JURAcon Jahrbuch 2014/2015

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Praxisbeiträge

Leben im Konjunktiv von Tom Buschardt

Dort, wo Gerichtsreporter auf die Sie lieben sich, sie hassen sich, zuweilen versuchen sie, sich Justiz treffen, werden Schicksale gegenseitig auszutricksen, geraten selbst vor Gericht aneinander zu Medienereignissen, Verdächund mögen doch nicht ohne einander sein: Justiz und Medien. tige zu Tätern und mutmaßliche Täter zu Opfern. Opfer werden Abendland gegen Morgenland Ihn hat es zu Lügnern und Vorsitzende zu „Richter Gnadenlos“ in dieser Funktion auch schon kalt erwischt: Als das oder „Richter Kuschelweich“. Staatsanwälte wittern Landgericht das sogenannte „Beschneidungsurteil“ die Chance auf einen Karriereschub – Verteidiger verder ersten Instanz kippte. Für das Amtsgericht war suchen, die öffentliche Wahrnehmung ihrer Mandandie erste Instanz ein „ganz unspektakuläres Urteil ten entscheidend zu beeinflussen. Denn: So frei und auf Basis der bisher üblichen Rechtsprechung“, sagt unabhängig Richter sein mögen, auch sie konsumieStrunk. Für das Amtsgericht war die Beschneidung ren Medien. Und die physikalischen Gesetze der Komvon Jungen „Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer relimunikation lehren uns, dass jeder Mensch Fakten im giösen Gemeinschaft“. Kein Urteil, das man als PresKontext seines persönlichen Wertesystems aufnimmt sesprecher als „kritisch“ auf dem Zettel haben mussund bewertet. te. Das Landgericht jedoch kippte die Entscheidung in der zweiten Instanz und sprach von einer „strafAmtsgericht Köln. Irgendwo in einer hässlichen Ecke baren Handlung“. zwischen Wohnsilo, Arbeitslosenverwaltung, ADAC und Studentenviertel steht eines der größten AmtsFür die Medien schlagartig ein Fall von Abendland gerichte Deutschlands: Über 30.000 erledigte Zivilvergegen Morgenland und die Abend- bzw. Morgenfahren, 11.000 Familienverfahren und über 25.000 Stern-Stunde religiöser Fundamentalisten. Auch Strafverfahren – im jährlichen Schnitt. Fundgrube für christlicher! „Da hatten wir hier die ganze Welt am Medien und TVTelefon“, so Strunk. Die Geschäftssprache mit den Autoren auf der Medien ist Englisch. Die Akten werden auf Deutsch Suche nach spangeführt. Sein größtes Problem dabei: Wo ist die Akte nenden Geschichüberhaupt? ten, die das Leben schreibt. Schlangen am Metall-Detektor, unfreundliRedaktionen sind es gewohnt, dass Manuskripte, ches Café-Personal, aufgeweichte Brötchen, schlechModerationstexte und zuweilen auch nichtvertrauliter Kaffee. Im 10. Stock ist es besser. che Rechercheergebnisse zentral auf dem Server liegen. Jeder aus der Redaktion, dem Sender oder dem Dr. Marcus Strunk heißt eigentlich „Herr Richter“. Verlag kann darauf zugreifen. Warum sollte es bei Für die Medien ist er seit 2012 der Herr Strunk, PresGericht anders sein? Ist es aber. Und das braucht Zeit. sesprecher. Er ist weiterhin mit seinem Fachgebiet „Familienrecht“ als Richter am Amtsgericht beschäfUnd wieder mal typisch für die Denkweise einer Justigt und jetzt als juristisch-medialer Generalist Anlauftiz: Für die Kommunikation ist derjenige zuständig, stelle für alle Medien. „Wir haben hier genau diese der gerade die Akte hat. Ist sie bei Gericht – ist es das Fälle aus dem Leben, die die Menschen da draußen Gericht. Ist sie bei der Staatsanwaltschaft – ist es die interessieren“, fasst Strunk zusammen und wirft sich Staatsanwaltschaft. Man will gerne helfen – weiß aber zum Interview extra das Jackett über. Gewissermaßen nicht, ob man gerade zuständig ist. „Vielleicht nicht die Robe für den Pressesprecher. 84

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