Das Magazin der Hochschule Luzern, Ausgabe 24, Februar 2017

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Hochschule Luzern Das Magazin RUBRIK

FEBRUAR 2017

INTERVIEW

Psychoanalytikerin Ingrid Feigl: Was Wohnen verrät GESUNDHEITSWESEN

Mehr Mitbestimmung für Patienten KOGNITIVE SYSTEME

Digitale Assistenten am Helpdesk

WOHNEN. LEBEN. SEIN.

Gute Nachbarschaft Hochschule Luzern 1 | 2017

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Inhalt 04 SPEKTRUM

News und Namen

DOSSIER: WOHNEN. LEBEN. SEIN.

30 PLÄDOYER

Forschung sichert Praxisnähe 32 KÜNSTLERISCHE PARTIZIPATION

Denn sie wissen, was sie wollen 34 GESUNDHEITSWESEN

Für mehr Qualität 37 TEXTILFORSCHUNG

Wie im Kokon 38 TRINKWASSERQUALITÄT

Der letzte Meter ist besonders heikel 40 KOGNITIVE SYSTEME

Mit freundlichen Grüssen, Ihr Computer 42 VIRTUELLE KOMMUNIKATION

... sag’s doch schnell per Video! 44 AGENDA/WETTBEWERB

10 WOHNBAUGENOSSENSCHAFTEN

Der guten Nachbarschaft verpflichtet

20 GEMEINDEENTWICKLUNG

Unsere Zukunft Hasliberg 22 VARIOWOHNEN

46 ABSOLVENT

Von der Stubete zur Jam-Session

14 WOHNRAUMVERTEILUNG

Richtige Verteilung ist doppelter Gewinn

«Gentrifizierung ist kein Naturgesetz» 24 ORTSSANIERUNG

16 MUSIKER ALS NACHBARN

Das Vorzeigedorf

Musizieren ohne Misstöne 26 INTERVIEW: INGRID FEIGL 18 MOBILES WOHNEN

Eine «glückliche Hütte» für Kreative

«Bühne oder Wohnhöhle, das ist die Frage» 29 INFOGRAFIK

Blick hinter die Haustür

Titelillustration aus Papier: Sarah Gasser schloss 2012 das Bachelor-Studium an der Hochschule Luzern im Fachbereich Illustration Fiction ab. Sie lebt und arbeitet als freischaffende Illustratorin in Winterthur. www.sarahgasser.ch

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SPEKTRUM

Papierflieger für Kinderträume Die Papierflieger sind blau und hellgrün, gepunktet, gestrichelt und uni – und sie fliegen über Kopfkissen und Bettwäsche. Zu sehen und zu kaufen gibt es die Bettwäschegarnitur in der naturaline-Serie von Coop. Entworfen hat sie die 25-jährige Annina Thali aus Hochdorf LU, die seit 2012 Textildesign an der Hochschule Luzern studiert. Die Aufgabe kam im zweiten Studienjahr: Innerhalb von sechs Wochen mussten die 12 Studierenden drei Entwürfe für Kinderbettwäsche in jeweils drei Farbwelten gestalten, die untereinander kombinierbar sein sollten. «Der Designprozess wurde so realitätsnah

wie möglich strukturiert, vergleichbar dem Berufsalltag einer Designerin», sagt Ursula Hersperger, die mit Brigitt Egloff das Modul leitet. Die Studierenden mussten recherchieren, was es bereits auf dem Markt gibt, Marktanalysen und Verkaufsverhalten untersuchen. «Die Bettwäsche wird meist nicht vom Kind ausgewählt, sondern von den Eltern», hat Annina Thali festgestellt. «Die Herausforderung war darum, einen Entwurf zu gestalten, der beiden Generationen gefällt.» Sie erinnerte sich an ihren Kindheitstraum, in dem sie sich auf einem grossen Vogel festhielt und losflog – und gestaltete ihre Papierflieger.

Neue Stiftung der Hochschule Luzern Ende Dezember 2016 wurde die «Stiftung Hochschule Luzern» gegründet. Sie hat zum Zweck, die Hochschule ideell und finanziell zu fördern und strategische Projekte, die nicht im Rahmen des herkömmlichen Budgets umgesetzt werden können, zu unterstützen. Geschäftsführer ist Xaver Büeler, ehemaliger Direktor des Departements Wirtschaft der Hochschule Luzern. Zum ersten Präsidenten des Stiftungsrats wurde Jörg Lienert, Verwaltungsratspräsident des gleichnamigen Luzerner Personalvermittlers und Absolvent der Hochschule Luzern, gewählt. Die weiteren Stiftungsratsmitglieder sind: Sylvia Egli von Matt, Vizepräsidentin des Fachhochschulrats der Hochschule Luzern, Rektor Markus Hodel sowie Marc Reinhardt, Leiter Marketing & Kommunikation. Der Stiftungsrat soll in den nächsten Monaten mit weiteren Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft erweitert werden.

555 Räume

stehen für die Studierenden an der Hochschule Luzern für den Unterricht zur Verfügung. Dazu gehören Labor-, Gruppen-, Projekt-, Computer-, Theorie-, Atelier- und Musikräume sowie Hörsäle. Sie werden von über 6’000 Studierenden in einem Bachelor- oder Master-Studium und von über 4’400 Personen in der Weiterbildung genutzt. Sanft gebettet auf Papierfliegern: Die kombinierbare Bettwäsche begeistert Eltern und Kinder.

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SPEKTRUM

Philip Ellis ist mit Vollgas unterwegs Zur Belohnung für seine schulischen Leistungen erfüllten Philip Ellis’ Eltern ihrem Sohn im Frühling 2010 einen lang gehegten Traum: Sie liessen ihn auf der Rennstrecke von Llucmajor auf Mallorca in einem Formel BMW fahren. Aus dem Plausch wurde mehr, viel mehr: Ellis kam mit einem Vertrag als Rennfahrer nach Hause. «Ich hatte damals nicht mal meinen Führerschein», sagt der 24-Jährige, der an der Hochschule Luzern Betriebsökonomie mit Vertiefung Internatio nal Management & Economic studiert. Nach diesem rasanten Einstieg in den Motorsport blieben Ellis drei Monate, um sich auf die LO Formula Lista, eine Schweizer Einsteigerserie des Formelsports, vorzubereiten, die er acht Rennen später als JuniorMeister beendete. Spätestens dann setzte der in Baar wohnhafte Sohn einer Deutschen und eines Briten voll auf die Karriere als Rennfahrer. Und so ergatterte Ellis in

Philip Ellis erhielt einen Vertrag als Rennfahrer, als er noch gar keinen Führerschein besass.

der vergangenen Saison einen Startplatz im Audi Sport TT Cup. Er erreichte in der Rookiewertung, der Wertung unter den CupNeulingen, den 3. Platz und in der Gesamtwertung den 6. Rang. «Dieses Jahr will ich um den Sieg fahren», sagt er, sofern er genügend Sponsoren findet, die ihm eine erneute Teilnahme am Cup ermögli-

chen. Das zeitaufwändige Hobby und sein Studium unter einen Hut zu kriegen, ist nicht immer einfach. Doch Ellis ist bereit, für den Erfolg hart zu arbeiten: «Ich will Profirennfahrer werden, damit ich fürs Fahren bezahlt werde und nicht Geld in die Hand nehmen muss, um ins Auto steigen zu dürfen.» www.philip-ellis.com

Fotos: zVg

Fehlendes Finanzwissen wird später teuer Die alternde Gesellschaft bringt unsere staatlichen Vorsorgesysteme immer mehr in Schieflage. «Wir sind gut beraten, vermehrt selber Vorkehrungen für die finanzielle Sicherheit im Alter zu treffen», sagt Ökonomin Gabrielle Wanzenried von der Hochschule Luzern. Dies erfordert aber ein gewisses Wissen darüber, wie Finanzprodukte funktionieren und welche Investitionen am ratsamsten sind. Wanzenried untersuchte zusammen mit der Fachhochschule St. Pölten, einer Partnerschule des Departements Wirtschaft, wie ausgeprägt das Finanzwissen, die sogenannte Financial Literacy, in der Schweiz und in Österreich ist und wie sich dieses Wissen auf das Investitions- und Vorsorgeverhalten auswirkt. Die Resultate der Online-Umfrage zeigen, dass viele Teilnehmende bereits

bei den fünf Basisfragen, die unter anderem die Themen Zinsen und Inflation aufgreifen, scheitern – wobei die Schweizer Befragten besser abschneiden: Die Hälfte konnte alle fünf Fragen beantworten, in Österreich waren es knapp 36 Prozent. Noch schlechter sind die Ergebnisse in Bezug auf das fortgeschrittene Finanzwissen über Aktien, Anleihen, Renditechancen und Risiken usw. Nur sechs Prozent der österreichischen Befragten und zwölf Prozent der Schweizer Teilnehmenden wussten die richtige Antwort auf die elf Fragen. Werden die Resultate nach soziodemografischen Kriterien aufgeschlüsselt, weisen männliche, ältere und besser gebildete Personen ein deutlich höheres Finanzwissen auf. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil die Studie auch zeigt,

dass finanziell versiertere Personen ihre Vorsorge eher planen und ertragreicher investieren (z. B. Aktien statt Sparkonto). «Das Finanzwissen ist somit ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, den finanziellen Wohlstand während der Erwerbstätigkeit aufzubauen, um diesen nach der Pensionierung auf einem möglichst hohen Niveau erhalten zu können», fasst Wanzenried zusammen. Angesichts der Resultate plädiert sie für mehr Finanzthemen bereits in der Primarschule und auch für einen Ausbau der Erwachsenenbildung in diesem Bereich. «Grundsätzlich lohnt es sich für alle Altersgruppen, das eigene Finanzwissen zu verbessern.» Wollen Sie Ihr Finanzwissen testen? www.hslu.ch/mz2401

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SPEKTRUM

Seidengeschichte online recherchieren Das Projekt «Silk Memory» der Hochschule Luzern erforscht die Geschichte von 200 Jahren Zürcher Seidendesign. Dafür hat die Forschungsgruppe Produkt & Textil bereits ein Archiv und eine Textildatenbank aufgebaut. Eine repräsentative Auswahl daraus wurde digitalisiert, verschlagwortet und online gestellt – für Lehre, Forschung und als Inspirationsquelle für Designerinnen und Designer. Das Portal, das derzeit rund 3’000 Einträge umfasst, präsentiert textile und visuelle Quellen. Man kann nach Mustern und Fotodokumenten einzelner Firmen suchen, nach der Entstehungszeit der Objekte, der Funktion der Stoffe oder nach verschiedenen Techniken: Wurde der Stoff beschichtet, gefilzt oder gestanzt? Auch wer einen Stoff sucht, der Ornamente mit geometrischen Mustern kombiniert, wird fündig. Fotodokumente zeigen alle Stationen der textilen Produktionskette vom Rohseidenhandel bis zu Marketing und Vertrieb, Episoden erzählen Geschichte und Gegenwart der Seidenindustrie. https://silkmemory.hslu.ch

Leuchtend über die Reuss

Die Gierseilfähren der Studierenden verzauberten das Publikum. Die Überfahrt über die Reuss durfte maximal zehn Minuten dauern.

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Ein weiss leuchtender Schwan, ein farbiger Globus oder ein Boot, das brennendes Stroh geladen hatte: Fantasievolle Objekte schwammen in der Weihnachtszeit bei der Rathausbrücke in Luzern über die Reuss. Es waren sogenannte Gierseilfähren, die Studierende der Gebäude- und Bautechnik sowie Architektur in einem gemeinsamen Modul gebaut hatten. An Seilen befestigt, nutzen diese Konstruktionen die Strömung, um den Fluss zu durchqueren. Eine Bedingung war, dass die unbenannten Fähren leuchten und damit für eine festliche Stimmung sorgen. Und: Sie mussten den Weg

über die Reuss in zehn Minuten schaffen, was bei der schwachen Strömung eine grosse Herausforderung war. Für einige eine zu grosse. So musste die eine oder andere Fähre aus dem Wasser gefischt werden. Dieses Modul besuchen alle Studierenden aus dem Bereich Bau. «Mit der Projektarbeit werden vor allem das wissenschaftliche Recherchieren und das schriftliche Dokumentieren eines Forschungsprojekts geschult», sagt der Modulverantwortliche Christian Zimmermann. «Zudem lernen die Studierenden die Zusammenarbeit in interdisziplinären Gruppen.»


SPEKTRUM

Bei EU-Forschungsprojekten dabei

Die Zeugnisse der Zürcher Seidenindustrie (unten) wurden für die Website Silk Memory (links) erfasst. Fotos aus der Geschichte (oben) ergänzen die Site.

Die Hochschule Luzern ist Teil der beiden EU-Forschungsprojekte «Heat4Cool» und «QualyGridS», die durch das Horizon2020-Rahmenprogramm von der EU unterstützt werden. Ziel des Programms ist, innovative Forschungsideen und deren Umsetzung in marktfähige Produkte zu fördern. Das Projekt «Heat4Cool» entwickelt Renovationsmassnahmen und untersucht, wie diese optimal eingesetzt werden, um den Gebäudepark in Europa energieeffizient zu betreiben. Im Projekt «QualyGridS» wird erforscht, wie Wasserstoffproduktionsanlagen optimal in die Elektrizitätsnetze der Zukunft integriert werden können, um deren Bewirtschaftung zu unterstützen. Beide Projekte sind wichtig für die Umsetzung der Energiewende. So macht der Gebäudepark in Europa rund 40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs aus. Und grosse Mengen überschüssiger elektrischer Energie aus schwankender Produktion müssen künftig sinnvoll genutzt und gespeichert werden können.

Fotos: Markus Käch, Michael Wolgensinger, zVg

Unterstützung für die Mikroorganismen-Jagd im All Leben auf der Internationalen Raumstation ISS Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze oder Archaeen? Dies will ein österreichisches Forschungsteam untersuchen. Unterstützt wird es von Forscherinnen des CC Aerospace Biomedical Science and Technology (ABSAT) der Hochschule Luzern. Sie haben Handschuhe und Tücher steril verpackt und für den Flug auf die ISS vorbereitet. Dort wird im Frühling ein

Astronaut mit diesen Utensilien unter der Anleitung der ABSAT-Forscherinnen

an verschiedenen Stellen im Innenraum der Station Proben nehmen. «Die ISS wird zwar immer wieder gereinigt, dennoch geht man davon aus, dass sich Mikroorganismen entwickeln können», sagt Magdalena Herová vom ABSAT. Lange glaubte man, dass dies wegen der Strahlung gar nicht möglich ist – bis auf der russischen Raumstation Mir eine von Pilzen befallene Rückwand entdeckt wurde.

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Zeig mir deine Wohnung und ich sage dir, wer du bist! Anhand von wenigen Fotos versucht die Psychologin Ingrid Feigl, für das «NZZ-Folio» zu erfassen, was für ein Mensch in der abgebildeten Wohnung lebt. Die beliebte Rubrik «Wer wohnt da?» befriedigt die Neugier der Leserschaft und zeigt, dass die Wohnung durchaus «Spiegel der Seele» sein kann. Umgekehrt wirkt auch der Aussenraum auf den Menschen. Wie eine Wohnung, eine ganze Siedlung gestaltet ist, beeinflusst Wohlgefühl und nachbarschaftliche Beziehungen, fördert oder verhindert Austausch und Zusammenhalt. Ein Projekt des Departements Soziale Arbeit untersuchte, wie sich in Genossenschaften das Engagement der Bewohnerinnen und Bewohner stärken lässt. Die Architektur spielt neben sozialen Aktivitäten und Mitwirkungsangeboten eine zentrale Rolle, so das Fazit. Sie ermöglicht oder verhindert Begegnungen und eine gute soziale Durchmischung. Im Idealfall lassen sich Wohnungen flexibel nutzen. An Konzepten von Variowohnen forschen Architektinnen und Architekten der Hochschule Luzern. Die Räume sind so proportioniert, dass sie sich anpassen lassen an die Bedürfnisse verschiedener Nutzer – Studierende, Flüchtlinge, Rentner, Familien. Noch weiter treibt diesen Ansatz ein Projekt aus dem CreaLab: Hier entstanden Konzepte für eine temporäre Containersiedlung auf Industriebrachen, die günstigen und erst noch attraktiven Wohnraum bieten – eigene vier Wände auf Zeit. Denn obwohl sich persönlicher und öffentlicher Raum immer mehr durchmischen, gilt nach wie vor: «My home is my castle».

Sigrid Cariola, Chefredaktorin

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Illustration aus Papier: Sarah Gasser

Wohnen. Leben. Sein.



WOHNEN. LEBEN. SEIN.

Gemeinsam planen und ausführen: Die Bewohnerinnen und Bewohner sollten bei der Gestaltung des Aussenraums mitreden können.

Der guten Nachbarschaft verpflichtet Für das Leben in Wohnbaugenossenschaften ist gegenseitige Unterstützung zentral. Doch das Engagement der Bewohnerinnen und Bewohner hat sich verändert. Ein Projekt der Hochschule Luzern untersucht, wie sich der Zusammenhalt wieder stärken lässt.

«Zusammen sind wir stärker!» So heisst es auf der Website des Dachverbands Wohnbaugenossenschaften Schweiz. Damit ausgedrückt wird der Grundgedanke der ihm angeschlossenen Vereinigungen. In den Genossenschaften organisieren sich Leute mit dem gleichen Ziel, um dieses gemeinsam zu erreichen: Sie wollen guten und erschwinglichen Wohnraum für alle Bevölkerungskreise bereitstellen. Möglich ist dies, weil die

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Wohnbaugenossenschaften Land und Liegenschaften der Spekulation entziehen und für die Miete nur so viel verrechnen, wie sie die Wohnung effektiv für Land, Unterhalt, Bau usw. kostet. Dadurch sind Genossenschaftswohnungen bis zu 20 Prozent günstiger als andere. Genossenschaftliches Wohnen bedeutet jedoch mehr als erschwingliche Mieten. Jeder Haushalt erwirbt einen Anteilschein und wird Miteigentümer respektive Ge-

nossenschafter. Damit verpflichten sich die Bewohnerinnen und Bewohner, die Werte der Genossenschaft zu teilen, Verantwortung zu übernehmen und sich gegenseitig zu unterstützen. Eben: Zusammen ist man stärker. Just dieser Idee scheinen viele nicht mehr zu folgen. Insbesondere ältere, traditionelle Wohnbaugenossenschaften klagen über den Verlust des Genossenschaftsgedankens: Viele der Mitglieder


WOHNEN. LEBEN. SEIN.

Foto: zVg

Fokus zu wenig auf das Soziale gelegt «Wohnbaugenossenschaften müssen sich die Frage stellen, wie sie von dieser Form des Engagements profitieren können, um den Zusammenhalt der gesamten Organisation zu stärken. Sie müssen aktiv werden», sagt Emmenegger. Denn das Forschungsprojekt hat schnell gezeigt: Das veränderte Engagement ist nicht

Mietpreiserhebung nach Eigentümertyp und Kanton

CH

ZH

BS

GE

BE

1’353 1’224

1’219 1’028

1’160

1’053

1’322

1’457

1’587

Durchschnittsmietzinse in CHF

1’280

Engagement ist informeller Ist der Genossenschaftsgedanke vielerorts tatsächlich verloren gegangen? Nein, aber das nachbarschaftliche Engagement hat sich verändert. Das ist das Fazit eines Forschungsprojekts (siehe Box nächste Seite) von Barbara Emmenegger vom Institut für Soziokulturelle Entwicklung des Departements Soziale Arbeit der Hochschule Luzern und ihrem Team, das sie derzeit zusammen mit 15 Praxisinstitutionen durchführen, gefördert von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes. «Die Leute engagieren sich nach wie vor in ihrer Nachbarschaft», sagt die Soziologin. Jedoch hat sich das rein formale Engagement in traditionellen Gremien verschoben hin zu punktuellem und informellem Engagement. Konkret heisst das: Die jährliche Generalversammlung einer Genossenschaft lockt nicht mehr so viele Interessierte an wie früher, und nur wenige wollen in einer Siedlungskommission mitwirken. Solche formalen Gefässe werden als Verpflichtung und als wenig sinnstiftend oder einladend angesehen. Innerhalb des eigenen Hauses und im persönlichen Wohnumfeld hingegen setzen sich die Leute nach wie vor ein: Sie hüten die Nachbarskinder, gehen für den älteren Nachbarn einkaufen, organisieren ein kleines Fest.

einfach auf den allgemeinen Trend zur Individualisierung und zur Pluralisierung zurückzuführen. Emmenegger: «Viele Genossenschaftsverwaltungen haben in den letzten Jahren ihren Fokus zu wenig auf das soziale Miteinander gelegt.» Dies geschah vielerorts nicht bewusst. «Vor allem in einigen traditionellen Genossenschaften ist der Elan der Anfangszeit verflogen: Man lebt nebeneinander und hat das Gemeinsame aus den Augen verloren»,

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würden sich kaum noch engagieren und aktiv am Gemeinschaftsleben beteiligen, was sich auch auf das Zusammenleben in den Nachbarschaften auswirke.

LU

Mietwohnungen Genossenschafts wohnungen Genossenschaftswohnungen sind bis zu 20 Prozent günstiger als andere. Quelle: Wohnbaugenossenschaf ten Schweiz/ Str ukturerhebung 2014, BFS.

sagt Daniel Blumer vom Regionalverband Bern-Solothurn von Wohnbaugenossenschaften Schweiz. Das wird spätestens dann zum Problem, wenn ein Gebäude seine Lebensdauer erreicht und durch einen Neubau ersetzt werden sollte. «Ist das Interesse am Gemeinwohl nicht mehr vorhanden und will kaum jemand mehr mitgestalten und mitbestimmen, ist es für eine Genossenschaft besonders schwierig, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen», so Blumer.

Aufgrund der stetig wachsenden Nachfrage nach preisgünstigen Wohnungen haben sich zudem viele Genossenschaften in den letzten Jahren mehrheitlich darauf konzentriert, zu wachsen. So geschehen bei der BEP, der Baugenossenschaft des eidgenössischen Personals, die mit über 1’300 Wohnungen eine der grössten Zürcher Wohnbaugenossenschaften ist. «Die Bautätigkeiten und die Expansionspläne dominierten die Genossenschaft», sagt Marianne Huwyler, Leiterin Soziales und Kultur der BEP.

Mitglieder zu Mietern gemacht Diese Entwicklung möchten viele Genossenschaften kritisch reflektieren und mithilfe des Forschungsprojekts der Hochschule Luzern die Aufmerksamkeit neben Bau und Unterhalt zusätzlich vermehrt auf das soziale Miteinander legen: Sie wollen das Engagement ihrer Mitglieder fördern und Möglichkeiten zur Mitwirkung schaffen. Damit dies gelingt, müssen die Organisationen an drei Orten ansetzen, wie das Wissenschaftsteam der Hochschule Luzern aufzeigt: bei den Strukturen der Genossenschaft, dem gelebten Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner sowie dem baulichen Umfeld. «Wohnbaugenossenschaften haben ihre Genossenschafterinnen und Genossenschafter tendenziell zu Mieterinnen und Mietern gemacht», sagt Barbara Emmenegger. So haben viele Organisationen ihre Verwaltung stark professionalisiert, mussten dies oftmals tun, weil die Anzahl der verwalteten Wohnungen stetig stieg. Die neue Struktur liess in vielen Fällen keinen Platz mehr für Partizipation – manchmal nicht ungewollt. «Es braucht Zeit, wenn mehrere Leute mitdiskutieren und mitbestimmen. Deshalb verwehren sich Organisationen zum Teil diesem Prozess», ergänzt die Soziologin. «Sie müssen sich wieder öffnen, wenn sie den genossenschaftlichen Gedanken stärken wollen.»

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WOHNEN. LEBEN. SEIN.

Das Forschungsteam schlägt deshalb Investitionen vor, die sozialräumlich ausgerichtet sind. Damit gemeint sind zum einen Regulative, die den Bewohnerinnen und Bewohnern für gewisse Angelegenheiten Eigenverantwortung im siedlungsinternen Alltag übergeben, wie für die gemeinsame Bewirtschaftung des Aussenraums. «Verwaltungen Um den Kontakt unter den Bewohnerinnen und müssen aufhören, den Vollservice Bewohnern zu stärken, braucht es niederschwellige zu bieten und als einzige Pflicht Treffpunkte, wie ein Spielplatz. von ihren Mitgliedern die Mietzinszahlung zu verlangen», sagt ist das zwar eine herausfordernde AufDaniel Blumer. Marianne Huwyler von der gabe, aber eine mit viel GestaltungspotenBEP ist sich bewusst, dass es nicht einfach zial. Wobei dieses wiederum von einigen ist, Kontrolle abzugeben. «Weil Entscheide Genossenschaften aufgrund interner Beanders ausfallen können als gewünscht.» stimmungen nicht ausgeschöpft werden Zudem ist das Siedlungsleben zum Beispiel durch professionelle soziokulturelle kann. «Wir haben lange Wartelisten, die Unterstützung zu animieren: GenossenAuswahl der neuen Nachbarn geschieht somit nicht im Hinblick auf eine geeignete schaftsverwaltungen sollten mehr inforDurchmischung. Umso wichtiger ist es, melle Mitwirkungsangebote unterstützen, neue Mitglieder von Anfang an auf den die vielfältige Begegnungs- und Freizeitgenossenschaftlichen Gedanken einzuangebote in einer Siedlung ermöglichen. schwören und sie einzuspannen», sagt So dass sich möglichst viele BewohnerinHuwyler. nen und Bewohner in unterschiedlichen Lebensphasen angesprochen fühlen und Architektur beeinflusst Durchmimitwirken können. «Viele Leute sind schung Schliesslich hat auch die Archiheute durch Job und Familie zwei- oder tektur einen grossen Einfluss darauf, ob gar dreifach belastet. Aber auch sie sollen sich Gemeinsinn entwickelt. Einerseits entsich punktuell am Gemeinschaftsleben scheidet die Grösse der Wohnungen, ob Fabeteiligen können», sagt Emmenegger. Eine milien, kinderlose Paare, ältere Leute oder berufstätige Mutter organisiert zum Beijunge Erwachsene einziehen. Andererseits spiel einmal im Jahr einen sonntäglichen beeinflusst das bauliche Umfeld, wo und Brunch in der Siedlung, andere veranstalwie Begegnungen möglich sind. «Qualiten einen Filmabend im Siedlungslokal, tativ gut gestaltete Begegnungsräume im oder man engagiert sich individuell im Innen- und im Aussenraum fördern KonGemeinschaftsgarten. takte», sagt Emmenegger. Damit gemeint sind unter anderem sogenannte «komWohnungen bewusster vergeben munikative» Treppenhäuser oder grosse Genossenschaften können den gelebten Waschküchen, damit sich die Nachbarn Alltag auch mit ihrer Wohnungsvergaautomatisch immer wieder über den Weg bepolitik steuern: Je nachdem, an wen laufen. «Solche Überlegungen muss man sie eine Wohnung abgeben, entscheiden sich während der Planung machen. Dabei sie über die Zusammensetzung der Beist wichtig, nicht alles fertig zu planen, sonwohnerinnen und Bewohner hinsichtlich dern Gestaltungsmöglichkeiten zu lassen», Alter, Nationalität usw. und beeinflussen sagt Blumer. Damit die Bewohnerinnen damit die Nachbarschaft. Gemäss dem und Bewohner selber entscheiden können, Forschungsteam der Hochschule Luzern

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wie sie zum Beispiel den Innenhof ihrer Siedlung nutzen wollen. «Das fördert die Verbundenheit mit dem Zuhause und trägt dazu bei, dass man Verantwortung übernimmt. Es schweisst zusammen», so Blumer. Und darum geht es schliesslich. «Die Lebensformen, die Nationalitäten und Kulturen in unserer Gesellschaft werden immer vielfältiger, auch die Demografie verändert die Bevölkerungszusammensetzung. Wohnbaugenossenschaften sind mit ihren Mitwirkungsstrukturen prädestiniert, den Zusammenhalt zu fördern», sagt Emmenegger. Der Zusammenhalt der Gesellschaft beginnt also auch in kleinen Yvonne Anliker Gemeinschaften.

Das Projekt geht weiter Das Forschungsprojekt zu Nachbarschaften in genossenschaftlichen Wohnsiedlungen wird vom Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern geleitet. Mit von der Partie sind elf Genossenschaften, die Stiftung Domicil, zwei Regionalverbände der Dachorganisation Wohnbaugenossenschaften Schweiz und das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO). Die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes unterstützt das Projekt. In den vergangenen Monaten wurde mittels Interviews und in Workshops ausgearbeitet, welche Voraussetzungen es für tragfähige Nachbarschaften innerhalb von Genossenschaften braucht. In einer weiteren Etappe werden nun die beteiligten Organisationen zusammen mit der Hochschule Luzern Werkzeuge entwickeln, die Genossenschaften dabei unterstützen, das soziale Miteinander zu fördern und zu stärken. www.hslu.ch/nachbarschaftengenossenschaften


WOHNEN. LEBEN. SEIN.

«Viele Wohnungen entstehen am falschen Ort» Seit 2012 wurden jährlich mehr als 43’000 neue Wohnungen erstellt. In den Ballungsräumen hat sich der Wohnungsmarkt trotzdem nicht entspannt. Die Gründe dafür nennt Markus Schmidiger, Immobilienexperte der Hochschule Luzern. schriften. Diese verteuern und verlängern den Bauprozess teilweise unnötig.

Markus Schmidiger, ist Wohnen in der Schweiz zu teuer?

Durchschnittlich wendet ein Haushalt 15 Prozent seines Budgets für Wohnen und Energie auf. Dieser Anteil hat sich in den letzten Jahren nicht verändert. Anders die Ansprüche, die sind explodiert. Ein Beispiel: Heute beansprucht jede Person in der Schweiz 45 Quadratmeter Wohnfläche, das sind 40 Prozent mehr als 1970. Deshalb würde ich nicht grundsätzlich sagen, dass Wohnen hier teuer ist. Eine Zürcherin auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung würde widersprechen.

In den Ballungsräumen entstehen zu wenige Wohnungen, um den Bedarf zu decken. In der Konsequenz sind die Preise hoch. Über mangelnde Bautätigkeit können wir uns in der Schweiz aber nicht beklagen. Von 2012 bis 2014 wurden jährlich zwischen 43’000 und

Fotos: zVg, Hochschule Luzer n

50’000 neue Wohnungen erstellt.

Tatsächlich ist Bewegung in den Wohnungsmarkt gekommen. Grund dafür ist der Anlagedruck der Pensionskassen. Statt der Bank Negativzinsen zu entrichten, investieren sie ihr Geld in Immobilien. Zudem haben die Investoren dazugelernt: Bauten sie vor ein paar Jahren noch mehrheitlich grosse Luxuswohnungen, setzt sich langsam das Bewusstsein durch, dass kleinere Wohnungen gefragter sind. Und die Zuwanderung geht zurück. Dies alles führt dazu, dass wir schweizweit derzeit gar von einem leichten Überangebot auf dem Wohnungsmarkt sprechen können und die Mietzinse unter Druck geraten. Aber eben nicht überall.

Welche Rolle spielen Wohnbaugenossenschaften in der Schweizer Wohnbaupolitik?

Markus Schmidiger leitet das Kompetenzzentrum Immobilien der Hochschule Luzern.

Sie sind in Ballungsräumen wie Zürich und Luzern wichtige Akteure. Sie verfügen in diesen Regionen über einen relativ hohen Marktanteil und bieten preisgünstigen Wohnraum. Zudem sind viele Wohnbaugenossenschaften innovativ. Sie dienen konventionellen Anbietern durchaus als Vorbild in Sachen Quartierentwicklung, Wohnkonzepte und Grundrisse. Also bräuchte es mehr gemeinnützige Wohnbauträger?

Was ist der Grund dafür?

Weil viele Wohnungen am falschen Ort entstehen – also nicht dort, wo eine enorme Nachfrage besteht, wie etwa in den wirtschaftlichen Zentren. In ländlichen Gebieten hingegen ist das Angebot gross genug oder gar zu gross. Das Mietzinsniveau bewegt sich hier in einem vernünftigen Rahmen zwischen 180 und 200 Franken pro Quadratmeter. Wieso schafft es der «konventionelle Markt» nicht, in den Ballungsräumen genügend Wohnraum – auch preisgünstigen – zu erstellen?

Die Städte und Agglomerationsgemeinden reden zwar alle von Verdichtung. Wenn es jedoch darum geht, Gebiete aufzuzonen und eine höhere und engere Bauweise zu ermöglichen, krebsen viele zurück. Es braucht also mehr Mut, wollen wir mehr Menschen auf der gleichen Siedlungsfläche unterbringen. Und einen Abbau von Vor-

Nicht unbedingt, sie bilden einen Parallelmarkt, weil sie für ihre Wohnungen eine Kostenmiete verlangen: Die Miete deckt nur die effektiven Kosten, weil die Organisationen keinen Gewinn erzielen wollen. Eine Pensionskasse, die die Spargelder ihrer Anleger angemessen verzinsen muss, kann da nicht mithalten. Deshalb ist es ordnungspolitisch problematisch, wenn der Staat gemeinnützige Wohnbauträger mit fast kostenlosen Darlehen und Landbezügen zu Vorzugsbedingungen begünstigt, ohne dies an Bedingungen zu knüpfen. Was für Bedingungen?

Eine staatliche Bevorzugung macht nur Sinn, wenn die Wohnungen für sozial benachteiligte Personen erstellt werden. Dafür braucht es festgelegte Belegungsvorschriften oder Einkommensobergrenzen. Interview: Yvonne Anliker

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WOHNEN. LEBEN. SEIN.

Richtige Verteilung ist doppelter Gewinn In der Schweiz beanspruchen die Menschen immer mehr Wohnraum für sich. Zwei Ökonominnen der Hochschule Luzern zeigen nun ungeahntes «Sparpotenzial» auf: dort, wo Menschen ihr Zuhause zu gross finden.

Im Laufe eines Lebens verändert sich bei vielen Menschen oft der Bedarf an Wohnraum.

Heute braucht ein Paar in der Schweiz fast gleich viel Wohnfläche wie1960 eine vierköpfige Familie. Dass die Menschen immer mehr Raum beanspruchen, ist problematisch, denn der Boden ist knapp, das Land zersiedelt, naturnahe Flächen mit ihrer Artenvielfalt gehen verloren, und der Energiebedarf, besonders

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fürs Heizen, steigt. Der Trend zu immer mehr Wohnraum hat viele Gründe, etwa die veränderte Altersstruktur, der Wohlstand oder die Zunahme von Kleinhaushalten. «Es gibt einen weiteren Grund: die mangelhafte Übereinstimmung zwischen Wohnflächenkonsum und -bedarf.» Das sagt Gabrielle Wanzenried vom Departe-

ment Wirtschaft der Hochschule Luzern, die zusammen mit Katia Delbiaggio im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen eine Studie zum Thema durchgeführt hat. Ihre Erkenntnis: In 350 000 Schweizer Wohnungen leben Menschen, die auch mit weniger Wohnfläche zufrieden wären. Umgekehrt leben in rund


WOHNEN. LEBEN. SEIN.

Foto: fotolia / Ingo Bar tussek

250 000 Haushalten Personen, denen die Wohnung zu klein ist. Würde man diese Wohnobjekte neu verteilen, könnte man Fläche sparen. Mit ihrer Studie wollten die beiden Ökonominnen herausfinden, wer die Menschen sind, denen die eigenen vier Wände zu gross sind, und wo sie leben. Denn: «Diese Menschen sind am ehesten bereit, Wohnfläche zu sparen.»

Grosses Sparpotenzial im Alter Wie aber findet man jene, denen eine kleinere Wohnung reichen würde? Um diese Frage zu beantworten, mussten sich Delbiaggio und Wanzenried tief in die Statistik hineinknien. Sie arbeiteten mit den Daten des Schweizer Haushaltpanels, einer repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung, die auch Informationen zur subjektiven Einschätzung des Wohnflächenkonsums enthält. Die Wissenschaftlerinnen filterten die Variablen heraus, die es ausmachen, dass eine Wohnung als zu gross empfunden wird. Zentral ist das Alter. Je älter der Haushaltsvorstand, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass die Wohnung als zu gross beurteilt wird. «Die Wohnfläche wird dem Lebenszyklus zu wenig angepasst, besonders in der zweiten Lebenshälfte. Die Altersgruppe ab 65 Jahren beansprucht deutlich mehr Wohnfläche als der Schweizer Durchschnitt», weiss Wanzenried. Häufig sei es so, dass Eltern nach dem Auszug der Kinder in der grossen Familienwohnung wohnen blieben. Sterbe dann einer der Partner, finde der andere die Wohnung schnell zu gross. Alleinstehenden ist ihr Heim eher zu gross als Familien und Paaren ohne Kinder, Schweizern signifikant häufiger als Ausländern. Wer im Tessin wohnt, beurteilt seine Wohnung eher zu gross als ein Ostschweizer, Hauseigentümer eher als Wohnungsmieter. Das Einkommen hingegen hat kaum eine Wirkung auf den subjektiven Bedarf; es sind nicht nur die Gutverdienenden, die in zu grossen Wohnungen bleiben. «Eine Besteuerung der Wohnfläche, um einen nach eigenem Empfinden zu hohen Verbrauch unattraktiv zu machen, würde deshalb kaum einen Effekt haben», sagen die Studienautorinnen.

Linkes Reussufer

Littau

Rechte Seeseite

Rechtes Reussufer

Innenstadt

Stadt Luzern: Anteil an Haushalten mit zu grossem Wohnraum (%): 4,00 – 4,99 5,00 – 5,99

6,00 – 6,99 7,00 – 7,99

8,00 – 8,99 9,00 +

Linke Seeseite

Luzernerinnen und Luzerner, die ihre Wohnung als zu gross empfinden, wohnen besonders oft in privilegierten Quartieren links und rechts des Sees. Quelle: Hochschule Luzer n

Quartiergenaue Prognosen Vielversprechender ist es deshalb, mit anderen Massnahmen als einer Steuer bei den Haushalten anzusetzen, denen eine kleinere Wohnung reichen würde. Doch wo sind diese? Das wollten die beiden Forscherinnen für die Stadt Luzern herausfinden. Sie teilten die Haushalte nach den erhobenen Einflussvariablen in Gruppen

«Die Altersgruppe ab 65 Jahren beansprucht deutlich mehr Wohnfläche als der Schweizer Durchschnitt.» Gabrielle Wanzenried, Ökonomin Hochschule Luzern

ein. Nachdem sie herausgefunden hatten, welche Eigenschaften ein typischer Haushalt mit einem zu grossen Wohnobjekt hat, schätzten Delbiaggio und Wanzenried anschliessend für jede Gruppe die Wahrscheinlichkeit, die Wohnung als zu gross zu beurteilen. So wissen sie nun relativ genau, in welchen Luzerner Quartieren besonders viele Haushalte als zu gross ein-

gestuft werden: Es sind die privilegierten Wohnlagen links und rechts des Vierwaldstättersees. Der Anteil der Haushalte mit den zu grossen Wohnungen beträgt in der Stadt Luzern 6,06 Prozent, was tiefer ist als der Schweizer Durchschnitt mit 9,75 Prozent. Das liegt möglicherweise daran, dass in Luzern eher jüngere Leute und mehr Ausländerinnen und Ausländer leben als in anderen urbanen Regionen der Schweiz; zudem gibt es mehr Einpersonenhaushalte und Wohnungsmieter. «Es könnte relativ viel Fläche eingespart werden, wenn Menschen und Wohnobjekte besser aufeinander abgestimmt wären. Tauschplattformen für Wohnungen, Umzugsdienste für Senioren, mehr Wohnungen für ältere Menschen und für Singles könnten dabei helfen», sagt Katia Delbiaggio. Patrick Brünisholz, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Wohnungswesen, das die Studie in Auftrag gegeben hat, ist zufrieden: «Das Bundesamt wird die neuen Erkenntnisse den Kantonen und Gemeinden zur Verfügung stellen, damit diese Massnahmen ergreifen können, um den Wohnraum besser zu verteilen. Wir sehen in diesem Ansatz grosses Potenzial.» Eva Schümperli-Keller

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WOHNEN. LEBEN. SEIN.

Musizieren ohne Misstöne Suche grosse, schallisolierte Wohnung an ruhiger Lage: Als Studienkoordinator im Bereich Klassik, aber auch als Pianist kennt Peter Baur die Nöte von Musikerinnen und Musikern, eine perfekte Bleibe zu finden.

Peter Baur, wie wohnen Sie?

Ich habe glücklicherweise eine zweistöckige Wohnung mitten in der Stadt. Sie ist ideal für zwei Musiker mit Flügel. Früher gab es in den unteren Stockwerken nur Büros, da war die Situation natürlich einfacher. Unsere Instrumente stehen nun aber in der oberen Etage, sodass die Nachbarn unter uns kaum etwas hören. Welche Schwierigkeiten haben Musiker, eine passende Wohnung zu finden?

Viele Musiker suchen gezielt nach einer Wohnung, die für ihr Instrument geeignet ist. Manche brauchen mehr Platz oder gar einen eigenen Raum zum Üben. Da

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kann die Suche schon mal länger dauern oder die Miete höher ausfallen. Vor allem aber muss die Wohnung, was Lage oder Grundriss betrifft, passen. Schliesslich sollen sich ja möglichst wenige Leute gestört fühlen, seien es die eigenen Mitbewohner oder die Nachbarn. Ein Glücksfall wäre natürlich ein frei stehendes Haus, oder man tut sich mit anderen Musikern bei der Wohnungssuche zusammen. Kann das nicht auch untereinander zu Misstönen führen?

Das stimmt, auch Musiker können sich gegenseitig nerven. Ich denke nicht, dass


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Musikerinnen und Musiker zwangsläufig toleranter sind als andere. Konflikte mit Nachbarn kann es immer geben: Wenn der Hund des Nachbarn bellt, dann kann das einen Musiker genauso beim Üben stören, wie sein Musizieren den Nachbarn am Schlafen hindert. Was raten Sie Studierenden, die ja oft erstmals eine eigene Bleibe suchen?

Miteinander reden! Und zwar bevor man sich gegenseitig das Leben schwer macht. Ich empfehle, sich beim Einzug in eine Wohnung bei den Nachbarn vorzustellen, zu erklären, dass man Musik studiert und daher auch zu Hause üben muss. Gleichzeitig sollte man erfragen, zu welchen Zeiten die Nachbarn – abgesehen von durch Gemeinde, Mietvertrag oder Hausordnung vorgegebenen Ruhezeiten – nicht gestört werden möchten. Und man sollte darum bitten, dass sich Nachbarn umgehend bei einem melden, wenn sie genervt sind. Manchmal helfen auch kleine Deals, zum Beispiel das Angebot, ein Ständchen an der Geburtstagsfeier des Nachbarn zu spielen, wenn dieser verständnisvoller ist. Je mehr man im Vorfeld klärt oder in Streitsituationen miteinander redet, umso konzentrierter lässt es sich nachher üben.

Fotos: iStock / Hogo / walterbilotta, zVg

Nicht nur zu Hause, sondern auch im Studienalltag braucht es eine gewisse Rücksichtnahme auf andere …

Im Hauptgebäude auf Dreilinden, wo auch unser Büro ist, klingt es durch die Wände und Decken. Aber schliesslich ist die über hundertjährige Villa nicht als Musikgebäude gebaut worden. Daher darf hier nicht auf besonders lauten Instrumenten geübt werden. Und klar: Es ist nicht angenehm, jemandem beim mehrmaligen Wiederholen von schwierigen Passagen zuzuhören. Vom geplanten Neubau des Departements Musik erhoffe ich mir deutliche Verbesserungen, was die Akustik, aber auch den zur Verfügung stehenden Platz betrifft. Kürzlich startete übrigens ein Forschungsprojekt zusammen mit dem Departement Tech-

nik & Architektur. Es befasst sich mit der Frage, wie Gebäude, die nicht für die Musik vorgesehen waren, dafür umgenutzt werden können. Wenn man als Musiker nicht das Glück hat, in einem «musiktauglichen» Gebäude zu wohnen oder nette Nachbarn zu haben, welche Möglichkeiten gibt es sonst noch?

Für einige Instrumente, wie Piano, Schlagzeug oder Streichinstrumente, gibt es mechanisch-elektronische Alternativen, die wenig bis gar nicht von den Nachbarn zu hören sind. Diese können aber die Originale nur bedingt ersetzen. Gesangsstu-

dierende oder Musiker mit Blasinstrumenten sind oft dazu gezwungen, sich einen Proberaum zu suchen. Im Gegensatz zu den Pianisten sind sie aber wenigstens mobil. Wer bei uns studiert, kann die Unterrichtsräume der Hochschule von morgens 7:00 Uhr bis abends 22:00 Uhr zum Üben nutzen. Interview: Simone Busch

Peter Baur ist Studienkoordinator Bachelor Klassik am Departement Musik der Hochschule Luzern.

Neubau: Genau hingehört im Musterraum für Akustik Im Neubau des Departements Musik der Hochschule Luzern in Kriens stehen den Dozierenden und Studierenden ab 2019 über 80 Probeund Unterrichtsräume, zwischen 25 und 80 m2 gross, zur Verfügung. Bereits jetzt wird ein Raumtypus, nämlich jener eines Einzelunterrichtsraums mit 44 m2, ausgiebig getestet. Die Herausforderung dabei: Je nach Instrument, Ensemblegrösse oder Musikgattung sind die Anforderungen an einen solchen Raum ganz verschieden. «Ein Schlagzeug klingt anders als eine Gitarre, eine Jazzband anders als eine klassische Sängerin. Für die einen braucht es etwas mehr Hall, für die anderen weniger», sagt Departementsdirektor Michael Kaufmann. Verantwortlich für die Raumakustik ist das renommierte Planungsbüro applied acoustics GmbH aus Gelterkinden. Die Akustikspezialisten führten im Musterraum eine Reihe von Messungen durch: unter anderem dazu, wie sich der Schall ausbreitet und welche Eigenschaften des Raums den Klang günstig

oder eben ungünstig beeinflussen. Akustisch wirksame Decken- und Wandelemente wie auch Vorhänge wurden nach den Vorgaben der Architekten und Akustiker installiert. «Sie sorgen dafür, dass die Lautstärke nicht zu hoch wird, der Schall diffus reflektiert wird und dadurch ein der Musik dienlicher Nachhall entstehen kann», so Akustiker Markus Spinnler. Vorhänge hätten zudem den Vorteil, dass Nutzerinnen und Nutzer die Raumakustik individuell anpassen können. Im letzten Herbst wurde der Musterraum von vielen Studierenden und Dozierenden getestet. Ihre Feedbacks fliessen nun in die Weiterentwicklung ein. Der Prototyp soll bis zum Frühjahr 2017 optimiert und danach nochmals getestet werden. Michael Kaufmann ist sich sicher: «Den perfekten Proberaum für jede Instrumentengruppe gibt es nicht. Aber wir werden dank des optimierten Prototyps eine bessere Situation haben als in unseren jetzigen Gebäuden, die ursprünglich nicht fürs Musizieren gemacht worden sind.» www.hslu.ch/neubau-musik

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WOHNEN. LEBEN. SEIN.

Zuhause auf Zeit: So stellt sich die Genossenschaft Senang Domicile eine temporäre Siedlung vor, die aus umgebauten Seefrachtcontainern besteht.

Eine «glückliche Hütte» für Kreative Kompakte Wohn- und Arbeitsräume auf Zeit, die auch noch gemütlich sind und Atmosphäre haben. Studierende der Hochschule Luzern zeigen, was sich aus Frachtcontainern machen lässt. In Adligenswil soll eine ganze Containersiedlung entstehen – für Kreative und Studierende.

Auf den ersten Blick könnte es auch ein modernes kleines Wohnhaus sein. Bei näherer Betrachtung sieht man die Betonsockel, auf denen die Behausung steht – und dass sie eigentlich ein gebrauchter Schiffscontainer ist. Bis jetzt gibt es erst eine Visualisierung dieser mobilen Wohneinheit, doch in Adligenswil im Kanton

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Luzern wird in wenigen Monaten ein erster Prototyp stehen. «Es gibt wenig günstige Wohnungen und Arbeitsräume für Studierende oder Künstlerinnen und Künstler», sagt Urban Frye, Kulturwissenschaftler und Ökonom aus Luzern. Sein Lösungsansatz: auf temporären Freiflächen wie Industriebrachen Wohn- und Arbeitsräume auf

Zeit schaffen. Frye wandte sich mit seiner Idee an das interdisziplinäre Forschungslabor CreaLab der Hochschule Luzern.

Auch ein soziales Projekt Das CreaLab entwickelte Fryes Ansatz weiter und startete ein Projekt mit Seefrachtcontainern. Das Ziel: 25 Quadratmeter Fläche so zu


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gestalten, dass eine Person darin wohnen und arbeiten kann. Und: Ein Container mit Einrichtung soll maximal 35’000 Franken kosten. In das Projekt waren auch über 20 Innenarchitektur-Studierende involviert, die eng mit den Dozierenden und dem Praxispartner Frye zusammenarbeiteten. In einer ersten Phase entwarfen die Studierenden Innenräume mit einem Wohn- und einem Arbeitsbereich. Danach erstellten sie Baupläne und Kostenvoranschläge – inklusive Lösungen für Transport und Aufbau. Auf der Suche nach einer günstigen, aber sozialverträglichen Möglichkeit, gebrauchte Container auszubauen, wurde das Team um Frye in Indonesien fündig, wo die Stiftung ATMI diverse Lehrwerkstätten betreibt und junge Menschen nach dem schweizerischen Vorbild in handwerklichen Berufen ausbildet. Gemeinsam gründeten Urban Frye und Christine Larbig vom CreaLab zusammen mit wei-

teren Kollegen die Genossenschaft Senang Domicile – der indonesisch-englische Name für «glückliche Hütte». «Die soziale Orientierung ist uns sehr wichtig bei diesem Projekt», sagt Christine Larbig. Dies sowie das Bestreben, mit dem Einsatz von einfachen Mitteln der Gebäudetechnik eine energieeffiziente temporäre Bleibe

«Es gibt wenig günstige Wohnungen und Arbeitsräume für Studierende oder Künstlerinnen und Künstler.»

Laut Larbig wird die erste «glückliche Hütte» im März in Adligenswil beim Museum 1 auf einer Brache aufgebaut. An diesem Prototyp wird dann untersucht, ob noch Optimierungen möglich sind. Die Weiterentwicklung erfolgt in einem interdisziplinären Team. Unterstützt wird das Projekt zudem von der Missionsgesellschaft Bethlehem und den Jesuiten Weltweit, der Gründerorganisation von ATMI. Bewährt sich der Prototyp, soll auf der Brache eine kleine Containersiedlung für Ausstellungen, Ateliers, Workshops und andere Veranstaltungen entstehen. Daniel von Känel

Urban Frye, Kulturwissenschaftler und Ökonom

zu schaffen, unterscheide das Projekt von anderen Containersiedlungen. Und: «Dank der Innenraumgestaltung macht sich auch Behaglichkeit breit.»

So haben die Innenarchitektur-Studierenden den Innenraum geplant: www.hslu.ch/mz2402

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Unsere Zukunft Hasliberg Ein Holzzentrum, ein Mehrgenerationenhaus und Präsentationsmöglichkeiten für das Kleingewerbe: Die Bevölkerung von Hasliberg will ihr Dorf in eine Zukunft nach der Zweitwohnungsinitiative führen. Begleitet von der Hochschule Luzern.

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Fachhochschule ein Holznetzwerk auf, um die verschiedenen Branchen der Holzwirtschaft in der Region zu stärken. Und das geplante Generationenhaus soll dafür sorgen, dass die älteren Hasliberger möglichst lange im Dorf wohnen bleiben können. Im gleichen Gebäude sollen zudem günstige Wohnungen für Familien entstehen. Auch die Jüngsten setzen Ideen um: Kinder sammelten Geld für einen Sandstrand am Badesee. Und Landwirtinnen und Landwirte laden Feriengäste ein, auf ihren Höfen und Alpen mitanzupacken

Alle machen mit Eine App vernetzt Gemeindemitglieder und informiert über Freiwilligeneinsätze. Im Mai 2016 wurde der Verein «Netzwerk Hasliberg» gegründet, der das Zusammenleben zwischen Einheimischen und Auswärtigen fördert und die Ressourcen der Zweitwohnungsbesitzer nutzt, um Projekte der Gemeinde personell und finanziell zu unterstützen. Bereits zeigen andere Gemeinden Interesse an der Verwandlung. Gemeindepräsidentin Weber: «Sie merken: Es tut sich etwas am Eva Schümperli-Keller Hasliberg.» www.zukunfthasliberg.ch

Foto: Bettina Wüthr ich

Hasliberg ist stark vom Tourismus abhängig. Die grosse Mehrheit der Wohnungen sind Zweitwohnungen. Die Zweitwohnungsinitiative, die diesen Anteil seit 2012 beschränkt, droht die Bauwirtschaft und das stark in der Region verankerte Holzgewerbe in Bedrängnis zu bringen. «Die Aufträge für Neubauten fehlen. Wir fürchten, dass Arbeits- und Ausbildungsplätze verloren gehen und die Jungen abwandern», sagt Gemeindepräsidentin Sandra Weber. Expertinnen und Experten der Auch die Kinder engagieren sich für eine erfolgreiche Zukunft der Gemeinde Hasliberg. Hochschule Luzern haben im Rahmen des interdisziplinären Schwerpunkts «Tourismus und nachhaleiner Versammlung ein. Rund hundert Pertige Entwicklung» die Situation analysiert. sonen nahmen teil und trugen praktische, Ihr Fazit: Dem Dorf fehlt ein Zentrum – aber auch visionäre Ideen für eine erfolgreials Begegnungsort und für Gewerbefläche Zukunft zusammen. Seither arbeiten chen der Kleinbetriebe. Und ausserhalb Einwohnerinnen und Einwohner sowie der Hauptsaison bleiben viele Betten kalt. Ferienhausbesitzer mit Unterstützung der Hasliberg muss sich neu positionieren. Hochschule Luzern an deren Umsetzung. Die Zwischenbilanz lässt sich sehen. Praktische und visionäre Ideen UnDas Baugewerbe konzentriert sich verter dem Titel «Zukunft Hasliberg» luden mehrt aufs Renovieren: Auf einem Parder Gemeinderat und das Projektteam der cours durch die Gemeinde konnten sich Hochschule Luzern unter der Leitung von Interessierte sanierte Objekte ansehen. Alex Willener, Dozent und Projektleiter am Das Interesse war so gross, dass nun eine Departement Soziale Arbeit, Einheimische Gewerbeausstellung organisiert wird. Dazu und Besitzer von Ferienwohnungen zu baut die Hochschule Luzern mit der Berner


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«Gentrifizierung ist kein Naturgesetz» Schnell günstige Wohnungen in hoher Qualität bauen, die auch noch flexibel nutzbar sind – das ist keine Utopie, glaubt Architekt Peter Schwehr. Er arbeitet an neuen Wohnkonzepten, den Variowohnungen. Seine Experimentierfelder: die Boomstädte Zürich und Berlin.

Wie sich die Anpassungsfähigkeit von Wohnbauten verbessern lässt, das analysiert Peter Schwehr mit seinem Team in der Schweiz und in Deutschland.

Peter Schwehr, welche Faktoren beeinflussen den Preis von Wohnraum besonders stark?

Zuallererst der Bodenpreis. Wenn mit dem Boden spekuliert wird, wirkt sich das später direkt auf die Mietkosten aus. Weiter kostenrelevant sind unter anderem die Wohnungsgrösse, die Ausstattung der

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Wohnung und die gestiegenen gesetzlichen Standards. All das schlägt sich in den Baukosten nieder. Woran wird beim Bau von günstigeren Wohnungen gespart?

Die Baukosten lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen senken, zum Beispiel kann

der Bauherr mit der Stadt über eine geringere Anzahl von Stellplätzen verhandeln, da hier der Bedarf eigentlich abnimmt. Ferner gibt es im Bauprozess Möglichkeiten, zu sparen, etwa durch standardisierte Bauteile. Nicht zuletzt spielt die Förderung von Genossenschaften eine grosse Rolle, sie sind nicht gewinnorientiert.


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Welche Mindestanforderungen muss eine Wohnung erfüllen, damit man sich darin wohl fühlen kann?

Das ist sehr subjektiv. Neben üblichen Komfortfaktoren wie zum Beispiel Licht und Klima spielen Funktionalität und Anpassungsfähigkeit der Wohnung eine grosse Rolle: Verfügen die Zimmer über vernünftige Proportionen, dann ermöglichen sie unterschiedliche Nutzungen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Nachbarschaft, die Qualität des direkten Wohnumfeldes. In Zürich und Berlin gibt es einige Neubauprojekte, die vorbildlich sind. Wodurch zeichnen sie sich aus?

Wir haben verschiedene Bauten mit günstigen Wohnungen analysiert, unter anderem in Zürich das Wohn- und Gewerbehaus Kalkbreite und das Kraftwerk 2 mit über 50 Wohnungen sowie verschiedene Gebäude in Berlin, die günstige Wohnungen bieten. All diese Bauten verfügen über ein grosses Angebot an gemeinschaftlichen Räumen, beispielsweise eine Gemeinschaftsküche. Dadurch kann

«Variowohnen steht für Wohnkonzepte, die flexibel auf die besonderen Anforderungen unterschiedlicher Nutzergruppen eingehen.»

Foto: Ingo Höhn

die Küche in der einzelnen Wohnung kleiner sein. Und zusätzlich wird eine durchmischte Bewohnerschaft im Gebäude angestrebt. Die Wohnungen werden an verschiedene Alters- und Sozialschichten vermietet. Können diese Vorzeigeprojekte das generelle Problem der Gentrifizierung, die Abwanderung ärmerer Bevölkerungsschichten aus bestimmten Quartieren, lösen?

Gentrifizierung ist kein Naturgesetz. Sie lässt sich bekämpfen, wenn der Bau be-

zahlbarer Wohnungen gefördert wird, ebenso wie eine bewusste soziale Durchmischung, die genannten Beispiele zeigen dies eindrücklich. Das Zusammenleben von Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen und Lebensphasen verhindert eine «Ghettoisierung».

Einzelwohnungen zu einer grösseren Einheit, einer Familienwohnung oder WG, zusammengeschlossen werden.

Sie sind jetzt in ein Wohnbauprojekt in Berlin eingebunden. Was unterscheidet Berlin von Zürich?

Mit diesen Konzepten wird man flexibler auf demografische Veränderungen reagieren können: auf den zyklischen Zu- oder Wegzug von Menschen ebenso wie auf sich verändernde Bedürfnisse einer älter werdenden Gesellschaft.

Berlin wächst pro Jahr um 80’000 bis 100’000 Einwohner. Die Stadt braucht dringend und schnell günstigen Wohnraum, unter anderem auf Grund der hohen Flüchtlingszahlen. Da ist grosse Dynamik gefordert, beim Wohnungsbau dürfen neue Strategien ausprobiert und auch Fehler gemacht werden. Eine Haltung, die in Zürich nur schwer vorstellbar ist. Aber die Brisanz explodierender Mieten und die Verdrängung Alteingesessener sind in beiden Städten gleich. In Zürich liegt die Leerstandsquote von Wohnungen bei 0,22 Prozent – und leer stehen vor allem sehr teure Wohnungen, günstige sind kaum ausgeschrieben.

Das deutsche Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung fördert dieses Modell. Was verspricht sich die Politik davon?

Interview: Sarah Nigg

Peter Schwehr leitet das Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur (CCTP) am Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern.

Was ist Ihre Aufgabe in Berlin?

Unser Kompetenzzentrum ist Partner in einem Neubauprojekt. Im Stadtteil Marzahn entstehen bis 2019 fünf Häuser mit kostengünstigen Wohnungen. Eines dieser Häuser wird als Pilotprojekt in grosser Anzahl sogenannte «Variowohnungen» enthalten. Diese Typologie und das Umsetzungskonzept haben wir gemeinsam mit den Architekten und dem verantwortlichen Wohnungsbauunternehmen entwickelt. Was bedeutet «Variowohnen»?

Das sind Wohnkonzepte, die flexibel auf die besonderen Anforderungen von unterschiedlichen Nutzergruppen eingehen, wie Studierende, Auszubildende, Rentner und Flüchtlinge. Die Wohnungen verfügen über vernünftig proportionierte Räume. Je nach Ausprägung haben sie eine Kochnische und ein Bad. Über grössere Gemeinschaftszonen können diese

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Das charakteristische Ortsbild von Rigi Kaltbad: Zusammen mit Gemeinde und Eigentümern werden vorbildliche Sanierungslösungen entwickelt.

Das Vorzeigedorf Holzhäuser prägen das Ortsbild in vielen Bergdörfern der Schweiz. Wenn sie saniert werden, muss dies mit dem Ortsbildschutz vereinbar sein. Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern findet in Rigi Kaltbad Lösungen dafür, die auch auf andere Bergregionen übertragbar sind.

Auf den ersten Blick ist Rigi Kaltbad eine heile Welt. Die Siedlung der Gemeinde Weggis befindet sich auf 1’453 Metern über Meer. Verstreut am Hang liegen die traditionellen, teilweise denkmalgeschützten Chalets und Gebäude in Holzbauweise. «Sie machen den Charme von Rigi Kaltbad aus und prägen mit den Bäumen und Alpwiesen das Dorfbild», sagt der Gemeindeammann von Weggis, Baptist Lottenbach. Von Amtes wegen schaut er aber auch hinter die Fassade: «Zwei Drittel des Gebäudebestandes müssten heute saniert werden», konstatiert er. Dazu gehören Ferienhäuser ebenso wie Hotels oder ganzjährig bewohnte Bauten.

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Gerade in Bezug auf das Ortsbild müssen Sanierungen sorgfältig durchgeführt werden. Eine Holzfassade darf nicht einfach durch eine Aussendämmung mit Eternitschindeln oder Putz ersetzt werden. «Das verunstaltet die Chalets und kann alte Bausubstanz zerstören», so der Gemeindeammann. Der bevorzugte Baustoff für eine Sanierung ist also Holz. Es gewährleistet die Weiterentwicklung der Bautradition in Bergdörfern wie Rigi Kaltbad, zudem ist er vor Ort verfügbar, erneuerbar und CO2-neutral.

Lokales Wissen mit Fachwissen kombiniert Ein Team von Architektinnen,

Energietechnikingenieuren, Sozialwissenschaftlerinnen und Touristikern der Hochschule Luzern hat im zweijährigen Forschungsprojekt «Holzbau & Erneuerbare Energien» die Situation in Rigi Kaltbad untersucht. Da die Ausgangslage auf andere Schweizer Bergregionen übertragbar ist, unterstützen das Bundesamt für Umwelt (BAFU) und das Bundesamt für Energie (BFE) das Projekt finanziell. In Rigi Kaltbad wurden 50 Häuser analysiert, dann mit der Gemeinde Weggis und einer Kerngruppe von 20 Eigentümerinnen und Eigentümern zahlreiche Workshops durchgeführt. «So haben wir lokales Wissen und Fachwissen kombi-


WOHNEN. LEBEN. SEIN.

Sanierungsstandards «BRONZE»

Warm

Warm

Kalt

Bauteile, die beheizte von unbeheizten Räumen trennen, werden gedämmt (Kellerdecken, Decken zum Dachboden, Treppen usw.). Heizungsleitungen werden isoliert und Fenster, wenn möglich, mit Glasersatz verbessert. Restenergie wird durch erneuerbare Energie vor Ort abgedeckt.

«SILBER»

terkellerung. Der dritte Typ ist ein Holzhaus mit warmem Sockelgeschoss und (teil-)ausgebautem Dachgeschoss.

Das Maximum ist oft nicht möglich «PLUS» Für die Sanierungsvorschläge wählte das

Warm

Warm

Kalt

Zusätzlich werden die Aussenwände von innen und das Dach gedämmt sowie die Fenster ausgetauscht.

«PLUS» Foto: Hochschule Luzer n, Grafiken: CC T P / Hochschule Luzer n

niert», sagt Projektleiterin Ulrike Sturm mit erneuerbaren Energien aus Solarpanels vom Kompetenzzentrum für Typologie abgedeckt werden. Die Sanierungsvor«SILBER» «PLUS» & Planung in Architektur. «Die Leute von schläge liegen nun auf dem Tisch. Baptist hier wissen viel über die Geschichte ihrer Lottenbach, der das Projekt initiiert hat, ist Häuser, wir informierten über den Bauzufrieden: «In manchen Fällen schien die stoff Holz und zeigten SanierungsmögLage aussichtslos, die Hochschule Luzern WarmKonkret entwickelte das lichkeiten auf.» hat nunWarm mögliche Lösungen aufgezeigt. Forschungsteam der Hochschule Luzern Jetzt liegt es an den Eigentümerinnen und Vorschläge, die sich für die Sanierungen Eigentümern, für ihr Gebäude den bestWarm Warm von drei Gebäudetypen eignen: Gebäudemöglichen Weg zu wählen.» Sarah Nigg typ eins ist ein Holzhaus mit unbeheiztem, kaltem Sockelgeschoss Kalt und (teil-)ausgeKalt bautem Dachgeschoss. Typ zwei ist ein Holzhaus mit warmem Sockelgeschoss, Breite Allianz für Sanierung von Holzbauten kaltem Dachgeschoss und einer (Teil-)Un-

Warm

Warm

Kalt

Das umfassendste Massnahmenpaket beinhaltet eine Vielzahl von Eingriffen und verändert auch die Aussenansicht der Fassaden.

Forschungsteam einen pragmatischen Ansatz. «Durch eine Gebäudesanierung sollte immer das Maximum an Energie eingespart werden. Wenn aber der Ortsbildschutz Warm oder beschränkte Finanzen hineinspielen, ist das oft nicht möglich», so Sturm. Warm Im Projekt wurden deshalb für jeden der drei Gebäudetypen die drei Sanierungsstandards «Bronze», «Silber» und «Plus» Kalt entwickelt. Das Vorgehen «Bronze» ist für jene Eigentümer, die auf Grund des Ortsbildschutzes die Gebäudehülle gar nicht antasten dürfen und eine Innendämmung nur schwer realisieren können. Es lassen sich jedoch bereits durch nicht sichtbare Massnahmen Verbesserungen erzielen, beispielsweise durch die Dämmung der obersten Geschossdecke zum Dachraum. Mit der Sanierung «Bronze» sind Einsparungen von bis zu 40 Prozent möglich. Mit der Sanierung «Silber» sind es sogar 60 bis 70 Prozent. Diese sieht zusätzlich eine moderate Innendämmung und Fenstersanierung vor. Bei der Sanierung «Plus» geht fast keine Energie mehr verloren, die Einsparung beträgt über 80 Prozent. Diese Variante ist jedoch mit tiefen Eingriffen und hohen Kosten verbunden. In allen drei Varianten könnte der verbleibende Energiebedarf so weit als möglich

Das Projekt «Holzbau & Erneuerbare Energien Rigi Kaltbad» wird im Rahmen des interdisziplinären Schwerpunkts «Tourismus und nachhaltige Entwicklung» der Hochschule Luzern realisiert: Dafür arbeiten die drei Departemente Technik & Architektur, Soziale Arbeit und Wirtschaft mit der Gemeinde Weggis zusammen. Partner sind zudem zahlreiche Unternehmen: Pavatex SA, EWS Elektrizitätswerk Schwyz AG, Haupt AG, Bisang AG, Lignum Holzbau, Holzbau Schweiz, Pirmin Jung Ingenieure AG, Meyer Burger AG sowie das Centre de Recherches Energétiques et Municipales in Martigny. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) (Aktionsplan Holz) und das Bundesamt für Energie (BFE) unterstützen das Projekt. Weitere Informationen: www.hslu.ch/holzbau-rigikaltbad Mitte 2017 erscheint die Publikation «Holzbau-Sanierung mit erneuerbaren Energien – ein roter Faden für Bauherrschaften». Bestellung unter www.lignum.ch

Alternativen zum Öl. Wie Rigi Kaltbad die Energieversorgung umstellen will, lesen Sie unter: www.hslu.ch/mz2404

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WOHNEN. LEBEN. SEIN.

«Bühne oder Wohnhöhle, das ist die Frage» Die Psychoanalytikerin Ingrid Feigl schreibt seit neun Jahren für die Rubrik «Wer wohnt da?», die monatlich im «NZZ-Folio» erscheint. Ein Gespräch über die Wohnung als Spiegel der Seele, das Verbot von kuscheligen Decken und gelungene Innenarchitektur.

Sie sind Psychoanalytikerin, gleichzeitig beschäftigen Sie sich sehr damit, wie Menschen wohnen. Was hat das miteinander zu tun?

Auf den ersten Blick gar nichts, aber das Thema Wohnen ist ja was Existenzielles, es dreht sich beides um Räume. Als Psychoanalytikerin rede ich mit den Leuten über ihre inneren Räume, ihre Inneneinrichtung sozusagen. Da kann man eine Parallele sehen. Kommt daher Ihre Vorliebe für die Psychologie des Wohnens?

Schwer zu sagen. Ich war Einzelkind, viel zu Hause, gerne in meinem Zimmer, meine Mutter legte Wert auf schöne Tapeten und solche Dinge. Obwohl wir in eher einfachen Verhältnissen lebten. Vielleicht ist da etwas hängengeblieben? Sie schreiben für die Kolumne «Wer wohnt da?» im «NZZ-Folio». Sie stellen anhand von nur drei Fotografien Vermutungen darüber an, wer in einer bestimmten Wohnung leben könnte. Was fasziniert Sie an dieser Aufgabe?

Zum einen das, was alle daran interessiert: Der Schlüssellochblick in fremde Wohnungen, ins Privateste, befriedigt eine urkindliche Neugier. Zum anderen muss ich zu den Fotografien einen Text schreiben – und das kenne ich aus meinem Beruf überhaupt nicht. Ich versuche, die Person auf- und herauszuspüren und eine

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Geschichte zu schreiben, auf so kleinem Raum ist das recht anspruchsvoll. Aber es macht auch Spass, am Schluss ein fertiges Produkt in die Hand zu bekommen, etwas, das ich in meinem Beruf ja nicht habe. Wie ist das Gefühl, wenn Sie die Auflösung lesen?

Ich bin immer gespannt. Ich lese sie ja auch erst im gedruckten Heft. Und denke natürlich auch: Habe ich es getroffen oder nicht? Aber das ist nicht das Primäre. Es wäre langweilig, wenn ich immer richtig läge. Ich kann mich auch mal verhauen und gönne dem Leser die Schadenfreude. Und bin manchmal selbst irritiert: Da wohnt eine Familie? Aber warum sehe ich die Kinderspuren in der Wohnung nicht? Manchmal treffe ich es bis auf den Punkt, dann freue ich mich auch. Ist die Wohnung der Spiegel der Seele?

Ja. Eine Wohnung ist etwas Ur-Privates, etwas Essenzielles, Persönliches. Man hat das Copyright und Carte blanche für alles, was man macht. Viel mehr noch als bei der Kleidung, die etwa den Regeln in einer Firma unterliegt. In der Wohnung können Sie tun und lassen, was Sie wollen. Sie ist Sicherheit, Geborgenheit, Rückzugsort, Kokon, Wohnhöhle. Sie ist aber auch etwas Beständiges, man wechselt sie nicht wie Winter- und Sommergarderobe, sondern übernimmt vielleicht auch traditionelle Familienmöbel.

Aber manche Wohnungen wirken wie Repräsentationsräume?

Ja, eine Wohnung kann auch Bühne sein, sozialer Ort. In manchen hat man das Gefühl, in einer Galerie oder einem Museum zu stehen. Sie sind toll eingerichtet und gestylt, wirken aber unbeseelt, als Herzeige- und Prestigeort. Da haben sich auch Grenzen des In&Out verschoben. Man ist zu Hause rund um die Uhr mit der Welt vernetzt, und umgekehrt sitzen junge Leute in Cafés wie in ihrer Stube, arbeiten dort stundenlang am Computer. Oder denken Sie an die Wohnungen mit den grossen Glasfronten, die oft keine Vorhänge haben. Da nehmen die Bewohner durchaus in Kauf, dass sie im Schaufenster leben.

Zur Person Ingrid Feigl, geb. 1954, studierte Psychologie in Zürich, liess sich am Psychoanalytischen Seminar Zürich (PSZ) zur Psychoanalytikerin ausbilden und ist dort heute noch engagiert. Seit 1985 ist sie Psychoanalytikerin in einer eigenen Praxis in Zürich. Seit 2007 schreibt sie für die Kolumne «Wer wohnt da?» im monatlich erscheinenden «NZZ-Folio». Anhand von drei Fotografien stellt sie zusammen mit einem Innenarchitekten, derzeit Jürg Boner, Vermutungen darüber an, wer in einer bestimmten Wohnung leben könnte.


Fotos: Andreas Schwaiger

RUBRIK

Psychoanalytikerin Ingrid Feigl interessiert sich nicht nur für die inneren Räume von Menschen, sondern auch für ihre Inneneinrichtung.

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WOHNEN. LEBEN. SEIN.

Ist das ein Zeichen für Extrovertiertheit?

Das ist schon exhibitionistisch. Ist es so einfach?

Man kann an der Wohnung durchaus ablesen, ob einer introvertiert oder extrovertiert ist, mehr auf Sicherheit bedacht oder ob es bei ihm keine Rolle spielt, eine feste Bleibe zu haben, ob Leute experimentierfreudiger sind oder eher wertkonservativ. Aber heute kauft man keine Einrichtung mehr fürs Leben. Wie erklären Sie dann, dass Menschen ihre Einrichtung mit der Mode ändern oder in Wohnungen leben, in denen man kaum einen persönlichen Stil findet?

Das ist Unsicherheit. Es gibt Wohnungen, die sind eingerichtet, sind gewachsen. Und es gibt eingekaufte Wohnungen. Wenn jemand unsicher ist, dann geht er zum Wohnberater oder ins Möbelhaus – je nach Budget – und richtet sich so ein, wie man es im Katalog sieht. Oder er wechselt seinen Geschmack mit der Mode. Dabei passt nicht jedes Design, das angesagt ist, zu einem. In manchen Wohnungen stimmt alles, alles ist richtig, aber man sieht die Bewohner nicht darin. Manchen ist die persönliche Gestaltung ihres Daheims nicht so wichtig. Rationalen Typen vielleicht oder solchen, die draussen sehr viel Leben und Buntheit haben. Gibt es andersherum eine Wechselwirkung von der Wohnung auf den Menschen?

Ja. Es gibt schlecht gestaltete Räume und schlecht gestaltete Häuser. Schon in manchen Treppenhäusern kann man schlechte Laune bekommen. Und es gibt Menschen, denen es nicht gelingt, sich so einzurichten, dass ihnen wohl ist. Sie kennen ihre Bedürfnisse nicht. Solchen begegne ich in meinem Berufsalltag oft. Viele haben so Über-Ich-hafte Vorstellungen. Eine meiner Patientinnen hätte gerne eine kuschelige Kunstfelldecke gehabt. Sie hat es sich lange verboten, weil man so etwas nicht hat, wenn man jung, emanzipiert und modern ist.

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Hilft es Ihnen, die Wohnungseinrichtung eines Patienten zu kennen?

Nein, im Gegenteil, es würde stören. Wichtig ist das innere Erleben der Patienten, was und wie sie erzählen. Manche erzählen auch von ihren Wohnungen, projizieren auch sehr viel hinein, das Einrichten wird fast schon zum Selbstfindungstrip. In einer langjährigen Analyse war es ein grosses Thema, welches Rot sie für das Zimmer nehmen sollte. Ich dachte: Na, wenn sie das richtige Rot gefunden hat, dann ist die Analyse fertig. Und so war es.

tekt im «NZZ-Folio» die Wohnungen beurteilt hat, hat gesagt: «Der Innenarchitekt soll Steigbügelhalter sein.» Das stimmt. Er soll die Kunden und ihre Bedürfnisse zu spüren versuchen und Hilfestellung geben. Und ihnen nichts aufdrängen, was nicht zu ihnen passt.

Manche Menschen, die ihr Leben ändern wollen, ändern erst mal die Einrichtung. Hilft das?

Es gibt beides: Es soll etwas passieren, also baut man die Wohnung um, aber es passiert trotzdem nichts. Meistens passiert etwas, weil sich das Leben ändert. Erst gab es bei mir die Studentenbude, dann die WG und dann die Familie, jetzt wohne ich allein – mit dem veränderten Leben ändern sich die Wohnbedürfnisse.

Was halten Sie von der Entwicklung «smarter» Wohnungen?

Technikfreaks werden das toll finden. Aber ich möchte nicht, dass mir alles abgenommen wird. Ich will auch drüber nachdenken müssen, welches Licht ich anmache und was ich einkaufen muss. Ich schaue gerne selbst in den Kühlschrank, gehe gerne einkaufen, auch einfach nur schauen. Die Sachen müssen dabei auch mich finden, selbst im Alltag. Für mich ist das nicht verlorene Zeit, sondern Alltagszeit, die nützlich und wichtig ist. Sie schauen den Leuten recht viel in die Wohnung. Aber Ihre eigene Wohnung ist nirgendwo zu sehen. Ist das Zufall?

«Es gibt Wohnungen, die sind eingerichtet, sind gewachsen. Und es gibt eingekaufte Wohnungen.»

Nein. Meine Wohnung ist mein Privatraum. Das hat auch mit meinem Beruf zu tun, denn ich bin für die Patienten auch Projektionsfigur, wie eine weisse Wand, auf die sie ihre Bilder und Phantasien projizieren. Und das soll so bleiben.

Die Hochschule Luzern bildet Architektinnen und Innenarchitekten aus. Was würden Sie den Studierenden beibringen wollen?

Sigrid Cariola / Valeria Heintges

Sie müssen lernen, Menschen zu verstehen, ihre Ideen müssen alltagstauglich sein. Sie sollen nicht ihre eigenen wahnsinnigen Ideen durchsetzen wollen. Stefan Zwicky, der vor Jürg Boner als Innenarchi-

Sechs Tipps von Ingrid Feigl: So richten Sie Ihre Wohnung nach dem Umzug ein. www.hslu.ch/mz2405


WOHNEN. LEBEN. SEIN.

Blick hinter die Haustür Mehr oder weniger Platz, alleine oder gemeinsam, mit Garage oder Parkplatz, am liebsten mit eigener Waschmaschine: einige Zahlen und Fakten zum Wohnen. Wie viele Menschen im Eigenheim wohnen

Wie Studierende wohnen In Italien leben die meisten Studierenden bei den Eltern (75 %), in der Schweiz sind es 42 %. Gar nicht beliebt ist diese Wohnform bei Studierenden in Finnland: Lediglich 4 % wohnen während des Studiums bei den Eltern. Quelle: Eurostudent Report 2012–2015

Luzern ist ein Kanton der Mieterinnen und Mieter, nahe am Schweizer Durchschnitt. Die Wohneigentumsquote ist im internationalen Vergleich tief. Quelle: BfS/Eurostat 2014

45

4

15

37 % Schweizer Durchschnitt

35 % Kanton Luzern

36

45 % Deutschland

Bei den Eltern Alleine In einer WG Mit Partner

FIN

57 % Österreich / Kt. Wallis

16 % Kanton Basel-Stadt

F I

So viele Quadratmeter stehen pro Person in verschiedenen Haushaltsformen in der Schweiz zur Verfügung.

D

14

15

CH

37

Wer am meisten Platz zum Wohnen hat

34

Recherche: Daniel von Känel; Infografik: Rober t Bossar t, Flav ia Mosele, Dozierende der Hochschule Luzer n; Matthias Batzli, Ref lector Visuelle Gestaltung

90 % Slowakei

24 22

Quelle: BfS

75

31 m² Durchschnittsfamilie mit Kindern

42

35 19

14

75

25

38 m² Eine erwachsene Frau mit Kindern

18

6 16 3

44 m² Ein erwachsener Mann mit Kindern

45 m² Durchschnitt Schweiz pro Person

Worauf Mieterinnen und Mieter Wert legen Welche Ausstattungsmerkmale Mieterinnen und Mietern am wichtigsten sind – von 1 (nicht wichtig) bis 5 (sehr wichtig). Quelle: Moneycab Wohntraumstudie Schweiz 2015

54 m² Paar

77 m² Ein erwachsener Mann

81 m² Eine erwachsene Frau

3,9

Garage oder Parkplatz

4,1

Keller

4,3

Moderne Kücheneinrichtung

4,4

Balkon /Terrasse

4,6

Eigene Waschmaschine

Hochschule Luzern 1 | 2017 29


PLÄDOYER

Forschung sichert Praxisnähe

30 Hochschule Luzern 1 | 2017

Christine Böckelmann, Direktorin des Departements Wirtschaft der Hochschule Luzern, sieht gemeinsame Forschungsprojekte mit externen Partnern als Garant für die Praxisnähe der Hochschule.

ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Praxispartnern, auf die die Hochschule Luzern in hohem Masse setzen kann. Sie ermöglicht Kooperationsprojekte mit einem Gewinn für beide Seiten: sowohl für die Unternehmen, Institutionen und Verbände als auch für die Hochschule. Das dynamische Zusammenspiel von Ausbildung, Weiterbildung, Forschung, Entwicklung und Dienstleistungen im Austausch mit Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft macht die «DNA» einer Fachhochschule aus. Es ist das, was sie zu einem der attraktivsten, kreativsten, aber auch herausforderndsten Arbeitsorte macht, die es gibt. Hier zu arbeiten, ist gleichzeitig Privileg und Verpflichtung – Verpflichtung insofern, als eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Praxisfeldern zum Kernauftrag jeder Dozentin und jedes Dozenten der Hochschule Luzern gehört.

Foto: Pr iska Ketterer

In Zusammenhang mit dem seit 2015 geltenden neuen Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz (HFKG) wird bei der Ausrichtung von Bundesbeiträgen an die Fachhochschulen ab diesem Jahr die Forschung deutlich höher gewichtet als bisher. Diese Veränderung hat einmal mehr die Befürchtung geweckt, die Fachhochschulen würden zu stark «akademisiert» und sich von den «realen» und praktischen Herausforderungen entfremden, vor denen Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft stehen. Die Sorge vor einem «Rückzug in den Elfenbeinturm» steht im Raum. Nehmen Fachhochschulen ihre Mission ernst, so entsteht durch eine stärkere Betonung der Forschung genau der gegenteilige Effekt: Von den verschiedenen Leistungsaufträgen, die die Hochschule Luzern hat, gewährleistet in ganz besonderem Masse die Forschung die Praxisnähe. Sie ist die dynamische und offene Verbindungstüre zwischen der Hochschule und ihren externen Partnern. Durch Forschungsprojekte können Fragestellungen und Herausforderungen bearbeitet werden, die für Unternehmen, Institutionen und Verbände bedeutsam sind. Durch Projekte kann die Hochschule Luzern ihren Beitrag zu Entwicklung und Innovation leisten. Und Forschung ist noch mehr: Sie garantiert die aktuelle Praxisnähe von Ausbildungsstudiengängen und Weiterbildungsangeboten, indem die Dozierenden laufend mit den Herausforderungen der unterschiedlichsten Arbeitswelten konfrontiert sind. Die Schlussfolgerung lautet nicht: «Praxisferne durch mehr Forschung», sondern umgekehrt: «mehr Praxisnähe durch mehr Forschung». Voraussetzung dafür


WOHNEN. LEBEN. SEIN.

JUBILÄUMSWETTBEWERB Die Hochschule Luzern feiert in diesem Jahr ihren 20. Geburtstag und Sie können gewinnen! Wir verlosen fünf Gutscheine à 100 Franken für eine Torte der Confiserie Bachmann. Beantworten Sie dafür folgende drei Fragen richtig:

FRAGE 1:

FRAGE 2:

FRAGE 3:

Die Hochschule Luzern ist seit ihrer Gründung 1997 eine attraktive Arbeitgeberin.

Ein Studium an der Hochschule Luzern ist für viele Menschen der Start in ein erfolgreiches Berufsleben.

Wie viele Mitarbeitende feiern 2017 ihr 20-Jahr-Jubiläum an der Hochschule Luzern?

Welcher amtierende Bundesrat oder welche amtierende Bundesrätin hat an der Hochschule Luzern bzw. einer ihrer Vorgängerinstitutionen studiert?

Doppelt hält besser: Einige Studierende haben die Möglichkeit, zwei aufeinander abgestimmte Abschlüsse an zwei Hochschulen zu erlangen. Mit welcher europäischen Partnerschule bietet das Departement Wirtschaft einen solchen «Dual Degree» an?

Lösungstipps zum Wettbewerb und Teilnahme unter: www.hslu.ch/20Jahre Tipps auf Facebook und Twitter unter: #20JahreHSLU Die fünf Gewinner/innen werden per E-Mail benachrichtigt. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Teilnahmeschluss ist der 31. März 2017. Hochschule Luzern 1 | 2017 31


KÜNSTLERISCHE PARTIZIPATION

Denn sie wissen, was sie wollen

Der Grill-Smoky ist eine Idee der Bürger von Zürich-Affoltern. Erstellt haben ihn die Künstler Bastien Aubry (vorne) und Dimitri Broquard und Angestellte des Werkhofs der Stadt Zürich.

Eine Grill-Skulptur als Quartiertreff, ein Quatschmobil als Sorgensammler: In einem Handbuch erklären Forscherinnen der Hochschule Luzern, wie künstlerischpartizipative Projekte zur Stadtentwicklung beitragen können und was man dabei vermeiden sollte. 32 Hochschule Luzern 1 | 2017

Ein gelbgrünes Auto fuhr die Baselstrasse in Luzern hinauf und hinunter. Darauf stand «Sprich mit mir. Ich fahre dich!». Wer sich herumkutschieren liess und mit den Künstlern Frank und Patrik Riklin der «Agentur für Sonderaufgaben» über Kunst im öffentlichen Raum und ihr Potenzial sprach, konnte Kunden des Coiffeurs, der Pizzeria oder des Schuhmachers eine Überraschung bereiten – denn alle zehn Kilometer gab es eine Pizza, einen Haarschnitt oder eine Reparatur gratis. «Quatschmobil» nannte sich dieses künstlerisch-partizipative Projekt, das die Riklin-Brüder mit Geschäftsleuten an der Baselstrasse ins Leben gerufen hatten. Solche Projekte zielen darauf ab, zusammen mit der Bevölkerung mit künstlerischen Mitteln Wege zu entwickeln, wie die Lebensqualität in städtischen Quartieren verbessert werden kann. Der Künstler wird also nicht – wie bisher – erst am Schluss in den Prozess eingebunden, sondern ist von Anfang an dabei und reagiert mit seiner Arbeit direkt auf die Belange der Bevölkerung. Das Quatschmobil ist eines von vier Projekten, die das Kompetenzzentrum Kunst, Design & Öffentlichkeit der Hochschule Luzern und die Zürcher Hochschule der Künste im KTI-geförderten Forschungsprojekt «Stadt auf Achse» mit den Städten Luzern und Zürich sowie dem Unternehmen Heller Enterprises begleiteten. Sie erforschten, was zum Gelingen oder Misslingen der Projekte führte, und leiteten daraus einen Kriterienkatalog ab, der jetzt in einem Handbuch veröffentlicht wurde. Auf die Ergebnisse angesprochen, sagt Rachel Mader, Leiterin des Kompetenzzentrums: «Jedes Problem ist anders. Am wichtigsten ist es für die Künstler, den Menschen vor Ort zuzuhören, Bedürfnisse zu verstehen und sich präzise mit ihnen abzustimmen.» Immer wieder betonen die Autoren des Buchs, dass die Leute sehr gut wüssten, was sie brauchten. «Es bringt gar nichts, wenn Verwaltung oder Künstler mit einem fertigen Konzept kommen», sagt Mader. Je mehr die Interessen der Anwohner einfliessen, umso grösser sei


KÜNSTLERISCHE PARTIZIPATION

die Chance, einen Langzeiteffekt zu erzielen. So habe im Quatschmobil im Testlauf nicht, wie geplant, auch ein Vertreter der Stadtverwaltung gesessen, der Effekt sei daher nicht langfristig gewesen.

Einer muss Angelpunkt sein Um das zu vermeiden, rät Rachel Mader, eine Person zu bestimmen, die Dreh- und Angelpunkt des Projekts werde. «Die muss sich von Anfang bis Ende einsetzen. Sie ist Vermittlerin zwischen Quartierbewohnerinnen, Verwaltung und Künstlern.» Wichtiger als berufliche Eignung sind menschliche Qualitäten: «Sie muss eine hohe Frustrationstoleranz haben, gerne vermitteln, erklären, Verständnis zeigen.» Die Formel «Viel Geld, gutes Projekt – kein Geld, schlechtes Projekt» stimme nicht, hat Mader festgestellt. So habe sich etwa im Quartier Zürich-Affoltern der Skulpturen-Grill Smoky sehr bewährt,

der vor dem Quartierzentrum an der verkehrsumfluteten Wehntalerstrasse aufgestellt wurde. Im Handbuch ist beschrieben, wie die Bewohner und Bewohnerinnen des Viertels erst aus zehn Künstlergruppen fünf aussuchten, die in einem Workshop ihre Ideen für den kleinen Platz vorstellen konnten. Daraus wählte das «Quartierexpert_innengremium» zwei Projekte, darunter Smoky der Künstler Bastien Aubry und Dimitri Broquard. Smoky, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Tiefbauamt und der Liegenschaftsverwaltung der Stadt Zürich, ist halb Skulptur, halb Grill – die Grillhälfte macht ihn zu einem beliebten Treffpunkt, da er leicht zu bedienen ist. «Die vielen Schritte waren zwar nicht der Durchbruch für die Menschheit», sagt Pia Meier vom Quartierzentrum ZürichAffoltern, «aber wir sind sicher, dass wir für Affoltern etwas angestossen haben.»

140 Jahre Design & Kunst Anlässlich des Jubiläums gibt eine Tagungsreihe Einblick in aktuelle Diskurse, Themen und Erkenntnisse und setzt sie in Relation zur Geschichte des Departements. 21.4.2017: Kompetenzzentrum (CC) Kunst, Design & Öffentlichkeit 28.4.2017: CC Produkt & Textil 27.10.2017: CC Materialität@HSLU mit dem Departement Technik & Architektur 16. / 17.11.2017: CC Visual Narrative und Design & Management

Handbuch «Stadt auf Achse. Mit Kunst urbane Räume gestalten. Ein Handbuch». Redaktion: Rachel Mader, JRP Ringier Verlag 2016

Valeria Heintges

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Foto: Aubr y Broquard

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GESUNDHEITSWESEN

Für mehr Qualität Geht es um die eigene Gesundheit, ist das Beste gerade gut genug. Doch welche Angebote sind die besten? Zwei Politikwissenschaftler der Hochschule Luzern fordern von Versicherern, Ärzten und Spitälern mehr Transparenz, damit Patienten besser entscheiden können. Der Besuch bei der Frauenärztin ist für Emma niederschmetternd. Die Röntgenuntersuchung hat ergeben, dass ein Tumor in ihrer rechten Brust wächst. Die Ärztin überweist sie für die Biopsie ins Spital in der Stadt. Emma ist unsicher, ob sie dort tatsächlich die beste Behandlung bekommt. Doch welches Spital wäre für Brustkrebspatientinnen geeigneter? Welches verfügt über die meiste Erfahrung,

hat die besten Spezialisten und behandelt seine Patientinnen am erfolgreichsten? Eine Antwort auf diese Fragen zu finden, ist nicht einfach. Zwar bieten einzelne Krankenkassen sogenannte Spitalfinder an, mit denen Versicherte sich über verschiedene Qualitätsindikatoren erkundigen und die Institutionen miteinander vergleichen können. Auch Organisationen wie Santésuisse oder H+,

die Vereinigung der Spitäler der Schweiz, betreiben einen eigenen Spitalfinder. All diese Angebote überzeugen die Politikwissenschaftler Jonas Willisegger und Hannes Blatter vom Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR der Hochschule Luzern aber nicht. «Oft ist nicht ganz klar, auf welche Daten sich die Auswertungen stützen», sagt Willisegger. Vielfach würde zudem die Bewertung der Hotellerie, also der Zimmerausstattung oder der Menüauswahl, zu stark gewichtet. «Über die Qualität medizinischer Leistungen fehlen in der Schweiz plausible und objektive Informationen, die für Patientinnen und Patienten, Krankenkassen, aber auch Spitäler und Hausärzte zugänglich sind», hält Blatter fest. «Die Transparenz über die Qualität medizinischer Leistungen steckt heute noch in den Kinderschuhen», bestätigt Ann-Karin Wicki, Leiterin des Ressorts Kranken- und Unfallversicherung des Schweizerischen Versicherungsverbandes, SVV. Krebspatientin Emma

Über die Qualität medizinischer Leistungen fehlen in der Schweiz plausible und objektive Informationen, die öffentlich zugänglich sind.

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GESUNDHEITSWESEN

Foto: gett y images / Sam Edwards

muss sich somit bei der Wahl eines Spitals auf die Empfehlung ihrer Ärztin verlassen.

Tarifpartner sollen auch über Qualität verhandeln Blatter und Willisegger plädieren dafür, die Informationslücke zu schliessen und damit der Qualität im Schweizer Gesundheitswesen mehr Gewicht zu verleihen. Wie dies gelingen könnte, haben sie im Auftrag des SVV untersucht. «Nicht zuletzt wegen des wachsenden Kostendrucks verstärken sich in der Schweiz die Bemühungen, die Qualität der Leistungserbringung und des Leistungsergebnisses zu verbessern und transparent zu machen», sagt Wicki. Die Politologen sehen die Tarifpartner in der Pflicht: auf der einen Seite die Versicherer und auf der anderen die Spitäler und Ärzte. Sie sollen in ihren Tarifverhandlungen nicht nur die Kosten beziehungsweise die Preise von ambulanten und stationären medizinischen Leistungen festlegen, sondern auch die gewünschte Qualität. Konkret geht es darum, gemeinsam zu vereinbaren, wie Qualität definiert und gemessen wird und wie die Resultate ausgetauscht und veröffentlicht, also für die Öffentlichkeit nutzbar gemacht werden. «Mögliche Qualitätskriterien gibt es genügend», sagt Willisegger. Mindestfallzahlen, Rehospitalisationsrate, Infektionsrate, Patientenzufriedenheit, Diagnosequalität… Eine solide Datengrundlage wäre die Basis für einen stärkeren Qualitätswettbewerb im Gesundheitswesen, sagen die zwei Politologen und entwickelten in ihrer Studie ein entsprechendes Modell dafür, ein sogenanntes Soll-Bild: Dank der transparenten und zugänglichen Informationen ist es für Patientinnen und Patienten möglich, eigenhändig das für ihr medizinisches Anliegen bestqualifizierte Spital zu wählen. Dies führt dazu, dass Spitäler nebst ihrer Auslastung und Kostenstruktur vermehrt auch ihre Leistungsqualität im Auge haben müssen, um mit der Konkurrenz mitzuhalten. In der Konsequenz werden sich einige Institutionen auf bestimmte medizinische Bereiche spezialisieren. Damit wird eine Entwicklung gefördert, die 2012 mit der

Preisebene

Tarifverhandlungen

Kostendruck

Vereinbarungen auf Verbandsebene

Leistungserbringer

Qualitätsgestützte LeistungserbringerWahl

– Tarifstrukturen (SwissDRG, Tarmed) – Grundvoraussetzungen für Qualitätsmessung: Datenerhebung, -weitergabe, -verwendung usw.

Versicherte / Patienten

Versicherer

Qualitätsgestützte Versicherer-Wahl

Qualitäts ebene

Das Modell der Hochschule Luzern sieht vor, dass sich Versicherer und Leistungserbringer einigen, wie Qualität gemessen und ausgezeichnet wird. Dank der öffentlichen Informationen können Patienten das für ihr Anliegen bestqualifizierte Spital wählen. Quelle: Hochschule Luzer n

neuen Spitalfinanzierung einsetzte, weil diese die Organisationen zu mehr wettbewerblich orientiertem Verhalten anregt. Gleichzeitig setzt die Befähigung der Patienten auch die Versicherer unter Druck: Um ihre Versicherten bei der Stange zu halten, sind die Krankenkassen gezwungen, ein qualitätsorientiertes An-

Forschungsschwerpunkt «Öffentliches Gesundheitsmanagement» Seit 2012 intensiviert die Hochschule Luzern Forschung und Beratung im Bereich «Öffentliches Gesundheitsmanagement». Die Projekte sollen dazu beitragen, die Gesundheitsversorgung besser zu koordinieren und zu integrieren, die Qualität und Kosteneffizienz zu erhöhen sowie die Prävention zu stärken. Das Forschungsprogramm wird massgeblich durch die Stiftung Kranken- und Unfallkasse Konkordia mitfinanziert, die im Herbst 2015 ihr Engagement um drei Jahre verlängerte. www.hslu.ch/oegm

gebot zur Verfügung zu stellen. Emma kann ihre Versicherung zwar nicht kurzfristig wechseln, doch nach der Tumorentfernung und der Strahlentherapie geht sie zu jener Krankenkasse, die Versicherungspartnerin eines qualitätszertifizierten Gesundheitszentrums mit Hausarztmedizin, Gynäkologie und Schwangerschaftsbetreuung ist. Sie möchte künftig auf diese integrierte medizinische Versorgung zurückgreifen können. «Die Stärkung des Qualitätswettbewerbs im Gesundheitswesen soll somit über den Patienten mit seiner Wahl der Leistungserbringer und der Krankenkasse erfolgen», fasst Blatter das Fazit der Studie zusammen.

Grosse Meinungsverschiedenheit Bis es so weit ist, wird es in der Schweiz aber noch länger dauern. Denn die Studie zeigt weiter, dass für einen funktionierenden Qualitätswettbewerb entscheidende Voraussetzungen (noch) nicht gegeben sind. «Die von uns befragten Expertinnen und Experten bezeichnen die Datengrundlage im stationären Bereich als unvollständig und im ambulanten Bereich als ‹nicht vorhanden›», sagt Blatter. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Leistungserbringer und

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GESUNDHEITSWESEN

Krankenkassen nicht einig sind, welche Dimensionen und Aspekte der Qualität gemessen und wie die Messergebnisse kommuniziert werden sollen. Die Spitäler werfen den Versicherern vor, einseitig auf sogenannte Outcome-Messungen wie Infektionsrate oder Patientenzufriedenheit zu fokussieren. Sie wollen, dass Diagnose- und Indikationsqualität ebenfalls miteinbezogen werden. Die Krankenversicherer ihrerseits fordern von den Leistungserbringern mehr Initiative. «Es kratzt am Berufsstolz mancher Ärzte, dass die Qualität ihrer Leistungen gemessen und ausgewiesen werden soll», sagt Blatter. Für den SVV jedoch ist die Ausgangslage klar. «Gemäss Krankenversicherungsgesetz ist es Aufgabe der Leistungserbringer, die medizinische Qualität sicherzustellen», sagt Ann-Karin Wicki und plädiert deshalb für einen vertieften Dialog zwischen Leistungserbringern und Versicherern über Qualität. «Dabei müsste die Qualität sowohl bezüglich Prozess, Ergebnis als auch Diagnose und Indikation berücksichtigt werden», so Wicki. Wichtig sei zudem, dass die verschiedenen Qualitätsdimensionen gemessen, transparent gemacht und in die Tarifverhandlungen miteinbezogen werden.

Grundsätzlich, sagen Blatter und Willisegger, hätten sowohl Leistungserbringer als auch Versicherer Interesse an einer Qualitätssteigerung bezüglich der medizinischen Leistungen – und an mehr Transparenz. «Krankenkassen wollen, dass sich ihre Versicherten für die bestmögliche Behandlung entscheiden, weil Qualität das Risiko von Folgekosten schmälert», so

«Es ist Aufgabe der Leistungserbringer, die medizinsche Qualität sicherzustellen.» Ann-Karin Wicki, Leiterin des Ressorts Kranken- und Unfallversicherung, SSV

Willisegger. Wicki ergänzt: «Wir erhoffen uns durch mehr Qualität einen dämpfenden Einfluss auf die Gesundheitskosten, mehr Transparenz und Vergleichbarkeit bei medizinischen Leistungen und Leistungserbringern.» Die Spitäler wiederum brauchen Qualität zur Profilierung. Seit der Einführung der neuen Spitalfinanzierung 2012 stehen sie unter stärkerem Konkurrenzdruck, insbesondere über die

«Tripadvisor» für Spitäler, warum nicht? Was bedeutet es für die Prämien, wenn die Qualität steigt?

«Qualität kann kostendämpfend wirken, aber nicht kostensenkend. Die Höhe der Prämie wird massgeblich durch die Menge der in der Schweiz erbrachten Leistungen in den Spitälern und Arztpraxen bestimmt. Aufgrund der demografischen Entwicklung haben wir immer mehr ältere Leute und chronisch Kranke, die medizinisch umfassender behandelt werden müssen. Kommt hinzu, dass die technologische Entwicklung und immer neue Medikamente die Versorgung teilweise massiv verteuern werden.»

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Wie sollen die Daten zur Leistungsqualität für die Öffentlichkeit aufbereitet werden?

«Das soll der freie Markt entscheiden. Liegt erst einmal eine gute Datengrundlage vor, können diverse Anbieter die Zahlen aufbereiten und anschaulich präsentieren, so wie dies heute der Internet-Vergleichsdienst comparis.ch mit den Krankenkassenprämien macht. Wir könnten uns auch eine App vorstellen, mit der man sich über das Angebot und die Qualität in den Spitälern in der Umgebung informieren kann – ähnlich wie bei Tripadvisor.»

Kantonsgrenzen hinweg. Wer nun gut arbeitet und dies auch ausweisen kann, ist gegenüber der Konkurrenz im Vorteil. Und hat gute Karten gegenüber den Kantonen. Denn diese wählen im Rahmen der kantonalen Spitalplanung, mit welchen Institutionen sie die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellen wollen. «Bei der Zusammenstellung ihrer Spitallisten formulieren die Kantone immer mehr auch Qualitätskriterien», sagt Blatter.

Druck der öffentlichen Hand wird grösser Die öffentliche Hand wird es in den nächsten Jahren denn auch sein, die den Druck auf die Tarifpartner erhöht, damit diese endlich Voraussetzungen für einen funktionierenden Qualitätswettbewerb schaffen. Davon sind die zwei Politikwissenschaftler überzeugt. «Die gesetzliche Grundlage dafür besteht seit längerem», sagt Willisegger. Und Ende 2015 doppelte der Bundesrat nach: Im Rahmen seiner Qualitätsstrategie will er unter anderem nationale Qualitätsprogramme erarbeiten. Derzeit liegt die entsprechende Gesetzesanpassung beim Parlament. Yvonne Anliker

Durch eine erhöhte Transparenz bezüglich Qualität wird den Patienten mehr Verantwortung bei der Wahl eines geeigneten Spitals übertragen. Kann das zur Last werden?

«Nein. Wer die Wahl des bestmöglichen Spitals zum Beispiel an den Hausarzt delegieren will, kann dies auch weiterhin so handhaben. Durch mehr Transparenz und Klarheit in den Datengrundlagen für die medizinische Leistungsqualität wird die Steuerung durch die Hausärzte aber ebenfalls einfacher und für die Patienten letztlich besser.» Auskunft gaben die zwei Politikwissenschaftler Jonas Willisegger und Hannes Blatter der Hochschule Luzern.


TEXTILFORSCHUNG

Wie im Kokon Textilforscherinnen der Hochschule Luzern entwickeln einen funktionalen Formstrick in 3D, der jetzt für eine Skijacke eingesetzt wird. Die Jacke passt sich den Bewegungen des Skifahrers an, ist weich, hat wenig Nähte und ist gut isoliert.

Fotos: zVg

Hinter Freelite steckt ein einzigartiges Konzept: Der Stoff wird direkt an einer Strickmaschine in 3D über die technische Konstruktion geformt.

Was unterscheidet das Herstellen eines gestrickten von dem eines genähten Produktes? Beim Zuschneiden fällt Material ab, am Strickstück müssen nur ein paar Fadenreste verarbeitet werden. Der deutlich reduzierte Abfall ist nur ein Vorteil der Stricktechnik. Der Konzern Nike, der diese für seine «Flyknit»-Schuhe entdeckt hat, preist die Modelle nicht nur als nachhaltiger, sondern auch als besonders leicht und dem Fuss angepasst. Die Designerin und Forscherin Isabel Müggler Zumstein vom Departement Design & Kunst der Hochschule Luzern hat mit ihrem Team und zusammen mit der Firma LK International aus Hünenberg die Stricktechnik in einem von der KTI geförderten Projekt funktional erforscht und perfekti-

oniert, für eine Premium-Skijacke, die jetzt unter dem Namen Freelite angeboten wird. «Wie beim Stricken einer Socke formt man den Stoff direkt an der Strickmaschine in 3D über die technische Konstruktion», sagt Isabel Müggler Zumstein, schütze ihn etwa an der Schulter mit einer Verstärkung vor den scharfen Kanten der Ski und sorge für Belüftung etwa unter der Achsel oder am Unterarm. «Man kann die Funktion beim Stricken in den Stoff integrieren und in einem Stoffstück verschiedene Funktionen an verschiedenen Stellen einbauen.» Daher hat ein gestricktes Kleidungsstück auch weniger Nähte. Das hat Vorteile für die Isolierung, denn Nähte sind immer Problemstellen der Kleidung. Zudem ist Strickstoff sehr elastisch

und dynamisch, er gibt nach, wenn der Arm bewegt wird, nimmt aber wieder die ursprüngliche Form an, sobald die Bewegung beendet ist. «Ausserdem rascheln die üblichen Hightech-Stoffe bei jeder Bewegung des Skifahrers», sagt Isabel Müggler Zumstein, «der Strickstoff hingegen geht mit der Bewegung mit und ist dabei ganz ruhig.» Das ermögliche ein Skifahren in Stille, der Fahrer könne die Landschaft intensiver wahrnehmen.

Forschung geht weiter Diese Argumente haben auch die LK International AG in Cham überzeugt, die unter dem Namen KJUS hochwertige Sportbekleidung im oberen Preissegment herstellt. «Die Expertise der Hochschule Luzern im Strickbereich hat uns ermöglicht, ganz neue Wege in der Produktentwicklung zu gehen», sagt Kenneth Kurtzweg, Head of Innovation bei KJUS. «Wir gehen davon aus, dass die Jacke in Sachen Bewegungsfreiheit Massstäbe setzen wird.» KJUS bietet auf Basis der Forschungsergebnisse in der Kollektion Winter 2016/17 zweilagige Freelite-Jacken an, ein Modell für Frauen, eines für Männer. «Die Jacke fühlt sich wohlig warm und weich an, fast ein wenig kokonartig», sagt Müggler Zumstein. Den Jacken sieht man aus der Ferne allerdings das Gestrickte kaum an; ein Umstand, den Isabel Müggler Zumstein ein wenig bedauert. «Wir hätten das gerne radikaler umgesetzt, z. B. auch mit gröberen Strickstrukturen. Aber die Partnerfirma entscheidet, wie sie die Forschungsergebnisse verwertet, und trägt das Marktrisiko», sagt sie. «Unsere Forschung geht weiter, denn Strick kann den Produktionsprozess von funktionaler Kleidung revolutionieren.» Wegen des hohen Produktionsdrucks war die Forschungszeit an der Maschine in Thailand eng getaktet. Umso mehr freut es sie, dass die Jacke nun zu 95 Prozent auf der Strickmaschine entstand. Konsequent bewirbt KJUS diese mit dem Slogan: «The world’s first fully-knitted ultra-stretch ski jacket», extrem dehnbare und erste komplett gestrickte Skijacke der Welt. Valeria Heintges

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TRINKWASSERQUALITÄT

Der letzte Meter ist besonders heikel

Die Schweiz investiert Milliarden in die Aufbereitung und Verteilung von sauberem Trinkwasser. Doch sobald das Wasser vom Verteilnetz in die Häuser gelangt, schaut niemand mehr genau hin. Stefan Kötzsch, der für die Hochschule Luzern und die Eawag forscht, will dies ändern.

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TRINKWASSERQUALITÄT

Foto: iStock / dei-sin / pter wor t

Das Trinkwasser in der Schweiz ist von ausgezeichneter Qualität. Doch auch in Wasser erster Güte leben bis zu 10’000 Bakterienarten. Die Bakterien siedeln sich gemeinsam mit Viren, Pilzen und Protozoen in Trinkwasserleitungen an und bilden einen Biofilm. Ein solcher Belag ist ganz normal und für den Menschen ungefährlich, wenn sich die Bakterienzusammensetzung in einem gesunden Gleichgewicht befindet. In der Schweiz haben die Wasserversorger die Herstellung dieser biologischen Stabilität sehr gut im Griff. «Problematisch wird es da, wo das Wasser das Verteilnetz der Gemeinde verlässt und in die Häuser gespeist wird», sagt Stefan Kötzsch, der für das Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern und das Wasserforschungsinstitut Eawag das KTI-Forschungsprojekt «Materialien in Kontakt mit Trinkwasser» leitet. Laut Gesetz sind die Hausbesitzer für die Qualität des Wassers verantwortlich, aber Kontrollen gibt es häufig erst dann, wenn die Trinkwasserqualität beanstandet wird. «Das Gemeine jedoch ist, dass man viele mikrobiologische Probleme weder sieht, schmeckt noch riecht», sagt Kötzsch. Gemeinsam mit seinen Projektpartnern sucht er nach Lösungen, um Sicherheitslücken zu beheben.

Neubauten stehen besonders im Fokus Im Rahmen dieses KTI-Projekts verfolgte das Team mehrere Ziele. Unter anderem suchte man nach geeigneten Präventivmassnahmen, um zu vermeiden, dass das Leitungssystem von Neubauten schon in der Bauphase kontaminiert wird. Zwei Beispiele: Durch mangelnde Hygiene bei der Erstbefüllung können mikrobiologische Probleme entstehen, deren Beseitigung viel Zeit und Geld beansprucht. Heikel werde es auch dann, sagt Kötzsch, wenn das Wasser lange in den Leitungen stehen bleibt, bevor das Haus bezogen wird. In einer Versuchsanlage konnte er aufzeigen, dass es der Wasserqualität zuträglich ist, Hygienefilter für die Erstbefüllung und Desinfektionsspülungen zu nutzen und die Stagnationszeiten zu reduzieren.

Lange Stagnationszeiten können auch in Häusern, die längst in Betrieb sind, zu Problemen führen. Deshalb hat Kötzsch auch Dauermassnahmen getestet: «Insbesondere für Hotels, die ihre Zimmer nicht permanent belegt haben, könnten automatisierte Spülsysteme in Zukunft interessant werden.»

Präventive Massnahmen ausbauen Auf die Frage, ob man denn in der eigenen Wohnung immer ein paar Minuten das Wasser laufen lassen soll, bevor man es trinkt, meint der Wissenschaftler, dies sei in der Regel nur nach längeren Ferien nötig oder wenn man einen Hahn betätige, der selten in Betrieb sei. Ansonsten genüge es, zu warten, bis das Wasser kalt sei, der Geschmack sei dann frischer. «In den letzten 50 Jahren haben sich die Entnahmestellen in Häusern vervielfacht», erklärt Kötzsch. «Das führt dazu, dass die Länge der Leitungen in Gebäuden heute mehr als 80 Prozent der Länge des gesamten Versorgungssystems ausmacht.» Ein Grund mehr für ihn, darauf hinzuweisen, dass man die präventiven Massnahmen innerhalb von Häusern ausbauen sollte. «Wir wissen aktuell viel zu wenig über die mikrobiologische Situation in den Verteilsystemen von Gebäuden.» Das KTI-Projekt wurde auch mit der Absicht lanciert, die heute gängigen Material- und Produktetests für Kunststoffe, die mit Trinkwasser in Kontakt kommen, zu verbessern. Der Grund: Die Materialzusammensetzung von Leitungen, Dichtungen und Armaturen beeinflusst die

Trinkwasserleitungsnetz in der Schweiz

55’100 km

Versorgungsleitungen

mikrobiologische Qualität des Wassers. Ein Negativbeispiel sind die Duschschläuche. «Während jeder Zentimeter Leitung und jede Dichtung geprüft und zertifiziert wird – oder dies zumindest sein sollte –, hängt am Ende vielfach ein Schlauch aus billigstem Kunststoff.» Damit werde auf dem sprichwörtlich letzten Meter die Wasserqualität zunichtegemacht. «Unser Ziel ist es, europaweit die Zertifizierung von Materialien, die mit Trinkwasser in Berührung kommen, zu erleichtern», erklärt Kötzsch. Im Rahmen dieses KTI-Projekts hat er nachgewiesen, dass der an der Eawag entwickelte BioMigTest ein taugliches Instrument hierfür sein könnte. Dieser kombiniere die positiven Eigenschaften von drei bisher gängigen Testmethoden und liefere viel schneller Resultate. Um die Qualität von BioMig zu prüfen, hat er in Zusammenarbeit mit der Wasserversorgung Zürich, den Industriellen Werken Basel und der DVGWForschungsstelle TU Hamburg mehr als 100 verschiedene Produkte analysiert.

Die Wasserwirtschaft reagiert Die Forschungsresultate von Kötzsch wurden von Fachleuten – insbesondere auch vom Schweizerischen Verein des Gas- und Wasserfachs (SVGW) – mit grossem Interesse aufgenommen. Der SVGW, der ebenfalls am Forschungsprojekt beteiligt war, wird die Erkenntnisse an die Praxis vermitteln. Dies mit dem Ziel, Architekten, Planer und Installateure zu sensibilisieren und deren Zusammenarbeit zu fördern. Mirella Wepf

Total: 81’500 km (Entspricht ca. zweifacher Erdumrundung)

26’300 km

Hausanschlussleitungen

Quelle: SVGW

Etwa ein Drittel des Schweizer Trinkwasserleitungsnetzes sind Hausanschlussleitungen.

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KOGNITIVE SYSTEME

Mit freundlichen Grüssen, Ihr Computer Viele Firmen wollen künstliche Intelligenz nutzen, um ihre Abläufe zu verbessern und weiter zu automatisieren. Doch schon der Kauf der Software stellt mittelständische Unternehmen vor ganz neue Herausforderungen. Deshalb spielen Informatikerinnen und Informatiker der Hochschule Luzern durch, wie die Implementierung gelingen kann. Software kaufen, laden, Datei starten, losarbeiten. So war das bisher. Doch wer Software aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz nutzen möchte, findet derzeit die kognitiven Technologien in Form von Programmbausteinen, die sozusagen erst passend geklopft und dann zusammengebaut werden müssen. Viele grosse Softwarefirmen – wie Microsoft, Apple, IBM, die indische Wipro – bieten solche Technologien an. Die Bausteine kann man direkt von ihrer Website aus der Cloud laden und nutzen. Ein Baustein erkennt etwa die Sprache, einer kann Text übersetzen, ein dritter durchsucht das Archiv nach Texten mit ähnlichem Inhalt, ein vierter bringt den Computer zum Sprechen. «Künstliche Intelligenz aus der Steckdose, sozusagen», sagt Jana Koehler, Spezialistin für Künstliche Intelligenz im Departement Informatik der Hochschule Luzern. «Die Technologien sind jetzt recht ausgereift, sie einzukaufen und als Softwarepakete zu nutzen, wird möglich. Smartphone-Assistenten wie Siri auf dem iPhone machen es vor.» Doch wer die Programme für seine eigenen Zwecke nutzen will, sieht sich mit

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vielen Herausforderungen konfrontiert. «Die Technologien verändern sich von Version zu Version, und sie müssen an die Bedürfnisse der Unternehmen angepasst werden«, sagt Jana Koehler. «Sie brauchen auf sie zugeschnittene Daten und müssen erst lernen, wie sie ihre Aufgaben im Un-

«Der Einsatz von kognitiven Services muss kontrolliert erfolgen. Sonst ist das Risiko viel zu gross.» Jana Koehler, Spezialistin Künstliche Intelligenz, Hochschule Luzern ternehmen erfüllen sollen. Das braucht Zeit und ist mit Risiken verbunden, die kontrolliert werden müssen.»

Kognitive Systeme für KMU Projekte mit kognitiven Technologien, auch im Umfeld von Internet of Things (IoT), sind deshalb im Moment vor allem etwas für grosse Unternehmen. Wenn Schweizer KMU die Anwendungen nutzen wollen,

tun sich aber Probleme auf. «Ihnen fehlen oft Geld, Wissen und die Arbeitskräfte, um die Programme auf ihre Bedürfnisse zuzuschneiden», sagt Roland Imoberdorf, Leiter UMB Solutions und Mitglied des Führungsgremiums des IT-Dienstleisters UMB AG in Cham. «Gleichwohl müssen sich auch mittelständische Unternehmen mit dieser Entwicklung auseinandersetzen.» Daher haben sich die UMB AG und Jana Koehler von der Hochschule Luzern zusammengetan; im Projekt «Kognitive Services für KMU» wollen sie mit dem Prototyp eines intelligenten Assistenten für ein IT-Service-Desk durchspielen, welche Veränderungen eine Implementierung für Unternehmen bedeutet, auch für das Management der Geschäftsprozesse. Das Team von UMB und Hochschule Luzern analysiert dafür die Prozessabläufe im Service-Desk der UMB und entwickelt Lösungen für die Aufgaben, die kognitive Services übernehmen können. Die UMB stellt Daten und Wissen im Kundensupport zur Verfügung, das Team der Hochschule Luzern wählt kognitive Technologien aus und implementiert den intelligenten Assistenten.

Herausforderung Implementierung Dafür hat Jana Koehler die Arbeitsschritte eines IT-Service-Desks in kleine Schritte unterteilt: Die Texte der eingehenden E-Mails müssen analysiert werden. Um was für ein Problem geht es? Wurde ein ähnliches schon gelöst? Wie dringend ist die Situation – ist ein kritisches Softwaresystem ausgefallen, oder hat ein Mitarbeiter nur sein Passwort vergessen? In welchen Bereich fällt die Anfrage? Wer ist der beste Ansprechpartner für den Kunden? Entsprechend erstellt der Assistent ein Ticket, analysiert das Problem, löst einfache Probleme selbst und leitet dringende und schwierige sofort an den Experten weiter. Am Anfang benötigt solch ein «Assistent» Hilfe von menschlichen Kollegen, aber mit der Zeit lernt er, immer mehr Anfragen durch Rückgriff auf Wissen und Informationsquellen selbst zu lösen. Dabei muss der


KOGNITIVE SYSTEME

Illustration: Stephan Schmitz

Ein IT-Assistent soll am Helpdesk zahlreiche komplexe Aufgaben erledigen. Das kann nur gelingen, wenn Unternehmen ihre Prozesse und Arbeitsabläufe anpassen.

Assistent sich auf den Kunden einstellen und sein Anliegen korrekt entgegennehmen. Technologien, die die Stimmung eines Menschen erkennen, existieren bereits. Doch Jana Koehler berichtet auch von einem Microsoft-Programm, das auf harsche Formulierungen mit ebenso harschen Antworten reagierte. Der Computer hatte nicht gelernt, eine Situation zu entspannen. Er konnte nur spiegelbildlich antworten – und musste nach 24 Stunden vom Markt genommen werden, weil er die Kunden beschimpfte. «Der Einsatz von kognitiven Services muss

kontrolliert erfolgen», sagt Jana Koehler. «Sonst ist das Risiko viel zu gross.» Dazu kommen andere Fragen: Welche Bausteine welcher Firma eignen sich für solch einen aus Bausteinen zusammengesetzten «Assistenten»? Zu den Kosten für die Software kommen die der Implementierung und des Trainings. Zudem müssen die Abläufe in Unternehmen verändert werden, denn der elektronische Assistent muss auf Daten zugreifen und in die Arbeitsschritte der menschlichen Kollegen eingebaut werden. «Das erfordert

eine neue Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine», sagt Jana Koehler. Wird sich der Prozess lohnen? Die Informatiker der Hochschule Luzern und der UMB AG sind sich dessen sicher. «Die Digitalisierung hat im Moment dazu geführt», sagt Koehler, «dass Kunden in den digitalen Kanälen sehr oft Mühe haben, einen Ansprechpartner zu finden, der ihr Anliegen kompetent und schnell löst.» Kognitive Technologien könnten die Arbeit im Kundendienst aufwerten und helfen, sie zu verbessern. Valeria Heintges

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VIRTUELLE KOMMUNIKATION

... sag’s doch schnell per Video! Bei einem spontanen Schwatz in der Cafeteria entstehen oft die besten Geschäftsideen. Die Wirtschaft hat den Wert der informellen Kommunikation längst erkannt. Doch wie lässt sich diese Ressource nutzen, wenn eine Firma mehrere Standorte hat? Ein Forschungsprojekt liefert Antworten.

Angefangen hat alles an einer Party: Im Juli 2009 eröffnete Cisco Systems – ein weltweit tätiger Anbieter von Kommunikations- und Netzwerklösungen – sein neues Büro in Wallisellen. Während

der Planung für das Einweihungsfest kam die Idee auf, das Team vom Standort Rolle in der Westschweiz mit Hilfe einer HighEnd-Videoverbindung direkt zu den Feierlichkeiten zuzuschalten. Die temporär

aufgebaute Videowand in der Cafeteria wurde zu einem vollen Erfolg. «Für uns war klar, dass wir diese Form der internen Kommunikation weiterhin pflegen und allenfalls sogar zu einem neuen Angebot unserer Firma ausbauen wollten», sagt Frank Horn, Customer Success Manager bei Cisco. In grossen Unternehmen seien Videokonferenzräume längst als Arbeitsinstrument etabliert; im Bereich der informellen Kommunikation gebe es bisher aber noch kaum markttaugliche Lösungen. «Wir glauben fest daran, dass informelle Kommunikation wesentlich zu Innovationen beiträgt.» So zeigen Untersuchungen etwa, dass sich bis zu 80 Prozent der zufällig, spontan und ad hoc zustande kommenden Kommunikationsepisoden um die Arbeit drehen. «In einer globalisierten Gesellschaft muss man spontane Begegnungen von Menschen auf neue Weise fördern», sagt Horn. Kurzum: Was als Partygag begann, mün-

Die Kollegen vom anderen Standort beim Apéro dabeihaben: «Virtuelle Fenster» machen es möglich.

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VIRTUELLE KOMMUNIKATION

dete schliesslich in das dreijährige Projekt «Entwicklung und Einführung von Orten für virtuell-informelle Kommunikation» (OVIK), an dem auch die Hochschule Luzern beteiligt war (siehe Kasten).

Foto: Hochschule Luzer n, zVg

Virtuelle Fenster in andere Filialen «Unser Beitrag lag vor allem darin, räumliche Anforderungen für OVIKs zu definieren», erklärt Thomas Heim, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kompetenzzentrums Typologie & Planung in Architektur (CCTP). In einer ersten Phase entwickelte das Forschungsteam Ideen, wie räumlich getrennte Standorte am besten live miteinander verbunden werden könnten. Entstanden sind verschiedene virtuelle Fenster, welche die örtlichen Grenzen verschwimmen lassen – etwa von Kopierraum zu Kopierraum, von Cafeteria zu Cafeteria oder von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz. «Man muss sich bei der Planung immer die Frage stellen, was ein Arbeitgeber, der auf virtuell-informelle Kommunikation setzt, damit erreichen will» sagt Heim. Wenn zwei örtlich getrennte Teams gemeinsam an Entwürfen arbeiten sollen, brauchen sie andere Kommunikationslösungen als wenn es nur darum geht, zufällige Begegnungen zu erleichtern. Licht und Schatten Zu den grössten Knackpunkten beim Erarbeiten der Lösungsvorschläge gehörte die Akustik: Wer via Bildschirm mit einem Kollegen plaudert, sollte andere Leute im Raum nicht stören. Umgekehrt dürfen deren Gespräche die Tonqualität der virtuellinformellen Kommunikation auch nicht beeinträchtigen. Eine weitere Herausforderung war der Lichteinfall. «Wenn auf dem Bildschirm störende Spiegel- oder Lichtreflexe auftreten, sinkt die Bereitschaft, auf diesem Weg miteinander zu kommunizieren», sagt Heim. Nicht zuletzt ging es auch um die Frage, wie für die Nutzerinnen und Nutzer bei Bedarf genügend Privatsphäre geschaffen werden kann, denn virtuell verbundene Personen können nicht kurz gemeinsam den Raum

für virtuelle Kommunikation installieren kann» sagt Horn. Dennoch beurteilten die Mitarbeitenden von Cisco den Versuch in einer Umfrage als positiv und schätzen den potenziellen Nutzen von OVIKs als ausserordentlich hoch ein. «Eine verbesserte Version unseres Prototyps ist jedenfalls bereits in Planung», so Horn. Eines sei jedoch sicher: Ein pfannenfertiges Produkt sei auf dem Markt vorerst kaum zu erwarten. Thomas Heim teilt diese Einschätzung. Die Anforderungen, ein funktionierendes System für informelle Kommunikation einzurichten, seien höchst komplex und in Neubauten in der Regel einfacher umsetzbar als in bestehenden Gebäuden. »Wir haben im Rahmen dieses Projekts Richtlinien für den Bau von OVIKs erarbeitet. Diese sollten die Umsetzung solcher Vorhaben erleichtern – angefangen bei Checklisten für Vorabklärungen bis hin zur Implementierung.» Mirella Wepf

Damit spontane Gespräche zustande kommen, muss die Kommunikationssäule am richtigen Ort stehen.

verlassen oder etwas leiser sprechen, sobald ein vertrauliches Thema aufkommt. Basierend auf den ersten Entwürfen wurden schliesslich fünf Prototypen gebaut. Dazu gehören Kommunikationssäulen, die in Räumen und Korridoren zum Einsatz kommen können, eine Bildschirmkonstruktion namens «Fireplace», die sich für Sofaecken eignet, und ein Kubus, der an der Aussenwand über einen Bildschirm für erste Plaudereien verfügt und eine Nische hat, in die sich die Gesprächsteilnehmenden zurückziehen können, sobald sie mehr Privatsphäre wünschen. Die Bilanz der Testphase bei Cisco und weiteren Projektpartnern ist durchmischt. «In Rolle hatten wir beispielsweise mit schwierigen räumlichen Voraussetzungen zu kämpfen. Die Büros bieten schlicht keinen idealen Platz, an dem man einen Ort

Forschungspartner: vom Möbelhersteller bis zur Post Das Projekt «Entwicklung und Einführung von Orten für virtuell-informelle Kommunikation» wurde von verschiedenen Partnern getragen: Von Cisco, einem Anbieter von Kommunikationsund Netzwerklösungen, vom Möbelhersteller Vitra, von der Schweizerischen Post, der IT-Firma Trivadis und von SKAN, einem Spezialisten für Reinraumtechnik. Als Wissenschaftspartner fungierten die Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW, die Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW und das Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern. Die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes hat die Forschungsarbeiten gefördert. Das Projekt wird am 17. Februar 2017 auf dem Frühjahrskongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft in Brugg-Windisch präsentiert. Infos: www.gfa2017.de

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AGENDA

Februar bis Juni 2017 Technik & Architektur 15.2. / 14.3. / 10.4.2017

Info-Veranstaltungen Bachelor

Ort: Technikumstr. 21, Horw Zeit: 18:00 Uhr 9.3. / 13.6.2017

Info-Veranstaltungen Weiterbildungen Bau und Technik

22.6.2017

Zentralschweizer Tourismustag Thema: Tourismus 4.0 – der digitale Reisende. Ort: MS2017 der SGV Zeit: 15:00–18:00 Uhr Web: www.hslu.ch/tourismustag

15.2. / 29.3. / 31.5.2017

23. / 24. / 30.3.2017

Ort: Suurstoffi 41b, Rotkreuz Zeit: 18:30–20:30 Uhr

Info-Veranstaltungen Weiterbildung

Informiert wird über den Master of Science in Engineering (23. / 24.3.) und den Master of Arts in Architecture (30.3.). Ort: Technikumstr. 21, Horw

8.3. / 3.4. / 9.5.2017

7. – 8.6.2017

23.3.2017

NAKED SPACE An dem internationalen Innenarchitektur-Symposium werden Konzepte von Umnutzungen vorgestellt. Ort: Neubad Luzern Web: www.hslu.ch/nakedspace

Info-Veranstaltungen Bachelor

Ort: Suurstoffi 12, Rotkreuz Zeit: 18:30–20:00 Uhr

Swiss Digital Finance Conference 2017 Die Konferenz vernetzt Akteure aus dem Schweizer Finanzsektor. Ort: Suurstoffi 12, Rotkreuz Zeit: 9:00–17:00 Uhr

Wirtschaft

Soziale Arbeit

1.3.2017

15.2. / 15.3. / 12.4. / 17.5. / 14.6.2017

IFZ FinTech Konferenz Es werden die Ergebnisse der IFZ FinTech-Studie präsentiert. Ort: Grafenauweg 10, Zug Zeit: 13:15–18:00 Uhr 15. – 16.3.2017

Future Forum Lucerne Thema: Project Management revisited – Innovation, timing and enthusiasm. Ort: Messe Luzern Web: https://blog.hslu.ch/ futureforumlucerne

Design & Kunst 3. – 6.5.2017

«PUR»-Jahresausstellung des Gestalterischen Vorkurses Die Vernissage ist am 2. Mai. Ort: Sentimatt 1, Luzern 23.6. – 2.7.2017

Informatik

Ort: Technikumstr. 21, Horw Zeit: 18:00 Uhr

Info-Veranstaltungen Master

Alle Veranstaltungen der Hochschule Luzern unter: www.hslu.ch/agenda

21.2. / 30.3. / 26.4. / 30.5.2017

Info-Veranstaltungen Master Soziale Arbeit

Die Studiengangleitung gibt Auskunft. Ort: Werftestrasse 1, Luzern Zeit: 17:00–18:00 Uhr

Junges Schweizer Design by Atelier Pfister: Wir verlosen zweimal den Stuhl WILA in Gelb, entworfen von This Weber. Gesamtwert: 398 Franken.

Werkschau Design & Kunst

www.pfister.ch

Ausstellung der Master- und Bachelor-Arbeiten. Ort: Messe Luzern Web: www.hslu.ch/werkschau

Beantworten Sie dafür folgende Frage richtig:

Musik 29.3.2017

Hommage to George Gruntz feat. Dave Liebman Konzert der Big Band der Hochschule Luzern. Ort: Jazzkantine Luzern Zeit: 20:30 Uhr Weitere Aufführungen: Kammgarn Schaffhausen (30.3.) und Jazzcampus Basel (31.3.)

In wie vielen Schweizer Wohnungen leben gemäss einer Studie der Hochschule Luzern Menschen, die auch mit weniger Wohnfläche zufrieden wären? a) 350’000 b) 250’000 c) 83’000 Bitte senden Sie die richtige Lösung und Ihre Postadresse an: redaktion-magazin@hslu.ch

28. – 29.4.2017

Festival Wege der Wahrnehmung Ort: Neubad Luzern Web: www.hslu.ch/wegewahrnehmung

Info-Veranstaltungen Bachelor Soziale Arbeit Vorgestellt werden die Studienrichtungen Sozialarbeit, Soziokultur und Sozialpädagogik. Ort: Inseliquai 12B, Luzern Zeit: 17:00–18:45 Uhr

Wettbewerb

Teilnahmeschluss : 12. März 2017

Die Gewinner werden per E-Mail benachrichtigt. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

7. März 2017

Kontaktgespräch Die Absolventenmesse der Hochschule Luzern bietet Studierenden der Departemente Technik & Architektur (Ingenieur-Studiengänge), Wirtschaft, Informatik und Design & Kunst eine gute Gelegenheit, um potenzielle Arbeitgeber kennenzulernen. Zeit: 13:00 –18:00 Uhr Ort: Inseliquai 12 –12b, Luzern Web: www.hslu.ch/kontaktgespraech

Feedback Möchten Sie – ein weiteres Exemplar des vorliegenden Magazins bestellen, – das Magazin nicht mehr erhalten, – eine Adressänderung bekanntgeben, – uns Ihre Anregungen und Ihre Kritik übermitteln? redaktion-magazin@hslu.ch

Impressum Herausgeberin: Hochschule Luzern, Werftestrasse 4, Postfach 2969, 6002 Luzern Redaktion Hochschule Luzern: Sigrid Cariola (Chefredaktorin), Simone Busch, Yvonne Anliker, Daniel von Känel, Valeria Heintges, Eva Schümperli-Keller E-Mail: redaktion-magazin@hslu.ch Konzept / Realisierung: Infel Corporate Media, Zürich; Bärbel Jördens (Redaktion), Peter Kruppa (Art Director), Marina Maspoli (Editorial Design) Inserate: print-ad kretz gmbh, T: 044 924 20 70, stefanie.kretz@kretzgmbh.ch Abo-Bestellung oder -Änderung: abo-magazin@hslu.ch Lithos: Reproscan Group, Ottenbach Druck: Druckerei Odermatt, Dallenwil Gesamtauflage: 40’000 Exemplare Erscheinungsweise: 3x jährlich Dieses Magazin ist auf FSC-zertifiziertem Papier aus nachhaltiger Forstwirtschaft gedruckt. www.facebook.com/hslu.ch

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www.twitter.com/hslu

www.hslu.ch/magazin


AGENDA

Machen Sie Ihren Weg

Neugierig?

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EFQM

Machen Sie den Bachelor. www.hslu.ch/neugierig Architektur Bautechnik Business Administration Energy Systems Engineering Elektrotechnik Digital Ideation Film

Gebäudetechnik Informatik Innenarchitektur International Management & Economics Kunst & Vermittlung Maschinentechnik Medizintechnik

Musik (Klassik, Jazz, Volksmusik, Kirchenmusik) Musik und Bewegung Produkt- und Industriedesign Soziale Arbeit Visuelle Kommunikation Wirtschaftsinformatik Luzern 1 | 2017 45 WirtschaftsingenieurHochschule | Innovation


ABSOLVENT

Als Bub hat Pirmin Huber bei traditionellen Stubeten mitmusiziert. Heute experimentiert der Musiker und Komponist mit der Schweizer Volksmusik – und mischt sie erfolgreich mit Elementen aus Jazz, Pop und Elektro.

Montagmorgen, 8:30 Uhr am Bahnhof Zug: Pirmin Huber erscheint auf die Minute genau am vereinbarten Treffpunkt. Dass der Musiker während der letzten 28 Tage jeden Abend einen Auftritt hatte, sieht man ihm nicht an. Der 29-Jährige wirkt wach und aufgeräumt. Bei einer Tasse Kaffee erzählt er freimütig von seinen ersten musikalischen Gehversuchen im Kreis seiner Grossfamilie im schwyzerischen Galgenen. Jedes der sechs Geschwister spielte mehrere Instrumente. «Wir haben uns nach der Schule zusammengesetzt und frisch von der Leber weg

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gespielt – wie bei einer Stubete eben.» Pirmin konzentrierte sich erst auf die Trompete, später auf den Kontrabass. Mit 14 spielte er seine ersten Konzerte. Als Jugendlicher traf er sich mit Gleichgesinnten in der Badi, um zu «jammen»: «Wir wollten experimentieren und Neues schaffen, aber der Ausgangspunkt war immer die Volksmusik.» Nach seiner Lehre arbeitete Pirmin Huber als Zimmermann, abends gab er Konzerte. Eine anstrengende Zeit. Mit 23 entschied er sich, ganz auf die Musik zu setzen: 2010 begann er mit dem Musikstudium in Luzern, «weil die Hochschule Luzern schweizweit die einzige ist, die den Schwerpunkt Volksmusik anbietet». Anfangs fühlte er sich etwas fremd. «Ich war anders, ein Quereinsteiger», resümiert er. Doch seine Dozierenden hätten ihm den nötigen Raum gewährt, um sich zu finden und weiterzuentwickeln. Von Dieter Ammann etwa habe er wichtige Anstösse bekommen zu Fragen wie: Welche Struktur soll die Komposition haben? Wie wird sie auch energetisch rund? Was will ich ausdrücken? Noch während seiner Master-Arbeit wurde er letzten Sommer angefragt, für die «Stubete am See», das von der Stiftung Pro Helvetia initiierte Festival für neue Schweizer Volksmusik, eine Ländlersinfonie zu komponieren – eine grosse Auszeichnung für den Nachwuchsmusiker. «Da konnte ich natürlich nicht nein

Weitere Porträts finden Sie auf: www.hslu.ch / absolventenportraets

Zur Person Pirmin Huber, geboren 1987, ist in Galgenen (SZ) in einer musikalischen Familie aufgewachsen. Er absolvierte eine Lehre zum Zimmermann, bevor er sich ganz für die Musik entschied. Nach dem Bachelor-Studium mit Schwerpunkt Volksmusik an der Hochschule Luzern schloss er dort 2016 mit einem Master in Musikpädagogik ab. 2016 wurde auch die von ihm komponierte Ländlersinfonie an der «Stubete am See», dem Festival für neue Schweizer Volksmusik, uraufgeführt. Der Komponist und Musiker unterrichtet an Musikschulen und tritt in mehreren Formationen auf – von der Ländlerkapelle bis zur Jazz- oder Elektro-Pop-Band. Er lebt in Luzern.

Foto: Franca Pedrazzetti

Von der Stubete zur Jam-Session

sagen», sagt er und lächelt. Um die nötige Ruhe fürs Komponieren zu haben, zog er von der Studenten-WG in eine Einzimmerwohnung. Sein Stil – Volksmusik mit einem Schuss Jazz, Pop und Elektro – liesse sich am besten als «Ethno Fusion» beschreiben, meint Pirmin Huber. Eine Aufsehen erregende Mischung, die ihm schon Auftritte in der Schweizer Botschaft in Bern verschafft hat. «Die Gäste aus dem Ausland sind ganz verrückt nach dieser neuen Schweizer Musik», sagt er. Auch als Bandmusiker läuft es rund: Er spielte bereits in bekannten Musikclubs wie dem Zürcher «Moods», aber auch im nahen Ausland, in Mailand, Paris und Berlin. Sein neustes musikalisches Projekt heisst «Lightluck» und steht für Elektro-Pop mit Einflüssen von Folk und RnB. Eines steht für ihn fest: Wo auch immer seine musikalische Reise noch hinführen wird: Seine Heimat bleibt die Volksmusik – und die gute alte Stubete. Tatjana Stocker


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