Leseprobe Pflege 1/2020

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C. Leoni-Scheiber et al.: Advanced Nursing Process im Perspektivenvergleich 11

weniger als die Hälfte dokumentiert (De Marinis et al., 2010; Zanon et al., 2017). Die deutlich geringere Übereinstimmung der Patientenergebnisse könnte auf die Schwierigkeiten von Pflegefachpersonen hindeuten, theoriegeleitete prospektive Ergebnisse zu formulieren. Auch frühere Arbeiten zeigten größere Defizite in der Dokumentation von Pflegeergebnissen (Tuinman, de Greef, Krijnen, Paans & Roodbol, 2017; Wang, Yu & Hailey, 2015).

Stärken und Limitationen Das in dieser Studie angewandte „multiple case study design“ hat sich bewährt und ermöglichte einen vertieften Einblick der Übereinstimmung von PD, Pflegeinterven­ tionen und ‑ergebnissen zwischen den drei Perspektiven. Nähe und Distanz der Dokumentationsinhalte zur Realität konnten dargestellt werden, wenngleich die Übereinstimmung zwischen den drei Perspektiven limitiert sein könnte. Patientinnen und Patienten konnten nur die von ihnen wahrgenommenen PD, Pflegeinterventionen und ‑ergebnisse in ihrer Sprache ausdrücken. Möglicherweise wurden in den kürzeren Interviews Informationen nicht mitgeteilt bzw. aufgenommen, z. B. aufgrund von Scham oder fehlendem kontextuellen Wissen der interviewenden APNs. Die Beobachtungen waren zeitlich limitiert und vereinzelte PD konnten durch Beobachtungen bedingt wahrgenommen bzw. abgeleitet werden (z. B. die Gefahr einer akuten Verwirrtheit bei Polytoxikomanie). Zudem spielt die Dia­ gnosekompetenz der APNs eine Rolle, wie umfangreich ihre Kenntnisse bzgl. validierter Konzepte auf Ebene der PD, wie auch der Pflegeinterventionen und ‑ergebnisse sind. Die Bezugspflegepersonen wiederum waren in der Dokumentation Rahmenbedingungen unterworfen (z. B. EDV, Skill-Grade-Mix, zeitliche Ressourcen). Das größere Datenvolumen aus der Dokumentation im Vergleich zu Beobachtung und Interview könnte die Beurteilung der Wesentlichkeit, zu der die Häufigkeit der Codes herangezogen wurde, beeinflusst haben. Dies würde bedeuten, dass die kurzen Beobachtungen und Interviews nicht alle Übereinstimmungen reflektierten und diese sogar höher sein könnte. Die prozentuellen Angaben der Übereinstimmung von PD, Pflegeinterventionen und ‑ergebnissen in der „cross-case-analysis“ basieren auf dem Abgleich mit den validierten Konzepten innerhalb der „within-caseanalysis“. Die quantitativen Ergebnisse sind im Sinne des interpretativen Paradigmas qualitativer Forschung mit Bedacht zu interpretieren. Es fanden jedoch kommunikative Validierungen mit den Bezugspflegepersonen, welche die Pflegepläne erstellten, statt. Beschrieben wird, dass die durch dieses Design generierte Evidenz robust und zuverlässig ist (Baxter & Jack, 2008). Qualitätssichernde Maßnahmen zur Datenerhebung und -analyse wurden eingehalten. Dem Prinzip der Reflexivität qualitativer Forschung wurde insbesondere durch die Methodenwahl und stringente Ausführung Rechnung getragen.

Das Manuskript wurde unter Beachtung der „Standards for reporting qualitative research“ (SRQR) verfasst (O'Brien, Harris, Beckman, Reed & Cook, 2014).

Schlussfolgerungen Ein gemeinsames – übereinstimmendes – Verständnis zu PD, Pflegeinterventionen und vor allem zu den angestrebten pflegesensitiven Patientenergebnissen zwischen Pa­ tientinnen und Patienten und Pflegefachpersonen sollte gefördert werden. Das erfordert zweierlei: die forcierte Entwicklung der klinischen Entscheidungsfindungskompetenz der Pflegefachpersonen, um in erster Linie zu­ treffende(re) PD zu stellen und Patientinnen und Patienten entsprechend ihres Wunsches im Advanced Nursing Process zu beteiligen. Dies umfasst die Partizipation in der diagnostischen Urteilsbildung, insbesondere die Überprüfung der diagnostischen Hypothesen sowie die gemeinsame Festlegung der Pflegeinterventionen und anzustrebenden Patientenergebnisse. Für zukünftige Forschungsprojekte könnten die Methoden der teilnehmenden Beobachtung oder Videoaufnahmen über längere Zeiträume angedacht werden, um die Validität der identifizierten PD, Pflegeinterventionen und -ergebnisse zu erhöhen. Ebenso könnte die Überprüfung ausgewählter PD, Pflegeinterventionen und -ergebnisse, die über eine hohe Relevanz und Prävalenz in bestimmten Settings verfügen (z. B. Rollenüberlastung pflegender Angehöriger in der ambulanten Pflege), untersucht werden.

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© 2019 Hogrefe Pflege (2020), 33 (1), 3–12


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