Hydra #2 remastered

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Hydra: Eine letztgültige Wahrheit gibt es aber nicht. Also kann man sich auf dem Weg dorthin auch mit einem Kompromiss begnügen. Alf Poier: Dazu müsste man beweisen, dass das Denken frei ist. Das hat noch keiner bewiesen. Hydra: Ist doch egal, ob das Denken frei oder unfrei ist. Man kann eh nicht hinter das Denken schauen. Alf Poier: Wenn du sagt, du kannst dir aussuchen was du denkst, dann sage ich, denk ab jetzt nie mehr das Wort “Auto”. Das wird dir nicht gelingen. Hydra: Und? Alf Poier: Schau: Irgendwann sind die Leute verbrannt worden, weil sie behaupteten, die Welt ist eine Kugel. Und heute ärgert man sich, wenn man beschimpft wird. Ich will zeigen, dass Worte auch nur Begriffe sind. Dass das eine andere Ebene als die Wirklichkeit ist. Hydra: Aber Worte bewirken auch etwas, sind Teil der Wirklichkeit. Alf Poier: Stimmt schon. Was ich sagen will ist, dass wir in einem Konsens leben, aber der könnte auch ganz anders ausschauen. Wir wissen nicht, was gut und schlecht ist. Was ist z. B. menschlich? Der Holocaust ist meines Erachtens “menschlich”. Das ist zwar ein bisschen hart ... Hydra: ... ein bisschen einseitig ... Alf Poier: ... ein bisschen schockierend, schon klar, aber wenn ein kleiner Affe ins Wasser fällt, springt die Mama auch nach. Das ist nicht menschlich. Es gibt Tiere, die sich für die Gruppe aufopfern. Aber Holocaust gibt es im Tierreich keinen. Ich weiß, das ist arg, aber ich bin ja darauf aus, die Menschen zum Nachdenken zu bewegen.

Hydra: Das heißt also, du bist mit dem Konsens, in dem wir leben, unzufrieden. Alf Poier: Nein, ich bin sehr zufrieden. (lacht). Meine Ansicht ist ja, dass du im Leben nichts erreichen kannst. Du kannst eh nur sein, was du bist. Aber im gesellschaftlichen Sinne habe ich was erreicht, weil ich ein fleißiger Bub war in den letzten Jahren. Aber ich verwende ich das anders. Ich protze nicht mit dem Ferrari.

Ich habe Angst davor, dass man in irgendeiner Form weiter existiert. Das will ich nicht. Ich will ganz weg sein.

Ich will das, was ich mir verdient habe, dagegen verwenden. Ich habe zum Beispiel auf der Bank gesagt: ”Ich will keine Zinsen, nur weil ihr das wollt! Mein Kapital ist mein Kopf und nicht Ihr!” Aber die verstehen das nicht. Wenn jemand sagt, jetzt könntest du dir das und das leisten, sage ich: “Jetzt erst recht nicht.” Dieses Besitzdenken stört mich so, dass ich es umdrehen möchte.

Daraus ist “Kill Eulenspiegel” entstanden, wo sich ein Clown erschießt, weil er als Clown nicht mehr sagen darf, was er sich denkt. Ich erschieß mich also gleich mal auf der Bühne, werde quasi verurteilt, und habe dann keine Requisiten mehr, bin kein Clown mehr, rede über lebensphilosophische Sachen, bis zum Schluss mein innerer Clown auftaucht und ich die letzte halbe Stunde eigentlich komplett durchdrehe. Um zu zeigen, dass ein Clown eigentlich alles machen darf.

Hydra: Geht das? Wenn man das Geld mal hat... Alf Poier: Geld verdirbt nicht den Charakter, es zeigt den wahren Charakter. Die Leute haben früher zu mir gesagt, wenn du Geld hättest, würdest du auch in Designerklamotten herumlaufen. Ich habe gesagt: “Wenn ich Geld hätte, würde ich erst recht drauf scheißen.” Hydra: Das aktuelle Programm heißt “Kill Eulenspiegel”. Worum geht’s da? Alf Poier: Das ist eigentlich aus der zweiten Songcontest-Geschichte entstanden. Da bin ich ja mit dem Sterbelied für Europa angetreten. Nur war da die Textzeile drin (“weil sich Mohamed so gut vermehrt, singt schon bald in Rom der Muezzin”), wodurch die muslimische Glaubensgemeinschaft auf mich aufmerksam wurde. Da gab es viele Diskussionen bis hin zu Drohungen.

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Hydra: Was hat dich an der SongcontestGeschichte am meisten geärgert? Alf Poier: Eigentlich alles zusammen. Das geschobene Voting, die künstliche Aufregung, die Medienhetze samt ärgster Anschuldigungen. Irgendwann hat BBC-Saudiarabien bei mir angerufen. Das nahm eine Dimension an, die nicht mehr zu kontrollieren war. Und das eigentlich nur deswegen, weil der ORF eine Quotennutte gebraucht hat, um den Songcontest aufzublasen. Angeblich haben die Global Kryner die Bedingung ausgehandelt, dass sie nur mitmachen, wenn sie die Ausscheidung gewinnen. Ich war der Depp in der ganzen Sache. Aber, wie die Wirklichkeit so spielt, nach mir hat keiner mehr was zusammengebracht. Und ich hab’s auch keinem vergönnt, muss ich ehrlich sagen. Auch privat habe


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