JITTER .Rezension Felix Scheinberger: Mut zum Skizzenbuch

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Und nicht vergessen: Tragen Sie eine Sonnenbrille! Felix Scheinberger Mut zum Skizzenbuch Von D ieter Jüdt

Magazin für Bildkultur

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// Denn wenn jemand blindlings Farbe aufträgt, und seien sie noch so schÜn, dann vermag er nicht ebenso gefallen, wie wenn er eine klare Umrisszeichnung herstellt. // Aristoteles, Poetik


Und nicht v e r g e ss e n : Tragen Sie eine Sonnenbrille! Von D ie te r Jüdt

Felix Scheinbergers »Mut zum Skizzenbuch Zeichnen & Skizzieren unterwegs«

Wie zeichnet man jemanden, der ausdrücklich nicht gezeichnet werden möchte? Wie stellt man etwas dar, was empirisch nicht vorhanden ist? Und wie verliert man als Zeichner nicht den Kopf? Diese und eine Vielzahl weiterer für Zeichner und Skizzierende essentielle Fragen, beantwortet der umtriebige Illustrator und Buchkünstler Felix Scheinberger in dem Band »Mut zum Skizzenbuch«, erschienen im Verlag Hermann Schmidt, Mainz.




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chon mal vorab: auf seinen insgesamt 160 Seiten bietet das vorliegende Handbuch verdammt viel zum Thema »Zeichnen & Skizzieren unterwegs«, wie es im Untertitel heißt. Von der Format- und Papierwahl des anzuschaffenden Skizzenbuchs, über Vor- und Nachteile verschiedener Zeichenutensilien, Exkursionen zu Perspektive und Proportion, bis hin zu Verhaltenstipps beim Zeichnen im öffentlichen Raum, behandelt der Autor ausführlich wichtige Aspekte rund ums Skizzenbuch. Themen aus dem beruflichen Alltag des Illustrators wie »Idee und Ausdruck«, »Karikatur« oder »Digitale Medien« werden homogen mit eingebunden. Kombiniert werden die nicht selten angenehm ironischen Ausführungen durchgängig mit zahlreichen Abbildungen – oft komplette Doppelseiten (manche leider in starker Verkleinerung) aus den Skizzenbüchern des Autors. Und wer die Arbeiten des Illustrators Scheinberger kennt, kann sich ausmalen, dass diese Zeichnungen, vorrangig in Fineliner, Kugelschreiber oder auch Buntstift- und Aquarelltechnik ausgeführt, viel zur Attraktivität des Buches beitragen. Die Kombination aus griffigen, präzisen Anleitungen und originellem, trotzdem anschaulich erklärendem Bildmaterial, wirkt unmittelbar motivierend und macht das Buch zur Empfehlung für alle am Medium Zeichnung Interessierten. Dabei lebt »Mut zum Skizzenbuch« vor allem auch von der spürbaren Praxiserfahrung des Autors als »Zeichner on the Road«, die Felix Scheinberger mal auf den New Yorker Times Square, in die Altstadt von Istanbul oder auch in ein Flüchtlingslager der Fatach führt. Ergänzend könnte man den didaktischen Ausführungen des Buches noch hinzufügen, dass zum Beispiel außergewöhnliche Formate, also extremes Hoch- oder Querformat, den Einstieg ins Skizzenbuch spürbar erleichtern. Auch die Empfehlung, den Radiergummi zuhause zu lassen, da er die Spontanität beim Zeichnen eher bremst und den konstruktiven Umgang mit »Verzeichnetem« im Wege steht, hätte gut ins Buch gepasst.

»eine Skizze ist ein Stück Zeit...« Obwohl die Kapitel »Licht und Schatten«, »Schatten und Licht« dieses für jeden Zeichner essentielle Thema beleuchten, wäre, wie übrigens auch zu den (akademischen) Themenfeldern »Positiv-Negativformen« oder »Verdichtung-Streuung«, eine weitere Vertiefung durchaus denkbar. Wobei diese Aspekte in Gestalt der abgedruckten Zeichnungen natürlich trotzdem präsent sind. An mancher Stelle wünscht man sich dann auch, der Verlag hätte den Mut gehabt, die Zeichnungen noch konsequenter für sich selbst sprechen

zu lassen. Warum nicht zwei, drei Doppelseiten in Folge nur mit dem faksimlierten Abdruck aus den Scheinbergerschen Skizzenbüchern füllen? Über die fachlichen Qualitäten hinaus gewinnt das Handbuch dann nochmals durch seine poetisch-philosophischen Reflektionen: »Eine Skizze ist nicht nur eine Abbildung der Wirklichkeit, eine Skizze ist ein Stück Zeit...« An diesen Stellen wird deutlich, dass Zeichnen weit mehr ist, als bloßes Handwerk; für den Zeichner ist es tatsächlich die Möglichkeit, sich der Welt zu stellen, sie sich anzueignen und manche Dinge – und sei es nur für das eigene Skizzenbuch – zu bewahren.

INTERVIEW Dieter Jüdt im Gespräch mit Felix Scheinberger: Jüdt ������� An wen richtet sich »Mut zum Skizzenbuch«? Scheinberger �� Ganz klar an Studenten und Fachpublikum. Es geht tatsächlich darum, mit oder vielleicht auch trotz einer gewissen Vorbildung, Spaß am Zeichnen zu haben. Jüdt ������� Du warst gerade als »reisender Zeichner« oder »zeichnender Reisender« in den USA. Scheinberger �� Ich war in Pennsylvania und in Philadelphia. Für einen Zeichner ein ganz schöner Knaller. Man erwartet dort natürlich diese ganzen US-Klischees: Rotgesichtige Baseballkappenträger, White TrashTypen mit T-Shirts »We support our troops« u.ä. Überraschend war – und das gab’s vor ein paar Jahren nicht –, man sieht dort in den Städten zwischen den vielen geschlossenen Läden und Bible-Clubs in manchen Schaufenstern auch große Plakate mit


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»We support the earth«... In diesen Ecken des Landes dominierte ja früher die produzierende Stahlindustrie Amerikas. Dort findet man riesige Stahlwerke, die sehen tatsächlich aus wie rot-schwarze Gegenentwürfe zu Neuschwanstein – rostige Schlösser aus Stahl, in denen der Teufel wohnt. Die verfallen und das ist ein irrer Anblick. Hunderte von Metern hoch, gigantisch. Auch zum Zeichnen und Malen gigantisch!

ja nicht objektiv dokumentarisch ab. Scheinberger �� Das Potential wird tatsächlich bisher kaum erkannt. Es gibt aber trotzdem gelegentliche Versuche. Das Magazin Designers Digest hat z.B. im vorletzten Jahr den Fotografen Stefan Enders und mich nach Istanbul geschickt, um das in Form einer Reportage mal direkt zu dokumentieren und gegenüberzustellen. Wie sieht ein Zeichner die Welt und wie sieht ein Fotograf die Welt?

Jüdt ������� Bei solchen Reisen arbeitet man als Zeichner – man könnte sagen: journalistisch. Scheinberger �� Das ist auch mein Anliegen. Für mich – und auch für andere – die Welt greifbar zu machen.

Jüdt ������� Im Gegensatz zu den meisten Illustratoren bist du jemand, der primär aus seinen Skizzenbüchern schöpft. Scheinberger �� Unbedingt.

// Also ich schreibe auch Dinge in die Skizzenbücher, die vielleicht gar nicht visuell bedeutsam, mir aber persönlich wichtig sind. // Jüdt ������� Zu schade. dass dieser Ansatz und das damit verbundene Potential von den Medien, von Verlagen und Redaktionen überhaupt nicht erkannt wird. Fotojournalismus ist bequemes »bussiness as usual«, einen Zeichner Bericht erstatten zu lassen, mit seinen Augen, mit seiner Handschrift, ist für viele immer noch schwer vorstellbar. Obwohl ja auch jeder Fotograf »filtert«, auch er bildet

Jüdt ������� In der Regel arbeitet das Gros der Illustratoren auf die übliche Art und Weise: Man bekommt einen Auftrag, macht eine Skizze, die Reinzeichnung und so weiter. Dein eigentliches Werk scheint mir aber weniger aus Auftragsarbeit, als vielmehr aus deinen unzähligen Skizzenbücher zu bestehen. Scheinberger �� Das ist tatsächlich so. Ich mache ja auch viel Buchund Editorialillustration. Da benutze ich teilweise Originale aus Skizzenbüchern die ich digital weiterverwerte oder aber, was viel häufiger passiert, arbeite ich mit Bildideen und Vorlagen basierend auf meinen Skizzenbuchmotiven. Der übliche Weg ist ja eher bei der Bildsuche Google oder ähnliches zu nutzen, z.B. wenn ich die Abbildung eines Fuchses benötige. Durch die hierarchische Gliederung der Suchmaschinen googlen natürlich alle Illustratoren denselben Fuchs. Und möglicherweise ist dann der Fuchs aus meinem Skizzenbuch lang nicht so super wie der Fuchs eines supertollen Tierfotografen …


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Jüdt ������� Aber es ist dein Fuchs … Scheinberger �� … aber es ist mein Fuchs. Jüdt ������� Funktionieren deine Skizzenbücher für dich als visuelle Tagebücher? Scheinberger �� Ja, ganz klar. Also ich schreibe auch in die Skizzenbücher rein. Auch Dinge, die vielleicht gar nicht visuell bedeutsam sind, die mir aber persönlich wichtig sind und die vielleicht später auch zu einem Bild werden. Jüdt ������� Ungewöhnlich ist auch, dass ein Verlag, der seinen Schwerpunkt normalerweise auf das Thema Typographie oder GraphikDesign legt, ein Buch übers Zeichnen publiziert. Scheinberger �� Stimmt, und die Zusammenarbeit mit dem Verlag

Alle Abbildungen © Felix Scheinberger Titelfoto © Norbert Köllschen

Hermann Schmidt wird noch weitergehen. Zur Zeit arbeite ich an einem Buch, bei dem es auch wieder ums »Machen« und »Mut machen« geht. Der Schwerpunkt wird diesmal das Thema »Farbe« sein.

Der Autor ist Illustrator und Dozent für zeichnerische Fächer an der Fachhochschule Trier. Felix Scheinberger: Mut zum Skizzenbuch – Zeichnen & Skizzieren unterwegs Verlag Hermann Schmidt, Mainz 160 Seiten, durchgehend vierfarbig Format 17 x 24 cm Halbleinenband mit Prägung und metallverstärkten Ecken € 29,80 www.typografie.de www.felixscheinberger.de




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