Reisefuehrer lp

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Wiener Würsteln (Frankfurter)

Berühmte Wiener & andere Menschen & was sie über Wien sagen: „Wien bleibt Wien, und das geschieht ihm ganz recht.“ Hans Weigel „In Wien mußt’ erst sterben, bevor’s dich hochleben lassen. Aber dann lebst’ lang.“ Helmut Qualtinger „Wie schön wäre Wien ohne Wiener.“ Georg Kreisler „In Wien stellen sich die Nullen vor den Einser.“ Karl Kraus „Mir graut vor Wien, und dreifach wird mir grauen, wenn ich von Berlin zurückkomme.“ Sigmund Freud „The Wiener takes it all.“ Alf Poier „Ganz Wien ist so herrlich hin, hin, hin.“ Hans Hölzl „Die Stadt ist in meinen Augen eine Perle.“ Adolf Hitler Foto Karl Kraus © Österr. Nationalbibliothek Foto Helmut Qualtinger © Filmmuseum Austria Foto Falco © Sony Foto Georg Kreisler © DPA

HYDRA-Reisegruppe GmbH Alle Orts-, Zeit- und Preisangaben in diesem Reiseführer sind auf dem letzten Stand. Gegendert wurde von dem Autor, dem es/sie wichtig ist (bzw. damals wichtig war). HYDRA ist ein eingetragener Begriff im satirischen Buch des Lebens und darf gegen Entgelt schamlos benutzt werden.

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Wien wie es wirklich scheint Der Wien-Reiseführer mit Humor, Homor und sogar Hamour. HYDRA-Reisebibliothek Nr. 13 Herausgegeben von Curt Cuisine & Maximilian Zirkowitsch ISBN 978-3-9503508-4-5 © Hydra & Holzbaum Verlag 1. Auflage, 2013

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Inhalt

Allgemeines Engstirnig aber schasfreundlich Wichtige Hinweise zu Reise & Aufenthalt. Eine kleine Geschichte des Wientourismus Eine aufschlussreiche Einführung in die historischen Hintergründe des Wien-Tourismus.

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Touren Das jüdische Wien Wien hat „seine Juden“ und ihre Kultur immer geliebt. Das Nazi-Wien Wien hat „seine Juden“ und ihre Kultur immer gehasst. Wien für Kleinkriminelle Auf den Spuren der kleinen und großen Wiener „Strizzis“. Wien für Terroristen Welches Anschlagsziel in Wien ist wirklich lukrativ? Wien für Fundis Wohin gehen fundamentalistische Naturen in Wien? Wien für Verlierer Folgen Sie dem „goldenen Wiener Herzen“, denn es ist ein wahrer Loser. Wien für Voyeure & Exhibitionisten Sehen und gesehen werden in Wien. Wien für Blinde Exklusives Hydra-Service. Nur für blinde LeserInnen! Wien für Betroffene Wer vor Weltverbesserung überquillt, ist hier gut aufgehoben. Die schönsten Ecken Wiens Wien hat die schönsten Ecken Europas. Ein Spaziergang durch das historische Wien Die inoffizielle Fortsetzung der Geschichte des Wientourismus. Auf den Spuren des Austropop feat. Nino Wien ist die Wiege des Austropop. Der aber ist ein Hund. Wien für Fußfaule Insbesondere Literatur- und Filmfreunde. Wien für Geeks Shoppen & Weltflucht? Wien ist die ideale Stadt dafür. 4

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Wien für Untote Die Tour für Zombies, Vampire und ähnliche „Krepiererln“. Raus aus Wien! 24-Stunden-Trips, die raus aus Wien führen.

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Sex-Special Das hetero Wien Wenn der Wiener „Sex“ sagt, sagt sie meist auch „Psst“. Das lesböse Wien Wo Herr und Frau Heteronormativ nicht hingehen. Das schwule Wien Wer bei „Cruising“ nicht an Tom denkt, ist hier richtig.

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Allgemeines Günstig übernachten in Wien Unser Reiseführer-Test garantiert die günstigste Unterkunft. Essen und Trinken in Wien Gegen den Hunger, für den Durst. Wien, aber sportlich Was die „Sportstadt“ Wien dem Hobby-Experten bietet. Ausgehen in Wien Wer geht wo hin wenn überhaupt in Wien. Wiener Flair für‘s kleine Börserl Wie man mit wenig Geld viel Wien-Atmo tankt. Don‘t do it! Was man in Wien keinesfalls tun sollte. Wien voll Öko Nachhaltiges Reisen ist mehr als nur ein Trend. Remembering BruBru Wie alles begann: Die BruBru-Tours.

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Außerdem: Die praktische Wien-Karte (4), Die Sage vom Basilisken (64), die Wiener Küche (100), Wienerisch für Anfänger (116), die ReiseführerInnen im Portrait (124), Wiener Top-Adressen im Überblick (128) 5


Wienplan 1 : 20.000

Wien

Wenen Vienna Vienne Vienna Stadtplan City Map Plattegrond Pianta di citta

Wien im Überblick: Wien ist gar nicht so klein, aber auch nicht allzu groß. Es hat 23 Bezirke, aber für Touristen gibt es 6

im Grunde nur fünf Bezirke. Erstens das Zentrum bzw. die „City“, wie der Wiener sagt. Zweitens die Karlskirche, prak-


tischerweise mit dem Belvedere gleich dahinter. Drittens der Naschmarkt. Viertens das Museumsquartier. Und fünftens

der Bus nach Schönbrunn. Das echte Wien ist natürlich größer, cooler und auf durchaus angenehme Weise hässlicher. 7


Zweckwienliches

Engstirnig aber schasfreundlich Im Laufe der Jahrhunderte hat Wien als Hauptstadt ganz unterschiedlicher Imperien verschiedenste Wachstumsphasen erlebt. Im ersten Jahrtausend war Wien ein kleiner Taubendreck auf der römisch-germanischen Landkarte. Dann war es eine mächtige imperiale Hauptstadt, bis es nach dem ersten Weltkrieg erneut zu einer europäischen Dörrpflaume zusammenschrumpfte. Seither agiert Wien nur noch als Postkartenkulisse für wahre politische Größe, etwa das jährliche Treffen der Liechtensteiner Steuerflüchtlinge oder bei den Tagungen von OPEC, OFID, IAEO, UNIDO, UNODC, CTBTO oder UNOOSA. Um nur einige zu nennen. Bevölkerung Diese Ziehharmonika-Vergangenheit hinterließ tiefe Spuren bei den Wienerinnen und Wienern, vor allem in ihrem sogenannten „Gemüt“. Man kennt den Wiener einerseits als grantige Arschgeige mit aufgeblähtem Ego (der „echte Wiener“), der aber bei jedem Hauch von Kritik zur Weinerlichkeit bzw. Weinseligkeit neigt. Man kennt ihn andererseits als rückgrat8

losen Denunzianten, der sich früher mit Vorliebe in schattigen Stiegenhäusern herumtrieb, heutzutage aber lieber auf facebook oder in diversen Chatforen abgefeimte Verleumdungen verbreitet. Der weibliche Wiener (die „Wienerin“) kommt in dieser Reinform seltener vor, aber wenn, dann umso ärger. Als Tourist (oder „Cashcow“, wie es in liebevollem Wienerisch heißt) erlebt man von diesen Ausformungen des Wieners jedoch praktisch nichts, sondern nur dessen sogenannte „Schasfreundlichkeit“. Man wird immer zuvorkommend behandelt, dabei aber nie ernst genommen. Außer beim Begleichen der Rechnung. Klima & Reisezeit Es gibt zwei Arten von Wetter in Wien. Das echte und das erlebte Wetter. Fragt man einen Wiener nach dem Wetter, so erfährt man stets, dass dieses schlecht sei. Selbst wenn augenblicklich die Sonne scheint, kann dies jeden Moment umschlagen. Das Jammern über das Wetter ist des Wieners liebster Blitzableiter, gleich nach dem Sudern über „Tschuschen“, „Drogenneger“, „Asylanten“ und „Taxifahrer“.


Jahr so deprimierend wie es begonnen hat. Kalt, finster und zukunftsleer.

Das echte Wetter in Wien ist allerdings wesentlich schlechter drauf. Das Jahr beginnt mit matschigen, schneeverdreckten Straßen, geht erst im Mai in einen viel zu kurzen Frühling über. Es folgen drei Sommermonate, von denen mindestens zwei in der Regel verregnet sind. Der dritte Monat ist von schweißtreibender, unerträglicher Hitze geprägt. Der Herbst ist so kurz wie der Frühling und versteckt sich meist. Denkt man im Oktober, dass der Herbst nun endlich beginnt, so wartet man vergeblich darauf bis November, wo es schon empfindlich kalt und deprimierend finster ist. Selbstverständlich endet ein Wiener

Ethnische Struktur Es gibt, wie jedes europäische Kleinkind weiß, historisch betrachtet keine Österreicher – ergo auch keine WienerInnen. Wiener wird, wer in Wien geboren wurde oder bald nach seiner Ankunft zu einem Wiener Grantscherben geworden ist. Darum gibt es – und gab es immer schon – bosnische, polnische, serbische, türkische, tschechische, kosovarische, italienische, amerikanische, peruanische, senegalesische, nigerianische, grönländische etc. Wiener. Ja, es gibt sogar deutsche Wiener, allerdings tut sich – das ist eines der großen ethnologischen Rätsel unserer Zeit – kein Volk dieser Erde so schwer damit, zu echten Wienern zu werden, wie die Deutschen.

Steckbrief Fläche: 415 km² Einwohner: 1.731.236 Bezirke: 23,4 Alkoholiker: 72% Brauereien: 7 Weinkeller: 1.000 (ca.) Touristen: 12.260.000 Nächtigungen/Jahr Regierungsform: Proporz Amtsprache: Deutsch Luftgüte: Sehr gut 9


Zweckwienliches

Wirtschaft Auch hier gibt es zwei Arten. Wenn der Wiener „Wirtschaft“ sagt, meint er ein Gasthaus. Dort ging er vor Web 2.0 meistens hin, wenn die Frau nervte. Heutzutage bringt der Pizzabote das Sushi, während die Frau nervt. Aber dem Wiener ist das egal, er spielt Call of Duty, während die Frau World of Warcraft spielt. Ist das sehr wienerisch? Nun, immerhin essen Herr und Frau Wiener nach dem Sex eine Packung Mannerschnitten. Das gibt es in Chicago nicht. Die andere Art von Wirtschaft gibt es auch, aber warum sollte darüber etwas in einem Reiseführer stehen? Wein oder Bier Grundsätzlich ist der Wiener sehr aufgeschlossen, was den Alkohol betrifft. Dort, wo der Wiener oft und gerne ausgeht (vor allem der erste Bezirk inkl. Gürtelmeile und Pratergegend), wird überwiegend Bier getrunken. In den Außenbezirken mischen sich Bier- und Weinvorlieben auf das Erquicklichste. Schließlich gibt es noch die Randregionen im Norden, Süden und Westen, auch als Wiener Heurigenmond bekannt. Auf den Wiener Hausbergen oder in den rustikalen Einge10

weiden von Perchtoldsdorf wird ausschließlich Wein getrunken. Biertrinker werden dort verachtet. Der Osten der Stadt wird aufgrund seiner siedlungseintönigen Flachheit auch Wiener Steppe genannt. Wer hier wohnt, greift nicht selten gleich zum Wodka. Übrigens besitzt Wien das wohl sauberste Trinkwasser der Welt.

Trinkgeld Ein Trinkgeld erwarten nicht nur Hotelportiere, Taxifahrer, Friseure und Kellnerinnen, sondern auch wildfremde Menschen, die Sie auf offener Straße anlächeln. Es gilt der Grundsatz: Es muss rascheln, nicht klimpern. Am besten kleine Scheinchen wahllos an Passanten verteilen. Großzügigkeit versüßt den Wienaufenthalt wesentlich. Rauchen in Wien Wien ist äußerst rauchfreundlich. Halten Sie Ausschau nach räumlich schlecht abgetrennten „Raucherzonen“.


Zeit In Wien gilt die mitteleuropäische Zeit (MEZ), allerdings sollte man die Uhr fünf Minuten zurückstellen. Es gehört zum guten Ton, Menschen, insbesondere Frauen, warten zu lassen. Telefon & Internet Die Vorwahl Österreichs lautet +43. Internetcafés gibt es viele, hier trifft man RTL-Dschungelcamp-SeherInnen oder Jogginghosen-TrägerInnen. Einreise Es genügt in der Regel ein Personalausweis. Wer nicht gerade einen Vollbart trägt, kommt sogar nur mit einem guten Schmäh bewaffnet über die Grenze. Wer per Flugzeug nach Wien kommt, hat die Wahl zwischen einem Zug um € 2,-, einem Zug um € 10,- oder einer Taxifahrt um mindestens € 40,-. Tierliebe Die Wiener Tierliebe ist sagenumwoben. Bettler, Punks, Ausländer darf man beflegeln, wer hingegen einem Hund gegenüber die Etikette vermissen lässt, wird am nächsten Laternenpfahl aufgeknüpft. Feiertage Neben Ostern und Weihnachten werden noch am 1. Mai und am 26. Oktober zwei linksreligiöse Feiertage begangen.

Der eigentliche Staatsfeiertag ist der 1. November, Allerheiligen. Gemäß dem Motto, dass früher immer alles besser war, sind auch die Toten stets die besten Österreicher gewesen. Apotheken Sind hervorragende Orte, um sich spät nachts von grantigen ApothekerInnen unwirsch anfliegen zu lassen. Unbedingt ausprobieren! Sicherheit „Wien darf nicht Chicago werden“ lautete einst ein Slogan der Freiheitlichen Partei Österreichs. In Wahrheit würde nicht nur Chicago liebend gerne Wien werden. Wien ist einer der sichersten Städte weltweit.

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Tourismusgeschichte Wiens

Eine kleine Geschichte des Wien-Tourismus Als Papst Paul VI. Österreich als „Insel der Seligen – all inclusive!“ bezeichnete, da hatte er verdammt recht! Auch wenn der Österreicher alles Fremde grundsätzlich ablehnt – als Tourist ist jeder Ausländer, sofern finanzkräftig und mit einem Rückflugticket in der Tasche, herzlichst willkommen. Ja, der Tourismus ist der Busen, an dem sich dieses Land (und gerade Wien) nährt. Wovon soll man hier sonst leben? Von den vielen klugen Köpfen? Nein, bleiben wir ernst: 16.171 Millionen Euro hat die Tourismuswirtschaft etwa im Jahre 2011 eingebracht. Das bringt selbst den urbansten Wiener zum Jodeln.

publikanischen, zwischendurch mal faschistischen, ländlich lodenbekleideten, urban-mondänen, grantig gemütlichen, vom Würstelstand bekochten, von Mozart beschallten, von Hundertwasser bemalten Zuckerlwelt noch ein anderes, ein echtes, ein gelebtes Wien? Und wenn ja: Wen interessiert’s! Man will, verdammt noch mal, doch einfach nur entspannt Urlaub machen! Darum: The „Sound of Music“ ist real, ist irgendwo da draußen! Und zwar in Salzburg. Aber auch Wien hat schöne Plätze, eine reiche Geschichte, sogar eine Reichsgeschichte! Und diese Historie war stets schon eine Geschichte des Tourismus.

Will man Wien verstehen, muss man Wien auch als Tourismusort, als Verkörperung und Ausgeburt träumerischer, verklärter Touristenphantasien und – allem voran – als Marketing-Gag kennen. Oder anders: Ist Wien denn mehr als ein MarketingGag? Gibt es abseits der barock verschnörkelten, hochkulturellen, wahllos durch Zeit und Raum zusammengeklauten, wenn’s passt katholischen, wenn’s passt sozialistischen, einmal monarchischen, einmal re-

Wien in der Antike Früh schon wusste Wien ausländische Touristen zu umwerben. Und wie heute Österreicher in den Italien-Urlaub ziehen, zog es damals die Römer gen Norden. So erlebte Wien seinen ersten „Anschluss“ bereits 15. v. Chr., als die keltische Siedlung Vindobona ins Römische Reich eingegliedert wurde. Führende österreichische Archäologen sind zu dem Schluss gekommen, dass „auch damals nicht alles schlecht war“.

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Diese erste, imperialistische Form des Wien-Tourismus geht auf die ausgefuchste Werbestrategie des Königreichs Noricum zurück. Bei Ausgrabungen unter dem „Hotel Sacher“ wurde z.B. ein originales Werbepergament des Keltischen Tourismusministeriums gefunden. Prospekte wie dieser scheinen die Heereslegion „Legio X Gemina“ letztendlich überzeugt zu haben und so buchten die Burschen eine zweiwöchige Sommerfrische im keltischen Kurort Aque bei Vindobona. Als der kurze Urlaub vorüber war, hatten sich die römischen Legionäre so sehr in die idyllische Region verliebt, dass sie ihren Kaiser Augustus anflehten, dieses Land auch gleich dauerhaft besetzen zu dürfen – und jener Milde gewährte.

Sightseeing-Tipp: Kein Geringerer als Kaiser Marc Aurel selbst hauchte 180 n. Chr. in einem Heurigen nahe Vindobona sein imperiales Leben aus. Er soll an einem Stück des von ihm so heiß geliebten „Schniculum vindobonensis“ erstickt sein. So erlebte Wien die Premiere der „Scheenen Leich“, von deren Trauerkondukt die Marc-AurelStraße heute noch schwärmt. ´ Fragen Sie auch in der Kapuzinergruft nach dem Sarg von Kaiser Marc Aurel. u Marc Aurel Straße 1010 Wien U1, U3: Stephansplatz An den cholerischen Philosophenkaiser Marc Aurel erinnert aber auch ein Stück Wiener Sprachkultur: Der stets grantige 13


Tourismusgeschichte Wiens

Kaiser soll in häufigen Anflügen von Größenwahn jeden, den er traf, „Servus!“ – also „Sklave!“ – zugerufen haben. Diese charmante Grußformel, aber auch das extravagante Wesen des Kaisers, sind aus dem Wienerischen heute nicht mehr wegzudenken. Die Völkerwanderung Einen Wandertag der besonderen Art veranstalteten die germanischen Volksschulen in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Nachdem die Hunnen beim Pisa-Test des Jahres 375 n. Chr. besser abgeschnitten hatten als ihre westlichen Kollegen, wollten sie das germanische Bildungssystem reformieren und fielen von Osten her ein. Die germanischen Volksschulen versuchten diesen Schulreformen zu entgehen, indem sie einen mehrere Jahrzehnte dauernden Wandertag veranstalteten. Bei dieser Gelegenheit wurde in Bad Ischl das Stockbett erfunden. Als um die Mitte des 5. Jahrhunderts die Europäische Wandernadel ausgeschrieben wurde, gab es schließlich kein Halten mehr. Erst Jahrhunderte später entschließt sich eine junge Generation, auf die Ideale ihrer Eltern zu pfeifen und veranstaltet ein großes Sit-in am Ufer der Donau. Angelockt von dem Spirit der Sesshaftigkeit pilgern Tausende Rastlose nach Wien, 14

in das Mekka der Ortsfestigkeit – das mittelalterliche Wien entsteht. Der Ur-Wiener ist also genau genommen bloß ein hiergebliebener Tourist. Das Mittelalter Im Mittelalter verliert der innereuropäische Tourismus an Bedeutung, da die katholische Kirche durch die als „Kreuzzüge“ bekannten Orient-Rundreisen eine Monopolstellung unter den Reiseveranstaltern behaupten kann. Das vielfältige Angebot überzeugt Zigtausende. Viele Tiroler verlieren ihren Lebensunterhalt und folgen den Touristen ins gelobte Land. Wien kann diese Zeit mit einer breiten Palette an Reiseaccessoires für

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deutsche Kreuzritter (etwa dem „Morgenstern“, eine wehrhafte, wenig essbare Vorform der Mozartkugel) übertauchen. Sightseeing-Tipp: Um den liebevollen Detailreichtum des 1150 begonnenen und erst 1511 vollendeten Stephansdoms leichter begreiflich zu machen und um dem ausländischen Besucher das Gedränge um das Kirchlein zu ersparen, wurde Ende der 1950er Jahre unmittelbar nördlich davon eine maßstabsgetreue Vergrößerung des Baus im Verhältnis 100:1 errichtet. Unbedarfte Wienbesucher halten diese Kopie oftmals fälschlich für den echten Dom und lassen das Original unbeachtet. ´ Versuchen Sie, den Stephansdom zu stehlen. Es geht nicht. Er ist sehr schwer und zusätzlich an einem Steinsockel festgeschraubt. v Stephansdom U1, U3: Stephansplatz Die Türkenbelagerungen Gleich zwei Mal – 1529 und 1683 – campieren größere osmanische Reisegruppen vor den Toren Wiens. Als sich Gastronomiebetriebe und Souvenirshops endgültig überfordert sehen, schließt die Stadt ihre Tore. Die Campingplatzbetreiber und Heurigenwirte stoßen bald an ihre kapazitären Grenzen und

lassen den Touristenmassen keine andere Wahl, als zu den Waffen zu greifen. Während sich im Jahre 1529 die Fremden mit dem Ende der Badesaison wieder zurückziehen, lassen sie es im Jahre 1683, wohl auch im Hinblick auf die zunehmend beliebten Christkindlmärkte, drauf ankommen. Kaiser Leopold I. bezahlt teuer für seine jahrelange Untätigkeit am Tourismussektor. Er zieht sich nach Linz zurück – für den Tourismus damals wie heute ein schwarzer Fleck auf der Landkarte – und versteckt sich mit einem dressierten Affen und Bergen von Süßwaren in einem begehbaren Globus, in dem er sich für unsichtbar hält. Inzwischen holt der Wiener Tourismusbeauftragte Ernst Rüdiger von Starhemberg eine polnische Eventagentur zu Hilfe, die in einer riesigen Open-AirVeranstaltung am Kahlenberg dem osmanischen Animateur Kara Mustafa entscheidend die Show stehlen kann. Es kommt in der Stadt durch das exzessive Boccia-Spiel der Besucher zwar zu schweren Verwüstungen, die Wiener lassen sich aber von den runden Geschossen zu einer ganz besonderen Süßspeise inspirieren – sie erfinden den Topfenknödel.

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Tourismusgeschichte Wiens

Sightseeingtipp: Die wahre Herkunft der Topfenknödel verraten drei türkische Boccia-Kugeln, die als ihrer Funktion beraubte, eingemauerte Deko-Gags das Griechenbeisl am Aufgang zu den Augustinstuben zieren. ´ Bestellen Sie in einem türkischen Lokal Schweinsbraten. Lustig! w Griechenbeisl Fleischmarkt 11, 1010 Wien U1, U3: Stephansplatz Kaiserin Sisi und ihr Franzl – Vom Film zur Realität Einen der größten Schelmenstreiche aller Zeiten lieferte die österreichische Tourismuswirtschaft in den 1950er Jahren. Um das durch den Zweiten Weltkrieg und Nazi-Terror minimal angekratzte Image Österreichs wieder aufzupolieren, entwickelten österreichische PR-Abteilungen das Konzept für eine filmische Trilogie. Dadurch sollte Österreich als gemütliche, herzliche und absolute Monarchie sowie als imperial-lässiges Reiseziel für potenzielle Touristen aus aller Welt in Szene gesetzt werden. Als Werbefigur wurde eine „Kaiserin Sissi“ kreiert. Diese melancholische Barbie-Version mit dem gewissen Schneewittchen-Touch verzauberte Generationen von in einem verklärten Gestern verhafteten Mädchen und Frauen. 16

Die „Sissi“-Trilogie erzählt die gänzlich fiktive, rauschhaft kitschige Geschichte einer österreichischen Kaiserin Namens „Sissi“ und ihres Gemahls „Franz Josef“, die es beide so niemals gegeben hat. Der pompöse Kulissenbau dieses Monumentalfilms, bekannt als „Schloss Schönbrunn“, wurde von einer ungarischen Tischlerei angefertigt und kann auch heute noch besichtigt werden. Viele Touristen halten darum die „Kaiserin Sissi“ und den „Kaiser Franz Josef“ für reale, historische Persönlichkeiten. Umgekehrt wird die auf hard facts basierende Musical-Dokumentation „Sound of Music“ oft als frei erfunden diskreditiert! Sightseeingtipp: Sich vormittags durch das von Rentnerbussen belagerte Schönbrunn zu kämpfen, zählt zu den erdrückendsten Erfahrungen des WienTourismus. ´ Fragen Sie im Museums-Shop des Schlosses nach der patentierten Original-SisiKokain-Schnupfdose in Gold. Ein Mitbringsel-Must-Have! w Schloss Schönbrunn U4: Schönbrunn Der Anschluss „1938 – kein Anschluss unter dieser Nummer“ ist der Name einer höchst erfolgreichen Operette, die seit Mitte der 1950er


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Jahre das österreichische Gemüt erhellt und sich besonders in Wien großer Beliebtheit erfreut. In der heiteren Verwechslungskomödie wird mit einem propagandistischen Geschichtsbild aufgeräumt und die österreichische Gemütlichkeit unterstrichen. Das Zentrum der Handlung bildet der TravelGuide „Ein Volk, ein Reich, ein Reiseführer“, der eine praktische Reisehilfe auf dem Schienennetz der deutschen Reichsbahn sein soll und doch so manche Tücke birgt … Mehr wird aber nicht verraten, weil man das damals ja auch alles nicht gewusst hat.

österreichische Demokratie, indem er sie aus christlicher Barmherzigkeit durch eine totalitäre Diktatur ersetzte. Ursprünglich stand in der Michaelerkirche eine kunstvolle Miniatur des zwergwüchsigen Austro-Faschisten. Sie verschwand kurz nach der Aufstellung durch Erosion und wurde durch das heutige Mahnmal ersetzt, das den Kanzler betend zeigt – in etwa 60-facher Vergrößerung. ´ Die Leidensgeschichte des kleinen Engelbert ist in Form eines Krukenkreuzwegs im ÖVP-Klub ausgestellt. Melden Sie sich bei der ÖVP-Wien zur Führung an!

Sightseeingtipp: Der von den meisten Österreichern vergessene Engelbert Dollfuß (wegen seiner minimalen Körpergröße scherzhalber auch Millimetternich genannt) rettete 1933 die

x ÖVP-Klub / Michaelerkirche Entscheiden Sie sich! Der Tourismus seit 1955 Nachdem man das leidlich zerbombte Wien in einer Hau17


Tourismusgeschichte Wiens

Ruck-Aktion wieder aufgebaut hatte, stand einer touristischen Hochblüte nichts mehr im Wege und die Zahlen der Österreichtouristen stiegen sofort dramatisch an. Gerade zu Beginn hatte das aber vor allem damit zu tun, dass Österreich für Deutsche nun wieder „Ausland“ war und so bereisten viele deutsche Besucher als Touristen ihre „Ostmark der Herzen“.

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Sightseeingtipp: Auf der Mölker Bastei, nahe dem Schottentor, findet man den winzigen Beethoven-Shop. Seine lächerlich kleine Ausdehnung zeigt, dass man als Deutscher in Wien, ob Genie oder nicht, stets ein Fremdkörper bleibt. ´ Wie viele Freunde bringen Sie in den Beethoven-Shop? y Mölker Bastei U2: Schottentor Wien konnte sich allmählich eine führende Stellung als Urlaubsziel erarbeiten. Der erste 18

Geniestreich der Branche war die Einrichtung der Walzertoilette in der Opernpassage, wo man sich von Wien-Impressionen kulinarischer Natur trennen kann, sobald man sie einmal verdaut hat. An starken Tagen lockt diese Neuwiener Institution gar mehr Besucher an als die Staatsoper selbst. Die „Sissi“-Filme taten ein Übriges. Bald war das kleine Wien von Touristen so überfüllt, dass der Wiener kaum noch eine Schublade aufmachen konnte, ohne darin fotografierende Amerikaner zu finden. Schnitzelkrise So kam es 1973 zur berühmten Öl-Krise. Durch den Massentourismus war das gesamte, für die Zubereitung von Wiener Schnitzel so wertvolle Fritteusen-Öl aufgebraucht worden. Es kam zu Schnitzel-Versorgungsengpässen. Wütende Touristenhorden stürmten Schnitzellokale, um die letzten verbliebenen Kalbsfleischscheiben an sich zu reißen. Drei Wiener Kellner, zwei Touristen und 5.378 Kälber kamen dabei ums Leben. Der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky schritt ein. Er wusste, dass das österreichische Schnitzelwesen veraltet und reformbedürftig war. Die Zeit für herkömmliche, mit Öl betriebene Fritteusen war endgültig abgelaufen. So ließ er im niederösterreichischen Zwentendorf eine


Nuklear-Fritteuse errichten, um dem durch den Massentourismus in Wien entstandenen, astronomisch hohen Schnitzelverbrauch Herr zu werden. Doch es regte sich Widerstand gegen die riskante und wenig ökologische Paniermethode.

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In einer Volksabstimmung 1978 wurde darüber abgestimmt, ob in Zukunft das Wiener Schnitzel mit Kernkraft produziert werden sollte oder nicht. Mit 50,47% der Stimmen wurde gegen die Inbetriebnahme der Kernkraftfritteuse entschieden. Kreisky beherzigte dies, ließ die AKW-Fritteuse Zwentendorf geschlossen und wurde in der Wahl 1979 im Amt bestätigt. Doch soll er von diesem Tage an nie wieder ein Schnitzel gegessen

haben. Auf eine kleine Gruppe steirischer Zwentendorfbesetzer, die „Kernöl statt Kernkraft“ forderten, soll übrigens die heutige Parlamentspartei der österreichischen Grünen zurückgehen. Das Ende Wiens Voraussichtlich wird im Jahre 2173 ein sowjetischer Wettersatellit auf Wien stürzen und die sympathische Hauptstadt des Grantlertums dem Erdboden gleichmachen. Das haben zumindest die Wissenschaftler des Erzherzog Johann Astronomie und Astrologie Centers in Graz herausgefunden. „Da trifft es eh die Richtigen“, so Bachelor of Spirituality and Armageddon Commitment (FH) Hans-Werner Hasensteininger gleichgültig. Der Wien-Tourismus hätte sich damit dann auch erledigt. Sightseeingtipp: Haben Sie stets panische Angst vor dem Weltende und ´ besuchen Sie die Sternwarte Wien. Vielleicht steht die Zukunft Wiens ja in den Sternen. y Sternwarte Wien Johann-Staud-Straße 10, 1160 Wien Linie 46: Endstation Mehr historische Destinationen bietet die Tour No. 12 auf Seite 56.

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Die F端hrer

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Oje, Leseprobe schon vorbei! Den kompletten Reiseführer gibt es ab Mitte Oktober 2013 im gut sortierten Buchhandel. Oder hier http://www.holzbaumverlag.at/

Hydra wünscht Euch viel Spaß beim Lesen!

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Weitere Reiseliteratur Holzfällen & Niedermetzeln Das gab es noch nie! Eine literarische Reise! Noch dazu direkt in das Herz der Finsternis: in die Gruft von Thomas Bernhard! Hydra ließ den Paradegrantler der österreichischen Literatur auferstehen und über alles motzen, was er die letzten 25 Jahre versäumt hatte. Ein Gemetzel! Softcover, 128 Seiten, EUR 9,99 Holzbaum Verlag ISBN 978-3-9503508-1-4 Dieses Buch macht Dich fertig! Eine Reise in das Innere des Zorns. Der ideale Begleiter auf Langstreckenflügen! Zucken Sie in Reihe 57B aus vor Zorn und flegeln Sie die Stewardess an! Sekunden später sitzt Ihnen die Flugsicherheit im Nacken. Ein Buch wie ein ehrlicher Schlag in den Solarplexus. Softcover, 168 Seiten, EUR 9,90 Holzbaum Verlag ISBN 978-3-9503097-5-1 Sex mit 45 Eine süffisante Reise in das Schlafzimmer von Lotte Zusatz-Zahl. Erleben Sie mit Lotte und ihrem Hund Joker beschwingte, heißblütige, unfassbare Liebesabenteuer. Ein Buch wie ein Flug in einer Propellermaschine über den Tschad. Softcover, 96 Seiten, EUR 6,45 Holzbaum Verlag ISBN 978-3-9503097-3-7 22


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