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THEMA DES MONATS
„Viehscheid ist einfach Viehscheid“
Die Allgäuer Natur, Tiere und die Freiheit, sich die Arbeit selbst einzuteilen: Diese drei Faktoren sind es, die Bertl Wucherer an seiner Arbeit auf der Alpe schätzt. Und zwar seit einem viertel Jahrhundert. 25 Jahre jung war der heute 50-Jährige während seines ersten Alpsommers. Die Alpe Dinjörgen im Lochbachtal bewirtschaftet er heuer im 21. Jahr. Auch Ehefrau Michaela und die beiden Töchter Lisa und Lucia leben den Sommer über auf der Alpe. Inzwischen allerdings neigt sich dieser dem Ende zu, bald werden die fünf Milchkühe, 90 Rinder und sechs Schweine der Alpe Dinjörgen zurück in die Heimatställe im Tal kehren. Viehscheid in Obermaiselstein ist am 21. September ab 9 Uhr. 1400 Stück Vieh von insgesamt zwölf Alpen werden dann auf dem Viehscheidplatz erwartet. Das Lochbachtal liegt zwischen dem Rohrmoossattel im Süden und dem Riedbergpass auf Obermaiselsteiner Gemarkung im Gebiet des Naturparks Nagelfluhkette. Mehrere bewirtschaftete Alpen passieren Mountainbiker und Wanderer, ehe sie – von Obermaiselstein kommend – die Alpe Dinjörgen nach etwa 15 Kilometern am Ende des Tals auf 1285 Metern Höhe erreichen. Als Sennalpe erstmals erwähnt wurde diese bereits im Jahr 1808, dürfte aber älter sein. Ein anderes als das Hirtenleben kann sich Bertl Wucherer im Sommer kaum mehr vorstellen. Das sei einem in die Wiege gelegt, sagt er und schmunzelt. Auch wenn jeder einzelne Tag mit viel Arbeit verbunden sei, gehe er
Den 21. Sommer verbringt Hirte Bertl Wucherer inzwischen auf der Alpe Dinjörgen. Fotos: Michaela Schneider
am Ende des Alpsommers stets mit Wehmut ins Tal. „Der Abschied von hier oben fällt immer wieder schwer“, sagt der 50-Jährige. Angestellt ist er übrigens beim Landkreis Oberallgäu und arbeitet zwischen den Alpsommern in der Straßenmeisterei. Von altersher ist es guter Brauch in den bayerischen Alpen, dass das Ende des Bergsommers nach etwa 100 Tagen Sommerfrische beim so genannten Viehscheid gefeiert und die Leistung der Älpler und Hirten gewürdigt wird. Denn: Ihnen obliegt die Verantwortung, alle Tiere wieder heil ins Tal zu bringen. Nicht immer gelingt dies – Abstürze, Beinbrüche oder auch Vergiftungen kosteten in der Vergangenheit so manchem Rind das Leben. Verlief der Alpsommer unfallfrei, wird das Leitrind für den Alpabtrieb prächtig geschmückt. Wie aber bereiten sich Menschen und Tiere auf das Ende des Alpsommers vor? Zunächst einmal überlegt sich Bertl Wucherer nach einem unfallfreien Alpsommer, welches Rind heuer den Kranz tragen darf. Für den Hirten kommt hierfür nur das fürs Allgäu typische Braunvieh in Frage. „Die Wahl fällt auf das beste und schönste Tier“, sagt der Hirte. Es sollte etwa drei Jahre alt sein und brauche zudem einen ruhigen Charakter, um den Kranz mit Stolz zu tragen und dem ViehscheidTrubel standzuhalten. Schon am Vortag treffen acht bis zehn Helfer auf
Glückliche Rinder auf der Alpe Dinjörgen.