Werner Berg Museum Bleiburg / Pliberk

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WERNER BERG  MUSEUM BLEIBURG/PLIBERK





WERNER BERG   MUSEUM BLEIBURG/PLIBERK



WERNER BERG  MUSEUM BLEIBURG/PLIBERK


Ich wollte immer Maler werden. Das war in den schweren Ereignissen der Zeit des 1. Weltkrieges nicht möglich. Damals, als es so sehr traurig aussah, habe ich nicht die Robustheit besessen, mich durchzusetzen. Dann, nach praktischer Arbeit, habe ich zuerst ein Semester studiert und dann noch eins in Wien. Und in Österreich hat’s mir so gut gefallen, dass ich gerne bleiben wollte. Ich kannte auch damals schon meine Frau. Und dann war es früh mein Wunsch, auf dem Lande zu sein. Wie ich Assistent an der Wiener Universität war, habe ich buchstäblich von einem Tag zum anderen umgesattelt und bin dann Maler geworden, was ich immer werden wollte. Als ich endlich die Möglichkeit hatte, mich der Malerei zu widmen, da war’s mir von Anfang an klar, dass ich aufs Land wollte. Einzig mit der Absicht, unabhängig von den gesellschaftlichen Bedingungen zu leben und zugleich ein Leben zu führen, dass voll sinnenstarker Anschauung wäre. Das ist das Landleben. Das Bauersein war nur das Mittel dazu. Es erforderte viel harte und sehr reale Anspannung. Es bedingte


ein sehr konkret durchgestandenes Leben. Und ist geradezu das Gegenteil von dem, was man leicht unterschiebt, nämlich eine Flucht in die Idylle. Hier auf dem Rutarhof waren es nie leichte Zeiten – sehr wechselhafte. Wir sind ja auch nicht in falscher, romantischer Absicht hierher gegangen. Wie wir hierherkamen, waren die Verhältnisse in der Landwirtschaft noch ganz anders. Die Kärntner Slowenen, die dem hiesigen Bauernland – durchaus einem Kleinbauernland – Charakter und Klangfarbe geben, sind ungemein fleißig. Es wurde Getreide jeder Art gebaut, bis zur Hirse – dem Brein – und dem Buchweizen – dem Hadn – Ölfrüchte aller Art gediehen und wir mussten auf unsere Weise die Wirtschaft betreiben, genauso wie es die Bauern machten. Das Atelier habe ich gleich im Anfang gebaut. Obwohl es damals sehr schwer für mich war, 1931, wollte ich sozusagen meine ganze Existenz damit festnageln. Denn es geht ja nicht darum, jetzt den Bauern zu spielen – das ist man – sondern daraus die Kraft zu ziehen, Maler zu sein, das heißt eine geistige Existenz zu errichten.


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L E B E N A L S K U N S T F O R M E I N B E G I N N 1 9 0 4 – 1 9 3 5 A N F E I N D U N G K R I E G U N D H E I M K E H R 1 9 3 6 – 1 9 4 9 K R I S E U N D S T E T E S S C H A F F E N 1 9 5 0 – 1 9 6 6 DIE WERNER BERG GALERIE 1967–1972 DIE SPÄTEN JAHRE 1973–1981 GRAPHITSTAUB VON DER GALERIE ZUM MUSEUM



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WERNER BERG LEBEN ALS KUNSTFORM

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Er lebt sein Leben wie ein Werk, 1 an dem er schafft – c’est pour moi! 14


„So sehr es meine Malerei mit dem Land, mit dem ländlichen Menschen zu tun hat, sieht sie doch keinen Augenblick an der Zeit vorbei und gerade der Bauer unseres slawisch beeinflussten Unterkärntens lebt in so dunklen Spannungen, dass eine Idyllik, eine bukolische Idyllik, gar nicht aufkommen kann, so dass es überflüssig ist, von Bauernmalerei zu reden. Ich habe es oft bedauert, dass die ländlichen Urkräfte, die man oft etwas billig und leichthin unter dem Namen der Folklore oder zu tiefsinnig unter dem des chthonischen Urgrundes zusammenfasst, in der Malerei eine so geringe oder überhaupt keine Rolle spielen, während in den sonstigen geistigen Strömungen, der Literatur oder der Musik etwa, das sehr wohl und immer wiederkehrt. Eine Entsprechung dafür fehlt in der bildenden Kunst, entweder ist man tumb und liebt die Heimat in einem sehr falschen und billigen Sinne, oder man ist ein Snob und schreitet darüber hinweg.“2 Mit dieser Aussage bekräftigte Werner Berg seinen Anspruch, ein einmaliges, neues Projekt verwirklicht zu haben, nämlich das umfassende Bestimmtsein seiner künstlerischen Hervorbringungen durch die Lebenswelt des Bauern. Er konnte diese Aussage, soweit sie den Stellenwert des Landlebens in der bildenden Kunst betrifft, wohl nur wider besseres Wissen getätigt haben, denn bäuerliche Tätigkeiten finden sich in unzähligen Darstellungen von den ersten Ausmalungen ägyptischer Grabkammern über die Kunst der Antike und des Mittelalters bis in die Neuzeit. Insbesondere als reale Landschafts- und Menschendarstellungen im Laufe des 19. Jahrhunderts zum zentralen Thema künstlerischer Werke wurden, vermochten einzelne Maler in ihrem Schaffen auch ein ganz spezifisches Bild einer für ihr Leben entscheidenden und ihr Schaffen bestimmenden Region zu geben. Man denke nur an Jean-François Millet in Barbizon, Vincent van Gogh in Arles oder Giovanni Segantini im Engadin. Ihr Werk hat unser Bild der von ihnen gewählten Region bleibend geprägt. Es erstaunt jedoch gerade bei diesen drei untrennbar mit ihrer Region verbunden gesehenen Malern, dass die von ihnen geschilderte ländliche Umgebung nicht eine ihnen durch frühes Erleben bekannte, sondern eine fremde, erst zu „erobernde“ war – ein Refugium, in dem die Alchemie der Malerei erlauben würde, das verlorene Paradies der Kindheit wiederzufinden. In Gegenden, die dieselbe katalysatorische Funktion erfüllten, die Polynesien für Gaugauin hatte.“3 Zum Werk Segantinis etwa schrieb Annie-Paule Quinsac: „Er vermittelte eine einzigartige Sicht dieser Weltregion und erfand in diesem Sinne die Schweizer Alpen neu, so wie Cézanne und van Gogh Südfrankreich erfunden hatten. Er verwandelte Orte in Seelenzustände und brachte dabei die Absolutheit und Ewigkeit der Natur mit der Vergänglichkeit menschlichen und tierischen Lebens in Einklang.“4 Heute würden viele ein künstlerisches Programm, wie es van Gogh damals für sich definierte, als das eines „Heimatmalers“ belächeln: Er wolle, so schrieb Vincent van Gogh seinem Bruder Theo, die Provence immer wieder im Wechsel der Jahreszeiten darstellen und so charakteristische Bildserien von den blühenden Obstbäumen, den frischen und reifen Kornfeldern bis zu den Olivenhainen und herbstlich verfärbten Bäumen gewinnen. Sein Schicksal ließ ihn dieses Programm nur zwei Jahre lang verfolgen und dennoch haben nicht nur Landschaft und Menschen der Provence unsere Vorstellung seines Werkes, sondern seine Werke unsere Vorstellung der Provence um Arles unverwechselbar beeinflusst.5 15


Einen „Heimatmaler“ in solch positivem Sinne sieht Wieland Schmied auch in Werner Berg: „Denke ich an all das, was Werner Berg gemalt hat, die Wege und die Gehöfte, die Blumen und die Bäume, die Haustiere und die Menschen, die Kartenspieler, die Kegler, den Landpfarrer, den Schlachter, die Marktfahrerin, den blinden Organisten und den schlafenden Trinker, dann zweifle ich, ob Werner Berg je etwas anderes war als ein Heimatmaler – das Wort Heimat aber in einem Sinn verstanden, wie ihn etwa Ernst Bloch am Ende seines ‚Prinzips Hoffnung’ angegeben hat. Heimat war Werner Berg nie das sicher Ererbte, sondern ein in der Kindheit erahntes, unerschütterliches Ziel, eine Möglichkeit unseres Menschseins.“6 Denn wie zuvor der Niederländer Vincent van Gogh den Süden Frankreichs, wählte auch der 1904 im deutschen Elberfeld geborene Werner Berg eine fremde Gegend mit fremden, ihm oft unverständlichen Menschen7 (die den Malern keineswegs immer freundlich gegenüberstanden, sich oft vielmehr mürrisch und verschlossen zeigten) zum Gegenstand einer lebensbestimmenden, künstlerischen Entdeckungsreise. Die Reihe jener Künstler, denen eine bestimmte entlegene Region nicht nur Aufenthaltsort, sondern fortwährende Anregung für ihr Werk war, ließe sich bis in unsere Tage fortsetzen. In vielen Fällen ist das in einer bestimmten Region entstandene Werk in der Lage, deren Wahrnehmung zu prägen, ein Bild von ihr hervorzurufen, wie es durch alle anderen dokumentarischen Maßnahmen – sei es in Foto, Film oder Beschreibung – nie so unverrückbar vorstellbar wäre. Oft jedoch auch sind Lebensformen und Landschaft, wie sie die Künstler dargestellt haben, so nicht mehr vorzufinden, haben sich durch Zersiedelung, Tourismus und allgemeinen gesellschaftlichen Wandel stark verändert. Aus diesem Grund kann das betreffende Werk – faktisch als Nebenprodukt der künstlerischen Tätigkeit – auch zur soziokulturellen Dokumentation werden. Dazu bemerkte etwa Trude Polley: „Die Welt, die Berg ihre Anschauungsfülle geboten hat, gehört der Vergangenheit an. In den Bildern von Bleiburg lebt sie weiter, zum Gleichnis verwandelt. Aus allen Zufälligkeiten herausgelöst, wird sie zum Symbol der vorindustriellen Volkskultur schlechthin, deren überschaubare Ordnungen Grundmuster der menschlichen Existenz sichtbar machen.“8 Erst der Missbrauch durch die Blut-und-Boden-Kunstideologie der Nazis wie auch durch die diversen sozialistischen Realismen schändete anhaltend die bäuerliche Motivwelt. Diese Ideologie hatten für Generationen von Künstlern und Betrachtern „Bauernmalerei“ gänzlich und unwiederbringlich zum Synonym des zu meidenden Kitsches werden lassen. Wer solche Hervorbringungen tätigte oder schätzte, wurde undifferenziert als „ewiggestrig“ wahrgenommen. Gleichzeitig zeigten dem ländlichen Milieu „entkommene“ Intellektuelle, wie der Dichter Franz Innerhofer, schonungslos Enge, Dumpfheit, Hohlheit und Brutalität eines nur mehr vermeintlich heilen Landlebens auf. Aktuell ist jedoch die zunehmende Gefährdung des ökologischen Gleichgewichts durch rücksichtslose Ausbeutung der Erdressourcen und das Scheitern eines überbordenden Kapitalismus unübersehbar. Unter diesem Gesichtspunkt rücken künstlerische Konzepte, die sich bereits zu einer Zeit allgemeiner Fortschrittshörigkeit einer definierten Region und den dort als „ursprünglich“ angesehenen Lebensweisen zuwandten, wieder in den Brennpunkt des Interesses. Werner Berg verblieb als Künstler beharrlich in seiner einmal gewählten Region. Sein Werk, wie wir es heute wahrnehmen und schätzen, ist untrennbar mit einer kaum 1000 km² großen Fläche im Südosten Kärntens verbunden, deren Grenzen im Wesentlichen dem Bezirk Völkermarkt 16


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entsprechen. „Eine solche Entscheidung für die schöpferische Begrenzung, der Verzicht auf horizontale Mobilität zugunsten der vertikalen, die Entscheidung für den Gebetsmühleneffekt – das schafft dann auch einen Zusammenhang zwischen Außen- und Innenwelt.“9 Die Idee, sich geänderte, bessere Existenzvoraussetzungen zu schaffen, bewegte (und bewegt in vielen Teilen der Welt heute noch) Millionen Menschen, vom agrarisch geprägten Land in die Industriegebiete der Städte zu ziehen. Werner Bergs Freund, der Dichter Walter Bauer, hat ein solches Schicksal in seinem 1931 erschienenen Roman „Ein Mann zog in die Stadt“10 beschrieben. Aus vielen früher armen Regionen Europas wanderten ganze Scharen Verzweifelter in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Vereinigten Staaten aus. Die politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zwangen ebenfalls Millionen, oft unter widrigsten Umständen, die Region ihrer Herkunft zu verlassen. Tagtäglich sind wir mit Problemen konfrontiert, die die derzeit stattfindenden Massenmigrationen von Menschen mit sich bringen, die trotz aller Unsicherheit in einem neuen, fremden Leben ihrem Elend zu entkommen hoffen. Die Idee, an einem Ort lebenslang zu bleiben, erscheint im Europa des 21. Jahrhunderts eher als eine durch mangelnde Möglichkeiten hervorgerufene, bedauernswerte, vor allem sozial schwächere Schichten betreffende Ausnahme. Werner Bergs Entschluss führte ihn in die „entgegengesetzte Richtung“.11 Im März 1931 zog der damals 26-jährige Maler mit seiner Frau Amalie, „Mauki“, der zweijährigen Tochter Ursula und seinem Freund, dem Dichter Curt Sachsse auf einen kleinen Bergbauernhof. Die Bewirtschaftung der kargen Flächen, forderte den äußersten Einsatz des jungen Akademikerpaares. Der Gegensatz der neuen, selbst gewählten Lebensform zu Bergs Herkunft aus einer bürgerlichen, gut situierten Familie, aus einem voll technisierten Haushalt war größer kaum vorstellbar. Elberfeld war damals eine im Zuge der Industrialisierung rasch expandierende Stadt nahe dem Ballungsraum Köln und dem Ruhrgebiet. Die Kleinbauern Unterkärntens arbeiteten hingegen noch mit einfachsten Mitteln, Pferde- und oft Ochsenfuhrwerke genügten zur Bewirtschaftung der Felder, viele der Höfe, wie auch der Rutarhof, hatten keinen elektrischen Strom, Wasser gab es nur am Brunnen vor dem Haus. Werner Berg hatte bei Ausflügen ins Bergische Land wohl in das bäuerliche Milieu geschnuppert, seine Kindheit und Jugend aber in einem respektablen Bürgerhaus im Stadtzentrum Elberfelds verbracht und dort das Gymnasium besucht. Nach seinem Abitur absolvierte er vorerst eine Handelslehre in einem Industriebetrieb in Somborn. 1924, er studierte bereits seit einem Jahr Volkswirtschaft und war dazu nach Wien gezogen, lernte er an der Universität seine Studienkollegin und spätere Frau „Mauki“ kennen. Maukis Eltern besaßen am Stadtrand Wiens eine sogenannte „Milchmeierei“. Begeistert half Werner Berg dort in seiner Freizeit bei Feldarbeiten aus und war von der bäuerlichen Lebensweise beeindruckt. Um 1926 muss bei ihm der Entschluss gereift sein, sein Studium der Staatswissenschaften lediglich seiner Mutter zuliebe (sein Vater war 1917 verstorben) abzuschließen, danach aber an die Akademie zu gehen und sich zum Maler ausbilden zu lassen. Danach wollte er als Bauer aufs Land ziehen. Seine Gefährtin Mauki unterstützte seine Pläne vorbehaltlos, obwohl auch sie ihr Studium abgeschlossen hatte und bereits eine Anstellung bei der Wiener Handelskammer bekommen hatte – in der damaligen Zeit großer wirtschaftlicher Not für eine junge Frau alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Wie sehr ein solches Vorhaben die Herkunftsfamilien der beiden vor den Kopf gestoßen haben muss, ist unschwer vorzustellen. 18


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Doch Werner Berg wollte sich eine neue Lebensform gleich einem Kunstwerk schaffen (er besaß auch die erforderliche Rücksichtslosigkeit, seine engsten Mitmenschen gleichsam als „Material“ dafür zu benutzen). Über die Beweggründe seiner Entscheidung äußerte er sich jedoch zeitlebens nur knapp: Er habe damals das „pure Berufskünstlertum“ als fragwürdig empfunden, wollte die Kunst wieder an das Leben binden, eine Existenzform gründen, die in sich Sinn habe und mit Anschauung gesättigt sei. Ein zentrales Motiv des so robust wirkenden, doch innerlich äußerst verletzlichen Künstlers war sicherlich auch, der Wunsch nach Unabhängigkeit, sowohl vom Kunstbetrieb und dessen Vorgaben und Anfeindungen als auch von allen bürgerlichen Konventionen. Eine von ethischen Überlegungen motivierte Verklärung des Lebens der Bauern verband Werner Berg mit seinen Studienkollegen aus dem katholischen Jugendbund „Neuland“. Die als ursprünglich gesehenen, archaischen Lebensbedingungen auf dem Lande wurden der schmerzhaft empfundenen Entfremdung im „Sumpf der Großstadt“ gegenübergestellt. In den Schlussfolgerungen war Berg jedoch ungleich radikaler als diese und andere Künstlerkollegen und änderte sein Leben von Grund auf. Er formte sich eine neue Identität. 1931 zog er „auf den Rutarhof gegenüber den Unterkärntner Karawanken, wo alle Umstände so völlig verschieden waren vom gestellt Älplerischen zwischen Dulliäh und Holladrioh“. 12 „In Südostkärnten, einer der einsamsten und merkwürdigsten Gegenden Österreichs. Einsam, weil vom Strom des westlich sich ergießenden Fremdenverkehrs unberührt, merkwürdig, weil die slawische Einfärbung ein tieferes, geheimnisvolleres Klangbild ergibt, als die Vorstellung des Älplerischen (à la tyrolienne) zumeist bedeutet.“13 Die Entscheidung, sich in Unterkärnten anzusiedeln, war eine bewusst erfolgte Wahl – nicht Ausstieg aus den Anforderungen der Großstadt, sondern Einstieg in eine Existenz „nahe den Ursprüngen“, fern aller Annehmlichkeiten, voll wirklicher Mühen des Bauernalltags. Hierin unterschied sich Werner Bergs Projekt auch von den vielen Künstlerkolonien und Künstlerdomizilen auf dem Land, die vor und nach 1900 vielerorts entstanden waren. Nicht im seit jeher Vertrauten sondern im alltäglich entdeckten Fremden konnte er fortan das Besondere seines neuen Lebensbereiches ausloten. Durch permanentes Wiederholen der Motive, durch „die Entscheidung für die Repetition als Stimulans“14 konstruierte er immer wieder von Neuem, was zuvor für ihn in dieser Form nicht existierte: Heimat. „Ungewöhnlich und von keinem Klischee erfassbar erschienen mir auch von Anfang an die Menschen, die Kärntner Slowenen, deren Wesen ich noch nirgends echt geschildert sah“15, erklärte Werner Berg, wie ihm das bildhafte Erforschen seiner Wahlheimat zum fortwährenden Erlebnis von Besonderheit, Eigenheit und Unverwechselbarkeit wurde. Da er die Bauern nicht als Tourist, sondern als unter ihnen lebender, den gleichen Existenzbedingungen ausgesetzter Nachbar kennenlernte, wirkte sein Bild auf deren Selbstwahrnehmung zurück, wie Zoran Kržišnik bemerkte: „Am meisten erschüttern uns Bergs Menschen. Einen solchen Dolmetsch hatten sie bis jetzt noch nicht: Ihre schwerblütige, bedächtige Natur spricht zu uns aus Bergs Werken, ihre Selbstständigkeit, die Eigenart dieser slowenischen Menschen des Grenzgebietes, die durch die Kunst Werner Bergs in die Schatzkammer der kunstliebenden Menschheit der ganzen Welt übergegangen sind.“16 Dass Werner Berg sich seine Heimat nicht nur gewählt, sondern auch das von ihr übermittelte Bild selbst konstruiert, geschaffen hatte, bemerkte schon sein Freund Erich Kuby treffend in einem Brief: „Die konfliktlose Schönheit Ihres neuen Bildes vom Rutarhof, das Traumhafte daran, ist 20


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nicht ohne die betrübte Teilnahme an dem Maler zu bewundern, weil darin die Sehnsucht nach einer heilen Welt ohne Hemmung ausgedrückt ist. Warum Traum und Wirklichkeit auseinanderklaffen, hat ohne Zweifel mit Ihrem absoluten Anspruch zu tun, die heile Welt nicht zu finden, sondern zu schaffen – also den Rutarhof, die Familie, die Umwelt als Innenwelt begriffen. Sodass Sie sich selbst wie niemand, den ich sonst kenne, unentwegt begegnen, in Gestalt des Baumes mit dem Tisch, der Blumen hinterm Zaun, der Dachlinie gegen den Himmel, dem Pacher, dem Veit, der Klara, ja selbst im Kuchling, der schließlich auch so etwas wie eine Erfindung von Ihnen ist. So was könnte nur gut gehen, wenn der Schöpfer dieser Außen-als-Innen-Welt von harmloser Gemütsart wäre, dann aber von sehr harmloser. Just das Gegenteil – da ist es dann so wie es ist.“17 Mit seiner Entscheidung fortan ein Leben als Bauer zu führen, schuf Werner Berg die von ihm als notwendig erachtete Voraussetzung zur Produktion seiner Kunst. Das neu gewählte Erlebnis- und Erfahrungsumfeld garantierte dem Künstler fortwährend „Anschauung“, wie Werner Berg den zentralen Begriff seines Denkens bezeichnete. Sein Leben als Bauer lieferte eine Fülle von Eindrücken, die nun gerade nicht touristisch-voyeuristisch wahrgenommen wurden, sondern aufgrund des eigenen Sich-vollkommen-Aussetzens unmittelbar in Bergs Leben hineinreichten. Die vollständige Absage an sein bisheriges Leben, sein Eingebundensein in die neue Lebensform wurde zur existenziellen Voraussetzung des Schaffens „Von-innen-heraus“. Die gesamte neu gewählte Lebensform wurde dabei selbst zum Kunstwerk. Unter dieser Prämisse sind Werner Bergs Bilder nicht unabhängig von dieser radikalen Gestaltung auch seines eigenen Lebens zu sehen. In seinem Entschluss, die Kunst an seine Existenz als Bauer zu binden, sah er die notwendige Bedingung für die Gültigkeit seiner Kunst. Harald Scheicher

Werner Berg in einem Brief an Maria Schuler vom 6. 7. 1955 Werner Berg in einem Interview mit dem ORF, 1964 3 Annie-Paule Quinsac in: „Segantini“, Ostfildern 2011, S. 35 4 ebenda 5 Dass die Quantität der Hervorbringungen gegenüber der Intensität der Darstellung keine Rolle spielt, beweisen seine „Sonnenblumen“. Gerade vier davon schuf er im September 1988, hinzu kamen drei Wiederholungen im Jänner 1989 und doch wird sein Schaffen immer in Verbindung mit den Sonnenblumen gesehen und ist das Bild, das wir von der Sonnenblume haben, ein für alle mal durch ihn bestimmt. 6 Wieland Schmied in: „Eröffnungen“, Weitra, 2011, S. 39 7 So beklagte sich etwa Vincent van Gogh in einem Brief an seinen Bruder Theo den provenca lischen Dialekt nicht zu verstehen, auch Werner Berg hat die slowenische Muttersprache seiner Nachbarn nie erlernt. 8 Trude Polley, in „Die Brücke“, 1981 9 Erich Kuby an Werner Berg, 1969 10 Walter Bauer, „Ein Mann zog in die Stadt“ 11 Seine Beharrlichkeit dabei gleicht durchaus der insistierend einprägenden Thomas Bernhards, in dessen autobiographischer Erzählung „Der Keller – Eine Entziehung“. 12 Werner Berg, in: „Zwischenbilanz einer Malerexistenz“, 1957 13 Werner Berg, in: „Wahlheimat Unterkärnten“, 1947 14 Erich Kuby zu Werner Berg, 1969 15 ebenda 16 Zoran Kržišnik, anlässlich der Laibacher Ausstellung Werner Bergs, 1957 17 Erich Kuby an Werner Berg, 1973 1 2

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JUNGE FAMILIE 1932, 90 x 100 cm, KNWB

Die Gegensätze bilden eine Zange ganz besonderer Art zur Wirklichkeitsbe- und -ergreifung. Der Zwang zur Arbeit, der Lebensrhythmus der Jahreszeiten und seine sehr realen Sorgen schienen mir für die künstlerische Gestaltung stets mehr förderlich als hinderlich zu sein, wie man das auch zu Zeiten verfluchen mochte. Jeder Schritt erfüllt den Sehenden mit Anschauung, die Sorge um Wachstum, Gedeihen oder Vernichtung will der Willkür nicht viel Raum geben, den „Gegenstand“ zu zerlegen oder aufzulösen, den Gegenstand, der Acker und Wald, Blume und Vieh und immer wieder der Mensch ist. 24


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Wie ich aus dem Wald heraufkam und zum ersten Mal die Feldbreiten und Felsen des Rutarhofes sah, da hatte ich das Gefühl, in einem anderen Land, in einer neuen Welt zu sein. Hier sind wir genau auf der Südwestecke des sogenannten Rückersdorfer Hochplateaus, von dem man einen einmaligen Blick ins Unterland hat, der sowohl das Rosental mit dem Kalkgestein wie das Klagenfurter Becken mit dem dahinter liegenden Urgestein umfasst. Ebenso oder mehr noch als die Landschaft in ihrem dynamischen, sehr ursprünglichen Charakter hat es mir die Bevölkerung angetan, die damals besonders noch von gar keinem Klischee erfassbar, von vieldeutiger, hintergründiger Ursprünglichkeit war. 26


EIN BEGINN 1904-1935

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1904 Werner Berg wird am 11. April in Elberfeld, einem Teil des heutigen Wuppertal, als

jüngstes von vier Kindern geboren. „Die Vorfahren des Vaters kamen aus dem Stockwestfälischen, der Großvater betrieb mit vielen Gesellen die Herstellung von Lampen, Geräten und Installationen und verpasste aus zäher Beharrung und frommer Rechtschaffenheit den Anschluss an die Industrialisierung. Die tätige, rüstige, allzeit ungebrochene Kraft des elterlichen Hauses und Geschäftes war die Mutter. Der Vater, ein vielseitig und inständig interessierter Humanist, konnte trotz mancher Ehrenämter und Liebhabereien eigentlich nie recht in der Mitte seiner selbst leben. Sein Bruder, dessen Bildnis stets legendär erschien, wollte Maler werden und zerbrach am Bürgersinn, dieser Integration von Gottesfurcht und Selbstgerechtigkeit.“

1914 Werner Berg besucht das Realgymnasium in Elberfeld. Neben der Schule entstehen erste Zeichnungen und Aquarelle.

1917Der Bruder Alfred fällt im Krieg, kurz darauf stirbt auch, niedergeschlagen durch den

schweren Verlust, der Vater. „Weltkrieg – der erste alles verwandelnde – und Nachkriegszeit brachen vollends das Ungestüm und die Unbekümmertheit der Jugend. Der Vater starb an Kriegsfolgen 1917, einer der Brüder, der Schwester Verlobter und der wie ein Sohn gehaltene Vorgeselle fielen im gleichen Jahr, und der andere Bruder, der bei der Marneschlacht schwer verwundet wurde, galt noch Monate danach als vermisst. Die einstige Basis einer gediegenen, wenn auch nicht übermäßigen Wohlhabenheit war erschüttert.“

1922 „Nach dem Besuch der Schule war meinem steten Wunsch, Maler zu werden jeder

Weg versperrt. Ich selbst glaubte, in mir versagen zu müssen unter dem schweren Druck der Zeit nach dem Kriege. So ging ich nach der Matura, der niedergebeugten Mutter zur Freude und Erleichterung, in die Industrie arbeiten. Ich arbeitete in einer Fabrik in Sonnborn.“

1923 In Köln beginnt Werner Berg ein Studium der Handels- und Staatswissenschaften. 1924 Die wirtschaftliche Lage der Familie Berg bessert sich mit dem Erfolg des Spielwarengeschäftes, das Werner Bergs Mutter nun betreibt. Werner Berg wechselt zum Studium der Volkswirtschaftslehre nach Wien zu Othmar Spann. Im Dezember 1924 lernt er Amalie Kuster, „Mauki“, seine spätere Frau kennen. Die Kusters betreiben eine sogenannte „Milchmeierei“ in Hütteldorf, einem westlichen Vorort Wiens. Werner Berg ist von der bäuerlichen Vorstadtatmosphäre sehr eingenommen und hilft gerne in der Landwirtschaft aus.

1927 Mit seiner Dissertation: „Das kinetische Problem in Gesellschaft, Staat und Wirtschaft“

promoviert Werner Berg mit Auszeichnung zum Doktor rerum politicum. Auch seine Weggefährtin und spätere Frau Mauki beendet ihr Studium erfolgreich. Er beginnt, anstatt eine sich bietende Universitätslaufbahn einzuschlagen, das Studium der Malerei an der Wiener Akademie bei Karl Sterrer. „Nach sieben weiteren Semestern, die ich ununterbrochen an der Wiener Universität blieb, promovierte ich 1927 mit Auszeichnung, nachdem ich in den letzten Semestern an der Wiener Universität als Bibliothekar und Assistent angestellt und für die Dozentenlaufbahn ausersehen 28


war. Vor den Prüfungen aber brachen alle alten Wünsche, die der Kunst galten und mir selbst längst abgetan schienen, hervor und ließen mich nun doch den Weg zur Malerei suchen. Im Herbst des gleichen Jahres nahm mich die Wiener Akademie der bildenden Künste auf, wo ich zunächst alle vorgeschriebenen Prüfungen absolvierte. Zugleich stand in mir und meiner Frau der Plan fest, in einem bäuerlichen Lebenskreis eine ursprüngliche, unkonventionelle Daseinsform zu suchen und darin die Grundlage künstlerischer Produktion zu finden.“

1928 Wanderungen, die „Walz“, führen Werner Berg, zusammen mit Rudolf Szyskowitz und Rudolf Birstinger durch die Alpen. Er überlegt, sich im Lungau anzusiedeln. In Salzburg wird Bergs erste Tochter Ursula geboren.

1929 Werner Berg wechselt zur Fortsetzung seines Studiums an die Münchner Akademie. Er

wird Komponierschüler von Karl Caspar und erhält ein Meisteratelier. „In Wien habe ich zeichnen gelernt, stur und streng, in München wurde ‚gesäbelt‘, ‚gemoln‘.“ Ein Jugendfreund Werner Bergs, der Dichter Kurt Sachsse, absolviert ein landwirtschaftliches Praktikum in Kärnten. Werner Berg besucht ihn im Sommer. Mit Kurt Sachsse wird der Plan gefasst, sich gemeinsam in Unterkärnten anzusiedeln und einen Bauernhof zu bewirtschaften.

1930 Werner Berg heiratet Amalie „Mauki“ Kuster. Sie wohnen in München, verbringen

jedoch mehrere Monate in Kärnten, um eine geeignete Landwirtschaft ausfindig zu machen. Am 6. Oktober 1930 kommt es zum Ankauf des Rutarhofes, einer entlegenen Bergwirtschaft im Grenzgebiet Südkärntens. In seiner Schrift „Wahlheimat Unterkärnten“ bemerkt Werner Berg später: „Der Rutarhof, wie sich unsere Hube etwas großspurig nennt, liegt auf der Südwestecke des dem Hochobir vorgelagerten Bergriegels, unter dem die Vellach in die Drau einmündet. Kein Verstand hätte mich so gut beraten können, wie ein Instinkt mich einst leitete und hierher führte. Der sagte mir schon in frühesten Jahren, als ich zur Kunst strebte, dass es darauf ankomme, die Kunst wieder an das Leben zu binden, eine Lebensform zu gründen, die in sich Sinn habe und mit Anschauung gesättigt sei. Das Unterland, das so abseitig und unbeschrien ist, da sich der Fremdenstrom stets westlich von Klagenfurt ergießt, hatte es mir bald angetan. Ungewöhnlich und von keinem Klischee erfassbar erschienen mir auch von Anfang an die Menschen, die Kärntner Slowenen, deren Wesen ich noch nirgends echt geschildert sah. Katholische Religiosität im Verein mit aus dem Schoß der Urzeit Überkommenen, ein unentwegter Fleiß, aber auch Misstrauen gegenüber großen Tönen, aber auch gegen alles allzu Klare kennzeichnen die Bevölkerung.“

1931 Am 15. März kommt es zur endgültigen Ansiedlung auf dem Rutarhof. Gemeinsam mit

seiner Frau und Kurt Sachsse bewirtschaftet er von nun an unter einfachsten Bedingungen den Bauernhof. Es gibt kein Fließwasser im Haus, keinen elektrischen Strom. „1931 begannen wir auf dem Rutarhof zu wirtschaften, hart, ernst und voll jugendlicher Unbedingtheit, jedoch ohne alle pseudoromantischen Illusionen. Glaubten wir damals, wir wären nach drei Jahren spätestens über dem Berg, so war das dennoch eine Illusion. Anfangs haben wir den heimischen Bauern, die außerordentlich fleißig und genügsam sind und eine keineswegs simple Wirtschaftweise haben, genau auf die Finger gesehen, später konnten wir dann viele Verbesserungen durchführen und die Erträge steigern, was wiederum nicht selten auf die 29


Bauern unserer Umgebung zurückwirkte. Dennoch: Das Bäuerliche und gar das Bergbäuerliche unserer Lage ist nun einmal nicht mehr in wirtschaftlich rentable Relation zu bringen zur kommerzialisierten, industrialisierten und vor allem bürokratisierten Sozietät.“ Über einem alten Schafstall baut er sich ein Atelier. Klara, die zweite Tochter wird geboren. Werner Berg beteiligt sich mit zwei Bildern an der Ausstellung der Münchner Neuen Secession im Glaspalast. Bei dessen Brand werden die Bilder vernichtet. Erste Ausstellungen im Städtischen Museum in Elberfeld und im Essener Folkwang Museum.

1932 Werner Berg besucht im Jänner Emil Nolde in Berlin. Emil Nolde und dessen Frau

Ada fördern den jungen Künstler freundschaftlich und machen ihn auch mit dem Berliner Maler Werner Scholz bekannt. Werner Berg bricht nun radikal mit der Malweise der Münchner Schule und beteiligt sich mit sehr expressiven Aquarellen an einer Ausstellung junger deutscher Maler im Kunsthaus Bielefeld.

1933 Werner und Ursel Scholz besuchen den Rutarhof.

An der Ausschreibung für eine große Ausstellung religiöser Gegenwartskunst anlässlich des Katholikentages in Wien nimmt Werner Berg mit seinem fünfteiligen Altarbild teil. Das Bild wird von der Jury zurückgewiesen.

1934 Im Jänner Ausstellung in der angesehenen Galerie von der Heyde in Berlin. Die Aus-

stellung findet große Beachtung und ausgezeichnete Besprechungen, löst aber auch Befremden und Empörung aus. Werner Berg ist in einem Zustand äußerster Nervenanspannung. Es kommt zum Bruch mit Werner Scholz und auch mit Emil Nolde. Im Herbst 1934 Kontakt zu Herbert Boeckl. Werner Berg beteiligt sich an der Staatspreisausstellung im Wiener Künstlerhaus. Geburt des Sohnes Veit. In Deutschland kommt es zu ersten einzelnen Bildankäufen privater Sammler. Dennoch bleibt die erhoffte Entlastung durch Bildankäufe aus und die wirtschaftliche Lage der größer werdenden Familie wird aufgrund der schlechten Absatzverhältnisse für landwirtschaftliche Produkte immer schwieriger. Werner Berg werden seitens der deutschen Behörden alle Überweisungen aus seinem Sparguthaben in Elberfeld wie auch die Überweisung monatlicher Unterstützungen durch seine Mutter gesperrt.

1935 Werner Berg erhält den Dürerpreis der deutschen Albrecht Dürer Stiftung in Nürnberg.

Bergs Einzelausstellung wird auch im Städtischen Museum in Bochum und im Kölner Kunstverein gezeigt, auf dieser letzten Station jedoch „als nicht dem gesunden Empfinden der heutigen Zeit entsprechend“ polizeilich gesperrt. Die Bochumer Kritik hatte noch geschrieben: „Werner Berg ist eine der stärksten Persönlichkeiten, die wir in der Gemäldegalerie überhaupt kennenlernten.“ Die Nationalsozialisten beginnen zunehmend mit der Verfolgung und Ausgrenzung der als „entartet“ angeprangerten Künstler. Geburt der Tochter Hildegard. 30


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RUTARHOF 1931, 40 x 57,5 cm

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HEIMWEG 1933, 35,5 x 25,5 cm

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BAUER, STUTE, FOHLEN 1934, 40 x 30,4 cm

In jungen Jahren habe ich mich mit den verschiedensten graphischen Techniken beschäftigt. Ich habe radiert – mit der Kaltnadel, mit der Ätzung – lithographiert und wie ich hierher auf den Rutarhof kam, hatte ich die Absicht, mir eine Presse zuzulegen – Ätzbäder, alle möglichen technischen Gegebenheiten. Und dann bin ich immer mehr darauf gekommen, dass der Holzschnitt, und gerade die Beschränkung auf den Holzschnitt, sowohl den künstlerischen Möglichkeiten wie den Gegebenheiten unseres bäuerlichen Lebens besonders entspricht. 34


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VOM BAUM FRESSENDES PFERD 1933, 37 x 29,5 cm

Das pure Schwarz-Weiß erscheint mir in der Graphik als die Gegenreaktion des Malers. Nicht eine Negierung, sondern eine Steigerung der Farbe. Auch glaube ich, dass die Möglichkeiten des puren Schwarz-Weiß unerschöpflich sind, und das hat mich ganz besonders dazu veranlasst beim Holzschnitt zu bleiben. Weil er auch meinem Leben entspricht –ich habe vom wachsenden Baum über das Brett bis zum Druck alles selbst in der Hand und staune immer mehr über die Möglichkeiten, die sich in einem langen Leben und in einer dauernden Arbeit bieten. 36


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KLEINER GARTEN IM SCHNEE 1933, 34,5 x 49 cm

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KINDER 1933, 23,8 x 38 cm

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SPAZIERGANG 1933, 30 x 44 cm

Die Hingabe an die kleinen Ereignisse, die Hochschätzung des kleinen Volkes – alles unter Anführungszeichen – ist für mich von großem Belang, und daraus erwächst eine strenge Gestaltung und nicht nur ein anekdotisches Mätzchen. Es ist ein großer Unterschied, wie man die Dinge ansieht und wie man sie gestaltet. Es sind nicht die großen akademischen Themen, es ist aber auch nicht die geistige Beschränktheit. Ich glaube, dass in dieser besonderen Spannung zwischen geistiger Anforderung und tatsächlicher Hingegebenheit die Arbeit ihr Leben, ihren Impuls bezieht. Es gibt natürlich nichts für einen Künstler, das entscheidender wäre als die Gestaltung, die Gesinnung macht keine Kunst, aber sie kann auf ihrem Grunde liegen und tut es auch. 40


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MANN MIT PFERD UND SCHLITTEN 1933, 95 x 75 cm

Ich lernte Nolde damals kennen, aber nicht eigentlich in der Nachfolge Noldes, sondern durch ihn zum Bildhaften angeregt, wollte ich eine sehr strenge Bildgestaltung. Ich wollte zum „Bild“ kommen und die Malerei, die heftige Malerei, fast negieren. Später wurde das dann wieder differenzierter, aber die Grundlage der Flächigkeit, die Grundlage des „Bildes“ als solches blieb. Es ist ein großer Unterschied, ob ich etwas abmale oder in der Bildverwandlung zeige. 42


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ABSCHIED 1933, 65 x 80 cm, KNWB

Ich ging damals zum Kreidegrund über. Der Kreidegrund hat eine besondere Bedeutung, weil die Farbe in die Fläche eingesogen wird. Viele Nuancen gehen in der Fläche zusammen und geben dadurch einen besonderen Gegensatz, aber auch eine große Leuchtkraft, besonders im Dunkel der Farbe. 44


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ALTAR DER HL. FAMILIE 1933, 190 x 380 cm

Der Altar ist nicht eigentlich ein sakrales, sondern mehr ein menschliches Bild, wie ja die Hl. Familie das menschlichste Thema der biblischen Geschichte ist. Der Altar selbst ist auch ganz in der Fläche gehalten. Ich wollte auf der einen Seite das Überexpressive eben des Expressionismus vermeiden und auf der anderen Seite den barocken Überschwang einer ausgehenden alten österreichischen Kultur und habe von meiner Sicht das in einfacher Anschauung farbig dargestellt. 46


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ALLERHEILIGEN 1934, 49 x 61 cm

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PAAR 1933, 49 x 61 cm

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ZWEI WEIBER 1932, 49 x 61 cm

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ZIGEUNERIN 1933, 49 x 61 cm

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MUTTER MIT KIND 1934, 21 x 13 cm KNWB

Die Ölskizzen gehören zu den eindringlichsten Arbeiten Bergs früher Jahre. Die gegenständliche Vorgabe ist kaum mehr zu erkennen, die Begrenzungen aufgelöst. In reinen Farbklängen legen sie – in Serie entstanden – die spätere Bildfarbigkeit fest und erscheinen oft wie eine Vorwegnahme des abstrakten Expressionismus. Harald Scheicher 52


TRANCˇE MIT JÄGER 1935, 21 x 13 cm KNWB

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WARTENDE MARKTFAHRERIN 1933, 89 x 63 cm

Die Menschen hier sind von besonderer und manchmal etwas verschlossener Art. Sie sind nur durch ein jahrhundertealtes Geschick gewohnt, gezwungen, sich zu verbergen und sich nie zu klar zu bekennen. Und das zu Klare ist auch etwas, das viele Gefahren in sich hat und mit dem man den Menschen nie nahe kommt. Wenn man sie aber als das betrachtet, was sie sind, wenn man ihre Existenz fühlt, so sind sie durchaus nachbarlich und aufgeschlossen. Ursprünglich waren die Kärntner Slowenen – die einen sagen die Windischen, die anderen sagen Kärntner Slowenen, es ist natürlich dasselbe – Leute, die in Weilern und Gehöften, in kleinen Dörfern abseits gesiedelt haben und dadurch ihre Eigenart ganz besonders bewahrt haben. Sie haben zwar in einem immerwährenden Austausch mit der anderen Welt gelebt und sich darauf eingerichtet, aber ihre Lebenssituation hat doch bedingt, dass sie selbst und anders blieben. 54


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SOMMER 1934, 100 x 90 cm

Dieses Bild, der „Sommer“, zeigt vielleicht noch am meisten die Herkunft von Nolde, aber es vollzieht auch zugleich schon die völlige Wegwendung, die Umwandlung meiner Malerei in die Fläche, in die bildhafte Bedeutung. 56


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SCHMERZENSMANN MIT GEORGINEN 1934, 95 x 75 cm

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KIRSCHBLÜTENZWEIG 1934, 95 x 75 cm

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VOR DEM PFARRHOF 1934, 65 x 75 cm

Auf dem Grund dieser Bilder ist oft die kleine Begebenheit, das, was man nicht immer ganz richtig Anekdote nennt, die Legende. Aber diese Anekdote wird durch und durch Form, ist zur großen Form verarbeitet. Auf der anderen Seite ist es gar nicht gleichgültig für mich, wie diese Form durchblutet ist, eben von der lebendigen Begebenheit her ihr Leben bekommt. 60


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FRAUEN AUF DEM WEG 1934, 63 x 89 cm

An diesem ganz schlichten Thema ist mir zum ersten Mal die Besonderheit dieses Landes aufgegangen. 62


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TRANCˇEKA 1935, 120 x 75 cm

Es ist das Merkwürdige, dass ich, der ich ein westlicher und im Grunde auch urbaner Mensch bin, das Anklingende eines fremden Volkes besonders stark fühle. 64


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FIRMWAGERL 1935, 65 x 80 cm

In der Beschränkung auf diesen Lebensbereich glaube ich erst ganz das Unausschöpfliche und Unermessliche zu spüren, dass das Leben bietet. Sodass man im Kleinsten, im Bleiben gerade das Abenteuer des Vielgestaltigen erfährt. Ich glaube überhaupt, dass das das Problem unserer Zeit ist. Wenn man heute Bekannte sieht, so war der eine in Argentinien, in Griechenland, in Spanien, auf Spitzbergen oder Gott weiß wo. Ich bin hier geblieben und ich bin wohl dabei gefahren, ich habe mich wohl dabei befunden. Und ich glaube, dass man hier viel herausholen kann. 66


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DIE LEIDTRAGENDEN 1935, 20,5 x 30,3 cm

Die Mitteilungsform der Protagonisten in Werner Bergs Werken ist primär die Mimik. Dass die Geste quantitativ eine untergeordnete Rolle spielt, wenngleich sie Werner Berg geradezu drastisch einsetzt, liegt am knappen Bildschnitt, der Parallelen in der Fotografie der Zwischenkriegszeit erkennen lässt. Ganzfigurige Darstellungen bleiben in der Minderzahl. Die Figuren werden meist in eine seichte Raumbühne gesetzt und ihr potenzieller Bewegungsraum wird durch das Bildgeviert minimiert. Der radikale Schnitt raubt ihnen Spielraum, das heißt, er gestattet kein anderes Verhalten, keine andere Handlung als die, die sie gerade vollziehen. Mit den Mitteln der Bildgrammatik fixiert Werner Berg die Alternativlosigkeit und die Unausweichlichkeit ihres Handelns, sofern sie noch handeln. Und wenn sie nicht handeln, hindert sie kein im Bild erkennbarer äußerer Zwang. Ihr Sprechen ist der Sonderfall; das Schweigen ist die Stufe vor der Sprachlosigkeit. Sie artikulieren ihre Mitteilungsabsicht durch das Vorrücken in den äußersten Vordergrund und sie kompensieren den Sprachverzicht und das Verstummen durch die Aufwertung des mimischen Potenzials. Sie wechseln das Medium. Arnulf Rohsmann 68


TAUBSTUMMER 1935, 43,5 x 60 cm

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Mit dem Anbruch des NS-Regimes in Deutschland war meine künstlerische Situation aufs Ärgste gefährdet und führte schließlich zu völliger Erdrosselung des Hervortretens. Eine große Kollektivausstellung wurde im Mai 1935 in Köln polizeilich gesperrt, die Angelegenheit selbst zu einem Kunstskandal aufgebauscht, in dessen Verlauf meine Bilder in deutschen Museen und Sammlungen beschlagnahmt und zwangsweise entfernt wurden. Ein Teil der beschlagnahmten Arbeiten wurde auf der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt und angeprangert. Nach 1933 widersetzte ich mich grundsätzlich der oftmaligen Aufforderung, als „Auslandsdeutscher“ der Partei beizutreten. Im Dezember des Jahres 1936 aber, in der oben angeführten Bedrängnis, gelang mir das nicht mehr. Eine Weigerung hätte die schwerste Gefährdung meiner Familie bedeutet. Als ich später als Soldat zum Malen herangezogen wurde, blieb ich in allen Situationen meiner Überzeugung treu. Vier Jahre war ich meist an der Nordfront in Militärdienst und zuletzt Obergefreiter. Dass ich nach jenen Jahren in mein, in unser Leben wieder eintreten durfte, gilt mir seither bei jedem Atemzuge, so bedrängend auch oft die Umstände waren, als eine unerhörte Fügung des Geschicks. Ich habe weiterarbeiten dürfen. 70


ANFEINDUNG KRIEG UND HEIMKEHR 1936-1949

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1936 An dem letzten Hervortreten moderner deutscher Kunst in Hamburg beteiligt sich

Werner Berg mit dem Bild „Magd und Jäger“, er bekommt es, nachdem die Ausstellung gleich zu Beginn geschlossen wurde, nicht mehr zurück. Im Juli erscheint ein ausführlicher, reich bebilderter Artikel über Berg in der Zeitschrift „Die Kunst“. Die Münchner Pinakothek erhält eine Auswahl von Bildern, um daraus anzukaufen. Der schon beschlossene Ankauf wird nach heftigem Auftreten des Referenten im Propagandaministeriums, Franz Hofmann, wieder rückgängig gemacht. Auf dem Rutarhof teilt sich Kurt Sachsse, der eigentliche Wirtschafter, tagtäglich alle anfallenden Aufgaben mit Werner Bergs Frau, während Werner Berg oft seine künstlerische Arbeit im Atelier verfolgt, tagelang zum Skizzieren unterwegs ist und wiederholt wochenlange Reisen nach Deutschland unternimmt. Kurt Sachsse entwickelt im Lauf der Zeit der bewunderten Hausfrau gegenüber Gefühle der Zuneigung, die diese nur zurückweisen kann. Nachdem es deshalb zu schweren Konflikten gekommen ist, verläßt Kurt Sachsse Anfang 1936 den Rutarhof. Seiner Lebensbasis beraubt, verbringt er haltlos mehrere Monate in Deutschland, bevor er sich in Freiburg im Breisgau mit einem Pistolenschuss in den Kopf das Leben nimmt. Schwere Schatten haben sich nun auf das so enthusiastisch begonnene Projekt auf dem Rutarhof gelegt. Nach dem Fortgang Kurt Sachsses sieht sich Mauki außerstande, mit all den Beschwerden des Wirtschaftens und dem Aufziehen von vier Kindern allein zurechtzukommen. Sie, die auch ein Studium abgeschlossen hatte, ist eingespannt wie eine Magd in die Mühen des bäuerlichen Alltags. Franz Krebl, der „Herr Pacher“, wird Wirtschafter auf dem Rutarhof und bleibt fortan Helfer der Familie. Die wirtschaftliche Lage auf dem Rutarhof wird immer schwieriger. Die bisher noch aus Elberfeld erfolgte monatliche Überweisung von 150 Reichsmark wird durch immer schikanösere Devisenbeschränkungen unterbunden. Werner Berg wird aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen. In dieser Ausweglosigkeit tritt Werner Berg 1936, nachdem das deutsch-österreichische Juliabkommen einen solchen Schritt erlaubte, der Auslandsorganisation (AO) der NSDAP bei. Die weitere Genehmigung, Devisenzuweisungen aus Elberfeld zu erhalten, ist von diesem Schritt abhängig und diese sind für das Überleben der Familie auf dem Hof dringend notwendig. Er steht der Partei innerlich fremd gegenüber. Durch seinen Beitritt erhofft er sich auch die Möglichkeit der Wiederaufnahme in die Reichskammer der bildenden Künste – die Voraussetzung, um weiterhin Malmaterial aus Deutschland beziehen zu können und in Deutschland wieder auszustellen.

1937 Durch die Rückschläge des vergangenen Jahres und die nun völlig erloschene

Möglichkeit mit seinen Bildern aufzutreten, gerät Berg in eine tiefe Schaffenskrise. Im November unternimmt Werner Berg eine längere Reise über Bielefeld nach Paris. Er ist begeistert von der Metropole Paris und vor allem vom Louvre. Er besucht auch eine große ElGreco-Ausstellung und den Salon d'automne. Werner Berg lernt den Dichter Walter Bauer kennen. Im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ werden nun auch Bilder Werner Bergs beschlagnahmt – zwei im Städtischen Museum von Wuppertal, eines im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. 72


1938 Werner Berg ist erstmals auf der Hamburger Station der diffamierenden Wander-

ausstellung „Entartete Kunst“ mit seinem aus dem Städtischen Museum Wuppertal beschlagnahmten Bild „Nächtliche Scheune“ vertreten. Auch die vom 7. Mai bis 18. Juni 1938 im Künstlerhaus präsentierte schmähende Ausstellung zeigt dieses, bald darauf von den Nazis vernichtete Bild Werner Bergs.

1939 Am 20. März 1939 wird im Hof der Feuerwache Berlin, Köpenickerstraße, der „unverwertbare Bestand“ der beschlagnahmten „Entarteten Kunst“ verbrannt: 1004 Ölgemälde und Bildwerke, 3825 Aquarelle, Zeichnungen und graphische Blätter. Darunter sind auch jene drei Ölbilder Werner Bergs, die 1937 aus den Städtischen Museen von Wuppertal und Nürnberg beschlagnahmt worden sind. Mit seiner Frau unternimmt Werner Berg eine Reise in die Schweiz – nach Genf zu einer Ausstellung mit Meisterwerken des Prados, nach Bern und Zürich. Bei der Rückkehr wird er vom Kriegsausbruch überrascht. Er absolviert einen Sanitätskurs des Roten Kreuzes in Klagenfurt.

1940 Um nicht zum Waffendienst eingezogen zu werden, lässt sich Werner Berg in St. Johann in Tirol zum Heeressanitäter ausbilden. Werner Bergs jüngste Tochter Annette wird geboren.

1941 Werner Berg bekommt einen Einrückungsbefehl.

Kurz darauf wird Werner Berg nach Norwegen abkommandiert. Er soll die Landschaft des „hohen Nordens“ in seinen Bildern festhalten. Verantwortlich für die Kommandierung ist ein von Werner Bergs Bildern beeindruckter Oberstleutnant im Generalstab, Walter Schmidt. Schmidt gehört dem XXXVI. Gebirgskorps an und ist von 1943 bis 1945 Chef von dessen Generalstab. Aus Köln stammend, lernte er Werner Bergs Bilder schätzen und ist ihm auf Grund seiner einflussreichen Stellung in den folgenden Kriegsjahren ständiger Protektor. Auf seine Veranlassung wird Werner Berg ein unter den gegebenen Umständen doch erstaunlicher Freiraum zugestanden. Damit kann er sich auf die gestellte Aufgabe der Landschaftsdokumentation beschränken und jede Propagandamalerei vermeiden. Die Abkommandierung verzögert sich jedoch und Werner Berg wird für die Arbeit am Hof wieder freigestellt. Für eine große Ausstellung Kärntner Malerei in Salzburg, die alle namhaften Kärntner Künstler präsentierte, wird Werner Berg nicht zugelassen. „Man sagte mir, Du seiest zu revolutionär“, berichtet dazu Josef Weinheber. Zu dieser Zeit lassen die Ölbilder Werner Bergs kaum noch sein ehemals expressives Gestalten erahnen. Weiterhin jedoch zeigen seine nun geradezu kartographischen Landschaften, wie auch seine Darstellungen der slowenischen Bauern die ungebrochene Faszination durch seine Unterkärntner Umgebung. Nur im fortlaufenden Strom seiner Skizzen ist die stilistische Kontinuität von Werner Bergs Entwicklung nie abgebrochen.

1942 Im Mai kommt Werner Berg als Sanitätssoldat und Kriegsmaler nach Finnland. 1943 Freunde versuchen, Bilder Werner Bergs in Weimar auszustellen. Eine eigens von 73


Berlin bestellte „Sittenkommission“ bestimmt jedoch die Entfernung der vorgesehenen Werke. Im Feber jedoch zeigt der Kunstverein für Kärnten die Ausstellung „Bilder von der Eismeerfront und aus Nordkarelien“ von Werner Berg. Bei einem Bombenangriff auf das Haus in Elberfeld kommt Werner Bergs Schwester Clara ums Leben. Das Haus und mit ihm viele frühe Bilder Werner Bergs werden bei diesem Bombenangriff völlig zerstört. Bergs Mutter, welche gerade auf Besuch am Rutarhof ist, entgeht so dem Tode und verbleibt in Kärnten.

1944 Ausstellung der Bilder Werner Bergs aus Norwegen und Finnland in der Galerie Welz in Wien. Werner Berg arbeitet im letzten Kriegsjahr hauptsächlich mit Ölfarben auf Papier.

1945 Im April besucht Werner Berg Edvard Munchs Schwester Inger in Ekely.

Nach Kriegsende kommt Werner Berg in ein Internierungslager in Hamar in Norwegen. Im Herbst kehrt er wieder auf den Rutarhof zurück. Werner Berg bekommt, da deutscher Staatsbürger, vorerst das Heimatrecht in der Gemeinde Gallizien verliehen. Im November 1945 schreibt er sein Einbürgerungsansuchen. Er lernt den jungen Dichter Michael Guttenbrunner kennen. Dieser setzt sich zusammen mit Johannes Linder, Kulturreferent der Landesregierung, unermüdlich für Werner Bergs Belange, vor allem für seine Einbürgerung, ein. In diesem und den folgenden Jahren ist Werner Bergs Arbeit sehr durch die enormen Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Malmaterial behindert. Farben und Papier sind kaum zu bekommen und wenn, meist von minderer Qualität.

1946 Freundschaftlicher Kontakt zu Anton Kolig. Werner Berg tritt dem Kärntner Kunstverein bei.

1947 Im Jänner bekommt Werner Berg die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Werner Berg wird Mitglied des Art Clubs in Wien und sendet Holzschnitte zu dessen erster Ausstellung in der Neuen Galerie. Im November Ausstellung in der Galerie Kleinmayr in Klagenfurt. Im selben Monat hält Berg einen Radiovortrag mit dem Titel „Wahlheimat Unterkärnten“, der sein grundsätzliches Bekenntnis zu seiner Situation auf dem Rutarhof darstellt.

1948 Werner Berg besucht die Biennale in Venedig. Seit seiner Reise zur Weltausstellung

von Paris 1937 und dem Besuch der Schweizer Museen 1939 kann er erstmals wieder einer hochrangigen Auswahl von Meisterwerken der Moderne gegenüberstehen.

1949 Tod von Werner Bergs Mutter.

Im Jänner Ausstellung in der Galerie Welz (Würthle) in Wien. Im Herbst gelingt es Werner Berg, zur Ausstellung „Der Blaue Reiter“ nach München zu fahren. Er lernt bei dieser Gelegenheit den Verleger Reinhard Piper kennen. Pipers damalige Sekretärin Maria Schuler wird eine der treuesten Freunde Werner Bergs. 74


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SELBST 1936, 55 x 45 cm, KNWB

Zwei Selbstporträts aus dem Jahre 1936 markieren einen Wendepunkt. Der suchende Zweifel kippt um in Argwohn, der obligate Spiegelblick aus dem Augenwinkel wird zum Signum der Verunsicherung – der eigenen wie der des Gegenübers. Arnulf Rohsmann 76


SELBSTBILDNIS VOR ORANGE 1936, 89 x 63 cm, KNWB

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JUNGE TOTE BÄURIN 1935, 50 x 62 cm

Anders als in den spontanen, der unmittelbaren Bildfindung dienenden Skizzen, war die große, meist streng linear gehaltene Zeichnung – es handelt sich dabei fast ausschließlich um Porträts – für Werner Berg Mittel, die Individualität des Dargestellten einprägsam festzuhalten. Die strenge Schule seiner ersten Akademiezeit bei Karl Sterrer war Werner Berg verhasst, dennoch kam ihm diese Ausbildung zum genauen zeichnerischen Festhalten zeitlebens zugute. In der künstlerischen Einsamkeit der zweiten Hälfte der 1930er Jahre gelingen ihm mit den Zeichnungen eingehende Psychogramme der nächsten Menschen seiner Umgebung. Den großen expressiven Themen gezwungenermaßen entsagend, durchlebte Werner Berg nach seiner Akademiezeit eine zweite Phase des ausschließlich strengen Sehens und Beobachtens. Harald Scheicher 78


NANI 1937, 62 x 50 cm

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JUNGE WÖCHNERIN I 1934, 49 x 61 cm

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JUNGE WÖCHNERIN IV 1934, 50 x 62 cm

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ALTE KEUSCHLERIN 1936, 49 x 61 cm

Werner Berg zeigt die Frauen in ihrem Artikulationsverzicht, fĂźhrt diesen aber nicht explizit auf die patriarchalischen Strukturen in der agrarischen Gesellschaft zurĂźck. Arnulf Rohsmann 82


SIMON 1935, 61 x 49 cm

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KRANKE BÄURIN (OMA WIEN) 1934, 49 x 61 cm

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MEINE MUTTER (OMA ELBERFELD) 1934, 61 x 49 cm

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AUFFLIEGENDE KRÄHEN 1939, 75 x 120 cm, KNWB

Ich lebe als Bergbauer im slowenisch besiedelten Kärntner Grenzgebiet, bin Maler und Vater von vier Kindern im Alter von noch nicht ein bis sieben Jahren. Meine Lebensverhältnisse erfuhren nicht nur durch die schwere Wirtschaftskrise der Bergbauern, sondern durch Missgeschick u.a. eine bedeutende Erschwerung. An Stelle meines Freundes, mit dem ich mich ursprünglich gemeinsam angesiedelt hatte und dem der Großteil der Wirtschaftsführung oblag und der seit Anfang des Jahres nach Deutschland zurückkehrte, musste ich einen Wirtschafter aufnehmen. Ferner war die Anstellung einer Magd unvermeidlich, da die Arbeitskraft meiner Frau durch die Führung des Haushaltes und die Betreuung der vier kleinen Kinder bis aufs Äußerste beansprucht ist. Im Frühjahr zerbrach der Göpel, dessen Reparatur dreimal vergeblich versucht wurde, und der im vorigen Monat durch einen neuen ersetzt werden musste (die Anschaffung eines Motors wäre zu kostspielig gewesen). Außer Unkosten entstanden hierdurch ungeheure Arbeitserschwernisse und Hemmnisse. Der alte Holzschuppen, der nicht zuletzt durch Unwetter beschleunigt baufällig geworden war, musste durch einen neuen ersetzt werden, auch ein Rohrbruchschaden war zu beheben. 86


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NORDLICHT ÜBERM HAFEN VON HAMMERFEST 1944, 49 x 62 cm, KNWB

Es ist ja keinesfalls eine günstige Landschaft für mich, aber es lässt sich schon etwas machen und da ich nach so manchem niederdrückend Unwürdigen nun zumindest meine Ruhe habe, werde ich wohl mehr und mehr meine innere Freiheit wiedergewinnen. Vorgänge freilich beobachtet man, die sich einfach nicht übersehen lassen, die einem den Magen umdrehen und ein böses Schicksal wider unser Volk herausfordern. Gut nur, dass es Dinge gibt, die uns immer wieder den kleinen und großen Ekel vergessen lassen. Falls ich noch Jahre vor mir habe und nach diesen auf den heurigen Sommer zurückschaue, so werden mir nicht zuerst die Schrecken des Krieges vor Augen stehen, nicht einmal das gewaltige Bild des Todes und erst recht nicht die Erinnerung an viel Menschenunwürdiges – ich werde wieder wie in vielen Stunden auf den Felsblöcken und -platten stehen, mit denen die Inseln in die karelischen Seen gleiten, Weite, Licht und Einsamkeit atmen. 88


Werner Berg verbrachte die Jahre 1942 bis 1945 als Kriegsmaler in Norwegen und Finnland. Sich selbst entfremdet, gelang es ihm dennoch, einen inneren Freiraum des Sehens und Beobachtens, fernab jeglicher Kriegsschilderung zu gewinnen. Die Bilder dieser Jahre stellen ein einzigartiges Dokument bedächtigen Schauens unter ungünstigsten äußeren Bedingungen dar. Ihr Thema ist nicht das Grauen des Krieges, sondern die forschend genaue Darstellung einer sich dem Chaos gegenüberstellenden, als ewig empfundenen Natur. Der Blick des Künstlers auf eine fremde Landschaft registriert die Veränderungen des Lichts in einer kalten, einsamen Weite aus Fels, Wasser und Wolken. Wenn Menschen in den Zeichnungen festgehalten sind – Gefangene, Heimfahrer, Soldaten – schlafen sie meist oder sinnen gedankenverloren vor sich hin; nicht Akteure des Grauens, sondern von ihm Überrumpelte. Harald Scheicher 89


FRIERENDES MÄDCHEN 1947, 49 x 61 cm

In Unterkärnten hocken auf dem Boden eines abgeflossenen Binnenmeers die Dörfer der Slowenen. Der Rheinländer Werner Berg entdeckte auf seiner Reise diese Provinz Österreichs und damit sein Modell. Der Mädchentratsch und das Witwengekeife, der greinende Bettler und der über das Blatt riesig ausgedehnte taube Alte werden in Holz geschnitten. Der Mächtige, der Diabolische, der Weise, der Hintersinnige, der Arme und der Reiche – Archetypen, die die ober- und unterirdische Hierarchie des Dorfes (und jeder Menschengemeinschaft) bilden – treten in Bergs Bildern auf. Außerordentlich sind die unzähligen Holzschnitte, die Werner Berg geschaffen hat. Keiner der Modernen ist je dem bäuerlichen Leben, das so sicher und pathoslos ist wie die Vegetation, nähergekommen. Kurt Moldovan 90


BAUER 1948, 49 x 49 cm

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HÄUSER UNTERM OBIR 1947, 49 x 61 cm

Die koloristische Übersteigerung des Lichts in der Landschaft kommt in diesem späteren Abschnitt des Œuvres zum Tragen. Dieses Licht existiert nachweislich in dieser Landschaft; von Werner Berg registriert, ist es unverdächtig, aber es hat keine Möglichkeit, sich gegen das Sentiment abzusichern. Werner Berg, bisweilen an Emil Noldes Landschaften von Seebüll orientiert, negiert die Kolorit-Zäsur des Horizonts und entbindet die Farbe von der Verpflichtung der Gegenstandsbeschreibung mit dem Argument der dominanten, vom spezifischen Licht der Tageszeit bestimmten Lokalfarbe, die er übersteigert. Werner Berg weicht davon ab, die plastischen Kubaturen mit Hilfe des Lichts zu modellieren – er setzt es im Aquarell als farbiges Licht ein. Arnulf Rohsmann 92


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DER WINDISCHE HAHNENSCHREI 1947, Seitenbilder 75 x 55 cm, Mittelbild 95 x 75 cm, KNWB

Das Eigenartige an diesem Bild wie an vielen anderen von Werner Berg ist die Beziehung, in der Mensch und Landschaft miteinander verbunden sind. Tiefe Röte ist dem Mann ins Gesicht geschossen. Die gleiche Röte leuchtet von den Bergzügen im Hintergrund wider und vor dem morgendlichen Himmel darüber. Die ganze Natur errötet im Hahnenschrei. Wir finden die gleiche Kantigkeit in den Gesichtern wie in den Bergformationen, die gleiche eckige Sprödigkeit in den Bewegungen der Menschen wie in den Konturen der Berge, Bäume, Bänke Zäune. Mensch und Natur verweisen durch viele Zeichen aufeinander. Wieland Schmied 94


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KRÜPPEL 1948, 31 x 37,5 cm

Mein Hauptthema ist der Mensch, der bäuerliche Mensch in der Landschaft, die menschliche Figur als Realität und vor allem in der künstlerischen Verwandlung als Form und Sinnbild. 96


DAVONSCHREITENDE 1948, 32 x 20 cm

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SCHREITENDES PAAR 1948, 40,2 x 24 cm

Die Holzschnitte in ihrem puren, starken Schwarz-Weiß könnten den Eindruck vermitteln, als hätten sie nichts mit der Malerei zu tun. In Wirklichkeit ist deren Schwarz-Weiß eine Steigerung, eine Konzentrierung, eine Zusammenfassung der gesamten Malerei. Es gibt wenige Holzschnitte, die für mich nicht aus einem ursprünglichen Farbsehen und -empfinden entstanden wären. 98


AUF DEM WAGEN 1947, 31,8 x 32,5 cm

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Alles Geschehene war doch von tieferer Notwendigkeit (unausweichlicher), als man meinen möchte. Jenseits der tiefen Zäsur beginnt das Leben neu und unanfechtbarer; leben, atmen, arbeiten aber kann ich nur hier, wo ich dennoch nicht aus Zeit und Welt falle. Ein bisschen schweigsam bin ich schon geworden, spüre die Schattenschwere noch, aber alles in kaum zuvor gekannter Gelassenheit. Ich glaubte (und glaube es noch), dass es den geliebten Meinen ohne meine Last besser ginge, aber inzwischen bin ich hart genug belehrt worden, dass ich nicht aufgeben darf. Barlach: „Ich hätte nie gedacht, dass es soweit mit einem kommen könnte. Man lacht aus vollem Halse, aber weiter unten bohrt und wurmt es, bis es nicht mehr geht.“ Nur durch Arbeit kann ich nach schwerster Krise meine Existenz rechtfertigen. 100


KRISE UND STETES SCHAFFEN 1950-1966

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1950 Auf der Biennale in Venedig ist Werner Berg mit Holzschnitten vertreten, die Holz-

schnittblätter werden jedoch entstellend beschnitten. Bei einer Tagung zeitgenössischer Autoren und Komponisten in St. Veit a.d. Glan lernt Werner Berg die Dichterin Christine Lavant kennen. Eine tiefe gegenseitige Zuneigung erfasst die beiden Künstler.

1951 Ausstellung Werner Bergs im Künstlerhaus Klagenfurt.

Christine Lavant ist häufig auf dem Rutarhof zu Gast. Die Bildnisse Christine Lavant entstehen. Wenn Werner Berg seiner Frau Mauki offen die Notwendigkeit seiner Hinwendung zur Dichterin erklärt, gesteht er dabei nur jenen Teil seiner Liebe, der niemandem im Umfeld entgehen konnte. Die in ihrem Ausmaß selbst Mauki verborgene, schicksalhaft-intensive Liebesbeziehung der beiden Künstler erreicht jedoch eine Dimension, die geeignet ist, Werner Bergs Familien- und Rutarhofleben zu zerstören. Werner Berg, der in anhaltender Verehrung seiner Frau diese unter der Last des ihr Zugemuteten zerbrechen sieht, ist nicht in der Lage, die Hoffnungen, die er bei Christine Lavant geweckt hat, vorbehaltlos zu erfüllen. Bis Ende 1954 kommt es zu mehreren Trennungen und Wiedervereinigungen, die die seelische Belastbarkeit der beiden Liebenden und nicht zuletzt Mauki Bergs bis an die Grenze des Irrseins beanspruchen. Die älteste Tochter Ursula heiratet nach Werner Bergs anfänglichem Widerstand Heimo Kuchling. Das Loslösen vom Hofe geschieht hier und auch später bei Bergs anderen Kindern unter großen Spannungen.

1953 Werner Berg beteiligt sich an einer Ausstellung Kärntner Maler in der Wiener Secession.

Ausstellung von 30 Ölbildern und 60 Holzschnitten in der neuerbauten Dr. Karl Renner-Schule in Kapfenberg. Den an ihn herangetragenen Wunsch, in Köln ein Wandbild zu gestalten, lehnt Werner Berg ab: „In den langen Jahren meiner hiesigen Abseitigkeit habe ich zwar nie den Kontakt mit dem Geist und der Wirklichkeit unserer Zeit verloren, aber der ‚Auftrag‘ ist nie an mich herangetreten, so dass ich nachgerade ausschließlich daran gewöhnt bin, aus den Gegebenheiten meines Lebens, aus innerer Bindung und einem seelisch stark auslösenden Moment die Form zu erarbeiten.“

1954 Ausstellung von 80 Holzschnitten im Tiroler Kunstpavillon.

Ausstellung in der Neuen Galerie der Stadt Linz und im Konzerthaus in Wien. Werner Berg reist zur Munch-Ausstellung nach München. Ausstellung im Künstlerhaus in Klagenfurt. Die Beziehung zwischen Werner Berg und Christine Lavant führt zu schweren Konflikten für alle Beteiligten und letztlich zur Trennung.

1955 Im Jänner versucht Werner Berg, seinem Leben ein Ende zu setzen. Er kann gerettet

werden, bedarf jedoch eines längeren Spitalsaufenthalts im Krankenhaus Klagenfurt. Seine Frau Mauki schreibt: „Er hatte in der letzten Zeit an schweren seelischen Depressionen gelitten, unlösbare Konflikte, Verfolgung und Anfeindung hatten seinen Lebenswillen so zugesetzt, dass er dem seelischen Überdruck nicht mehr standhalten konnte und in einem Anfall von Sinnesverwirrung eine Überdosis Schlafmittel eingenommen hat. ... Nur dem unablässigen 102


Bemühen der Ärzte ist es zu danken, dass er gerettet werden konnte. Er war fünf Tage lang bewusstlos und hat nun im Anschluss an die Bewusstlosigkeit noch eine Lungenentzündung zu überstehen.“ Kurz darauf erkrankt Berg an einer im Spital erworbenen Hepatitis für Monate. Er verarbeitet sein Erleben in der Serie der „Krankenbilder“. Teilnahme an der 1. Internationalen Graphik Biennale in Laibach.

1956 Alfred Kubin besucht Werner Berg auf dem Rutarhof.

Ausstellung in der Österreichischen Galerie im Belvedere in Wien. Eine seinem Umfeld verborgene, beglückende Liebesbeziehung verbindet Werner Berg mit der Kulturjournalistin und Kunsthistorikerin Lee Springschitz.

1957 Wieland Schmied besucht im Winter erstmals den Rutarhof.

Anlässlich ihres 80. Geburtstags schreibt Berg eine Würdigung Gabriele Münters und besucht die Künstlerin in ihrem Haus in Murnau. Ausstellung im Österreichischen Kulturinstitut in Paris und in der Moderna Galerija Ljubljana. Der Bundesminister für Unterricht und Kunst zeichnet Werner Berg durch Verleihung des Professorentitels aus. Nach den Anstrengungen dieses großen Ausstellungsjahres macht Werner Berg erstmals, wie in späteren Jahren so häufig eine Kur in Überlingen am Bodensee. Werner Berg tritt aus dem Kärntner Kunstverein aus.

1958 Bisher intensivstes Maljahr, in dem 58 Ölbilder entstehen. 1959 Für die Zeitschrift „Das Kunstwerk“ schreibt Werner Berg sein „Bekenntnis zum Gegenständlichen“. Er besucht Alfred Kubin in Zwickledt und zeichnet den greisen Meister vor seinem Tode. Die Gemeinde Wien erwirbt Bergs gesamtes bis dahin entstandenes Holzschnittwerk und beabsichtigt, diese Sammlung auch um die jeweils neu entstandenen Holzschnitte zu ergänzen.

1960 Werner Berg ist in der Exhibition of Austrian Art in London vertreten. 1961 Der Rutarhof erhält, nachdem Werner Berg und seine Familie bisher mit Petroleumlicht

ausgekommen waren, eine Stromleitung und damit elektrisches Licht. Ausstellung in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München. Werner Berg besucht Max Frisch in Zürich. Zusammen mit Ingeborg Bachmann und Bergs Sohn Veit sehen sie sich eine Aufführung von „Andorra“ an. Von Überlingen aus führen ihn nun alljährlich ausgedehnte Kunstreisen in die Schweiz. „Es ist sehr wichtig für mich in meiner Lebenssituation, nach Perioden der Abgeschlossenheit die Zeit und die größere Welt und vor allem den Atem und die Maße großer Kunst unmittelbar zu spüren. Mit umso entschiedenerem Bewusstsein, aber nicht aus enger und blinder Selbstüberschätzung bekenne ich mich dann zum Rutarhof.“ Der Gesundheitszustand von Werner Bergs Frau verschlechtert sich zusehends. 103


1962 Holzschnittausstellungen in Teheran und Kairo. 1963 Ausstellung in der Galerie Kontakt in Linz. 1964 Das von Heimo Kuchling herausgegebene Buch „Werner Berg – Holzschnitte“ erscheint.

Werner Bergs Frau erleidet im November einen Herzinfarkt und muss für längere Zeit im Krankenhaus bleiben. Der Rutarhof wird an Sohn Veit übergeben.

1966 Bei der Internationalen Ausstellung „Friede, Humanität und Freundschaft unter den

Nationen“ in Slovenj Gradec ist Werner Berg mit mehreren Bildern vertreten und wird anlässlich dieser Gelegenheit zum Ehrenbürger von Slovenj Gradec ernannt. Er lehnt die Berufung als Lehrer an die Internationale Sommerakademie in Salzburg ab.

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REGENSCHIRME 1950, 40,5 x 23,5 cm

Ich bin durchaus darauf angelegt, die Welt farbig zu sehen: Das Ursprüngliche ist die Malerei, die malerische Gestaltung. Und aus den Farben, aus der farbigen Organisation löst sich dann erst das Schwarz-Weiß in einer reinsten und letzten Form ab. Ich male niemals Bilder als Vorbild zu Holzschnitten oder benutze Holzschnitte als Vorbild zu Bildern und mir kommt immer der französische Ausdruck des peintre-graveur, den es im Deutschen nicht gibt, dafür als vorbildlich vor – ein Maler, der Graphik macht. Und vielleicht ist die Graphik darum reiner, weil man die Malerei dem Malerischen überlässt, statt sie mit der Graphik zu vermengen. 106


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CHRISTINE LAVANT 1951, 40 x 45,6 cm

Vielleicht sind es die großen, zugleich fragenden und wissenden Augen, die Christine Lavant so sehr den Ausdruck eines hinhörenden, auf eine sehr ferne und leise Stimme horchenden Menschen geben. In wunderbarer Weise hat der Maler Werner Berg diesen Ausdruck der Augen auf vielen seiner Holzschnitte und Gemälde wiedergegeben, hat er immer wieder seine Bildnisse um diese Augen gebaut; der seltene Fall des kongenialen Porträts ist hier erreicht, das mit der Leiblichkeit auch die Geistigkeit des Dargestellten für immer bewahrt. Wieland Schmied 108


EULEN 1951, 24 x 46,5 cm

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CHRISTINE LAVANT 1951, 60 x 100 cm

Von den vielen Bildern, die ich im Jahre 1951 von der Christine Lavant gemalt habe, sehen Sie in der Galerie das vielleicht schärfste und umfassendste, in dem ihre ganzen Erscheinungsformen vom Tragischen bis zum Sibyllenhaften, von der Schauspielerin bis zur Irren möchte ich fast sagen, zusammengefasst sind. In einer ganz besonderen Schärfe, so wie ein anderes Bild ihre frauliche Erscheinung am unkompliziertesten bietet. 110


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STROHBLUMEN UND WINTERMOND 1951, 75 x 55 cm

Ich denke an das Wort Jean Pauls: „In den Dämmerungen werden groß die Gefühle.“ Die Nacht stellt die große Form der Landschaft, der Begebenheiten, der menschlichen Situationen wieder her. Die Nacht und der Winter. Und drum fühle ich mich jenen im ganz besonderen Maße zugezogen, nicht so sehr aus einer sentimentalen Anwandlung, als um der Größe und Feierlichkeit der Gestaltungsmöglichkeiten. 112


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REGEN 1951, 35 x 55 cm

Es gibt in der alten Malerei auch immer die Hinwendung des Malers zum Besonderen, zum Verkleideten, oft zum Grotesken. Und so gibt es bei mir eine ganze Reihe von Bildern, in denen die Regenschirme ihre Rolle spielen, ihre verwandelnde und bildbestimmende. 114


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HÄNDLER 1952, 60 x 100 cm

Erscheinungsbild und Haltung sind grundlegend für die Bildidee und auch für die Bildgestaltung. Die üppige, fette, breit lagernde Gestalt erfüllt das ganze Bild, ja überragt sogar an allen Seiten dessen Grenzen. Der überdimensionierte Schulterbogen des Mannes hat etwas Bedrohliches – diesem Händler kann nicht grundsätzlich vertraut werden. Das Rund des Schädels gemahnt – auch aufgrund der kräftigen rötlichen Tönung – beinahe an einen Ballon. Seine Feistheit ist ein Zeichen seines Wohlstandes, stellt aber auch eine gewisse Gefährdung für Hab und Gut seines Gegenübers dar. Das Bild ist von Details gereinigt, nicht Einzelheiten sollen vermittelt werden, sondern alles steht im Dienste der Aussage „Händler“. Den Künstler interessiert die große Form, das Wesentliche der Teilformen, das über die Bildteile hinweg zur Bildaussage zusammenwirkt. Das Typische der Person und Situation zu einem bleibenden Zeichen der menschlichen Existenz zu verdichten, ist das Anliegen des Künstlers. Barbara Biller 116


PFERDE IN DER NACHT 1952, 75 x 95 cm

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RHYTHMUS DER BÄUME 1954, 75 x 120 cm

Etwas aus dem unmittelbarsten, innigsten Hofleben, das ist unser Obstgarten, den man also zu jeder Jahreszeit bei Tag und Nacht sieht. Wie ja bei mir viele Bilder eigentlich die Summe vieler Jahreszeiten sind, die dann zusammenfließen. Und so heißt dieses Bild, eigentlich auch in seiner fast abstrakten Bedeutung – abstrakt jetzt nicht im Sinne von abstrakter Malerei – „Rhythmus der Bäume“. Weil das Motiv ganz aufgesogen ist vom Rhythmus, von der Farbigkeit dieser Bäume. 118


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HORZACH 1954, 35,5 x 52 cm

Entscheidend aber für unsere Ansiedlung hier, für die Gründung des Rutarhof-Lebens, war der besondere Charakter dieser Landschaft, Unterkärntens, und der Menschen hier. Es ist etwas, was keinem Klischee entspricht und weit ab ist von dem Trachtenmäßigen, von der vermeintlichen Folklore, vom Dulje und allem Schönen, Behäbigen älplerischen Lebens. Die Kärntner Slowenen haben eine sehr große, in sich gekehrte Eigenart und das teilt sich auch in nicht leicht definierbarer Weise der Landschaft mit, die so dunkel und schwer wie schön und hell sein kann. 120


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ALTER LANDPFARRER 1954, 39,2 x 44 cm

Bezeichnend für Werner Bergs Lebens- und Kunstauffassung ist der Umstand, dass eine Trennung der thematischen Bereiche in Menschenantlitz, Figurenbild, Landschaft und Tierdarstellung in seinem Werk nicht erfolgt. So als gelte es, vor allem von der Einheit der Welt und allem Lebendigen zu künden, holen seine Bilder oft gerade die Grenzfälle in den Blick: Die „Schlafenden Hühner“ unter schmaler Mondsichel sind Tierbild und Landschaft und Stillleben zugleich – und all das nur nebenbei; denn sie erscheinen wie zu großer Klarheit verdeutlichte Zeichen für das Geheimnis der kreatürlichen Existenz im Raum des Kosmos. Rainer Zimmermann 122


SCHLAFENDE HÜHNER 1954, 39,4 x 50 cm

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DER NACHBAR 1954, 89 x 63 cm

Werner Berg erreichte eine Meisterschaft im Menschenbildnis: Psychisches und Physisches des Typus stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Das Abbild des Mannes ist detailreich, Licht und Schatten beschreiben eindringlich genau Gesicht und Oberkörper. Die Knöpfe der Weste sind in die Darstellung einbezogen, das Fehlen eines Knopfes ist eine erzählerische Einzelheit, welche als Aussage zur Person erhalten bleiben sollte. Der Pinselstrich ist ungewöhnlich offen, der türkisblaugrüne Hintergrund nur mittels der Pinselführung strukturiert. Dieses Bild lässt an Porträts Vincent van Goghs denken. Barbara Biller 124


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MANN IM COUPÉ 1956, 89 x 63 cm

Der Mann im Coupé, auch diese Dinge schon so viel Vergangenheit, wie man es einst nie geahnt hätte. Wer kennt überhaupt noch dieses senffarbene Coupé, das so schlecht aufging, wo das Bäuerlein aus dem Schlitz herausschaut, der von „Clovc“ heimfährt – „Clovc“ ist Klagenfurt – und viele Slowenen haben darin eine Abbildung ihres Knechts Jernej gesehen, aus der schönen Erzählung von Ivan Cankar, der nach Wien fährt und sich beim Kaiser beschwert und dann mit Hohn wieder zurückgeschickt wird. 126


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BETENDE (MIT ENGEL) 1956, 41,5 x 54,8 cm

Sie sehen die betenden Frauen, die zumeist aus der Eberndorfer Kirche stammen und von grĂśĂ&#x;ter Eigenart in ihrer Insichgekehrtheit und Versunkenheit sind. In diesen Bildern zeigt sich eine statuarische Gehaltenheit von unglaublicher Eindringlichkeit und Innigkeit, wie man sie anderswo nicht leicht antrifft. 128


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BETENDE FRAUEN 1958, 95 x 115 cm

Man gehe in eine der unberührten Dorfkirchen, zu Allerheiligen auf den Friedhof von Eberndorf oder an einem der bestimmten Feiertage zum Hemma- oder Liesnaberg, wo das Volk zusammenströmt und eine Fülle von Anblicken bietet, in denen man mühelos hinter Anekdote und Folklore große Form, zeitlose Begebenheit und bildträchtiges Geheimnis entdecken kann. Immer wieder fesselt mich, Sinnbild der menschlichen Urangst überhaupt, das Bild der betenden Bäurin: steil, ernst und voll Hingegebenheit. Nicht selten reiße ich die Augen auf vor Staunen, dass diese archaisch große Form und mythenhafte Versunkenheit wirklich sind, Wirklichkeit unserer Tage und nichts fern Beschworenes oder museal Konserviertes. 130


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WINTERMOND 1957, 31,5 x 55 cm

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KRANKER 1956, 29,5 x 47,6 cm

Werner Berg leistet seit Jahrzehnten Vorzügliches auf dem Gebiet des modernen Holzschnitte, er darf als Bahnbrecher in Richtung auf ein geradezu österreichisches abstraktes Element angesehen werden und nimmt europäischen Rang ein. Thomas Bernhard 133


BLINDER ORGANIST 1956, 34,8 x 37,4 cm

Werner Bergs Kunst ist, wie jede Kunst, unliterarisch. ... Seine Kunst ist Wirklichkeitskunst, ist verdichtete Wirklichkeit. Er ist ein groĂ&#x;er Vereinfacher in der Malerei, wie Ernest Hemingway ein Vereinfacher in der Literatur ist. Wieland Schmied 134


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SOMMERNACHT 1958, 60 x 100 cm

Jeder hat eine Klangfarbe in sich, und das Nächtliche bewegt mich ganz besonders. So dieses Sommernachtbild – das ist übrigens nicht der Mond, sondern ein Scheinwerferlicht mit dem beleuchteten Fenster – in einem sehr strengen Aufbau, wie denn überhaupt immer dort, wo das Lyrische, das Romantische besonders betont erscheint, der strenge Aufbau, das Gegengewicht, den Halt bietet. 136


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SCHIESSBUDE 1958, 75 x 120 cm

Anfang September findet seit über 600 Jahren der Bleiburger Wiesenmarkt statt. Als „Vergatterung des Kärntner Unterlandes“ bezeichnete ihn Werner Berg und besuchte seit 1932 dieses drei Tage anhaltende Marktfest. Fasziniert beobachtete er, wie das Volk von überall her zum Einkauf zusammenströmte. In den frühen 1930er Jahren waren es vor allem die mit Pferden handelnden Zigeuner, die ihn immer wieder zu Bildern anregten. Aber auch in den späteren Jahren bot sich ihm hier alljährlich für drei Tage Gelegenheit, in eine andere Bildwelt einzutauchen. Die fahrenden Schausteller, Budenbesitzer, Händler, die exotischen Tiere, die Wohnwagen der Fieranten, die Karusselle und Schiffschaukeln, die bunt angestrichenen Landmaschinen, die ländlichen Trinker und die Paare in den Jahrmarktszelten erregten sein bildnerisches Interesse. Am Rande des Getriebes stehend, hat er in zahlreichen Skizzen Jahr für Jahr das Marktleben dargestellt. Immer wieder studierte er die Kegelspieler in ihrem Zueinander, hielt den ernsten, höchst konzentrierten Ausdruck ihrer im Schein einer Lampe aufleuchtenden Gesichter fest. Er zeichnete die Kegelbuben, die gelangweilt nur darauf warten mussten, die umgeworfenen Kegel wieder aufzurichten. Viele dieser unzähligen Skizzen waren dann wiederum Ausgangspunkt für Ölbilder oder Holzschnitte. Das bunte, laute und hektische Treiben des Wiesenmarktes stand im krassen Gegensatz zur bedächtigen Ruhe auf seinem entlegenen Rutarhof. „Zu meinen Kontrastthemen gehört ganz besonders auch der Wiesenmarkt, dessen Leben in der Nacht mich ja immer besonders interessiert hat“, erklärte Werner Berg. Harald Scheicher 138


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OBSTBÄUME UND FORSYTHIE 1960, 100 x 60 cm

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VOR TAG 1959, 100 x 40 cm

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SCHLACHTEN 1959, 55 x 75 cm

Dieses Bild zeigt im kleinen Ausschnitt und in strengster formaler Behandlung das bäuerliche Welttheater: Der Saukopf hängt am Schragen von oben in das Bild, darunter die unbeteiligte Teilnahmslosigkeit darstellende, nach Futter pickende Henne. Wie das in sich zusammengekauerte schlechte Gewissen hockt die Katze, die Augen vor dem Grauen schließen wollend. Aufrecht und selbstherrlich – ein Richter, dem kein Leid nahegeht – beschließt der Hahn den rechten Bildrand. Sein Federkleid ist purpur wie ein Talar gefärbt. Sein Kamm nimmt das grelle Rot des triefenden Blutes des getöteten Tieres noch einmal auf. In kompositorischer Hinsicht ist das Bild ein Musterbeispiel für Werner Bergs Gestaltung des Bildraumes. Die extreme Nahsicht – keines der Tiere, auch keiner der dargestellten Gegenstände ist nicht angeschnitten – zwingt den Betrachter unmittelbar in das Geschehen und verleiht diesem eher kleinen Bildformat monumentale Größe. Harald Scheicher 142


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GRÜNDONNERSTAG 1959, 45 x 75 cm

Welcher Art waren nun die Bilder, die Werner Berg ein Leben lang als Vision begleiteten und die er in der realen Welt wiederzufinden suchte? Es waren Bilder, in denen das alltägliche Leben für einen Augenblick innehielt, die Hast abstreifte und sich selbst reflektierte. In denen der Alltag festlichen Charakter annahm. Das Gewöhnliche als das Besondere erschien und das Kleinste feierliche Würde gewann. In denen die Landschaft zur Chiffre, zur Hieroglyphe wurde und uns eine geheime Botschaft suggerierte. In denen die einfachsten Handlungen und Bewegungen der Menschen, ihr Gehen, Stehen und Sitzen als ein Teil eines rituellen Lebensvollzuges erschienen. In denen ihre Gesten und ihre Blicke, ihr Sprechen und ihr Schweigen, ihr Wachsein und ihre Versunkenheit von eigenartiger Bedeutung erfüllt waren. Wieland Schmied 144


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SCHLAFENDER TRINKER 1959, 36,8 x 28,5 cm

Als ich zum Holzschnitt kam, ging es mir darum, die seit dem Expressionismus vorhandene Tendenz aufzugreifen, aber den Holzschnitt selbst straffer zusammenzufassen, in einem Schwarz-Weiß, in dem man die Schwingung trotzdem spüren konnte. Der „Schlafende Trinker“ ist so ein frei geschnittenes Blatt, dessen Druckstock, in einem grobfaserigen Holz – in diesem Fall handelt es sich um Fichte – besonders charakteristisch ist. 146


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LÄNDLICHES PAAR 1959, 43,5 x 23 cm

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BEI SINKENDEM SICHELMOND 1962, 41,2 x 55 cm

Werner Berg hat ein Leben lang Bilder gemalt und Holzschnitte geschaffen. In beiden Techniken verfolgte er ein Ziel: die Wirklichkeit vereinfacht, reduziert, komprimiert wiederzugeben und dabei ihrem Wesen nahezukommen. Das Wesen zeigte sich ihm in der Klarheit und Eindeutigkeit der verborgen allen Erscheinungen zugrunde liegenden Form. Diese Form galt es aufzuspĂźren. Wieland Schmied 149


Ich möchte Ihnen kurz darlegen, wie der Holzschnitt entsteht: Man färbt ein Brett ein, mit knapper Vorzeichnung und arbeitet dann die schwarz-weißen Massen mit dem Hohleisen heraus. Die Platte ist eingefärbt worden, die Zeichnung fixiert und der Schnitt soweit fertig, dass der Druck beginnen kann. Auf einer Glasplatte walzt man die Druckfarbe aus, bis sie dann soweit streichfähig ist, dass man sie auf die Platte übertragen kann. Wenn die Platte genügend eingefärbt ist, nimmt man ein Papier – in meinem Fall ein echtes und sehr taugliches Japanpapier –, und legt den Bogen vorsichtig auf und beginnt mit dem Falzbein zu reiben. Die ist die älteste oder auch primitivste Form des Druckes, aber auch die, bei der der ursprüngliche Charakter des Holzes, des Holzschnittes, viel besser zum Ausdruck kommt als bei einer Presse. Dieses etwas umständliche Verfahren gestattet keine Reproduktion mechanischer Art in x-beliebiger Anzahl, aber dafür hat der einzelne, genau überprüfte Abdruck weitgehend den Charakter eines Originals. Das heißt, die Reproduktion wird zu einer ursprünglichen Produktion. Japanpapier und Falzbein haben den Vorteil, dass sich der Holzschnitt im Laufe des Druckverfahrens sehr genau beobachten lässt. Wenn er sich dann von der Rückseite klar genug abzeichnet, so hebt man das Blatt vorsichtig ab. 150


WERBUNG 1959, 41,4 x 54,7 cm

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BEICHTE 1966, 55,2 x 25,8 cm

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KRUZIFIX UND BLUMEN 1962, 36 x 55,5 cm

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WEINENDE 1960, 75 x 95 cm

Hier habe ich mit Absicht den bäuerlichen Menschen in der Verwandlung, in der Gestaltung gezeigt – eigentlich das Thema meiner Malerei, wie sich die Wirklichkeit ins Bildhafte verwandelt und in einer neuen, eben künstlerischen Gestalt auftaucht. 154


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KIRCHGEHERIN 1961, 63 x 89 cm

Man spürt noch den frischen Eindruck, den der Maler empfangen hat, früh an einem Feiertag, und in seiner Skizze festgehalten hat: die Frau auf dem Kirchweg mit dem hellen Fleck der Morgensonne im Gesicht. Nun steht, in der endgültigen Gestaltung, nur der Kopf groß gegen den Himmel, in den sonst noch, aus Gewächs und Gestein, die eine Fichte des Mittelgrundes hineinreicht und der Berggipfel im Hintergrund. Auf dem Bild oszilliert ineinander: das Noch dieser Kopftuchbäuerin und das Immer menschlichen Urgesteins, und das gelingt durch Überführung eines individuell-typischen Ausdrucks („ein unheimlich slowenisches Gesicht!“) in einfachste Form: Oval, Bögen, Gerade, Dreiecke. Expression als Geometrie. – Die Reduktion aufs Topographische eines Gesichts könnte auch alle Individualität löschen, nur noch das Kategoriale, das Schema der Erkennbarkeit übriglassen. Dabei wäre allerdings auch Ausdruck von Besonderheit getilgt. Gerade indem dieses Gesicht nur aufs Typische einer individuellen Gruppe konfiguriert wird, kann es die Härte, Wachsamkeit und gewächshafte Zähigkeit des Naturwesens Mensch repräsentieren. Der scharfwinklige Sonnenfleck gibt dem Gesicht Morgenkühle, Härte des Anfangs und Wiederanfangs. Wenn überhaupt Menschliches der Atombombe standhält – der Gedanke kommt dem betroffenen Betrachter –, dann ist es die Kraft, die ihn aus diesem Gesicht ansieht. Grete Lübbe 156


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THOMASNACHT 1962, 75 x 120 cm

Der Regelfall im Landschaftsbild Werner Bergs ist eine Kombination von Schichtenraum und raumgreifenden Elementen wie dem Weg, Bahngleisen, Eisflächen oder Zäunen. Durch diese in der vorderen Bildebene perspektivisch in die Tiefe führenden Bildgegenstände wird eine Ambivalenz zwischen Schichtenraum und Perspektivraum erreicht. Die Kombination dieser beiden Darstellungsweisen des Bildraumes führt durch das gesamte Werk Werner Bergs und ist typisch für einen erheblichen Teil der Ikonographie. Barbara Biller 158


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SPIELER 1962, 45 x 75 cm

Anfang der 1960er Jahre ist Werner Bergs Farbigkeit von einem ungewohnt häufigen Auftreten von Rot- und Orangetönen bestimmt. Die neue Farbigkeit ist bisweilen auch von einem veränderten Umgang mit Licht und Schatten begleitet. Modellierung durch Licht und Schatten erfolgt nicht verlaufend, sondern beleuchtete Flächen werden – ungewöhnlich scharf getrennt – neben dunkle Flächen gesetzt. Die beleuchteten Flächen sind hier in warmem Orange gegeben, die Schattenbereiche blauviolett. Die „prächtige“ Farbigkeit unterstreicht den Ernst, mit dem die beiden Spieler das Geschehen beobachten. Barbara Biller 160


KEGLER (WIESENMARKT) 1962, 35 x 55 cm

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FINGERHUT UND RITTERSPORN 1962, 100 x 35 cm

Die Nacht liegt mir besonders, der Klang der Nacht, das Dunkle. So bei diesem Blumenbild, wo mir der Fingerhut wie ein Geigenton erscheint, der darüberschwebt. Es zeigt sowohl die Klangfarbe des Landes wie meine eigene. Und irgendwer hat einmal gefragt: „Ja, Ihre Bilder sind aber alle ein bisschen schwermütig.“ Da erzähl ich immer die Geschichte vom Schubert, wo er das Forellenquintett komponiert und sein Freund Vogl sagt zu ihm: „Du, Franzl, das ist eine lustige Musik.“ Und der Schubert schaut ihn über die Brille an und sagt: „Glaubst Du, dass es eine lustige Musik gibt?“ 162


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ARME 1963, 120 x 40 cm

Dieser unterkärntnerische Landstrich hier ist voll der merkwürdigsten Spannungen, Restmodell jenes Erdteils, der einst Österreich-Ungarn hieß. In seltener Vielfalt der Landschaft ist die slawisch-slowenische Grundsubstanz mit dem Kärntnerischen zusammengewachsen bei unmittelbarer Nachbarschaft des RomanischLateinischen, das Katholische prägt sich in universeller Bildfülle im Volke aus und aus dem wärmenden Inkreis der Familie kommen die mannigfachen Begegnungen mit der größeren Welt. Noch in der äußersten Verwandlung des Gestaltens erwachsen dem Bilde daraus Schwingung und Arom, aufs Neue stets und unausschöpfbar. 164


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DIE NACHBARIN 1963, 55 x 75 cm

Die Bedeutung der Kopftücher bei Werner Berg ist besonders hervorzuheben. So besteht formal ein grundlegender Unterschied zwischen barhäuptigen Männern und den mit Tüchern bedeckten Köpfen der Frauen. Das Kopftuch liefert außerordentliche Möglichkeiten für die Reduktion der Formen. Die Kopfform, Haare, Ohren bleiben hinter dem Tuch verborgen, es verhüllt einzelne Teile und vereinheitlicht so die Gesamtform. Das Kopftuch ist durch den Künstler frei formbar. Einmal hängen so wie bei diesem Bild die Zipfel völlig „hoffnungslos“ herab und zeigen die Verzweiflung der Armen, ein andermal sind sie Signal der freudvollen Stimmung auf dem Kirchgang. Immer übermittelt das Kopftuch die innere Befindlichkeit der Person und wird so ein wichtiges Ausdrucksmittel. Barbara Biller 166


KYRIE 1963, 75 x 35 cm

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WARTENDE 1966, 35 x 55 cm

Werner Bergs Figuren erhalten durch den Bezug zu den elementaren Grundrichtungen der Senkrechten und Waagrechten Ruhe und Dauer. Hier wird nicht erzählt, sondern die Menschen werden in einer bestimmten Situation und einem bestimmten Moment gezeigt, wobei durch Komposition und Form Zeitlosigkeit und Ewigkeit der Bildgestalt vermittelt werden. Barbara Biller 168


WINTERNACHT 1966, 40 x 120 cm

Gerade indem sich der Maler auf die Individualität einer besonderen Landschaft und Lebenswelt am Rande der stürmischen Entwicklung einer nivellierenden Weltkultur gestaltend einließ, geriet ihm die Darstellung dessen, was sich durchhält im Wechsel der Jahrhunderte: archetypische Welt. Was direkt nicht angezielt werden kann, entdeckt sich hier durch Gestaltung. In der Imprägnierung mit einer schwindenden Besonderheit begegnet hier die menschliche Natur. Neben dem „Noch“ drängt sich das „Immer“ auf. Beim Anschauen dieser weder idyllisch noch sozialkritisch gesehenen Landwelt ist unübersehbar, dass es eine zum Untergang bestimmte Welt ist. Das ist nicht nur eine Perspektive, die der zeitgenössische Betrachter mitbringt: Die Bilder selbst zwingen zu dieser Perspektive, weil in Auswahl und Gestaltung eben jenes Historisch-Individuelle mit ebenso viel Eindringlichkeit wie Distanz herausgehoben wird. Grete Lübbe 169


SONNENBLUMEN 1966, 75 x 120 cm

Ein immer wiederkehrendes Bildthema Werner Bergs, das deutliche Bezüge zum Werk Emil Noldes aufweist, sind die Blumenbilder. Blumenbilder treten das gesamte Werk Werner Bergs hindurch auf, wobei motivisch nur geringe Änderungen festzustellen sind. Auch stilistisch bestehen zwischen den jeweiligen Phasen geringere Unterschiede als bei anderen Themen. Die Blumenbilder nehmen auch dadurch eine Sonderstellung im Werk ein, dass sie ausschließlich unmittelbar nach der Natur gemalt sind. Werner Berg malte Blumen häufig nach Phasen der Landarbeit oder des Holzschneidens zur Einstimmung auf „größere“ Themen der Malerei. Barbara Biller 170


MALVEN 1964, 120 x 40 cm

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STILLLEBEN MIT FLORIAN 1965, 45 x 100 cm

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Die „Stube“ von Werner Bergs Rutarhof schmückten ein selbstgeschnitztes Kruzifix, mehrere Hinterglasbilder, ein Schmerzensmann und ein Hl. Florian. Sie bilden meist das Inventar der seltenen Stillleben Werner Bergs. Als diese Gegenstände von seiner Tochter Annette beim Putzen oben auf dem Bauernkasten abgestellt wurden, regte deren zufällige Zusammenstellung den Künstler zu einem seiner schönsten Stillleben an. Dabei verarbeitete er auch Eindrücke seines kurz zuvor erfolgten Besuches bei Gabriele Münter in Murnau. Harald Scheicher 173


SOMMERABEND 1965, 60 x 100 cm

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VOR DER PRIMIZ 1966, 35 x 55 cm

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BÖLLERER 1966, 35 x 55 cm

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AUFBRUCH 1964, 35 x 55 cm

Am Gelingen von Werner Bergs Bildern hat die Farbe wesentlichen Anteil. In Umkehrung der gewohnten Farbperspektive wird Rot oft zur Beschreibung des Fernen eingesetzt und Blau zur Kennzeichnung des Nahen. Das Rot zieht Ferne und Nähe zusammen, gibt allem eine unentrinnbare Präsenz. Wieland Schmied 177


RUTARHOF/HOFLICHT 1964, 75 x 120 cm

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Die Entstehung der Bleiburger Galerie scheint mir im Augenblick noch wie eine Wundergeschichte. Sie ist durch eine merkw체rdige F체gung wie von selbst entstanden. Man kann dort meine Arbeit, glaube ich, zum ersten Mal im vollst채ndigen Zusammenhang und Zusammenspiel sehen. Da ist ein Werk, das im Lande entstanden ist und dorthin wieder zur체ckkehrt. 180


DIE WERNER BERG GALERIE 1967-1972

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1967 Auf Anregung des Lebzelters Gottfried Stöckl stellt die Stadt Bleiburg ein freigewordenes Haus am Hauptplatz für eine Werner Berg Galerie zur Verfügung. Werner Berg trifft dafür eine repräsentative Auswahl aus seinem Lebenswerk. Vorerst wird ein zweijähriger Probebetrieb vereinbart.

1968 Eröffnung der Werner Berg Galerie der Stadt Bleiburg.

Im September zieht sich Berg einen Kreuzbandriss zu und muss vier Wochen ins Krankenhaus.

1969 Die Werner Berg Galerie der Stadt Bleiburg eröffnet mit einer vollständig neuen

Hängung. Werner Berg wird Ehrenbürger von Bleiburg. „Sonderbarerweise: Soviel mich bedrückt, belastet, beengt und verklemmt, in meiner Arbeit sehe ich noch immer (wieder) den Weg nach vorne offen, und einzig daran muss ich mich halten. ... Es ist auch der Grund, dass ich die Bleiburger Galerie, so schön und erfolgreich das Unternehmen war, nach Ablauf dieser zwei Probejahre aufgeben werde“, bemerkt Werner Berg und ergänzt: „Ich verkenne nicht das Außerordentliche der Meinung und Gesinnung, mit dem Sie mich mahnend an Aufgabe und Rückschuld der kleinen Sozietät gegenüber, in die ich einge­bunden bin und bleibe, erinnern. ‚Das Soziale’, eine Kategorie, die außerhalb des Künstlerischen liegt, praktiziere ich seit eh und je im Leben wie kaum ein zweiter in solcher Situation. Im Übrigen aber zitiere ich ausnahms- und keineswegs eingeschworenerweise aus den Minima Moralia: ‚Für den Intellektuellen ist unverbrüchliche Einsamkeit die einzige Gestalt, in der er Solidarität etwa noch zu beweisen vermag’.“

1970 Am 9. April stirbt Mauki Berg.

„Die Herrin und Seele des Rutarhofs, die Kraft und Gegenkraft der künstlerischen Arbeit“, so hatte Werner Berg seine Frau bezeichnet. Nach ihrem Tod fühlt er sich nicht mehr in der Lage zu malen. Im September schreibt Werner Berg an Fritz Ogris: „Mit nicht wenig Mühe und Eifer bin ich seit Jahren einmal wieder beim Holzschnitt-Drucken und versuche, solcherart die Leere und das Dunkel (vergeblich) zu überbrücken. ... Das Leben ist schwer, das Überleben furchtbar.“

1971

Immer wieder plagen Werner Berg Zweifel, ob er überhaupt am Rutarhof weiterarbeiten könne. Bisher umfangreichste Retrospektive seiner Arbeiten in der Slovenj Gradec. Angeregt durch seine Tochter Ursula, beginnt Werner Berg im Sommer wieder zu malen.

1972 Die Werner Berg Galerie der Stadt Bleiburg, ihrer Bestimmung nach Museum zum Werk des Malers, wird nach zwei Jahren der Schließung erweitert wiedereröffnet. Das Haus selbst ist für diesen Zweck großzügig umgestaltet worden. 182


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FAHRGAST, SCHLAFEND 1968, 75 x 55 cm

Über allem, über allen Motiven aus dem einen Thema des zugrunde liegenden Existenzbereichs liegt der Schatten der Vergänglichkeit, der Vergeblichkeit, vielleicht auch der Unzulänglichkeit alles Kreaturseins, aber mit der Würde und der Haltung dessen, was man als fraglose Schicksalsbereitschaft bezeichnen kann, ausgestattet und zur Gestalt gereift. Man spürt das Schwere und das Leid, aber keine Klage, sondern eben die Bereitschaft zum So-Sein, wie es ist. Daraus aber erwächst ein eigenartiger Friede, ein Friede voller Schwere und vielleicht sogar Traurigkeit, aber in einer Ergebenheit, die nicht zuletzt die Würde, ja das Element seiner Schönheit ist. Jörg Lampe 184


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BABA IM JÄNNER 1967, 45 x 75 cm

Man hat Werner Bergs Bilder manchmal mit Karikaturen verglichen und in ihrer treffenden kürzelhaften Erfassung des Wesentlichen bestehen sicher Gemeinsamkeiten. Werner Berg ist jedoch stets mitfühlender Beteiligter seiner kleinen Welt, das hämische Belächeln des Außenstehenden ist ihm fremd. Die ganze Bandbreite der menschlichen Erscheinungsformen im kleinen Raum darzustellen, als gegebenes So-Sein, ist das Thema seiner Kunst. Harald Scheicher 186


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HERBLICKENDE 1967, 32 x48,6 cm

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MANN MIT PELZKRAGEN 1967, 31,5 x 48,5 cm

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LANDMASCHINEN 1967, 95 x 120 cm

Zuweilen drängen sich mir Themen auf, die im Gegensatz zu dem stehen, was man von mir erwartet, wie etwa die Landmaschinen. Und diese Dinosaurier haben mich dann noch in einer ganzen Folge von Bildern beschäftigt. Dinge, die im Gegenschlag zur rein ländlichen Welt einfach notwendig sind. Wie ich überhaupt glaube, dass die Themen in einem noch so engen Bereich durch ihre Gegensätzlichkeit gewinnen, dass das Idyllische und Romantische nie die Kraft und Aussagemöglichkeit hätte, wenn das Scharfe und Groteske dem nicht gegenübertrete. 190


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KEUSCHE IM HERBST 1967, 40 x 120 cm

Wenn ich von Vergangenem gesprochen habe, so denk ich auch an dieses ganz einfache Keuscherl, Grundform eines kleinen Hauses, das ich einmal zufällig gesehen und gemalt habe. Es dauert nicht lang und da sind Neubauten davor, dahinter, links und rechts, und die Keusche ist verschandelt und bald auch verschwunden. Mittlerweile steht nicht ein Stein mehr. Und das ist vielleicht das Traurige, nicht dass die Zeit sich entwickelt – das war immer der Fall – und Neues an ihre Stelle tritt, sondern dass das Maß verschwindet, die Gehaltenheit. Ich bin ja keineswegs da, um etwas museal zu konservieren, aber es erfüllt einen schon mit Trauer – der Sotriffer hat ja ein Buch geschrieben über die verlorene Einheit –, wie diese Dinge, die das Land mit Seele erfüllen, dann doch plötzlich dahin sind. 192


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DORFRAND 1971, 40 x 120 cm

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KEGELBUBEN 1967, 35 x 55 cm

Das kleine Format eignet sich nun ganz besonders dazu, figürliche Dinge abzuwandeln, wie etwa die Schreitenden, die Menschen auf dem Wege – Themen, die durch die ganze Arbeit hindurchgehen, eben wie die Kinder, die Eisschützen, die Regenschirme oder auch in letzter Zeit die Wartenden bei der Bahn oder auf den Autobus. 196


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EISSCHIESSEN – KLEINSEE 1967, 35 x 55 cm

Einen bestimmten Themenkreis geben die Eisschützen ab. Ich versteh’ selbst vom Eisschießen gar nicht viel und das ist vielleicht ein Glück, denn ich nehme die Erscheinung umso stärker in mich auf. Wenn die Menschen auf dem Eis hin und her gehen, oft erregt, oft statuarisch dort stehen, ist es für mich wie ein Ballett – wie eine Erscheinungsform des Menschen in der Landschaft, die sich sonst nicht bietet. 198


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EISSCHIESSEN – KLEINSEE 1967, 35 x 55 cm

Symmetrie – je eine Zweiergruppe und ein einzelner Eisschütze links und rechts der durch den auf dem Eis stehenden Eisstock gebildeten Mitte – und Asymmetrie – die unterschiedliche Haltung der Figuren, die Bäume am Horizont, der Eisstock in der Hand des einen Schützen – bestimmen die Komposition und erzeugen Spannung ebenso wie die Verwendung der durch die Eisbahn gegebenen Zentralperspektive in einem ansonsten aus Schichten aufgebauten Bildraum und die Umkehrung der gewohnten Farbperspektive mit einem nahen gelben Himmel. Barbara Biller 200


EISSCHIESSEN – KLEINSEE 1967, 35 x 75 cm

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AUF DEM KLEINSEE-EIS 1967, 23 x 50,3 cm

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NACH DEM EISSCHIESSEN 1967, 33 x 52 cm

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EISSCHIESSEN – KLEINSEE 1967, 35 x 75 cm

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WARTENDE (ZWISCHEN GELEISEN) 1967, 22,5 x 58,5 cm

Wie die Themen immer ärmer wurden, das ländliche Leben immer bildärmer, da habe ich eigentlich die Wartenden plötzlich entdeckt. Im bloßen Dastehen war es sehr interessant, sehr figürlich und oft vielleicht bedeutender wie ein „bedeutendes“ Thema. Wie ich dieses Bild rein aus dem Figürlichen entwickelt habe, da trat es mir nachher entgegen wie ein Lebensfries. Ich habe an kein Lebensfries gedacht, aber wie die verschiedenen Figuren im Winternebel aneinandergereiht nebeneinander stehen, wollte es mir auf eine sehr verhaltene Art wie ein Lebensfries erscheinen. 206


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DEZEMBER 1967, 25,5 x 58,2 cm

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DORFRAND IM WINTER 1968, 75 x 120 cm

Die Farbe ist für mich etwas Primäres, etwas Tonangebendes. Ich könnte auch kaum um das Wort Stimmung herum, wenn es nicht so sentimental abgegriffen, so gefühlig wäre. Aber wenn ich dann an die Klangfarbe denke, die jeder Mensch in sich trägt, an das Gestimmtsein, so könnte ich dann doch auf dieses Wort nicht verzichten und es ist nicht zu leugnen, dass ich eine sehr bestimmte Klangfarbe in mir trage, die sich nach Ausdruck sehnt. Und das muss durchaus nicht immer im Sinne eines Wohlklangs sein, das kann auch sehr wohl eine Dissonanz sein. 210


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SKIZZEN, je 15 x 21 cm

Wer mich kennt, weiß, wenn ich mit dem Skizzenbuch ausrücke, dann bin ich vollständig nur Aufnehmender, Zeichner, völlig hingegeben dem, was ich vor mir sehe. Die Skizze ist nicht etwa ein Festhalten von Einzelheiten, ein Notieren, sondern in der Skizze schießt das Bild zusammen. Ich zitiere dafür immer gern den Ausspruch des außerordentlich gescheiten Kritikers Karl Einstein, der sich in der Emigration das Leben genommen hat, der von einem Maler einmal gesagt hat: „Er erfindet vor der Natur impressiv.“ Das ist natürlich an sich ein Blödsinn, das ist absurd. Entweder erfindet man oder man empfängt vor der Natur Impressionen. Und doch ist es das Richtige, und ich nehme es auch für mich in Anspruch, nicht auf einer Wertskala, aber einfach als Tatsache. Solange ich davorstehe, schießen die Bilder zusammen und verwandeln sich auch, verwandelt sich alles. Und das ist im Grund das Arsenal meiner Anschauung und der Kontakt mit der Natur. 212


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Es gibt Skizzen, die unmittelbar zum Bild führen – oft so direkt, dass ich selbst staune –, dann gibt es andere Skizzen, die abliegen und aus denen nach Jahren vielleicht das Bild erwächst. 214


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Je spontaner, je stärker das Gefühl ist, umso klarer ist bei der Ausführung, bei der Durchführung für mich die Besinnung. Es ist durchaus nicht so, dass diese Skizzen jetzt Festhalten von Einzelheiten sind, sondern es ist im Grunde eine Summe von Bildern, die spontan im Kleinsten schon im Kern enthalten ist. 216


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Dass ich vom kleinsten Natureindruck her das Bild aufbauen muss, ist für mich stets ein Vorteil gewesen. Wenn man vielleicht auch bedauert, nicht mehr festgehalten zu haben. Indem man von der Skizze aus das Bild aufbaut, muss man die Form des Bildes, seine Verhältnisse, seinen Farbklang völlig neu schaffen. 218


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Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte hat sich für mich immer mehr das Skizzieren als von besonderer Bedeutung herausgestellt. So gibt es dann viele Gelegenheiten, zu denen ich ausziehe, nur mit der Absicht, in Kontakt mit der Landschaft, mit den Menschen unmittelbare Eindrücke aufzunehmen. Und es sind dann diese beiden Pole, die ich dann später noch vor den Bildern berühren werde: die Erregtheit, das Emotionelle, das Gefühlsmäßige vor dem Natureindruck und die davon abgeklärte künstlerische Besinnung. 220


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Solche Skizziermöglichkeiten bieten sich etwa bei den Märkten, dem Dreikönigsmarkt oder dem Mittfastenmarkt und ganz besonders bei dem Bleiburger Wiesenmarkt, der so etwas wie eine Vergatterung des ganzen Unterlandes ist, mit seinen Buden, Menschen, Viechern – voller Sehenswürdigkeiten. Im Gegensatz dazu wieder stehen die Gelegenheiten des Kirchenjahres, die die Landbevölkerung in ihrer Frömmigkeit, Versunkenheit und archaischen Figur zeigen. Und wieder im Gegensatz dazu die Szenen im Gasthaus, deren Groteske ja ebenso zum Leben gehört. 222


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Dann endlich ist da die Fülle der Landschaftseindrücke, besonders des tiefen Winters, dann das Zueinander der Figuren, das im Winter etwa bei den Eisschützen sich auf besondere Weise zeigt. Sie werden sehen, dass gerade auf so begrenzten Lebensraum aus der Gegensätzlichkeit der Themen, die ich noch umreisen werde, ein Gesamtbild ersteht, das in seiner Gänze unerschöpflich ist. 224


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Es ist so, dass ich nie Einzelheiten skizziere, nie einen Typus, eine Szene, sondern immer in der Impression zugleich das Bild finde. Sodass jede Skizze ein Bildgedanke ist. In allen diesen Begegnungen, in diesen Abenteuern des Zeichnens, des sich Aussetzens der Natur, den Begebenheiten gegen체ber sucht man aber doch letzen Endes nur die Entsprechung f체r sich selbst, f체r sein eigenes Innere. Und so sind dann zuletzt die Skizzen bildtr채chtig, in denen man sich selbst im Leben der Anderen wiederfindet. 226


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Skizzieren tu ich dauernd. Das ist mein Auge, mein Kontakt, mein Sinneskontakt mit der Welt. Und indem ich draußen skizziere, sehe ich eigentlich immer schon das Bild vor mir. Die Skizzen sind die ursprünglich auslösende Grundlage. Das Unterland, das slowenische – das windische, wie man sagen will – hat seinen eigenen, besonderen und tiefen Klang. Und vielleicht ist es mir, als einem Menschen, der aus der Fremde, aus dem Nördlichen gekommen ist, vertrauter als dem heiteren Kärntner, der nur den blauen Seidenhimmel zu sehen gewohnt ist. 230


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VOR DEM FRÜHZUG 1968, 100 x 60 cm

Einmal muss die „gegenständliche Malerei“ – man hat sich wohl auf die nicht sonderlich glückliche Bezeichnung zu einigen – aus der gesamten Problematik zeitgenössischen Gestaltens hervorgehen und das Bewusstsein ihres Urhebers darf keinerlei Spannungen und Entscheidungen ausweichen. Adorno: „Jedes Mal ist der Konflikt auszutragen und man braucht viel Kraft oder viel Dummheit, um darüber nicht den Mut zu verlieren.“ 232


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NACHTS VOR DER SCHAUKEL 1968, 100 x 90 cm

Richtig ist, dass der Expressionismus mir starke Impulse gegeben hat. Ich liebe Munch über alle Maßen. Nolde war mein starker Förderer durch viele Jahre hindurch. Aber wenn man einmal Gottfried Benn aufmerksam gelesen hat und seinen Ausdruck von der Phase zwei des Expressionismus richtig versteht, so wüsste man, dass aus dem Gefühl, dem Aufschrei sich die Form zu lösen habe; dass eigentlich erst die Gewinnung der Form die Bekundung des Gefühls ist. Insofern wäre dann der Expressionismus zuletzt das Gegenteil seiner selbst oder doch jedenfalls ein reinerer. 234


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AUTOBUS 1969, 40 x 100 cm

Zahlreich sind Werner Bergs Bilder mit Fahrgästen von Autobussen, stets von außen durch den bildbestimmenden Fensterrahmen gesehen, im Winter skizziert, wenn Hüte, Kopftücher und Mützen ein zusätzliches formales Spiel im Kontrast mit den markant übertriebenen Profilen erlauben. Werner Berg scheint sein eigenes Kompositionsprinzip der Nahsicht – erreicht durch vom Bildausschnitt angeschnittene Bildgegenstände – in der Realität humorvoll wiederzufinden. So ist es hier vor allem der vom Bildrand „beschnittene“ Kopf des Kindes, der den Betrachter unmittelbar ins Bildgeschehen zwingt. Harald Scheicher 236


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DREI FRAUEN IM WINTER 1970, 60 x 100 cm

Gegen Ende der 1960er Jahre fand Werner Berg wohl auch unter dem belastenden Eindruck der schweren Erkrankung seiner Frau zu einer sehr verhaltenen, äußerst reduzierten Farbigkeit. Die Bildformen sind aufs Äußerste verknappt. Bilder wie dieses mögen den Betrachter veranlasst haben, von gemalten Holzschnitten zu sprechen. Dennoch unterscheiden sich Bild und Holzschnitt in der Gestaltung. Durch die Eigenschaften des Kreidegrundes gehen viele Farbnuancen in der Fläche zusammen, einzelne kräftigere Farben, wie hier bei den Kopftüchern, werden so bedeutender, die erzielte Wirkung ist eine durchaus malerische. Harald Scheicher 238


ZU DREIKÖNIG IN DER FRÜH 1970, 63 x 89 cm

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TRAUERGÄSTE IM ZUG 1970, 75 x 120 cm

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SCHLAFENDER IM ZUG 1970, 35 x 55 cm

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ROHBAU IM SOMMER 1971, 75 x 95 cm

Man hat mir geraten, dieses Bild Rohbau zu nennen, und Rohbau erscheint mir da wirklich der treffende Ausdruck. Es ist ja zunächst gar nicht die Tendenz in mir – ich hab’ überhaupt keine Tendenz – vorhanden anzuklagen, sondern ich registriere, zunächst einmal malerisch: Dieser Rohbau im Winter gefällt mir, das war es einmal, dann kommt noch der sommerliche dazu, und auf einmal spürt man in der Perfektion des Neuen, des ganz Neuen, den Untergang stärker als in der Ruine. Und dann wird die neueste Zeit auf einmal sehr bedrohlich. 242


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ROHBAU IM WINTER 1972, 75 x 95 cm

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SPÄT IM AUGUST 1971, 75 x 120 cm

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AUF DEM RAD 1971, 35 x 55 cm

Auch mir geht es so, dass mir viele Dinge in der Welt sehr gefallen, dass ich sie großartig finde, aber zur Gestaltung reizt mich dann doch nur mein eigener Lebensbezirk. Ich könnte gar nicht einmal sagen, ich lehne das andere ab. Das ist eine Symbiose, die sich im Zusammenleben herausgebildet hat, in der mir der Lebensbezirk, dem ich verpflichtet bin, immer nur weiter und unausschöpfbarer erschienen ist und aus dem heraus ich die Kraft für eine spezifische Arbeit immer wieder aufs Neue ziehe. 246


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IM FRÜHNEBEL 1972, 35 x 55 cm

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IM JÄNNER 1972, 75 x 120 cm

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UNTERWEGS 1971, 35 x 55 cm

Ein Künstler kann den Bereich des Realen, so klein er auch sein mag, nie erschöpfen, aber seine gemalten Visionen einer auserwählten Realität werden auch dann noch beredte Zeugen von der Wirklichkeit sein, die ihr zugrunde lag, wenn diese den Veränderungen der modernen Industriegesellschaft zum Opfer gefallen sein wird. Da Berg in seiner künstlerischen Transposition immer wieder die integrativen Merkmale seiner Welt betont und über das Individuelle und Zufällige hinaus stets nach dem Fundamentalen in seiner menschlichen Gemeinschaft getrachtet hat, ist das, was er uns bietet, ein erhabenes und demütiges Bild des Menschen. ˇ c Špelca Copiˇ 250


ZWEI FRAUEN 1972, 75 x 35 cm

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WITWER 1971, 65 x 80 cm

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FRAUEN VOR BLUMEN 1972, 63 x 89 cm

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RUTARHOF 1972, 40 x 100 cm

Zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau hat Werner Berg hier das Wohngebäude seines Anwesens in einer Winternacht wiedergegeben. Ein fahles Licht fällt auf den leeren, kalten Hof. Das Haus ist nicht mehr einladende Herberge, sondern verwaiste Stätte. Kein Licht dringt aus den dunklen Fenstern. Durch das im Bildausschnitt fehlende Dach gleicht die kahle, unwirtliche Front des Hauses einer verlassenen Ruine. So wird das Bild zur Aussage über die veränderte Existenz des Malers auf dem Rutarhof. Harald Scheicher 254


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Ich will keinen Augenblick meine Unzulänglichkeit und mein Fehlen hinwegreden, aber immer hat mich mit Unbedingtheit das Streben durchdrungen, mit allen Sinnen die Welt, die meinige, zu ergreifen und ihre geistige Verwandlung zur Gestalt zu vollbringen. Das Ergebnis sei so oder so: ultra posse nemo tenetur. Bei und trotz allem ahnt niemand, von welch reicher Gemeinsamkeit einst dieses Rutarhof-Leben war. Dieses „trotz“ aber beziehe sich auf ein unabdingbar Leidliches, das nahezu schon Gemeinplatz ist: den Egoismus des Künstlers, der in Wahrheit sich selbst verzehrt. 256


DIE SPÄTEN JAHRE 1973-1981

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1973 Kristian Sotriffer veröffentlicht den Werkkatalog der Holzschnitte.

Der Katalog zur Bleiburger Galerie erscheint, eingeleitet von Trude Polley. Werner Berg erhält den Kulturpreis des Landes Kärnten. Die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln im gemischtsprachigen Gebiet Kärntens löst einen Sturm nationalistischer Entrüstung aus, in dessen Folge Landeshauptmann Sima abgelöst wird. Werner Berg stellt sich prononciert auf die Seite der slowenischen Minderheit.

1974 Eine von Heimo Kuchling herausgegebene Festschrift zum 70. Geburtstag erscheint. Sonderausstellung in Bleiburg. Der ORF dreht den Film „Der Maler Werner Berg“.

1975 In den neugestalteten zwei „Wechselräumen“ in der Bleiburger Galerie zeigt Werner

Berg, wie in den folgenden Jahren, Bilder der jeweils letzten Schaffensperiode. Walter Bauer, der nach Kanada ausgewanderte Freund, stirbt. Berg reist zu seinem Begräbnis nach Toronto.

1976 Wieland Schmied plant die Veröffentlichung eines Buches über Werner Berg im Verlag

Galerie Welz in Salzburg. Er redet Werner Berg auch sehr zu, wieder auszustellen: „Was Ihre Unwilligkeit betrifft, auszustellen, so verstehe ich Sie menschlich nur zu gut. Sie sind die große bewundernswerte Ausnahme unter den bedeutenden Malern, die ich kenne. Dennoch, möchte ich sagen, bedauere ich diese Einstellung, so sehr ich sie verstehe und respektiere. Frei sein von Ehrgeiz ist eine Stufe der Weisheit, die nur wenige zu erreichen vermögen. Nochmals muss ich ein dennoch hinzufügen. Es gibt, so meine ich, auch eine Verpflichtung dem Werk gegenüber. Es sollte den Zeitgenossen die Gelegenheit gegeben werden – wie sparsam, wie überlegt, wie ausgesucht immer – es zu sehen. Ich will nicht einer hektischen Ausstellungsaktivität das Wort reden. Aber auch das andere Extrem, die vollständige Verweigerung, scheint mir nicht ganz einem letztlich doch auf Kommunikation, auf Mitteilung, auf Bekenntnis zielenden Werk adäquat.“

1979 „La morte si sconta vivendo“ dieses Zitat Giuseppe Ungarettis notiert Werner Berg

über die Türe seines Zimmers. Sonderausstellung zum 75. Geburtstag in Bleiburg. Wolfgang Lesowsky dreht einen umfassenden Dokumentarfilm über Werner Berg unter dem Titel „Das Ungeheure begreift nie der Sichre“.

1980 Erich Kuby schreibt: „Vor ein paar Wochen traf ich in München die ‚Schullerin‘, die mir erzählte, dass sie bei Ihnen gewesen ist. Ich fragte aus ihr heraus, dass Sie so ziemlich isoliert in Ihrem Malergehäuse leben, vom Hof abgetrennt und seinen Bewohnern – bis hin zum Bereiten eigener Mahlzeiten auf einem Kocher. Diese scheußliche Vorstellung geht mir seither nach. Mir ist ganz unvorstellbar, wie ein solcher Zustand währen kann, und natürlich messe ich ihn an den Jahren, als der Hof ein Ganzes war, Last und Tragendes zugleich.“ Nochmals beschäftigt sich Werner Berg intensiv mit dem Holzschnitt. In seinen letzten beiden Lebensjahren entstehen 101 Holzschnitte, beinahe ein Fünftel des Gesamtwerkes. „In diesen Monaten habe ich viel gearbeitet und nur solcherart die gnadenlose Vereisung überwunden.“

1981 Werner Berg erhält das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst. Am 7. September wird er tot in seinem Atelier am Rutarhof aufgefunden. 258


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DARNIEDER AM MORGEN 1973, 75 x 95 cm, KNWB

Werner Berg hat, um seine Zweifel und seine Verzweiflung wenigstens für den Augenblick zu überwinden, ihre Spuren deutlich in seine späten Bilder gemalt. Die Natur zeigt sich in ihnen immer öfter durch Eingriffe des Menschen verletzt und wendet ihm ein abwesendes, feindliches Gesicht zu. Hohläugig blickt es uns aus den dunklen Fensterlöchern des halbfertigen Neubaus an, über die der Schnee sein Leichentuch gebreitet hat. Überall spürt Werner Berg Metaphern der Vergeblichkeit, der Vergänglichkeit und des Todes auf. Wieland Schmied 260


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IM GRENZZUG 1978, 90 x 100 cm, KNWB

Ich sehe noch ganz deutlich die unglaublich zarten Bilder aus den letzten Wochen, diese Schemen von Menschen an den Fenstern der Züge und Autobusse, diesen Strom von Welt, in dem allein wir Zeit und Vergänglichkeit erfahren – Ihre „minimal art“. Ich weiß, dass hier in der Distanz zum Kunstbetrieb unseres Jahrhunderts – aber mit sehr feinem Sensorium für die eigentlichen Bedürfnisse unserer Epoche – ein Werk hingestellt wurde, an dem keiner vorbeikommt, der die Malerei unserer Zeit beurteilen will. Ihr großes Thema „Unterkärnten“ hat dabei eine stellvertretende Bedeutung (die dokumentarische Seite Ihrer Bilder ist ein dankbar anzunehmender Zusatzwert); hier geht es, wie eben bei jedem Kunstwerk, das seinem Anspruch gerecht wird, um nichts Geringeres als das Mysterium unseres Daseins; und eine jede neue Anschauung des Raumes und der Dinge im Raum und des Lichtes auf den Dingen im Raum ist ja nichts Anderes als ein anschaulich gewordenes Staunen darüber, dass das alles ist und wirklich ist und wirklicher ist als alles Denken und Hoffen. Rainer Zimmermann 262


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DORFWINTERNACHT MIT AUFLEUCHTENDEM HAUS 1977, 75 x 95, cm KNWB

Die späten Bilder Werner Bergs zeigen eine veränderte Welt. Winterliche Szenen nehmen einen immer größeren Raum ein, beschwören eine in Schnee und Eis erstarrte Natur, im Frost gebrochene Bäume, Menschen, die in der Kälte ruhelos unterwegs sind. Diese Bilder kommen von einem, der zum Fortgehen bereit ist. Hatte sich ein halbes Jahrhundert zuvor die Welt in einer Frische gezeigt, als würde sie zum ersten Mal gesehen, so scheinen ihm in den späten Jahren die Dinge im Schwinden begriffen, und es ist ein letzter wehmütiger Blick zurück, der sie noch einmal umfasst. Wieland Schmied 264


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GROSSE STEHENDE 1979, 95 x 120 cm, KNWB

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VOR DEM ENDE 1979, 95 x 120 cm, KNWB

Ein Motiv, das den Künstler durch sein ganzes Leben begleitet, besteht in zwei Kirschbäumen im Umfeld des Hofes. Die beiden Bäume stehen nahe aneinander, bilden gewissermaßen ein „Paar“. In ihrem Zusammensein und in einer etwas absonderlichen Form ihrer Äste entdeckt Werner Berg bereits kurz nach seiner Ansiedlung die Bildhaftigkeit der Situation. Der „Doppelbaum“ findet sich wiederholt durch das ganze Werk hindurch, sein Älterwerden ist in der Malerei festgehalten. Die Bäume werden zum Symbol, übermitteln Lebenslagen. Nach dem Tod seiner Frau entsteht das Bild „Im Jänner“, in welchem einer der Bäume „geborsten“ dargestellt ist. Die Reihe findet gleichermaßen zeichenhaften Abschluss mit dem Bild „Vor dem Ende“. Die Existenz der Kirschbäume wird so gleichermaßen zur Bestimmung des Lebens wie der Kunst Werner Bergs. Barbara Biller 268


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MASKEN 1980, 75 x 120 cm, KNWB

In seinen letzten Lebensjahren beschäftigte sich Werner Berg intensiv mit den Maskenbildern James Ensors mit ihrem hintergründig beißenden Spott. Er wandelte das Thema der Masken auch in zahlreichen eigenen Bildern und Holzschnitten ab, am umfassendsten in diesem Bild. Äußeren Bildanlass boten die kostümierten Gestalten eines Faschingsumzuges. In deren Mitte befindet sich das fürchterliche Gesicht einer Perchte mit stierenden Augen und aufgedunsenen Lippen – einem satanartig über die Welt hereinbrechendem Tod gleich. Darum herum gruppieren sich die Darsteller des ganzen kleinen Welttheaters: der kühle Bösewicht, der verschmitzte Bauer, ein unbeholfenes Kind, der dumme, Unschuld mimende Bajazzo und eine, fragend Hand und Gesicht nach oben, zum Licht hin erhobene Gestalt. Die Farbigkeit unterstreicht die groteske Bedrohlichkeit der Szenerie. Harald Scheicher 270


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BÄUME 1981, 67 x 29,5 cm, KNWB

Meine Arbeit erwächst aus einer Art Polarität: Der eine Pol ist das unentwegte, beharrliche, innige Dabeisein bei dem Lebenskreis, dem ich verpflichtet bin, der andere Pol ist die intensive, künstlerische Besinnung. Wenn Sie wollen, so etwas wie die Erregung und das klare, kalte Bewusstsein. Zwei Dinge, die meines Erachtens für die Arbeit gleicherweise notwendig sind. 272


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MASKEN 81: TRIO 1981, 56,2 x 35 cm, KNWB

Nie bin ich mit Angst in einen Winter gegangen wie diesmal, vielleicht reißt mich die Arbeit dennoch wieder heraus und über den Gram empor. Bevor es soweit ist, stehe ich im Grunde immer in dunkler Bangnis. Jedes Hervorbringen bleibt rätselhaften Ursprungs und rückwärtsblickend staune ich dankbar, was entstehen durfte. Mein letzter Wunsch ist ohne Hass und Hadern von dieser Welt zu scheiden. Noch aber möchte ich, sooft es mir schon unmöglich schien, nicht aufgeben und habe, lächelnd mich erinnernd, das einstige Kommando vom Barras im Ohr: „Weitermachen!“ 274


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Stöckl war immer mehr für das Ungewöhnliche, das Riskante. 276


GRAPHITSTAUB

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Im Jänner 1958 fand in Globasnitz eine Primiz statt, bei der wir als Lebzelter unseren Verkaufsstand aufgestellt hatten. Mit meinem Vater wechselten wir uns bei der Arbeit ab, damit wir uns an diesem kalten Vormittag im nahegelegenen Gasthaus ein wenig wärmen und laben konnten. Es war ein Zufall, dass Werner Berg und ich – wir kannten uns damals noch nicht – am gleichen Wirtshaustisch Platz nahmen. Die köstliche „Saure Suppe“, die uns die Kellnerin brachte, verströmte einen feinen Geruch „An so einem kalten Tag gibt es wohl nichts Besseres als eine heiße Saure“, sagte ich beiläufig. „Da haben Sie recht‘‘, meinte der Herr am Tisch. Ich wünschte: „Guten Appetit‘‘ und begann zu essen. Diese Unterkärntner Spezialität wird in einer kleinen Porzellanschüssel auf einem großen Unterteller dem Gast serviert, damit er darauf die Suppenknochen ablegen kann. „Sie wundern sich vielleicht über meine schwarzen Hände“, sagte mein Gegenüber. Erst jetzt bemerkte ich, dass mein Tischnachbar eigenartig geschwärzte Finger hatte, die sich kontrastreich von der Porzellanschüssel abhoben, die er mit beiden Händen umfasst hielt, um sie als Wärmespender zu benützen. „Entschuldigen Sie bitte, das ist nur Graphitstaub, der vom ständigen Bleistiftspitzen beim Skizzieren an den Fingern haften bleibt.“ „Ah, Sie zeichnen hier! Sind Sie vielleicht der Künstler, dessen Holzschnitte kürzlich in der Volkszeitung abgebildet waren – der Maler Werner Berg?‘‘ Unsere Bekanntschaft erneuerten und vertieften wir in den folgenden Jahren bei regelmäßigen Begegnungen auf den Kirchtagen und Märkten des Jauntales. Bei so einer Gelegenheit gab mir Werner Berg, mit persönlicher Widmung, einen Katalog seiner Münchner Ausstellung. Der darin von ihm verfasste programmatische Text ,,Bekenntnis zum Gegenständlichen“ bewirkte, dass ich mich mit noch größerem Interesse seiner künstlerischen Arbeit zuwandte. Dadurch kam es zu einem Neuentdecken, – aber auch Wiedererkennen meines eigenen Lebensumfeldes. In diesen Jahren der ersten Kontakte mit Berg war ich ganz auf sein Werk fixiert und wurde zum begeisterten Bewunderer seiner Bilder und Holzschnitte. Mit ausgesuchten Büchergeschenken weckte er in mir das Interesse für das weite Land der Kunst. Bei Besuchen am Rutarhof lernte ich seine Familie kennen. lm Atelier zeigte Berg seinen Besuchern die Bilder – oder besser gesagt, er stellte sie vor. Die Vorstellung der Bilder verlief nach einer Art Ritual: Bekleidet mit einem langen Malkittel holte er aus dem ursprünglich als Atelier geplanten, mit großen Nordfenstern ausgestatteten Raum aus seinem schier unerschöpflich scheinenden Gemäldefundus ein Bild nach dem anderen in eine zwei Stufen tiefer liegende Kammer, deren Fensterwände mit Bücherregalen ausge-

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kleidet waren. Werner Berg war ein Leser, der ständig am literarischen Puls der Zeit fühlte, und mit einem Gedächtnis ausgestattet, das ihn jederzeit mühelos Zitate wortgetreu abrufen ließ. Um den Raum der Bildpräsentation weiter zu beschreiben, sind vor allem eine große Staffelei, ein Arbeitstisch, einige Stühle, ein Kasten, ein Bett und ein eiserner Ofen zu erwähnen. Dieser kleine Raum strahlte die besondere Atmosphäre einer Mischung von Bibliothek und Werkstatt aus, in dem die Holzschnitte und die meisten Ölbilder entstanden. Auf die Staffelei stellte er das zur Betrachtung ausgewählte Bild. Die Resonanz des schauenden Gastes war dem Künstler wichtig. Berg sprach bei solchen Gelegenheiten auch über seine Maltechnik: Ölfarbe auf Kreidegrund. Bei den Gesprächen war viel von den Ereignissen und Menschen die Rede, die Werner Berg in den Skizzenbüchern festgehalten hatte. Man konnte den Rutarhof nicht verlassen, ohne vorher in die „gute Stube“ des Hauses gebeten zu werden, in der man von der Frau des Malers gastfreundlich bewirtet wurde. In einem Tonkrug holte der Hausherr den kühlen Most aus dem Keller. Zu den Kirchtagen und Märkten, selbst wenn sie von seinem Hof weit entfernt waren, fuhr Berg, mit Rucksack und Regenschirm ausgestattet, immer mit dem Fahrrad. Dort bewegte er sich unauffällig inmitten der Besucher in einem langsamen Gehrhythmus, den man sowohl beim Skizzieren als auch beim Malen an ihm beobachten konnte und der eine trancehafte Konzentration bei diesen Tätigkeiten erkennen ließ. Beim Skizzieren wirkte Berg unansprechbar, ganz in seine Arbeit vertieft. Die Leute erkannten und respektierten, dass hier einer unterwegs war, der bei seiner Bildsuche und Bildfindung Ruhe brauchte. Wenn er das Skizzenbuch wieder in seine Umhängetasche steckte und den Zeichenstift in den Schaft am Taschenrücken schob, konnte man wieder mit einem zugänglichen, freundlichen Menschen reden. Immer wieder betonte Berg die Wichtigkeit des Skizzierens, das für ihn „ständiges Dabeisein“ bedeutete. In vielen Bildern lässt uns Werner Berg in die Stille und Erhabenheit der Nacht schauen, die von künstlichem Licht oder Mondschein erhellt wird, in der Pferde auf üppigen Sommerwiesen weiden, Menschen auf eisigen Wegen nach Hause eilen und wo sich Leben und Tod einander begegnen. Der Bleiburger Wiesenmarkt, seit Jahrhunderten ein Unterkärntner Hauptereignis, ist in ein ganz anderes Licht getaucht. In diesem Licht sehen wir Schießbuden, Bierzelte und nebenan bei der Schaukel einen nachdenklich blickenden Schaustellerburschen, der die lustige Schaukelfahrt ein- und ausläutet. Werner Bergs Wiesenmarktbilder wirken thematisch weit über das lokale Ereignis hinaus. Alle Märkte unserer Welt finden sich in diesen Bildern wieder. Gottfried Stöckl

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Da haben sich zwei gefunden, dieses Haus und meine Bilder. 280


VON DER GALERIE ZUM MUSEUM

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Am 27. Oktober 1967 beschloss der Gemeinderat der Stadt Bleiburg einstimmig, in einem gemeindeeigenen Gebäude eine Werner Berg Galerie zu errichten. Werner Berg verpflichtete sich, der Stadt für diesen Zweck eine prägnante Auswahl seiner Hauptwerke unentgeltlich zu überlassen. Es wurde vorerst eine auf zwei Jahre befristete Probezeit vereinbart, nach deren Ablauf eine ständige Präsentation bereits vorgesehen war. Im Herzen der kleinen Stadt, wo auf vielen Märkten unzählige Skizzen des Künstlers entstanden waren, sollte nun das Œuvre Werner Bergs präsentiert werden. Gottfried Stöckl, ein junger Lebzelter und Konditor war es, der die Idee an die Gemeindevertretung herangetragen hatte, in einem stattlichen Haus am Bleiburger Hauptplatz ein Museum für die Werke Werner Bergs zu errichten – es war eines der ersten monographischen Museen in Österreich. Stöckl hatte als Marktfahrer den Künstler auf Kirchtagen und Märkten kennengelernt. Die beiden verstanden sich von Anfang an gut. Nun standen plötzlich einige der schönen Räume der „Alten Post“ frei und es galt, rasch zu handeln, denn es gab auch schon einzelne Überlegungen, das historische Gebäude, welches zuletzt das Gemeindeamt des soeben eingemeindeten kleinen Nachbarortes Moos beherbergt hatte, nun, da es die Gemeinde nicht mehr benötigte, zu verkaufen. Werner Berg war begeistert von Stöckls Ideen und Elan: „Stöckl war immer mehr für das Ungewöhnliche, das Riskante.“ Vor allem auch Stadtrat Valentin Vauti nahm die Idee Stöckls zielstrebig auf und bald war neben Bürgermeister Siegfried Kristan der gesamte Gemeinderat für das Projekt gewonnen. Das Land Kärnten unterstützte die Gemeinde von Anfang an maßgeblich. Insbesondere Landeshauptmann Hans Sima erkannte, dass die Errichtung dieser auch das Leben der Kärntner Slowenen dokumentierenden Institution zum besseren Klima zwischen den Volksgruppen innerhalb des Landes beitragen könnte und als Stätte der Begegnung über die Grenze hinweg wirksam wäre. Auch das touristische Angebot der Region sollte mit der Schaffung eines solchen kulturellen Schwerpunktes bereichert werden. Bei den vorgenommenen Adaptierungsarbeiten wurde nach den Plänen von Architekt Hermann Wetschko das Gebäude mit seinen jahrhundertealten Gewölben und massiven Mauern wieder zu seiner ursprünglichen Gestalt zurückgeführt. Die Einrichtung war einfach und vorbildlich – mit dezent grauen Spannteppichen, guter Beleuchtung und eigens gefertigten Sitzbänken. Die intimen Räume des Hauses schienen von Anfang an wie geschaffen, die Bilder aufzunehmen. „Hier haben sich zwei gefunden, dieses Haus und meine Bilder“, bemerkte Werner Berg. Neben dem Vorraum, der „Labn“ und einem Raum im Parterre standen 1968 drei Räume im ersten Stock zur Verfügung, um vorerst 52 Ölbilder, 40 Holzschnitte, 8 Aquarelle und 67 Skizzen von Mai bis Oktober zu präsentieren. Im Mai 1969 eröffnete Landeshauptmann Sima die zweite Saison der Galerie. Werner Berg hatte deren Räume mit einer vollständig neuen Hängung versehen. Die vielen Verpflichtungen, die die beiden ersten, äußerst erfolgreichen Ausstellungssaisonen in der Galerie mit sich brachten, erweckten jedoch bei Werner Berg das Gefühl, nicht mehr ausreichend zur künstlerischen Arbeit zu kommen. Die Galerie blieb deshalb 1970 und 1971 geschlossen. 282


HAUS MIT FAHNE 1961, 75 x 95 cm KNWB

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1972 vereinbarten Werner Berg und die Stadtgemeinde Bleiburg, die Werner Berg Galerie nun als Dauereinrichtung zu führen. Werner Berg garantierte, die in der Galerie gezeigten Werke auf Lebenszeit zu belassen, die Stadtgemeinde verpflichtete sich – auch gegenüber den Rechtsnachfolgern Werner Bergs – das Galeriegebäude weiterhin diesem Zweck zur Verfügung zu stellen. Die Grundlage für eine immerwährende Einrichtung war so gelegt. Auch die Erweiterung um alle zusätzlichen, zu dieser Zeit noch von diversen Mietern genützten Räume des Hauses war vorgesehen. Bereits zur endgültigen Wiedereröffnung der Galerie am 7. Mai 1972 war die Ausstellungsfläche um drei Räume erweitert worden und bot Werner Berg nun Platz für eine ständige repräsentative Auswahl aus seinem Lebenswerk. 72 Ölbilder sowie der fünfteilige Altar der Hl. Familie, 36 Holzschnitte, 4 Druckstöcke, 9 Zeichnungen, 7 Aquarelle und 76 Skizzen wurden gezeigt. Ein eigener Raum präsentierte nun das Frühwerk mit Bildern aus der Zeit von 1933 bis 1935. Mit diesen Bildern, die 1935 Teil einer polizeilich gesperrten Ausstellung im Kölner Kunstverein gewesen waren, konnte eindrucksvoll auf die Zeit der Verfemung Bergs als „entarteter Künstler“ hingewiesen werden. Die für die Galerie getroffene Auswahl von Werken wurde von Werner Berg als „Kern seines Lebenswerkes“ bezeichnet, sie war von ihm gleich einem Gesamtkunstwerk zusammengestellt worden. Dabei war das Werk der ersten und letzten vier Schaffensjahre überproportional vertreten, während die Zeit von 1937 bis 1945 unberücksichtigt blieb. Der Künstler war sichtlich bestrebt, in der Galerie sein Werk ohne Brüche und wie aus einem Guss geformt erscheinen zu lassen. Der Beginn seines Schaffens auf dem Rutarhof sollte gleich einem Elementarereignis ohne Vorbedingungen mit voller Wucht einsetzend erscheinen und nahtlos zum Werk der letzten Jahre führen. Die Bilder der allerletzten Schaffensjahre besonders umfangreich vorzustellen, war ein anderes Anliegen des Künstlers bei der Auswahl der Werke. In Anbetracht der doch kleinen, intimen Räume führte dieses Vorgehen zu dem von allen Betrachtern gelobten, harmonischen Gesamteindruck. Es erklärt jedoch auch gewisse Lücken hinsichtlich der repräsentativen Übersicht über das Œuvre. 1973 folgte die Herausgabe eines umfassenden Kataloges. Erstmals äußerte Galerieleiter Stöckl auch die Idee, den großen Dachboden des Hauses für erweiterte Präsentationen zu nützen. 1974 wurden zwei Räume für wechselnde Ausstellungen adaptiert, in denen der Künstler bis 1981 jährlich zusätzlich etwa 20 seiner neu entstandenen Ölbilder zeigen konnte. 1981 ergänzten zusätzlich zwei kleine Räume im Erdgeschoss die vorhandene Ausstellungsfläche. Der zuständige Stadtrat Valentin Vauti erklärte: „Die Stadt Bleiburg ist daran interessiert, die Galerie in eine Stiftung umzuwandeln. Damit wäre ihr Bestand gewährleistet. In den nächsten Tagen finden in diesem Zusammenhang weitere Verhandlungen mit dem Künstler statt. Unsere Vorstellungen laufen darauf hinaus, dass Berg die Bilder zur Verfügung stellt und wir das Gebäude.“ Am 7. September 1981 starb Werner Berg in seinem Atelier auf dem Rutarhof. In seinem Testament hatte er seine in der Galerie in Bleiburg befindlichen Werke einer zu errichtenden Stiftung Werner Berg vermacht. Es dauerte jedoch bis zur Eröffnung der Ausstellungssaison 1984, bei der Landeshauptmann Leopold Wagner bekanntgab, dass die anfänglichen Bedenken des Landes 284


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gegen eine Stiftung ausgeräumt seien und deren Errichtung nun nichts mehr im Wege stehe; das Land Kärnten werde diese Stiftung weiter namhaft fördern. In den Satzungen dieser gemeinnützigen Stiftung öffentlichen Rechts heißt es: „Der Zweck der Stiftung Werner Berg ist es, das künstlerische Werk Werner Bergs auch als Dokumentation der ethnischen und gesellschaftlichen Entwicklung des vom Künstler gewählten Lebensraumes in Unterkärnten der Öffentlichkeit zu erhalten. Zur Erreichung des vorbezeichneten Zweckes wird die zeitlich unbeschränkte Erhaltung der heutigen Werner Berg Galerie der Stadt Bleiburg angestrebt.“ Seitdem erfolgt die Verwaltung der Stiftung durch ein Kuratorium. 1985 erhielt die Stiftung durch Veit Bergs Schenkung seines Anteiles am künstlerischen Nachlass seines Vaters einen wesentlichen Vermögenszuwachs. Mit Mitteln aus diesem Anteil konnten nun dringend notwendige konservatorische Maßnahmen an den Werken durchgeführt und die Planung der Sanierung des Gebäudes begonnen werden. Zwei 1985 zusätzlich adaptierte Räume im Erdgeschoss ermöglichten eine didaktisch arrangierte Präsentation des Arbeitsmaterials aus Werner Bergs Atelier. Die Besucher erhielten so einen spannenden Einblick in den Entstehungsprozess seiner Ölbilder und Holzschnitte. Doch konservatorische Mängel in dem nun völlig unbewohnten und im Winter nicht beheizten Gebäude machten sich zunehmend bemerkbar. Das Mauerwerk wies nicht zu übersehende Feuchtigkeitsschäden auf und der Erhaltungszustand der Exponate war teilweise kritisch geworden. 1995 bis 1996 kam es daher zur notwendigen grundlegenden und vorbildlichen Revitalisierung des Hauses. Es erfolgte eine komplette Horizontalisolierung des Mauerwerkes, der Einbau einer Hypokaustenheizung und die großzügige Erschließung des Dachgeschosses zu einem großen Ausstellungsraum. So konnte bei der Wiedereröffnung 1997 auch das von 1972 bis 1981 entstandene, im bisherigen Überblick fehlende Spätwerk Werner Bergs präsentiert werden. Erstmals war nun auch Raum für größere Sonderausstellungen vorhanden. So zeigte die Galerie etwa 1999 eine von Wieland Schmied einfühlsam zusammengestellte Sonderschau über Werner Bergs Zeit als Kriegsmaler in Skandinavien. Unter dem Titel „Fremde Landschaft“ erhellte die Präsentation dieser vom Künstler unter Verschluss gehaltenen Werke, einen „blinden Fleck“ in der Werkrezeption und wurde begeistert aufgenommen. Ende Dezember 2005 verstarb völlig überraschend der Galerieleiter Gottfried Stöckl. Er hatte diese Funktion seit 1972 ausgeübt und tausende Besucher durch die Galerie geführt und ihnen in unnachahmlicher Weise das Werk Werner Bergs nahegebracht. Als „Motor“ der Galerie hatte er zuletzt in seiner Funktion als Kommunalpolitiker die Mittel für den Bau einer Oberlichthalle bei den zuständigen Förderungsstellen lukrieren können. Diese das Raumangebot erweiternde Halle sollte wechselnden Ausstellungen dienen und die Gelegenheit bieten, das Werk namhafter anderer Künstler mit den Bildern Werner Bergs im Dialog zu zeigen. Die 2002 bis 2004 nach Plänen von Peter Fleiß anstelle der Holzlagen im Hofbereich errichtete neue Halle war die entscheidende Voraussetzung für den verstärkten Zustrom der Besucher zu den nun jährlichen größeren Sonderausstellungen. 286


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„Im Altbau sind vom Keller bis zum First alle Räume zu durchwandern, die Exponate gut auf die wechselnden Licht- und Raumqualitäten abgestimmt. Der Hoftrakt hat über Sheddächer feines Nordlicht, über Glasschlitze in den mit Dolomit von der Petzen gefertigten Betonwänden auch Streiflicht. Vom Portal bis zur Stadtmauer – ein sehenswertes Ensemble“, bemerkte ein Architekturführer. Zeitgleich mit der Oberlichthalle wurde auch ein Videoraum im Gewölbekeller seiner Bestimmung übergeben. Mehrsprachig vorhandene Audioguides mit Informationen zu den gezeigten Werken sowie eine großzügig und informative Webpräsentation rundeten das museologische Angebot ab. Vor allem aus Gründen der besseren öffentlichen Vermittlung seines Zweckes und Inhalts führt das Museum seit 2008 den Namen „Werner Berg Museum Bleiburg/Pliberk“. 2009 konnte das Museum gemeinsam mit dem Benediktinerstift St. Paul die Europaausstellung „Macht des Wortes – Macht des Bildes“ zeigen. Im Vorfeld war es nochmals zu umfänglichen Erweiterungen und Adaptierungen gekommen – ein Kreativraum für Museumspädagogik, ein Panoramalift für den barrierefreien Zugang zu allen Ausstellungsräumen und ein gläserner Galerietrakt im Dachgeschoss ergänzen seither das Angebot des mit den Jahren gewachsenen Museums. Zusätzlich erfuhr der schöne Innenhofbereich eine Erweiterung über die Stadtmauer hinaus – ein Skulpturengarten erhöht die Attraktivität des Museumsareals. Seither führen die hervorragenden Präsentationsmöglichkeiten des Museums zu jährlich neuer Zusammenarbeit mit zahlreichen bedeutenden österreichischen und internationalen Institutionen. Harald Scheicher

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IM FENSTER 1954, 49,6 x 12,4 cm

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Werner Berg Museum Bleiburg/Pliberk 9150 Bleiburg/Pliberk, 10. Oktober Platz 4

Die vorliegende Publikation umfasst den dauerhaften Werksbestand der Stiftung Werner Berg in Bleiburg/Pliberk, ergänzt um Leihgaben aus dem Künstlerischen Nachlass Werner Berg (mit KNWB gekennzeichnet). Herausgeber: Harald Scheicher © Werner Berg: Bildrecht, Wien © Hirmer Verlag GmbH, München, 2016 Gestaltung: Gerhard Messner, Völkermarkt Lektorat: Anne Funck, München Fotos: Archiv Werner Berg, Heimo Kuchling, Harald Scheicher, Tomo Jeseničnik Schriften: Letter Gothic, Gotham Papier: GardaPat 13 Kiara, 150 g/qm Druck und Bindung: Printer Trento Printed in Italy Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-7774-2766-9 www.hirmerverlag.de


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