IPPNW forum 150/2017 – Die Zeitschrift der IPPNW

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Foto: © Erik Marquardt

ippnw forum

das magazin der ippnw nr150 juni 2017 3,50€ internationale ärzte für die verhütung des atomkrieges – ärzte in sozialer verantwortung

– Milliarden für die Rüstung – Brennelementexport stoppen – Atomare Krise in Nordkorea

Sicheres Herkunftsland? Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete


issuu.com/ippnw

Bestellen Sie die Broschüre Im humanitären Bereich hat das Werben um Erbschaften und Nachlässe eine lange Tradition. Der Vorstand der IPPNW hat sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, diese Möglichkeit den eigenen Mitgliedern, Fördererinnen und Förderern anzutragen. Den Einsatz für Ziele, die Ihnen am Herzen liegen, können Sie durch ein Vermächtnis oder ein Erbe nachhaltig unterstützen. Diese zwölfseitige Broschüre informiert Sie, welche Fragen dabei zu bedenken sind.

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IPPNW Deutsche Sektion Körtestraße 10 10967 Berlin

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EDITORIAL Anne Jurema ist IPPNWReferentin für Flucht und Asyl.

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ür die Bundesregierung gilt Afghanistan als Land mit sicheren „internen Schutzalternativen“. Seit Dezember 2016 führt Deutschland Sammelabschiebungen nach Afghanistan durch. Zugleich ist die Schutzquote für afghanische Geflüchtete von ca. 77 Prozent 2015 auf 48 Pozent 2017 gesunken. Das hat viel mit deutscher Innenpolitik und nichts mit der Sicherheitslage in Afghanistan zu tun. Menschen aus den Maghreb- und Balkanstaaten haben fast gar keine Möglichkeit, in Deutschland Asyl zu bekommen. In dieser Ausgabe schauen wir hinter die Fassade des Konzepts „sicherer Herkunftsstaaten” und die Rolle von ÄrztInnen in der jüngsten Abschiebepraxis. IPPNW-Vorstandsmitglied Carlotta Conrad analysiert in ihrem Beitrag die humanitäre Lage von Rückkehrenden in Afghanistan und zeigt, dass die Chancen auf familiäre Unterstützung, Reintegration und Zugang zu Gesundheit in Afghanistan für Rückkehrende geschwindend gering sind. Es verwundere daher nicht, dass aufständische Parteien und kriminelle Organisationen gezielt unter Rückkehrern rekrutieren. Eine Argumentationshilfe gegen zentrale Argumente zur Rechtfertigung der deutschen Afghanistan-Asylpolitik des Bundesinnenministeriums und Auswärtigen Amtes gibt uns der IPPNW-Arbeitskreis Flucht und Asyl. In einer Reportage erzählt Maximilian Ellebrecht die Geschichte einer tunesischen Familie, die wegen der bisexuellen Orientierung des Familienvaters aus ihrer Heimat fliehen musste und nach einer Odyssee durch die EU nun mit einem negativen Asylbescheid in Deutschland konfrontiert sind. Zu welch couragiertem Einsatz für das Wohl ihrer Patienten, aber auch zu welcher Instrumentalisierung für die Interessen von Behörden und massiven Verletzung des hippokratischen Eids ÄrztInnen in Deutschland bereit sind, beschreibt IPPNW-Mitglied Bernd Hontschik in seinem Beitrag zur Abschiebung eines schwer traumatisierten kosovarischen Roma und Patienten der Uniklinik Gießen. Das Titelbild dieses Heftes stammt von Erik Marquardt zeigt das ehemalige deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Sharif, das bei einem Talibanattentat im November 2016 zerstört wurde. Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen Anne Jurema. 3


INHALT Milliarden für die Rüstung: Die NATO mobilisiert für den Krieg

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THEMEN Milliarden für die deutsche Verantwortung............................................8 Türkei: Vertreibung und Repression........................................................10 Syrien heute: Konfliktlinien, Akteure, Interessen.......................... 12 Die Friedensschrift des Erasmus von Rotterdam........................... 13

Foto: Lettische Armee/cc by-nc-nd 2.0

Brennelemente-Lieferungen aus Lingen: Der Weg für einen Exportstopp ist frei..................................................14 Zeit für einen belgischen Ausstieg: Interview mit Marc Alexander (Antwerpen).........................................15 Das Ziel ist erreichbar: Atomwaffen werden verboten..................16 Erneute atomare Krise in Korea............................................................... 18

Lingen und Tihange abschalten: Widerstand in Deutschland & Belgien

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SERIE Die Nukleare Kette: Uranbergbau in Jadugoda / Indien............ 19

SCHWERPUNKT Sicheres Herkunftsland Afghanistan? .................................................. 20 Abschiebung in den Krieg............................................................................ 22 Asylrecht ist Grundrecht: Eine Entgegnung zur Argumentation der Bundesregierung..............................................24 Für eine Handvoll Euro.................................................................................. 26 Foto: aaa-West

Wieder nur hoffen. Bisexuell zu sein, ist in Tunesien lebensgefährlich............................................................... 28

Das Ziel ist erreichbar: Atomwaffen werden verboten

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WELT Nachruf auf den sambischen IPPNWler Bob Mtonga

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RUBRIKEN Editorial.......................................................................................................................3 Meinung......................................................................................................................5 Nachrichten..............................................................................................................6 Aktion........................................................................................................................31 Gelesen, Gesehen.............................................................................................. 32

Foto: ICAN

Gedruckt, Geplant, Termine........................................................................ 33 Gefragt..................................................................................................................... 34 Impressum/Bildnachweis.............................................................................. 33


MEINUNG

Thomas Nowotny ist im IPPNWArtbeitskreis Flucht und Asyl aktiv.

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Seit Dezember 2016 wurden über 100 nach Deutschland geflüchtete afghanische Männer mit monatlich startenden Charterflügen nach Kabul abgeschoben.

iele der Betroffenen arbeiteten jahrelang gut integriert in Deutschland. Einige standen kurz vor ihrer Hochzeit. Andere wurden abgeschoben, obwohl sie schwer krank sind. Die meisten abgeschobenen Menschen sind gezwungen, sich zu verstecken oder erneut zu flüchten. Ein junger Mann ist vermutlich von den Taliban ermordet worden, ein weiterer bei einem Anschlag verletzt, ein anderer – schwer traumatisiert und auf Medikamente angewiesen – ist spurlos verschwunden. Auf tragische Weise bestätigt sich, was alle wissen: Afghanistan ist nicht sicher – nirgends! Und die Lage verschlechtert sich weiter. In Deutschland hat die erbarmungslose Abschiebepolitik schwere Begleiterscheinungen für Geflüchtete und ihr soziales Umfeld. Ein erfahrener Asylanwalt bezeichnet diese Politik als „eine Art Suizidprogramm“. Die enormen Integrations­bemühungen der hauptund ehrenamtlich Betreuenden, vor allem aber der Flüchtlinge selbst, werden mit einem Schlag zunichte gemacht, ihr Glaube an den Rechtsstaat ist schwer erschüttert.

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ir müssen unseren politischen Druck verstärken, um dieses staatliche Unrecht zu stoppen! Noch hält die Kanzlerin an ihrem Abschiebekurs fest. Doch im Wahlkampf können wir ihr und den anderen Kandidaten klarmachen, dass sie durch die menschenfeindliche und verlogene Abschiebepolitik viele Wählerstimmen verlieren wird. Über 68.000 Menschen unterstützen schon unsere Petition an die Kanzlerin: www.change.org/nodeportation. Bitte helfen Sie mit, dass es über 100.000 Unterschriften werden! Die Botschaft lautet: Deutschland muss seine internationalen Schutzverpflichtungen erfüllen, es darf Menschen nicht einfach ins Verderben schicken! Es reicht! Die Abschiebungen nach Afghanistan müssen sofort gestoppt werden!

Der IPPNW-Arbeitskreis „Flucht und Asyl“ hat Empfehlungen für heilberuflich Tätige in Abschiebesituationen herausgegeben. Sie können sie unter ippnw.de/bit/handreichung herunterladen.

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NACHRICHTEN

Foto: TIHV

BKA-Gesetz gefährdet die ärztliche Schweigepflicht

Nordkorea-Krise spitzt sich gefährlich zu

Menschenrechtler Dr. Serdar Küni zu vier Jahren Haft verurteilt

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er Bundestag hat Ende April eine weitreichende Entscheidung getroffen: Mit der Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes ist der besondere Schutz des Berufsgeheimnisses von Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten Geschichte. „Das ist eine fatale Fehlentscheidung, die das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt stark gefährdet“, sagte IPPNW-Mitglied Dr. Silke Lüder, Vizevorsitzende der Freien Ärzteschaft in Hamburg. „Ungeachtet der Kritik vieler Verfassungsrechtler an dem Entwurf zu dieser Neufassung hat der Bundestag das BKA-Gesetz innerhalb kurzer Zeit durchgepeitscht.“ Zur Terrorismusabwehr darf der Staat nun auch Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten überwachen und etwa mithilfe von Bundestrojanern verdeckt in die IT-Systeme von Arztpraxen und Krankenhäusern eindringen. „Dabei lassen sich nicht nur die Daten von verdächtigen Personen ausspähen, sondern faktisch auch die von allen anderen PatientInnen“, erläutert Lüder. Das sei ein großes Problem, denn diese sprächen mit ihren ÄrztInnen häufig über sehr persönliche Dinge, die mehr oder weniger direkt mit ihrem medizinischen Anliegen zusammenhängen. „Dieses Vertrauen bildet die Basis unserer ärztlichen Tätigkeit. Die PatientInnen haben ein Recht darauf, dass alle Gesprächsinhalte im geschützten Raum bleiben und niemand beispielsweise von Depressionen, Essstörungen oder Eheproblemen erfährt,“ so Lüder.

ie nordkoreanische Führung hat im Mai 2017 erfolgreich zwei Mittelstreckenraketen getestet. UN-Resolutionen untersagen Nordkorea den Abschuss ballistischer Raketen. Das US-Repräsentantenhaus verabschiedete Anfang Mai weitere Strafmaßnahmen gegen Nordkorea. So wird nordkoreanischen Schiffen und den Schiffen anderer Länder, die die UN-Sanktionen gegen Nordkorea nicht einhalten, das Durchqueren von US-Gewässern sowie das Anlegen in Häfen der USA untersagt. Produkte, die in Nordkorea hergestellt werden, dürfen nicht mehr eingeführt werden. Die Internationale Atomenergiebehörde äußerte sich besorgt über Nordkoreas Fortschritt. „Wir haben Anhaltspunkte, dass das Nuklearprogramm so vorangeht, wie Nordkorea es verkündet“, sagte IAEA-Chef Yukiya Amano. US-Präsident Donald Trump hat im Konflikt um das nordkoreanische Atom- und Raketenprogramm mehrfach mit einem militärischen Alleingang gedroht. Ein militärisches völkerrechtswidriges Eingreifen der USA ohne UNMandat hätte weltweit verheerende Folgen. Der nordkoreanische UN-Vizebotschafter Kim In-Ryong warnte, auf der Halbinsel könne jeden Moment ein thermonuklearer Krieg ausbrechen. Die IPPNW appelliert an die deutsche Bundesregierung, sich für eine diplomatische Lösung des Konflikts unter Einbeziehung der UN einzusetzen. „Wir brauchen jetzt dringend eine internationale Krisendiplomatie statt einer Militärintervention“, so IPPNW-Abrüstungsexpertin Xanthe Hall. Siehe Artikel auf Seite 18

Mehr Infos: ippnw.de/bit/bka-gesetz 6

er Arzt und Vertreter der türkischen Menschenrechtsstiftung Dr. Serdar Küni wurde am 24. April 2017 vor dem Strafgericht in Sirnak zu vier Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte Anfang 2016 während der Ausgangssperre in Cizre Menschen behandelt, die als „Militante“ verdächtigt wurden, ohne diese dem Militär zu melden. Das hatte zur Folge, dass er seit Oktober im Gefängnis von Urfa inhaftiert und schließlich verurteilt wurde. Internationale ProzessbeobachterInnen kritisieren, dass der Prozess rechtsstaatliche Kriterien nicht erfülle. Die vier von der Staatsanwaltschaft aufgerufenen Zeugen, widerriefen ihre Aussagen bereits am ersten Prozesstag im März, da sie laut eigenen Aussagen unter Drohung und Anwendung physischer Gewalt getätigt wurden. Derzeit ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, da die Verteidigung Revision beantragt hat und die Urteilsbegründung aussteht. Bis zur Entscheidung des Revisionsgerichts wurde Dr. Serdar Küni vorläufig entlassen. Die berufliche Verantwortung des Arztes, zu der sowohl die unterschiedslose Behandlungspflicht als auch die ärztliche Schweigepflicht gegenüber Dritten zählen, wird durch das Verfahren in Frage gestellt. Dies verleiht dem Prozess auch auf internationaler Ebene grundsätzliche Bedeutung. IPPNW-Arzt und Prozessbeobachter Ernst-Ludwig Iskenius warnte vor einer Instrumentalisierung von ÄrztInnen durch die Interessen Dritter. Mehr dazu bei der türkischen Menschenrechtsstiftung: http://en.tihv.org.tr


NACHRICHTEN

Foto: Peng! Kollektiv

Falsche CDU-Basis fordert Kleinwaffen-Exportstopp

Gesundheitswesen durch Cyberangriffe gefährdet

Kongress „Armut und Gesundheit“ mit IPPNW-Beteiligung

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usammen mit KünstlerIerinnen des Schauspiels Dortmund hat das Berliner Künstler- und Aktivistenkollektiv „Peng!“ Anfang Mai 2017 einen (fiktiven) CDUOrtsverband auf einer Petitionsplattform ins Leben gerufen, dessen Vorsitzende die Christdemokraten per Videobotschaft aufforderte, „im Namen unserer christlichen Werte für den Exportstopp von Kleinwaffen“ einzutreten. „Seit der Flüchtlingskrise werden wir täglich vor unserer Haustür mit den Konsequenzen von Gewalt und Krieg konfrontiert ... Aber wer bringt all dieses Elend in unsere Welt?“, fragt Brigitte Ebersbach, die fiktive Vorsitzende des „CDU-Ortsverbandes Schwenke“ und fügt hinzu: „Leider auch wir. Besonders sogenannte Kleinwaffen fordern unzählige Todesopfer“, sagt sie und verweist auf eine Statistik, wonach 90 Prozent aller Kriegsopfer durch solche Waffen getötet werden. „Als überzeugte CDU-Politikerin, Mutter von zwei Kindern und als Christin vor Gott kann ich dieses Handeln nicht länger mitverantworten“. Neben Fox-News und Associated Press fiel auch Radio Vatikan auf den Fake rein und titelte: „CDUBasis gegen Waffenexporte!“ In einer zweiten Aktion startete das „Peng!“-Kollektiv eine gefälschte Rückrufaktion aller Waffen von „Heckler und Koch“ in den USA. Die Irritation war groß und das Rüstungsunternehmen musste mit einer Klarstellung auf seiner Internetseite reagieren. Die Website von Peng! finden Sie unter: https://pen.gg/de

ie elektronische Gesundheitskarte ist noch nicht im Dienst und schon technisch überholt. Im Laufe des Jahres soll die erste Grundfunktion laufen, nämlich der Abgleich der persönlichen Daten des Versicherten auf der Karte mit den Informationen, die bei der Krankenkasse liegen. Mittlerweile gibt es bereits Gesundheitsapps, die auf dem Smartphone des Versicherten eine komplette Patientenakte mit Befunden, Röntgenbildern oder Arztbriefen speichern können. Die jüngsten Cyberangriffe zeigen, wie berechtigt die Kritik der Datenschützer an der elektronischen Gesundheitskarte ist. Auch in Deutschland nehmen die Angriffe auf Kliniken und Arztpraxen zu. Trotzdem setzen Politik, Gesundheitsindustrie und IT-Konzerne weiterhin auf „E-Health“. Das Großprojekt „Elektronische Gesundheitskarte“ soll das Kernstück für eine zentrale Datenhaltung aller Krankheitsdaten werden. Die Elektronische Patientenakte sei die „Königsanwendung“, erklärte Gesundheitsminister Hermann Gröhe. Gleichzeitig sorgt die Politik aber nicht dafür, dass es einen strukturellen Schutz der Krankheitsdaten gibt. „Jeder neue Cyberangriff oder Datenschutzskandal bestätigt uns in unserer Forderung nach einer gesicherten dezentralen modernen Punkt-zu-Punkt Kommunikation in der Medizin unter höchsten Datenschutzstandards. Nur so können Schweigepflicht und informationelle Selbstbestimmung erhalten bleiben“, erklärt IPPNW-Mitglied Silke Lüder. Mehr unter: www.stoppt-die-e-card.de

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eim 24. Public Health Kongress „Armut und Gesundheit“ an der Technischen Universität Berlin vom 16.-17. März 2017 unter dem Motto „Gesundheit solidarisch gestalten“ standen gesundheitliche Ungleichheit und die daraus resultierende Herausforderungen für Politik und Gesellschaft im Vordergrund. AkteurInnen aus Politik, Wissenschaft, Gesundheitswesen und Selbsthilfe tauschten sich zu unterschiedlichen Themen aus und entwickelten auf dem Kongress gemeinsam Strategien und Lösungsansätze Gesundheit als Gemeinschaftsaufgabe zu verstehen und nicht als Einzelanstrengung. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Plattform für Globale Gesundheit gestaltete die IPPNW den Veranstaltungsstrang zu globaler Gesundheit mit. Der „Medical Peace Work“-Workshop, bei dem der Online-Kurs und ein Praxisbeispiel aus Südthailand vorgestellt wurden, war mit über 50 TeilnehmerInnen gut besucht. Prof. Dr. Richard Wilkinson, der den Kongress eröffnete, zeigte Daten auf, die belegen, dass Einkommensungleichheit krank macht. Das Streben nach immer mehr Umsatz und Gewinn hat in den reichen Ländern schon lange nicht mehr zu einer wachsenden Lebenserwartung geführt. In diesen Ländern ist die Ungleichheit der Einkommen so stark assoziiert mit Bildung, Geburtenraten unter Teenagern, Morden, Lebenserwartung etc. Je größer die soziale Schere, desto schlechter schneiden diese Länder nach gesellschaftlichen und gesundheitlichen Faktoren ab.


FRIEDEN

Milliarden für die deutsche Verantwortung Explodierende Rüstungsausgaben werden mit einer angeblichen Bedrohung durch Russland begründet

Konflikte und Kriege der Welt nehmen bedrohliche Formen an, sogar mit dem Einsatz von Atomwaffen wird aktuell gedroht. Noch hängen wir an den Metaphern des Kalten Krieges, obwohl statt einer zwei-Blöcke-Konfrontation heute die Gegenüberstellung vieler Blöcke, durchsetzt mit einzelstaatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, die diffuse Bedrohung ausmacht. Die Sicherheitslogik von NATO und Bundesregierung verlangt, gegen diese Bedrohung militärisch zu rüsten.

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ie deutsche Politik versteckt ihre Aufrüstung hinter dem Begriff einer „neuen Verantwortung“. So eingeführt auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014, wo Gauck, Steinmeier und von der Leyen unisono forderten: Deutschland müsse international mehr in die Verantwortung. Diese Verantwortung unterfüttert die Bundesregierung ideologisch, materiell und gesetzgeberisch.

erhöhte Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung fordert. Dies ist in dem von der Großen Koalition vorgelegten aktuellen Weißbuch abzulesen. Zuerst wird dort beklagt, dass nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes aufgrund einer „Friedensdividende“ und eines „sinkenden Bedrohungsempfindens“ und der wirtschaftlichen Herausforderungen der Wiedervereinigung bei der Armee Umfang und Fähigkeiten abgebaut und Ausrüstung reduziert wurden. Dann heißt es im Fazit für die Erfüllung der neuen Weltrolle:

Laut Webseite des Auswärtigen Amtes betreibt die Bundesregierung zuerst einmal Friedenspolitik, den „diplomatischen Einsatz für politische Lösungen von Krisen und Konflikten“. Aber zum Schluss ist die „Verantwortung“ ein militärisches Konzept. In ihren Worten: Es gibt eine militärische „Sicherheitsverantwortung“ – „wenn es unumgänglich ist“. Wichtig sei zudem der Einsatz für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung von Waffen und Rüstungsgütern. Auch eine Welt ohne Atomwaffen bleibe ein langfristiges Ziel. Die Realität dagegen ist: Deutschland steigert seine Waffenexporte und die Bundesregierung weigert sich bislang, an den Vertragsverhandlungen für ein Atomwaffenverbot teil zu nehmen.

„Zu dieser zukunftsfesten und adäquaten Rolle der Bundeswehr als Teil verantwortungsbewusster und verantwortungsbereiter deutscher Sicherheitspolitik bedarf es ausreichender Ressourcen und einer aufgaben- und strukturgerechten Ausstattung in Personal und Material. Wesentliche Voraussetzung für diesen Wandel ist eine nachhaltige, insbesondere verstetigte Finanzierung und eine Ausstattung bei Personal und Material, die sich an den Aufgaben und den Herausforderungen für die Bundeswehr orientiert.“ Also rüsten. Momentan liegen die um 1,4 Mrd. Euro gestiegenen Verteidigungsausgaben bei 1,22% des deutschen BIP. Eine Erhöhung auf das Zwei-Prozent-Ziel würde fast eine Verdoppelung der derzeitigen Militärausgaben bedeuten.

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ine Konstante deutscher Außen- und Sicherheitspolitik ist ihre Einbindung in das transatlantische Bündnis. Die Sicherheitslogik der NATO entwickelt sich zunehmend zu einer militärischen Logik. Und ihr militärisches Konzept muss materiell unterfüttert werden. Das führte zur NATO-Formel der zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die jeweilige Verteidigung. Vordergründig ist diese Forderung in der deutschen Politik umstritten. Doch bei allen vorgetragenen Nuancen ist sich die deutsche Regierungskoalition am Ende des Tages darin einig, dass die zu steigernde Verantwortung Deutschlands in der Welt zukünftig kräftig

Nachdem der US-Präsidentschaftskandidat Trump mit seinen Zweifeln an der Zukunftsfähigkeit des Bündnisses in den NATOHauptstädten und Brüssel kräftiges politisches Herzklopfen erzeugt hatte, wechselte er zuletzt von der Bezeichnung der NATO als „obsolet“ zur ihrer Charakterisierung als „Bollwerk“ für weltweiten Frieden und Sicherheit. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat für diese weltumspannende Aufgabe der NATO den 8


UKRAINISCHE PANZERFAHRER BEI EINEM MANÖVER IM OBERPFÄLZISCHEN GRAFENWÖHR, 10. MAI 2017

bekannt als „humanitäre Interventionen“, nicht als Angriffskrieg gelte, wurde zum 1. Januar 2017 der Straftatbestand der „Vorbereitung eines Angriffskrieges“ aus dem Deutschen Strafgesetzbuch (StGB § 80) ersatzlos gestrichen. Es ist sicherlich ein Fortschritt, dass im Völkerstrafgesetzbuch mit dem § 13 „Verbrechen der Aggression“ nunmehr nicht nur die Planung, sondern auch die tatsächliche Durchführung eines Angriffskrieges unter Strafe gestellt wird.

Begriff des 360-Grad-Ansatzes gefunden. Ihre Kritiker bezeichnen die NATO als ein global agierendes militärisches Interventionsbündnis. Trump ermahnt die Bündnispartner, dem Zwei-Prozent-Ziel nachzukommen. Bislang erreichen oder überschreiten diesen Wert neben den USA (3,61%) lediglich Griechenland (2,31%), Estland (2,18%), Großbritannien (2,17%) und Polen (2,01%). Trump kündigte für die USA die Erhöhung des Militärbudgets für 2018 um weitere 54 Milliarden Dollar auf über 650 Milliarden Dollar an, auch wenn der US-Kongress bei diesen Plänen noch ein Wort mitzureden hat. Diese Erhöhungssumme alleine entspräche ungefähr dem aktuellen Rüstungshaushalt von Russland oder Großbritannien.

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er Wehrmutstropfen steckt im Detail: Denn für den Tatbestand eines Angriffskrieges muss als Voraussetzung ein offenkundiges schwerwiegendes Führungsverbrechen, – also begangen durch einen Täter, der tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken – für eine Strafbarkeit vorliegen. Für alle beteiligten Staatsführer und Gerichte muss zweifelsfrei feststehen, dass eine Verletzung der UN-Charta vorliegt. Ein nur einzeln vorgebrachter Zweifel stellt die Voraussetzung in Frage.

Die Forderungen nach einer stetigen Erhöhung der Verteidigungsausgaben der NATO-Mitgliedsstaaten werden vor allem mit der angeblichen Bedrohung durch Russland begründet. Mit der UkraineKrise ab 2014 leitete die NATO mit dem „Readiness Action Plan“ eine massive Aufrüstung ihrer Ostflanke ein. Dazu gehören die personelle Erhöhung der Schnellen Eingreiftruppe und die Schaffung einer „Ultraschnellen Eingreiftruppe“. Unbeirrt verfolgt die NATO die Errichtung ihres Raketenschildes und ihre Atomwaffenmitglieder modernisieren für erhebliche Milliardenbeträge ihre Bestände. Zugleich verweigern sich die NATO-Staaten kategorisch dem UNProzess für ein Verbot von Atomwaffen. All das entspricht einer militärischen Logik und leistet einer Aufrüstungsspirale Vorschub.

Die Friedensbewegung argumentiert gegen die Steigerungen der Verteidigungsausgaben, sie lehnt die sicherheitspolitische Strategie der „neuen Verantwortung“, von der die 2%-Forderung sich ableitet, entschieden ab. Sie fordert statt militärischer Aufrüstung einen grundlegenden Wandel hin zu einer Friedenslogik. Dazu gehört die Weiterentwicklung der Strukturen gemeinsamer Sicherheit mit den europäischen Nachbarn, zu denen auch Russland gehört. Ein zentraler Beitrag dazu ist der Ausbau ziviler Konfliktbearbeitung. Denn menschliche Sicherheit kann nicht auf Rüstung und Militär gründen, das belegen zu viele Kriege und gewalttätige Konflikte.

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n dieser Aufrüstungsspirale klettert Deutschland mit. Die Bundeswehr leitete den Aufbau der Ultraschnellen Eingreiftruppe wie auch den Ausbau des Multinationalen Kommandos in Stettin. Deutschland führt eines der vier nun dauerhaft in Osteuropa stationierten NATO-Bataillone an und die Schaltzentrale der NATORaketenabwehr liegt im deutschen Ramstein. All das sind kostenintensive Maßnahmen.

Dr. Jens-Peter Steffen ist IPPNWGeschäftsführer und Referent für Frieden und seit vielen Jahren in der Friedensbewegung aktiv.

Zugleich glättet sich die Bundesregierung den Weg zu „mehr Verantwortung“ rechtlich. Um sicherzustellen, dass ein militärischer Einsatz für die Werte Menschenrechte und Demokratie, 9


FRIEDEN

Vertreibung und Repression Eine mutige IPPNW-Delegation bereiste im März die kurdischen Gebiete in der Südost-Türkei

An vielen Ecken der Stadt spürt man, dass Diyarbakir eine besetzte Stadt ist. Gepanzerte Fahrzeuge, Wasserwerfer und Absperrgitter stehen vor den öffentlichen Gebäuden wie vor einem Hochsicherheitstrakt, der nach außen abgeschirmt wird.

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ie versperren auch die wichtigen Ausfallstraßen und kontrollieren alles, was ihnen verdächtig vorkommt. Sie fahren mit Blaulicht durch die Straßen oder patroullieren in den engen Gassen. Zur Zeit kann man nur im Gänsemarsch an mehreren Polizeikontrollen vorbei ins Rathaus gelangen, in dem wir vor einigen Jahren frei ein- und ausgingen und offen mit den Verantwortlichen Probleme und Entwicklungen diskutierten. Heute sitzt dort, streng von der Bevölkerung abgeschirmt, statt gewählten VertreterInnen ein vom Staat eingesetzter Verwalter. Fast die gesamte Stadtverwaltung ist ausgetauscht. Wie in weiteren 86 bisher von der BDP, („Partei des Friedens und der Demokratie“) regierten Städten und kurdischen kommunalen Selbstverwaltungen sitzen die meisten VertreterInnen der Stadt Diyarbakir nun unschuldig im Gefängnis.

Das Ergebnis der Vertreibung Etwa 40.000 Menschen sollen aus Diyarbakirs Altstadt Sur vertrieben worden sein. Menschen, deren Haus zerstört wurde, können eine Eigentumswohnung in den neu hochgezogenen Appartmenthäusern

am Rande der Stadt erwerben – allerdings zu einem sehr viel höheren Preis als sie für ihr zerstörtes Haus an Entschädigung bekommen. Viele verschulden sich dabei. Die, die ohne Anmeldung in Sur gelebt haben, haben alles verloren, auch einen Anspruch auf Entschädigung.

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erloren hat die Bevölkerung in mehrfacher Hinsicht: Durch die militärischen Angriffe auf ihren Stadtteil. Viele sind noch traumatisiert, haben aber keinen Anspruch auf Behandlung. Dem medizinischen Personal war während der Kämpfe und Ausgangssperren verboten, Alte, Kranke, Kinder und Verwundete zu behandeln. Wie viele Menschen durch die Nicht-Versorgung umgekommen sind, wird wohl im Dunkeln bleiben. Die Menschen haben ihr Haus und ihr soziales Umfeld verloren, ihre Voraussetzung, um ihre seelischen Wunden wieder schließen zu können. Das Gravierendste ist: Sie können sich nicht gemeinsam wehren, sonst drohen Verhaftung und Gefängnis. Vormals bestehende Unterstützungsstrukturen und zivile Selbstorganisation wurden systematisch zerschlagen. 10

Repression im Gesundheitswesen Viele Personen werden willkürlich festgenommen und bis zu 23 Tage ohne Angabe von Gründen im Gefängnis festgehalten. Wer zu einer oppositionellen Organisation wie der Gesundheitsgewerkschaft gehört, wird aus seinem Beruf verjagt. Türkeiweit sind über 2.500 Gesundheitsfachleute entlassen worden, im Bezirk Diyarbarkir waren es mehrere hundert. Wir besuchten eine Protestveranstaltung für diese bedrohten Kolleginnen und Kollegen, die von der Gesundheitsgewerkschaft organisiert und aus Angst vor der Polizeigewalt im Haus abgehalten wurde. Eine Anästhesistin aus dem Vorstand der Ärztekammer wurde von einem Tag auf den anderen gekündigt – ohne Angaben von Gründen. Ihre Stelle wurde nicht wieder besetzt. Die an vielen Stellen aus Personalmangel sowieso defizitäre Gesundheitsversorgung der Bevölkerung wird dadurch deutlich schwieriger. Operationen können nicht mehr durchgeführt werden, ganze Stadtteile wurden ihrer letzten Ärzte beraubt. In manchen Kliniken hat sich auch der Pflegenotstand deutlich verschärft.

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ie Repression ist da am schärfsten, wo politischer Widerstand der Erdogan-Regierung besonders im Wege ist. So werden Mitglieder oppositioneller Parteien unter nichtigem Vorwand in Haft genommen und auf unbestimmte Zeit festgehalten. Gülsan Özer, die Ko-Vorsitzende der HDP, die wir gesprochen haben, ist kürzlich aus ihrer 29-tägigen Haft entlassen


PROTESTAKTION DER GEWERKSCHAFT GEGEN DIE ENTLASSUNGEN VON BESCHÄFTIGTEN IM GESUNDHEITSWESEN.

worden. Solche Inhaftierungen verunsichern das gesamte Umfeld und auch die BürgerInnen, die es nicht mehr wagen, mit der Partei Kontakt aufzunehmen.

Das Schweigen Europas Als besonders schmerzhaft empfinden die politisch Aktiven, dass sie aus Europa und gar aus Deutschland zu wenig offene Unterstützung erfahren: „Wir versuchen die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen, und Ihr schweigt dazu.“ In den Auseinandersetzungen stehe man häufig allein, die Stimme Europas komme meist zu spät. Offensichtlich sei die Angst vor den Flüchtlingen in Europa größer als die Bewahrung der eigenen demokratischen Prinzipien. Aber auch die Stimmen der engeren Freunde in den westlichen Ländern hätten sie auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen oft vermisst. „Ich habe mich, als ich während der Kämpfe in Lebensgefahr war und Freunde vor meinen Augen erschossen wurden, furchtbar allein gefühlt. Nicht die physische Bedrohung, sondern die Einsamkeit war das Schlimmste. Niemand von Euch, die ihr uns seit Jahren kennt, hat angerufen und sich nach uns erkundigt. Wenn ich nicht für meine jüngeren Nichten und meine Mutter hätte sorgen müssen, ich glaube, ich wäre heute nicht mehr bei Euch.“ Statt wie so häufig hilfloser Zuschauer solcher Ereignisse zu sein, wäre wieder neu darüber nachzudenken, wie konkrete Solidarität auch in Kriegs- und Konfliktsituationen aussehen könnte, welchen

konkreten spürbaren Beitrag für die betroffenen Menschen jedeR von uns leisten kann. Manchmal stärkt ein Wort, ein Brief, ein Telefonat die Widerstandskraft dieser Menschen mehr als irgendwelche theoretischen Analysen und politischen Diskussionen und trägt so mehr zur Verhinderung einer Entwicklung bei, die auch für unsere eigenen demokratischen Prinzipien tödlich enden kann.

Prozessbeobachtung für Dr. med. Serdar Küni Handlungsmöglichkeiten gibt es zum Beispiel bei den Prozessbeobachtungen, die wir zur Zeit im Fall der Vorsitzenden der Menschenrechtsstiftung Prof. Sebnem Korur Fincanci in Istanbul und des Arztes Dr. Serdar Küni aus Cizre/Sirnak machen. Küni arbeitete während der Ausgangssperre 2015-16 als Arzt im Gesundheitszentrum in Cizre und versorgte Verwundete, ohne deren Namen an die militärischen Stellen weiterzuleiten. Das wird ihm als Unterstützung von Terroristen vorgeworfen. Am 19. Oktober 2016 wurde er verhaftet. Der Einladung der türkischen Menschenrechtsstiftung zur Prozessbeobachtung folgten mehrere internationale BeobachterInnen aus Europa und den USA. Zur Prozesseröffnung in Sirnak am 13. März 2017 wurde Dr. Küni per Video aus dem Gefängnis in Urfa zugeschaltet. Der Tag endete mit der Fortsetzung der Haft, obwohl alle Zeugen der Anklage ihre Aussagen widerriefen, weil sie unter Folter erzwungen worden waren. Auch am zweiten Prozesstag waren internationale Be11

obachterInnen anwesend. Die Staatsanwaltschaft legte medizinische Gutachten zu den Folter-Vorwürfen der Zeugen vor, die von einem erfahrenen Gerichtsmediziner aus Istanbul fachlich widerlegt wurden. Die Verteidigung forderte daraufhin eine erneute unabhängige Untersuchung der Zeugen nach den Kriterien des international anerkannten Istanbul-Protokolls. Trotzdem wurde Dr. Küni zu vier Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt, diesmal aber bis zum Revisionsverfahren aus dem Gefängnis entlassen. Dieses Revisionsverfahren soll schon in Kürze vor dem Obergericht in Urfa stattfinden. Ob BeobachterInnen zugelassen werden, ist noch nicht bekannt. Zu befürchten ist, dass das Gericht das Urteil bestätigen wird, weil Richter und Staatsanwalt sonst ihre Entlassung befürchten müssen.

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ir haben versucht, durch Briefe an das Gericht und an politisch Verantwortliche Einfluss zu nehmen und auf die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung des Prozesses hinzuweisen, bei dem die heilberufliche und besonders ärztliche Unabhängigkeit in der Behandlung hilfsbedürftiger Patienten zur Disposition steht.

Ernst-Ludwig Iskenius und Gisela Penteker waren zur Prozessbeobachtung und auf IPPNW-Delegationsreise in der Türkei.


FRIEDEN

WOHNVIERTEL TISCHREEN, ALEPPO, SEPTEMBER 2016

Syrien heute: Konfliktlinien, Akteure, Interessen Aktionskonferenz „Zivile Lösungen für Syrien“ in Köln

Foto: Karin Leukefeld

Nach sechs Jahren Syrienkrieg gibt es zurzeit zwei diplomatische Initiativen. Mitte Mai begann eine neue Runde der Genfer Friedensgespräche. Parallel zu diesen Gesprächen liefen auf Initiative Russlands, des Irans und der Türkei in Astana Verhandlungen zwischen Vertretern der syrischen Regierung und den Rebellen zur Sicherung der Waffenstillstände. Russland warb im UN-Sicherheitsrat um Unterstützung für die Einrichtung von vier Deeskalationszonen in Syrien. Auf der Aktionskonferenz „Zivile Lösungen für Syrien – Was können wir als Friedensbewegung tun?“ richtete die Friedensbewegung den Augenmerk auf die Zivilgesellschaft, um die militärische Logik mit einer friedenspolitischen Logik zu durchbrechen. Dr. Helmut Lohrer, International Councillor der deutschen IPPNW, diskutierte mit Dr. Christine Schweitzer über die Konfliktlinien, AkteurInnen und Interessen in Syrien. Im Folgenden dokumentieren wir einen Auszug seines Vortrages.

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ie Entstehung des Syrienkrieges muss im Kontext der Geschichte der Region betrachtet werden. Seit dem zweiten Weltkrieg versuchen die USA, dort ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Durch inzwischen freigegebene CIA-Dokumente ist belegt, dass 1949 in Syrien ein Putsch unter der Regie des US-Geheimdienstes erfolgte, um den Bau einer Pipeline von Saudi-Arabien in den Libanon durchzusetzen. 1958 und 1959 gab es weitere durch die CIA initiierte Putschversuche, die aber misslangen. Ziel war jeweils die Installation eines den USA genehmen Regimes. Die Konsequenz: Ein zunehmender Argwohn gegenüber den USA auf Seiten der Syrer und ein wachsender Einfluss des Militärs auf die syrischen Machtstrukturen. 1970 ergriff der Vater des heutigen Präsidenten Assad die Macht. Seit 2000 ist Baschar al-Assad Staatspräsident und gleichzeitig Generalsekretär der syrischen Baath-Partei. Die Parteien im Syrienkrieg werden von unterschiedlichen Mächten unterstützt. Die USA mit ihrem Bündnis westlicher Staaten, Saudi-Arabien und Katar, die Türkei, Israel,

Russland und der Iran: Sie alle unterstützen verschiedene Oppositionskräfte. Die gemeinsame Forderung ist: Assad muss weg. Die in Deutschland ansässige Organisation Adopt a Revolution teilt diesen Ansatz. Ihr zufolge ist eine friedliche Lösung nur unter Ausschluss Assads möglich. Sie folgt damit der insbesondere von westlichen Regierungen betriebenen Politik des „Regime Change“. Sie ergreifen Partei und verwechseln Solidaritätsarbeit mit Friedensarbeit. Der deutlich wahrnehmbare Versuch, Unterstützung für Adopt a Revolution zu finden, zieht einen inzwischen nicht zu übersehenden Graben durch die deutsche Friedensbewegung. Das Konzept ist aber mit meiner Idee von Friedensbewegung nicht kompatibel. Regime Change kann nicht unser Ziel für Syrien sein – sondern Dialog.

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olange die externen Mächte nicht aufhören, ihre eigenen Interessen über wechselnde Stellvertreter zu verfolgen, kann es keinen Frieden in Syrien geben. In diese Richtung muss ein wesentlicher Teil unserer Strategie als Friedensbewegung gehen. Deutschland beteiligt sich an diesen Interventionen offiziell nicht mit 12

kämpfenden Truppen, sondern mit Aufklärungsflugzeugen. Die sind aber an der Vorbereitung von Kampfeinsätzen beteiligt. Zur Instabilität der Region trägt die Bundesregierung zudem durch Waffenlieferungen in die Region bei. Unsere Hauptforderung ist, dass die mit Deutschland verbündeten Partner aufhören, ihre Interessen mit eigener Gewalt oder mit Hilfe ihrer Stellvertreter in Syrien zu verfolgen. Und natürlich fordern wir auch von Russland, die Gewalt einzustellen. Wir werben für den Dialog, für Verhandlungen mit allen Beteiligten und für ein Ende der externen Interventionen.

Vollständiger Vortrag unter ippnw.de/bit/ Syrien, Bericht von der Konferenz unter blog.ippnw.de

Helmut Lohrer ist International Councillor der Deutschen IPPNW.


FRIEDEN

Die Friedensschrift des Erasmus von Rotterdam Erasmus von Rotterdam sei, so Stefan Zweig, „unter allen Schreibenden und Schaffenden des Abendlandes der erste streitbare Friedensfreund“ gewesen.

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eine „Klage des Friedens“ (Querela pacis) wurde geschrieben für einen 1517 geplanten Friedenskongress, auf dem sich Maximilian I. (Heilig Römisches Reich), Franz I. (Frankreich) und Heinrich VIII. (England) versöhnen sollten. Das Treffen kam freilich nie zustande. Erasmus schickte am 5. Oktober 1517 ein handschriftliches Exemplar des Textes an den Bischof von Utrecht; gedruckt erschien das Werk im Dezember 1517 in Basel.

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n seiner Querela betont Erasmus, dass Krieg der außermenschlichen Natur fremd sei: „Der Luchs hat Frieden mit dem Luchs, die Schlange versehrt nicht die Schlangen, die Eintracht der Wölfe ist sogar sprichwörtlich.“ Und weiter: „Die Tiere setzen auch nur zum Kampf an, wenn sie durch Hunger oder durch Sorge um die Jungen in Erregung geraten. Welches Unrecht ist dagegen den Christen zu gering, um nicht als geeignete Kriegsgelegenheit betrachtet zu werden?“ Eine scharfe Kritik der gegenwärtigen Zustände schließt sich an: „Falls man sich nun früherer Kriege nicht erinnert, vergegenwärtige sich, wer will, die im Zeitraum der letzten zwölf Jahre geführten Kriege, möge er die Ursachen prüfen, er würde erfahren, dass alle um der Fürsten willen unternommen und mit großem Unheil für das Volk geführt wurden, obwohl sie das Volk gewiss nicht das geringste angingen.“ Scharf kritisiert Erasmus auch den damals bereits keimenden Nationalismus: „Um dem Hass Nahrung zu geben, werden die Namen der Gebiete

missbraucht. Und die einflussreichen Größen nähren diesen Irrtum des dummen Volkes, und auch einige Priester nähren ihn, um des eigenen Vorteils willen. Der Engländer ist dem Franzosen feind, aus keinem anderen Grund, als weil er Franzose ist. Dem Schotten zürnt der Brite aus keiner anderen Ursache, als dass er ein Schotte ist. Der Deutsche ist mit dem Franzosen zerfallen, der Spanier mit den beiden. O Verrücktheit, bringt der bloße Name eines Ortes auseinander?“ In diesen Sätzen klingt das Weltbürgertum des Erasmus an, das dieser fünf Jahre später ausdrücklich beim Namen nannte. Denn 1522 bot der Reformator Ulrich Zwingli dem nun in Basel lebenden Erasmus, dem berühmtesten Gelehrten seiner Zeit, das Züricher Bürgerrecht an. Erasmus lehnte dies ab: „Ich danke dir sehr für deine Zuneigung und die deiner Stadt. Ich wünsche, ein Bürger der Welt zu sein, allen gemeinsam, oder besser, für alle ein Fremder.“

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er berühmteste Satz aus der Friedensschrift des Erasmus ist aber wohl dieser: „Kaum kann je ein Friede so ungerecht sein, dass er nicht besser wäre als selbst der gerechteste Krieg.“ Die Mahnrede des Erasmus – heute so aktuell wie eh und je! – hat das bis 1945 andauernde Blutvergießen in Europa nicht verhindern können, aber sie verhallte nicht ungehört. Erasmus wurde Urheber einer pazifistischen Tradition, die nach 1517 aus der europäischen Geistesgeschichte nicht mehr zu vertreiben war. Es wäre schade, wenn im Reformationsjahr 2017 dieser Pazifismus in den Hintergrund geriete – zumal Erasmus in der Frage von Krieg und Frieden eindeutiger gewesen ist als Luther. Man denke nur an dessen Schrift „Wider die räuberischen 13

und mörderischen Rotten der Bauern“ (1525), worin es unter anderem heißt: „So wunderliche Zeiten sind jetzt, dass sich ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen verdienen kann, besser als andere mit Beten...“ Hierzu mögen sich die Leserin und der Leser ihr persönliches Urteil bilden. Sicher ist jedenfalls, dass es sich durchaus lohnt, der durch Erasmus begründeten Tradition wieder innezuwerden – auch seiner so erstaunlich aktuellen, 500 Jahre alten Friedenschrift von 1517.

Till Bastian: Das Erbe des Erasmus. Von der Ächtung des Krieges und der Hoffnung auf Weltbürgertum, Isny 2017. Zu beziehen über Till Bastian, Kontakt: t.bastian@wollmarshoehe.de

Dr. Till Bastian ist Mediziner, Schriftsteller und IPPNW-Mitglied.

Erasmus. Lucas Cranach der Ältere 1530-36

Die 500 Jahre alte Mahnrede ist aktuell wie eh und je


ATOMENERGIE

Der Weg für einen Exportstopp ist frei Brennelemente-Lieferungen aus Lingen in die grenznahen Pannenreaktoren sind rechtlich zweifelhaft

Nirgendwo ist der Zusammenhang zwischen dem deutschen und dem europäischen Atomausstieg so deutlich wie an den Atomstandorten Lingen und Gronau.

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ie Brennelementefabrik in Lingen gehört einer Tochterfirma des französischen Konzerns Areva und hat genau wie die Urananreicherungsanlage von Urenco in Gronau eine zeitlich unbefristete Betriebserlaubnis – trotz deutschem Atomausstieg. Beide Betriebe exportieren ihr gefährliches Gut in alle Welt. Aktuelle Medienaufmerksamkeit findet die Brennelementefabrik Lingen, weil von hier aus die grenznahen Atomkraftwerke Tihange, Doel, Fessenheim und Cattenom beliefert werden, die nachgewiesene hohe Sicherheitsmängel aufweisen. Deshalb hatte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks – auf Empfehlung der Reaktorsicherheitskommission – die belgische Regierung zur Schließung von Tihange 2 und Doel 3 aufgefordert. Auch die Stilllegung von Fessenheim wurde wieder gefordert. Die logische Konsequenz dieser Forderungen wäre, die Beihilfe zum Weiterbetrieb dieser Reaktoren sofort zu beenden, einen Brennelement-Exportstopp zu verhängen und bereits erteilte Ausfuhrgenehmigungen zu widerrufen.

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isher verschanzte sich die Bundesumweltministerin Hendricks allerdings hinter unhaltbaren Rechtsauslegungen: „Der Bundesregierung seien rechtlich die Hände gebunden“. In einer neuen von der IPPNW in Auftrag gegebenen rechtlichen Stellungsnahme widerspricht die

Rechtsanwältin Dr. Cornelia Ziehm dieser Auffassung. Denn das Bundesumweltministerium hat den von ihm angeführten unionsrechtlichen Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den EUMitgliedstaaten in Wahrnehmung seiner Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in Deutschland“ bereits durchbrochen. Barbara Hendricks vertraute den Aussagen der belgischen Atomaufsichtsbehörde FANC zur Frage der Risikobewertung in den belgischen AKWs nicht und beauftragte daher die deutsche Reaktorsicherheitskommission und die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit mit einer eigenen Prüfung. „Für die Erteilung oder Verweigerung von Ausfuhrgenehmigungen zu den genannten Hochrisikoreaktoren kann und muss der gleiche Bewertungsmaßstab gelten wie für die Reaktoren selbst“, so Dr. Ziehm. Das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland sind im Atomgesetz ein relevantes Schutzgut, genauso wie im europäischen Unionsrecht und im Euratom-Vertrag. Bei allen darin enthalten Regelungen gelten zumindest Ausnahmen im Sinne des Schutzes von Leben und Gesundheit.

geblich die Warenverkehrsfreiheit innerhalb der europäischen Union höher bewertet werden solle als die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bevölkerung, „ist für einen unbefangenen nicht sachkundigen Beobachter kaum nachvollziehbar. Aber auch aus rechtlicher und technischer Expertensicht gehe die Bewertung des Gutachtens an der Wirklichkeit vorbei.“

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n solch einer realen Gefährdungs-Situation, wie sie für Tihange, Doel, Cattenom und Fessenheim gilt, ist aus Sicht des Schutzes der Bevölkerung Prävention, also Abschalten der Hochrisikoreaktoren der einzige Weg. Diesem Weg muss die Bundesregierung jetzt Nachdruck verleihen, nicht nur mit Worten, sondern mit politischem Handeln. Die Bundesregierung ist aufgefordert, aktiv zu werden! Verleihen wir unserer Forderung nach Stilllegung von Tihange und Doel, von Cattenom und Fessenheim ebenso wie der vorzeitigen Abschaltung aller deutschen Risikoreaktoren den nötigen Nachdruck! Die IPPNW beteiligt sich an der trinationalen Menschenkette von Aachen über Maastricht und Lüttich nach Tihange. Die rechtliche Stellungnahme von Dr. Cornelia Ziehm im Auftrag der IPPNW finden Sie hier: ippnw.de/bit/ziehm-stgn Information und Anmeldung zur „Kettenreaktion Tihange“ unter: www.chain-reaction-tihange.eu

Ähnlich deutlich äußert sich der Physiker und Jurist Prof. Wolfgang Renneberg, ehemals Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, in einer eigenen Stellungnahme. Dass anAngelika Claußen ist europäische Vizepräsidentin der IPPNW. 14


ATOMENERGIE

Jeder Meter zählt Zeit für einen belgischen Ausstieg: Der Antwerpener Marc Alexander im Interview

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bwohl die belgische Atomindustrie hochentwickelt ist und im Lande einiges unternimmt, um Desinformation zu verbreiten, sind verschiedene Organisationen gegen die Atomlobby aktiv. Wie sieht der Widerstand im nuklearen Walhalla aus? Der Antwerpener Marc Alexander, Sprecher der „11maartbeweging“, ruft dazu auf, sich am 25. Juni der Menschenkette gegen die AKWs Tihange 2 und Doel 3 anzuschließen. Wie ist die Situation der belgischen AntiAtom-Bewegung und was sind Ihre Forderungen? Wir von der Initiative „Elfter März” in Belgien organisieren viele Aktionen, oft innerhalb von breiten Bündnissen. Wir fordern die Abschaltung der Atomreaktoren, einen Umstieg der belgischen Energiewirtschaft auf 100 % Erneuerbare Energien und eine sozial gerechte Energiewende. Anti-AKW-Initiativen wie „Fin du Nucléaire” und „Nucléaire STOP Kernenergie” fordern einen Atomausstieg ebenso wie viele ökologische und soziale Organisationen. Auch wenn das im ökonomischen und politischen Kontext in Belgien momentan kein leichtes Unterfangen ist. Ist es schwierig, in Belgien Aufklärungsarbeit gegen die Atomindustrie zu leisten? Belgien ist ein kleines Land, wo sehr viel Atomenergie erzeugt wird. Darum verbreiten politische und andere Gruppen viel Desinformation und setzen die Bevölkerung unter Druck. Ihre „Fakten” sind wissenschaftlich nicht haltbar. Rechte PolitikerInnen versuchen den Menschen Angst vor dem Blackout zu machen. Dabei war die Energieversorgung 2015 während der temporären Stillegung der Reaktoren Tihange 2, Doel 3 und Doel 4 nachweislich gesichert. Ein Gutachten der Kommission für die Regulierung von Elektrizität und Gas, CREG, zeigt, dass während des so-

genanten “Blackout-Winters” noch immer Kapazitäten von mehr als 1.000 Megawatt an Reserve vorhanden waren. Auch bei sehr niedrigen Temperaturen hätte es Ende März mit geringer Wahrscheinlichkeit kurzzeitig einen Engpass gegeben, so die CREG. Selbst dann hätte es noch strategische Reserven gegeben (z.B. Reserveproduktionsanlagen, Abschaltungsübereinkünfte mit Großbetrieben). Das wussten die Behörden, die BelgierInnen haben aber aus der Presse wenig darüber erfahren.

die dort arbeiten, eine neue Perspektive gibt. Ich bin gewerkschaftlich aktiv und habe nicht vergessen, dass in Japan nach der Abschaltung der Atomanlagen viele Betriebe monatelang stillstanden und ArbeiterInnen arbeitlos gemacht wurden. Wie funktioniert die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gegen die maroden AKWs? Eine radioaktive Bedrohung, die nicht an den Grenzen haltmacht, müssen wir mit internationalem Widerstand be-

GEMEINSAMER PROTEST IN LINGEN, OKTOBER 2016 Foto: aaa-West

Um Ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, klagen Sie jetzt gegen die deutschen Behörden. Zusammen mit AntiAtom-Bündnissen aus Münster und Lingen bereiten wir eine Klage vor – gegen BAFA und BMU, die wider besseren Wissens genehmigen, dass Areva Brennelemente aus Lingen an die maroden Reaktoren liefert. Dieser Export nach Doel und Tihange stellt eine große Bedrohung für unser Leben und unsere Gesundheit dar – für unsere Familien, unsere FreundInnen und KollegInnen. Ein Land wie Deutschland, das den Atomausstieg beschlossen hat, muss auch Lingen und Gronau abschalten. Die Bundesrepublik Deutschland könnte sich auch dafür einsetzen, dass es für die Menschen,

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antworten. Das wird am Sonntag, dem 25. Juni 2017 geschehen. Dann organisieren belgische, niederländische und deutsche Organisationen eine 90 Kilometer lange Menschenkette von Tihange über Maastricht nach Aachen. Dafür sind zehntausende Personen notwendig, und viele Organisationen, die ihre Mitglieder mobilisieren. Jeder Meter zählt! Wir als Anti-Atom-Bewegung müssen genauso international organisiert sein wie die Atomindustrie.

Marc Alexander ist Sprecher der „Bewegung Elfter März“ und Mitorganisator der „Kettenreaktion“ gegen Tihange 2 und Doel 3.


ATOMWAFFEN

„Das Ziel ist erreichbar“ Atomwaffen werden verboten

Ban the Bomb! Die Verwirklichung einer einst belächelten Idee ist zum Greifen nah. Dieses Ziel hatten wir seit der Gründung der IPPNW vor Augen. Jetzt hat bei der UN ein Prozess begonnen, der dahin führt.

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om 27. bis 31. März 2017 nahmen 130 Staaten die Arbeit auf, Atomwaffen zu verbieten, weil sie die schlimmste und zerstörerischste Waffengattung sind. Die Hauptverhandlungsphase, die am 15. Juni in New York beginnt, soll bis zum 7. Juli 2017 einen Vertrag als Ergebnis haben. Damit wird Geschichte geschrieben. Zwei Jahrzehnte Stillstand in der Abrüstung sind beendet.

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ie Präsidentin der Verhandlungskonferenz, Botschafterin Elayne Whyte Gómez aus Costa Rica, ist zuversichtlich. „Das Ziel ist erreichbar,” sagte sie bereits am 28. März 2017. Mit diesen Worten beendete sie die Spekulation, der Vertrag werde erst 2018 abgeschlossen. Es ist natürlich immer noch möglich, dass die bisherige Einheit der verhandelnden Staaten bröckelt und die Gespräche doch verlängert werden müssen. Aber die Anzeichen stehen gut, da die Staaten nah beieinander sind. Unter den Verhandlungsstaaten besteht quasi Einvernehmen darüber, dass Lagerung, Einsatz, Besitz, Erwerb, Entwicklung und Produktion von Atomwaffen verboten werden sollen. Was diese multilateralen Verhandlungen von früheren unterscheidet, ist nicht nur, dass die Staaten alle eins verbindet: Sie besitzen keine Atomwaffen. Auch das hohe Maß an zivilgesellschaftlicher Be-

teiligung ist neu. Nicht nur die hohe Zahl an Delegierten, vor allem von ICAN-Partnerorganisationen, sondern auch die aktive Teilnahme an den Gesprächen. Viele unserer ExpertInnen wurden gebeten, Ideen vorzustellen, wie der Vertrag aussehen kann. Vor Beginn der Konferenz trafen sich CampaignerInnen zwei Tage lang und tauschten Ideen aus und koordinierten ihre Arbeit. Sie bildeten Teams für die „Lobbyarbeit”, für Berichterstattung, Aktionsorganisation, Medienarbeit, Social Media und das Dokumentieren des Prozesses. ICAN-Partnerorganisationen hielten Vorträge zu Fragen über die Inhalte des Vertrags in der Konferenz selbst, für die Präambel, die Kernverbote, positive Verpflichtungen (z.B. Zerstörung der Arsenale, Umweltrehabilitation, Opferhilfe) und institutionelle Einrichtungen für die Umsetzung des Vertrags. Auch die Opfer kamen zur Wort: nicht nur Setsuko Thurlow als Vertreterin der Hibakusha, sondern auch Sue Coleman-Haseldine aus Australien für die vielen Atomtestopfer weltweit. ExpertInnen wurden auch in einem Panel zur Beratung spezifischer Fragen zum Vertragsinhalt hinzugezogen. Am 29. März 2017 hielt IPPNW-Ko-Präsident Tilman Ruff eine Rede auf der Konferenz (Video hier: youtu.be/dtlvWW8IQxk). Er erinnerte daran, dass die Verhand16

lungen aus der „Humanitären Initiative“ gewachsen sind, die in drei wichtigen Konferenzen die humanitären Folgen der Atomwaffen festgeschrieben hatten und dazu führten, dass Atomwaffen jetzt verboten werden. „Das Wissen über das, was Atomwaffen anrichten, entkräftet jegliches Argument für ihren weiteren Besitz und macht es notwendig, dass sie dringendst verboten und vernichtet werden. Das ist die einzige angemessene Antwort auf die existentielle Gefahr, die sie mit sich bringen,“ so Ruff. Er rief die Delegierten auf, die Vertragsverbote „umfassend“ zu machen. „Wir werden keine zweite Chance bekommen“, sagte er. Erwartungsgemäß blieben alle Atomwaffenstaaten sowie die meisten NATOLänder, darunter auch Deutschland, den Verhandlungen bislang fern. Den Vertrag werden zunächst voraussichtlich nur Länder ohne Atomwaffen unterzeichnen. Die jetzigen Atomwaffenstaaten könnten später hinzukommen. Wie genau das Verfahren aussieht, wird noch verhandelt. Entweder müssen die Atomwaffenstaaten zunächst abrüsten und können erst dann dem Vertrag beitreten. Oder sie dürfen sich schon vorher dem Vertrag anschließen – sofern sie sich vertraglich zur Abrüstung verpflichtet haben. Für jede der zwei Positionen gibt es Unterstützer. Unklar ist auch, ob der Vertrag bereits Bestimmungen zur Vernichtung der Bestände enthalten oder diese im Rahmen von späteren Verhandlungen mit den Atomwaffenstaaten geklärt werden sollten.


NEW YORK: BEI DER ERSTEN VERHANDLUNGSRUNDE IM MÄRZ 2017 Foto: Clare Conboy / ICAN

Positiv zu vermerken ist: Das Fernbleiben der Atomwaffenstaaten vereinfacht die Verhandlungen in gewisser Weise; das Ergebnis könnte dadurch schneller erreicht werden. Auf jeden Fall können sie den UN-Prozess nicht aufhalten.

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n der Öffentlichkeit wird gelegentlich in Frage gestellt, was ein Verbot bringt, wenn bloß atomwaffenfreie Staaten darüber verhandeln und am Ende unterschreiben. Ein Verbot hätte nicht nur symbolische Auswirkungen: Durch eine Ächtung werden nicht nur die Waffen selbst, sondern auch ihr geopolitischer Missbrauch stigmatisiert. Die Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft macht somit deutlich, dass die Androhung ultimativer Gewalt kein akzeptables Mittel für die Sicherung der eigenen Stellung in der Weltordnung ist. Dies wird den Status der Atommächte nachhaltig ändern. Mit einer solch breiten Unterstützung entfaltet eine internationale Norm auch über die teilnehmenden Vertragsstaaten hinaus völkerrechtlich und politisch eine große Wirkung. Sie wird den Druck, abzurüsten, erhöhen. Wenn Deutschland den Vertrag unterschriebe, müssten die US-Atombomben von deutschem Boden abgezogen werden. Aber auch ohne Unterzeichnung kann die nukleare Teilhabe dadurch erschwert werden, dass der Transit von Atomwaffen durch Territorien, Lufträume und Gewässer von Vertragsparteien verboten wird. Viele Staaten, insbesondere aus der Karibik, wollen Bestimmungen zur Transit- und Umschlagskontrolle in den Vertrag aufnehmen. Österreich dagegen argumentiert, es sei zu kompliziert, den See- und Luftraum territorial abzugrenzen.

Auch die Forderung nach einem expliziten Verbot der Finanzierung von atomwaffenbezogenen Aktivitäten wird von den Verhandlungsstaaten weitgehend geteilt, wenngleich einige Fragen zur konkreten Umsetzung aufgeworfen haben. Ein solches Verbot hätte auch Konsequenzen für die Regulierung von Investitionen mit öffentlichen Mitteln. Auch das Inkrafttreten des Vertrags könnte schnell gehen: Beinahe alle Staaten befürworten den Vorschlag, dass der Vertrag nicht erst von bestimmten, festgelegten Ländern ratifiziert werden muss, bevor er in Kraft tritt und damit auch erst für die anderen Länder gilt. Allerdings könnte es eine Mindestanzahl an Unterzeichnern geben. Wie geht es weiter? Elayne Whyte Gómez hat bereits einen Zeitplan der ersten Verhandlungswoche im Juni vorgelegt. Der am 22. Mai 2017 veröffentlichte Vertragsentwurf ist Grundlage für die weiteren Verhandlungen. Die strittigen Fragen werden sukzessiv durchgearbeitet und Einigung gesucht. Aber auch wenn Konsens gewünscht ist, wird schließlich eine Mehrheit beschließen. Denn es gibt doch einen NATO-Staat im Raum, der eventuell versuchen könnte, zu blockieren: Die Niederlande. Durch eine Mehrheitsabstimmung kann der Versuch einer Blockade überwunden werden. Wir fahren zum Ende der Verhandlungen nach New York und werden von dort aus berichten. Bevor wir aufbrechen, gibt es aber einige Aktionen zu organisieren: Vom 10. bis 17. Juni 2017 stellt die IPPNW Vieles auf die Beine, um auf die Verhandlungen aufmerksam zu machen: Am 10. Juni tagt der Vorstand wieder in Büchel und 17

am 11. Juni 2017 gibt es vor dem Haupttor ein internationales Symposium mit Gästen aus anderen europäischen Ländern und Mexiko sowie ein Friedensfest mit Musik und Aktionselementen. Am 13. Juni 2017 erscheint eine Anzeige u.a. in der FR, die die Bundesregierung auffordert, doch an den Verhandlungen teilzunehmen. Geplant ist in dieser Woche auch eine große Lichtprojektion auf einem Berliner Regierungsgebäude. Für den 17. Juni 2017 rufen wir alle IPPNW-Gruppen auf, sich an einem Aktionstag zu beteiligen und auf die Straßen zu gehen. Mit Infoständen, öffentlichwirksamen Aktionen und Veranstaltungen weisen wir auf die Verhandlungen hin.

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enn der Vertrag zustande kommt, dann muss das gefeiert werden! Am 8. Juli 2017 hissen viele Städten und Kommunen der BürgermeisterInnen für den Frieden Flaggen. Daraus kann auch mehr werden, wenn Musik und Tanz dazukommen, und Straßenfeste für ein Atomwaffenverbot veranstaltet werden. Danach gehen wir mit dem Verbotsvertrag in den Bundestagswahlkampf. Das Motto lautet: „Deutschland wählt atomwaffenfrei!“ Infos zu den Verbotsverhandlungen unter: nuclearban.de – Deutschland wählt atomwaffenfrei: www.ippnw.de/atomwaffenfrei

Xanthe Hall ist Atomwaffencampaignerin der deutschen IPPNW. Birte Vogel ist IPPNW-Mitglied und bei ICAN aktiv.


ATOMWAFFEN

Erneute atomare Krise in Korea Ein US-amerlikanischer Angriff auf Nordkorea würde die Welt in den Atomkrieg führen

In den vergangenen Wochen beobachteten wir eine erneute Eskalation des Konflikts um das nordkoreanische Atomwaffenprogramm – mit der realen Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung. Mit gegenseitigen Drohungen, provokanten Militärmanövern und Raketentests riskieren die USA und Nordkorea wieder einen Krieg.

400.000 Soldaten, in Südkorea über eine Million ZivilistInnen und 200.000 Soldaten, sowie über 600.000 chinesische und 35.000 US-amerikanische Soldaten. Es ist dieses Erbe, das immer mitgedacht werden muss, wenn es um Äußerungen der nordkoreanischen Seite geht. In Südkorea wurde im Mai ein neuer Präsident gewählt, der sich entschieden vom konfrontativen Kurs der Vorgängerregierung absetzt. Moon Jae-in erklärte kurz nach seiner Amtseinführung, er sei bereit, Gespräche in Washington und Pjöngjang zu führen um die aktuelle Krise diplomatisch beizulegen. Seine bisherigen Amtshandlungen deuten darauf hin, dass er die sogenannte „Sonnenscheinpolitik“ fortsetzen will, die auf eine friedliche Wiedervereinigung Koreas durch Öffnung und Annäherung zielte. Moon stellt sich damit bewusst gegen den konfrontativen Kurs der US-Regierung, die kürzlich mit der Stationierung von Raketenabwehrsysteme in Südkorea begonnen und erneut Militärschläge ins Gespräch gebracht hat.

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in Angriff auf Nordkorea würde Millionen von Menschenleben kosten und die Welt an den Abgrund eines Atomkrieges führen. Die friedlichen Mittel der Konfliktlösung sind hingegen nicht ausreichend ausgeschöpft worden. Die Forderung einer atomwaffenfreien koreanischen Halbinsel erscheint derzeit zwar in weite Ferne gerückt, ist jedoch weiterhin das Ziel, dem sich alle diplomatischen Bemühungen verschreiben sollten. Dabei hilft es nicht, dass die offiziellen Atomwaffenstaaten eine heuchlerische Doppelmoral praktizieren: Die Bemühungen einer völkerrechtlichen Ächtung von Atomwaffen boykottieren sie und modernisieren ihre Arsenale, während Nordkorea für sein Atomprogramm mit Militärschlägen gedroht wird. Es ist diese Unglaubwürdigkeit der Atomwaffenstaaten, die eine Lösung des Konflikts zusätzlich erschwert.

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chon 1994 und 2002 verlegten die USA Kampfbomber in die Region und arbeiteten an konkreten Plänen für einen Militärschlag gegen das Land, während Nordkorea ein eigenes Atomwaffenprogramm entwickelte und mit Angriffen auf Südkorea und die USA drohte. Die Regierungen in Pjöngjang und Washington sind heute noch unberechenbarer als damals. Beide stehen innenpolitisch unter Druck, was die Gefahr militärischer Ablenkungsmanöver erhöht. Nordkorea verfügt mittlerweile über ca. sechs bis zwölf Atomsprengköpfe, unter denen auch Wasserstoffbomben mit einer Sprengkraft von 20-30 Kilotonnen sein sollen.

Um die Krise in Korea friedlich zu beenden, muss zunächst als Realität hingenommen werden, dass Nordkorea aktuell über Atomwaffen verfügt, und die militärische Option aufgegeben werden. Im Gegenzug muss Nordkorea sich verpflichten, die Entwicklung von Atomwaffen einzustellen und ihrem Export und Einsatz abzuschwören. Dann können weitere Verhandlungen zu einer Wiederaufnahme der interkoreanischen Wirtschaftszusammenarbeit und einem umfassenden Friedensvertrags führen.

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abei darf nicht vergessen werden, dass sich die Länder weiterhin offiziell im Krieg befinden – einem Krieg, der zwischen 1950 und 1953 auf brutalste Art und Weise geführt wurde. Die USA bombardierten Nordkorea damals mit rund 635.000 Tonnen konventionellen Bomben und Napalm. Das Leben in Nordkorea verlagerte sich unter die Erde. 18 von 20 nordkoreanischen Städten wurden größtenteils zerstört, 75% der Hauptstadt Pjöngjang dem Erdboden gleich gemacht. Die Bombardierungen mussten schließlich aus Ermangelung an Zielen eingestellt werden. Insgesamt starben in Nordkorea mehr als 600.000 ZivilistInnen und

Dr. Alex Rosen ist Vorsitzender der deutschen IPPNW. 18


SERIE

Uranbergbau in Jadugoda Vor 50 Jahren begann die staatliche indische Urangesellschaft UCIL mit der Förderung von Uranerz

Hintergrund

Folgen für Umwelt und Gesundheit

1967 begann Indiens staatliche Urangesellschaft UCIL mit der Förderung von Uranerz in der Umgebung von Jadugoda. Etwa 35.000 indigene Adivasi leben in einem Fünf-Kilometer-Radius um die Minen. Diese Gemeinschaften mussten vielfach ihre Äcker und Reisfelder aufgeben, um den Minen Platz zu machen. Etwa 5.000 bis 7.000 Menschen arbeiten dort im Uranbergbau. Zur Herstellung des Urankonzentrats „Yellowcake“, das für Indiens Atomwaffen und Atomreaktoren benötigt wird, wurde zudem eine Aufbereitungsanlage errichtet. Infolge des niedrigen Urangehalts im Gestein von nur 0,06 % produzieren die Minen um Jadugoda enorme Mengen radioaktiver Rückstände, die, gemischt mit Wasser, in riesigen Auffangbecken gelagert werden. Die Sicherheitsvorkehrungen dieser Becken sind dabei minimal und es kommt häufig zu Unfällen und Lecks. So führte beispielsweise am 24. Dezember 2006 ein Rohrbruch dazu, dass hochgiftiger flüssiger Abfall in den fünf Kilometer entfernten Fluss Subarnarekha gelangte.

Der Abbau und die Verarbeitung von Uran produzieren radioaktiven Staub und setzen Radongas frei. Beides wird von den Minenarbeitern eingeatmet und führt zu innerer Verstrahlung. Der Transport von Uranerz auf offenen Lastwagen über unebene Straßen führt zudem zum Herunterfallen von radioaktivem Schutt, der am Straßenrand liegen bleibt und unerkannt über viele Jahre die Passanten verstrahlt. Die Rückstände der Minen enthalten noch etwa 75–80 % der ursprünglichen Strahlung und werden in unausgekleideten und unbedeckten Becken deponiert, aus denen Radongas und Gammastrahlung freigesetzt werden. Dörfer wie Dumridih befinden sich direkt neben diesen Becken. In der Trockenzeit wird der Staub der Rückstände durch die Dörfer geweht und während des Monsunregens läuft radioaktiver Abfall in die umliegenden Bäche und Flüsse. Innere und äußere Verstrahlung sind die Folge, da die Dorfbewohner in Unkenntnis der gesundheitlichen Gefahren und aus Mangel an Alternativen das kontaminierte Wasser als Bade-, Wasch- und Trinkwasser verwenden. Auch wurde Abraum aus den Minen genutzt, um in den Dörfern Häuser und Straßen zu bauen.

Jadugoda, Indien

Bei einer Befragung der Indian Doctors for Peace and Development wurde 2007 festgestellt, dass Kinder, die in den kontaminierten Regionen geboren wurden, im Vergleich zu Kindern aus nicht-kontaminierten Dörfern fast doppelt so viele angeborene Fehlbildungen hatten und dass diese in ca. neun Prozent zum Tode führten. Die Studie zeigte auch eine erhöhte Rate an Infertilität bei Paaren, eine signifikant niedrigere Lebenserwartung und eine höhere Mortalität aufgrund von Krebserkrankungen.

Uranbergbau Der Uranabbau in der Region um Jadugoda hat nicht nur maßgeblich zu Indiens atomarer Bewaffnung beigetragen, sondern auch schwere Umweltschäden verursacht. Die Mitglieder des Adivasi Stammes leiden unter der hohen Strahlenexposition in den Minen und der radioaktiven Kontamination ihrer Dörfer.

Hintergrund

Der Transport von Uranerz auf offenen Lastwagen über unebene Straßen führt zum Herunterfallen von radioaktivem Schutt, der am Straßenrand liegen bleibt und unerkannt über viele Jahre die Passanten verstrahlt. Foto: Swaroop Singh

Als Indien in den 1950er Jahren damit begann, nach Uranvorkommen zu suchen, um seine aufstrebende Atomindustrie mit spaltbarem Material zu versorgen, wurde es nahe des verschlafenen Dörfchens Jadugoda (auch Jadugora geschrieben) im Osten des Bundesstaats Jharkhand fündig. Etwa 35.000 indigene Adivasi leben in einem Fünf-Kilometer-Radius um die Minen. Diese Gemeinschaften mussten vielfach ihre Äcker und Reisfelder aufgeben, um den Minen Platz zu machen. 1967 begann Indiens staatliche Urangesellschaft UCIL mit der Förderung von Uranerz in der Umgebung von Jadugoda und später auch in den nahe gelegenen Dörfern Bhatin, Narwaphar und Turamidh. Etwa 5.000 bis 7.000 Menschen arbeiten dort im Uranbergbau.1,2 Zur Herstellung des Urankonzentrats „Yellowcake“, das für Indiens Atomwaffen und Atomreaktoren benötigt wird, wurde zudem eine Aufbereitungsanlage errichtet. Infolge des niedrigen Urangehalts im Gestein von nur 0,06 % produzieren die Minen um Jadugoda enorme Mengen radioaktiver Rückstände, die, gemischt mit Wasser, in riesigen Auffangbecken gelagert werden. Die Sicherheitsvorkehrungen dieser Becken sind dabei minimal und es kommt häufig zu Unfällen und Lecks. So führte beispielsweise am 24. Dezember 2006 ein Rohrbruch dazu, dass hochgiftiger flüssiger Abfall in den fünf Kilometer entfernten Fluss Subarnarekha gelangte.1

Folgen für Umwelt und Gesundheit

Im Hintergrund eine Uranmine, direkt daneben baden Anwohner. Während des Monsunregens läuft radioaktiver Abfall in die umliegenden Bäche und Flüsse. Innere und äußere Verstrahlung ist die Folge, da die Dorfbewohner in Unkenntnis der gesundheitlichen Gefahren und aus Mangel an Alternativen das kontaminierte Wasser als Bade-, Wasch- und Trinkwasser verwenden. Foto: Swaroop Singh

Die Menschen von Jadugoda sind der Radioaktivität auf verschiedene Weise ausgesetzt: Der Abbau und die Verarbeitung von Uran produzieren radioaktiven Staub und setzen Radongas frei. Beides wird von den Minenarbeitern eingeatmet und führt zu innerer Verstrahlung. Der Transport von Uranerz auf offenen Lastwagen über unebene Straßen führt zudem zum Herunterfallen von radioaktivem Schutt, der am Straßenrand liegen bleibt und unerkannt über viele Jahre die Passanten verstrahlt. Die Rückstände der Minen enthalten noch etwa 75– 80 % der ursprünglichen Strahlung und werden in unausgekleideten und unbedeckten Becken deponiert, aus denen Radongas und Gamma-Strahlung freigesetzt werden. Dörfer wie Dumridih befinden sich direkt neben diesen Becken. In der Trockenzeit wird der Staub der Rückstände durch die Dörfer geweht und während des Monsunregens läuft radioaktiver Abfall in die umliegenden Bäche und Flüsse. Innere und äußere Verstrahlung sind die Folge, da die Dorfbewohner in Unkenntnis der gesundheitlichen Gefahren und aus Mangel an Alternativen das kontaminierte Wasser als Bade-, Wasch- und Trinkwasser verwenden. Auch wurde radioaktiver Abraum aus den Minen genutzt, um in den Dörfern Häuser und Straßen zu bauen.2,3 2007 befragten Mitglieder der Organisation Indian Doctors for Peace and Development (IDPD) fast 4.000 Haushalte in einer groß angelegten Fall-Kontroll-Studie.

Dabei wurde festgestellt, dass Kinder, die in den kontaminierten Regionen geboren wurden, im Vergleich zu Kindern aus nicht-kontaminierten Kontrolldörfern fast doppelt so viele angeborene Fehlbildungen hatten und dass diese in ca. neun Prozent zum Tode führten – eine um mehr als fünffach erhöhte Mortalitätsrate. Die Studie zeigte auch eine erhöhte Rate an Infertilität bei Paaren in den betroffenen Gebieten, eine signifikant niedrigere Lebenserwartung und eine höhere Mortalität aufgrund von Krebserkrankungen.1 Eine weitere Studie, die 2004 von der Universität von Kyoto durchgeführt wurde, fand erhöhte Gamma-Strahlendosen in der Region: über ein Millisievert pro Jahr zusätzlich zur natürlichen Hintergrundstrahlung in den Dörfern und bis zu zehn Millisievert pro Jahr in der Umgebung der Rückstandsbecken.3 Die tatsächlichen individuellen Strahlendosen werden jedoch weitaus höher liegen, da der Großteil der Gesamtdosis durch innere Strahlung verursacht werden dürfte. Man geht davon aus, dass eine zusätzliche Belastung von einem Millisievert im Jahr mit einer zusätzlichen Krebserkrankung pro 10.000 Menschen pro Jahr einhergeht. Bei einer zusätzlichen Belastung von zehn Millisievert geht man von einer zusätzlichen Krebserkrankung pro 1.000 Menschen aus.4

Ausblick Da mehrere Studien signifikante Gesundheitseffekte des Uranabbaus gezeigt haben, die sich mit Ergebnissen aus anderen Uranabbaugebieten weltweit (auch aus Deutschland) decken, hat der gesetzgebende Rat von Bihar die Evakuierung der Dörfer in einem Radius von mindestens fünf Kilometern um die Minen sowie die Einführung effektiverer Sicherheitsmaßnahmen gefordert. Seit 1998 ist nichts geschehen. Stattdessen finanziert die Betreiberfirma UCIL Studien, die zeigen sollen, dass die Bevölkerung keine Gesundheitsfolgen zu befürchten hat. Die Tragödie geht weiter.

Ausblick Da mehrere Studien signifikante Gesundheitseffekte des Uranabbaus auf die lokale Bevölkerung gezeigt haben und diese Ergebnisse sich mit denen aus anderen Uranabbaugebieten weltweit (auch Deutschland) decken, hat der Gesetzgebende Rat von Bihar die Evakuierung der Dörfer in einem Radius von mindestens fünf Kilometern um die Minen sowie die Einführung effektiverer Sicherheitsmaßnahmen gefordert.3,5 Das war 1998. Seitdem ist nichts geschehen, der Bericht wurde weitgehend ignoriert. Stattdessen hat die Betreiberfirma UCIL Studien finanziert und veröffentlicht, die zeigen sollen, dass die Bevölkerung von Jadugoda keine Gesundheitsfolgen zu befürchten hat. Die Tragödie geht weiter. Für die Entwicklung indischer Atombomben wurden die Adivasi zu Hibakusha.

Weitere Informationen Auf YouTube gibt es zwei interessante Hintergrundfilme zum Thema Uranabbau in Jadugoda: „Buddha weeps in Jadugoda“, produziert vom Bindrai Institute for Research, Study and Action: http://youtu.be/upzt4ESu908 und „Jadugoda – The Black Magic“, produziert von IDPD: http://youtu.be/eIOmavVcG3M

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus der IPPNW-Posterausstellung „Hibakusha Weltweit“. Die Ausstellung zeigt die Zusammenhänge der unterschiedlichen Aspekte der Nuklearen Kette: vom Uranbergbau über die Urananreicherung, zivile Atomunglücke, Atomfabriken, Atomwaffentests, militärische Atomunfälle, Atombombenangriffe bis hin zum Atommüll und abgereicherter Uranmunition. Sie kann ausgeliehen werden. Weitere Infos unter: www.hibakusha-weltweit.de

Quellen Proteste der Adivasi im Dorf Bihar gegen die Uranminen in Jaduguda, Jharkhand. Foto: Aus dem Dokumentarfilm „Buddha Weeps in Jaduguda Jharkhand“

1 Rahman S. „Study on health status of indigenous people around Jadugoda uranium mines in India“. Indian Doctor for Peace and Development, 2010. http://ippnweupdate.files.wordpress.com/2010/11/singhshakeel.pdf 2 Dias X. „Uranium Mining – Where the debate begins. The Case of Jadugoda“. Ecologist Asia, May 2000. www.docstoc.com/docs/26802217/uranium-mining---where-the-debate-begins 3 Koide H. „Radioactive contamination around Jadugoda uranium mine in India“. Research Reactor Institute, Kyoto University, 08.07.2002. www.jca.apc.org/~misatoya/jadugoda/english/koide.html 4 „BEIR VII report, phase 2: Health risks from exposure to low levels of ionizing radiation“. National Academy of Sciences Advisory Committee on the Biological Effects of Ionizing Radiation, 2006. www.nap.edu/openbook.php? record_id=11340&page=8 5 Sahay V. „Uranium hits Jadugoda tribals“. Financial Express, 28.12.98. www.expressindia.com/fe/daily/19981228/36255804.html

Hibakusha weltweit

Eine Ausstellung der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW) Körtestr. 10 | 10967 Berlin ippnw@ippnw.de | www.ippnw.de V.i.S.d.P.: Dr. Alex Rosen

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ABSCHIEBUNG

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Foto: Š Erik Marquardt

m Camp bei Masar-i-Sharif: Etwa 250 Hazara-Familien leben hier unter schwierigen Bedingungen, nachdem sie vor den Taliban fliehen mussten.


Weitere Fotos von Erik Marquardt finden Sie unter: www.erik-marquardt.de Facebook-Infos unter: fb.com/erikmarquardtde Der Fotograf kann zu Vorträgen angefragt werden.

Sicheres Herkunftsland? Afghanistan ist von Armut und Unsicherheit geprägt

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er Fotojournalist, Politiker und ehrenamtliche Flüchtlingshelfer Erik Marquardt war schon mehrfach auf der Fluchtroute über den Balkan unterwegs und hat die Reise von Flüchtenden fotografisch begleitet. Anfang dieses Jahres reiste er zusätzlich nach Afghanistan und hat die Lebensbedingungen und den Alltag der Menschen vor Ort dokumentiert. Zurück in Deutschland schildert er seine persönlichen Eindrücke, Erlebnisse und Probleme in Afghanistan in Fotovorträgen. In Kabul und der Gegend von Masar-i-Scharif versuchte er sich ein Bild von der Situation zu machen, die die abgeschobenen Rückkehrer in Afghanistan erwartet. Das ganze Land zu bereisen, lasse die Sicherheitslage nicht zu, sagt er. Viele Gebiete würden von den Taliban kontrolliert. „In den Städten, in denen ich war, ist alles hoch militarisiert. Wer es sich leisten kann, versteckt sein Haus hinter hohen Mauern. Überall sind Straßensperren. Ich hatte das Gefühl, in einem Kriegsgebiet zu sein“, so der Fotojournalist in einem Interview mit der „taz“. Seit Mitte Mai ist der Fotograf auf dem Mittelmeer vor Libyen mit der „Sea Eye“ zur Seenotrettung unterwegs.

EIN GROSSVATER MIT SEINEM ENKEL, DER DRINGEND OPERIERT WERDEN MÜSSTE.

KABUL – EINE MILITARISIERTE STADT 21

Fotos: © Erik Marquardt

CAMP FÜR GEFLÜCHTETE BEI MASAR-I-SHARIF


ABSCHIEBUNG

Abschiebung in den Krieg Warum die Situation für Afghanistan-Rückkehrer lebensgefährlich ist

Farid (Name geändert) ist ein 22-jähriger Afghane und hat als Teenager beide Eltern verloren. Er vermutet, dass die Taliban sie umgebracht haben. Als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling kommt er nach Deutschland, lernt die Sprache und versucht, sich eine Existenz aufzubauen.

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och trotz Unterstützung von Freunden und Flüchtlingshelfern gelingt es ihm nicht, Asyl zu bekommen. Am 14. Dezember 2016 wird er vom Frankfurter Flughafen abgeschoben – zusammen mit 33 anderen Männern aus Afghanistan. In Kabul empfangen ihn Vertreter des afghanischen Flüchtlingsministeriums und der Internationalen Organisation für Migration. Doch Hilfe bekommt er nicht, niemand habe sich um ihn gekümmert, sagt Farid. In seiner Heimatstadt in Zentralafghanistan sucht er vergeblich nach seinen Verwandten. Er kehrt zurück nach Kabul und lebt von dem Geld, dass er von einer deutschen Bekannten erhält. Was sein wird, wenn das Geld aufgebraucht ist, weiß er nicht. Mit Farid im Flugzeug sitzt Samir N., ein Hindu, der weder Dari noch Paschtu spricht und vier Jahr in Hamburg lebte. Jetzt haust er in einem ungeheizten SikhTempel und traut sich nicht vor die Tür. Die Hindus in Afghanistan leben sehr unter sich. Da die Gläubigen verfolgt werden, gehen sie nur in Gruppen aus dem Haus, um sich zu schützen. Nur noch etwa 1.000 Hindus sollen in dem Land leben. Können Rückkehrende in Afghanistan Schutz und Hilfe erwarten und ihre eigene Existenz sichern? Die Afghanistan-Spezialistin Friederike Stahlmann setzt sich mit

der humanitären Situation und den Bedrohungen auseinander, denen die Menschen in Afghanistan in ihrem sozialen Umfeld ausgesetzt sind. Sie verweist auf die ökonomische Situation, die sich seit 2012 massiv verschlechtert habe. „Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts ist von 14,4 % in 2012 auf 0,8 % in 2015 gesunken. Schon im Jahr 2015 hat UNHCR die Zahl der „Persons of Concern“ (also der Personen, die unter das Mandat der Organisation fallen, im Fall Afghanistan vor allem Binnenvertriebene und Rückkehrende) mit 1,77 Millionen veranschlagt. Für 2017 geht das UNOCHA davon aus, dass 9,3 Millionen Afghanen akut von humanitärer Hilfe abhängig sein werden, was einen Zuwachs von 13 % im Vergleich zum Vorjahr bedeutet“, schreibt sie im Asylmagazin.

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nsbesondere die Städte seien mit immenser Zuwanderung konfrontiert. Ausgefallene Ernten aufgrund der Kämpfe sorgen dafür, dass viele Bauern ihr Land verlassen. Hinzu kommen die Flüchtlinge aus den Nachbarländern Afghanistans. Nicht nur der Iran schiebt vermehrt afghanische Staatsangehörige ab. Auch Pakistan hat entschieden, keine afghanischen Personen mehr im Land zu dulden. „Allein 2016 sind so 1.034.000 Menschen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, 22

wobei als „Rückkehrende“ auch jene gelten, deren Eltern schon in Pakistan geboren wurden. Diese erzwungene Rückkehr wird nicht nur aufgrund der akut drohenden Gefahren durch Krieg und Verfolgung von vielen verurteilt. Die immensen Zahlen von Rückkehrenden verschärfen auch weiter die schon bestehende humanitäre Notsituation“, so Friederike Stahlmann. Da die Rückkehr in die Heimat aufgrund von Zerstörungen oft versperrt ist, sucht die Mehrheit der Rückkehrenden in den Städten Zuflucht. So ist die Stadt Kabul seit 2001 von damals 500.000 auf geschätzte fünf bis sieben Millionen Einwohner angewachsen. „Unter den Rückkehrenden, aber auch unter den Binnenvertriebenen, sind insbesondere jene akut in ihrem Überleben gefährdet, die keine verlässliche Unterstützung durch bestehende soziale Netzwerke haben“, erklärt Stahlmann. Die Arbeitslosigkeit in Afghanistan liegt offiziell bei 40 %, wobei der Anteil in den Städten mit 70-80 % besonders hoch ist. „Auch die gezielte Beratung von Rückkehrenden in Kabul stößt hier an ihre Grenzen, denn wo es keine Arbeitsplätze gibt, können auch keine vermittelt werden“, weiß die Afghanistan-Expertin. Wer keine Arbeit hat, erhält aber auch keine Wohnung. Laut „Afghan Living Conditions Survey 2013-2014“ lebten bereits damals 73,8 % der städtischen Bevölkerung in Slums.

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aut Friederike Stahlmann ist es in Afghanistan lebensbedrohlich, ohne Perspektive auf Arbeit oder Wohnraum zu sein: „UNOCHA warnt eindringlich, dass die katastrophalen sanitären und hygieni-


schen Bedingungen, der fehlende Zugang zu Trinkwasser und die Enge in den Slums die akute Gefahr der unkontrollierten Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen begründet. Unter- und Mangelernährung und die schlechte Qualität der medizinischen Versorgung, so es sie denn gibt, potenzieren diese Gefahr. Die in den Städten verfügbare, jedoch weitgehend kommerzielle, medizinische Versorgung zwingt Betroffene zudem häufig in die Verschuldung, die die gesundheitlichen Gefahren von Unterernährung und Obdachlosigkeit nach sich zieht“. Diese Lebensumstände seien nicht nur für Kinder, Alte und Kranke, sondern auch für junge, gesunde Erwachsene lebensgefährlich. „Einschätzungen zur allgemeinen ökonomischen Lage, die sich weiterhin auf Daten von 2012 beziehungsweise auf noch ältere Urteile beziehen, wie sie häufig in Bescheiden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu finden sind, können weder den Zusammenbruch der afghanischen Wirtschaft seither, noch die grundlegend infrage gestellten Überlebenschancen angesichts der sich abzeichnenden humanitären Katastrophe berücksichtigen. Die Annahme, dass zumindest alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern können, ist durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen jedoch grundlegend infrage gestellt“, schreibt Stahlmann im Asylmagazin. Das Bundesamt für Migration argumentiert, dass die Rückkehrer in der Regel mit der Unterstützung durch Familien, Clans

oder sogar ethnische Gruppen rechnen könnten. Doch das traditionelle afghanische Solidarsystem hat seine Relevanz weitgehend eingebüßt und seine Verlässlichkeit verloren, wie die Afghanistanexpertin schildert: „Grenzen der Solidarität sind zunächst Grenzen des Möglichen. Wo selbst internationale Organisationen überfordert sind, humanitäre Nothilfe zu gewährleisten, kann von Familienverbänden kaum erwartet werden, dass sie dazu besser in der Lage sind“. Traditionell sei ein Ehemann zwar für die Versorgung seiner Familie verantwortlich, hier aber zunächst für seine Frau, Kinder und Eltern und erst dann für die Unterstützung weiterer Verwandter. Wie wenig Väter insgesamt zur Versorgung ihrer Familien in der Lage sind, zeige die akute Mangel- und Unterernährung von einer Million Kindern unter fünf Jahren.

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ie Fluchtbewegungen der Bürgerkriegsjahrzehnte hätten Familien häufig dauerhaft über Landesgrenzen und teilweise Kontinente hinweg aufgespalten. Zu einer weiteren Zerrüttung der Familienverbände trage bei, dass nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in den derzeitigen Kriegen die Konfliktlinien häufig durch die Familien laufen und sie spalten. „Selbst Brüder haben sich in Bürgerkriegszeiten teils auf gegnerischen Seiten wiedergefunden und tun das auch heute oftmals – z.B. indem ein Teil der Familie die Taliban unterstützt, während ein anderer auf Seiten der Regierung steht“, berichtet Stahlmann. Zudem sei für Rückkehrende aus Europa das Entführungsrisiko besonders hoch, besonders wenn ihnen unter23

stellt wird, an Reichtum gekommen zu sein. „Falls die Flucht über Kredite finanziert wurde, wird zudem spätestens bei Rückkehr auch deren Rückzahlung samt Zinsen fällig. Damit droht vielen derer, die sie nicht bedienen können, die Schuldsklaverei“, schreibt sie. Dazu komme das nicht unerhebliche Risiko der Verfolgung durch das soziale Umfeld oder extremistische Gruppierungen, die durch das Stigma des Lebens im Westen begründet sei. Liza Schuster und Nassim Majidi haben in ihrer Forschung über Rückkehrende aus Großbritannien gezeigt, dass aufständische Parteien und kriminelle Organisationen gezielt unter Rückkehrenden rekrutieren – Quelle: openaccess.city.ac.uk/4717

Friederike Stahlmann ist Ethnologin am Max-Planck-Institut Halle und aktuell eine der führenden Afghanistan-Expertinnen. Ich durfte sie bei dem Strategie-Tag der IPPNW zu Afghanistan und auf dem PRO -ASYL-Tag erleben und ihre eindrücklichen Schilderungen und Argumente hören. Zitate aus dem Artikel von Friederike Stahlmann „Überleben in Afghanistan?“ im Asylmagazin 3/2017: www.asyl.net/ arbeitshilfen-publikationen/asylmagazin. html Carlotta Conrad ist Mitglied im Vorstand der deutschen IPPNW und aktiv im Arbeitskreis Flucht und Asyl.

Foto:: © Erik Marquardt

IN DEN STRASSEN VON KABUL


ABSCHIEBUNG

Asylrecht ist Grundrecht Entgegnung zur Argumentation der Bundesregierung

Eine Argumentationshilfe. Grundlage für diese Entgegnung ist das gemeinsame Schreiben der Staatssekretäre des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums des Inneren vom 24. Februar 2017. Bundesregierung: „Im vergangenen Jahr stellten 127.892 afghanische Staatsangehörige einen Asylantrag in Deutschland. Afghanistan rückte damit als Herkunftsland für uns an die zweite Stelle. Die Schutzquote für afghanische Asylbewerber lag in Deutschland mit 55,8 % fast doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt (32 %).“ Entgegnung: Allein diese Aussagen zeigen, wie bedrohlich die Situation in Afghanistan ist. Im Jahr 2007 waren es noch 574, im Jahr 2015 32.000 Asylanträge aus Afghanistan. Es ist offensichtlich, dass viele Menschen dort keinen anderen Ausweg sehen als die lebensgefährliche Flucht nach Europa. Das allein sollte Grund genug für einen Abschiebestopp sein. Der Hinweis, die Schutzquote sei gegenüber dem EU-Durchschnitt „doppelt“ so hoch, soll suggerieren, dass man in Deutschland sehr großzügig sei. Es kann doch nicht um einen Wettbewerb unter den Regierungen in Europa gehen nach dem Motto „Wer schützt am wenigsten“. Wenn die Schutzquote bei uns höher ist, sollte man darauf hinarbeiten, dass sie in den anderen Ländern angehoben wird, anstatt die Standards auf niedrigerem Niveau anzugleichen. Bedrohte Menschen haben ein Grundrecht auf Asyl – kein Gnadenrecht! Deutschland hat obendrein eine besondere Verpflichtung gegenüber Flüchtlingen, weil es mit dem Einsatz der Bundeswehr an einem Regimewechsel im Land beteiligt war und damit eine Verantwortung für das Land übernommen hat, die es jetzt nicht einfach ablegen kann.

„Dies bedeutet umgekehrt auch, dass diejenigen, deren Asylanträge nach einer individuellen und ggf. gerichtlich bestätigten Prüfung abgelehnt werden…“ Moment: Viele Asylverfahren genügen nicht rechtstaatlichen Mindestanforderungen. Report Mainz schilderte bereits im vergangenen Sommer das Beispiel zweier afghanischer Brüder: Einer der beiden hat in einem Briefumschlag vom gleichen BAMFSachbearbeiter eine Ablehnung und eine Anerkennung seines Asylgesuchs erhalten. Bei seinem Bruder wurde das Asylverfahren beendet, weil er laut BAMF nicht zum Anhörungstermin erschienen sei. Dabei habe er nie eine Ladung erhalten. Zu diesem organisatorischen Chaos, dessen jüngster Beweis die Anerkennung eines rechtsextremistischen Bundeswehrsoldaten als syrischer Flüchtling ist, kommt ein systematischer Fehler hinzu: Die Entscheider müssen das Ziel des Bundesinnenministers umsetzen, dem Anstieg der Flüchtlingszahl aus Afghanistan „Einhalt“ zu gebieten. Nur so ist es zu erklären, dass trotz steigender Gefährdungslage die bereinigte Schutzquote für afghanische Flüchtlinge von 77,6 % im Jahr 2015 auf 47,9 % in den ersten beiden Monaten 2017 gesunken ist. Auch die Verwaltungsgerichte sind bei ihren Entscheidungen auf die Informationen von BAMF und Bundesregierung angewiesen. Da diese lückenhaft und teilweise unzutreffend sind, kommen die Betroffenen nicht zu ihrem Recht. 24

…grundsätzlich in ihr Heimatland zurückkehren müssen.“ „Grundsätzlich“ heißt ja nicht jetzt sofort. Viele der abgelehnten Asylbewerber leben schon lange hier. Die Situation in Afghanistan hat sich in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert. Diese Tendenz hält an. Die Grundlage für BAMF-Entscheidungen ist deshalb in der Regel schon überholt, wenn abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden sollen. So hatte das Bundesverfassungsgericht Ende 2016 eine Abschiebung gestoppt, da das Asylverfahren des Mannes bereits 30 Monate zurücklag und die Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan nicht berücksichtigt werden konnte. „Vor dem Hintergrund der im europäischen Vergleich sehr hohen Schutzquote ist die Zahl der jährlichen Rückführungen afghanischer Staatsangehöriger aus Deutschland vergleichsweise gering.“ In der Tat ist es den Behörden nicht gelungen, auch nur bei einem Flug die angestrebte Zahl von 50 Deportierten zu erreichen – bei jedem Flug waren es weniger als zuvor. Dennoch trifft die Abschiebepolitik viele Tausende, die durch die Drohung der Abschiebung in eine Krise geraten. Viele sind als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland geflüchtet und besonders häufig durch posttraumatische Störungen belastet. Alle ihre Bemühungen um Sprachkenntnisse, Schulbildung, Integration erscheinen plötzlich wertlos. Die kaum verarbeiteten Traumata brechen wieder auf, viele versuchen sich umzubringen oder voll-


enden sogar die „Flucht in den Tod“. Andere fliehen in andere Länder weiter, landen auf der Straße und in der Illegalität. „Hiervon macht Deutschland behutsam Gebrauch und beschränkt sich bis jetzt auf alleinstehende Männer.“ Deren Situation ist besonders heikel. Der Landesdirektor der Internationalen Organisation für Migration IOM, Laurence Hart, warnte davor, dass aus Deutschland abgeschobene Afghanen in ihrem Heimatland in die Fänge krimineller Netzwerke oder der Aufständischen geraten könnten. „Über 3.300 freiwillige Rückkehrer aus Deutschland sprechen eine klare Sprache…“ Thomas de Maizière hat (in klarer Sprache und ausnahmsweise korrekt) dargestellt, dass das Konzept der freiwilligen Rückkehr nur funktioniere, wenn auch abgeschoben werde. Es handelt sich schlichtweg um Erpressung. Die aktuellen Zahlen zeigen nur eins: wie zutiefst hoffnungslos und verängstigt die Menschen sind. Zum Vergleich: In den Jahren 2002-04 waren mehrere 100.000 Menschen wirklich freiwillig und ohne finanzielle Anreize aus dem Exil nach Afghanistan zurückgekehrt. „Noch weitaus höher ist die Zahl der freiwilligen Rückkehrer aus benachbarten Ländern: Aus Pakistan kehrten 2016 immerhin mehr als 600.000 Menschen zurück nach Afghanistan.“ Auch diese Menschen kehren mitnichten freiwillig zurück. Sie werden erneut vertrieben und zu

Flüchtlingen im eigenen Land gemacht. Der Bundesregierung ist bekannt, dass Pakistan angekündigt hat, 2,3 Millionen afghanische Flüchtlinge bis zum Frühjahr 2017 mit Gewalt zurückzuschicken. Dass noch nicht alle abgeschoben wurden, liegt an der mangelnden Logistik. „Gleichzeitig muss eine weitere Destabilisierung des Landes verhindert werden. Aus diesem Grund haben Präsident Ghani ebenso wie viele Vertreter der Zivilgesellschaft immer wieder vor einem „Brain-Drain“ gewarnt (...)“ IOM-Direktor Hart warnt dagegen, Abschiebungen aus Deutschland würden eine ohnehin „dramatische Situation“ in Afghanistan weiter verschärfen. „Die Kapazität des Landes, der Regierung und humanitärer Organisationen, Rückkehrer zu reintegrieren, ist ausgeschöpft“, sagte Hart. Sicher würden viele der gut ausgebildeten Afghanen ihre Heimat sehr gern wieder mit aufbauen, sehen aber aufgrund der Sicherheitslage überhaupt keine Möglichkeit dazu. Zudem sind es doch die Industrieländer, die gezielt „wertvolle“, gut ausgebildete Fachleute aus armen Ländern anwerben. Das ist eine unmoralische Ausnutzung und das krasse Gegenteil von Fluchtursachenbekämpfung. „Insgesamt hat sich die Sicherheitslage 2016 im Vergleich zum Vorjahr nicht wesentlich verändert.“ UNHCR, Amnesty international und UNAMA bestätigen in Zahlen und Beschreibungen das Gegenteil. UNHCR schreibt 2016: „Seit der 25

Veröffentlichung der Richtlinien hat sich allerdings die Gesamtsicherheitslage in Afghanistan weiter rapide verschlechtert… – gleichzeitig wurde die höchste Zahl an zivilen Opfern für einen Halbjahreszeitraum seit 2009 registriert“. „In jedem Einzelfall muss das Gefährdungsrisiko unter Einbeziehung sämtlicher individueller Umstände (...) geprüft werden.“ Bei den jetzt Abgeschobenen liegen Prüfung und Ablehnung der Asylanträge manchmal schon viele Jahre zurück. Welche Ausländerbehörde hat, wie es ihre Pflicht wäre, jeden Ausreisepflichtigen noch einmal darauf hingewiesen, dass er schnellstmöglich seinen Gefährdungsgrad noch einmal überprüfen lässt, weil sich die Situation stark verändert hat und sogar das Bundesverfassungsgericht gefordert hat, die Situation jedes Einzelnen neu zu überprüfen. Stattdessen werden die Menschen in Nacht- und Nebelaktionen aus ihren Betten geholt, ins Flugzeug gesetzt und in Kabul abgeladen. Das System der Einzelprüfung bleibt tödlich löchrig, solange in Afghanistan eine „volatile“ Situation herrscht. Dem ist Rechnung zu tragen, wenn der Flüchtlingsschutz noch ernst genommen werden soll. Eine aktualisierte Entgegnung des IPPNW-Arbeitskreises Flucht & Asyl. Den ausführlicheren Text mit Quellenangaben finden Sie unter: bit.ly/2qOpy6h

Foto: © Erik Marquardt

DAS ZERSTÖRTE DEUTSCHE GENERALKONSULAT IN MASAR-I-SHARIF. HIER WURDE IM OKTOBER 2016 EIN SCHWERER ANSCHLAG VERÜBT.


ABSCHIEBUNG

Für eine Handvoll Euro Der Landkreis Wetterau klagt gegen Prof. Bernd Gallhofer, der einen Patienten aus dem Kosovo behandelte

Im Norden von Frankfurt liegt der Wetteraukreis. Vor wenigen Monaten wurde dort eine 16jährige Schülerin direkt aus dem Unterricht der KurtSchumacher-Schule in Karben von zwei Polizisten abgeholt und mit ihrer Mutter, Angehörige der Minderheit der Rom, nach Serbien abgeschoben. Juristisch alles korrekt, aber im Verfahren ein bedauerlicher Einzelfall, so hieß es damals seitens der Behörden. Die Aufregung war schnell vorbei.

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s geht aber tatsächlich noch schlimmer, noch hinterlistiger, noch widerlicher, und auch diesmal wieder im Wetteraukreis: Seit Januar befand sich der 32-jährige Adnan G., ein aus dem Kosovo geflüchteter Rom, Vater von vier Kindern, wegen schwerer Depression und einem posttraumatischen Belastungssyndrom in stationärer Behandlung der Psychiatrie der Universitätsklinik Gießen. Er hatte im Kosovokrieg unter Zwang und vorgehaltener Waffe, gemeinsam mit anderen Rom, erschossene albanische Zivilisten auf der Straße einsammeln und begraben müssen. Als einige seiner Leidensgenossen dabei ermordet wurden, flüchtete er, zuletzt nach Deutschland.

und zum Flughafen zur Abschiebung in den Kosovo überführten. Seitens der Amtsärzte lag ein Flugtauglichkeitsattest vor, auch ein flugbegleitender Arzt war flugs gefunden. Der Chefarzt der Uni-Psychiatrie in Gießen, Professor Bernd Gallhofer, versuchte vergeblich, die Abschiebung seines schwer traumatisierten Patienten per Eilantrag und Verfassungsbeschwerde zu verhindern. Einige Tage später setzte der SPD-Landrat Joachim Arnold dem allen noch die Krone auf und stellte gegen Professor Gallhofer Strafanzeige. Dieser habe die ärztliche Schweigepflicht gebrochen, Beihilfe zum Verstoß gegen das Abschiebegesetz geleistet und den Landkreis Wetterau um 12.800 Euro betrogen, die die stationäre Behandlung des Adnan G. bislang gekostet habe.

Sein Asylantrag wurde jedoch abgelehnt, alle Rechtsmittel waren ausgeschöpft. Da wurden seine Frau und seine Kinder, zwischen ein und zehn Jahre alt, im Januar in den Kosovo abgeschoben. Adnan G. war da aber schon in stationärer psychiatrischer Behandlung.

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ranke Menschen dürfen nicht abgeschoben werden, wenn in ihrer Heimat die Behandlung nicht gesichert ist. So lautet das Gesetz. Einen schwerkranken Patienten aufs Amt zu locken, festzunehmen und abzuschieben, das alles unter den Augen und mit Billigung und tätiger Hilfe eines Amtsarztes, ist infam. Dieser Amtsarzt attestierte ohne weitere gutachterliche Untersuchung Reisefähigkeit: „Fit to Fly“. Während der gesamten Ausweiseprozedur, auch während des Fluges, musste der Patient Handschellen tragen und war begleitet von einem Arzt. Nach der Landung in Pristina drückte ihm dieser eine Schachtel Quetiapin in die Hand und ward nicht mehr gesehen. Mit Quetiapin behandelt man Psychosen, Depressionen oder Schizophrenie.

Als es dort Unklarheiten hinsichtlich der Abklärung von Sachund Geldleistungen zu klären gab, erhielt er die Auskunft, dass sich das nur bei einer persönlichen Vorsprache im Amt klären ließe. Die Sorge und Fürsorge seitens der psychiatrischen Klinik ging für diesen Patienten so weit, dass er am 1. März 2017 bei seinem Gang zum Ausländeramt Friedberg von einer Klinik-Sozialarbeiterin begleitet wurde. Dort fand er sich aber nicht den zuständigen Sachbearbeitern, sondern zwei Polizisten gegenüber, die seine Sozialarbeiterin vor die Tür drängten, ihn festnahmen 26


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Ämter können jede beliebige Ärztin, jeden beliebigen Arzt mit der Feststellung der Reisefähigkeit „fit to fly“ beauftragen, sogar solche aus anderen Bundesländern. So hat sich heimlich, still und leise eine Truppe von „Gutachtern“ und „Begleitern“ gebildet, die gerne und gleich kommen, wenn man sie ruft, denn für den kleinen schmutzigen Einsatz erhalten sie vom Staat den Lohn von 470 Euro plus Spesen.

erweil betreibt der SPD-Landrat Arnold seine Strafanzeige gegen Prof. Bernd Gallhofer unbeirrt weiter. Inzwischen hat der Kreistag in der Wetterau gegen einen Antrag der Grünen beschlossen, sich mit dem Thema Abschiebung und Adnan G. ganz einfach nicht mehr beschäftigen zu wollen: „Ende der Diskussion“. Das Gießener Stadtparlament aber stellte sich immerhin mit einer einstimmig gefassten Resolution (mit CDU und AfD!) hinter Prof. Gallhofer und verlangte, „fachärztliche Expertisen ernst“ zu nehmen, statt sich darüber hinwegzusetzen. Und auch im Hessischen Landtag stieß der entfesselte Landrat sogar bei seinen Parteifreunden auf Entsetzen und erntete mit seiner Klage völliges Unverständnis. Die Absurdität der Klage wird auch im Detail richtig deutlich: Prof. Gallhofer war von Adnan G. von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden worden. Prof. Gallhofer hat keineswegs Beihilfe zu einem Verstoß gegen das Abschiebegesetz geleistet, sondern versucht, juristische Mittel auszuschöpfen, nachdem man seine ärztliche Kompetenz ignoriert hatte. Prof. Gallhofer hat keine Rechnung über welchen Betrag auch immer, für die stationäre Behandlung gestellt, sondern die kam selbstverständlich vom Krankenhausträger, in diesem Fall also von der Universitätsklinik Gießen bzw. der Rhön AG.

2016 wurden in Deutschland bis Ende Oktober knapp 22.000 abgelehnte AsylbewerberInnen abgeschoben. In Hessen waren es etwa 1.500, dazu kamen noch knapp 6.000, die freiwillig ausreisten. Die häufigsten Abschiebeländer waren Albanien, gefolgt vom Kosovo und Serbien.

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m 6. April 2017 erschien in der Frankfurter Rundschau eine ausführliche Reportage über das jetzige Leben von Adnan G. und seiner Familie in Pristina. An seinen schwerwiegenden psychischen Symptomen hat sich natürlich nichts geändert, im Gegenteil. Er wagt sich nicht aus dem Haus, er wagt sich nicht in die Straßen, die für ihn vor Jahren das Grauen waren. Schlafstörungen, Alpträume und dumpfes Schweigen beherrschen sein Leben. Die Wohnverhältnisse in einem Zimmer, auf dessen Betonboden abends die Matratzen ausgerollt werden, dazu eine drei Quadratmeter große Nasszelle, sie spotten jeder Beschreibung. Die Kinder gehen in keine Schule mehr.

Abgesehen von all diesen abstoßenden politischen und juristischen Winkelzügen frage ich mich aber außerdem, was das eigentlich für Ärzte sind, die – sozusagen frei von jeder Kompetenz – als willfährige Erfüllungsgehilfen von Behörden für die Abschiebung eines in Behandlung befindlichen Traumatisierten sorgen – entgegen der ausdrücklichen, vehementen Stellungnahme des behandelnden Arztes. Mit was für einem verkommenen ärztlichen Selbstverständnis drückt man einem Traumatisierten hochpotente, gefährliche Neuroleptika in die Hand, bevor man ihn damit und überhaupt alleine lässt?

Und so frage ich mich einmal mehr, ob es irgendeine Schweinerei auf dieser Welt gibt, irgendeine Folter, irgendeinen Menschenversuch, irgendeine Hinrichtung, für deren Durchführung man Ärztinnen oder Ärzte nicht kaufen kann. Mehr Infos: kurzlink.de/fr-kosovo

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ei der Suche nach einer Antwort landet man in Nebel, Sumpf und Seilschaften. Es gibt wohl nur wenige hundert Ärztinnen und Ärzte, die sich mit dem Krankheitsbild der Posttraumatischen Belastungsstörung auskennen. Diese werden aber von Ämtern wie dem in der Wetterau nicht hinzugezogen, denn das könnte ja zu Verzögerungen bei der Amtshandlung führen. Die

Bernd Hontschik ist Chirurg und IPPNW-Mitglied. Er veröffentlicht regelmäßig Kolumnen in der Frankfurter Rundschau: www.hontschik. de/chirurg/rundschau.htm 27

Foto: Adelheid Wölfl

DER SCHWERKRANKE ADNAN G. UND SEINE SECHSKÖPFIGE FAMILIE LEBEN JETZT IN EINEM ZIMMER IN PRISTINA.


ABSCHIEBUNG

Wieder nur hoffen Bisexuell zu sein, ist in Tunesien lebensgefährlich. Yasin und seiner Familie droht nun die Abschiebung.

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achts plagen Yasin Albträume. Er träumt, nach Tunesien abgeschoben und von seiner Familie verfolgt zu werden. Wenn er aufwacht, ist er verwirrt und fühlt sich verloren. „Bin ich in Tunesien oder Deutschland?“, fragt er sich dann und läuft zum Fenster, um sich zu vergewissern. Erst wenn er merkt, dass er noch in Deutschland ist, beruhigt er sich. Yasin trägt eine große Last, er fühlt sich für die Situation verantwortlich. Seine sexuelle Orientierung zwang ihn, seine Frau und die gemeinsamen Kinder zur Flucht. Als sein Bruder erfuhr, dass er außerhalb der Ehe Beziehungen zu Männern unterhielt, versuchte er ihn umzubringen. Yasin konnte entkommen und tauchte unter, doch sein Bruder suchte ihn. Mit zwei Freunden ging er zu Yasin nach Hause, traf dort aber nur dessen Ehefrau an. Als sie sich weigerte, Auskunft über Yasins Aufenthaltsort zu erteilen, prügelte er sie bis an den Rand der Bewusstlosigkeit. Mit der Unterstützung einer Familienangehörigen gelang der ganzen Familie schließlich die Flucht nach Europa.

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eute sitzt Yasin im Wohnzimmer einer Zweizimmerwohnung. Er ist Anfang dreißig, hat weiche Gesichtszüge und einen kleinen Bauch. Auf dem Stuhl neben ihm sitzt seine kaum jüngere Frau Amira. Sie trägt eine Mütze, obwohl der Raum eigentlich warm ist. Yasin und Amira heißen eigentlich anders, doch aus Angst vor Yasins Familie wollen sie ihre echten Namen nicht veröffentlicht wissen.

Der Ablehnungsbescheid Auf dem Couchtisch im Wohnzimmer stehen Teller mit Pistazien, Erdnüssen und scharf gewürzten Cashews. Dazu gibt es Fertigkuchen und Instant-Kaffee. Beide Söhne rennen herum, während die vor wenigen Monaten geborene Tochter im Kinderwagen schläft. Der Fernseher läuft stumm im Hintergrund. Auf dem Tisch liegt ein Brief. Anfang Januar erreichte die Familie der Ablehnungsbescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Im Falle einer Abschiebung drohe den Antragstellern keine Gefahr für Leib und Leben, heißt es in dem Bescheid. Im sicheren Drittstaat Schweden sei ihr Antrag auf internationalen Schutz zuvor bereits abgelehnt worden. Ein weiteres Asylverfahren müsse deshalb nicht mehr durchgeführt werden.

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asins und Amiras Wirklichkeit ist eine andere. 2015 flohen sie mit ihren zwei Söhnen aus Tunesien. Sie hatten Glück, denn die lebensgefährliche Fahrt übers Mittelmeer blieb ihnen erspart. Erfolgreich beantragten sie bei der italienischen Botschaft ein Touristenvisum und reisten auf legalem Wege nach Europa. Mit dem Flieger in Italien gelandet, fuhren sie auf dem Landweg zu ihrem Wunschziel Schweden weiter. Dort angekommen, meldeten sie sich bei der Polizei, um Asyl zu beantragen. Die Anhörung in Schweden fand jedoch nie statt. Schweden wandte das DublinVerfahren an und schickte die tunesische Familie zurück nach Italien – in das Land, 28

über das sie den Schengen-Raum betreten hatten. Auch dort wandten sie sich umgehend an die Polizei, doch diese gab ihnen keine Chance, einen Asylantrag zu stellen. „Von euch haben wir schon genug“, sagten die italienischen Polizisten und setzten die vierköpfige Familie auf die Straße. Nachts suchten Yasin und Amira mit ihren Kindern am Bahnhof von Bologna Zuflucht. Kein sicherer Ort, erzählt Amira. Unheimliche Gestalten und Diebe hätten sich dort rumgetrieben. Noch in derselben Nacht buchten sie den Zug nach Deutschland. „Wir hatten in Tunesien ein glückliches Leben“, sagt Amira immer wieder. Sie und ihr Mann hatten ein Auto und ein Haus, betrieben ein Restaurant, das gut lief. Ihre Ehe war harmonisch. Auch als Yasin seiner Frau eines Tages gestand, sich zu Männern hingezogen zu fühlen, änderte sich daran nichts. Amira war einverstanden, die Ehe zu öffnen. Das ging mit klaren Regeln einher. Die erste Bedingung lautete: absolute Geheimhaltung vor den Kindern. Die zweite: kein ungeschützter Geschlechtsverkehr. Yasin hielt sich daran, und ihre geheime Übereinkunft ging einige Jahre gut – bis Yasins Bruder eines Tages mithörte, wie er mit einem Liebhaber über Sex sprach. „Er wird nicht ruhen, bis er mich findet“, sagt Yasin. Sein Bruder sei altmodisch, wolle ihn umbringen, um die Familienehre wiederherzustellen. Früher waren die beiden gemeinsam im ganzen Land unterwegs, im Außendienst einer tunesischen Firma. Die Leute kannten sie im Doppel-


TUNESIEN 2011 Foto: Raphael Touel (Flickr), CC by-NC-ND/2.0

Nun befindet sich Yasin seit einem Dreivierteljahr in psychologischer Behandlung. Er klagt über Depressionen, fühlt sich müde und gereizt, hat Kopfschmerzen und kann nicht schlafen. Vor einigen Monaten entwickelte er dazu noch eine Herzrhythmusstörung. Auch Amira geht es nicht gut. Sie sagt, sie könnte Tag und Nacht weinen, aber einer von ihnen müsse eben immer stark sein. Für die Kinder.

Nicht vor den Kindern! Unangekündigt verlässt Yasin den Raum. Wenn sie von diesen Dingen reden und die Kinder da sind, geht er zum Weinen ins Nachbarzimmer, sagt Amira. Dem Gespräch können die Kinder nicht folgen, weil sie kein Französisch sprechen. Doch Yasins Tränen hätten ihn verraten. Die Kinder sollen seine Unsicherheit nicht spüren. Amira serviert Schwarztee mit Pinienkernen, eine tunesische Spezialität. „Ich bin davon ausgegangen, dass wir erst mal einen Ablehnungsbescheid bekommen würden und dann in Berufung gehen müssten“, sagt sie. Das war ihre Erwartung, nachdem sie beobachtet hatte, wie das Asylverfahren von anderen Geflüchteten aus Tunesien verlief. Aufmerksam hat Amira die politischen Geschehnisse in den Nachrichten verfolgt: die Debatte über si-

chere Herkunftsländer, der migrationspolitische Rechtsruck und dann der Anschlag in Berlin. Letzterer beschäftigt die Familie sehr. Manchmal schämen sie sich, aus dem Haus zu gehen, weil die Menschen aus der Nachbarschaft wissen, wo sie herkommen. Amira sagt: „Natürlich sind wir nicht gleich mitverantwortlich, nur, weil wir aus dem gleichen Land kommen wie der Attentäter von Berlin. Aber so reflektiert sind ja nicht alle Menschen.“

N

ach Tunesien zurückzugehen, ist für die Familie keine Option. Nachdem Yasins Bruder von der Bisexualität erfuhr, hat er seine Entdeckung unter Familienangehörigen, Freunden und der Nachbarschaft verbreitet. Yasins sexuelle Orientierung ist nun kein Geheimnis mehr. In Tunesien stehen Homo- und Bisexualität unter Strafe, sagt Yasin. Nach einer Abschiebung müssten sie beide ins Gefängnis: er, weil er bisexuell ist – Amira, weil sie davon wusste. „Die anderen Häftlinge würden schlimme Dinge mit uns machen“, sagt Yasin. „Da sitzen Kriminelle, auch radikale Islamisten. Sie würden uns foltern, vielleicht mit Messerschnitten.“ Und schließlich, fürchtet Yasin, werde sein Bruder kommen und ihn umbringen. Dass er dann selbst ins Gefängnis müsste, wäre ihm egal. Amira greift zur Papiertuchrolle auf dem Tisch, wendet ein Blatt zwischen ihren Fingern. „Mein einziges Ziel ist es, in Frieden und Glück mit meiner Familie zusammenzuleben“, sagt sie. „Deswegen sind wir hier.“ 29

U

nd wenn das verwehrt wird? Wenn sie wirklich abgeschoben werden sollten? Amira spricht betont ruhig: „Wenn wir wirklich nach Tunesien zurückmüssen, dann bringen wir uns vorher um. Wir sind unsere Optionen durchgegangen und haben uns so entschieden.“ Für Yasin und sie wäre eine Abschiebung ohnehin ein Todesurteil, sagt sie. Die Kinder müssten in Tunesien ihr Leben lang das Stigma ihres bisexuellen Vaters tragen. In Deutschland würde sich wenigstens der Staat um sie kümmern, hier hätten wenigstens die Kinder eine Zukunft. So weit muss es nicht kommen. Gegen die Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge haben sie umgehend Klage eingereicht – fürs Erste erfolgreich. Ihr Dublin-Bescheid aus Schweden bewies eindeutig, dass dort keine Auseinandersetzung mit ihren Asylgründen stattgefunden hat. Jetzt muss das BAMF ihr Asylgesuch erneut prüfen. „Das stimmt uns wieder etwas zuversichtlicher“, sagt Amira am Telefon. Ein Ende der Ungewissheit bedeutet das aber noch nicht. Wieder können die beiden nur warten und hoffen. Und Yasins Albträume werden ihn weiter verfolgen.

Maximilian Ellebrecht ist Politikwissenschaftler, Arabist und freier Journalist.

Artikel zuerst erschienen in „Der Freitag“ 8/2017

pack. Deswegen wäre es Yasin langfristig unmöglich gewesen, sich in Tunesien zu verstecken, meint er. Früher oder später hätte sein Bruder ihn aufgespürt.


WELT

Erinnerung an Bob Mtonga Sein Enthusiasmus, seine Leidenschaft und sein Engagement werden uns fehlen

Bob Mtonga ist tot! Ich kann es immer noch nicht fassen. Dieser warmherzige, niemals aufgebende Kämpfer für den Frieden ist viel zu früh gestorben. Erstmals getroffen habe ich ihn 1996 in Nairobi bei der Regionalkonferenz der Afrikanischen IPPNW.

D

der Ursprung seiner Begabung, auf Menschen zuzugehen. Niemand konnte sich seinem Charme entziehen, und wo immer er auftauchte, versprühte er seinen Optimismus. So freundlich er allen gegenüber war, so unerbittlich war er in der Sache. Auf jede Bühne zu steigen und auf seine unnachahmliche Art mit sanfter Stimme deutliche Worte zu sprechen, lag in seiner Natur.

amals hatte er die „Zambian Campaign to Ban Landmines“ gegründet und war als junger Arzt maßgeblich am Erfolg dieser Kampagne beteiligt. Zunächst auf dem afrikanischen Kontinent, aber zunehmend darüber hinaus hinterließ er seine Spur in der internationalen Arbeit der IPPNW. Jede unserer internationalen Kampagnen hat er mit geprägt, und von 2010 bis 2014 war er Ko-Präsident der IPPNW. Dabei hat Bob niemals sich selbst, sondern immer das gemeinsame Ziel in den Vordergrund gestellt: Gegen Gewalt, gegen Waffenhandel und Krieg in jeglicher Form und für ein friedliches Zusammenleben.

E

r hielt Vorträge vor Delegiertenversammlungen der UN, war Mitglied der Delegation Sambias bei den Verhandlungen zum internationalen Kleinwaffen-Handelsabkommen (ATT), war unermüdlich auf allen Kontinenten unterwegs, um gegen Atomwaffen und für den Frieden einzutreten.

Nur wenige wussten, dass er in seiner Heimat Sambia nicht nur Dozent für Allgemeinmedizin an der Universität Lusaka, sondern auch ein traditionelles Stammesoberhaupt war. Vielleicht war das

Auch auf Veranstaltungen der deutschen Sektion der IPPNW war er immer wieder aktiv. 2013 hatte ich das Vergnügen, den Kleinwaffenkongress „Zielscheibe Mensch“ mit ihm gemeinsam zu moderieren. Niemand, der dabei war, wird vergessen, wie er spontan den „Elephant Dance“ aufführte und auf der Bühne die aus Afrika stammenden Tänzer mit der Trommel anfeuerte. Erst im Februar war er im Rahmen einer ICAN-Veranstaltung, der Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, in Berlin und warb u.a. im Außenministerium für die Beteiligung Deutschlands an den Verhandlungen über einen Atomwaffen-Verbotsvertrag.

B

obs Enthusiasmus, seine Leidenschaft und sein Engagement werden uns fehlen. Was würde er uns in der Situation sagen? Es ist hart, würde er sagen, aber erst recht müssen wir weitermachen. Die beste Ehre, die wir Bob erweisen können, ist die entschlossene Fortführung seiner und unserer Arbeit: Für das Ende der nuklearen Bedrohung, gegen Krieg als Mittel der Politik und für eine friedlichere Welt.

Helmut Lohrer ist International Councilor der Deutschen IPPNW. 30


Foto: © R.Schlesener / photochron.de

AKTION

Foto: © R.Schlesener / photochron.de

Pauken und Trompeten Deutschland wählt atomwaffenfrei

A

m letzten Aprilwochenende trafen sich knapp 100 IPPNWMitglieder zu Jahrestreffen und Mitgliederversammlung in Berlin. Es war ein „inhaltlich vielseitiges und dichtes, atmosphärisch gutes, sonniges und produktives Wochenende“. Eine große inhaltliche Rolle spielten die Atomwaffenverbotsverhandlungen in New York. Bei einer öffentlichen Aktion am Brandenburger Tor klärten die TeilnehmerInnnen des Jahrestreffens PassantInnen über die katastrophalen humanitären Folgen eines Atomwaffeneinsatzes auf – dabei traten Angela Merkel, Donald Trump und Wladimir Putin als Straßentheaterfiguren auf. Für gute Stimmung und große Aufmerksamkeit sorgte die Brassband „Tinitussis“ aus Hamburg, die das Ereignis musikalisch unterstützte.

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G ELESEN

Ausstieg, aber kein Abschied

Katastrophale Interventionen

Achim Brunnengräber will uns in seinem Buch auf eine doppelte Zeitreise mitnehmen: Warum blicken wir inzwischen weltweit auf über 70 Jahre der unerledigten Entsorgung des Atommülls zurück? Mit welchen Herausforderungen werden wir, vor allem die nachfolgenden Generationen, noch konfrontiert sein?

Das Buch „Illegale Kriege“ des Schweizer Historikers und Publizisten Dr. Daniele Ganser ist keine leichte Kost. Es macht wütend zu lesen, wie die Regeln der UNO und das Kriegsverbot gezielt sabotiert wurden und werden und welche unrühmliche Rolle die NATO-Staaten dabei spielen.

ür die Mitglieder der sogenannten Endlager-Kommission ging es im Jahr 2016 um viel Arbeit, um die Fertigstellung des Abschlussberichts. Auf Basis dieses Berichts soll der Bundestag den Suchprozess nach dem Endlager auf den Weg bringen, dessen Standort bis 2031 feststehen und das 2050 betriebsbereit sein soll. Das vorliegende Buch über die Atommüllthematik kam also zur rechten Zeit. Weil das Thema die Menschheit über tausende von Generationen beschäftigen werde, gab Brunnengräber seinem Buch den passenden Titel: „Ewigkeitslasten“. Sechs Kapitel fördern in knapper, aber überzeugender Weise ein besseres Verständnis des Atommüllproblems und benennen zugleich die großen Herausforderungen, die damit für Wissenschaft und Wirtschaft, für Politik und Demokratie verbunden sind. In der Überwindung des fossil-nuklearen Energiesystems und dem Ausbau der erneuerbaren Energien sieht der Autor wichtige Schritte, auch der Standortsuche nach einem Endlager für atomare Abfälle größere Legitimation zu verleihen und in der partizipativen Gestaltung des Auswahlverfahrens einen bevorstehenden entscheidenden Demokratietest. Das Basiswissen über die zentralen Probleme und Fragestellungen ist in Themenkästen übersichtlich zusammengestellt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den gesellschaftlichen Problemlagen, die in die „Endlagerung“ eingebettet sind.

unächst erklärt der Autor, warum Kriege illegal sind. Anschließend schreibt er über die NATO und die Partnership for Peace, erläutert, was die USA zum „Imperium“ macht und erklärt die Chancen, aber auch Unzulänglichkeiten des Internationalen Strafgerichtshofes. Nach dieser Einführung skizziert er chronologisch Kriege, die Länder ohne UNO-Mandat durchgeführt haben. Er erläutert die Gründe für die Angriffe sowie ihre katastrophalen Auswirkungen.

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Z

Die beschriebenen “Interventionen” beginnen 1953 mit dem Sturz der Regierung Mossadegh im Iran durch die USA und Großbritannien. Die einzelnen Kapitel behandeln u.a. den Vietnamkrieg 1964 und den Jugoslawienkrieg 1999 unter Beteiligung der Bundesregierung sowie die Militärintervention in Libyen 2011, den Ukrainekrieg 2014 und enden mit dem Syrienkrieg (2011 bis heute). Daniele Ganser hat bereits mehrere erfolgreiche Bücher verfasst „Europa im Erdölrausch: Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit” (2012) und seine als Buch erschienene Doktorarbeit „NATO-Geheimarmeen in Europa: Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung” (2008) und hält regelmäßig gut besuchte Vorträge. Er besitzt das Talent, komplexe Zusammenhänge geostrategischer Politik verständlich darzustellen. Dies gelingt ihm auch in seinem aktuellen Buch. Man kann es daher gut in einem Rutsch durchlesen, es empfiehlt sich aber auch als Nachschlagewerk, da die einzelnen Kriege in Kapiteln voneinander abgetrennt sind.

Dies ist ein äußerst lesenswertes, gut verständliches Buch zu einem hochkomplexen Thema, das viele Leserinnen und Leser verdient. Nun, nach Vorlage des Abschlussberichts der EndlagerKommission, muss aber auch an eine weitere Studie über Arbeitsweise und Ergebnisse dieser Kommission gedacht werden, denn die Ewigkeitslasten des Atomzeitalters sind dann ja nicht entsorgt, sondern nur in eine neue Phase eingetreten.

Illegale Kriege: Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien. Taschenbuch: 374 Seiten, Orell Füssli Verlag, Oktober 2016, 24,95 €, ISBN 978-3-9818525-0-9

Achim Brunnengräber: Ewigkeitslasten. Die „Endlagerung“ radioaktiver Abfälle als soziales, politisches und wissenschaftliches Projekt. 150 Seiten, Edition Sigma, Nomos Verlag 2015, 12,90 €, ISBN 978-3-8487-2479-6

Angelika Wilmen

Prof. Dr. Udo E. Simonis 32


GEDRUCKT

TERMINE

Verständlich erklärt

JUNI 10.-17.6. IPPNW-Woche in Büchel

Die Konsequenzen der „Entsorgungs“-Konzepte

11.6. Internationales Symposium, Büchel

Versteckt – verteilt – verharmlost: AKW-Abriss – Wie uns Atomindustrie und Politik ihren radioaktiven Müll unterjubeln

13.6. Veröffentlichung der FR-Anzeige zum Atomwaffenverbot

Die Broschüre geht auf die Themen Freimessen und Freigabe, das Zehn-MikrosievertKonzept sowie die Deponierung, das Recycling und die Verbrennung von radioaktivem AKW-Abriss-Material ein. Wir zeigen die zu erwartenden Konsequenzen auf und fassen die Alternativen zum besseren Umgang mit niedrigstrahlenden Abfällen zusammen.

15.6.-7.7. Verhandlungskonferenz Atomwaffenverbot, UN New York

Eine kompakte Orientierung für alle, die sich einen umfassenden Überblick zu der Thematik verschaffen wollen. Herausgegeben von der Bürgerinitiative Atommüll-Einlagerung Stopp Harrislee. Die IPPNW ist Kooperationspartner.

2.-6.8. Sommerakademie „Atomares Erbe“, Wolfenbüttel

17.6. Deutschlandweiter Aktionstag

AUGUST

6. & 9.8. Hiroshima- & Nagasakitage

SEPTEMBER

14.-17. 9. Human Rights, Future Generations and Crimes in the Nuclear Age, Kongress in Basel

Das nächste Heft erscheint im September 2017. Das Schwerpunktthema ist:

15.9.-21.12. Ausstellung „Hibakusha weltweit“, Mönchengladbach

Deutschland wählt atomwaffenfrei Der Redaktionsschluss für die Ausgabe 151/September 2017 ist der 31. Juli 2017. Das Forum lebt von Ihren Ideen und Beiträgen. Schreiben Sie uns: forum@ippnw.de

Herausgeber: Internationale Ärzte für die Verhü-

kel entsprechen nicht unbedingt der Meinung der

tung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verant-

Redaktion oder des Herausgebers. Nachdrucke

wortung e. V. (IPPNW) Sektion Deutschland

bedürfen der schriftlichen Genehmigung.

Redaktion: Sabine Farrouh (V.i.S.d.P.), Angelika

Redaktionsschluss

Wilmen, Regine Ratke

31. Juli 2017

Freie Mitarbeit: Dimitri Saramonow, Jana Kan-

Gestaltungskonzept: www.buerobock.de, Layout:

nenberg

Regine Ratke Druck: Clever24 GmbH Berlin;

Anschrift der Redaktion: IPPNWforum, Körte-

Papier: Recystar Polar, Recycling & FSC.

straße 10, 10967 Berlin, Telefon: 030 / 69 80 74

Bildnachweise: S. 4: oben: NATO-Truppen und

0, Fax 030 / 693 81 66, E-Mail: ippnw@ippnw.de,

-Panzer werden nach Lettland verlegt und er-

www.ippnw.de, Bankverbindung: Bank für Sozial-

reichen am 22. 2. 2016 den Bahnhof Garkalne.

wirtschaft, Kto-Nr. 2222210, BLZ 10020500,

Von Armins Janiks, lettische Armee / CC by-NC-

IBAN DE39 1002 0500 0002 2222 10,

ND 2.0; S. 6 Mitte: J.A. de Roo / CC BY-SA 3.0;

BIC BFSWDE33BER

S. 9: Major Neil Penttila, 7th Army Training Com-

Das Forum erscheint vier Mal im Jahr. Der Be-

mand / CC BY 2.0 (Flickr);

zugspreis für Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag

nicht

enthalten. Sämtliche namentlich gezeichnete Arti-

IPPNW oder privat.

das

24.9. Bundestagswahl

OKTOBER 11.-15.10. Internationales Uranium Film Festival Berlin

IMPRESSUM UND BILDNACHWEIS

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8.7. Flaggentag der Mayors for Peace

03.-10.9. Aktionswoche „Stopp Ramstein“ mit Musikfestival

GEPLANT

gekennzeichnete:

8.7. G20-Demonstration, Hamburg

3.-7. 9. IPPNW-Weltkongress York

Mai 2017, 28 Seiten A4 Stückpreis 1,- Euro plus Versandkosten

für

JULI

nächste

Heft:

Alle Termine unter: www.ippnw.de/aktiv-werden/termine

JUNI 25.6.2017 90-km-Menschenkette: Tihange – Lüttich – Maastricht – Aachen www.stop-tihange.org


G EFRAGT

6 Fragen an …

Raffael Sonnenschein Autor, Aktionskünstler und ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer in Bayern. Foto: Raffael Sonnenschein

1

Seit dem Sommer 2015 hat sich viel geändert. Wie beurteilen Sie die Stimmung unter den HelferInnen? Die Willkommenskultur ist zur Ausgrenzungskultur geworden. Unsere Integrationsarbeit wird mit Füßen getreten. Wir haben zu Tausenden offene Briefe geschrieben, an vielen runden Tischen, Integrationskonferenzen und Demonstrationen teilgenommen, Petitionen und parlamentarische Anfragen angeregt – bisher ohne Erfolg. Die Ehrenamtlichen reagieren mit Frust und Resignation, aber auch mit Zorn und Protest.

September 2017 ist in Frankfurt am Main der erste Deutschlandkongress geplant. Wenn es gelingt, bis dahin 10.000 Flüchtlingshelfer zu vereinen, dann können wir die Politik beeinflussen! Wir müssen uns endlich Respekt verschaffen und die Bundesregierung dazu bringen, das Grundgesetz nicht weiter auszuhöhlen. Wer mitmachen will, findet uns auf Facebook unter „Unser Veto“ oder kann uns über unsere Homepage www.unserveto.de kontaktieren.

5

Sie fordern ein Mitsprache- und Vetorecht der Ehrenamtlichen. Wie stellen Sie sich das konkret vor? Wir wollen mitreden, bevor Gesetze und Erlasse verabschiedet werden. Wir haben einen Forderungskatalog erstellt, über den wir mit der Politik verhandeln wollen. Außerdem verlangen wir die Einrichtung einer zentralen Beschwerdestelle. Dort sollen Missstände bei den Behörden, in den Jobcentern, beim Bundesamt und in den Unterkünften dokumentiert und aufgeklärt werden.

2

Woran machen Sie die Ausgrenzungskultur fest? Langjährig Geduldete werden abgeschoben. Pateneltern werden ihre Kinder weggenommen. Jugendliche werden in Länder abgeschoben, die sie nie gesehen haben! Die Bleibeperspektive ist ein Unding: Wir hatten einen Einstiegskurs für Afghanen organisiert, die mussten wir wegschicken, weil sie nicht mehr teilnehmen durften. Wir bekommen kaum Unterstützung von offizieller Seite, arbeiten monatelang und dann kommt jemand und kloppt das alles in die Tonne!

6

Sie haben Ihre Ideen auch im Bundeskanzleramt vorgestellt. Was erwarten Sie von der Politik? Die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer leisten Historisches für unser Land. Dieser Leistung gebührt Anerkennung, auch seitens der Politik. Wir haben durchaus konstruktive, erste Gespräche geführt. Entscheidend ist aber die Umsetzung: Mehr Menschlichkeit ist machbar! Das gilt für den Einzelnen und für Deutschland.

3

Was war die Idee hinter dem Streik der FlüchtlingshelferInnen? Die einzige Macht, über die wir verfügen, ist unsere freiwillige Arbeitskraft und unsere Zeit. Wir leisten den Hauptteil der Integrationsarbeit. Wenn wir dies nicht als Druckmittel einsetzen und zu Streiks bereit sind, werden wir nicht mehr erhalten als einen feuchten Händedruck und eine Urkunde.

4

Sie haben nun eine Gewerkschaft für FlüchtlingshelferInnen gegründet. Was ist Ihre Vision? VETO, der Gewerkschaftsverband der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer Deutschlands, setzt sich für Nachhaltigkeit in der Integrationsarbeit, für Menschlichkeit und die Wahrung unseres Grundgesetzes ein. Wir bieten ein bundesweites Netzwerk und verstehen uns als politisches Sprachrohr der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer. Am 16.

Abdruck des Interviews mit freundlicher Genehmigung von Pro Asyl, www.proasyl.de/news/mehr-menschlichkeit-ist-machbar 34


ANZEIGEN

Grenzenlose Solidarität statt G20!

Für eine Welt des Friedens, der globalen Gerechtigkeit und der grenzenlosen Solidarität. Alle Menschen, die unsere Empörung und unsere Hoffnung teilen, laden wir ein, gemeinsam am 8. Juli 2017 in Hamburg mit einer lauten, bunten und vielfältigen Demonstration auf die Straße zu gehen. Die IPPNW unterstützt den Aufruf zum Protest gegen das G20-Treffen. Weitere Termine: Alternativgipfel am 5. und 6. Juli, Aktionstag am 7. Juli 2017. Es lohnt sich auf jeden Fall auch eine Anreise für mehrere Tage!

G20

Großdemonstration Samstag 8. Juli 2017 Mehr Infos: g20-demo.de

Atomzeitalter beenden

Gegen nukleare Abschreckung, für nukleare Abrüstung und Atomausstieg Die Diskussion über Atomwaffen ist weitgehend von Legenden bestimmt. Zu der am weitesten verbreiteten Legende des Atomzeitalters gehört die These, die atomare Abschreckung sichere den Frieden in der Welt. Eine weitere weit verbreitete Legende besteht darin, Atomwaffen seien legal, denn es gebe keinen internationalen Vertrag, der sie verbiete. Aktuell wird darüber hinaus die These verbreitet, die von einer großen Mehrheit der Staaten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 2016 beschlossene Konferenz zur Verhandlung eines Nuklearwaffenverbotsvertrags verstoße gegen den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag. Mit dieser Begründung hat auch die deutsche Bundesregierung ihre Teilnahme abgesagt. Inzwischen wird an der Modernisierung

der atomaren Arsenale weitergearbeitet. Angesichts wachsender Spannungen zwischen den großen Machtzentren in der Welt wird die Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen als Eskalation eines regionalen bewaffneten Konflikts oder versehentlich als Ergebnis eines Fehlalarms immer realer. Die Juristinnen und Juristen von IALANA Deutschland beziehen in der hiermit vorgelegten Studie „Atomzeitalter beenden“ eine klare Gegenposition zu den oben angeführten Legenden. Zugleich zeigen sie praktische Schritte auf für eine auf atomare Abrüstung und friedliche Regulierung internationaler Konflikte gerichtete Außen- und Sicherheitspolitik, die den Geboten der Charta der Vereinten Nationen, des humanitären Völkerrechts und des Grundgesetzes folgen.

Download / Bestellung der Broschüre auf www.ialana.de

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Aktion: Mehr Öffentlichkeit für das Atomwaffenverbot Die zweite Runde der Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot beginnt. Mit unserer Kampagne „Deutschland wählt atomwaffenfrei“ wollen wir Druck auf die Bundesregierung machen, die sich nach wie vor nicht an den Verhandlungen beteiligt. Am 17. Juni 2017 rufen wir zum Aktionstag auf. Regionalgruppen und Einzelpersonen bitten wir, vor Ort öffentlichkeits- und medienwirksame Aktionen durchzuführen und so unsere Regierung aufzufordern, sich konstruktiv an den Verhandlungen für ein Verbot zu beteiligen und die Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Organisieren sie bis zur Bundestagswahl in Ihrer Stadt Infostände oder Vortragsveranstaltungen und verteilen Sie Materialien. Gerne beraten wir Sie bei der Planung Ihrer Veranstaltung und vermitteln Ihnen eineN ReferentIn.

Materialien bei uns anfordern Mitmach-Postkar te

„Deutschland wählt atomwaffenfrei“: Schicken Sie die Karte an IhreN Bundestagswahl-KandidatIn.

Info-Postkarten

1) Deutschland hat in der UN gegen ein Atomwaffenverbot gestimmt... 2) 1.800 Atomwaffen sind noch immer in Alarmbereitschaft... 3) Deutsche Soldaten üben den Einsatz von Atomwaffen 4) Die Atomwaffen in Deutschland werden aktuell aufgerüstet

ICAN-Broschüre „Atomwaffen verbieten“

Die 12-seitige Broschüre erklärt, warum wir ein Atomwaffenverbot brauchen, wie ein Verbot funktionieren würde, welche Waffen bereits verboten sind und welche Organisationen die Initiative unterstützen.

IPPNW-Buttons

zu Frieden, Atomwaffen, Atomausstieg, sozialer Verantwortung

Deutschland wählt

atomwaffenfrei

Mehr Infos zur Kampagne und Materialienbestellung: www.ippnw.de/atomwaffenfrei | Aktuelles über die UN-Verbotsverhandlungen: http://nuclearban.de

Kontakt: Angelika Wilmen & Regine Ratke, IPPNW e.V., Körtestraße 10, 10967 Berlin | Tel.: 030 698 074-0 | presse@ippnw.de


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