebracht. Auch

anders organisieren kann.

bei uns waren viele der

Es funktioniert und es gibt

Dinge, die wir in den

sinnvolle Strukturen. Das

Valeska Richter: Ein biss­

Workshops

formuliert

war meine schwierigste

chen mehr Klarheit, wer

haben, bereits vorher da,

Erfahrung. Normalerwei­

wir eigentlich sind und wen

aber ich fand sehr schön,

se kann man sagen: Man

wir ansprechen wollen.

gemeinsam mit den ande­

bringt Struktur und Ord­

Anfangs dachten wir, wir

ren Hauptamtlichen wie

nung rein und irgendwann

müssen unbedingt junges

auch den Ehrenamt­lichen

funktioniert der Laden.

Publikum gewinnen, wir

und dem Stamm­publikum

Und das war in Platenlaase

müssen unbedingt einen

festzuhalten, was unsere

nicht erreichbar, weil es

Generationswechsel einlei­

Schwächen und Stärken

nicht gewollt wurde.

Kultur

ten. Und dann haben wir

sind. Und dann zu überle­

gemerkt: nein, eigentlich

gen, was können wir, wenn

Daniela Koß: Also auch das

nicht. Eigentlich haben wir

wir uns auf unsere Stär­

kreative Chaos kann funk­

in unserem Verein tolle

ken konzentrieren, noch

tionieren, das ist doch auch

Leute. Eigentlich haben wir

besser machen.

eine wunderbare Aussage.

witzige Formate und auch ein Publikum dafür. Klar, es

Daniela Koß: Aber eine

Valeska Richter: Ich fand

braucht natürlich trotzdem

Selbstvergewisserung, dass

es sehr schön, gerade in

auch eine Verjüngung und

man mit dem, was man

dieser Begleitung von Elke

neue Formate, aber dieses

aktuell macht, eigentlich

Flake, den Raum zu haben,

Ja zum Gemischtwarenla­

genau das Richtige tut, ist

tatsächlich etwas Eigenes

den war für uns ein ganz

auch viel wert. Ich würde

zu finden. Gerade in dieser

spannender Prozess. Fest-

gerne noch Frau Flake

hartnäckigen Auseinander-

zustellen: Wir wollen ba­

fragen: Was war denn Ihre

setzung darum, was für

sisdemokratisch sein, wir

größte Herausforderung?

uns der richtige Weg ist

wollen unabhängig sein,

82

und sich für uns sinnvoll

und wir wollen auch unsere

Elke Flake: Ich war immer

anfühlt, das Eigene zu

Strukturen darauf ausrich­

der Meinung, irgendwann

finden.

ten, dass es so gelebt wer­

braucht eine Einrichtung

den kann und so sein kann.

eine Leitung. Daher habe

Elke Flake: Und am Schluss

ich immer von Leitung

hat es sich für alle, auch

Daniela Koß: Und wie war

und

Geschäftsführung

für mich, gut angefühlt.

es in der Seefelder Mühle?

ge­sprochen. Ich habe mit

Aber das stimmt, wir haben

Sie haben ja zusätzlich

dem Team aus Platenlaase

uns gerieben während des

auch noch anfangs eine

in einem wirklich für mich

Prozesses. Auch das ist viel­

SWOT-Analyse, also eine

langwierigen, mühsamen

leicht manchmal gar nicht

Stärken-Schwächen-Ana­

Prozess gelernt, dass man,

falsch.

lyse, gemacht.

wenn es eine starke ba­

gerieben, sodass es Störun­

Nicht

emotional


gen gab, sondern es war

strategische

Überlegung

Sinn macht, an den Prozes­

auch einiges getan, zum

ganz klar, wir waren unter­

dahintersteckte. Wie ging

sen, die in der Stadt und im

Beispiel sind neue Do-it-

schiedlicher

es mit der Projektarbeit los,

Umfeld gerade wichtig sind,

yourself-Angebote ausgear­

Ich wollte in eine andere

welches waren die Zielgrup­

anzudocken und gemein­

beitet worden. Was hat sich

Richtung als die Gruppe.

pen und was ist letztendlich

sam an einem Strang zu

über die Strukturen hinaus

dabei herausgekommen?

ziehen. So viele finanzielle

inhaltlich neu entfaltet?

Auffassung.

Valeska Richter: Ja, das

und personelle Ressourcen Karu Grunwald: Einer der

gibt’s einfach nicht. Daher

Gesche

ersten Schritte war die

lohnt es sich, die Kräfte zu

kann sagen, dass die Seefel­

Daniela Koß: Das ist span-

Erkenntnis in Bezug auf

bündeln. Wir haben uns

der Mühle schon recht gut

nend. Sie alle haben an-

unser Publikum: weg von

dann ein Projekt überlegt,

vernetzt war und dass wir

stimmt.

Gloystein:

Man

fangs ähnliche Fragestel-

den Jugendlichen und den

in dem es einerseits darum

versucht haben, aktuelle

lun­gen entwickelt und ähn­

Fokus legen auf Ü40, weil

ging, Geschichten aus den

Themen mit dem bestehen­

liche Herausforderungen

das die Zielgruppe ist, die

Dörfern zu sammeln, und

den Netzwerk zu verknüp­

benannt. Aber natürlich hat

unser eigentliches Publi­

andererseits die Menschen

fen. Zum Beispiel in Gestalt

jede Einrichtung ihren indi­

kum ist und die auch für

und Geschichten miteinan­

von DIY-Workshops. Das

viduellen Weg gewählt und

eine ehrenamtliche Mitar­

der zu verbinden. In der Ge­

war total erfolgreich und

unterschiedliche Ergebnis­

beit interessant ist. Außer­

meinschaft sollten durch

hat noch mal ganz neue

se erzielt. Also letztendlich

dem arbeite ich nebenbei

das Projekt die Dörfer mehr

Leute ins Kulturzentrum

das Ergebnis, das für die

noch als freischaffender

zusammenwachsen.

geholt. Damit haben wir

Einrichtung sinnvoll und

Theater- und Schreibpäda­

auch unser Verein ist daran

versucht, das etwas ange­

gut war und das alle mit­

goge, das heißt, ich komme

total gewachsen. Im An­

staubte Image der Mühle

Und

tragen konnten. Ich glaube,

selber aus der Projekt­

schluss an dieses wirklich

ein bisschen zu entstauben

das ist in Changeprozessen

arbeit. Es lag nahe, das

erfolgreiche Projekt haben

und neue Akzente zu set­

besonders wichtig, dass

miteinander zu verbinden.

wir gesehen, dass plötzlich

zen. Zum Beispiel durch

jede Institution ihren ei­

Und

in

viel mehr Menschen aus

die Workshops, aber auch

genen Prozess durchläuft

Gronau gerade die einzel­

der Region wissen, wer wir

durch ein Ukulelenfesti­

dann

wurden

und nichts von außen über­

nen früher selbstständigen

sind. Die meisten finden un­

val. Die Ukulele ist ja ein

gestülpt bekommt, sondern

Dörfer neu eingemeindet.

sere Arbeit gut. Und wenn

Trendinstrument und hat

wirklich ihre eigenen Wege

Da gab es Reibereien und

wir jetzt ein neues Projekt

ein unglaubliches Come­

geht. Nur so kann man alle

Ängste, dass die eigene

vorstellen, haben gleich

back in den letzten drei,

mitnehmen. Und nur so

Dorfidentität verloren geht.

viel mehr Lust mitzuma­

vier Jahren erlebt. Ganz

kann es letztendlich gut

Und gleichzeitig gab es von

chen. Wir werden plötzlich

viele Menschen haben im

funktionieren.

der Stadt den Wunsch, dass ­

als Netzwerkpunkt in der

Moment Interesse daran.

eine gemeinsame Identi­

Region gesehen.

Daher haben wir das Festi­

Kommen wir zur inhaltli­

tät, eine Art Wir-Gefühl

chen Ausrichtung. Auch in­

entsteht. Die strategische

Daniela Koß: Aus einem Pro­

val Ukulele-Jamboree ins Leben gerufen und konn­

haltlich ist einiges passiert.

Überlegung war, dass wir

jekt erwuchsen gleich meh­

ten damit von Groningen

Besonders in Gronau wurde

uns hier beteiligen und ein­

rere Folgeprojekte und es

bis Hamburg ein überregi­

ein Schwer­punkt auf die

bringen. Aus der heutigen

entstand eine extrem sinn-

onales Publikum anlocken.

Projektarbeit gelegt, aber

Perspektive kann ich sagen,

volle Netzwerkarbeit. In der

Ansonsten haben wir es

in dem Sinne, dass eine

dass es auf dem Land total

Seefelder Mühle hat sich

inhaltlich

versucht

Ländliche Räume

mit 83


Poetry-Slam und Singer/Songwriter-

Im Wendland Theater zu studieren

Daniela Koß: Alle drei Vereine haben

Konzerten, was gemischt angenom­

geht nicht. Und dadurch haben wir

ihre Corporate Identity überarbeitet,

men wurde.

immer diese Generationenlücke. Zwi­

eine neue Website aufgebaut und den

schen 18 und 30 sind alle weg und

gesamten Außenauftritt neugestaltet,

Daniela Koß: Wie sieht es aus in ­Pla-

studieren, machen ihre Ausbildung

sind jetzt auch Smartphone-kompati­

tenlaase? Da gab es anfangs ein vom

etc. Wenn sie wiederkommen, sind

bel. Zusätzlich gibt es Online-Booking.

Verein geliebtes Kinoprogramm, zu

sie in der Regel in der Familienphase

Frau Richter, wie ist das bei Ihnen

dem nur noch drei Leute kamen. Was

und haben eigentlich erst wieder als

gelaufen?

hat sich inhaltlich geändert?

Rentner*in richtig Zeit oder wenn die Kinder aus dem Haus sind, sich in un­

Valeska Richter: Auch da haben wir

Valeska Richter: Dieses Programm,

serem Verein zu engagieren. Das ist ein

uns bemüht, ein paar von den alten Sa­

wir lieben es immer noch, haben wir

Dauerproblem, das wir natürlich auch

chen mitaufzunehmen. Wir haben ein

trotzdem beibehalten. Wir haben

nicht punktuell in Platenlaase lösen

neues Logo. Die Website musste drin­

ein Weihnachtsmärchen, das seit be­

können. Wir haben immer wieder ver­

gend überarbeitet werden. Ich finde,

stimmt 15 Jahren läuft. Wir haben Ju­

stärkt junge Formate dazugenommen,

dass das alles ziemlich toll geworden

gendtheaterworkshops, auch seit über

wir haben zum Beispiel mit einer Ham­

ist. Wir haben Flyer, und wir haben

zehn Jahren. Diese Formate haben sich

burger Gruppe zusammengearbeitet,

eine wunderbare Sache etabliert, die

bewährt. Es gibt im Kino ein Format,

die Partys bei uns veranstaltet hat.

heißt Groschenroman für die Dorfbe­

das heißt „Politisch-ökologische Film­

Wir haben viel mit politisch und so­

völkerung, eine Fortsetzungsgeschich­

reihe“, die wir zusammen mit der BI

zial engagierten Leuten im Landkreis

te, die in jedem Flyer erscheint. Sehr

[Anmerkung der Redaktion: Bürger­

zusammengearbeitet. Wir haben eine

schön schräg. Das ist alles auch auf der

initiative Umweltschutz Lüchow-Dan­

Projektreihe gemacht mit einer Grup­

Website zu finden. Und die Gestaltung

nenberg] veranstalten, die gut besucht

pe, die Projekte in Afrika unterstützt.

der Website und des öffentlichen Auf­

wird und auch schon viele Jahre läuft.

Zusammen haben wir ein Konzert und

tritts ist wieder im Büro verortet. Das

Und anknüpfend an diese Formate

eine Party veranstaltet und eine Info­

war vorher an verschiedenen Stellen

haben wir einfach neue Partner ge­

veranstaltung gemacht. Wir probieren

verteilt. Und wir hatten keinen CMS-

sucht und auch neue Gruppen, die bei

neue Akzente zu setzen, aber auch bei

Zugriff, also keinen eigenen Zugriff

uns in der Region initiativ sind, mit

den bewährten Sachen zu bleiben. Was

auf die Gestaltung unserer Website.

denen wir zusammen Veranstaltun­

wir in einem sehr witzigen Change-

Wir mussten alles zum Programmierer

gen gemacht haben. Zwei Jugendliche,

Workshop rausgekriegt haben, war,

schicken, der musste es einarbeiten,

die über viele Jahre regelmäßig in den

dass unsere Coaches im Workshop

was viel Zeitverzögerung bedeutete.

Jugendclubs dabei waren, studieren

gesagt haben: Probiert es doch mal mit

Das war nicht so richtig praktikabel.

inzwischen Regie und Schauspiel, und

weniger und steckt da mehr Zeit, Ener­

Das ist jetzt alles besser.

die haben bei uns ein Stück inszeniert.

gie und Herzblut rein. Das gelingt uns

Es wird tatsächlich was fortgeführt, es

nicht so wirklich gut. Es ist tendenziell

ist nachhaltig. Es ist natürlich immer

eher immer ein bisschen viel.

dasselbe Problem: Die jungen Leute, die eine Ausbildung machen wollen, müssen aus dem Landkreis rausgehen.

lem: b o r P e b l e s s a en mer d h m c i a h m c i g l r n ü u t d a l Ausbi Es ist n e n i e e n. i e d , h e e t g u s e u L a r n s e i g e ndkr a Die jun L m e d s u a en wollen, müss 84


Wir haben festgestellt, nachdem wir

Daniela Koß: Was würden Sie sagen,

Daniela Koß: Wie sieht es aktuell in

das neue CD mit großem Elan umge­

wie hat sich Corona bei Ihnen aus-

Platenlaase aus?

setzt haben und uns wirklich gefreut

gewirkt? Die Pandemie ist gerade im

haben, dass auf dem Land tatsächlich

Bezug auf die Digitalisierung ein ex­

Valeska Richter: Ach, heute war ein

viel über Mundpropaganda und über

tremer Beschleuniger gewesen. Alle

grausiger Tag: Leider ist unser Corona-

unser etabliertes Magazin läuft. Die

haben schnell dazugelernt und nut­

Überbrückungsprojekt

Leute informieren sich darüber und

zen die sozialen Medien verstärkt.

worden. Wir hatten Umbaumaßnah­

über die Tagespresse. Ja, und dass es

Wie hat sich Corona bei Ihnen aus-

men geplant, um die Zeit zu nutzen.

noch ein bisschen braucht, bis sich tat­

ge­w irkt?

Der Antrag auf Investitionszuschuss

sächlich das Internet, Newsletter und

abge­lehnt

ist abgelehnt worden. Ansonsten ist

Websites als Informationsmedium

Karu Grunwald: Sehr unterschiedlich.

es so ähnlich, wie Karu Grunwald es

durchsetzen.

Es hat Vor- und Nachteile. Wenn ich

beschreibt. Wir waren beim ersten

gute Laune habe, gucke ich auf die

Lockdown froh, dass wir unsere Mas­

Daniela Koß: Das ist ja spannend.

Vorteile. Wir müssen immer noch bei

sen an Überstunden abbauen konnten.

Wie ist das bei den anderen? Frau

den Zuständigkeiten nachbessern, also

Wir haben viele, viele, viele Absagen

Gloystein, wie ist das bei der Seefel­

wer bei uns was entscheidet. Und mit

schreiben müssen. Wir haben gese­

der Mühle? Würden Sie das auch so

Corona gab es sehr viele grundlegende

hen, wie eng es wird für die Künstler*

unterschreiben?

Entscheidungen zu treffen. Verträge

innen, wie gerne sie auftreten wollen.

mussten neu überprüft und verhandelt

Wir haben ein sehnsüchtig an der Tür

Gesche Gloystein: Auch bei uns ist

werden, Veranstaltungen mussten ab­

kratzendes Publikum. Und wir haben

die Tageszeitung noch eine sehr, sehr

gesagt oder verlegt werden. Das heißt,

natürlich auch Verantwortung für

wichtige Quelle. Ich sehe aber auch,

plötzlich sind ganz viele Entscheidun­

die Gesundheit aller. Es war schon

dass unser Facebook-Auftritt und

gen bei mir gelandet, die vorher noch

sehr aufwendig, Veranstaltungen zu

unsere Homepage gut frequentiert

nicht bei mir als Geschäftsführung

machen und die Hygienemaßnahmen

werden. Im Allgemeinen sind unsere

waren, die aber eigentlich zur Ge­

einzuhalten. Insgesamt hatten wir

Facebook-Nutzer ja auch schon 55, 60

schäftsleitung gehören. Und das war

ein tolles Publikum: entspannt, wo

plus. Das hat sich im Vergleich zu frü­

spannend, weil wir angefangen haben,

es möglich war, und dis­zipliniert, wo

her gewandelt. Die Rückmeldungen

in dieser Nichtroutine eine Routine zu

es nötig war. Für uns war außerdem

sind gut, und unsere Veranstaltungs­

bekommen. Ich habe nun auch endlich

großartig zu merken, dass die Netz­

werbung wird wahrgenommen.

Zeit, mich mit der Geschäftsordnung

werke tragen. Wir haben keinen für

und mit den Problemen unserer Buch­

große Veranstaltungen geeigneten

Daniela Koß: Wie ist das in Gronau? Da

haltung zu beschäftigen.

Außenbereich. Daher haben wir mit Raum 2, das ist ein anderer Kulturver­

geht der Kartenverkauf auch über das Online-Booking. Wird das angenom­

Die andere Seite ist, dass es einfach

ein im Wendland, Open-Air-Konzerte

men? Oder sind auch die alten Medien

deprimierend ist, dass alles zu ist.

veranstaltet. Die machen das einfach

noch die wirkungsvolleren?

Aktuell haben wir aber glücklicher­

klasse und die haben viel Platz. Und

weise keine finanziellen Sorgen, weil

wir konnten eine Lesereihe im riesigen

wir über die institutionelle Förderung

Garten des Künstlerhofs Schreyahn

Karu Grunwald: Es ist so fifty-fifty. Mit Corona ist es allerdings noch mal

von der Stadt und über Soforthilfen,

durchführen. Die Veranstaltungen

digitaler geworden. Im Moment gibt

jetzt mit der Novemberhilfe und der

waren ausverkauft. Das war toll, dass

es mehr Online-Booking und die Leute

Dezemberhilfe ganz gut abgesichert

die Veranstaltungen so unkompliziert

haben verstanden, dass das Tagesaktu­

sind. Es gab anfangs vom Landschafts­

mit Hilfe unserer Kooperationspartner

ellste bei uns die Website ist und nicht

verband eine Soforthilfe für Vereine.

ausgelagert werden konnten.

der Flyer.

Damit kommen wir eine ganze Weile zurecht.

Ländliche Räume

85


Daniela Koß: Dann lenken wir den

Daniela Koß: Corona fordert uns alle

men neue Details, die geklärt werden

Blick noch einmal zur Seefelder Mühle.

heraus, fordert von allen Solidarität

müssen. Und das finde ich schön: Jetzt

und Flexibilität. Ich möchte Sie nur

kommt der zweite Changeprozess für

Gesche Gloystein: Bei uns war es

abschließend noch um ein kurzes

uns obendrauf, der noch mal ein Stück

auch von allem ein bisschen. Ich bin

Fazit in Bezug auf die Changeprozesse

mehr Professionalität mit sich bringt.

noch gar nicht auf unser Café zu spre­

bitten. Sie haben alle viel gearbeitet

chen gekommen. Wir haben einen

und auch viel erreicht in dieser Zeit.

Daniela Koß: Und noch eine Abschluss­

wirtschaftlichen Betrieb in unserem

Und das gerät leider in der aktuellen

frage an Frau Flake: Wir haben von

Verein. Und das Café hat unter Corona

Situation ein bisschen ins Hintertref­

vielen unterschiedlichen Prozessen

wirklich gelitten. Es musste von heute

fen. Aber ich würde Sie abschließend

gehört, die auch ohne Beratung hät­

auf morgen komplett schließen, gera­

um eine kurze Einschätzung bitten.

ten stattfinden können. Bei der Bera­

de als die Saison losgehen sollte. Auch

tung gab es immer ein strategisches

das Caféteam hat sich im Lauf des Pro­

Valeska Richter: Also für uns war es

Vorgehen und auch eine relativ eng­

zesses und in der Folge eines Seminars

wichtig. Es hat uns geholfen, uns zu

maschige Begleitung von Seiten der

mit Elke Flake umstrukturiert. Sie

sortieren. Und es hat uns geholfen,

Berater*innen. Wie wichtig schätzen

haben Midijobs geschaffen, um den

eine solide Grundlage für die Weiter­

Sie diese Unterstützung im Prozess

mitarbeitenden Frauen aus der Umge­

entwicklung zu schaffen.

ein?

zu geben, ein bisschen mehr Stunden

Gesche Gloystein: Uns hat es sehr

Elke Flake: Also ich glaube, Beratung

möglich zu machen und auch für den

geholfen, die Beratung in Anspruch

ist schon deshalb wichtig, weil jemand

laufenden Betrieb besser aufgestellt

nehmen zu können und dadurch eine

den Prozess begleitet, strukturiert

zu sein. Und das sollte im März/April

Verbindlichkeit und Kontinuität auf­

und eine gewisse Verbindlichkeit der

alles richtig anlaufen. Corona war für

rechtzuerhalten. Die Seefelder Mühle

Treffen erzeugt. Ob man sich sonst

alle eine Vollbremsung und sie muss­

wird sicherlich weiter daran arbeiten.

als Gruppe konstant trifft, wenn kein

ten in Kurzarbeit. Zum Glück haben

Viele Dinge, die wir dieses Jahr noch

Druck dahinter ist, da bin ich mir

wir sofort Hilfe der N-Bank fürs Café

nicht umsetzen konnten, werden

nicht so sicher. Außerdem sind der

bekommen. Damit war das Gröbste zu

dann hoffentlich im nächsten Jahr

Blick von außen und eine Moderation

bewältigen.

umgesetzt werden.

der Workshops und Gespräche oft

Für den Kulturbereich war es anfangs

Karu Grunwald: Wir haben eine Basis

im Changeprozess für sehr sinnvoll,

bung dort ein bisschen mehr Sicherheit

hilfreich. Also ich halte die Beratung eine schöne Ent­spannung, da wir mal

geschaffen, auf der wir die nächsten

wobei ich natürlich kein objektives

ein bisschen Luft zum Durch­atmen

Jahre überleben können. Strukturell

Urteil als Beraterin abgeben kann.

hatten. Das Telefon nicht mehr ganz so

ist geklärt, wie Haupt- und Ehrenamt

viel klingelte und auch nicht mehr ganz

zusammenarbeitet, dass wir weiter Eh­

Daniela Koß: Vielen Dank für das Ge- spräch!

so viele Leute mit vielen Extraanliegen

renamtliche finden müssen und dass

im Büro standen. So konnten wir uns

die Aufgabenverteilung im Moment

ein bisschen sammeln und auch den

gut funktioniert. Wir haben eine fi­

Changeprozess voranbringen. Beson­

nanzielle Sicherheit, die wir vorher nie

ders mit Blick auf die Homepage und

hatten. Das ist das eine. Das andere ist,

unsere geplanten Publikationen. Alles

dass wir eine Verortung der soziokul­

mit der Werbeagentur zu kommunizie­

turellen Projektarbeit für uns gefun­

ren, braucht einfach viele Gedanken

den haben. Sie ist ein Bestandteil des

und Zeit. Daher hat uns die Situation

Vereins geworden. Und ich habe das

auch ein bisschen geholfen. Außerdem

Gefühl, dass wir auf einer neuen Ebene

haben wir Investitionsanträge gestellt,

der Professionalisierung angekommen

die auch bewilligt wurden.

sind. Wir haben durch den bisherigen Prozess so viel erreicht, und jetzt kom­

86

Weitere Informationen zum Programm sozioK_change finden Sie unter http://www.soziokultur-change.de/


BIOGRAFIEN : G esche Gloys tein ist Kult u rschaf fende dem Studium hinter, neben der Szenischen und auf der Bühne. Nach Kü ns te an Oldenburgisch der Universitä e Staatstheate t Hildesheim r ha ge t es sie ans zogen. Von 20 gin für Niede 12 bis 2015 w rdeutsches Sc ar si e dort Dramatur hauspiel und in Kontak t. A kam nachhalt ­ us dieser Täti ig mit der Re gk gionalsprach ei t entw ickelten PL ATTart-Fes e sich auch ihr tival und eine Engagement Tätigkeit als für das bis 2020 war Au to ri n und Poet ry-S sie Geschäf ts lammerin. Vo führerin des n 2017 Soziok ulture und hat vere llen Zent rum insget ragene s Seefelder M Kulturarbeit ühle im ländlichen 2020 ist sie ve rant wortlich Raum umgese für die Fachst tzt. Seit Ende Landschaft un el le Plattdeutsch d setzt eigene bei der Emslän Projek te um, dischen derung für de au ßerdem betreu n Bereich nie t sie dort die derdeutsche Kulturför­ Kultur.

Karu-Levin Grunwald-Delitz hat Kulturwissenschaften, Sozial- und Schreibpäda­ gogik studiert. Seit 2015 arbeitet er als Geschäftsführer für den KulturKreis Gro­ nau e. V. Dort war er maßgeblich für den Changeprozess und die Einführung der Projektarbeit verantwortlich. Neben dieser Tätigkeit arbeitet er als freischaffender Schreib- und Theaterpädagoge und ist bildungspolitisch im Bereich Geschlechter­ vielfalt tätig.

Valeska R ic ht er machte in den 1980er Ja bildung zur Au hren als eine der ersten Fr tomechaniker auen eine Au in in Berlin. A nfang der 19 s­ A ls Großstad 90er Jahre in tflücht ling zo s aufständisch g es si e ab rin des Westw er e Wendland. Heute ist sie G endischen Ku nstvereins in eschäf tsführ beim Kultur ve e­ Gartow und en rein Platenla gagiert sich ha ase. uptamtlich

m urelle Zent ru das soziok ult re h Ja er 80 in ehren­ der 19 ute A nfang s Zent rum re ba da e e rd ak u Fl w re ke er Ja h in Dr. El g mit auf. Vi häftsf ührend Braunschwei tamtlich gesc up ha e si ar Br unsv iga in 19 w 19 war sie Ab 1985 bis 20 n 1991 bis 20 n. Vo be g. ie ti tr tä be n h efi nzch d amtlic ngs- und Fina dersachsen un ziok ultur Nie a als Verwaltu ig So t sv af un ch Br ns r ei de tet, unter beitsgem der Landesar ten und beglei n ra ri be te it ra be be ar al Kultur in Region n Fragen der icklung und ffende in alle isat ionsent w ha an sc rg ur O lt r Ku de t , ha it 2006 pterstellung und zudem se in der Konze raterin ak tiv be ur lt anderem auch Ku e ei t sie als fr ssen. Heute is Changeproze g. Braunschwei Stadtrates in Mitglied des

Ländliche Räume

87


2 FRAGEN AN … PEX – PERFORMIN G EXCHANGE F Ü R NIEDERSACH SEN Wie prägen die freien Darstellenden Künste die kulturelle Identität in ländlichen Räumen?

Das

soziale

Zugehörigkeitsgefühl

zur

Geschichte und Gegenwart ländlicher Regionen zu entwickeln, ist eine ständige Suchbewegung: persönlich, wandelbar – sicher nie ungebrochen. Verschiedene Formen der professionellen Darstellenden Künste siedeln sich – wenn auch rar gesät, weil dem unternehmerischen Existenzri­ siko ausgesetzt – von den „Speckgürteln“ bis in die „peripheren“ Regionen Nieder­ sachsens an und realisieren kurz- oder langfristige Kunstprojekte. Freie Theater, vom Figurentheater mit fester Spielstätte bis zum tourenden Performancekollektiv, leisten außerhalb der Ballungszentren Vielfältiges: Sie setzen sich per Open Air oder in umgebauten Kuhställen künstle­ risch mit Geschichte(n) und der eigenen Umgebung auseinander. Sie überschreiten die Grenzen zwischen Spielenden und Publikum und erreichen so den direkten Austausch mit den Dorfbewohner*innen.

88


Sie bringen ­(unterrepräsentierte) ländliche Themen in die Kunst, indem sie z. B. lokale Praktiken aus den Dörfern adaptieren und in diesen Formaten künstlerisch arbeiten. Sie erzählen globale wie regionale Stoffe mit bekannten popkulturellen Motiven und sind Publikumsmagnet über den Ortskern hinaus: Die Leute aus der Stadt fahren dann für ein Kulturerlebnis hinaus aufs Land. Sich auf die Lebenswirklichkeit vor Ort zu beziehen und mit dem Publikum ein Miteinander zu kreieren, ist Anspruch und Gelingensbedingung für die freie Szene. Gelingt es darüber hinaus, den Blick über den Dorfrand zu werfen und in einer glo­ balisierten Welt neue Wege für ein sich veränderndes „Wir“ zu gehen, werden auch längere Wegstrecken sowohl vom Publikum als auch von den Macher*innen selbst auf sich genommen. Um dennoch Freie Theater

Welche Rolle spielen Kooperation und Mobilität in ländlichen Regionen?

auch in „entlegenen“ ländlichen Regionen zahlreicher auftreten und hier attraktive Beziehungsarbeit leisten zu lassen, müssen sie sowohl finanziell als auch durch Schlüs­ selpersonen vor Ort beratend besser unter­ stützt werden.

Ein Impuls, den PEX in die Szene geben will:

Zunächst einmal genau hinzuschauen, um

Beantwortet von

sich und die eigene Vermittlungsarbeit besser kennenzulernen. Dabei ist schon

Hannah Jacob

jetzt deutlich geworden: Die Freien Theater

Geschäftsführung Landesverband

auf dem Land schaffen künstlerische Ge­

Freier Theater

sprächsanlässe auf Augenhöhe und für alle!

Niedersachsen e. V. Ländliche Räume

89


… N A N E G A 2 FR G N U T STIF T H C I L I E R F M U E S MU G R E B E K E I AM K Welche Bedeutung haben Museen in ländlichen Regionen?

Museen in ländlichen Räumen können sich – weit über ihre zentralen Museumsaufgaben hinaus – eine vielgestaltige Bedeutung erar­ beiten. Das Interesse der Bewohner*innen ist in vielen Orten vorhanden, es muss jedoch aktiv befördert werden. Museen können mit ihrem Umfeld wirken und als Kulturort für gemeinsame Kulturarbeit stehen, als Ort für regionale Kreativität, Wissenstransfer und Begegnung. In einem sich seit längerem wandelnden Umfeld im ländlichen Raum können sie sich zu einem nichtkommer­ ziellen Raum entwickeln, der bestenfalls gemeinschaftsbildend für Besucher*innen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Bildungsstand, wirkt. Der Erfolg: Der* Die klassische teilnehmende Besucher*in wird zum*zur Kollaborateur*in. Hier gilt es, aus Museumssicht eine Grenze auszuloten: Wie viel Freiheit kann die Institution zulas­ sen, wie viele Restriktionen muss sie (z. B. aus konservatorischer, museumsethischer, ausstellungs­didaktischer Sicht) einsetzen?

90


Peripherisierungs- und Marginalisierungs­ phänomene auf der einen, zunehmende Siedlungstätigkeit auf der anderen Seite ver­ ändern traditionelle Gemeinschaftsstruktu­ ren in Dörfern und fördern eine Anonymität und Austauschbarkeit. Museen können zur Identifikation mit dem Lokalen beitragen, zur Gemeinschaftsbildung. So können sie zum Beispiel Treffpunkt sein, an dem unterschiedlich interessierte Menschen au­ ßerhalb bestehender, symbolisch exkludie­

Wie können Museen die Transformation des ländlichen Raums mitgestalten?

render Gruppen aufeinandertreffen – zum reinen Plausch, für kreative Projekte oder die Verwirklichung gemeinschaftlicher Ideen. Museen können aber auch Image­ träger sein – für den einzelnen Ort, aber auch für den ländlichen Raum an sich. Die positive Wahrnehmung und Anerkennung von außen unterstützt die Identifikation mit dem Ort, hält Fachkräfte und Gewerbe oder zieht sie an und wirkt nachhaltig positiv in die Gemeinschaft.

Ein Beispiel aus dem Mühlenmuseum Moisburg, einer Außenstelle des Freilichtmuseums am Kiekeberg

Das Mühlenmuseum in der historischen Wassermühle im Dorfkern des kleinen Ortes Moisburg eignet sich ideal als nichtkommerzieller Treffpunkt. Seit 2018 hat sich ein ehrenamtlich organisierter, platt­ deutscher Kaffee-Nachmittag vor allem für die älteren Menschen aus der Region etabliert: der Moisburger Mühlenschnack. „Muttersprachler*innen“ laden jeden Monat interessante Gäste ein, die zu einem Schwer- punktthema referieren, auf Platt singen oder aus eigenen Büchern lesen. Die Themen wer­

Beantwortet von

den anschließend als Anregung genutzt – für ausführliche Gespräche bei Kaffee und

Marion Junker

Kuchen.

Stabsstelle PR + Marketing Ländliche Räume

91


… N A N E G A 3 FR G N U T STIF M I E B R E T L E W Z R A H Die Stiftung vereint die Stärken des Weltkulturerbes im Harz. Welche Vorteile bringt die Kooperation?

Zur Entwicklung des Weltkulturerbes im Harz haben sich unter dem Dach der Stiftung Bergwerk Rammelsberg, Altstadt von Goslar und Oberharzer Wasserwirtschaft (Stiftung Welterbe im Harz) maßgebliche Stakeholder zusammengeschlossen. Die Stiftung hat als primäre Aufgabe das Ziel der Erschließung und Vermittlung des Welterbes. Zum Welterbe im Harz gehören zahlreiche kleinere Museumseinrichtungen, die vor dem Hintergrund einer Ressourcen- und Finanzausstattung, die lediglich den All­ tagsbetrieb abgedeckt, ohne das TRAFOProjekt nur schwierig in der Lage gewesen wären, konzeptionelle Überlegungen oder Planungen anzustrengen oder in die Tat umzusetzen. Von besonderer Bedeutung war zudem, dass mit dem Projekt Finanzzuweisungen von Kommunen für den Regelbetrieb der Einrichtungen verbindlich und auf eine Zeitdauer fixiert festgelegt werden konnten.

92


Die bestehenden Erinnerungsorte der Indus­ triekultur sind als der Versuch der Rekon­ struktion einer ehemaligen Arbeitswelt aus der Subjektivität der lokalen Akteur*innen heraus zu verstehen. Bei der Transformation zu Vermittlungs­ orten ging es um einen konzeptionellen

Wie konnte der Wandel zu Vermittlungsorten gelingen?

Ansatz, der unter Herausarbeitung von Alleinstellungsmerkmalen der Einzelein­ richtungen, der Verwendung von repräsen­ tativen Exponaten und der Hinzufügung museumspädagogischer Experimente die Wahrnehmungsform der Gegenwartsgene­ ration mit dem Wissen vergangener Genera­ tionen verknüpfen sollte.

Der Wandlungsprozess der kulturellen Orte wurde im Kontext eines engmaschi­ gen Partizipationsprozesses mit lokalen Akteur*innen, Schüler*innen sowie unter­ schiedlichen Vereinsstrukturen realisiert. Teile der Akteur*innen begriffen die Welt­ erbeeinrichtungen schon vor Prozessablauf als Teil ihrer Identität, andere, wie etwa Schüler*innen, begannen sich zunehmend mit den Objekten zu identifizieren.

Welche Rolle spielen die Kulturorte für den Identitätswandel der Region?

Deutlich wurde, dass die Institutionen als faktisch „generationsübergreifende Beglei­

Beantwortet von

ter“ angesehen wurden.

Gerhard Lenz M. A., Geschäftsführer/Stiftungsdirektor Ländliche Räume

93


D N U E H C I L T F A H C S T WIR N E T A D E H C RECHTLI

Die Stiftung Niedersachsen wurde 1987 als Stiftung bürger­

Seit ihrer Gründung hat die Stiftung 3.500 Projekte mit

lichen Rechts mit Sitz in Hannover gegründet. Sie fördert

116,7 Mio. Euro gefördert. 2020 wurden 4,7 Mio. Euro für

Kunst, Kultur, Bildung und Wissenschaft in Niedersachsen

Förder­z wecke ausgeschüttet.

und trägt mit der Unterstützung von Projekten Dritter und eigenen Programmen zur Entwicklung des Landes im Inter­

Gemäß ihrer Satzung verwaltet die Stiftung auch Zuwen­

esse des Gemeinwohls bei.

dungen, die mit einer besonderen Zwecksetzung versehen sind. Durch die Übernahme solcher treuhänderischer

Zum 31. Dezember 2020 betrug das Stiftungskapital 56 Mio.

Stiftungen unterstützt sie mit ihren Erfahrungen privates

Euro. Es ist im Wesentlichen in festverzinslichen Wertpapie­

auf Gemeinwohl bezogenes Engagement. Mit der Konrad

ren und ­A ktien angelegt. Im Eigentum der Stiftung befinden

Liebmann-Stiftung, die ein umfangreiches Dürer-Konvolut

sich zusätzlich Kunstwerke im Wert von 7,4 Mio. Euro.

umfasst, und der Richard und Dietrich Moderhack-Stiftung, die die Forschung zur niedersächsischen Landesgeschichte

Neben den Erträgen aus dem Vermögen in Höhe von

fördert, befinden sich zwei treuhänderische Unterstiftun­

1,0 Mio. Euro partizipierte die Stiftung im Jahr 2020 gemäß

gen in der Obhut der Stiftung Niedersachsen.

dem Niedersächsischen Glücksspielgesetz an der Glücks­ spielabgabe in Höhe von 4,8 Mio. Euro.

94


R E D N E I M GRE N E S H C A S R E D E I N G N STIFTU 2020

Präsident

Senat

Dr. Gunter Dunkel

Michael Becker Prof. Dr. Ulrike Beisiegel

Generalsekretärin

Dr. Jan B. Berentzen

Lavinia Francke

Heinz-Günter Bongartz Maria Bruns

Verwaltungsrat

Edelgard Bulmahn

Dr. Gunter Dunkel, Präsident

Dr. Gunter Dunkel

Edelgard Bulmahn, Vizepräsidentin

Lavinia Francke

Jörg Waskönig, Schatzmeister

Kirsten Gerberding Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu Dr. Thomas Köhler Dr. Karl-Hinrich Manzke Belit Onay Prof. Dr. Susanne Pfleger Monika Schnetkamp Dr. Annette Schwandner Björn Thümler Prof. Dr. Thomas Vogtherr Jörg Waskönig

Die Stiftung Niedersachsen

95


M U S S E R P M I Geschäftsstelle der Stiftung Niedersachsen Lavinia Francke | Generalsekretärin Monika Drees | Stiftungssekretariat Dr. Gesa Schönermark | Musik, Literatur, Wissenschaft und Bildung Daniela Koß | Theater und Soziokultur Dr. Tabea Golgath | Kunst und Museen Katharina Nitsch | Presse und Kommunikation Dr. Matthias Dreyer | Leiter Verwaltung Claudia Thiesing | Assistentin Verwaltung Sieglinde Prüßner | Sachbearbeiterin Verwendungsnachweise (bis Juni 2020) Gabriele Kranz | Sachbearbeiterin Verwendungsnachweise (seit Juni 2020) Tanja Scheimann | Projekt- und Verwaltungsassistentin

Stiftung Niedersachsen

Digitalisierung der Bildstrecke

Sophienstraße 2 | Künstlerhaus

Rüdiger Lubricht Fotografie, Worpswede

30159 Hannover Telefon: +49 (0)511 9 90 54-0

Realisation

Telefax: +49 (0)511 9 90 54-99

Dievision · Agentur für Kommunikation GmbH, Hannover

info@stnds.de | www.stnds.de Druck Redaktion

Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH, Langenhagen

Katharina Nitsch Auflage Korrektorat

730 Exemplare

Wieners+Wieners GmbH, Ahrensburg Redaktionsschluss Transkription Gespräche sozioK_change

27. Januar 2021

Stefanie Saier, Berlin Papier Umschlag: Papiersorte Rives Design (natur), Innenteil: Munken Pure (gelblichweiß)

96


E S I E W H C BILDNA

Fotografen: Klaus Dierßen, Hildesheim und Ditmar Schädel, Kevelaer Orte, in denen die Fotografien zwischen 1991 und 1995 aufgenommen wurden: S. 44/45: Klaus Dierßen | Wernigerode S. 46/47: Ditmar Schädel | Quedlinburg S. 48/49: Klaus Dierßen | Nordhausen S. 50/51: Klaus Dierßen | Magdeburg S. 52/53: Klaus Dierßen | Quedlinburg S. 54/55: Klaus Dierßen | Magdeburg S. 56/57: Ditmar Schädel | Sangerhausen S. 58/59: Ditmar Schädel | Berlin S. 60/61: Klaus Dierßen | Wernigerode S. 62/63: Ditmar Schädel | Zarrentin S. 64/65: Ditmar Schädel | Quedlinburg Alle Abbildungen aus: Klaus Dierßen, Ditmar Schädel: DANACH UND DANACH. Texte von Dieter Lüttge und Jan Berg Im Buchhandel erhältlich ISBN 3-922469-88-4 Die Stiftung Niedersachsen

97


Künstlerhaus | Sophienstraße 2 | 30159 Hannover Telefon: +49 (0)511 9 90 54-0 | Telefax: +49 (0)511 9 90 54-99 www.stnds.de | info@stnds.de


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.