IPPNW-Report „Gesundheitliche Folgen von Abschiebung“

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DIE GESUNDHEITLICHEN FOLGEN VON ABSCHIEBUNGEN

1. Einleitung: Das Grundrecht auf Asyl

Unter dem Eindruck der Weltkriege, der damit einhergegangenen Vertreibungen, sowie der Besetzung durch die Alliierten wurde das heute weiterhin gültige Grundgesetz 1949 verabschiedet. Ziel war es, aus den Fehlern der Weimarer Verfassung zu lernen und eine Wiederholung der Gräueltaten vom Beginn des 20. Jahrhunderts auszuschließen. Die Grund- und Menschenrechte erhielten eine zentrale Stellung im neuen Grundgesetz. Individuen sollten stärker gegen staatliche Allmacht und Willkür geschützt werden, dies sollte das Bundesverfassungsgericht garantieren. Individuelle Schutzrechte wurden nicht nur in Deutschland gestärkt. Die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs waren global, und weltweit befanden sich Menschen auf der Flucht. Die Gründung der Vereinten Nationen 1945, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 und die „Magna Charta“ des Flüchtlingsrechts sowie das Abkommen über die Rechtsstellung der Geflüchteten (Genfer Flüchtlings­ konvention) von 1951 sollten eine Antwort auf die Lehre sein, die man aus der Vergangenheit gezogen hatte. Ein Szenario wie beim internationalen Treffen 1938 in Evian, bei dem keiner der verhandelnden Staaten jüdischen Geflüchteten Schutz vor der Verfolgung durch das Naziregime gewähren wollte, sollten verhindert werden. Deshalb wurden Instrumente und Bedingungen geschaffen, die „den Schutz und die Geltung der Rechte und der Würde jedes Menschen sowie die Bewahrung des Friedens zur wichtigsten und unumkehrbaren Verpflichtung jeder Politik unter dem Dach der Vereinten Nationen machen sollten.“1

Zwischen Erinnern und Vergessen In den kommenden Jahrzehnten aber sorgte der deutsche Staat, wann immer eine größere Zahl Geflüchteter von ihrem Recht Gebrauch machen wollte, für deutliche Einschränkungen des Rechts auf Asyl. So reagierte die Bundesregierung 1993 auf den Anstieg der Zuwanderungszahlen mit einer grundlegenden Einschränkung des Rechts auf Asyl in Art. 16 GG und gab damit rassistischen Ressentiments nach. Ähnliches ereignete sich nach 2015, dem „Sommer der Migration“. Die zunächst weit propagierte Willkommensstimmung, die unfassbar viele ehrenamtliche Kräfte mobilisierte und eine Welle der Hilfsbereitschaft und Güte in der deutschen Bevölkerung initiierte, kippte ganz plötzlich als die Regierungsparteien mit dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien wie der AfD konfrontiert waren. Auch wenn die Zahl der Befürworter*innen von Zuwanderung und der unterstützenden zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, die der Kritiker*innen übertraf, waren es dennoch die politischen Vorstellungen der letzteren Gruppe, an denen sich die Politik orientierte. In der Folge stieg die Zahl der Abschiebungen sprunghaft an. Im Jahr 2016 gab es 25.375 Abschiebungen, im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von 21 Prozent. Im Jahr 2014 waren es noch 10.884 und im Jahr 2012 lediglich 7.651 Abschiebungen.2 Dabei war es dieselbe Partei (CDU/CSU), die 2015 die Grenzen öffnete und sich anschließend maßgeblich an der zunehmenden Abschottung Europas und der noch tieferen Aushöhlung der nationalen Asylgesetze beteiligte. Insbesondere sind hierbei das „Asylpaket II“ (2016) und das „Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ (2019) – auch „Hau-abGesetz“ genannt – zu nennen. So wurden ab 2016 die 2 www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/Abschiebungen-2016.

1 Heiko Kauffmann: Von Evian nach Brüssel. Karlsruhe 2008, S. 39

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