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Wir weben uns ein Leichentuch

„Wir weben unser Leichentuch“ ist eine Gruppenaktion, die von Schade und Ranft 1976 in Adelsberg initiiert wurde. Das einhundert Meter lange Tuch wurde aus einem Fenster nach unten gelassen und dann leicht bergab eine Straße hinunter gezogen. Ranft und Schade positionierten sich mit Nähmaschinen darauf und ließen sich dabei von Wasse fotografieren. Obwohl der Titel dramatisch anmutet und dieser Effekt sicherlich nicht ungewollt ist, entstand auch diese Aktion hauptsächlich deshalb, weil sich den Künstler:innen vor Ort die Möglichkeit dazu bot. So kann sie eher dadaistisch verstanden werden und nicht als politischer Kommentar im engeren Sinne.

Ein weiteres Beispiel für eine dadaistische, spielerische Aktion, der von der Öffentlichkeit später eine nicht von der Gruppe intendierte politische Bedeutung zugeordnet wurde, ist die Aktion „Glatzköpfe“. Sie fand 1981 auf dem zweiten „Berghäusler Abend“ in der Galerie Oben statt. Dabei ließen sich Ranft und Kozik von zwei lokalen Friseurmeistern die Haare und Bärte abrasieren. Dabei lasen sie sowohl eigene als auch von anderen verfasste Texte und Gedichte. Zum Beispiel Christian Morgensterns Text „Aus dem Anzeigenteil einer Tageszeitung des Jahres 2407“, worin humoristisch künstliche Köpfe angepriesen werden, denn „Da er kein Haarkleid braucht, ist die Schädeldecke für Annoncen reserviert. – Wer klug ist und vorurteilslos, kann durch Übernahme einer geeigneten Großfirmenanzeige unschwer die Kosten eines K. K. herausschlagen, ja noch mehr, durch den künstlichen Kopf auch auf diesem Wege weit leichter Geld verdienen als durch den natürlichen.“

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1981/Fotografien: Ralf-Rainer Wasse/ Zweiter Berghäusler Abend in der Galerie Oben/Ranft und Kozik (Schade)/© Lindenau-Museum, Altenburg/Archiv Ralf-Rainer Wasse

Wir weben unser Leichentuch

1976/Fotografien: Ralf-Rainer Wasse/Ranft und Kozik (Schade)/© Lindenau-Museum, Altenburg/Archiv Ralf-Rainer Wasse

08 Tempe Gemeinsame Arbeit

Eine Ausnahme vom individuellen Arbeiten bilden die sogenannte „Tempe“-Bilder, eine Reihe von gemeinsam erstellten Radierungen. Ausgehend von einem ersten Motiv von Morgner ergänzten die weiteren Mitglieder der Gruppe die Druckplatte, die abschließend als gemeinsames Werk gedruckt werden konnte.

Diese Praxis knüpft an das von den Surrealist:innen entwickelte Spiel des „Cadavre Exquis“ an, das besonders kreative und oft abstruse Sätze hervorbringt.

Gleichzeitig sind die ironisch als „Kollektiv-Arbeit“ bezeichneten Radierungen eine Reflektion über die in der DDR immer wieder beschworene kollektive Arbeit. Statt im Akkord zu arbeiten, reagieren die Künstler:innen aufeinander, entwickeln einen Dialog ohne ihre Individualität aufzugeben.

Den Begriff „Tempe“ übernahm die Gruppe von Künstler:innen aus Halle, die ihre gemeinsamen Arbeiten in den 50er Jahren schon als „Tempe“ bezeichnet haben.

„20 Jahre CM“/1997/Druck: Tempe, schwarz-weiß/E. A./ courtesy: Dagmar Ranft-Schinke, Chemnitz

„Clara Mosch…“/1977 - 1982/Druck: Tempe, schwarz-weiß/E.

A./courtesy: Dagmar Ranft-Schinke, Chemnitz

„Clara Mosch…“/1977 - 1982/Druck: Tempe, schwarz-weiß/E.

A./courtesy: Dagmar Ranft-Schinke, Chemnitz

„Tempe 82“/1982/Grafik: Tempe, farbig/courtesy: Thomas Ranft, Amtsberg

09 Galerie Oben

Die 1973 in Karl-Marx-Stadt gegründete Galerie Oben war einer der wichtigsten nahezu autonomen Kunstorte der DDR und sowohl persönlich als auch konzeptionell eng mit der Galerie Clara Mosch verbunden. Beide Galerien konnten sich unterstützen und verstärken und machten Karl-Marx-Stadt zu einem besonders exponierten Ort der nonkonformen, experimentellen Kunst. Durch ihren Ursprung in einer Verkaufsgenossenschaft bildender Künstler:innen konnte sich die Galerie Oben den Autoritäten gegenüber als künstlerischer Freiraum abseits vom staatlichen Kunsthandel behaupten. Thomas Ranft bezeichnet die Galerie Oben als „Urmutter und Zentrum“ von Clara Mosch, teilweise wurden Ausstellungen auf beiden Galerien aufgeteilt und gleichzeitig gezeigt.

Plakat zum Berghäusler Abend in der Galerie Oben

Fotografie: Ralf-Rainer Wasse/Galerie Oben/Neuprint 2023/ © Lindenau-Museum, Altenburg/Archiv Ralf-Rainer Wasse

Fotografie: Ralf-Rainer Wasse/Treffen der Künstler:innenszene/Ort und Datum unbekannt/© Lindenau-Museum, Altenburg/Archiv Ralf-Rainer Wasse

10 Pleinairs und Aktionen

Viele der Aktionen von Clara Mosch fanden im Rahmen von Pleinairs in der Natur statt. Das waren mehrtätige Künstler:innentreffen, bei denen gemeinsame Vorträge, Diskussionen und Filmvorführungen organisiert wurden, gezeichnet, sowie gefeiert wurde. Die Aktionen entstanden häufig spontan und wurden direkt an Ort und Stelle ausgeführt. Denn um Kunstproduktion im klassischeren Sinne ging es nicht, sondern die Pleinairs waren als kollektive Freiräume mit einem Interesse für das Dadaistische und Experimentelle angelegt. Sie waren jedoch keinesfalls bedeutungs- und planlos, sondern der Fokus lag vor allem auf Austausch und Kommunikation untereinander. Auch die oft spielerischen und chaotisch wirkenden Aktionen waren durch für die Künstler:innen wichtige Themen angeregt. Dabei ging es oft um Fragen nach künstlerischer und persönlicher Selbstbestimmung, sowie die Gefahren durch die Umweltzerstörung und den Umgang mit Natur in der DDR.

Der Begriff „Pleinair“, was so viel wie „in freier Luft“ bedeutet, stammt aus dem französischen Impressionismus und Freilichtmalerei. Es ist ein akademisch geprägter Begriff, der in der DDR für eine anti-akademische Herangehensweise, eine Hinwendung zur Natur als kreativen Freiraum wiederbelebt wurde. Damit distanzierten sich die Künstler:innen auch von den zur gleichen Zeit im Westen verbreiteten Bezeichnungen wie „Happening“ und „Performance“. Dies zeugt möglicherweise von dem Versuch einer Entwicklung von DDRspezifischen Formen künstlerischer Zusammenarbeit.

1978/Fotografie: Ralf-Rainer Wasse/Pleinair Hiddensee/ Ranft-Schinke, Ranft, Schade, Morgner/Neuprint 2023/ © Lindenau-Museum, Altenburg/Archiv Ralf-Rainer Wasse

LISTE DER ZWISCHEN 1975 UND 1983 VERANSTALTETEN PLEINAIRS (AUSWAHL)

Pleinair Ahrenshoop, Kurhaus Ahrenshoop, 02/1975

Aktion: Meer auffüllen

Beteiligte: Michael Morgner, Thomas Ranft, Gregor-Torsten Schade, Ralf-Rainer Wasse, u. a.

Pleinair Hiddensee, Klausner Kloster/Hiddensee, 09/1975

Aktionen: Herunterrollen, Kreuz auf der Müllhalde, Langbehn, der Rembrandtdeutsche

Beteiligte: Günther Huniat, Michael Morgner, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke, Gregor-Torsten Schade, Ralf-Rainer Wasse, Klaus Werner, Fotis Zaprasis

Berghäusler: Wir weben unser Leichentuch

Adelsbergstraße 333, Adelsberg, Karl-Marx-Stadt, 1976

Beteiligte: Thomas Ranft, Gregor-Torsten Schade, Ralf-Rainer Wasse

Pleinair Leussow, Ferienheim des Staatlichen Kunsthandels Leussow, 17. – 30.9.1977

Aktionen: Leussow-Recycling

Beteiligte: Wolfgang E. Biedermann, Michael Morgner, Thomas Ranft, Gregor-Torsten Schade, Ralf-Rainer Wasse, Klaus Werner u. a.

Pleinair Hiddensee, Klausner Kloster/Hiddensee, 1978

Aktionen: Smollichs Stuhl, Künstler fressen Heu, Rübe ab, u. a.

Beteiligte: Wolfgang E. Biedermann, Wolfgang Einmahl, Eberhard Göschel, Michael Morgner, Thomas Ranft, Gregor-Torsten Schade, Manfred Smollich, Ralf-Rainer Wasse, Klaus Werner

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