IPPNW-Report „Gesundheitliche Folgen von Abschiebung“

Page 17

DIE GESUNDHEITLICHEN FOLGEN VON ABSCHIEBUNGEN

3. Abschiebung in den Krieg. Die „Rückführung“ einer Rom*nja-Familie in den Kosovo

Am 24. März 1999 begann die NATO mit deutscher Beteiligung ihre Militärintervention gegen Jugoslawien. Zuvor, im Jahr 1996 schloss die Bundesregierung mit dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloševic ein Rückführungsabkommen ab, auf dessen Grundlage die deutsche Bundesregierung noch bis kurz vor dem Krieg Geflüchtete, auch Kosovo-Albaner*innen, in die Bundesrepublik Jugoslawien „zurückführte“. Unter ihnen die Familie von Frau J., die von der IPPNW-Ärztin Sabine Will interviewt wurde.

Sabine Will: Wann sind Sie nach Deutschland gekommen?

alles getan, um das zu verhindern. Untertauchen wollte er nicht. Er hat versucht, Unterschriften zu sammeln; er hat Anträge gestellt, um nach Holland oder in die USA ausreisen zu können, doch sie wurden alle abgelehnt. Meine Mutter war schwanger, als wir abgeschoben wurden – im sechsten Monat. Die Behörde wusste das auch. Als ich erfuhr, dass wir abgeschoben werden sollten, sagte mein Vater, dass wir jetzt nach Hause müssten. Meine Mutter meinte: Du musst die serbische Sprache lernen, denn ich verstand kein Serbisch. Auch unsere Muttersprache Roma konnte ich nicht mehr richtig. Ich habe viel geweint in der Zeit und meine Freunde auch.

Will: Wie verlief die Abschiebung? Frau J.: Wir sind 1991 nach Deutschland geflohen, weil in Jugoslawien Krieg war. Ich war damals fünf oder sechs Jahre alt. Zuerst wohnten wir für kurze Zeit in einem Hotel, dann in einem Wohncontainer, in der Gemeinde Alpen bei Duisburg. In dem Ort sind wir auch geblieben. Es ging mir gut damals, meine Kindheit war schön. Wir wohnten in einem Haus auf dem Dorf; Mutter, Vater und mittlerweile fünf Schwestern. Mein Vater arbeitete als Erntehelfer. Im Winter sammelte er Sperrmüll und verkaufte Sachen auf dem Flohmarkt. Er durfte damals arbeiten. Aber er hat keinen langfristigen Vertrag gehabt – das war sein Fehler. Meine Mutter war immer zu Hause. Sie hat gekocht, saubergemacht und sich um uns gekümmert. Und ich habe ihr geholfen. Ich habe auch oft für sie übersetzt – sogar beim Frauenarzt.

Will: Was geschah dann? Frau J.: Als ich zwölf Jahre alt war, kam eines Tages ein großer Mann, der sagte, dass wir in den nächsten Tagen packen müssten. Wir sollten zurück nach Jugoslawien. Mein Vater hat

Frau J.: Es kamen zwei dunkelblaue Kombibusse und fünf Polizisten in Zivil, um uns abzuschieben, auch der Mann, der uns über die Abschiebung informiert hatte. Es war so ungerecht. Ich war sehr traurig und wütend. Meine Eltern haben geweint. Auch Journalisten kamen, mit denen ich sprach, obwohl mein Vater gesagt hatte, dass ich nicht mit ihnen reden sollte. Die Reporter sagten, dass in Jugoslawien Krieg herrsche. Das war ein Schock.

Will: Wie ist es Ihnen in Jugoslawien ergangen? Frau J.: Wir kamen in ein Land, das ich nicht kannte. Es war im September 1998. Mit dem Geld, das mein Vater aus Deutschland geschickt hatte, hatte mein Großvater ein Haus gebaut – doch es gab weder Strom, Wasser noch Heizung. Wir hatten nichts zu trinken. Ich hatte nicht gewusst, dass man nichts zum Essen und nichts zum Trinken haben kann. Dann bekam meine Mutter meinen Bruder. Und der Krieg begann. Ich habe viel geweint. Ich will mich nicht erinnern … Mein 17


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.