EGGER-LIENZ / WALDE / BERG DREI EUROPÄISCHE REGIONALISTEN
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Johann Lachinger, „Provinz“ und Hochliteratur am Beispiel Thomas Bernhards, Linz: Verlag Institut für Kulturförderung, 2001. In Österreich hat sich Wilfried Skreiner zum Verhältnis Regionalismus und Internationalismus geäußert, in: Tagungsbericht erste Österreichische Kunsthistorikertagung, Graz 1981, S. 48 – 56. Wilfried Skreiner in: Ausst.-Kat. Trigon, 1981.
Auch Egger-Lienz, Walde und Berg sind in ihren individuellen Positionen und ihrem Einzelgängertum in den regionalistischen Bewegungen zwischen Tradition und Moderne zu sehen. Aber Regionalismus? Was heißt das? Als Begriff wird er für die Bildende Kunst wenig diskutiert, ja verschämt verdrängt. Während Literaturwissenschaft und Architekturtheorie mit ihm keine Berührungsängste kennen und ihn offen diskutieren, ist er für die europäische Kunstgeschichte immer noch zu sehr mit der Provinz und damit dem Provinziellen gleich gesetzt und erscheint damit international als nicht relevant. Für die Literaturwissenschaft gilt die „Provinz lange vor ihrer kulturkonservativen Entdeckung und Reflexion im Ausgang des 19. Jahrhunderts als Domäne der Hochliteratur […]. Die dargestellte Provinz wird erkennbar als Pars pro Toto, als exemplarische Figuration der condition humaine in einem geschlossenen Raum-Zeit-Koordinatensystem“23. Ein Faktum, das auch für eine regional geprägte Malerei seine Gültigkeit hat. Dazu werden im Zuge eines Europas der Regionen zwar Genussregionen kreiert, helfen kulinarische Spezialitäten zur Identitätsfindung. Die Kunst kommt in dieser Diskussion weitestgehend nicht vor24. Der Grund liegt vor allem in der Verunglimpfung des Regionalen durch die Nationalsozialisten ab den 1930er-Jahren, weil sie damit einen geistigen, chauvinistischen Provinzialismus propagierten. Regionalismus kann man aber auch anders verstehen, nicht als eine selbstreferenzielle Heimat- und Volkskultur, sondern als das kulturelle Ergebnis einer inhaltlichen und formalen Auseinandersetzung mit einer konkreten und zeitgenössischen Wirklichkeit. Eine so verstandene Kunst bleibt zwar in ihrer Entstehung ortsgebunden, weist aber in ihren Ergebnissen über das geschlossene Koordinatensystem einer Region hinaus. Die Kunst in Europa von der vorletzten Jahrhundertwende bis in die 1920er-Jahre verstand sich international und urban und wurde auch so rezipiert. Auch wenn die Moderne durch individuelle Entscheidungen auch in ländlichen Regionen fortgesetzt wurde, so bleibt sie doch den städtischen Kulturen verhaftet. International zeigt sie sich in ihren abstrakten Varianten wie dem Futurismus, dem Konstruktivismus oder dem Dadaismus ortsungebunden. Entstanden in den Metropolen – Mailand, Zürich, München, Moskau, Paris –, aber auch in Kleinstädten, wie in Leiden (De Stijl), ist ihre Entwicklung unabhängig von lokalen Bedingungen, von Zeit und Raum. Malewitschs Schwarzes Quadrat negiert radikal jede Zeit- und Ortsgebundenheit, Kategorien, die hingegen für die realistische Malerei der Brücke oder des Blauen Reiter von Bedeutung waren und es bis zu den jüngeren Tendenzen realistischer Malerei von Peter Doig bis zu den Malern der Neuen Leipziger Schule der 1990er-Jahre auch noch heute sind. Es sind letztlich diese Widersprüche von realistisch und abstrakt, die die Avantgarden der Moderne vor dem Ersten Weltkrieg so vielfältig erscheinen lässt. In den 1920er-Jahren war es dann vermehrt eine neue realistische Malerei, die mit Neuer Sachlichkeit und Magischem Realismus und der zweiten Generation der Expressionisten gegen die bis
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