Jazz Festival Willisau 2021 — das Magazin

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poster: www.pank.ch


IMPRESSUM Redaktion: Pirmin Bossart, Marco Sieber & Arno Troxler Texte: Pirmin Bossart, Jana Avanzini, Christine Weber, Anja Nora Schulthess, Chantal Bossard, Meinrad Buholzer, Ramon Juchli, Bettina Richter, Benedikt Sartorius Fotos: Alessandro Petriello (Festival), Marcel Meier (Blöchlinger), Peter Gannushkin (Doro Schürch), Rowan Thornhill (Lea Maria Fries), Martin Baumgartner (Luca Sisera), Marco Castelberg (Christoph Irniger), Marco Sieber (Arno Troxler, Willisau) Gestaltung: Pank, www.pank.ch

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EDITORIAL

DAS FESTIVAL IST EIN GANZES Wir haben uns beinahe schon daran gewöhnt: An ein Publikum, das mit Masken im Gesicht einem Konzert lauscht. An Abstände zwischen den Stühlen. An einem Festtisch zu sitzen und diesen nicht wechseln zu dürfen. An ein Konzerterlebnis ohne Gastronomie und Bar. Vielleicht gewöhnen wir uns in einem Jahr auch an Besucherkolonnen, die geduldig am Eingang stehen, ihr Zertifikat vorweisen und notfalls in einem Zelt daneben schnell einen Test machen, bevor sie sich in einem eingezäunten Bereich (un)frei bewegen dürfen. Das alles ist vorstellbar und machbar. Das alles wäre dieses Jahr auch am Jazz Festival Willisau mit enorm viel Aufwand möglich gewesen. Aber ich stelle mir ein anderes Festival vor. Es ist das Jazz Festival Willisau, an dem auf mehreren Bühnen ein breites Spektrum aktueller Musik erklingt. Wo sich Leute und Szenen mischen. Wo auf dem Gelände oder am Kaffeestand diskutiert und kritisiert wird. Wo die Feuerwehrleute nach ihrer Probe im Zelt neben dem Konzertpublikum sitzen und sich die Menschen in einem unkomplizierten Ambiente wohlfühlen. Wo sie Musik hören können, aber nicht müssen, bis sie vielleicht doch mal der Gwunder packt. Oder ein Kollege sie mitschleppt. Es war ein hartes Ringen, bis klar wurde, dass ein solches Festival dieses Jahr so nicht gelingen würde, obwohl wir es genau so möchten. Ich habe mit meinem Team die verschiedensten Optionen und Varianten durchgespielt: Ein Festival ohne Festzelt, ohne Zeltkonzerte, ohne Late Spot. Ein komplett abgeriegeltes Festivalgelände, wo jeder Besucher, Musiker, Helfer ein Covidzertifikat vorzuweisen hat. Und alle Möglichkeiten dazwischen. Wir haben die Vorgaben studiert, Ideen entwickelt, Argumente gewälzt und manchmal im Zwei-

Stunden-Takt unsere Meinung radikal geändert. Daraus ist, als absolut letzte Option, die erneute Absage des diesjährigen Festivals hervorgegangen. Jeder Verzicht auf eine musikalische Bühne oder eine Dienstleistung auf dem Gelände oder im Gastrobereich würde den Erlebnischarakter des Willisau Festivals unweigerlich beschränken. Ein Festival ist kein Konzertoder Clubabend, sondern die Summe seiner vielen Teile, die mit etwas Glück zu einem genussreichen Ganzen werden. Mit einer Absplitterung des Programms und der Reduktion auf ein paar Hauptkonzerte würden wir zu blossen Konzertveranstaltern, wie sie überall sein können. Ein Festival ist mehr. Ein Festival ist ein Ort der Vielfalt und Vermischung, wo man sich frei bewegt, auswählen kann und wo spontane Begegnungen passieren.

geschränkten Bedingungen den Weg nach Willisau auf sich nehmen? Würden sich auch die Einheimischen entschliessen, spontan mal am «Jazz» vorbeizuschauen? Ich habe während der Entscheidungsfindung nie ein klares Gefühl dafür entwickeln können, dass das mit Zertifikat und umzäuntem Gelände wirklich funktionieren würde. Möglich, dass wir in einem Jahr klüger sind und uns an die Zertifikats-Durchgangstore und strukturierten Aufenthaltsbereiche gewöhnt haben werden, weil die Menschen trotzdem kommen. Das muss sich erst noch erweisen. Einige Festivals lassen sich bereits Die Musik ist und bleibt am Jazz Festival Willis- darauf ein. Für einen solchen Freilandversuch au zentral. Ohne die Konzerte geht nichts. Sie aber ist das Jazz Festival Willisau sowohl ideell sind der Anlass, warum es überhaupt Willisau wie finanziell wenig gewappnet. gibt. Umgekehrt lebt die Live-Musik – und gerade die improvisierte und experimentelle Mu- Ich liebe das Festival, wie es geworden ist und sik auf unseren Bühnen – von Menschen, die wie es sich weiterentwickeln wird. Während zuhören, sich im besten Falle von der Energie zwei Jahren kein Festival zu haben, das ist im der Musik anstecken lassen und damit wieder grossen Bogen der langen Willisau-Tradition die Musiker auf der Bühne beflügeln. Das sind noch verkraftbar. Wichtiger ist, dass der Andann die Konzerterlebnisse, die einfahren und lass auch in den kommenden Jahren seinen bleiben. Ich wünsche den Bands immer, dass Stellenwert hat. Auch wenn es sehr schmerzt: sie nicht in einem halbleeren Saal spielen Dafür nehmen wir diese Pause in Kauf. Ich müssen. Und umgekehrt auch, dass das Festi- will, dass das Festival noch lange besteht und val dank genügend Besuchern finanziell über seine Zukunft nicht mit einer halbherzigen Ausgabe riskieren. die Runden kommt. Deshalb lebt ein Festival von einer guten Anzahl von Menschen, die sich darauf einlassen. Wir haben in den letzten Jahren ein interessiertes und auch treues Publikum anziehen können. Aber wie viele würden unter den ein-

Ich freue mich aufs Jazz Festival Willisau 2022, das vom 31. August bis am 4. September 2022 stattfinden wird. Arno Troxler, Festivalleiter

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SCHÖTZ –

PARIS

MEHRFAHRTENKARTE

Die Sängerin und Komponistin Lea Maria Fries pendelt zwischen der klassischen und der experimentellen Spur. Und daneben zwischen Stilen und Ländern. Jana Avanzini

Ein gewöhnlicher Dienstagmorgen, Sonnenaufgang am Gare de Lyon, Paris. Schwarzer Kaffee. Die ersten Minuten im Zug sitzt Lea Maria Fries nur da und blickt aus dem Fenster. Die Häuser, die Wiesen und Wolken ziehen vorbei, und während der TGV auf 300 Stundenkilometer beschleunigt, beginnt ihr Blick an den hypnotisch vorbeifliessenden Stromkabeln hängen zu bleiben. Fast wöchentlich fährt sie den Weg von Paris nach Schötz und zurück. Pendeln für Fortgeschrittene. Fries entschied sich, trotz des Umzugs nach Paris vor über einem Jahr dafür, weiterhin in einem kleinen Pensum in Reiden zu unterrichten und somit beinahe wöchentlich auch in ihrer Heimat Schötz zu übernachten. Nach der ersten Viertelstunde Zugfahrt öffnet sie ihr Notizbuch und «faselt schriftlich vor sich hin», wie sie das nennt. Oder sie klappt den Laptop auf, beantwortet Mails, klärt Organisatorisches. Und es gibt da so einige Projekte zu jonglieren neben dem Unterrichten – als Performerin, Bandleaderin, Komponistin. So steht sie derzeit auch mit ihrem Partner, dem französischen Bassisten Julien Herné, im Studio. Sie bilden ein Duo, das aktuell noch ohne Namen auskommt. Viel Zeit wird sie in den nächsten Monaten jedoch mit «For a word» verbringen, und da tischt sie Jazz-Rock auf, gemeinsam mit mehreren Musikern aus Paris. Schon im vergangenen Jahr hätte sie mit dieser Combo rund 40 Konzerte spielen können, dieses Jahr stehen

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grosse Festivals in Frankreich auf der Agenda. In dem rockigen Quartett ist sie Leadsängerin und verantwortet auch die Texte. Dabei stehe ihre draufgängerische, ungezähmte Seite im Vordergrund, sagt sie – die feinen, akustischen und minimalistischen Seiten zeigt Lea Maria Fries bei 22° Halo.

international erfolgreich unterwegs. Im vermeintlichen Vakuum in der Pandemie 2020 gelangen es Fries jedoch trotz allem, in Paris immer mehr anzukommen. Das Netzwerk wird grösser, die Anfrage kommen rein. Es sieht gut aus für Lea Maria Fries. Und doch, neben dem Leben in Grossstädten wie Berlin und Paris, das sie sucht, werde sie wohl immer auch ein «Meine Rolle bleibt immer dieselbe», sagt bisschen Landei bleiben, sagt Fries. Fries – klassisch als Sängerin, die aber auch gerne mit ihrer Stimme in die Instrumenten- Dieses Mal aber sitzt sie nicht im Zug Richrolle schlüpft oder «herumnoist», wie sie das tung Land, um Schülerinnen und Schüler in nennt. Was sich verändert, das ist der Stil, das Reiden zu unterrichten. Sie reist für die Bühne Vokabular. Grundsätzlich sei sie zwischen Jazz des Jazz Festivals Willisau an, hinter der sie und Indie zuhause. «Aber ich geniesse das to- früher Künstlerinnen und Künstler betreute. tal, die Musik in all den verschiedenen Arten, «Als Teenie begann ich mitzuhelfen, um mir mit unterschiedlichem Vokabular, ausleben zu die Konzerte leisten zu können», sagt sie. Seitkönnen», sagt die 31-Jährige. her habe es kein Jahr gegeben, an dem sie nicht entweder als Helferin dabei war oder auf 22° Halo ist ein Projekt mit den Schwei- der Bühne stand. Ausser im vergangenen Jahr. zern Lukas Traxel (Bass) und Valentin Liechti (Schlagzeug) sowie dem französischen Pianis- Lea Maria Fries schloss 2014 an der Jazzabten Gauthier Toux, der jedoch beim Auftritt in teilung der Hochschule Luzern-Musik mit dem Willisau von Marc Méan ersetzt wird. Das De- Master «Gesang und Performance» ab. 2018 but-Album des Quartetts stand bereits letztes beendete sie ihren zweiten MasterstudienJahr in den Startlöchern, die Pandemie jedoch gang – Master Of Arts in Musik Pädagogik – kam dazwischen. «Light at an Angle» wurde mit Auszeichnung an der Zürcher Hochschule erst dieses Jahr veröffentlicht und wird für sei- der Künste. ne Schlichtheit gepaart mit den experimentierfreudigen, sphärischen Melodien schwer gelobt. Etwas ruhiger ist es daneben aktuell um ihr avantgardistisches Elektro-Pop-Trio Vsitor geworden. In dieser Kombination mit David Koch an der Gitarre und Valentin Liechti am Schlagzeug war Fries in den vergangenen Jahren


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GUT IN SZENE GESETZT:

AUSSENBEREICH MIT CACHET

Das Jazz Festival Willisau bietet auch im Gastrobereich stimmungsvolle Atmosphäre. Die charmante Zeltkonstruktion im Aussenbereich wird jeweils von India-Zelt gestellt, designt hat sie Stefan Geissbühler der Firma Châpiteau extra für Willisau. Christine Weber Hier verweilt man gerne! Über die gehörte Musik diskutieren, plaudernd in die Nacht hineinsitzen und ein gutes Glas Wein geniessen, oder sich in einer Pause kulinarisch verpflegen. Der Gastrobereich hat in Willisau auch optisch einen hohen Stellenwert, das wird von den Besucherinnen und Besuchern geschätzt. «Weg vom Biertisch und hin zum Bijou mit Cachet! Die Gastronomie macht gerade an Festivals sehr coole Sachen, entsprechend hat sie ein stilvolles Ambiente verdient», sagt Stefan Geissbühler, der seit über 30 Jahren massgeschneiderte Zeltkonstruktionen baut: Stilvoll und schlicht in der Form, gebaut aus leichten Materialien wie Holz, Aluminium oder Membran und aufbaubar ohne Kran oder andere grosse Geräte. Was damals ein Nischen-Angebot war, ist heute gefragt: Geissbühler kreierte mit seinem kleinen Team unzählige Zelte – für Festivals und Kulturanlässe genauso wie für private Gartenpartys oder gehobene Feiern von Prominenten. «Mein Motto war schon immer: Ein Drittel der Aufträge für Kultur, ein Drittel für ganz normale Leute und ein Drittel für die Reichen», sagt er und verweist lachend darauf, dass Letztere das Engagement im Kulturbereich überhaupt erst möglich machen. Die Konstruktionen von Geissbühler haben in jedem Fall Bezug zum jeweiligen Veranstaltungsort und harmonisieren mit der Umge-

bung. Zelt ist ja längst nicht Zelt, es gibt sie in unterschiedlichsten Ausführungen: Vom Bogendach über Hexadome bis hin zum Spitzdach ist alles möglich. Entsprechend individuell ist denn auch das Erscheinungsbild – so auch am Jazz Festival Willisau, das vor 10 Jahren unter der neuen Leitung von Arno Troxler auf Geissbühler zugekommen sei mit der Idee, den Gastrobereich neu in Szene zu setzen. «Ich finde es eine Supersache, dass die Jungen mit Herzblut parat sind, Neues auf die Beine zu stellen und es hat mich gefreut, extra für Willisau die Zelte zu entwickeln», sagt der 59-Jährige und erzählt, dass er als Zuhörer bereits am Jazz Festival Willisau gewesen sei, bevor die derzeitige Crew überhaupt geboren war. «In Willisau hat man anscheinend generationenübergreifend ein gutes Händchen, das Festival von der Bühne bis zum Gastrozelt stimmungsvoll in Szene zu setzen.» Vor vier Jahren hat Stefan Geissbühler den Teilbereich «Vermietung» seiner Firma an die Firma India-Zelt verkauft. Diese zeichnet sich seither verantwortlich, die Aussenzelte aufzustellen und dekorativ auszustatten. «Die Leute von India-Zelt machen das grandios, und auch dieses Jahr kann sich das Publikum wieder auf eine coole Stimmung unter dem Zeltdach verlassen!».

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KOLLEKTIVE KOMPROMISSLOSIGKEIT Sie organisieren sich – und erforschen im Kollektiv neue Musik- und Konzertformen. Welche kreativen Kräfte diese Organisation freisetzt, erzählen das Gamut Kollektiv und der Club Dänemark. Benedikt Sartorius

Club Dänemark Sie empfangen virtuell in einem ganz echten Raum, der so heisst wie das Kollektiv, von dem sie zentraler Bestandteil sind. Denn die vier jungen Musiker, die gemeinsam die Band Sc’ööf bilden, sitzen im Luzerner Club Dänemark. Es ist mehr als bloss ein Raum, den sie in einer ehemaligen Kranfabrik erschaffen haben: Ihr Club ist Treffpunkt, Werkstatt, Konzertraum, Bar. Ein Ort der Utopien, ein Ort der Ideen und des Experiments, ein Ort auch, an dem die Furchtlosigkeit und Neugierde wohnen. Das Kollektiv ist 2018 entstanden. «Wir schlossen uns zusammen, da wir merkten: in unserem Kreis aus Musikerinnen und Musikern wird über vieles nicht geredet», sagt Noah Arnold, Sc’ööf-Saxofonist und Kollektivmitglied. Und es sei auch jene Form gewesen, mit der man das «verhockete» Fördersystem am ehesten herausfordern konnte. 13 Personen waren sie bei der Gründung; sie zählen Musiker/-innen, bildende Künstler/-innen, Hobby-Programmierer, Menschenrechtler/-innen oder einen Bierbrauer zum Kollektiv, das als Verein eingetragen ist. Was alle diese Personen aus den verschiedenen Disziplinen gemeinsam haben, ist ein verbindender Geist des Forschens. Und auf dieser Forschungsreise in diesem sehr offenen Space, wie es die Kollektivmitglieder ausdrücken, wollen sie herausfinden, wie man zusammenarbeiten kann, wie man sich basisdemokratisch organisieren kann und schliesslich, wie man Konzerte neu erfahren kann, sowohl als Zuschauer:in wie als Musiker:in: «Wie kommen die Besucherin-

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nen und Besucher zu uns? Was passiert mit ihnen? Und was passiert mit uns auf der Bühne und mit der Musik?» Es sind solche prozesshafte Herangehensweisen und Fragen, die das Kollektiv an- und weitertreiben – was auch der Musik, die bislang unter dem Club-Dänemark-Label veröffentlicht wurde, anzuhören ist. Denn sie ist laut, riskant, heavy, weit offen gebaut – und nimmt auch einmal das Scheitern in Kauf. Ist das Kollektiv denn auch eine Form des Protests? Noah Arnold antwortet: «Wir stellen uns nicht gegen alles, aber wir legen alles in die Waagschale.» www.daenemark.club

Gamut Kollektiv

Die Grundsätze des Gamut Kollektiv: Man könnte sie herunterbrechen auf ihren Drang nach gestalterischer Freiheit und nach sozialen Austauschmöglichkeiten, den die Zürcher seit ihrer Kollektivgründung im Jahr 2015 umtreibt und immer neue Formate miteinschliesst. Es begann mit der Band, es folgten Konzertserien, die inspiriert waren von den spriessenden Jazzwerkstätten und die einen neuen Gemeinschaftssinn unter den Musiker/-innen stifteten. Und sie etablierten das international besetzte Festival, mit dem das Kollektiv weitherum bekannt wurde und bei dem sie keine Kompromisse eingehen. Dem Publikum etwas zuzumuten? Gehört zum Programm. Das Festival wird dieses Jahr nicht stattfinden; das sei ein zu fixes Ding geworden, sagt Silvan Schmid vom Kollektiv. So werden andere, noch frischere Gamut-Projekte im laufenden Jahr in den Fokus rücken: etwa ihre sorgfältig gestaltete Edition, die Konzertreihe Stuenzi und eine Website, die wie eine interdisziplinäre Ausstellung funktionieren und dank dem Schlüsselprinzip – eine vom Kollektiv eingeladene Person beginnt und gibt den Raum dann weiter – immer neue Kreise miteinschliessen soll. Mit diesen Schritten öffnet sich auch das Kollektiv, organisiert sich neu auch in verschiedenen Arbeitsgruppen mit zusätzlichen Leuten, die andere Perspektiven miteinbringen. Denn das Gamut Kollektiv sagt bei allem, was es tut, auch: Es geht nicht um uns. Es geht vor allem um den Austausch.

Sie sind vieles – eine Band, Labelbetreiber, Festivalorganisatoren – und doch sagten sich die sieben Musiker, die das Zürcher Gamut Kollektiv bilden, im Sommer 2020: So gehts nicht weiter. Da war die Pandemie, die die gewohnten Routinen durchschüttelte. Da waren vor allem aber die «Black Lives Matter»-Proteste nach dem Mord an George Floyd und die damit einhergehenden Forderungen nach mehr Diversität. Es sind Diskussionen, die gerade auch hierzulande geführt werden müssen – und die das Gamut Kollektiv verändert haben und weiter verändern werden. Weil ein reiner Männerbund? Das sei nicht mehr vereinbar mit ihren Grundsätzen, sagen sie im gamutkollektiv.com Gespräch.


«THAT’S MY CALLING – JUHUUU» Mit Fabulierlust und Forscherdrang setzt Lauren Newton ihre Stimme ein und spickt das Publikum in andere Welten. Das kindlich Verspielte, das Ernsthafte und das Humorvolle gehören bei dieser international bekannten Vokal-Künstlerin unabdingbar zu ihrer Musik.

Anja Nora Schulthess

Lauren Newton gelingt etwas, was vielen Sänger/-innen im Bereich Jazz und freier Improvisation abgeht: die Gleichzeitigkeit von Witz und Ernsthaftigkeit. Beim Blindflug-Trio, mit dem Newton am diesjährigen Jazz Festival Willisau auftritt, gibt es diese Momente, in denen die Stimme Lauren Newtons allmählich beginnt zu klingen wie das Saxofon von Sebastian Strinning, und man muss als Zuhörerin unweigerlich lachen. Und dann wieder gleicht sich der Klang des Saxofons der Stimme Newtons an, ein Ächzen, ein Seufzen, ein Schreien. «Ernsthaftigkeit und Witz gehören für mich zusammen – ich bin ja ein Mensch», sagt Newton und lacht. Sie habe sich oft gefragt, warum die freien Improvisator/-innen immer «soooo ernsthaft» seien. Irgendwann habe sie gemerkt, dass das nicht nur am fehlenden Wille der Musiker/-innen liegt, sondern auch daran, dass «die Stimme alle diese Dinge sofort machen kann: ÄÄÄCH, OOOMPFF, CHZZZ». Potenziell muss man dazu sagen, denn der Zugang zu dieser Ebene, die Newton als die «Ebene einer Zweijährigen» bezeichnet, muss erst (wieder-)gefunden werden, die fundierte Technik beherrscht sein. Immer wieder hätten Leute versucht, ihre Musik in Genres zu stecken, aber eigentlich könne man das gar nicht beschreiben, weil es eine ganz natürliche Sache sei: «Das Kleinkind macht alles Mögliche mit seiner Stimme und alles, was es damit tut, ist eine Äusserung – auch wenn man das natürlich nicht immer versteht.»

tät von Newtons Werk aus. Es reize sie, sagt Newton im Gespräch, «die Ernsthaftigkeit – ICH WILL DIR ETWAS SAGEN – und dann die andere Seite – JA, ABER ICH NEHME ZUERST EINEN UMWEG.» Letztendlich gehe es um reine Fantasie und zugleich darum, den Überblick zu behalten: «Wo bin ich, in welchem Zusammenhang befinde ich mich und was erlaube ich mir?» Manchmal gehe sie zu weit, manchmal sei sie sehr streng mit sich, sagt sie und lacht: «Aber das bin ich.»

gemerkt, dass die Bewegung sich ganz natürlich aus der Stimme ergibt.

«Warum machen Sie so eine Musik? Warum singen Sie nicht einfach einen Song?» – seit 45 Jahren wird Lauren Newton mit dieser Frage konfrontiert. Immer wieder müsse sie auf sich selbst zurückkommen und sagen: «That’s my calling, wie die Amis sagen, Berufung ist nicht so schön wie Calling. JUUHUUU.» Man ist froh um Newtons «Sturheit», wie sie es nennt, ihren Forscherdrang, den Anspruch Authentizität und Natürlichkeit sind überstra- nicht an der Oberfläche zu bleiben und dies pazierte und ausgehöhlte Begriffe und doch mit der Lust und dem Spieltrieb eines Kindes. sind sie im Falle von Newton nicht falsch. Ihre Performances wirken nie künstlich oder effekthascherisch, sondern noch in dem, was einem als Zuschauerin manchmal zu viel an Lauren Newton Lauren Newton wurde 1952 Klang, Tonhöhe oder Bewegung wird, echt. in Oregon/USA geboren und kam Mitte der «Wenn ich meine eigenen Performances an- 1970er-Jahre nach Europa. Sie ist eine der schaue, denke ich manchmal: Ah, das war et- bedeutendsten zeitgenössischen Vokal-Imwas zu viel. Es ist aber immer noch schwierig, provisatorinnen. das genau zu kontrollieren. Das kommt schon Vom Gesang bis zum Geräusch und zum einfach tief aus mir heraus und es muss dann Klang von Worten lotet sie die menschliche so PPFFF…», sagt Newton. Newtons Perfor- Stimme in ihren zahllosen Facetten aus. Sie mance jedenfalls geschieht nicht um der Per- war während zehn Jahren die prägende Stimformance willen oder – wie nicht allzu selten me des Vienna Jazz Orchestra und arbeitete – um inhaltliche Mängel oder Ideenlosigkeit mit Peter Kowald, Anthony Braxton, Bobby zu überspielen. Sie ist Teil dessen, was zusam- McFerrin, Fritz Hauser, Aki Takase oder Joelle mengehört: Stimme, Sprache, Mimik, Gestik Léandre. 2002 bis 2020 war sie Professorin und Energie. Während ihrer klassischen Aus- für Jazzgesang und frei improvisierte Musik an bildung sei sie immer stockgerade gestanden der Hochschule Luzern-Musik. Lauren Newbeim Singen, das sei ihr gar nicht aufgefallen. ton lebt in Tübingen. Als ein Kollege sie fragte, ob sie sich nicht ein wenig bewegen wolle beim Singen, habe sie angefangen «ein wenig loszulassen» und so

Diese Kleinkind-Metapher und die Ernsthaftigkeit, mit der sie Newton betont, sagt viel aus über ihre Musik, ihren Umgang mit Klangformen, Texten, aber auch mit Musiker/-innen, mit denen sie improvisiert. Auf die Frage, was eine gute Improvisation ausmache, sagt sie, es gehe um Energie, aber auch um Reflexion und Kommunikation. «Wenn wir gut miteinander kommunizieren können und eine bestimmte Form, einen Klangbereich, eine konkrete Idee um einen Text herum, sozusagen frei von der Leber weg zustande bringen, dann ist das für mich ein positives Zeichen, dass es auch nach aussen, zum Publikum geht.» Reflexion und der unmittelbare Zugang, «frei von der Leber weg», schliessen sich eben nicht aus und machen mitunter die Quali-

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«RED AND

BLACK»

– EINE GEMEINSAME LIEBE Eines der wegweisenden Alben, die am Jazz Festival Willisau aufgenommen wurden, ist «Red and Black» von Dewey Redman und Ed Blackwell. Darauf bezog sich auch der amerikanische Saxophonist James Brandon Lewis, als er mit dem Schlagzeuger Chad Taylor 2019 auf der Festivalbühne stand. Pirmin Bossart

James Brandon Lewis, «Red and Black» ist lyrisch zu sein, wie eine Stimme zu klingen. ein Mitschnitt vom Jazz Festival Willisau Auch Redmans Beziehung zum Rhythmus ist 1980. Was bedeutet ihnen dieses Album von erstaunlich. Dewey Redman und Ed Blackwell? 2019 machten Sie mit Chad Taylor das AbJames Brandon Lewis: Es gibt viele sehr gute schlusskonzert am Festival Willisau. Auch Duo-Alben, ich denke an jene von Jimmy Ly- dieses Konzert ist als Album erschienen. Wie ons und Andrew Cyrille oder Charles Lloyd mit blicken Sie auf diesen Auftritt zurück? Billy Higgins, aber «Red and Black» gehört zu den besten überhaupt. Es sind die «tunes» In Willisau haben immer wieder Musiker geund der ganze Bogen, die für mich dieses Al- spielt, die ich schätze. Leute wie Archie bum so besonders machen. Wenn ich Musik Shepp, Cecil Taylor oder die Saxofon-Schlaghöre, bin ich daran interessiert, wie sie meine zeug-Duos wie Max Roach und Archie Shepp Seele, mein Wesen berührt. Das Analytische oder Arthur Rhames und Rashied Ali (lacht). ist für die Schule oder den Übungsraum. Ich Das waren grosse Fussstapfen, in die ich zu mag es, in der Erfahrung des Hörens zu ba- treten hatte! Da musste ich einfach spielen. Dewey Redman / Ed Blackwell – den. Manchmal müssen Dinge nicht erklärt Am Konzert spürte ich die Energie, die Wärme Red and Black in Willisau (Black Saint, 1985) werden, nur gefühlt. Hat es mich erreicht oder des Publikums. Es war grossartig und wohl nicht? «Red and Black» hat mich erreicht. der beste «vibe» an einem Festival, den ich erleben durfte. Da war eine gegenseitige EnerWie nehmen Sie Dewey Redman wahr, was gie, ein Respekt auch. Das Publikum konnte löst er in Ihnen aus? erleben, dass ich die Geschichte dieser Musik kannte. Ich entdeckte Dewey Redman als Teenager. Mitte der 90er-Jahre war Joshua Redman, sein Sie haben am Festival mit «Willisee» auch ein Sohn, in vollem Gange, und zahlreiche Leute Stück von «Red and Black» gespielt. War das in meinem Alter standen auf ihn. Ich war neu- Album für Sie und Chad Taylor eine Inspiragierig, wer er war, auf seinen Hintergrund, sei- tion? ne Einflüsse. Das hat mich zu Gene Ammons, Dexter Gordon und schliesslich zu Dewey Begibt man sich in die Tradition der grossen Redman gebracht. Ich liebe seinen Sound, der Duos, muss man seine Hausaufgaben main der Tradition der texanischen Tenöre steht. chen, bevor man zusammenarbeitet oder an Ich mag die Idee der Vokalisierung, das heisst, einem bedeutsamen Festival wie Willisau

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James Brandon Lewis & Chad Taylor – live in Willisau (Intakt, 2019)

spielt. Wir suchten und recherchierten, um so vielleicht etwas Bescheidenes zur Konversation beitragen zu können, anstatt zu wiederholen, was bereits getan wurde. Im Gespräch kamen wir darauf, dass dieses bestimmte Album für uns beide ein wichtiger Einfluss war. Wir liebten «Red and Black» aus verschiedenen Gründen und hörten es getrennt zu verschiedenen Zeiten in unseren individuellen Leben. Aber dann, als wir anfingen, zusammen zu spielen, fanden wir einen gemeinsamen Boden. Es geht um die Musik als eine Erfahrung und nicht als ein wissenschaftliches Projekt. Das wäre auch in Ordnung, aber in unserem Falle teilten wir einfach die gemeinsame Bewunderung für verschiedene Alben. Und «Red and Black» war eine gemeinsame Liebe. Man darf sagen, dass Chad und ich mit diesem Album unsere Freundschaft entwickelten.

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LINO BLÖCHLINGER

IN DEN FUSSSTAPFEN DES VATERS

Fragt man Lino Blöchlinger, wie er seinen Vater heute sieht, ist die Antwort so lakonisch wie vielsagend: «Ein Farbklecks!» Sechs Jahre alt war er 1995, als Urs Blöchlinger «sich gestorben hat», um eine Formulierung von Hermann Burger aufzunehmen; in seinem 41. Lebensjahr. Wie Burger hatte er eine manische und eine depressive Seite. In der Öffentlichkeit zeigte er vor allem seine rastlose, ungestüme, mitreissende Seite. Von ihm ging eine kreative, Grenzen überschreitende Unruhe aus. Er wirbelte die Schweizer Jazzszene auf, erfrischend und inspirierend. «Einen Staubsauger, der alles aufnahm, was ihm unterkam», nannte ihn der Schlagzeuger Dieter Ulrich. Meinrad Buholzer

Schwierig und versöhnlich Er habe keine genauen Erinnerungen an seinen Vater, sagt Lino Blöchlinger. Die Beziehung zu ihm sei cool gewesen, nach seinem Tod allerdings schwierig geworden. Mit seiner Musik vertraut wurde er eigentlich erst, als Dieter Ulrich ihm die umfangreiche Diskothek von Urs Blöchlinger geschenkt hatte. Wenn er jetzt, im Rahmen des Projektes Urs Blöchlinger Revisited, seine Stücke spiele, dann habe das etwas Versöhnliches. Er empfinde das als ein Verarbeiten, ein Hinter-sich-lassen, ein Ritual. «In gewisser Weise bin ich durch meine Berufswahl in seine Fussstapfen getreten. Jetzt, wo ich ein gutes Stück auf meinem eigenen Weg gegangen bin, darf ich auch seine Stücke spielen.»

le sich um sehr genaue Kompositionen, in langen Räumen gedacht, suitenartig. Obwohl oder gerade weil die Formen dieser Stücke einem unsichtbaren Plan folgen, der schlicht und genial aufgegleist ist, seien Improvisationen oft durch Konzepte eingeschränkt. Es sei daher auch ein Nachspielen.

ker, der sich gerne festlegen lässt und sich auf vorgespurten Pfaden bewegt. Nur schon der Begriff Jazz erscheint ihm unzulänglich und einschränkend (womit er sich allerdings in die Tradition jener Musiker stellt, die sich nie auf den «Jazz» reduzieren lassen wollten). Zwar sieht er sich einerseits in der Tradition von Jazz, Improvisation, Rock, Punk, fühlt sich aber auch zu zeitgenössischen, experimentellen Formen hingezogen. Er hat sich für das Saxofon entschieden, spielt es aber sehr rhythmisch. «Wenn ich nicht das Saxofon gewählt hätte, dann wohl das Schlagzeug.» Seine Liebe geht über den Klang hinaus, schliesst auch Farbe, Tanz, Theater, Ritual ein. Er hat mit der schulischen Vermittlung von Musik zwiespältige Erfahrungen gemacht und findet sie dennoch wichtig.

Doch diesem Statement folgt sogleich ein «Aber». Wir leben in einer anderen Zeit. Es ist gar nicht möglich, heute gleich zu spielen wie damals. Christoph Baumann und Dieter Ulrich haben sich verändert. Und verändert haben sich die Klangmöglichkeiten, das Bewusstsein der Musiker, die Hörgewohnheiten der Musiker und des Publikums. Selbstverständlich bringen die jungen Musiker auch neue Elemente, eine andere Haltung in die Musik. «Das Spiel ist jetzt punkiger, wilder.» Urs BlöchlinEs war Marc Unternährer, der als Leiter der ger Revisited ist deshalb nicht einfach eine Der Vater eines achtjährigen Sohnes und eiStanser Musiktage 2018 das Projekt angeris- Neuauflage seiner damaligen Formationen. ner zweijährigen Tochter freut sich, wenn es sen und damit einen der wichtigsten Schweijetzt wieder mehr Auftritte gibt. Nur etwa zehn zer Musiker des ausgehenden 20. Jahrhun- Nichts Vorgespurtes Konzerte hat er in der Corona-Phase gespielt, derts in Erinnerung gerufen hat. Mit dabei sieben Touren sind ausgefallen. Insgesamt Christoph Baumann (p) und Dieter Ulrich (dm), Wichtig, findet Lino Blöchlinger, sei das Pro- aber sei er gut über die Runden gekommen. die an der Seite von Urs Blöchlinger gespielt jekt auch fürs Publikum. «Es sind alte Freun- Er habe mehr Zeit gehabt, allerdings sei diehatten; dazu der kanadische Bassist Neal Da- de meines Vaters zu den Konzerten gekom- se teilweise für das (mit der Nothilfe und dem vis, Beat Unternährer (tb; an seiner Stelle heu- men. Die waren sehr dankbar. Diese Energie Erwerbsersatz verbundene) Administrative te Josephine Nagorsnik), Silvan Schmid (tp), im Raum war spürbar.» Man habe sich einer draufgegangen. Immerhin sei in dieser Zeit Sebastian Strinning (ts) und selbstverständ- entschwundenen Welt erinnert, diese aber eine neue Band entstanden: «Die Fermenlich: Lino Blöchlinger (sax). gleichzeitig aus einem neuen Sichtwinkel be- tierten» (er scheint von seinem Vater auch die trachtet, mit neuen Figuren belebt. Zu den Be- Neigung zu ausgefallenen Namen geerbt zu Doch wie spielt man heute die Blöchlinger- suchern gehörte auch der im Mai 2021 ver- haben) mit Valentin Baumgartner (g) und ToStücke aus den 1980er-Jahren? Hält man sich storbene Hans Kennel; er habe sich gefreut, bias Sommer (dr). «Jetzt spürt man bei den an die Originale oder geht es um eine Neu- dass diese Musik wieder gespielt wird. Konzerten auch vermehrt die Dankbarkeit des interpretation? Es sei schwierig, die Stücke Publikums, das Verbindende. Das ist schön. neu zu interpretieren, sagt der Sohn. Es hand- Wie sein Vater ist Lino Blöchlinger kein Musi- Das war vor Corona nicht immer so.»

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Schwierig und versöhnlich Er habe keine genauen Erinnerungen an seinen Vater, sagt Lino Blöchlinger. Die Beziehung zu ihm sei cool gewesen, nach seinem Tod allerdings schwierig geworden. Mit seiner Musik vertraut wurde er eigentlich erst, als Dieter Ulrich ihm die umfangreiche Diskothek von Urs Blöchlinger geschenkt hatte. Wenn er jetzt, im Rahmen des Projektes Urs Blöchlinger Revisited, seine Stücke spiele, dann habe das etwas Versöhnliches. Er empfinde das als ein Verarbeiten, ein Hinter-sich-lassen, ein Ritual. «In gewisser Weise bin ich durch meine Berufswahl in seine Fussstapfen getreten. Jetzt, wo ich ein gutes Stück auf meinem eigenen Weg gegangen bin, darf ich auch seine Stücke spielen.» Es war Marc Unternährer, der als Leiter der Stanser Musiktage 2018 das Projekt angerissen und damit einen der wichtigsten Schweizer Musiker des ausgehenden 20. Jahrhunderts in Erinnerung gerufen hat. Mit dabei Christoph Baumann (p) und Dieter Ulrich (dm),

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DORO SCHÜRCH

DIE STIMME STEHT IMMER IM ZENTRUM Sie ist eine künstlerisch vielseitige Performerin mit einer grossen Erfahrung: Am Jazz Festival Willisau ist Doro Schürch Teil des Joyful Noise Orchestra. Meinrad Buholzer

Das Joyful Noise Orchestra versammelt einige der kühnsten Persönlichkeiten aus der Bieler/Schweizer-Improszene. Doro Schürch mischt als Vokal-Performerin mit und hat auch die singende Säge dabei. Sie war schon bei den Conductings von Butch Morris oder im Insub Meta Orchestra dabei, wo in Grossformationen frei improvisiert wird. «Das Besondere beim Joyful Noise Orchestra ist, dass die Soundorganisation über viele Relais spielt und nicht nur darüber, dass jemand vorne steht und dirigiert.» Dorothea Schürch ist international als Performerin und Sängerin tätig und arbeitet seit 40 Jahren in den Bereichen Musik, Performance und Theater. Ihr Schaffen wurde zahlreich ausgezeichnet, u.a. 2012 mit dem Schweizerischen Performancepreis. 2013 absolvierte sie den Master of Research on the Arts an der Universität Bern und promovierte im Rahmen der Studies in the Arts der Universität Bern. Sie ist auch Dozentin an der Hochschule der Künste, Bern.

hingegen spielen Biografie, Alter, Gender mit – alles, was dieses Instrument eben auch noch ausmacht.» Begonnen hatte sie als Musikerin, weil sie ihre Stimme immer schon perkussiv und instrumental gehandhabt hat. «Ich träumte davon, die Stimme, wie die damals aufkommenden elektronischen Tools, als schmuckes kleines Kästchen mit mir herumzutragen.» Es ist ein schönes Bild – und doch weiss Doro Schürch: «Mit der Stimme kommt zu dieser wunderbaren Welt der Instrumente etwas hinzu, das keine Tasten hat, keine Regler und Schieber. Etwas, das in keinem Instrumentenkoffer herumgetragen und in der Garderobe ausgepackt werden kann.» Durch die Arbeit mit der Stimme sei sie zwangsläufig in die Performance Art verwickelt worden. «Das hat mich auch erleichtert und begeistert, denn mit der Performance kommt «alles» auf die Bühne, nicht so im Konzert.» Also, witzelt sie, habe sie doch eine Art Instrumentenkoffer backstage. «Vielleicht kaufe ich mir mal so ein grossartig unhandliches Ding.»

Seit ihren Anfängen in den 1980er-Jahren arbeitet sie experimentell in verschiedensten Kollaborationen mit zahlreichen international bekannten Musiker/-innen und Künstler/-innen. Das Anarchische und Emanzipatorische der 1960/70er Aufbruchszeit hat sie geprägt und ist ihr immer noch eigen. Sie hat auch eine starke Verbindung zu Musiktheater und zur Performance – ein beeindruckender Werkkatalog quer durch die Künste.

In den nächsten Monaten hat Doro Schürch einiges am Laufen. Nach der Sommerpause wird die Revue «Alte Tiere hochgestapelt“ mit den Reines Prochaines und Friends am Stadttheater Basel wiederaufgenommen. Daneben steckt sie in den Vorbereitungen, ihre Dissertation zu Stimmexperimenten der 1950er-Jahre und den Anfängen der Tonbandkunst zu publizieren. Und sie ist daran, ihre Methode, mit akustischen Partituren zu arbeiten (Audioscorings), weiterzuentwickeln. «Zudem warten In all ihren künstlerischen Tätigkeiten steht im- zwei Kompositionsaufträge.» Umso schöner mer die Stimme im Zentrum. In den Konzerten wird Willisau: Da steht sie freudvoll im Lärm tauche sie als ein Instrument unter Instrumen- – joyfully noisy! ten auf, sagt Schürch. «In den Performances

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MUSIK FÜRS AUGE

ZUR VISUELLEN KOMMUNIKATION DES JAZZ FESTIVAL WILLISAU HEUTE

Willisau, Niklaus Troxler, Free Jazz und innovative Plakatkunst: vier Elemente, die jahrzehntelang eine untrennbare Einheit bildeten. Nach über 40 Jahren, die von Niklaus Troxlers Handschrift geprägt waren, haben Annik Troxler und Paula Troxler die Gestaltung der Festival-Plakate übernommen. Bettina Richter

Als Niklaus Troxler 2010 nicht nur die Organisation des Jazzfestivals an seinen Neffen Arno Troxler abtrat, sondern zeitgleich auch die Plakatgestaltung der nachkommenden Generation überliess, hielt man klugerweise an einigen wesentlichen Prämissen fest: Nach wie vor wird das Plakat als Medium gepflegt, nach wie vor gibt es dafür kein starres Corporate Design. Die visuelle Identität des Jazzfestivals Willisau gründet vielmehr auf einer hochstehenden Plakatkultur, die Vielfalt in der Einheit zeigt und gerade dadurch Wiedererkennbarkeit garantiert. Plakate tönen und tanzen Die Grafikerin Annik Troxler gestaltet schon seit 2003 alle Plakate für die Intimities, während des Jazzfestivals stattfindende Konzerte in privaterem Rahmen auf der Rathausbühne. Sie und ihre Schwester, die Illustratorin Paula Troxler, verantworten nun auch seit zehn Jahren die Festivalplakate, mal im Duo, mal als Solistin. Und jedes Jahr entsteht so ein Plakat, das sich gänzlich vom Vorjahresplakat unterscheidet. Die Plakatfläche wird zur Bühne für ihren grafischen Auftritt. Fhantasiereiche oder rätselhafte Bildfindungen, humorvoll und poetisch verspielt, wechseln sich mit typografischen Kompositionen ab. Linienzeichnungen und kompakte Formen, Farben und Lettern treten dabei in einen ebenso subtilen wie spannungsvollen Dialog, der immer wieder neu ausbalanciert wird. Mal ist die Schrift

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mehr Zutat, mal Hauptakteurin, die dreidimensional in den Raum ausgreift. Ihre Plakate tönen, vibrieren und tanzen, sie machen die Musik physisch erlebbar. Ein Höhepunkt an explosiver Energie und ungezähmter kreativer Gestaltungslust ist das Festivalplakat von 2019 aus der Hand von Paula Troxler und Kleon Medugorac, unter dem Namen Pank zusammenarbeitend. Souverän und undogmatisch sprengen sie die Grenzen zwischen Kunst und Grafik und brechen mit allen vermeintlichen Gestaltungsregeln: Ein visuelles Feuerwerk als Übersetzung experimenteller Klangwelten.

In den 1980er-Jahren nahm Ruedi Wyss eine ähnliche Doppelrolle ein wie Troxler: passionierter Jazzliebhaber und Konzertorganisator sowie Plakatgestalter. Eine eigenwillige und ganz eigenständige Bewerbung von Jazzkonzerten bilden seine Plakate für Jazz Now Bern. Während Troxler und Wyss mit ihrer Plakatsprache eine ganze Ära von Jazzkonzerten in Willisau und Bern begleiteten, vertraute Claude Nobs für das Jazzfestival Montreux auf die Vielfalt künstlerischer Zugriffe und stilistischer Ansätze. Zu den internationalen Grössen auf der Bühne gesellten sich hier internationale Künstlerinnen und Künstler für die Plakatgestaltung.

Ein unorthodoxer Grafiker

Kein CI-Korsett

1966 hatte Niklaus Troxler das erste Jazzkonzert in Willisau organisiert und 1975 ebendort das Jazz Festival Willisau gegründet. Von Beginn an gestaltete Troxler alle Plakate selbst, die bald seinen internationalen Ruf als unorthodoxen Grafiker mit einem unermesslichen Gestaltungswillen begründeten. Troxler wurde neben anderen Grafiker/-innen zum Botschafter einer pluralistischen Gestaltungstradition, die die Grenzen zwischen Kunst und Grafik unbekümmert niederreisst und lustvoll künstlerische Avantgarden zitiert. Seine Plakate sind synästhetische Erfahrungen, seine bildliche Erfassung von Rhythmus und Dynamik der Musik wird zu einem körperlichen Erlebnis.

Das seit 1990 stattfindende Jazzfestival Schaffhausen widmet sich im Gegensatz zu Montreux sehr bewusst schweizerischem Musikschaffen im Bereich des Jazz’ und der improvisierten Musik. Und ebenso konsequent werden regionale Kunstschaffende für die Plakatgestaltung verpflichtet. Was aber alle genannten Jazzveranstaltungen vereint, ist der bewusste Verzicht auf ein einheitliches Erscheinungsbild: Kein CI-Korsett (corporate identity) domestiziert die gestalterische Freiheit.

Dr. Bettina Richter ist Kuratorin der Plakatsammlung im Museum für Gestaltung Zürich


«AB OND ZUE

MUESS MER SECKLE » Das lokale Gewerbe arbeitet seit eh und je mit dem Jazz Festival zusammen. Nicht wegen des grossen Geschäfts – sondern wegen des „Jazz-Spirit“. Ramon Juchli

«Meine Pfadi-Kollegen arbeiteten auf dem Gelände am Wurststand», erinnert sich Michael Renggli-Kurmann, Geschäftsführer von Café Amrein Chocolatier, an die ersten Ausgaben des Jazzfestivals in den 70ern. «Ich dagegen wurde im Café gebraucht.» Abwaschen und Kaffee nachfüllen standen auf dem Programm. Alle mussten anpacken. «Obwohl ich lieber am Festival mitgeholfen und die Konzerte gehört hätte.» Doch es herrschte Hochbetrieb. Zusatzschichten wurden eingeplant, damit das Team parat war für die «Jazzer», die fleissig das Frühstücksangebot nutzten. Seit 2011 ist das Café Amrein auch auf dem Festivalgelände präsent. Am eigenen Stand werden Willisauer Ringli, Glacés und Gebäck angeboten. Die Stammgäste sind mit dem Café und den Ringli vertraut. Nichtsdestotrotz gibt es immer wieder Uneingeweihte, die sich über die «steinharte» Spezialität wundern. In die Welt getragen Josef Peter war einer jener «Pfader», die als Jugendliche am Jazz Festival Willisau mithalfen. Damals noch an der Kasse. Heute ist er als Geschäftsinhaber der Modehaus Peter AG

im Vorfeld beteiligt. Seit es die Festival-Shirts gibt, sei es für den Verkauf oder die Helfer, werden sie vom Modehaus Peter bestickt oder bedruckt. Josef Peter führt diese Tradition weiter.

jeweils zwei Monteure auf Abruf bereit – damit nichts schief geht. «Ab ond zue muess mer seckle», sagt Geschäftsleiter Maurus Hurschler. Denn wenn ein Gerät aussteigt, sind die «Stromer“ gefragt. Eine Routineangelegenheit: Bisher musste das Festival noch nie vor einer Die T-Shirts sind Souvenirs, teils sogar Samm- technischen Katastrophe gerettet werden. lerstücke. «Wir haben auch schon Exemplare in einem Bilderrahmen verkauft.» Nach einem Platz für Jazz Aufenthalt Niklaus Troxlers in Japan wurden viele Stücke nachgedruckt, um dort neue Ab- Seit den ersten Ausgaben des Festivals steinehmer zu finden «Selbst in Frankreich, Spa- gen jedes Jahr einige Gäste und Helfer im nien, Italien wurden die Festival-Shirts schon Hotel Menzberg ab, in den früheren Jahren erkannt», sagt Peter. Die Shirts mit den Grafi- kamen auch Musikerinnen und Musiker dort ken tragen das Festival in die Welt hinaus. unter. Alain Peter kennt diese Zeiten nur noch aus Erzählungen. Der 28-Jährige führt zusamStändig unter Strom men mit seinen Eltern, Anita und Rolf Peter, den Betrieb in der vierten Generation. ObDamit das Festival ohne technische Proble- schon das Jazz Festival Willisau in die Hochme über die Bühne gehen kann, gehören die saison des Hotels fällt, und nicht mehr so viele Fachleute von Elektro Illi zu den ersten, die Gäste kommen wie früher: «Der Anlass hat beim Aufbau auf dem Platz sind – über eine einen fixen Platz in der Agenda», ffso Alain Woche vor dem Festival. Bevor der Holzboden Peter. Auch privat. «Das Festival ist ein Treffdes Gastrozelts gebaut wird, verlegt Elektro punkt. «Das sehen auch Michael Renggli-KurIlli die nötigen Leitungen. Dann werden der mann, Josef Peter, und Maurus Hurschler so. Backstage verkabelt, das Internet eingerich- Für alle ist das Engagement am Jazzfestival tet, Abwaschmaschinen und weitere Geräte keine Geldfrage, sondern eine Herzensangeinstalliert. Während des Festivals halten sich legenheit.

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EIN «WORK-IN-PROGRESS»

DER JAZZFÖRDERUNG

Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia ist auch für Jazzmusiker/-innen eine wichtige Anlaufstelle, um ihre Musik produzieren und sie auf Tourneen vorstellen zu können. Was fördert Pro Helvetia konkret? Ein Gespräch mit Barbara Canepa, Fachspezialistin Musik (Jazz).

Pirmin Bossart

Auch das Jazz Festival Willisau erhält von Pro Wieviel Gelder stehen pro Jahr zur Verfügung, Helvetia einen Beitrag. Was zeichnet dieses wie werden sie eingesetzt? Festival aus? Für den Jazzbereich innerhalb der Schweiz Das Jazz Festival Willisau ist eines der be- wie im Ausland setzt Pro Helvetia insgesamt kanntesten und renommiertesten Schweizer jährlich gut eine Million Franken ein. Das kann Jazzfestivals. Es geniesst ein sehr hohes Re- von Jahr zu Jahr etwas variieren, je nach Einnommee, sowohl im In- wie auch im Ausland. gang der Gesuche und Art der Projekte. Das Festival war und ist immer noch eine Referenz für die Schweizer Jazzszene und bietet Warum ist die Auslandpräsenz für den Schweizer Bands eine der wichtigsten Büh- Schweizer Jazz wichtig? nen. Da die Schweiz nur begrenzte AuftrittsmögWie hat Pro Helvetia die Jazzförderung auf- lichkeiten bietet, ist es für den Schweizer Jazz gegleist? Was sind die Überlegungen? wichtig, auch auf europäischer Ebene wahrgenommen zu werden. Wir unterstützen daher Im Wesentlichen haben wir drei Säulen: Wir ausländische Veranstalter, wenn sie Schweizer fördern die Kreation von neuen musikalischen Projekten eine Bühne geben. Wir laden auch Werken, die Verbreitung von Schweizer Musik ausländische Veranstalter an Schweizer Festiim Ausland sowie den Austausch zwischen vals ein, damit wollen wir sie auf die Schweiden Sprachregionen der Schweiz. Für den zer Szene sensibilisieren und ihnen Kontakte ersten Bereich haben wir seit diesem Jahr mit ermöglichen. Aus demselben Grund gehen den «Release-Tourneen» ein neues Fördermo- wir Kooperationen mit ausländischen Verbändell. den von Jazzveranstaltern ein. Umgekehrt fördern wir Schweizer Bands, wenn sie an interWie sieht dieses aus? nationalen Festivals auftreten oder im Ausland eine Tournee machen, indem wir Reise- und Bisher haben wir einzelne CD-Produktionen Transportkosten übernehmen. unterstützt, die Auswahl wurde von einer Jury bestimmt. Für eine dazugehörige Tournee Was geschieht in der Nachwuchsförderung? mussten sich die Bands separat bewerben. Jetzt bieten wir zusammengefasst eine Art Pa- Das machen wir indirekt, indem wir Nachckage an: Wir sprechen Gelder für die ganze wuchsprojekte von etablierten Partnern unterKette, von einer CD-Produktion bis zu einer stützen, zum Beispiel bestimmte Projekte von anschliessenden Tournee. Uns ist wichtig, Suisse Diagonales Jazz oder von Helvetiarockt. dass eine Band nicht nur ein neues Repertoire Für bereits etwas arrivierte Bands gibt es das erarbeitet, sondern dieses auch einem Publi- Instrument der Prioritären Jazzförderung, für kum vorstellen kann. Das Prozedere für die das jedes Jahr bis zu drei Bandleader/-innen Bands wird einfacher und Gesuche können von einer Jury ausgewählt werden (siehe selaufend eingereicht werden. parater Beitrag).

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Wie eruieren sie, was die Szene braucht, was am besten hilft? Aus den gut 300 Gesuchen, die wir jährlich von Jazzmusiker/-innen und Bands erhalten, können wir schon mal gut den Puls und die Bedürfnisse der Szene fühlen. Zudem sind wir im Austausch mit Sonart Musikschaffende Schweiz, Suisse Diagonales Jazz sowie vielen Musiker/-innen und regelmässig an Festivals und Messen im In- und Ausland präsent. Sind die einzelnen Förderinstrumente noch zeitgemäss? Wo überlegt sich Pro Helvetia neue Ideen? Eine Frage, die uns derzeit natürlich intensiv beschäftigt ist, wie sinnvoll die Tourneeförderung im Ausland tatsächlich ist, wie nachhaltig internationale Tourneen sind. Eine sehr positive Erfahrung haben wir mit der Ausschreibung «work-in-progress» gemacht, die im Coronajahr lanciert wurde. Dort fördern wir Arbeitsprozesse, ohne dass die Gesuchsteller ein prädefiniertes Resultat angeben müssen. Wir überlegen uns, in Zukunft regelmässig etwas in dieser Art anzubieten. Schliesslich steht eine Erweiterung der Residenzen zur Diskussion. Bislang können sich Musiker/-innen und Bands lediglich für jene Länder bewerben, wo wir Aussenstellen haben. Das möchten wir gerne öffnen und auch kurzfristigere Arbeitsaufenthalte etwa in Europa oder in der Schweiz ermöglichen.


GELD IST GUT

NETWORKING NOCH BESSER 2005 hat Pro Helvetia die Prioritäre Jazzförderung eingeführt, die jeweils drei Bands über drei Jahre unterstützt. Das Modell wurde mehrfach angepasst. Bestandteil ist inzwischen ein Coaching, damit die Unterstützten mit eigenen Kräften sich besser vernetzen und positionieren können. Meinrad Buholzer

«Die «Prioritäre Jazzförderung» richtet sich an jüngere Leaderinnen und Leader von Working-Bands, die am Anfang einer internationalen Karriere stehen, bereits internationale Tourneen absolviert haben und deren Ziel eine Verstärkung der internationalen Präsenz ist», lautet der Kernpunkt dieses Fördermodells. Konkret erhalten die ausgewählten Bands in den drei Jahren rund 70‘000 Franken, die sie für Tourneen, Promotion und Marketing einsetzen können. Gegen 50 Bands haben bereits diese Jazzförderung durchlaufen.

Sicherheit zum Planen

Wie haben die Bands das Fördermodell erlebt? «Dass Pilgrim in dieses Programm aufgenommen wurde, war ein absoluter Glücksfall und hat massgeblich dazu beigetragen die Band international zu etablieren», sagt Saxofonist Christoph Irniger. Dank der finanziellen Unterstützung könne man längerfristig planen. Als «sehr positiv» hat er die NetworkingAnlässe empfunden. Irniger: «Am Umstand, viel tun zu müssen, um gesehen oder gehört zu werden, ändert sich nichts. Um den Bands Im Business stärken eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, ist das Networking Element essenziell und es Seit 2013 beinhaltet die PJF gezielte Netz- wäre sicher nicht falsch dieses noch mehr zu werk-Anlässe mit Coaching-Residenzen, die intensivieren.» auch schon mal in Polen oder England stattfanden. Bei diesen Coachings werden die Pianist Yves Theiler spricht von einer «sehr guBands von Fachleuten in Workshops auf ihre ten und fruchtbaren Zeit» seines Trios während weitere Karriere vorbereitet. «Ziel ist, die Mu- den drei PJF-Jahren. Die Gelder ermöglichten siker/-innen businessmässig zu stärken», sagt Zeit, Sicherheit und eine Art HandlungsspielBarbara Canepa, Pro Helvetia. «Sie treffen an raum. Theiler betont, dass diese Gelder alleine den Residenzen auf Veranstalter, Promotoren nicht automatisch eine Netzwerkerweiterung und Musiker aus anderen Ländern, können für den Künstler schafften. «Eine solche aber Kontakte schliessen und sich vernetzen.» wäre mehr wert und nachhaltiger als an Bedingungen geknüpftes Geld.» Die Bands reichen jeweils vorgängig ihr Jahresziel ein, führen Buch über ihre Mittel und Der beste Beweis dafür sei die Tatsache, wie Ausgaben, machen eine Schlussabrechnung hoch das Niveau an künstlerischem Output im und erklären, was sie mit dem Geld gemacht Bereich Jazz in der Schweiz sei und wie unbehaben. «Aufgrund der Feedbacks und Kritik- kannt gleichzeitig die hiesigen Jazzmusiker/punkte erhalten wir ein gutes Bild über die innen weltweit seien. «Verglichen zu gewisWirksamkeit und auch Ideen, wie das Mo- sen nordischen Ländern oder Frankreich ist dell ständig verbessert werden kann.» Canepa es geradezu ein alarmierendes Unverhältnis.» findet das Modell immer noch sehr gut, «auch wenn nicht alle Bands diese Starthilfe gleich erfolgreich ummünzen können».

Investieren lohnt sich Das PJF-Modell entlaste stark den eigenen administrativen Aufwand, schaffe Zeit für die essentiell-kreative Arbeit und garantiere eine sehr komfortable Planungssicherheit, sagt der Bassist und Bandleader Luca Sisera, der mit seiner Band ROOFER 2017-2019 gefördert wurde. Die jährlichen Treffen mit Veranstalter/innen, Medienleuten, Booking- und PR-Agenturen und anderen interessanten Figuren aus dem Jazz-Business hat Sisera als «äusserst wertvoll» gefunden, ebenso die Betreuung und die Hilfestellung der Pro Helvetia bei PRFragen oder Problemen. «Es wäre sicherlich förderlich, wenn man in Zukunft noch mehr Fokus auf die per se schon sehr wertvollen Meetings legen würde.» Das Quartett The Great Harry Hillman versuchte, mit einem Teil der Gelder die Promotion und das Booking zu intensivieren. Saxofonist Nils Fischer entlastete sich von seinem Job und begann, ein Netzwerk aufzubauen und Konzerte und Touren zu organisieren. Die Band konnte in Deutschland mehr spielen und tourte in Russland und Indien. Für das Coaching und Networking verbrachte die Band eine Woche in England. «Wir hatten super Workshops, die vermittelten, wie man sich selber besser managen und weiterbringen kann.» Dass die PJF-Förderung mit einem gewissen Druck verbunden ist, auch etwas in Gang zu setzen, hat Fischer als positiv empfunden. «Das hat uns extrem viel gebracht: Zu merken, dass auch etwas passiert, wenn man viel investiert.»

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HELFERINNEN JAZZ FESTIVAL WILLISAU

«WIR SIND WIE EINE GROSSE FAMILIE» Drei Personen aus dem Helferteam, drei verschiedene Gründe mitanzupacken. Eine Gemeinsamkeit: die Begeisterung für das Jazz Festival Willisau. Chantal Bossard

Daniel Müri, 64, Liestal, Taxi-Chauffeur

Andrea Kammermann, 37, Luzern, Türkontrolle

Urs Wigger, 62, Sursee, ehemaliger Helfer, heute Jazz-Clan

«Für das Jazzfestival reise ich von Liestal nach Willisau, von Basel-Land ins Luzerner Hinterland. Wie kam‘s? Ganz einfach: Ein Kumpel hat mich dafür angefragt – und ich habe zugesagt. Das war vor zehn Jahren, seither habe ich keine Ausgabe des Festivals verpasst. Dabei bin ich gar kein Jazz-Fanatiker. Klar, ich mag Jazz, keine Frage. Doch deswegen bin ich nicht im Helferteam – sondern vielmehr wegen meines grandiosen Helferjobs: Ich bin Taxi-Fahrer, hole Musikerinnen und Musiker aus aller Welt an den Flughäfen ab. Koryphäen wie Peter Evans oder John Abercrombie sassen schon bei mir auf der Rückbank. Oder auch Jim Campilongo: Mit dem E-Gitarrist verstand ich mich so gut, dass er mich später sogar privat zum Mittagessen eingeladen hat. Mich erstaunt, wie «laid back» die Jazzer sind, ganz entspannt erzählen sie aus ihrem Leben. Mir ist es sowieso egal, wie berühmt jemand ist: Ich unterhalte mich mit allen gleich. Meist auf Englisch – doch das ist mir als gebürtiger Amerikaner umso lieber. Für die Fahrdienste muss ich auch mal morgens um 4 Uhr aus den Federn. Kein Problem, die Begegnungen danach machen jeden Umstand wett.»

«Das Jazzfestival begleitet mich schon über die Hälfte meines Lebens. Als Teenager trat ich dem Helferteam bei. Seither ist das Jazzfestival – wie Weihnachten und Geburtstag – ein fixer Termin in meiner Agenda. Wenn das Festival endet, beginnt der Herbst. So ist es in meinem Kopf festgebrannt. Als das Jazzfestival im vergangenen Jahr aus bekannten Gründen abgesagt werden musste, da fragte ich mich: Kommt er jetzt trotzdem, der Herbst (lacht)? Ich freue mich auf eine neue Ausgabe des Jazzfestivals – nur schon, weil ich viele Leute lediglich an diesen Tagen sehe. Das Helferteam ist wie eine grosse Familie: Über Jahre sind wertvolle Freundschaften entstanden, die sich mit jedem Festival ein Stück weiterentwickeln. Und dann ist da – natürlich! – noch die Musik. Da ich die Türkontrolle machen darf, höre ich die Konzerte meistens mit. So konnte ich schon viele meiner angebeteten Musikerinnen und Musiker live erleben – aber auch zahlreiche neue Künstlerinnen und Künstler kennenlernen, deren Konzerte ich sonst nie besucht hätte. Toll!»

«Früher kam man als Gymnasiast in Willisau am Jazz nicht vorbei. Wir gingen im Mohren in den Ausgang, da wurden jeweils Einzelkonzerte gespielt. Oft reichte das «Sackgeld» nicht aus, also warteten wir bis zur Pause – ab da war der Eintritt nämlich kostenlos. Als dann das Jazzfestival lanciert und Helfer gesucht wurden, war ich natürlich dabei, keine Frage. Rund 30 Jahre lang blieb ich dem Helferteam treu. Anfangs war ich jahrelang Musiker-Chauffeur, gegen Ende übernahm ich die Fahrerkoordination. Früher ging alles etwas chaotischer zu und her als heute: Die Festhalle glich vielmehr einer Scheune ohne jegliche Infrastruktur, es gab keine Handys, was die Organisation extrem erschwerte und die Musiker waren oft nicht so professionell unterwegs. Regelmässig mussten wir die Jazzer eigenhändig aus den Federn reissen, sonst hätten sie ihren Heimflug glatt verschlafen (lacht). Doch damals wie heute gehört das Jazz Festival Willisau vom Programm her zu den besten Festivals in Europa. Deshalb bin ich dem JazzClan beigetreten: Um das Festival ideell und finanziell zu unterstützen. Das Jazzfestival gehört zu Willisau. Hoffentlich noch lange.»

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VIELEN

PROGRAMM 2021 DANK

22° HALO Lea Maria Fries / Marc Mean / Lukas Traxel / Valentin Liechti

FÜR DIE UNTERSTÜTZUNG

ACID AMAZONIANS Franziska Staubli / Rada Leu Dorothea Mildenberger /

BLINDFLUG / WITHOUT DOUBT Lauren Newton / Sebastian Strinning / Emanuel Künzi

DER VERBOTEN Frantz Loriot / Antoine Chessex / Cédric Piromalli / Christian Wolfarth

DISTRICT FIVE Tapiwa Svosve / Vojko Huter / Xaver Rüegg / Paul Amereller

DUO ABDELNOUR-SCHILD Christine Abdelnour / Louis Schild

DUO KLEXS Silke Strahl / Léa Legros Pontal

ERB/MAYAS/HEMINGWAY Christoph Erb / Magda Mayas / Gerry Hemingway

JOYFUL NOISE ORCHESTRA Andi Marti / Gaudenz Badrutt / Max Miro Usata / Big Zis / Doro Schürch / Silver Ingold / Hans Koch / Jonas Kocher / Mats Kolb / Christian Müller / Julian Sartorius / Lionel Friedli / Martin Schütz / Beni 06 Weber / Hans-Peter Pfammatter / JJ Pedretti / Christian Weber / Jalalu Kalvert Nelson / Flo Stoffner / Jacques Demierre / Tizia Zimmermann / Marina Tantanozi / Oli Dutton

Fahrzeugpartner:

MONDRIAN ENSEMBLE

Ivana Pristašová / Petra Ackermann / Karolina Öhman / Tamriko Kordzaia

OMNI SELASSI Rea Dubach / Mirko Schwab / Lukas Rutzen

PIERRE FAVRE QUINTETT Pierre Favre / Samuel Blaser / Nils Wogram / Philipp Schaufelberger / Bänz Oester

RACINE RHYTHM & HORNS Marianne Racine / Daniel Baschnagel / Matthias Tschopp / Patrick Sommer / Pius Baschnagel

ROMAN NOWKA‘S HOT 3 Roman Nowka / Simon Gerber / Lionel Friedli

SC‘ÖÖF Noah Arnold / Elio Amberg / Christian Zemp / Amadeus Fries

THE DEAD BROTHERS Alain Croubalian / Jane Mumford / Matthias Lincke / Dide Marfurt / Resli Burri / Stephen Thomas / Tobi Zwyner

URS BLÖCHLINGER REVISITED Lino Blöchlinger / Sebastian Strinning / Josephine Nagorsnik / Silvan Schmid / Christoph Baumann / Neal Davis / Dieter Ulrich

VERA KAPPELER SOLO Vera Kappeler

WØØD

Sara Oswald / Patrice Moret

Medienpartner:


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