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FALL YU’91
Sicherungseinsatz an der Staatsgrenze – Eintragung im Wehrdienstbuch, Erinnerungen für die Ewigkeit …
EINDRÜCKE AUS DAMALIGER SICHT EINES MILITÄRAKADEMIKERS
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Bericht und Fotos: Oberst Bernhard Schulyok, MA
Der Zerfall Jugoslawiens hatte im Juni/Juli 1991 direkte Auswirkungen an der österreichisch-slowenischen Grenze. Auslöser war die Unabhängigkeitserklärung Sloweniens und Kroatiens am 25.06.1991, worauf die Jugoslawische Volksarmee (JNA) unter Führung Serbiens einmarschierte mit dem Ziel, Grenzübergänge, Flughäfen u.a. in Besitz zu nehmen, um die Souveränität des Staatenbundes aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen. Verlauf und Ergebnis sind bekannt, ich möchte mich daher anschließend auf persönliche Eindrücke beschränken – gewisse Unschärfen sind naturgemäß dabei nicht auszuschließen.
Zum genannten Zeitpunkt war ich als Militärakademiker, Fähnrich 2. Jahrgang, Waffengattung Jäger, als Zugskommandant auf Seiten ORANGE bei der damaligen 14tägigen Abschlussübung der Theresianischen Militärakademie (TherMilAk) in Kärnten mit anderen Militärakademikern und Grundwehrdienern im 8. Monat, die Ende Juni abrüsten sollten, unterwegs. Thema war Sicherungseinsatz an der Staatsgrenze, mehr Zufall als Geistesblitz, werden doch Ort und Thema zumeist rund ein Jahr davor festgelegt, aber doch ein glücklicher Zufall. Denn Teile der Partei BLAU marschierten dann direkt von der Abschlussparade der Übung am 28.06.2021 aufgrund der verschärften Lageentwicklung im Nachbarland in den Sicherungseinsatz an der Staatsgrenze, wo sie mit anderen alarmierten Teilen des Bundesheeres eingesetzt waren.
Ich hingegen verlegte mit den Grundwehrdienern zurück nach Götzendorf, wo sie erleichtert abrüsten durften, während ich mich später mit Grundwehrdienern mit wenigen Wochen Ausbildung wieder an der Grenze konfrontiert sah. Den Einsatzbeginn verfolgte ich dann zunächst am Wochenende vor dem Fernseher. Mangels anderslautender Befehle erschien ich am Montag, 01.07. mit Aktenkoffer bewaffnet zur Taktikausbildung, wie die anderen Vertreter der ehemaligen Partei ORANGE – nach dem Kriegsrat der Führungsspitze wurden wir nachmittags mit legendären MTW Steyr D680 stundenlang nach Kärnten verfrachtet, wo nach einem kurzen Empfang durch den damaligen Bataillonskommandanten TherMilAk, die Fähnriche des 3. Jahrgangs wieder zur Dienstprüfung zurückgesandt wurden. Aus den Angehörigen des 1. Jahrgangs und uns 12 Jägern des 2. wurde zunächst die Korpsreserve gebildet, die am nächsten Tag mit der Masse der Hubschrauber des Bundesheeres im Tiefflug über den Wörthersee (Walkürenritt von „Apokalypse Now“ im geistigen Ohr) zum Landwehrstammregiment 53 in Straß verlegten. Die dortige Einweisung in die Lage durch den Regimentskommandanten wurde durch eine Alarmierung unterbrochen – JNA versuchten auf Höhe Spielfeld eine grenznahe Karaula (Grenzstation) zurückzuerobern, die Gefahr der Ausweitung von Kämpfen über die Staatsgrenze war gegeben. In Windeseile wurden kistenweise Munition, Splitterhandgranaten, PAR 70, PAR 66/79, MGs ausgegeben, formiert und gesichert ein Riegel an der Staatsgrenze bezogen. Hinter uns wurde aus dem Küchenpersonal u.a. inzwischen eine neue Reserve gebildet – wie im Lehrbuch! Querschläger abgefeuerter Panzergranaten lichteten den Wald über unseren Köpfen, Äste und Blätter bedeckten uns im Riegel – unsere Feuertaufe. Dies war der Beginn nachfolgender häufiger Patrouillentätigkeit oft direkt an der Staatsgrenze, so wie motorisierte Nachtpatrouille entlang der südsteirischen Weinstraße oder anderer nächtlicher Aktivitäten im Mondeslicht. Allmorgendlicher fünfminütiger „Fußdienst“ (Exerzierdienst mit Gesang) macht dann müde Augen wieder munter.
Nach wechselnden Funktionen als Gruppenkommandant und stellvertretender Zugskommandant wurde die Korps-Reserve wieder aufgelöst (jemand beurteilte, falls etwas passieren sollte, ist gleich ein ganzer Jahrgang weg) und die Militärakademiker nach individuellem Bedarf in Kärnten und Steiermark eingesetzt.
sprünglich in den Assistenzeinsatz Burgenland hätte fahren sollen, nur wurden die Weichen in Mautern anders gestellt. Der Zugskommandant, ein WiUO, war froh über die fachliche Verstärkung, ein Trupp von uns landete beim üsMG, ein Kamerad und ich mimten zu zweit die PAR-Gruppe, real natürlich nur ein Trupp. Ich war dann letztlich Gruppenkommandant, Truppkommandant und Richtschütze in einer Person, er Lade- und Mun-Schütze. „Feuer frei auf Panzer, die die Staatsgrenze überschritten!“ – war unser klarer Feuerauftrag, meinten wir. Später stellten wir fest, dass x km hinter uns andere Kräfte zunächst mit Üb-Granaten einen Warnschuss abzugeben hätten. Mangels derartiger Munition wäre uns dies gar nicht möglich gewesen. Zum Glück wurden die rechtlichen Grundlagen Jahre später dann überarbeitet.
Danke an dieser Stelle jener gastfreundlichen Familie, bei der wir neben (!) dem Gemüsegarten unsere Stellung ausgehoben hatten, wir wurden köstlich verpflegt, durften jeden Tag Nachrichten schauen und wussten daher brandaktuell, was dann 2-3 Tage später am offiziellen Weg zu uns durchdrang. Der Melde- und Infofluss hat sich im Bundesheer seit damals beschleunigt…
Erfreulich war die Einsatzversorgung und Unterstützung. Bekamst du damals in Friedenszeiten erst nach dreimaliger Ablehnung vielleicht einen Beobachtertrupp der Artillerie mit Laserentfernungsmesser, stand damals wenige Stunden nach Anforderung ein solcher da und maß mir alle Entfernungen exakt aus, die ich fein säuberlich in der Zielpunktskizze festhielt (bis heute aufgehoben) – denn ich wollte nichts dem Zufall überlassen, wenn ich einen Panzer hätte bekämpfen müssen, 50-100-m auf oder ab macht dann schon was aus. Schliefen wir anfangs noch am Betonbo-den einer Scheune hatten wir nach wenigen Tagen ein Stockbett und Spinde. Eine Woche länger und der Eiskasten wäre auch noch da gewesen.
So aber beendeten wir mit ein paar Erkundungsaufträgen als Beitrag zu einer etwaigen weiteren Einsatzvorbereitung unseren Einsatz und kehrten mit 12.07.1991 in die Heimat der Offiziere an die TherMilAk zurück, um unsere Ausbildung fortzusetzen, mit Dank und Anerkennung der Bevölkerung, des Landes Kärnten und Steiermark und später mit der Einsatzmedaille im Gepäck.
Die Zielpunktskizze vom Panzerabwehrrohrtrupp (PAR-Trupp) Grenzübergang LANGEGG, Steiermark. Zielpunkte mit Laserentfernungsmesser der Artillerie gemessen. Sicher ist sicher!
