ISAS Jahresbericht 2020

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„Unser Wunsch nach übertriebener Sicherheit ist in einer Pandemie irrational“ Beim digitalen LUNCH BREAK im Dezember 2020 stand die Zulassung des ersten mRNA-Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 in der EU kurz bevor. Die Skepsis gegenüber mRNA-Impfstoffen war groß. Ein halbes Jahr später ist von dieser anfänglichen Zurückhaltung in Deutschland wenig zu spüren, im Gegenteil. Wie es dazu kam und welchen Schutz Geimpfte erwarten können, darüber haben wir mit Prof. Dr. Matthias Gunzer im Interview gesprochen. Er ist Immunologe und wissenschaftlicher Direktor der Abteilung Biospektroskopie. Viele Menschen halten die Präparate von BioNTech/ Pfizer und Moderna vermeintlich für Impfstoffe erster Klasse. Was steckt Ihrer Ansicht nach hinter dieser Entwicklung? Gunzer: Es ist schon faszinierend zu sehen, dass zuerst dieser neue mRNA-Impfstoff große Ängste ausgelöst hat. Viele Laien haben befürchtet, dass wir dadurch genetisch umprogrammiert werden. Doch dann haben mehrere

Inzwischen kommen die vektorbasierten Impfstoffe wegen gemeldeter Fälle von Hirnvenenthrombosen regulär erst bei Personen ab 60 Jahren zum Einsatz. Gleichzeitig hat das Bundesgesundheitsministerium den Impfstoff von AstraZeneca auch für jüngere Erwachsene freigegeben. Wie bewerten Sie den Umgang mit diesem Impfstoff unter Berücksichtigung der aktuellen Datenlage?

Länder, allen voran Israel, alles auf den Impfstoff von

Gunzer: Jeder einzelne im Zusammenhang mit dem

BioNTech/Pfizer gesetzt. Die Impfkampagne ist dort

Impfstoff gemeldete Fall von Hirnvenenthrombosen ist

problemlos verlaufen. Vielmehr noch, die Israelis

schrecklich und für die Betroffenen tragisch. Was wir in

konnten die Zulassungsstudie im Feld reproduzieren.

einer Pandemie jedoch keineswegs ignorieren dürfen,

Die Daten in Bezug auf Effizienz und Schutz sind fast

ist die gesamte Datenlage. Das Risiko für eine Hirnvenen-

deckungsgleich. Über diesen Erfolg haben auch die

thrombose nach der Impfung mit AstraZeneca ist

deutschen Medien berichtet, das Vertrauen der Bevöl-

äußerst gering. Weltweit sind mit diesem Impfstoff bis

kerung in den mRNA-Impfstoff wuchs. Der Impfstoff von AstraZeneca hingegen hatte schon von Anfang an Schwierigkeiten. Die Zulassungsstudie verlief holprig, es gab mehrere Stopps. Kurze Zeit nach der Zulassung folgten Meldungen über schwere Nebenwirkungen. Und diese waren in den Medien so prominent, dass das Thema die gesamte Berichterstattung über den Impfstoff dominiert hat. Dadurch ist die an sich unglaublich hohe Effizienz dieses Impfstoffs völlig ins Hintertreffen geraten. Dass die mRNA-Impfstoffe bei vielen Menschen inzwischen beliebter sind als die Vektor-Impfstoffe, hat vermutlich auch damit zu tun, dass Berichte über schwere

»Warum das immunologische Gedächtnis unterschiedlich ausfällt, einige Menschen einen längeren oder kürzeren Schutz vor einer erneuten Erkrankung haben, verstehen wir aus immunologischer Sicht noch nicht.«

Nebenwirkungen für Erstere ausgeblieben sind.

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