Gesundheitsversorgung in Moria
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Leave no one behind! Die EU entzieht sich ihrer Verantwortung Blutuntersuchungen, bildgebender Diagnostik und fachärztlichen Konsultationen weg bzw. sind nur noch in Notfällen möglich. Da die Räumlichkeiten und personellen Kapazitäten der medizinischen Strukturen in Moria nicht dem Versorgungsbedarf entsprechen, ergeben sich für die Patient*innen stundenlange Wartezeiten und viele von ihnen werden am Ende nicht ärztlich untersucht. Außerdem ist es erschreckend, wie viel Leid und Krankheit durch die Lebensbedingungen und die anhaltende Ungewissheit in Moria bedingt sind.
ur Zeit leben mehr als 20.000 Menschen in Moria auf Lesbos, einem Camp mit einer ursprünglichen Aufnahmekapazität von 3.100 Menschen. Die Geflüchteten werden im Rahmen der europäischen Abschottungspolitik auf den griechischen Inseln festgehalten. So soll es der EU-TürkeiDeal von 2016 ermöglichen, alle „irregulär“ ankommenden Geflüchteten, die kein Asyl beantragen oder deren Antrag abgelehnt wird, in die Türkei abzuschieben. Weiterhin verbietet der Deal Geflüchteten die Inseln zu verlassen, bis über ihren Asylantrag entschieden wurde, was Jahre dauern kann.
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isher gab es auf Lesbos nur wenige Fälle von Covid-19. Während die Ausgangssperren für Griech*innen langsam gelockert werden, dürfen die Geflüchteten das Camp weiterhin nicht verlassen. Maßnahmen zur Erkennung und Vorbereitung auf einen Ausbruch, wie die Einführung einer zentralen Triage (in der systematisch nach Symptomen von Covid-19 gescreent wird) und der Einrichtung von Isolationsmöglichkeiten, wurden zwar mit einiger Verspätung getroffen, erscheinen aber anggesichts der Enge und hygienischen Zustände des Camps völlig unzureichend. Sobald es den ersten Fall im Camp gibt, wird ein Ausbruch nicht mehr zu verhindern sein.
Die Lebensbedingungen in Moria werden von Geflüchteten selbst als höchst unmenschlich und erniedrigend beschrieben. Trotz jahrelanger Kritik von NGOs und der griechischen Bevölkerung hat sich die Situation zunehmend verschlechtert. Zur Unterbringung stehen oft nur dicht gedrängte Zelte zu Verfügung, es fehlt an sanitären Anlagen, die Wasser- und Stromversorgung funktioniert meist nur stundenweise, für Essen und Trinkwasser muss mehrmals täglich stundenlang angestanden werden. Es kommt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und sexualisierter Gewalt. All dies führt nicht nur zu Haut-, Durchfall-, und Atemwegserkrankungen, die meisten Menschen leiden insbesondere psychisch unter der Situation. Viele haben schon im Herkunftsland und auf der Flucht Krieg, Folter oder andere Gewalt erlitten, und werden durch die andauernde existentielle Unsicherheit, die Polizeipräsenz, die Gewalt in Moria weiter traumatisiert.
Wenn in der EU Menschenrechte tatsächlich für alle gelten würden, wäre Moria schon längst evakuiert worden. Stattdessen entzieht sich die EU der Verantwortung, Abschreckung und Grenzsicherung werden über Menschenleben gestellt. Spätestens jetzt, mit der Bedrohung durch die Covid-19-Pandemie, ist die Auflösung des Camps die einzig sinnvolle Maßnahme zum Schutz der Menschen.
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ie Covid-19-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen haben all dies nochmal verschärft. Einerseits sind (auch durch die faschistischen Übergriffe im März) viele Unterstützungsstrukturen zusammengebrochen, andererseits dürfen die Menschen das Camp nur noch in Ausnahmefällen verlassen. Dadurch nimmt die Anspannung im Camp spürbar zu. Die Gesundheitsversorgung der Menschen in Moria war schon vor Beginn der Pandemie prekär. Sie wird zu großen Teilen von NGOs übernommen, mit eingeschränkten Möglichkeiten zur Überweisung an Einrichtungen des griechischen Gesundheitssystems. Seit dem Lockdown – der Schließung des Camps aufgrund des Coronavirus – fallen die ohnehin schlechten Möglichkeiten zu
Charlotte Linke und Jessica Horst sind Ärztinnen aus Berlin und arbeiten aktuell für eine NGO in Moria (Lesbos). 15
Fotos: Fotomovimiento / CC BY-NC-ND 2.0
KATASTROPHALE LEBENSBEDINGUNGEN: FLÜCHTLINGSLAGER AUF DEN GRIECHISCHEN INSELN (2018)