WOMEN in Business 01/09

Page 76

POUR LE PL AISIR

Miss Undercover Zimmermädchen im «Kempinski» in St. Moritz: Hinter jeder Tür lauert ein Raum, der blitzblank poliert sein will. Ist das geschafft, könnte man den Boden küssen. Zimmermädchen erwischen Gäste beim Sex und behalten Haltung. Nur mit ihnen f lirtet keiner. Ein Frontbericht. TEXT: BRITTA STUFF

R

osa ist kein Mensch fürs Dramatische. Sie lacht gern und sagt oft «Nicht so schlimm» oder «Passt schon». Sie beklagt sich nicht, und wenn doch, dann nur über Dinge, über die sich auch der sanftmütigste Mensch beschweren würde. Nur nachts, da wird sie theatralisch, manchmal. Im Traum. Dort sieht sie sich in einem langen Gang mit tausend Türen. Hinter jeder Tür lauert ein Zimmer, das sie putzen muss. Und obwohl sie nicht zögert und sofort loslegt, kann sie es nicht schaffen, denn der Gang führt ins Unendliche. Als sie mir von diesem Traum erzählt, würde ich gern abhauen. Das geht aber nicht. Denn ich bin heute Rosas Kollegin. Rosa ist eines der Zimmermädchen des «Kempinski Grand Hotel des Bains» in St. Moritz in den Bergen Graubündens. Sie arbeitet an einem Ort, an dem Staubkörner Feinde sind, die es zu vernichten gilt, und der Gast ein Freund ist, der immer Recht hat. An dem Stifte in bestimmten Winkeln zu liegen haben und das Shampoo selbst im Fall eines nationalen Notstands vor dem Conditioner stehen muss. Rosa ist da, um es den Gästen recht zu machen. Ich soll ihr helfen.

76

Das «Kempinski» sieht wunderschön aus an diesem Morgen, die weißen Türme strahlen wie im Märchen, das Hotel könnte die Hauptrolle in einem Werbespot spielen. Doch schön oder nicht, um neun Uhr beginnt die Arbeit. Ich stehe zwischen Zimmermädchen und Etagenportiers in der Wäscherei und warte auf Anweisungen. Etagenportier, das ist die männliche Bezeichnung für Zimmermädchen. Im «Kempinski» in St. Moritz ist es üblich, dass jedes Zimmer von einem Mann und einer Frau gereinigt wird, der Mann entstaubt das Zimmer, die Frau putzt das Bad. Zusammen machen sie das Bett. Heute sind wir zu dritt. Rosa, Luis und ich. Wir bekommen eine Liste in die Hand gedrückt, auf der acht Zimmer stehen: 103, 114, 121, 174, 182, 185, 357, 481. 103: Ich fühle mich fehl am Platz, unbeweglich, wie der sperrige Wagen mit den Putzmitteln, dem Duschgel, der Wäsche, der vor der Tür steht. Rosa lacht, weil ich nicht weiß, wohin mit mir. Sie lacht überhaupt gern, wenn sie nicht gerade putzt. Ich habe Glück, dass es Rosa gibt, denn sie ist die Einzige hier, die Deutsch spricht. 40 der 50 Zimmermädchen des Hotels stammen

aus Portugal. Es ist schwer, jemanden aus der Schweiz zu finden, der diese Arbeit machen möchte. In Portugal hat Rosa Englisch und Deutsch studiert, sie ist Lehrerin, doch sie fand keinen Job. «Sie zahlen hier gut. Und ich war schon alt», sagt sie. Rosa ist 25. Der Tarif für Zimmermädchen liegt in der Schweiz bei 3182 Franken, umgerechnet knapp 2000 Euro. Rosa verdient über Tarif. Wie die meisten kam sie durch persönliche Beziehungen nach St. Moritz: Ihr Freund hatte in der Küche einen Job. Jetzt ist sie in der zweiten Saison in den Bergen. Hier hat sie zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee gesehen. Noch heute friert sie meist in St. Moritz, noch heute sehnt sie sich nach dem Meer, nach der Sonne. All das schien nie ferner als in den Zimmern der Fremden, die sie putzt. Ein Mann wohnt auf 103, auf dem Stuhl liegt eine Motorradjacke, das Bett ist zerwühlt, auf dem Nachttisch f liessen kleine Rinnsale aus fast leeren Flaschen. Das Putzritual beginnt: Kopf kissen abziehen, Bettdecke so straff ziehen, dass keine Falte bleibt, Kissen schütteln, Bett machen, Tagesdecke drüber. Kissen so anordnen, dass die Reissverschlüsse zum Fenster zeigen. Dann geht Rosa ins Bad, Luis

WOMEN IN BUSINESS · SEPTEMBER 2009 | No.01

!"#$%"&'"!!(")!!*"+,-"./0123"45!6(7!8!5,9::;;;<6

)!5!85!*;;;)=>=6


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.