Holger krüssmann auf blauen steinen 2010

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HOLGER KRÜSSMANN / TOBIAS APPELT Der Essener KULTURPFAD weist den Weg vom Museum Folkwang bis zum historischen Kern der Stadt: 372 blaue Leuchtsteine zu Essens kulturellen Highlights, zu eindrucksvollen Architektur-Zeugnissen und zu erhellender, hintersinniger, teils provozierender Kunst im öffentlichen Raum. Der Pfad rückt AUF BLAUEN STEINEN

ARCHITEKTUR UND KUNST AM ESSENER KULTURPFAD

neben dem weltberühmten Museum, der Philharmonie und der Aalto-Oper, neben Dom und ALTER SYNAGOGE Essens faszinierende Architektur-Epoche der 1920er Jahre ins Licht und würdigt den Kraftakt des Wiederaufbaus einer kriegszerstörten Stadt in den 1950er und 1960er Jahren. Die Journalisten Holger Krüssmann und Tobias Appelt haben sich auf den Weg gemacht, den Pfad zu erkunden und sind dabei auf

AUF BLAUEN STEINEN ARCHITEKTUR UND KUNST AM ESSENER KULTURPFAD

eine Fülle von Fakten und faszinierenden Geschichten „hinter“ den Objekten und Bauten gestoßen. Sie berichten von Bürgerengagement, Mäzenatentum, von staatlicher Enteignungswillkür in der NS-Zeit, von Lichtkunst und versteckter Kunst. Sie entdecken „Große Geister“, ein Rattenpärchen in Bronze und ein Wäldchen als Kunstwerk. Auf ihren Fußweg in Richtung Norden

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HOLGER KRÜSSMANN TOBIAS APPELT

www.klartext-verlag.de

wagen sie außerdem einen Ausblick in die Stadtzukunft.

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HOLGER KRÜSSMANN / TOBIAS APPELT

AUF BLAUEN STEINEN

ARCHITEKTUR UND KUNST AM ESSENER KULTURPFAD


KULTURPFAD

INHALT

SÜDROUTE Halle der Musen und des Volkes Der Blick auf die Stadt Garten der Klänge Energie-Hauptstadt Essen

6 8 26 42 64

NORDROUTE Visionen in Stein Vorhang auf – Mehr Licht! Mitte der Stadt Marktplatz Boulevard ins Blaue Blick nach Norden – Blick nach Morgen

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IMPRESSUM

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DANKSAGUNG

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BILDNACHWEIS

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Seit dem Jahr 2000 wirkt der Essener KULTURPFAD als Orientierung und als lebendiger Teil der Stadt. Er wächst mit Visionen und verändert sich. Neben bestehenden Objekten werden im vorliegenden Buch auch Ideen und Entwürfe für zukünftige Entwicklungen beschrieben. Vom Museum Folkwang bis zum historischen Kern Essens an der Marktkirche weisen 372 blaue Leuchtsteine den Weg. Darüber hinaus verläuft er als „gedachte Linie“ weiter nach Norden.

VORWORT

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SÜDROUTE

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Kulturpfad Südroute Halle der Musen und des Volkes 01 Folkwangbrücke 02 Museum Folkwang 03 Schichtung10C 04 Treppe

05 Inverted house of cards 06 Schiffsketten 07 Trecker

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Der Blick auf die Stadt 08 Kulturwissenschaftliches Institut KWI 12 Steag-Hauptverwaltung 09 Erlöserkirche 13 Dynamik 10 UMRAUM 14 Raum-Form 35 11 Glückaufhaus/Film-Studio Glückauf Garten der Klänge 15 Stadtgarten Konzept und Renovierung 16 Saalbau/Philharmonie 17 Unendliche Schleife 18 Cello 19 Platz für einen freisprechenden Menschen 20 Fee

21 Kinderspielplatz/Erdmäuler 22 Fünf Finger einer Hand fünf Wände zum Pentagramm 23 Steinhaus 24 Stele/Obelisk 25 Dolomit 26 Große Geister 27 Aalto-Theater/Opernhaus

Energie-Hauptstadt Essen 28 Hochtief-Haus 29 RWE-Turm 30 Bergmann und Hl. Barbara 31 Ruhrkohle-Haus 32 Steile Lagerung 33 Nordstern-Haus

34 Postscheckamt 35 Projekt KPE-Hochhaus 36 Rheinstahl-Hochhaus 37 Ehem. RWE-Hauptverwaltung 38 Bismarkdenkmal/Bahndirektion 39 Stadtarchiv/Haus der Geschichte

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Halle der Musen und des Volkes

01 Folkwangbrücke 02 Museum Folkwang 03 Schichtung10C 04 Treppe 05 Inverted house of cards 06 Schiffsketten 07 Trecker


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Halle der Musen und des Volkes Kein anderer Begriff ist so prägend mit dem Essener Kulturleben verbunden wie der Name „Folkwang“. Die damit verbundenen Institutionen stehen in ihrem Qualitätsanspruch und ihrer Regenerationsfähigkeit für sich − sei es in Form des weltberühmten Museums, der in Fachkreisen ebenso geachteten Hochschule, der kommunalen und freien (Klang-)Körperschaften wie der städtischen Folkwang-Musikschule und dem gleichnamigen Kammerorchester. Für die meisten Nicht-EssenerInnen und selbst für viele Ansässige muss dennoch häufig erklärt werden: „Folkwang“ – die Halle der Musen und des Volkes − sollte die weit greifende Idee eines Visionärs zu Ende des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in einem Wort zusammenfassen. Die Kunst sollte nach der Idee von Karl-Ernst Osthaus offen und zugänglich für alle Menschen sein. Sie sollte sich über Grenzen der Sparten, Genres und Verortungen hinweg verbindend begreifen. Osthaus widmete sich mit ebensolcher Wertschätzung und Respekt den Zeugnissen antiker Kunst, der zukunftsweisenden Modernen, der Kunst der „Primitiven“, der Architektur, der Musik und dem Tanz. Damit wirkt er weit ins übernächste Jahrhundert, also in unseres, hinein: Vernetzung, Interkulturalität, „Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel“ wurden nicht von ungefähr zu den Leitmotiven der Kulturhauptstadt im Jahr 2010. Ein KULTURPFAD, der die Architektur und die Kunst im öffentlichen Raum erkundet und ebenso ein Buch, das Neugier für Entdeckungen und „Geschichten hinter den Objekten“ wecken soll, könnten nicht stimmiger beginnen als an eben jenem Folkwang-Ort, dem heutigen „Museumplatz 1“.

Museum Folkwang

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Folkwangbrücke Detail

Folkwangbrücke Bereits Mitte der 1990er Jahre zur Anbindung des Museumskomplexes an Rüttenscheid und Südviertel angedacht, kann das Brückenprojekt in der Rückschau als „Keimzelle“ der späteren Idee des KULTURPFADES gewertet werden. Die Menschen in Rüttenscheid und Holsterhausen verdanken dem symbolischen Brückenschlag einen ganz praktischen Nutzen, weil er über die viel befahrene B224 hinweg zwei dicht besiedelte Stadtteile fußläufig mit- einander verbindet. Doch - wie insbesondere nachts ersichtlich - ist das im Jahr 2000 von der Stadt Essen, dem Land und dem Steag-Konzern realisierte Brückenprojekt nicht allein am Nutzwert zu messen. Die verspielte Konstruk- tion des Konzern-Architekten Helge-Jo Marker markiert in der Sichtachse nach Norden eine Torsituation in einer Stadt, der es lange in ästhetischer Dimension an wiedererkennbaren Wegemarken fehlte. In Essen, der Stadt der weiten Wege und der leeren Kreuzungen zwischen den – eingemeindeten - Stadtteilen, die teils noch heute eigene Identität pflegen, kommt hier der Verbindung aus Architektur und Lichtinszenierung eine die Stadtidentität fördernde Wirkung zu. Wer auf der Brücke stadteinwärts nach Norden schaut, wird von hier aus nachts eine weitere, durch Licht definierte Landmarke erkennen. Jenseits des Stadtzentrums, fast vier Kilometer vom südlichen (Brücken-)Stadttor entfernt, sind zwei Lichtstelen erkennbar. Am Tag als technische Zweckbauten (Schorn-

Folkwangbrücke

steine eines evonik-Steag-Fernheizwerks) kaum wahrnehmbar, sind sie seit Sommer 2002 in neuer Funktion eine Markierung im Essener Lichtführungsprojekt, ein Schritt hin zum Bewusstsein des „Wir wollen Stadt sein” – auf die Mitte der Stadt gerichtet, zurück aus der Randlage der Vorstadt.

Museum Folkwang Mit den Sammlungsschwerpunkten der Kunst des 19. Jahrhunderts, der klassischen Moderne, der Fotografie und der Malerei nach 1945 zählt das Museum Folkwang zu den bedeutendsten Kunstmuseen Deutschlands. Sein Bestand zählt 550 Gemälde und 250 Plastiken, ca. 14.000 Zeichnungen und Grafiken sowie ca. 98.000 Fotografien und verwandte Objekte. Eine Besonderheit ist die Sammlung von Werken antiker und außereuropäischer Kunst sowie des europäischen und außereuropäischen Kunstgewerbes (4000 v. Chr.–19. Jahrhundert) mit ca. 1.800 Objekten.


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Das Deutsche Plakat Museum ist dem Museum Folkwang als eigene Abteilung angegliedert. Mit ca. 350.000 Plakaten zählt es zu den größten Sammlungen Europas und dokumentiert die Entwicklung des deutschen Plakats im europäischen Kontext. Im Folkwang-Neubau bezog das Deutsche Plakat Museum Ausstellungs- und Atelierräume, die es erstmals ermöglichen, die Sammlung in angemessen Räumen einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.

Museum Folkwang Ursprünge 1902 wurde es von Karl Ernst Osthaus (1874–1921) in Hagen gegründet. Aus den Anfängen als Kunstsammlung mit naturkundlichen und kunstgewerblichen Abteilungen entwickelte der Bankiers-Sohn und Visionär eines der wegweisenden Museen für moderne Kunst weltweit. Osthaus erwarb und zeigte als erster in einer öffentlichen Sammlung in Deutschland Werke der Wegbereiter der Moderne: Cézanne, Gauguin, van Gogh und Matisse. Osthaus ließ ab 1898 in Hagen ein Museum für seine Sammlung bauen. „Der Folkwang“, wie er das Museum in Anlehnung an die alte nordische Dichtung der „Edda“ taufte, sollte als „Halle für das Volk“ dienen − als Ort der Begegnung und Zentrum der geistigen und künstlerischen Entwicklung im materialistisch geprägten Industriegebiet. Durch den belgischen Architekten Henry van de Velde, dessen Innenausstattung des Museums und weitere Kunstankäufe wird der Grundstein für die Folkwang-Sammlung gelegt. 1902 wird das erste Museum Folkwang in Hagen eröffnet, doch als Osthaus 1921 starb, sahen sich seine Erben nicht in der Lage, das Museum in Hagen zu halten, und boten es anderen Städten zum Kauf an. Ein Kreis um den hiesigen Architekten Alfred FischerEssen und seine einflussreichen Berliner Kollegen Peter Behrens und Hermann Muthesius, die seinerzeit stark die Entwicklung des Essener Kunst- und Baugeschehens beeinflussten, brachten mit dem Leiter des Museumsvereins, Ernst Gosebruch, reiche und kunstinteressierte Essener dazu, den Schatz in die Stadt zu holen. Industrielle wie die Gebrüder Goldschmidt, die Bankiers Hirschland und der Kaufhausbesitzer Gustav Blum brachten mit der Sammlung auch die Triebkraft der Osthaus-Idee in die Stadt und in die bis dahin kulturell recht vernachlässigte Region. 1927 entstand die Fachschule für Musik, Tanz und Sprache und wurde 1928 mit der Werkkunstschule zur „Folkwangschule − Schule für Gestaltung – Schule für Ausdruckskunst“ zusammengelegt. Die Schule hat als Hochschule für Musik, Gestaltung und Tanz noch heute Weltruf.

SÜDROUTE

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Das Stifterkonsortium konstituierte sich als Folkwang-Museumsverein, der im Mai 1922 mit der Stadt Essen einen Vertrag schloss. Damit wurde ihr die Hälfte am Eigentum der Sammlung übertragen und sie verpflichtete sich im Gegenzug, für Bau, Personal und Unterhalt zu sorgen. Dieses „Public-PrivatePartnership“ ist heute noch Grundlage des Museums. 1925 wurde ein Neubau für die Sammlung beschlossen, der 1929 seine Tore öffnete, entworfen von Edmund Körner, Architekt der Essener Synagoge und des „Haus der Technik“ (s.a. „Visionen in Stein“). Das Museum bot Raum für die Gemälde, Innenhöfe für Skulpturen, Umgänge mit natürlichem Seitenlicht für die alten und außereuropäischen Kunstwerke, Kabinette für Grafik und einen Saal für Vorträge und Filmaufführungen. Doch das „schönste Museum der Welt“, wie es Paul J. Sachs, Mitbegründer des New Yorker „MoMA“, bei einem Besuch in Essen 1932 nannte, blieb der Stadt keine zehn Jahre erhalten. Wie sehr die Sammlung, wie auch die Essener Architektur dieser Zeit, als ein (ästhetisch) radikal fortschrittliches Moment zu werten war, erklärt sich beispielhaft durch die Zahl von 1.400 (!) Werken, die in der Nazi-Zeit als „entartete Kunst“ regierungsamtlich verschleppt, verschachert oder zerstört worden sind, später legal verkauft wurden und heute zu den Meisterwerken internationaler Museen und Privatsammlungen zählen, darunter Gemälde von Kandinsky und Matisse, Kirchner und Marc, Munch und Beckmann. Der von den Nationalsozialisten erzwungene Weggang des Museumsleiters Gosebruch 1933, die Enteignung so genannter „entarteter Kunst“ 1937 und schließlich die Zerstörung des Gebäudes durch Bomben bereiteten der einmaligen Konstellation der klassischen Moderne, von alter und außereuropäischer Kunst in einem der seltenen Museumsbauten der 1920er Jahre ein Ende. Die Erinnerung an die ursprüngliche Sammlung und Sachs' Worte gaben der großen Sonderaustellung im Jahr der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 ihren Namen und bestimmen zugleich ein Konzept mit, das erstmals wieder den alten Schatz des Museums ans Licht bringt: Wie schon zur Zeit von Osthaus werden die Meister der Moderne neben Skulpturen und Objekten aus China und Japan, Griechenland und Ägypten, Java und Ozeanien stehen. Die Ausstellung rekonstruiert diese großartige Sammlung für die Dauer von vier Monaten und macht sie zu einem Ausgangspunkt für die künftige Arbeit des Museums.


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Museum Folkwang

Museum Folkwang (Foyer)

Museum Folkwang ab 1945 Nachdem der Körner-Bau im Krieg zerstört war, begann unter Museumsdirektor Heinz Köhn der allmähliche Neuaufbau der Sammlung, die bis 1960 im Schloss Hugenpoet ausgelagert war (Ankaufsetat 1950: 50 DM!). Ab 1960 im Neubau an der Bismarckstraße platziert, gelang Nachfolger Paul Vogt eine behutsamkonsequente Weiterführung des Osthaus-Konzeptes unter Nutzung öffentlicher und privater Stiftungen und Mäzene. Bürgerliches Mäzenatentum hatte übrigens nicht nur im Zusammenhang mit Folkwang entscheidendes Gewicht. Städte vergleichbarer Größe hatten vor dem 19. Jahrhundert den Grundstock für ihre Museen, Theater und Orchester durch fürstliche Repräsentationskultur gelegt bekommen. In Essen fehlte diese Grundlage völlig, sodass wir es hier mit einer rein bürgerlichen Kulturtradition zu tun haben, die erst im 19. Jahrhundert einsetzte. Insofern ist Essen – trotz seiner Gründung 852 und des mittelalterlichen Domschatzes – eine junge, wenn man so will, „amerikanische“ Stadt. Dies mag manchen „großen Wurf“ wie

die Aalto-Oper oder die Philharmonie im Saalbau erklären, aber auch manchen Flop (Zerteilung der Folkwangschule, Abriss des Grandhotel Kaiserhof und des alten Rathauses in den 1960er und 1970er Jahren). Nach Ende des Zweiten Weltkrieges dauerte es bis 1960, dass unter Leitung von Paul Vogt der heute denkmalgeschützte Museumsbau von Werner Kreutzberger, Erich Hösterey und Horst Loy eröffnet wurde. Jener erinnert in manchen architektonischen Details an Körners Vorgängerbau (Innenhöfe), orientierte sich vor allem aber an der lichten, offenen Bauweise eines Mies van der Rohe. Das Gebäude ist durch seine Proportionen und Raumfolgen, durch Transparenz und durch die Gegenwart natürlichen Lichtes als eines der gelungensten Museumsbauten der Nachkriegszeit anerkannt. Der „Altbau“ dient heute der Präsentation wichtiger Teile der Sammlung, vor allem der Gemälde und Skulpturen des 19. und 20. Jahrhunderts.


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Museum Folkwang (Sammlung)

Museum Folkwang (Lichthof)

Museum Folkwang (Ausstellungsituation)

Museum Folkwang aktuell Als das „Wunder von Essen“ bezeichnete Museumsleiter Hartwig Fischer den im Winter 2010 eingeweihten Neubau des Museums, der einen erst im Jahr 1983 durch Kienle, Kreidt & Partner errichteten Bau eines Museumszentrums, seinerzeit bestehend aus dem Museum Folkwang und dem damaligen Ruhrland- museum, ersetzt. 2007 gewann David Chipperfield Architects den internationalen Wettbewerb für die Erweiterung des Museums. Im Jahr zuvor hatte Prof. Berthold Beitz, der Kuratoriumsvorsitzende der Alfried Krupp von Bohlen und HalbachStiftung, bekannt gegeben, dass die Stiftung als alleinige Förderin die Mittel für den Neubau des Museum Folkwang zur Verfügung stellt. Der Neubau öffnet den Museumskomplex zur viel befahrenen Bundesstraße 224 und dem kulturaktiven Stadtteil Rüttenscheid hin. Im Dialog mit den gegenüber liegenden Gründerzeitvillen und den aus den 1920er Jahren stammenden Bauten des Glückaufhauses und des direkt benachbarten Kulturwissenschaftlichen Instituts


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Schichtung 10C

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Treppe

(KWI) erzeugt ein höchst reizvolles Ensemble, das die seit 2010 gültige Adresse „Museumsplatz 1“ schlüssig begründet. Chipperfields würdevoll-schlichtes Konzept ergänzt den denkmalgeschützten Altbau, bewahrt dessen Integrität und setzt das architektonische Prinzip von Horst Loy mit einem Ensemble aus sechs Baukörpern, vier Innenhöfen, Gärten und Wandelhallen fort. Die öffentlich zugänglichen Bereiche schließen sich auf einer Ebene ohne Niveauunterschied den bestehenden Ausstellungsräumen an. Eine Freitreppe führt von der Bismarckstraße in den neuen Eingangsbereich, der als offener Innenhof mit Restaurant und Buchhandlung konzipiert und durch eine Glasfassade zur Straße hin geschützt ist. Das neue Museum Folkwang bietet eine abwechslungsreiche Raumfolge mit viel Tageslicht in den bis zu sechs Meter hohen Ausstellungsbereichen, Bibliothek mit Lesesaal, Multifunktionssaal, Veranstaltungsbereich, Depots und Restaurierungswerkstätten.

Museum Folkwang (Ausstellungssituation)


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Inverted House of Cards

Die transluzente, alabasterartige Fassade besteht aus großen, rechteckigen Glasrecycling-Platten. Je nach Lichtsituation ändert sich die Farbigkeit der Bekleidung. Das Büro David Chipperfield Architects wurde 1984 gegründet und ist mit Büros in London, Berlin und Mailand für private und öffentliche Bauherren tätig. Zu den Referenzen zählen auch das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und das Literaturmuseum mit dem restaurierten Schiller-Nationalmuseum in Marbach am Neckar. Museum Folkwang Umfeld Das Rasen-Glacis zwischen Museum und Bismarckstraße ist karg mit Skulpturen möbliert und bietet Raum und Rahmen für zwei in ihrem Auftritt sehr unterschiedliche Werke, die dort bereits in der Zeit vor dem aktuellen Neubau ihren Platz hatten: Thomas Kaspar Lenks „Schichtung 10C“ (1974) und Ulrich Rückriems „Treppe“ (1982). Rückriems Prinzip der sparsamen Bearbeitung des Materials Sandstein (Anröchter Dolomit) kontrastiert dabei, archaisch anmutend, mit dem optischen Verwirrspiel der Stahl-Schichtung von Thomas Lenk (*1933). Lenk verarbeitete industrielles Material (Chromstahl, Leuchtfarbe) und bediente sich der Chiffren des Industriedesigns seiner Zeit, überhöhte das Spiel der Perspektive in seinen Schichtungen. Die Schichtung

Schiffsketten

ist eine Plastik, also dreidimensional; sie funktioniert jedoch mit dem Trick einer vorgegaukelten Raumtiefe wie eine Grafik, also wie ein zweidimensionales Medium. Lenks Material- und Formensprache werden aus heutiger Sicht so sehr mit der Ästhetik ihrer Zeit assoziiert, dass es kaum vorstellbar scheint, wie sehr sie in den 1960/70er Jahren provokativ wirkten und Aggressionen erzeugten: Die Aufstellung von „Schichtung10c“ vor dem Museum löste 1974 ähnlich heftige Proteste aus wie Serge Spitzers Installation „Spirale“ auf dem Kennedyplatz ein knappes Vierteljahrhundert später. Erdverwachsen-still dagegen die Anmutung von Rückriems „Treppe“. Sie sei hier nicht näher kommentiert, denn wir werden Ulrich Rückriem im Stadtgarten noch mehrfach begegnen. An der Kahrstraße lehnen auf der Rasenfläche vor dem „alten“ Trakt (Loy 1960) vier in sechs Zentimeter dickem COR-TEN-Stahl gegossene Platten für Richard Serras (geb. 1939) „Inverted House of Cards“ (1969/83) aneinander.


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Trecker

Trecker (Detail)

Mit den Maßen 3 x 5 x 5 Meter ist dies ein vergleichsweise „kammermusikalisches“ Werk des in der Ruhr-Metropole prägend und prominent vertretenen Amerikaners. Serras durchgehendes Motiv der „Leichtigkeit des Schweren“ findet man vor dem Lehmbruck-Museum Duisburg, dem „Terminal“ am Bochumer Hauptbahnhof und mit der weithin sichtbaren Landmarke „Bramme“ auf der Schurenbachhalde in Essen-Karnap. Serras bevorzugter Werkstoff COR-TENStahl bildet an der Luft eine Rostschicht aus, wobei sich die anfänglich hohe Korrosion im Laufe der Zeit stetig vermindert. So entstehen natürliche Korrosionsschutzschichten, die so dicht sind, dass Sauerstoff und Wasser das Material fast nicht durchdringen können. Der Verwitterungsprozess wird so deutlich verlangsamt. Das umgedrehte Kartenhaus aus den wuchtigen Stahlplatten hält sich durch die Masse seiner Teile im Gleichgewicht. Kinder-, wind- und wohl auch erdbebensicher. Doch mit leichtem Schauer stellt sich die Frage: Hält es wirklich, wenn man ruckelt? Ein ähnlicher Dialog wie der zwischen „Schichtung“ und „Treppe“ - hier rohe naturbelassene Materialität dort industrielles Finish - ergibt sich von Serras Kartenhaus zu den „Schiffsketten“ des Bochumers Friedrich Gräsel (geb. 1927) aus dem Jahr 1972. Bevor die chromstahl-glänzenden Kettenglieder 1985 im Umfeld des Museums installiert wurden, haben sie - nomen est omen? - eine jahrelange Reise hinter sich gebracht. Nicht weniger als neun Standort- wechsel (u. a. in Bonn, Bochum, Hagen, Oldenburg, Antwerpen und Essen/Gruga-

park) gingen voraus. Gräsels Werk steht - wie Thomas Lenk im süddeutschen Raum - mit seiner ursprünglich als provokant wahrgenommenen Attitüde der skulpturalen Überhöhung industrieller Formelemente inzwischen für eine eher dekorative Möblierung öffentlichen Raums, ähnlich seinen rheinischen Kollegen Norbert Kricke und Heinz Mack aus der gleichen Generation. Gräsels StahlrohrPlastiken sind übrigens in Essen noch mehrfach abseits des KULTURPFADES im öffentlichen Raum zu sehen, u. a. am Skulpturenpark Moltkeplatz und an der Auferstehungskirche im Ortsteil Huttrop. Im Umfeld der schlichten Nachkriegswohnbebauung in Holsterhausen (Goethestraße/Hölderlinstraße) ein wenig wie abgestellt wirkt der „Trecker“ von Ludger Gerdes (1954–2008). Konzipiert war der „Trecker“ 1987 in seiner scherenschnitthaften Gestalt für einen Standort auf einer der Berghalden des Reviers. Monumentale Großplastiken (Richard Serras Bramme in Essen-Karnap und der Bottroper Tetraeder) ließen Gerdes von dem angedachten HaldenStandort zurückweichen. So mutet die Plastik heute etwas verloren an. Der Maler und Bildhauer Gerdes war seit Beginn der 1980er Jahren in zahlreichen Ausstellungen präsent und wurde ebenfalls 1987 mit einem markanten Beitrag für die Schau der „Skulptur-Projekte“ in Münster bekannt: Ein „Schiff für Münster" hieß der „Zweimaster", den er inmitten einer ländlichen Wasserfläche mit Bug, Heck und Kajüte errichtet hatte.


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Der Blick auf die Stadt

08 Kulturwissenschaftliches Institut KWI 09 Erlöserkirche 10 UMRAUM 11 Glückaufhaus/Film-Studio Glückauf 12 Steag-Hauptverwaltung 13 Dynamik 14 Raum-Form 35


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Der Blick auf die Stadt Kulturwissenschaftliches Institut (KWI) In direkter Nachbarschaft zu Chipperfields lichtem Ensemble residiert in der ehemaligen Steag-Hauptverwaltung, 1952 nach dem Entwurf des Industrieund Kraftwerksarchitekten Werner Issel errichtet, das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI), eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in der Tradition internationaler Advanced Study-Institute. Das KWI ist ein gemeinsames Forschungskolleg der drei Universitäten des Ruhrgebiets in Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen. Wissenschaftler der unterschiedlichsten Fächer arbeiten als Gäste des Hauses an zeitlich begrenzten Forschungsprojekten, unter anderem als Promotions- oder Habilitationsstipendiaten. Die Themenbreite im spartenübergreifenden Feld der „Orientierungsprobleme des zeitgenössischen Kulturbewusstseins” führt Wissenschaftler aus allen Kontinenten nach Essen. Durch seine Veröffentlichungen und die Vernetzung wissenschaftlichen Potenzials leistet das Institut einen wichtigen Beitrag für den Wissenschaftsstandort Essen. Im Mittelpunkt der Institutsarbeit stehen gegenwärtig die Themenfelder Erinnerungs-Kultur, Inter-Kultur, Klima-Kultur und Verantwortungs-Kultur. Weitere Projekte befassen sich mit der Zukunft der Demokratie, der Entwicklung der Metropolen, dem Verhältnis von Kultur und Wirtschaft, dem Stellenwert der Religion in der internationalen Politik, den Wechselwirkungen zwischen Kultur- und Lebenswissenschaften, der Herausforderung durch die digitale Wissenschaftskommunikation und der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft. Gastvorträge und Tagungen mit international hochkarätigen Referenten sind auch für die Allgemeinheit zugänglich. (Informationen: www. kulturwissenschaften.de).

Kulturwissenschaftliches Institut (KWI)

Erlöserkirche Aus der Zeit wirtschaftlicher Macht und explosionsartiger Stadtentwicklung stammt eine Kirche, die in ihrer wuchtigen Größe das Selbstbewusstsein des protestantischen Bürgertums unter Wilhelm II. dokumentiert. Im „guten“ Viertel südlich des Stadtzentrums wurde 1897 der Bau der Erlöserkirche in Auftrag gegeben. Architekt war nach dem Tod des ersten Planers, August Orth (1828– 1901), ein prominenter, in Berlin tätiger Kollege: Franz Schwechten (1841– 1924) führender Vertreter preußischer Repräsentationsarchitektur. Als Erbauer der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Kurfürstendamm profiliert, projektierte er für die zu Geld gekommene Stadt Essen einen Bau in historisierender Neo-Romanik. Die Hallenkirche mit Querschiff und umlaufender Empore wuchs nach Vorbild des Wormser Doms, mit repräsentativer Westfassade und 50-Meter-Turm zu stolzer Größe. Im Zweiten Weltkrieg 1943 schwer beschädigt, wurde sie von E.A. Reinhardt unter Beibehaltung von Schwechtens his-


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Erlöserkirche

torisierender Außenform wieder aufgebaut. Auch Schwechtens Berliner Kirche wurde im Krieg schwer beschädigt. Sie wurde jedoch als Denkmalsruine im zerstörten Zustand konserviert, wobei man ihr in den 1950er Jahren einen modernen Baukörper zur Seite stellte. Diesen wiederum gestaltete der Architekt Egon Eiermann (BDA), der zur gleichen Zeit auch das Gebäude der evonik-SteagHauptverwaltung nur einen Steinwurf von hier entwarf. Mit der Innenkonstruktion der Erlöserkirche verbindet sich der Name einer Essener Künstlerpersönlichkeit, die in ihrer Geburtsstadt erst lange nach ihrem Tod adäquat gewürdigt wurde: Hugo Kükelhaus (1900–1984) gestaltete den Innenraum der Kirche in den 1950er Jahren und setzte den neuromanischen Stil Schwechtens in Bezug zu einer von Rudolph Steiner geprägten Formensprache: organische Formen, Verzicht auf rechte Winkel, eine harmonische, natur-inspirierte Farbgestaltung in Fenstern und an den Wänden des Kirchenraums. Kükelhaus war neben seinem architektonischen Wirken Bildhauer, Philosoph und Pädagoge, dessen Werk erst mit einer privat initiierten Einrichtung Ende der 1990er Jahre in Essen in ganzer Breite dokumentiert wurde: Das „Erfahrungsfeld der Sinne”

Erlöserkirche (Probe Essener Bachchor)


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UMRAUM

(„Phänomania“) in Essen-Katernberg hat seit der IBA Emscher Park seinen Platz am Zollverein-Schacht III. gefunden und ist in einem seh- und fühlbaren Gesamtkunstwerk als eine Hommage an den vielseitigen Künstler zu verstehen.

UMRAUM Wir überqueren die Folkwang-Brücke über die B224 mit einem Rundblick über ein seit dem Folkwang-Neubau völlig neu entstandenes Ensemble von hoher Qualität. Wo vor wenigen Jahren noch der Eindruck der Bundesstraßen-„Rennbahn“ und der festungshaft wirkenden Rückseite des damaligen Museumszentrums dominierte, erscheint heute die Adressenbezeichnung „Museumsplatz“ durchaus schlüssig. Wir folgen dem Schwung der Rampe in den kleinen Park zwischen Bismarck- und Rüttenscheider Straße, schauen nach links in den nach der Wiedererstellung des Glückaufhauses nun offenen Innenhof

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des geschichtsträchtigen Ensembles. Wir stehen vor einer rätselhaften StelenGruppe: In den Umraum des kleinen Parks über dem „unzerstörbaren“ ehemaligen Bunker der NS-Gauleitung stellte Timm Ulrichs 1989 eine Installation aus zehn Formbeton-Säulen. Die Stirnseiten der Stelen lassen, weil abgeschrägt, ihr jeweiliges Profil als das eines Buchstabens erkennen: Ein U, ein M, ein R, ein A, ein U, ein M: „UMRAUM“ − zum X angeordnet lesbar in jede Richtung. Manche brauchten Jahre, das Werk zu deuten: Je später die Erkenntnis, desto nachhaltiger die Erheiterung! Erst durch den Brückenschlag der Folkwangbrücke und schließlich durch das neue bzw. revitalisierte Ensemble wurde der „UMRAUM“ erschlossen und der „Umraum“ erlebbar. Vorher hatte er sich von der viel begangenen Rüttenscheider Straße abgewandt und gleichsam verschlossen. Ulrichs (*1940) ist als Konzeptkünstler einer der jüngeren „Erben“ der FluxusGeneration der 1960er und 1970er Jahre. Ulrichs wurde bereits 1972 für eine Professur an die Akademie in Münster gerufen. Mit etlichen öffentlichen Preisen geehrt, steht er für virtuosen Umgang mit Sinn, Un-Sinn und Hintersinn in Sprache und Raum. Anfang der 1970er Jahre, nachdem er die „Werbezentrale für Totalkunst” gegründet hatte, inszenierte er sich als „Lebendes Kunstwerk” und kreierte ein an jeder beliebigen Stelle der Welt installierbares „Hinweisschild für die Erde” mit der Inschrift: „Globus - Maßstab 1:1” (1965).

Glückaufhaus und Film-Studio Wechselvolle Essener Geschichte seit den Zwanziger Jahren bis heute verbindet sich mit dem Glückaufhaus und dem Film-Studio Glückauf auf vielerlei Ebenen. Von der reformbewegten architektonischen Geste zu Beginn der Zwanziger, der Diktatur von 1933 bis 1945 geht der Bogen über jene für die Essener Stadtlandschaft tief prägende Nachkriegsepoche bis hin zu einer beispielhaften Bürgerinitiative im Vorfeld der Stadt und Region als Kulturhauptstadt Europas. Zur Erhaltung von architektonischer und kultureller Substanz war ein breites Bürgerbündnis nötig und ein mutiger baulicher und unternehmerischer Schritt – nämlich, das Gesicht eines Gebäudes und die Wahrnehmung im Stadtraum mit den kompletten Neubau des Gebäudeinneren zu verquicken. Das „Bürohaus Glückauf“ ist 1922/23 entstanden − ein prägendes Beispiel für die dynamische Architekturentwicklung jener Zeit und das erste Essener Gebäude des für die Stadtgestaltung eminent wichtigen Planungsdezernenten und Architekten Ernst Bode. Beeinflusst von Ideen der „Reformbewegung“


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Glückaufhaus (Rüttenscheider Straße)

Glückaufhaus (Hauptportal Friedrichstraße)

nach Ende des Ersten Weltkrieges und des wilhelminischen Kaiserreichs war es von Beginn an eines der Wahrzeichen für den industriellen Wandel in Essen. Klassizistische und expressionistische Vorbilder prägten den monumental gestalteten Ziegelmassivbau. Er bildete den Auftakt einer in Essen in den Zwanziger Jahren stark ausgeprägten Tendenz zur Errichtung baublockgroßer Komplexe (siehe Kapitel „Visionen in Stein“). Mit expressionistischen Stilelementen in der Eingangshalle, einem monumentalen Säulenrisalit zur Rüttenscheider und einem Arkadeneingang im dreistöckigen Vorbau zur Friedrichstraße, assoziierte die um einen großen Innenhof gruppierte Anlage schlossartige Dimensionen. Es überrascht angesichts der heroisierenden Formensprache kaum, dass der zunächst als Verwaltungsgebäude dienende Bau schon 1933 mit der Zusammenfassung mehrerer Gauleitungen zur NS-Kommandozentrale für Essen und das westliche Ruhrgebiet wurde. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und Zusammenbruch der NS-Herrschaft diente das Haus als Sitz der englischen

Stadtkommandantur und der von den Alliierten eingerichteten Kontrollbehörde für den deutschen Steinkohlebergbau. In dieser Funktion war der Bau mit dem beziehungsreichen Namen mehrfach Ziel der „Hungerdemonstrationen“ in den späten 1940er Jahren. Nach Nutzung als Polizeipräsidium in den 191950er Jahren wurde das Haus zum Verwaltungssitz verschiedener bergbaulicher Verbände, bis sich schließlich im Jahr 2000 so gravierende bauliche Schäden zeigten, dass eine völlige Entkernung des denkmalgeschützten Komplexes nötig wurde. Dies bildete den Auftakt eines bürgerschaftlichen und unternehmerischen Prozesses, der bis zu seinem erfolgreichen Abschluss beinahe zehn Jahre dauern sollte − einen Leerstand von mehr als einem halben Jahrzehnt eingeschlossen. Entscheidend für die Intensität und das „Herzblut“, mit dem dieser Prozess vorangetrieben wurde, war zweifelsohne das mit dem Glückauf-Verfall verbundene Ende einer Kino-Institution. Das Filmstudio Glückauf in Essen war und ist das älteste Filmtheater in NRW und eines der letzten seiner Art in Deutschland. Essen verfügt somit durch das Fünfziger-Jahre geprägte „Eulenspiegel“ an der Steeler Straße und die spektakuläre Lichtburg, dem größten deutschen Lichtspiel-Premierentheater über drei herausragende Kino-Denkmäler. Letztere ist mit ihrer prächtigen Innenausstattung eine Reminiszenz an die glamouröse Hoch-Zeit des Kinos. Der Kinosaal des Filmstudios dagegen, dessen Elemente aus den 1920er Jahren zum Großteil er-


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halten waren, spiegelte demgegenüber authentisch die Anfänge der Geschichte des Films als Kunstform wider. 1924 war das Filmtheater von der Stadt Essen als „Reformkino“ eröffnet worden, das – im Gegensatz zum reinen „Unterhaltungsprogramm“ anderer Kinos – Kulturfilme aufführte. Das Film-Studio war in den letzten Kriegstagen zerstört und 1953 wiedereröffnet worden. Der Tradition der anspruchsvollen europäischen Filmkunst ist das Haus treu geblieben. Seit der Übernahme 1991 durch die Betreiber der „Essener Filmkunsttheater“, Marinanne Menze und Hanns-Peter Hüster, wurde es Jahr für Jahr von Land und Bund für ein „hervorragendes Jahresfilmprogramm“ ausgezeichnet. Als es 2001 wegen der Statikprobleme geschlossen werden musste, wich man für mehrere Jahre in die Halle 2 auf Zollverein aus. Mit einer groß angelegten Spendenaktion wurde die Wiedereröffnung mit Investitionen von 2,4 Millionen Euro angepeilt. Daran waren viele beteiligt: Das Land und die EU mit 1,2 Millionen, große und kleine Spender mit fast 800.000 sowie zwei Stiftungen mit 150.000 Euro. Den Anstoß hatte Lichtburg-Chefin Menze mit der Gründung des Vereins „Rettet das Film-Studio“ gegeben. Rund 1.300 BürgerInnen spendeten, es gab eine prominent besetzte Gala und einen Fonds der Essener Sparkasse. 200 Investoren sicherten durch den Kauf von Fondsanteilen den Betrieb des Kinos. Die Projektentwickler Kölbl Kruse, Hausbesitzer seit 2004, und der neue Glückaufhaus-Hauptmieter, die von Essen aus weltweit tätige Firma IFM-electronic, hatten für den Kino-Erhalt jeweils eine Viertelmillion Euro beigesteuert. Damit erhielt das im Untergeschoss des Gebäudes liegende Kino eine gänzlich neue Bausubstanz, die jedoch wieder mit dem komplett erhaltenen Originalinterieur ausgestattet wurde: Der Kinosaal von 1924 und das NachkriegsFoyer mit Filmbar aus den Fünfzigern. Die Kölbl Kruse GmbH beauftragte das Hagener Architekturbüro Bahl & Partner mit einem Neuentwurf des Glückaufhauses. Nachdem sich die Bausubstanz des Hauses bei eingehender Prüfung als unrettbar erwiesen hatte, entschloss man sich zu einem Neubau unter Berücksichtigung und mit Erhalt der denkmalgeschützten Hülle. Es galt, die während der Neubauphase frei stehenden Außenmauern abzufangen und an den neuen Baukörper anzuschließen. Der Umbau/Neubau wurde im Dezember 2009, unmittelbar vor dem Beginn des Kulturhauptstadtjahres, abgeschlossen.

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Film-Studio

Hinter der denkmalgeschützten Fassade offeriert das Glückaufhaus Besuchern und Mietern heute ein Bürogebäude auf dem neuesten technischen Stand mit variablen Raumzuschnitten auf 17.000 Quadratmetern Nutzfläche.

Evonik-Steag-Hauptverwaltung Ein herausragendes Beispiel für funktionelle und zugleich repräsentative Architektur der späten 1950er und beginnenden 1960er Jahre finden wir gegenüber im Gebäude der heutigen Evonik-Steag-Hauptverwaltung, das 1960 auf dem Gelände der kriegszerstörten Kruppsiedlung „Baumhof“ errichtet wurde. Der Architekt Egon Eiermann (BDA) entwickelte aus streng reduzierten Formenelementen (Rechteck, Quadrat) eine Anlage aus zwei rechtwinklig zueinander gestellten acht- bzw. fünfgeschossigen Baukörpern. Die strenge Formensprache setzte sich beispielhaft in dem weit in die Freifläche vorgezogenen Zugangsbereich fort.


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Dynamik

Evonik-Steag-Hauptverwaltung

Prof. Egon Eiermann war als Architekt und Lehrer prägend für die Architekturgeschichte der 1960er Jahre, international bekannt u. a. durch die Gedächtniskirche am Berliner Kurfürstendamm, die deutsche Botschaft in Washington (1961) und später das Abgeordnetenhaus „Langer Eugen“ in Bonn. Das Haus am Beginn der Rüttenscheider Straße wurde zunächst von der Mannesmann AG, seit 1968 von der neu gegründeten Ruhrkohle AG/RAG (heute: Evonik) genutzt, die es 1992 auf ihre Tochtergesellschaft Steag übertrug. Unter neuer Ägide wurde der Komplex nach Plänen der Architekten Kohl & Kohl (BDA) saniert und im Anbau teilweise aufgestockt. Hierbei blieben charakteristische Elemente wie die Transparenz der Treppenhäuser erhalten oder wurden – wie in der Gestaltung der streng gegliederten schwarzen Fassade – dem Erstentwurf entsprechend weiterentwickelt.

„Dynamik“ Im Kontrast zur strengen Linienführung des Eiermann-Baus bewegt sich die „Dynamik“ von Ladis Schwartz, eine großformatige Bronzeskulptur auf der Freifläche vor dem Steag-Komplex. Mit dem Weg der „Dynamik“ nach Essen verbindet sich eine durchaus anrührende Geschichte, deren Ende der aus dem rumänischen Siebenbürgen stammende Bildhauer Ladis Schwartz (1920–1991) selbst nicht mehr erlebte. Schwartz, ein international anerkannter Künstler, sah sich schwerkrank über Jahre vor der fast ausweglosen Situation, seine als 1:1 Gipsmodell fertig gestellte „Dynamik“ nicht mehr als Bronzeguss verwirklichen und platzieren zu können. Seine Werke, die sich zeitlebens in ländlich-naturliebender Sinnlichkeit mit seiner Kindheit und in starker Symbolhaftigkeit mit der Geschichte seines Volkes, der europäischen Juden, auseinandersetzten, stehen an markanter, teils historischer Stelle. Das berühmteste Werk von Ladis Schwartz ist das Denkmal


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vor dem Steag-Gedäude führt die „Dynamik“ nun einen kraftvollen Dialog mit der kühlen Funktionalität des Verwaltungsbaus von Egon Eiermann. Geheimtipp: Es ist ein Erlebnis, sich der „Dynamik“ einmal von innen zu nähern!

Raumform 35

„Aliya“ (Ankunft) am Strand von Haifa. Es erinnert an jene jüdischen Einwanderer, die dort, zu Zeiten des britischen Mandats in Palästina, auf der Flucht vor dem Faschismus in den 1940er Jahren illegal an Land gingen. Schwartz, der die kolossale „Dynamik“ (4 x 4 x 4 m) im vollen Bewusstsein seiner Krankheit als ein letztes abschließendes Werk geschaffen hatte, stand vor der ausweglos scheinenden Situation, dass seine Atelierräume für den Neubau eines Bürohauses abgerissen werden sollten. Es war offenkundig, dass die Gipsform der Raum füllenden Plastik nur einen Transport − den zur Gießerei − überstehen würde. Der Künstler starb 1991, noch bevor im Wettlauf mit der Zeit ein Standort gefunden war. 1992 kam die Plastik durch die Vermittlung des Essener Journalisten und Schwartz-Bewunderers Bernd Drescher unter Schirmherrschaft des NRW- Ministerpräsidenten und späteren Bundespräsidenten Rau nach Essen und blieb damit als letztes großes Werk des Künstlers erhalten. Auf dem Freigelände

„Raumform 35“ Norbert Thomas Eine ganz ähnliche Zwiesprache zwischen Kunst und Bau hält die „Raumform 35“ von Norbert Thomas, eine für den 1947 in Frankfurt geborenen und heute in Essen lebenden Künstler bezeichnende Arbeit. Thomas, seit 1991 Professor in Wuppertal, löst im rational beherrschten Umfeld eines Bürogebäudes (Ferrostaal AG an der Baumstraße) die sich beständig ergebende Problematik der „Kunst am Bau“ durch sein persönliches System. Der Ästhetik eines Zweckbaus setzt er die Zufälligkeit eines Lotteriespiels der Winkel und Linien entgegen. Thomas durchdringt komplette Baukörper und das umliegende Gelände mit einer Linie aus stählernen Rundstäben. Der Verlauf, Winkel, Länge sind im Ursprung gänzlich einem Zufallsprinzip der Formentwicklung unterworfen, quasi aus dem Hut gezogen. Zufall in der Ermittlung, Berechenbarkeit in der Ausführung, Ratio und Intuition korrespondieren in einerseits blitzhafter Vorgabe und andererseits minutiöser Umsetzung. Ein Blitz durchdringt eine Glasfront ohne Scherben, wird zum Pfeil, der Wände und Treppen aufspießt. Formen enden nicht an baubedingten Grenzen sondern werden quasi „imaginär“ weitergeführt. Das innere Auge des Betrachters vervollständigt das von Thomas angerissene Bild. Neben der „Raumform 35“ am Ferrostaalgebäude in der Baumstraße ist Norbert Thomas im Umfeld des Kulturpfades nochmals mit der „Springenden Linie“ im Garten des RWE-Turms und an der Fassade der umgebauten Sparkassenzentrale in der City vertreten.


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Garten der Klänge

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15 Stadtgarten Konzept und Renovierung 16 Saalbau/Philharmonie 17 Große Geister 18 Unendliche Schleife 19 Cello 20 Platz für einen freisprechenden Menschen 21 Fee 22 Kinderspielplatz/Erdmäuler 23 Fünf Finger einer Hand - fünf Wände zum Pentagramm 24 Steinhaus 25 Stele/Obelisk 26 Dolomit 27 Aalto-Theater/Opernhaus


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Stadtgarten Ein Park mit Geschichte: der Essener Stadtgarten. Nachdem es bereits seit 1865 einen „städtischen Garten” gab, wurde hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Park in seinem heutigen Ausmaß angelegt. Zugleich erfolgte die Errichtung des Essener Saalbaus durch den Architekten Fred Skjold Neckelmann im Jahr 1904. Der wuchtige Steinbau ersetzte ein Provisorium aus Holz und wurde Domizil des zur gleichen Zeit gegründeten Essener Philharmonischen Orchesters. Wie auch andere Grünareale der Stadt (Kaiserpark in Altenessen, Volkspark in Kray) stehen Park und Saalbau für eine Zeit, in der sich Essen mit einer Dynamik entwickelte, welche sich beispielhaft mit dem Leben einer für das Stadtbild prägenden politischen Persönlichkeit verband: Erich Zweigert, von 1886 bis 1906 Oberbürgermeister von Essen. Unter Zweigerts Ägide wurde Essens Urbanisierung vollzogen, in ihrem Tempo eher ein Quantensprung als ein Entwicklungsprozess: Die Stadt zählte bei Zweigerts Amtsantritt 65.000 Einwohner, verfügte jedoch weder über ein öffentliches Krankenhaus, noch über eine Bibliothek, ein Theater oder ein eigenes Orchester. Südlich des Stadtkerns lagen zwischen Essen und der noch bis 1905 selbständigen Bürgermeisterei Rüttenscheid Bauernschaften und Felder. 1896, zehn Jahre nach Zweigerts Amtsantritt, überstieg die Einwohnerzahl die Hunderttausend. Weitere zehn Jahre darauf, als Zweigert − erst 57jährig – in seinem Amtszimmer an einem Herzinfarkt starb, war Essen zu einer Großstadt von 240.000 Menschen angewachsen.

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Es galt, dem wuchernden Wachstum Struktur zu geben und südlich des Stadtkerns ein „bürgerliches” Viertel zu bauen. Durch Zweigert kam der Planer und Wasserbauexperte Robert Schmidt nach Essen und leitete als Beauftragter für die Stadterweiterung (ab 1906 als Beigeordneter) das Konzept für die Bebauung des zweiten Stadtrings: Im Süden des Stadtzentrums vom Stadtgarten ausgehend, der neuen Ringstraße (Hohenzollern-, Kaiser-, Kronprinzenund Kurfürstenstraße) folgend bis zum Wasserturm an der Steeler Straße. Es entstand eine von vielen grünen Freiflächen durchwirkte, urbane Bebauung von außergewöhnlicher Qualität, die von den Kriegszerstörungen zum Glück verschont blieb. Das Moltkeviertel (entstanden von 1908 im Stile der Reformarchitektur) gilt auch heute noch als Essens schönstes Wohnviertel in Zentrumsnähe. Für KULTURPFAD-Gänger ist ein Abstecher ins Viertel ein „Schritt zur Seite”. Es lohnt ein eigener Ausflug, denn hier finden sich in der Wohnbebauung einige jener Architekten wieder, denen wir am KULTURPFAD in der Innenstadt noch prominent begegnen werden: Körner, Bode, Metzendorf (siehe „Visionen in Stein”). Außerdem wird der Moltkeplatz zwischen Moltkestraße und Ruhrallee durch eine auf den Galeristen Jochen Krüper (†2002) zurückgehende Initiative „Kunst am Moltkeplatz“ bespielt. Unter mächtigen alten Platanen finden wir Werke von Friedrich Gräsel, Ulrich Rückriem und Ansgar Nierhoff, die uns auf

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dem KULTURPFAD begegneten, wie u. a. auch eine mehr als sechs Meter hohe Baumskulptur von Gloria Friedmann, in der ein dreidimensional-echter abgestorbener Baum in eine rote Betonmauer und damit in ein zweidimensional wirkendes Bild eingefügt ist. Robert Schmidt legte übrigens später konzeptionell den Grundstein für den „Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk” (heute Regionalverband Ruhr/RVR), dessen erster Vorsitzender er ab 1920 werden sollte. Dem SVR/RVR, den Wasserwirtschaftsverbänden „Ruhrverband/Ruhrtalsperrenverein“ und der Emschergenossenschaft ist es schlussendlich zu verdanken, dass das Ruhrgebiet im Kohle- und Stahlboom des 20. Jahrhunderts nicht vollends im eigenen Dreck versank und sich später Kahlschläge wie in anderen Kohlerevieren Europas (Belgien, Lothringen, Mittelengland) haben vermeiden lassen. Wem dies zu weit gegriffen scheint, sollte sich im Stadtgarten, schönes Wetter vorausgesetzt, einmal auf die Wiese legen, in die Kronen der Kastanien


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schauen und dann die Augen schließen. Verkehrsrauschen ist zu hören, Entenquaken, Kinderquieken, eine Fontäne im Teich und das typische Klacken von Boulekugeln auf der Platanenallee. Kaum vorstellbar angesichts der heutigen Beschaulichkeit: Seit Beginn des Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre war „echt was los” im Park, hat sich hier − Kriegs- und Nachkriegszeiten ausgenommen − allsonntäglich „gesellschaftliches Leben” abgespielt. Seit den Endsechzigern wurde es stiller, zu jenen Zeiten also, als sich die Essener nicht mehr zu Platzkonzert und Tanztee auf der Saalbau-Terrasse trafen, sondern lieber vor dem Fernseher sitzen blieben oder in die Gruga, später ins Phantasialand fuhren. Der Park fand sich in seiner Funktion und öffentlicher Wahrnehmung reduziert auf eine Grünfläche hinter Saalbau, SheratonHotel und dem 1988 eröffneten Aalto-Theater. Ansätze wie das Skulpturenprojekt „Im Auftrag” der Folkwangfeste in den 1980ern, auch die Neuanlage eines skulptural-magisch gestalteten Spielplatzes und später die ersten Schritte des KULTURPFAD-Projektes konnten den Dornröschen-Schlaf des Stadtgartens nicht wirklich beenden. Es brauchte offenbar neue Gruppen, vielleicht auch eine neue Generation der Nutzer und den durch ein Bürgerbegehren herbeigeführten Umbau des alten Saalbaus zur neuen Philharmonie, um wieder Leben ins städtische Grün zu bringen. Frankreichverrückte Freunde des Boulekugelwerfens waren Mitte der 1990er die ersten, die den dahindämmernden Stadtgarten für etwas mehr nutzten als zum Hundeausführen. Essens Boulefreunde entdeckten die schön gewachsene Allee hinter dem Sheraton-Hotel als ihr Terrain. Familien packten den Grill auf der Wiese aus, Studenten ihre Bücher. An sonnigen Tagen regte sich wieder Leben im Park. Es brauchte eine Erneuerung und eine Gestaltung, die dazu ermutigt, den Park auch nach Sonnenuntergang angstfrei zu begehen. Es brauchte das Zusammenspiel bestimmter Faktoren, um die Angst im Stadtraum nicht aufkommen zu lassen: Leute und Licht, Musik und Menschen. Hier wirkte sich der Neustart des Essener Saalbaus als Essener Philharmonie als Katalysator aus − mit Außenwirkung eben auch für jene Menschen, die nicht den Angeboten der „Kulturtempel“ folgen. Der Freiraumplaner und Landschaftsarchitekt Andreas Kipar unterzog den Park einer zunächst nicht unumstrittenen Verjüngungskur, indem er die in die Jahre gekommene Vegetation stutzte, neue Sichtachsen schuf, und das Areal rund um den Stadtgartenteich belüftete.

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Saalbau/Philharmonie Der kriegszerstörte Saalbau des Architekten Fred Skjold Neckelmann aus dem Jahr 1904 war 1950 durch Walter Engelhardt wiederaufgebaut worden und galt im wirtschaftswunder-geprägten Umfeld der 1950er und 1960er Jahre als „Essens gute Stube“ mit Konzerten bis zu Gastspielen der Callas, Prunksitzungen des Essener Karnevals, Parteitagen und Skandal-Veranstaltungen wie den Essener Songtagen 1968, als Polit-Rebellen den wohlmeinend auf einen Stadtempfang einladenden Essener Oberbürgermeister Wilhelm Nieswandt mit Leberwurst-Schnittchen bewarfen. Schließlich, fünfzig Jahre nach seinem Wiederaufbau, genügte der Saalbau weder den Ansprüchen an ein Konzerthaus noch denen eines Kongresszentrums. Der verkümmerte Zustand des Saalbaus bereitete Sorgen. Die Alternativen waren: Neubau oder Sanierung. Im Kommunalwahljahr 1999 fiel nach einer heftigen öffentlichen Kontroverse bis hin zum Bürgerbegehren die Entscheidung für ein Konzept „nachhaltiges Bauen im Bestand“, die alte Hülle sollte also neu gefüllt werden. Aus „Essens guter Stube” sollte als Essener Philharmonie ein Konzerthaus werden, welches auch Anforderungen internationaler Spitzenorchester genügen kann. In einem internationalen Wettbewerb setzte sich das Architektenbüro Busmann + Haberer aus Köln, bekannt durch Entwurf und Bau der Kölner Philharmonie, durch. Ergänzend zur bestehenden Saalachse in Ost-West-Richtung wurde die Chance für eine Neu-Orientierung zum benachbarten Aalto-Theater gesucht. Die neue Erschließung des Hauses verstärkt seitdem die Einbindung in den Park und ergänzt den traditionellen Eingang in Richtung der Huyssenallee. Über ein neues mehrstöckiges Foyer werden der Alfried Krupp Saal und der RWE Pavillon erschlossen. Die allseitigen Verglasungen öffnen den Blick in den Stadtgarten und bilden die Hülle für vielfältige Veranstaltungsvarianten. Über Lufträume mit viel Tageslichteinfall sind die einzelnen Foyergalerien- und Erschließungsflächen miteinander verbunden. Die seit den 1950er Jahren gegebene Gliederung der Saalbau-Fassaden mit ihren abwechselnden Wand- und Fensterflächen wurde ins Innere übertragen. Sie bildet den Rhythmus für die birkenholzvertäfelten Oberflächen, die in Teilbereichen aus akustischen Gründen gefaltet sind, im Wechsel mit hinterleuchteten Glaselementen und den die Emporen tragenden Stahlstützen. In der Höhe um ein Technik-Geschoss nach unten erweitert, wurde der in „Alfried Krupp Saal“ benannte Konzertsaal in der bestehenden Baustruktur als innerer Körper erneuert. Er bietet seit 2004 über 1.900 Personen im an-


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Philharmonie am Abend

steigenden Parkett und zwei Rängen Gelegenheit, in hervorragender Akustik philharmonische Konzerte zu erleben. Durch eine variable Hubpodien-Technik im ehemaligen Kellergeschoss kann ein großer Teil der Grundfläche innerhalb weniger Minuten auf die horizontale Foyerebene verändert werden, sodass Mehrfachnutzungen für Kongresse, Tagungen oder Feste in kürzester Zeit möglich sind. Direkt über der Bühne befindet sich ein verstellbares Deckensegel mit einem Durchmesser von ca. 11 Meter und einem Gewicht von 18 Tonnen, das einerseits der Akustik dient, andererseits aber auch das Lichtrigg für die Bühnenbeleuchtung enthält. Das Deckensegel hängt an 8 Motoren, die so steuerbar sind, dass beispielsweise bei einem Kammerkonzert mit kleiner Besetzung das Segel ein Stück abgesenkt wird. Bemerkenswert ist auch die im September 2004 eingeweihte große Konzertorgel der Schweizer Orgelbaufirma Kuhn im Alfried Krupp Saal der Philharmonie. Das Herzstück des Konzertsaals mit seinen 4.502 Orgelpfeifen beeindruckt

nicht nur klanglich, sondern setzt im Zusammenspiel mit dem Bühnenrund und dem Akustiksegel einen architektonischen Akzent gleichsam als eine metallisch-glänzende Strahlenkrone über dem jeweils agierenden Orchester. Eine Leitvorstellung der Architekten war es, den Saalraum wie den Corpus eines Instrumentes aufzufassen. Das Bild des großen Klangkörpers hat die Entscheidungsgrundlage für das Material Holz geliefert und erzeugte eine von den Architekten und Akustikern entwickelte funktionale und ästhetische Einheit. Die Essener Philharmoniker waren an der Ausgestaltung der Akustik beteiligt, die Karlheinz Müller aus München leitete. Er hatte großen Einfluss darauf, dass die akustischen Anforderungen realisiert wurden, um eine Qualität zu erreichen, die auch CD-Aufnahmen im leeren Raum zulässt. Der Neubau im Saalbau ließ die Philharmonie zu einem bei internationalen Spitzenorchestern hochangesehenen Spiel-Platz werden, angeschoben und angetrieben durch den umtriebigen und hervorragend vernetzten Gründungsintendanten Michael


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Kaufmann. Dessen Ambitionen und Konzepten (Gastspielort für Spitzenorchester, hochkarätige Residences, Festivals mit Schwerpunkt in der Moderne des 20. Jahrhunderts) hinkten die Konsumentenzahlen gegenüber den Vorgaben so weit hinterher, dass sich die Essener Stadtpolitik 2008 zu einer zunächst fristlosen Entlassung genötigt sah. Letztere wurde nach massivem Druck der pro Kaufmann votierenden Mäzenatenschaft später zu einem ehrenvollen Abgang abgemildert.

Rundgang Stadtgarten Vor dem Schritt hinüber zum zweiten großen Baukomplex im Stadtgarten, dem Opernhaus von Alvar Aalto, ist auf dem KULTURPFAD ein Blick auf die kleinteiligen Objekte im Park angezeigt. Gerade hier blüht manche Schönheit im Verborgenen und lässt sich die eine oder andere spannende Geschichte erzählen. Direkt vor den Glastüren des RWE-Pavillons der Philharmonie treffen wir auf verstörende „Große Geister“. „Für mich ist das Normale das Unaussprechlichste …“ lautet ein Motto des Düsseldorfer Künstlers Thomas Schütte (*1954), der dreimal an der documenta in Kassel teilnahm und 2005 den goldenen Löwen der Biennale in Venedig als bester Künstler der Ausstellung gewann. Unaussprechlich monströs und bis ins Karikaturenhafte aufgeblasen wirken drei figurative Arbeiten Schüttes auf der Terrassenfläche vor dem RWE-Pavillon der Philharmonie. Bekannt wurde der Schüler von Gerhard Richter zunächst durch tischhohe Architekturmodelle, doch gehören ebenso Fotografien, Installationen und Aquarelle zu den Medien, mit denen er arbeitet. Schütte hat sich verschiedentlich mit der Bedeutung von Denkmälern auseinandergesetzt − sei es mit männlichen „Großen Geistern“, die an das Leitbild-Maskottchen eines französischen Reifenherstellers erinnern oder sei es mit überdimensional verzerrten Frauenfiguren, die wiederum an steinzeitliche Idole gemahnen. Er gilt nach seinem Lehrer Richter und im Kontext seiner seit den 1980er Jahren ebenso druckvoll vermarkteten Kollegen Thomas Ruff, Thomas Struth, Andreas Gursky, Gerhard Merz und anderen („Von hier aus“, Messe

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Große Geister

Große Geister (Detail)

Düsseldorf 1984) als einer der weltweit gefragtesten deutschen Künstler der Gegenwart. Große Werkblöcke finden sich in der Flick Collection, ebenso wie in der Sammlung François Pinault, Punta della Dogana, Venedig. Seit 2004 konfrontiert er auch in Essen das flanierende Pausenpublikum der Philharmonie und die Menschen im Stadtgarten mit einem klassischen „Anti-Monument“, einer Dreiergruppe aus seiner seit den 1990er Jahren erfolgreichen und in vielen Positionen und Materialien ausgeführten Riesen-Serie. Die Luftigkeit der aufgefrischten Park- und Terrassenanlage (Planung KLA kiparlandschaftsarchitekten 2006) wird von Schüttes blicklosen und wie hilflos herumtapernden Aliens ebenso konterkariert wie die sandsteinfarbene, lichte Feierlichkeit der Philharmonie oder die schlichte gläserne Kühle des RWE- Pavillons – ein Bild für die ambivalente Verquickung von Monumentalität und Isolation? Ein Thema für den Kunst-LK − oder das Börsenparkett! Zurück zum Eintritt in den Stadtgarten (Südseite): Dort werden wir von der „Unendlichen Schleife” des berühmten deutsch-schweizerischen BauhausSchülers, Bildhauers, Architekten und Designers Max Bill empfangen. Max Bill (1908-1994) war Gründer, Rektor und Erbauer der Hochschule für Gestaltung in Ulm, die seit den 1950ern weltweite Standards im Industriedesign („braun”Design, „Piktogramme”) setzte. Max Bill hat sich in seinem streng konstruktivistischen, graphischen und plastischen Werk zeitlebens mit dem Wechselspiel

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Unendliche Schleife

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Cello

zwischen Flächigkeit und Räumlichkeit, Zwei- und Dreidimensionalität auseinandergesetzt und damit eine ganze Künstlergeneration (op art) beeinflusst. Die „Unendliche Schleife”, von der zwischen 1935 und 1994 eine Vielzahl von Varianten in Bills Werk entstanden, geht auf das einfach-verwirrende physikalische Prinzip der „Möbius-Schleife” zurück. Als Papierversuch ist die Schleife ein Klassiker des Physikunterrichts, ausgeführt in rotem Trauergranit eine Skulptur von meditativ-eleganter Schönheit! Stefan Hubers „Cello” (1987) zählt zu den wenigen heiteren Werken des 1952 geborenen Bildhauers. In Hubers Oeuvre zeigen sich oft bittere Allegorien: Rauminstallationen mit Skeletten, Knochenbergen und Todes-Anmutungen. Bezüge zur Klimaproblematik lassen sich in Hubers Kunsträumen ebenso finden wie eine durchweg schmerzlich anmutende Bearbeitung des Themas menschlicher, zivilisatorischer Eingriffe in die Natur. Die vergleichsweise mozartesk-heitere Anmutung seiner Arbeit „Cello” im Stadtgarten begleitete Huber bei ihrer Aufstellung mit dem Hinweis, Essen als Stadt wäre genug durch Hässlichkeit belastet, dass er dem nichts mehr hinzufügen wolle. Insofern steht das Cello für die künstlerische (Eigen-)Wahrnehmung der Ruhrregion während der späten 1980er Jahre: In Essen hatte soeben die letzte Zeche (heute das Welterbe Zollverein und Ankerpunkt der Europäischen Kulturhauptstadt RUHR.2010) geschlossen. Die Montanregion hatte sich in der Strukturkrise noch längst nicht neu erfun-


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Standort für einen freisprechenden Menschen

den. Impuls und Neupositionierung durch die Internationale Bauausstellung IBA Emscherpark der 1990er-Dekade standen noch aus. Der Huberschen Bitterkeit durchaus verwandt ist der zivilisationskritische Ansatz, der sich als Leitthema im Werk des Essener Künstlers Wolfgang Liesen (*1936) findet. Liesen thematisierte seit den 1970ern mit brachialen Verformungen von gewachsenem Material (Holz, Wachs) Vergewaltigung von Natur und Zivilisation. Er spannte massive Rohholzblöcke in mächtige Eisenklammern, bis sie dem Druck nicht mehr standhielten, trieb Keile in Baumtorsos. Bei der 1987 im Park installierten zweiteiligen Skulptur „Standort für einen rezitierenden oder freisprechenden Menschen” trafen Konzeption und Zufall aufeinander: Liesen ordnete die Teile einer 1983 im Bauschutt gefundenen Säule so an, dass er die Illusion erzeugt, der gerade gefallene Säulenkörper wäre in den weichen Grund eingeschlagen. Auf dem Säulenfuss bleibt Platz für den frei Sprechenden. Jener bleibt unsichtbar, es sei denn, wir selbst nehmen seinen Platz ein! Eine Aufforderung? Der figurative Kontrapunkt und der passende Ort für ein Liebesgedicht findet sich wenige Meter von Liesens Sprechplatz entfernt. Als einzige klassischfigurative Plastik, die aus altem Bestand im Stadtgarten verblieb und die nicht in den Grugapark wechselte, grüßt dort die „Fee”, eine Bronzeplastik von Wilhelm Nida-Rümelin aus dem Jahr 1905. Nida-Rümelin (1876-1945), schuf

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Erdmäuler

die bezaubernde Frauengestalt ursprünglich als „Aphrodite” für einen Brunnen in der Wandelhalle des Saalbaus: Für den KULTURPFAD-Flaneur ein anmutigcharmantes Intermezzo in der Dichte der Konzepte. Wer sich weiter nördlich auf die beiden beherrschenden neuzeitlichen Baukörper des Aalto-Theaters und des dahinter aufragenden RWE-Turms zu bewegt, findet sich in einem Ensemble wieder, das allen Recherchen zufolge nicht auf einem übergreifenden Plan beruht oder sich auf ein vorher entwickeltes Konzept zurückführen lässt, dessen Einzelobjekte jedoch sämtlich Bezüge von sehr archaischer und teils magischer Natursymbolik gemeinsam haben. An die Formensprache altmexikanischer Tempel und der europäischen Epoche des Manierismus, der Gartengestaltung zwischen Renaissance und Barock, erinnern die Skulpturengesichter, die der städtische Landschaftsarchitekt Ulrich Falke 1994 als bespielbare, durchkletterbare Objekte in den neu angelegten Spielplatz einbrachte. Die Symbolik der vier nach den Himmelsrichtungen ausgerichteten Steinskulpturengruppe „Erdmäuler“: Mineralisch, pflanzlich, tierisch, menschlich. Damit spiegeln sich einzelne Entwicklungsstufen der Natur, die auch jeder Mensch selbst in seinem Wachsen durchläuft. Ein geschlossenes, stimmiges Ensemble des in Bottrop-Kirchhellen lebenden Bildhauers Guido Hoffmann-Flick (*1964), das für einen Kinderspielplatz nicht passender gewählt werden konnte.


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Fünf Finger einer Hand

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Mit der Zahlensymbolik „fünf” setzt sich die begehbare Holzskulptur „Fünf Finger einer Hand – fünf Wände zum Pentagramm”, auch eine Plastik des Folkwangfestes 1987, auseinander. Der Düsseldorfer Klaus Simon (*1949) beschäftigt sich in seinem künstlerischen Werk über viele Stationen mit dem geomantischen Dialog zwischen Erdkörper, Pflanze und Mensch und installierte an dieser Stelle ein Pentagramm aus Eichenstämmen. Das antike Zeichen für „Mensch” und „Gesundheit” wurde durch Leonardo da Vinci in der Renaissance zu einem Schlüsselwerk auf dem Weg vom gottgerichteten Mittelalter zur Aufklärung und zum Humanismus. In deren Folge: Neuzeit und Moderne. Die Gedankenreise geht weiter und findet ihren nächsten Fixpunkt im dolmenhaften „Steinhaus“ von Ulrich Rückriem, für dessen Platzierung auf der Freifläche hinter dem Aalto-Theater ein kleiner Hügel angeschüttet wurde. Der aus tonnenschweren Sandsteinblöcken gestellte archaische „Tempel” ist, wie auch der „Obelisk“ am Nordwestzugang des Parks, ein signifikantes Werk des Künstlers. Der sparsame Eingriff in das Ausgangsmaterial einerseits korrespondiert mit der geraden Fläche/Kante andererseits. Der Kölner Steinbildhauer (*1938) verwirklichte im Umfeld des Aaltobaus 1987 sein bis dahin umfangreichstes Projekt aus drei kommunizierenden, jedoch eigenständigen Werken: „Steinhaus/Tempel”, „Obelisk” (Stele) und die – im Wortsinn – „weg-

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Obelisk

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Dolomit

weisende” Installation „Dolomit”. Letztere leitet als Wegbegrenzung den Fußgänger von der Straße zum Operneingang. In der Planung des Areals durchaus skulptural verstanden, wurde das Werk durch eine nachträgliche Erdanschüttung auf die Anmutung einer zyklopenhaften Bordsteinkante reduziert.


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Aalto-Theater Das steinzeitlich Rudimentäre kommuniziert mit der eleganten, geschwungenen Formensprache des finnischen Architekten Alvar Aalto (1898-1976). Auch das Aalto-Theater bedient sich einer Natursymbolik und zitiert eine gewachsene, biologische Form. Im Innenraum wie ein Amphitheater angelegt, zeigt es als äußere Form nach Aaltos Konzept, die Ansicht eines abgeschnittenen Baumstumpfes. Das Essener Opernhaus hat sich seit seiner Einweihung 1988 in die Spitzengruppe der deutschen und europäischen Musiktheater gespielt. Vielfach wurden das Musiktheater und sein Orchester, die Essener Philharmoniker, als „Oper des Jahres“ und als „Ensemble des Jahres ausgezeichnet, sei es in Fachorganen oder im Feuilleton der nationalen Presse. Seine Wertschätzung weit über die Ruhrgrenzen hinaus verdankt es einer glücklichen Kombination aus der energischen Intendanz von Wolf-Dieter Hauschild bis zu Stefan Soltesz, beachtlichen und beachteten Regisseuren und einem fähigen Ensemble und Orchester. Doch ist der Erfolg des Musiktheaters nach übereinstimmender Meinung von Kritik und Publikum auch seinem „genius loci”, dem Zauber seiner Architektur zu verdanken. Es handelt sich in der Tat, wie es der ausführende Architekt des Theaters, Harald Deilmann, in seinem Eröffnungsvortrag beschrieb, „um den wahrscheinlich letzten großen Theaterbau in Europa (abgesehen von Paris). Mit ihm ist auch die Endstufe dieser Gebäudegattung erreicht: Synthese aller bekannten Aufführungsformen vom Guckkastentheater bis zum weit in den Raum vorgetragenen Spiel.” Aalto gewann mit seinem Entwurf, dessen Verwirklichung er selbst nicht mehr erlebte, bereits 1959 den Architektenwettbewerb für das Opernhaus. Es sollten jedoch zwanzig Jahre bis zum Beschluss der Stadt Essen dauern, das gewaltige Bauvorhaben (190.000 Kubikmeter umbauter Raum, ca. 220 Mill. DM Baukosten) zu verwirklichen. Nach weiteren neun Jahren wurde der von Harald Deilmann (BDA) ausgeführte und von der Witwe Elissa Aalto konzeptionell begleitete Bau 1988 eingeweiht.

Aalto-Theater und RWE-Turm

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Aalto-Theater

Saal im Aalto-Theater

Der Bau tritt uns als architektonisches Gesamtkunstwerk entgegen. Im ersten Schritt von Aalto getreu seinem Arbeitsprinzip mit großer Geste und – wie er es selbst umschrieb – mit „dem Mut um drei Uhr morgens” umrissen, und schließlich dem Rhythmus der ausgreifenden Bewegung folgend bis in die Details umgesetzt. Aus Aaltos Gestaltungsidee entstanden nicht nur die faszinierenden Räume, Fluchten und Foyers, die sämtlich unter Verzicht auf die Symmetrie eine festliche, doch bei aller Grandezza leichte, unprätentiöse Raumimpression vermitteln. Soweit von ästhetischer Relevanz und für den Besucher wahrnehmbar, gab der Doyen der skandinavischen Moderne die Gestaltung bis in die Details vor. Handläufe, Türgriffe, Leuchten innen und außen tragen ebenso seine Handschrift wie das Crescendo der Treppen und Fenster. Die Architektur macht hier verstärkend das Erlebnis des „Hier und Jetzt“ eines Opern-, Konzert- oder Tanztheaterbesuches zu einer sinnlichen, festlichen Erfahrung, die die Konserve (Fernsehen, CD, DVD) nicht erreichen kann. Damit wurde am Vorabend des „digitalen Zeitalters“ ein Zeichen gesetzt. Bezeichnenderweise ist Kritik an der „Gigantomanie“, die den Bau begleitete, in den Jahren seit 1988 verstummt. Es scheint, dass der „große Wurf“ als Standortfaktor und Identitätsstifter gerade in Transit- und Wandlungssituationen einer Stadt oder einer Region eine berechtigte Funktion hat. Einziges Manko der weitgreifenden Architektur der großen Geste ist das Fehlen eines kleineren Theaterraumes für Studioproduktionen und Experimentelles unter dem Aalto-Dach.

Das Haus und die in ihm beheimateten Institutionen Aalto-Oper, die Essener Philharmoniker (Leitung, Intendanz in beiden Fällen seit 1997 durch Stefan Soltesz) und das aalto-ballett (Leitung seit 2008 durch Ben van Cauwenbergh) erspielen sich seit vielen Jahren Titel wie „Opernhaus des Jahres“, „Ensemble des Jahres“ im bundesdeutschen Feuilleton, in der Fachpresse und auch im internationalen Vergleich. Gerade deshalb erhält eine unter dem Aspekt der öffentlichen Verschuldung geführte Budget-Debatte in Essen eine besondere Dynamik: Eine unter Finanzkuratel der Landesregierung NRW stehende Kommune trägt aus eigener Kraft mehrere große Kultur-Institutionen, die weit über die Stadt und Regionalgrenzen hinaus wirken. Die Forderung nach Anerkennung als Staatstheater und damit Zugriff auf erweiterte Ressourcen wurde nicht nur im Zusammenhang mit dem Kulturhauptstadtjahr laut. Sie bleibt nach dem Aufgalopp 2010 ebenso aktuell wie eine Forderung nach mehr Pragmatismus in der lokalen und regionale Bühnenlandschaft: Was spricht eigentlich dagegen, dass eine Kammeroper des Aalto-Ensembles im intimeren Rahmen des Grillo-Schauspielhauses aufgeführt wird und eine raumgreifende spektakuläre Schauspiel-Inszenierung nicht vor 400 Sitzplätzen im Grillo-Theater stattfinden muss, sondern vor dem 1.200er Auditorium des Aaltobaus?


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Energie-Hauptstadt Essen

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28 Hochtief-Haus 29 RWE–Turm 30 Bergmann und Hl. Barbara 31 Ruhrkohle-Haus 32 Steile Lagerung 33 Nordstern-Haus 34 Postscheckamt 35 Projekt KPE-Hochhaus 36 Rheinstahl-Hochhaus 37 Ehem. RWE-Hauptverwaltung 38 Bismarkdenkmal/Bahndirektion 39 Stadtarchiv/Haus der Geschichte


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Energie-Hauptstadt Essen

Hochtief und RWE-Haus Wer sich von Essen ein Bild als Energiestadt im Umbruch einprägen will, braucht nach Opernbesuch oder Gang durch den Stadtgarten nur den Blick nach oben zu richten. Der Blick fällt auf das nicht nur höchste Haus der Ruhrregion, sondern auch eines, das zu seiner Errichtung in den 1990er Jahre im Hochhausbau wegweisende Marken setzte, die bis heute modellhaft wirken. Es fällt es in der Tat schwer, sich der Faszination zu entziehen, die von einem Gebäude ausgeht, das in der Fachwelt als Modell für ökologisches Hochhausbauen gilt. Begriffe wie „Konzernzentrale des RWE“, „höchstes Haus am Platz“ − im Konzern- Marketing gern auch „Tower of Power“ tituliert − einerseits und „ökologisches Bauen“ andererseits bergen einen erklärungsbedürftigen Kontrast, der allerdings durch das Konzept der vielfach prämierten Architekten Ingenhoven, Overdiek und Partner (BDA) schlüssig gelöst ist. Bevor es hierzu in die Details geht, sei der Blick nach rechts gewendet auf das Haus, das vor Aaltobau und RWE-Turm am Platz fünfzig Jahre den beherrschenden Akzent setzte und sich in heutiger Wahrnehmung eher zurückhaltend ausnimmt: Das „Hochtief-Haus“ der Essener Architekten Bucerius und Kleemann aus dem Jahr 1937. Seinerzeit verkörperte es den letzten technischen Stand, dessen damalige Darstellung - heute gelesen - durchaus drollig wirken kann. Die Zentrale des Baukonzerns (ehem. Gebr. Helfmann AG) wechselte in den 1920ern auf Betreiben von Hugo Stinnes von Frankfurt in das gewaltig pros-

Hochtief-Haus


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Eingang Hochtief-Haus

perierende Ruhrgebiet. Der Bucerius-Bau von 1937 bot für die Arbeit der „Gefolgsleute“ (Mitarbeiter) beispielhafte Voraussetzungen: „Sachlichkeit atmende neuzeitliche Arbeitsstätten“, ein perfektes Kommunikationssystem (Telefonanlage mit Hausruf und 20 Amtsleitungen), und zeitgemäße Freizeiteinrichtungen mit dem Charme einer sauerländischen Jugendherberge: Turnhalle, Kegelbahn, Kasino und „eine ausreichende Luftschutzkelleranlage, nach neuesten Vorschriften eingerichtet, die der gesamten Gefolgschaft Unterkunft und Schutz gewährt. In diesen Räumen ist ein Kleinkaliberschießstand untergebracht“ (zitiert aus den „Hochtief-Nachrichten“ von 1938). Funktionale Technik korrespondierte mit Reichsgemütlichkeit. Nach Kriegsschäden instand gesetzt und mehrfach bis zum heutigen Stand erweitert, lässt lediglich die Außenansicht einen authentischen Eindruck auf die ursprüngliche Planung zu. Hier hat Bucerius in den Proportionen allerdings eine bemerkenswerte Wirkung erzielt: Die beiden spitzwinklig zueinander gestellten Trakte sind von deutlich unterschiedlicher Länge. Die konkave Form des Kopfbaus und die leicht konvexe, nach außen gewölbte Front des längeren Traktes dämpfen die Asymmetrie und halten den Baukomplex optisch im Gleichgewicht. Der Muschelkalksockel und die Reliefgestaltung des Portals durch den Düsseldorfer Bildhauer Kuhn mit stilisierten Figurendarstellungen aus dem Bauhandwerk sind ebenfalls original erhalten und als Teil der Gesamtanlage am

RWE-Turm

Opernplatz denkmalgeschützt. Die Hochtief AG ist heute größter deutscher Baukonzern und selbst ein „global player“. Sie erbringt rund 80 % ihrer Leistung außerhalb von Deutschland, ist weltweit im Baugewerbe, der Kohlegewinnung und in der Immobilien-Bewirtschaftung von Verwaltungszentren, Flughäfen etc. engagiert. Konzernsitz und Zentrale der zahlreichen Unternehmensbereiche und Tochterfirmen sind weiterhin in Essen. Der Bauriese residiert in geradezu bescheidener Unterkunft, nicht nur angesichts des imposanten Gegenübers. Doch aus Hochtief-Perspektive ist der RWE-Turm auch ein Referenzobjekt: Der Düsseldorfer Christoph Ingenhoven (BDA) hat ihn entworfen und Hochtief hat ihn gebaut. Für den Stromkonzern, ein Riese im teils privaten, teils kommunalen Besitz ging es in der Periode vor seinem hundertsten Jubiläum im Jahr 1998 darum, sich von der Kernkompetenz „Stromerzeugung plus Anverwandte“ zu einer diversifizierten Konzernholding umzustrukturieren.


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Hierbei verstand sich der Begriff „Holding“ im RWE-Sinne durchaus strategisch. Nach jahrzehntelanger Debatte um Kernkraft- und Braunkohleproblematik zielte die Holding in den 1990er Jahren darauf ab, sich neben der Stromerzeugung in energieverwandten Geschäftsfeldern zu festigen (Chemie, Mineralöl, Wasserwirtschaft), sich ferner im nationalen und europäischen Entsorgungs-/ Recycling-Geschäft zu positionieren. Mit Errichtung einer neuen Zentrale der RWE-Holding, bis dahin „Untermieter“ der Strom-Tochter RWE-Energie, galt es, auch durch Architektur einen schlüssigen Imagewechsel in Richtung innovative Vernunft zu transportieren. Bezeichnender Titel der RWE-Schrift zum Hundertsten: „Der gläserne Riese – ein Konzern wird transparent!“ (Dieter Schweer, Wolf Thieme 1998). Man vermied bei der Planung auf dem Gelände der ehemaligen Essener Stern-Brauerei eine „Höher-Schöner-Größer“-Attitüde, die angesichts realer wirtschaftlicher Macht und im Zeitgeist der frühen 1990er, dem Zenit der Ära Kohl, nahe gelegen hätte. Stattdessen kürte man im Architekten-Wettbewerb die Düsseldorfer Christoph Ingenhoven (BDA) und Bob Gansfort (BDA) mit einem in der Tat innovativen Entwurf. Kuriosum: Ingenhoven (Jahrgang 1960) hatte bereits eine Reihe von Hochhaus-Wettbewerben gewonnen, doch noch keines dieser Häuser war bis dato wirklich gebaut. Um die Berechtigung der Bezeichnung „ökologisches Hochhaus“ für den gläsernen Turm (32 Meter Durchmesser, Höhe insgesamt 162 Meter, 32 Etagen incl. Technik- und Tiefgeschossen) zu belegen, muss man in die Details der Konstruktion gehen. Ingenhoven verwandte erstmals im Hochhausbau eine Klimatechnik unter Einbeziehung der natürlichen Umgebung, ein in der Tat revolutionäres Prinzip. Bis dahin waren Hochhäuser klimatisch komplett von der umgebenden Außenluft abgeschottet und im Inneren stets auf künstliche Erwärmung/ Kühlung mit entsprechendem Energieverbrauch angewiesen. Der verglaste Rundbau erzielt dagegen einen Klimaeffekt durch seine zweite Hülle. Die doppelschalige Glasfassade ist auf 7.000 Quadratmeter unterteilt in 962 einzelne Klimakammern von ca. 50 cm Tiefe. Jede einzelne Zelle in der Größe 197 x 306 cm (Fensterbreite und Geschosshöhe) ist aus dem jeweiligen Raum individuell steuerbar und arbeitet nach dem genial-einfachen Kaminprinzip. Durch die Sonne erwärmte Luft entweicht durch regelbare Lamellen oben und zieht unten kühlere Außenluft nach. Eine Lichtdämpfung oder Verspiegelung der Fenster

RWE-Turm (Fahrstuhlschacht)


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– ein charakteristisches Merkmal im konventionellen Hochhausbau – ist nicht mehr erforderlich. Es entsteht ein transparenter Baukörper mit Tageslicht und natürlicher Luft im Inneren. Ingenhoven konzipierte das Doppelwand-Prinzip 1990 in einem Gutachten für die Zentrale der Telekom in Bonn, doch am Essener Turm wurde es erstmals in der Praxis umgesetzt. Seriell gefertigt fanden die Klimakammern in Folge mehrfach Verwendung, so durch Norman Foster beim Bau der Commerzbank-Zentrale in Frankfurt und durch Renzo Piano am Debis-Turm in Berlin (Potsdamer Platz). Auch wenn der Turm bei einer Innenraumfläche von 56.000 m3 und den ca. 500 dort arbeitenden Menschen nicht gänzlich auf Klimatisierung verzichten kann, wurde der Energiebedarf um 30 % gegenüber Komplexen gleicher Größe in konventioneller Bauweise reduziert. Auf dem Lamellen-Vordach des Turms arbeiten Photovoltaikanlagen für die hauseigene Stromversorgung. Die jeweilige Energiegewinnung wird im Foyer auf einem Display angezeigt, im Vergleich zum Fenstereffekt ein eher symbolischer Wert. Die Rundform des Turms - streng genommen ein 51-eckiges Polygon – erforderte in der Ausstattung eine Vielzahl von Eigenentwürfen und Sonderfertigungen, da Standard-Rechtecke nicht nur ästhetisch problematisch, sondern auch als Platzräuber gewirkt hätten. Nach außen milderte die Kreisform eine bekannte Unbill von Passanten und Anrainern in Form der Luftwirbel, die Hochhäuser üblicherweise umtosen. Für das Areal auf der Rückseite des Turms wirken zudem zwei winklig angeordnete Nebengebäude (Entwurf: HPP-Architekten Hentrich, Petschnigg & Partner) als eine Art Windschutzmauer. Der Turm selbst steht, von der Straße aus gesehen, um genau deren Gebäudetiefe zurück, was einem fächerförmigen Vorplatz Raum gibt und dem Ensemble aus der Perspektive des Fußgängers die Schwere nimmt. Für Ingenhoven selbst war die Verwirklichung des Essener Entwurfs der Katapult in die internationale Liga der Star-Architekten. Er galt bereits in jungen Jahren als Talent mit Ehrgeiz und Mut zu großen Entwürfen in der hierzulande dünn besetzten Riege der Hochhausarchitekten. Einer, der sich die Leichtigkeit großer Baukörper zum Ziel gesetzt hatte. Als sein Lieblingsbauwerk in Deutschland bezeichnet Ingenhoven daher das Münchener Olympiastadion mit seiner lichten Zeltdachkonstruktion. Frei Otto wiederum, der stilbildende Erbauer des Olympiadachs und geistiger Mentor des jungen Wilden, lässt sich zitieren: „Es macht ein unbändiges Vergnügen, gemeinsam mit Ingenhoven Gefundenes auf neue Wege zu bringen. Diese Zeit gehört ihm.“ Seit 1998 ist er im Auftrag der Deutschen Bahn mit einer wahren Herkulesaufgabe beschäftigt, die voraus-

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Impression Steinviertel

sichtlich 2013 umgesetzt sein wird: Es gilt, den Stuttgarter Hauptbahnhof von einem oberirdischen Kopfbahnhof in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof umzubauen, wobei die denkmalgeschützte kolossale alte Bahnhofs-Bausubstanz zu integrieren ist. Als andere herausragende Ingenhoven-Projekte lassen sich der Internationale Gerichtshof in Den Haag, der Breezé Tower in Osaka und die Lufthansa-Hauptverwaltung in Frankfurt/Main zitieren. Für das Areal hinter dem gläsernen Turm hatten Christoph Ingenhoven und Bob Gansfort einen Gesamtentwurf entwickelt. Dieser wurde jedoch von anderen Eigentümern der Fläche (RAG, heute: Evonik, Rütgers-Chemie) nicht im Einzelnen verwirklicht, sondern nur als Masterplan übernommen. Auch wenn die folgende Architektur im Vergleich zur Turminszenierung schlichter geriert, wuchs auf dem alten Brauerei-Terrain und der Fläche der alten Ruhrkohle-Immobilie ein Viertel, das vor allem in der Hofwahrnehmung die Atmosphäre von neuzeitlicher Urbanität ausstrahlt. Das Karree wird von einem Fußweg zwischen Rellinghauser Straße und dem „Steinviertel“ durchquert, sodass wir auf einem öffentlichen Weg in den Innenhof gelangen können.


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Rattenpärchen Steile Lagerung

Bergmann und Heilige Barbara

RAG-Evonik Haus und Steile Lagerung

RAG-Evonik-Haus , Heilige Barbara und „Steile Lage“ Bevor wir das stille und doch urbane Stern-Karree wieder verlassen, geht ein Blick auf die Reliefplastik „Bergmann und Heilige Barbara“ von Josef Enseling (1886–1957), die nach einigen Jahren der Zwischenlagerung im Depot, an der Rückseite des neuen Ruhrkohlehauses (RAG-Haus, heute Evonik) (Architekten Chapman & Taylor/Brune CTP) ihren Platz gefunden hat. Enselings großformatiges Muschelkalkrelief (1,5 x 10 Meter) ist ein typisches Beispiel für die figurative „Kunst am Bau“ aus der Nachkriegszeit. Sie begegnet uns an vielen Essener Schul- und Verwaltungsbauten, die in den 1950er Jahren errichtet oder wiederhergestellt wurden. Neben Herbert Lungwitz war Enseling (s. a. Europa-Haus) ein viel beschäftigter Bildhauer dieser Zeit. Das Barbara-Relief steht für die Epoche der Wiederaufbaujahre, in der der Ruhrbergbau die letzte große Konjunktur erlebte. Es befand sich an der Fassade des alten Ruhrkohlehauses, das an der „Freiheit“ die

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Steile Lagerung Detail

Nordwestecke des Karrees einnahm. Als das Haus in den 1990ern nach langen Auseinandersetzungen um seine Denkmalswürdigkeit abgerissen wurde, musste das Relief in einer komplizierten Aktion aus der Fassade herausgelöst und in mehrere Teile zersägt werden. Heute ist es eine historische Reminiszenz in der schlichten Anlage aus mehreren unterschiedlich gewichteten Kuben. Die Bauten erhalten ihre Individualität durch die Kapitellform ihrer Dachaufbauten, die nachts effektvoll beleuchtet sind und so zur A40 hin mit dem RWE-Turm den optischen Eindruck markieren, in Essen angekommen zu sein. An tapfere Maloche aus der Frühzeit des Bergbaus erinnert in recht nostalgischem Duktus die aus 60 Gussteilen zusammengefügte Bronzeplastik „Steile Lagerung“. Nach Entwürfen des Leiters des Bildhauerkurses der Uni Essen (ehem. Folkwangschule, heute erneut Folkwang-Universität), Max Kratz, entstand die Plastik 1989 in einer Halle der Zeche Zollverein, die 1986 als letzte Essener Zeche stillgelegt worden war. Die „Steile Lagerung“, die sich explizit als Denkmal versteht, soll an die gefährliche Arbeit der Kumpel unter Tage erinnern. Auffallend ist dabei, dass die Lagerung, trotz des benachbarten SkaterTreffs über der Tunneleinfahrt der A40 im Vergleich zu anderer Kunst im öffentlichen Raum recht wenig Sprayerspuren zeigt. Liegt es an ihrer Eingängigkeit im Vergleich zur Verschlüsselung anderer Werke, oder haben die „Piccos“ doch Respekt vor dem Bild ihrer rackernden (Ur-)Großväter?


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Nordstern-Haus

Hochhausachse Kruppstraße An der Freiheit geht der Blick zunächst auf ein nicht ganz so spektakuläres, aber typisches und gelungenes Bauwerk der Nachkriegszeit. Das „Nordstern-Haus“ an der Südseite der „Freiheit“ (Architektenbüro Frank & Baumgartinger) steht, wie auch das „Haus am Kettwiger Tor“, für die erste, architektonisch anspruchsvolle Serie von Geschäfts- und Bürobauten der frühen 1950er Jahre. Durch die konkave Front zum Platz hin ist dem in strenger Symmetrie angelegten Bau die Wucht genommen. Es ist eines der ersten Nachkriegs-Hochhäuser der Stadt. Ein Hochhaus? – Seinerzeit brauchte es für eine solche Bezeichnung acht Etagen! Die Perspektive in westlicher Richtung gibt eine Momentaufnahme der 1960er Jahre in Essens Architekturentwicklung wieder. In wenigen Jahren wurde der Bereich der „Freiheit“, südlich der City und des Hauptbahnhofes, tief greifend durch U-Bahnbau, die Untertunnelung des „Ruhrschnellwegs“ (B1/heute

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Postbank

A40) und eine Reihe von Verwaltungsbauten neu geprägt. Die Hochhausgruppe aus Rheinstahlhaus (heute ThyssenKrupp), dem AEG-Haus der 1950er Jahre und der Postbank (früher Postscheckamt) bilden an der Kruppstraße eine städtebauliche Achse dicht an der Bahntrasse der „Bergisch-Märkischen Eisenbahn“. Das Gebäude des Postscheckamtes (heute Postbank) direkt südlich des Hauptbahnhofs wurde 1963 bis 1968 nach Plänen der Bauabteilung der Oberpostdirektion als Stahlbetonskelettbau mit einer Vorhangfassade aus Glas und Leichtmetall errichtet. Die Beschränkung auf wenige funktionale Gestaltungsmittel ist charakteristisch für Hochhausbauten jener Zeit, die unter dem Einfluss des 1952 in New York realisierten Lever-Building (Skidmore, Owings & Merrill) entstanden. Die Hochhausscheibe wird wie beim Vorbild mit einem breit angelegten Flachbau kombiniert, aus dem sich das Gebäude in die Höhe erstreckt. Die Fassadengliederung durch dunkle Brüstungsbänder und eine feingliedrige Vertikalstruktur kann die Verwandtschaft ebenfalls nicht


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verleugnen. Die großzügige Durchfensterung der Gebäude und ihre rationelle innere Organisation wurden als beispielhaft modern verstanden und geben Aufschluss auf das Selbstbild der noch jungen Bundesrepublik, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Anschlussfähigkeit zu internationalen Entwicklungen zurückgewinnen wollte. Das aus Perspektive der „Freiheit“ gesehen rechts dahinter liegende ehemalige Rheinstahl-Hochhaus (heute Thyssen-Krupp) an der Ecke Kruppstraße/Bismarckstraße wurde 1959-61 errichtet , war das erste am Platz und mit 80 Metern Höher seinerzeit das höchste in Deutschland (Architekt Hanns Dustmann). Ebenfalls von Dustmann geplant wurde die gegenüberliegende damalige Hauptverwaltung der RWE AG aus dem gleichen Jahr. Dustmann befleißigte sich zu jener Zeit ebenfalls einer stark durch amerikanische Konstruktions- und Ästhetik-Vorbilder geprägten Architektursprache − beim RWEGebäude finden sich deutliche Bezüge etwa zum New Yorker PanAm-Building von Walter Gropius mit Pietro Beluschi und Emery, Roth & Sons aus den Jahren 1960 bis 63. Dustmanns Biografie mag übrigens historisch beispielhaft gelten für die Vita jener deutscher Architekten, die zunächst durch das Bauhaus beeinflusst wurden, jedoch nicht wie der engere Bauhaus-Kreis in die USA emigrierten. Dustmann arrangierte sich mit den hier Herrschenden, machte Karriere und setzte diese in der westdeutschen Bundesrepublik unbeschadet fort. Zunächst Angestellter von Walter Gropius in Berlin, war Hanns Dustmann ab 1935 beim Kulturamt der Reichsjugendführung der NSDAP beschäftigt und wurde durch Baldur von Schirach 1939 zum „Reichsarchitekten der Hitlerjugend“ ernannt. In den Folgejahren arbeitete er im Büro von NS- Bau- und Rüstungsminister Albert Speer an Plänen für den Umbau Berlins. Er lehrte an der TH Berlin und wurde 1944 Mitglied des „Arbeitsstabes für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte“, dessen Planungen die Grundlage bildete für den Wiederaufbau Deutschlands nach dem Kriege: Kammbauweise mit Freiflächen auf grüner Wiese statt der bis dahin üblichen Quartierbebauung in Häuserblocks. Nach Kriegsende eröffnete Dustmann Architekturbüros in Bielefeld und Düsseldorf. Bis zu seinem Tod 1979 beschäftigte er sich wie andere Kollegen aus dem Büro Speer vor allem mit der Planung von Banken und Bürobauten.

Rheinstahl-Hochhaus

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In der Planung ist vorgesehen, die Achse von Hochhausbauten längs der A40 und der Fernbahnlinie fortzuführen und die bereits für die Ruhrmetropole markante Skyline zu vervollständigen. An Investoren fehlt es trotz krisenhafter Zeiten nicht, was für jene Qualität der Lage spricht, die sich unmittelbar aus der Kombination „Wohnumfeld mit Hochklass-Kulturangebot in Citylage mit Autobahnanschluss und ICE-Bahnhof“ erklärt. So projektiert die Wiesbadener KPE-Projektentwicklung auf dem Grundstück des leer stehenden AEG-Hauses zwischen Postbank-Turm und Rheinstahlhaus ein Invest von nicht weniger als 140 Millionen Euro: Ein Büro- und Hotelbau mit rund 55.000 m2 Bruttogeschossfläche soll entstehen, wobei vier Varianten des Architektenbüros Willen Associates mit 26 bis 35 Vollgeschossen und einer Traufhöhe von bis zu 139 Metern zur Wahl stehen. Letzterer würde damit das höchste Gebäude der Stadt − den RWE-„Tower of Power“ − übertrumpfen, der die Höhe von gesamt 162 m durch seine aufgesetzte Stahlkonstruktion samt Sendemast erreicht. Baulich würde es nur noch vom 200 m hohen Schornstein des Müllheizkraftwerks Karnap überragt.

Bismarckplatz und Haus der Geschichte/Stadtarchiv Es wäre eine sträfliche Unterlassung, beim Blick nach Westen das baulich und stadtgeschichtlich wichtige Ensemble am Bismarckplatz nicht zu behandeln, auch wenn dort kein blauer Stein strahlt. Ein streng blickender Reichsgründer schaut dort vor dem Klinkerbau der ehemaligen Bundesbahndirektion über die vielspurige Unwirtlichkeit einer der zentralen Essener Kreuzungen hinweg. Das Bismarckdenkmal wurde 1899 eingeweiht, hinter ihm die im Jahr vorher fertig gestellte „Königliche Eisenbahndirektion zu Essen“, die bis 2004 unter wechselnden Bezeichnungen als Bahnverwaltung diente. Nach fünf Jahren Leerstand entschloss sich die Deutsche Bank zu einem für Essen nachhaltig günstigen Schritt, dort eine ihrer drei deutschen Service-Zentralen neben Frankfurt und Leipzig einzurichten und damit bis zu 1.500 Arbeitsplätze in die Stadt zu bringen. Für die Stadtarchitektur bemerkenswert ist, dass man sich zu einem Umbau im Bestand und nicht zu Abriss und Neubau entschied.

Ehemalige RWE-Hauptverwaltung, heute RWE Rhein-Ruhr


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Luisenschule (Detail)

Bismarckdenkmal

Ebenfalls erhalten und mit einer neuen wichtigen Funktion für die Stadt versehen blieb die 1906 von Architekt Friedrich Paulsen erbaute Luisenschule (2004 geschlossen). Sie beherbergt seit 2010 das Haus der Essener Geschichte und das Stadtarchiv. Das Schulgebäude war in knapp zwei Jahren für rund 6,5 Millionen Euro umgebaut worden (Architekten Ahlbrecht Felix Scheidt und Kasprusch) und ist der im Kulturhauptstadtjahr dritte neu eröffnete Museumsbau in der Stadt neben dem Museum Folkwang und dem Ruhrmuseum auf Zeche Zollverein. Ein Magazinbau mit einer eigenwilligen Fassade aus kontrolliert rostendem COR-TEN-Stahl wurde neu errichtet, den die Architekten sowohl als Hommage an den Stahlstandort Essen wie auch als tresorhaftes Sinnbild für die Speicherfunktion des Baus verstehen, der durch seine witterungsabhängige Färbung auch eine zeitliche Dimension zum Ausdruck bringt. Das neue Archiv mit Magazin, Arbeitsräumen und Lesesaal bewahrt 17,6 Regalkilometer Bücher und Unterlagen über die Stadt auf und geht mit einer

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Stadtarchiv (Stahlfassade)

Urkunde aus dem Jahr 1272 bis ins 13. Jahrhundert zurück. Ab 1450 liegen die Stadtrechnungen Essens komplett vor. Außerdem findet man dort das Archiv Ernst Schmidt mit seinen Unterlagen zum Widerstand im Nationalsozialismus und zur Essener Arbeiterbewegung. Auch die umfangreichen Zeitungsbestände der Stadtbibliothek sowie die stadtgeschichtliche Abteilung der Stadtbibliothek sind im Haus der Geschichte beheimatet. Auch die Bibliothek der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde ist dort eingebunden. Die Luisenschule wurde 1866 als 1. Essener Höhere Töchterschule gegründet. 1906 wurde das Jugendstil-Gebäude am Bismarckplatz bezogen, das bis zuletzt Schulgebäude war. Den Namen Luisenschule erhielt die Mädchenschule 1912, wobei die preußische Königin Luise namensgebend war.


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80 Visionen in Stein 40 Bahnsteig Blau 41 Passarelle 42 Handelshof 43 Haus am Kettwiger Tor 44 Haus der Technik 45 Hauptpost 46 Eickhaus Vorhang auf – Mehr Licht 54 Glockenspiel 55 Grillo-Theater 56 Meerlicht 57 Sieben Stelen

47 Hirschlandbank 48 Deutsche Bank 49 Deutschlandhaus 50 Haus am Theaterplatz 51 Lesebrunnen 52 Baedekerhaus und Blumhaus 53 Lichtburg/Volkshochschule

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Mitte der Stadt 61 Münster 62 Alte Synagoge

63 Friedenskirche 64 Stadtwunde

Marktplatz 65 Marktkirche 66 Europahaus/Kennedyplatz 67 Heroldhaus

68 Spirale „Food for Thought“ 69 Ein leichtes Spiel 70 Two Lines Up

Boulevard ins Blaue 71 Wasser, Kohle, Stahl, Handel, Energie 72 Forum Kunst und Architektur 73 Unperfekthaus 74 Gertrudiskirche 75 Kreuzeskirche

76 Ehemaliges Allbauhaus 77 Welcome-Brücke 78 Rathaus 79 Kgl. Preuss. Maschinenbauschule 80 „Kunst-Stück“, Viehofer Platz

Blick nach Norden – Blick nach Morgen 82 Lichtfinger 81 Univiertel

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70 58 Keenaa 59 Wilder Garten 60 Zentralbibliothek/Gildehof

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40 Bahnsteig Blau 41 Passarelle 42 Handelshof 43 Haus am Kettwiger Tor 44 Haus der Technik 45 Hauptpost 46 Eickhaus 47 Hirschlandbank 48 Deutsche Bank 49 Deutschlandhaus 50 Haus am Theaterplatz 51 Lesebrunnen 52 Baedekerhaus und Blumhaus 53 Lichtburg/Volkshochschule


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Visionen in Stein

Bahnsteig Blau Wir steigen vom Platz an der „Freiheit“ südlich des Hauptbahnhofs zwei Ebenen hinab zum „Bahnsteig Blau“ und erleben dort, wie sich die Wahrnehmung des Einzelnen im Stadtraum durch ein Lichtkonzept zum Besseren anregen lässt. U-Bahnhöfe sind Transitsorte für kurzen Aufenthalt und müssen ständig künstlich beleuchtet werden. Im anonymen und neben den Parkhäusern ungeliebtesten städtischen Umfeld geschah dies lange unter reinem Zweckaspekt durch Neonlicht − ohne jede Beachtung von Ästhetik oder Aufenthaltsqualität. Der Bahnsteigbereich unter der „Freiheit“, der sich früher in nichts von der Norm unterschied, verdankt sein heutiges, eigenes Gesicht kurioserweise einem Frostschaden, der 1996 etliche der Keramikplatten von der Wand fallen ließ. Hier ergab sich die Chance, statt teurer Reparatur des alten Zustandes ein neues Konzept zu entwickeln. Die nun rohen Betonpfeiler mit Zementkleberspuren erhielten einen weißen oder ultramarinblauen Anstrich. Alle Bereiche, die nicht aus funktionalen Gründen eine helle Ausleuchtung erfordern, wurden in tiefblaues Licht getaucht. Die Akzentuierung der Bahnsteige und der Wege erfolgt seitdem durch tageslichtähnliche Ausleuchtung von oben, während das NichtFunktionale in vornehm-beruhigender Bläue versinkt. Als Clou erwies sich der Entschluss, die Unansehnlichkeit der Gleiskörper durch blaue Lichtbänder unterhalb der Bahnsteigkanten zu illuminieren. Die Bahnen der EVAG schweben hier wie durch Wasser. Auch die „Kulturlinie 107“ fährt hier regelmäßig ein. Entlang der 17 km langen Strecke der Straßenbahn 107 zwischen Essen-Bredeney und Gelsenkirchen passieren Fahrgäste die wichtigsten kulturellen Schauplätze der beiden Städte. Kulturlinie 107 ist ein Informationskonzept, das im Jahre 2005, anlässlich der Bewerbung Essens und des Ruhrgebietes zur Kulturhauptstadt Europas 2010, von der Essener Verkehrs-AG (EVAG) für die Straßenbahnlinie 107 entwickelt wurde. Einmalig im Ruhrgebiet verbindet die Linie während ihrer rund 45-minütigen Fahrt 60 kulturelle Sehenswürdigkeiten, darunter die Villa Hügel, zwei Opernhäuser, den Essener Dom, eine Philharmonie, zwei Museen

Bahnsteig Blau

und das Welterbe Zeche Zollverein. Die Kulturlinie 107 fährt in der Woche alle fünf Minuten, am Wochenende im 7,5-Minuten-Takt und abends bis 23 Uhr alle 15 Minuten. Jede zweite Bahn ist eine Niederflurbahn. Durch den Neubau der Haltestelle Zollverein ist ein barrierefreies Ein- und Aussteigen ermöglicht. Vor Fahrtantritt können sich Wissbegierige kostenlos einen „Audio-Guide“ aus dem Internet auf ihren mp3-Player oder ihr Handy laden und sich so ausgerüstet auf eine Entdeckungsreise begeben. www.hoertour107.de

Passarelle Wer aber nicht den KULTURPFAD-Spaziergang für eine Straßenbahnfahrt unterbricht, gelangt auf dem Weg ans Tageslicht zuerst in die „Passarelle“, die beim Hauptbahnhof-Umbau eingedenk der großen Akzeptanz der blauen Bahnsteige in einen weiteren begehbaren Lichtraum verwandelt wurde − ein Unterfan-


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Passarelle

gen, das deutlich zur Aufenthaltsqualität der täglich bis zu 70.000 Menschen beiträgt, die am Hauptbahnhof ein- oder umsteigen: Auf einer Länge von über 80 m leuchten hinter einer durchgehenden Glaswand 144.000 LED-Lämpchen, 30 Lichtspiel-Varianten sind möglich. Zurück auf Straßenniveau finden wir uns auf der nördlichen Seite der Eisenbahn wieder und haben kurz Zeit, darüber nachzudenken, wie tiefgreifend Essen als Stadt durch Eisenbahn und Autobahn in Nord- und Südhälfte geteilt wird. Die Teilung in bürgerlichen Süden und proletarischen Norden begleitete die Stadt durch die gesamte Industrie-Epoche hindurch. Erst durch die ehrgeizigen Stadtentwicklungsprojekte der vergangenen zwei Jahrzehnte (IBA Emscher Park, Welterbe Zollverein, Neues Uni-Viertel, Zeche Carl, die Aufwertung der Alten- essener Straße und natürlich die Kulturhauptstadt RUHR.2010) ist eine Abflachung des Grabens abzusehen. Noch immer trennen Bahn und A40 (früher Ruhrschnellweg/B1) die Stadt mit ähnlicher normierender Kraft wie der Rhein die Stadt Köln. Dies belegt der Trend zum „Wohnen im Grünen“ (i. e. im Süden

der Stadt) ebenso wie der Umstand, dass es in Essen immer zwei große Fußballvereine gab („FC Barfuß“ und „FC Lackschuh“ = Rot-Weiss und Schwarz-Weiß Essen). Bezeichnenderweise findet sich das Gefälle bezogen auf die Innenstadt in gleichen Proportionen wieder, und das bereits seit dem 16. Jahrhundert (s. a. „Marktplatz“).

Handelshof Das heute als Willy-Brandt-Platz eingetragene Areal ist historisch der Vorplatz des „Kettwiger Tors“, im Mittelalter das Stadttor nach Süden in Richtung Kettwig und Köln. Der Platz wird seit Beginn des 20. Jahrhunderts im ersten Eindruck beherrscht durch den repräsentativen Bau des „Handelshof“ aus dem Jahr 1912 (Architekten Carl Moritz und Werner Stahl). Bereits in der Planungsabsicht als ein für die Außenwirkung der Stadt prägendes Gebäude definiert, war der Handelshof für eine kombinierte Nutzung als Geschäfts- und


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Lichtburg gastierten. Immerhin haben hier Maria Callas, Zarah Leander und die Beatles gewohnt. Seit 1983 gehört das traditionsreiche Haus zur schweizerischen Hotel- und Restaurantkette Mövenpick; der Name „Handelshof“ wurde jedoch stets beibehalten.

Handelshof

Bürohaus sowie als Hotel der gehobenen Klasse angelegt. Durch die Symmetrie zweier Ecktürme und die streng gegliederte Fassade wurde die palastartige Anmutung des Gebäudes erzeugt, von den ankommenden Reisenden wahrzunehmen als Zeichen für Essens wirtschaftliche Prosperität. Naheliegend also, dass man 1950 auf dem Dach des Gebäudes die Leuchtreklame „Essen – die Einkaufstadt“ installierte. Das Handelshofgebäude, das auch die Touristikzentrale der Stadt beherbergt, war bis Herbst 2009 im Besitz der Stadt Essen, die es in den 1990ern umfassend und denkmalgerecht sanierte. Erste Pächter des Hauses waren 1912, das darf nicht unerwähnt bleiben, die Eltern des Schauspielers Heinz Rühmann, der dort seine ersten Kindheitsjahre verbrachte. Bald darauf stand das Hotel unter der Regie des legendären Patrons Otto Blau, der den Betrieb zum prosperierenden 220-Betten-Hotel erweiterte, gefolgt von seiner Tochter. Tilla Blau empfing in den Fünfzigern und Sechzigern als „Grande Dame“ der Essener Hotellerie neben den Größen aus Wirtschaft und Politik auch die Sterne des internationalen Show-Business, wenn sie in der Grugahalle, dem Saalbau oder der

Haus am Kettwiger Tor Im Windschatten des Handelshofblocks erwartet uns ein Gebäude, dessen Errichtung 1954 für Essen von eminent wichtiger psychologischer Bedeutung war, da es sich um den ersten wirklichen Hochhausbau nach dem Krieg handelte: Das „Haus am Kettwiger Tor“ von Wilhelm Eggeling (BDA) aus dem Jahr 1954. Aus einem zweistöckigen Sockelbau, in dem eine Ladenpassage, Gastronomie und ein Kino im Untergeschoss angesiedelt waren, wächst ein sechsstöckiges Hochhaus, dessen Grundriss aus einem leichten Kreisbogen abgeleitet ist. Das in der ersten Etage des Sockels eingerichtete Eiscafé Toscani, auf über 200 m2 in kühnem Schwung rundum verglast, und das „Film-Casino“ im Tiefgeschoss komplettierten die gelungene Architektur bis in die Details. Kino und Café sind heute nicht mehr erhalten. Im Tiefgeschoss des Kinos übrigens, unter einer Verschalung geschützt und leider nicht zugänglich, sind Wandfresken von Werner Graeff erhalten. Graeff (1901–1978) war Student am Weimarer Bauhaus, jüngstes Mitglied der „DeStijl“-Bewegung um Theo van Doesburg, Mitherausgeber der deutschen Avantgardezeitschrift „G“ und begleitete die frühen Versuche des „absoluten Films“ in Deutschland. Sein Programm „Über die farbige Gestaltung des Ruhrgebiets“ 1952 erregte Aufsehen: Zum ersten Mal war der Gedanke geboren, das Ruhrgebiet durch künstlerische Eingriffe humaner und wohnlicher zu machen. Der Folkwang-Lehrer Graeff war führender Kopf des „Ruhrländischen Künstlerbundes“, indem er durch sein Werk und seine Vita − nach Blut und Boden-Kunst der NS-Zeit − in Essen einen authentischen Brückenschlag zurück in die Moderne verkörperte. Damit lenkt die Erinnerung an einen heute weitgehend vergessenen Wegbegleiter von Gropius, Mies van der Rohe, Lissitzky und anderen den Blick auf jene ungemein spannende Essener Epoche eben jener Jahre, in denen Essen eine Boomstadt der Wirtschaft, aber auch der Kunst und der Architektur war. Deren „Visionen in Stein“ wollen wir im Kontext des KULTURPFADES nun ein besonderes Kapitel widmen.


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Essen zeigte sich in den Zwanziger Jahren im Zentrum als Stadt mit junger Architektur und einem dynamischen Ambiente, die sich gern und selbstbewusst mit Hamburg und Berlin verglich. Der Journalist Wolf Strache berichtete 1947 aus dem kriegszerstörten Essen in Rückschau auf die Zeit vor dem Krieg: „Ich entsinne mich noch deutlich des ersten Eindrucks, den die Stadt Essen auf uns machte: Eine unerhört moderne, ganz und gar lebendige Großstadt mit blendenden Hochhäusern, engen aber schönen Straßen, ausgezeichneten Kaufhäusern und schönen Cafés … das Musterbeispiel einer zielstrebigen, neuen Stadt, ein greifbares Stück Zwanzigstes Jahrhundert.“ Der Grund für Essens „junge“ Architektur fußt im Bauboom zu Beginn des 20. Jahrhunderts und einer zweiten Welle der Innenstadtbebauung in den 1920er Jahren. Rasantes Wachstum, galoppierender technischer Fortschritt im Betonbau, der Elektrotechnik und der Motorisierung hatten die Bauten der Jahrhundertwende schnell veralten lassen und überforderten die erst wenige Jahre alte Infrastruktur der Gründerzeit. Aus jener Epoche blieben vor allem Repräsentativbauten erhalten (siehe Hirschlandbank und Deutsche Bank). Obwohl die Architektur des Kaiserreichs und der Weimarer Republik nur im Abstand weniger Jahre entstanden sind, liegen zwischen beiden Phasen der Stadtarchitektur nicht allein technologisch Welten. Im Gegensatz zur historisierenden Rückschau der Kaiserzeit (Neo-Romanik, Neo-Gotik etc.) definierte sich die Architektur der Zwanziger zukunftsgerichtet, (aero-)dynamisch, in teils funktionsorientierter, teils expressionistischer Ästhetik. Der Wechsel ist in der Biografie der jeweiligen Architekten auch als individueller Entwicklungsprozess nachzuvollziehen. Wie unterschiedlich die Interpretationsansätze von Modernität sein konnten zeigen die Beispiele am KULTURPFAD. Der eher traditionell beeinflusste Georg Metzendorf unterscheidet sich deutlich vom Expressionismus Edmund Körners, der wiederum vom geschwungenen Gestus Jacob Koerfers. Im Ensemble bietet die Bebauung der südlichen Innenstadt ein beispielhaftes Architektur-Panorama, das lange nur in Fachkreisen als solches erinnert wurde. Erst in jüngster Zeit wurden die „Visionen in Stein“ wieder ins öffentliche Bewusstsein gebracht.

Haus am Kettwiger Tor


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von mehreren Etagen auszugleichen hat, wird von drei unterschiedlichen Straßenniveaus her erschlossen. Es ist neben der alten Synagoge am Porscheplatz der bekannteste Bau von Edmund Körner (1875–1940). Essen verdankt Körner außerdem wichtige Architektur wie die „Kgl. Baugewerkschule“ im Moltkeviertel (1904) und das ehem. Ev. Lehrerseminar in der Huttroper Seminarstraße (heute „Ruhrkolleg“). Speziell dieses Beispiel (Baujahr 1914) zeigt in expressionistischer Klinkerbauweise die Zäsur in Körners stilistischer Entwicklung. Körner hatte sich 1911 der legendären, weil stilprägenden, Künstlerkolonie „Mathildenhof“ in Darmstadt angeschlossen, und sich damit von seiner bis dahin noch durch Historismus beeinflussten Formsprache zu einer radikal neuen Ästhetik hin entwickelt. Sehenswert sind auch zwei Wohnhäuser Körners am Camillo-Sitte-Platz im Moltkeviertel. Körner war auch maßgeblich an der Initiative beteiligt, die Sammlung von Karl-Ernst Osthaus nach Essen zu holen und baute 1927 das später im Krieg zerstörte Museum Folkwang. 1933 wurde der Protestant Körner von den Nazis wegen des Synagogenbaus und seiner vielen jüdischen Auftraggeber mit Berufsverbot belegt. Körner ging – anders als viele seiner berühmten Kollegen (Gropius, Mies van der Rohe) – nur für kurze Zeit in die USA, wo er 1934 die deutsche Botschaft in Washington einrichtete. Er kehrte Mitte der 1930er Jahre nach Essen zurück und starb hier 1940.

Haus der Technik

Haus der Technik Das „Haus der Technik“ von Edmund Körner war neben dem Handelshof lange Essens erster Blickfang. Für den Bahnhofsvorplatz bildet das schlanke, lang gestreckte Gebäude mit seinem ca. 100 m messenden, zweistöckigen Arkadengang den markanten Abschluss nach Osten. Körner gestaltete 1922-1925 das Haus als Sitz der Essener Börse. Es zeigte ausgeprägte expressionistische Formelemente in der Fassade, in den Säulen des Arkadenganges und in den zum Handelshof ausgerichteten Spitzerkern. Der Aktienhandel ging 1935 nach Düsseldorf, sodass der Bau ab 1936 nach Umbau durch den Essener Architekten Alfred Pegels, zum „Haus der Technik“ wurde. Das „HdT“ ist bis heute ein wissenschaftlich-technisches Bildungs-und Veranstaltungszentrum, das institutionell mit der Technischen Hochschule RWTH Aachen verbunden ist. Das Haus verfügt über 40 Seminar- und Vorlesungsräume mit Kapazität für 20 bis 550 Hörer. Das Gebäude, das über seine Längsachse einen Höhenunterschied

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Hauptpost Westlich des Handelshofs stand seit 1903 die „alte“ Hauptpost, eine wehrhaftdräuende Trutzburg kaiserlich-wilhelminischen Zuschnitts. Bereits 1925 veranstalteten Stadt und Reichspost einen Wettbewerb freier Architekten für ein neues Gebäude, welches dann doch von der Reichspost selbst (Architekt Hoeltz) in mehreren Abschnitten errichtet wurde. Im Vergleich zum alten Postbau um acht Meter zurückgesetzt, entstand erst durch den 1933 vollendeten Neubau die Platzsituation im heutigen Ausmaß. Atmosphärisch interessant und bis heute erhalten ist die Torsituation der Straßendurchfahrt „An der Reichsbank“ und der mit typischer Backsteinfassade gestaltete Innenhof. Hier hat Essen auch heute noch einen Hauch von Berlin oder New York/Chicago der 1930er Jahre.


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Eick-Haus Die Nordseite des Willy-Brandt-Platzes wird durch das „Eick-Haus“ des für die Stadtarchitektur eminent wichtigen Georg Metzendorf (1874–1934) definiert. Der Planer der Essener Margarethenhöhe baute 1913-1915 an der Stelle des alten Kettwiger Tores das luxuriöse Einrichtungshaus der Firma Eick Söhne. Es entstand ein Karree zwischen Kettwiger und heutiger Rathenaustraße mit einem quadratischen, pagodenbedachten Kopfbau. Metzendorf war auf eine vorgegebene Höhe der Dachtraufkante von 16 m festgelegt und nutzte zusätzlich zur Dachform ein bemerkenswertes Mittel, um den Eindruck der Größe perspektivisch zu verstärken. In der Gestaltung der Fassade fasste er über der zweigeschossigen Ladenebene zwei weitere Etagen optisch zu einer Einheit zusammen. Die Etagen darüber sind durch Gesimse jeweils einzeln gegeneinander abgesetzt, wobei sich die Fenstergröße in jeder Ebene verkleinert. Mit einer umlaufenden Säulenreihe unter der Dachtraufe wird nochmals die Illusion einer perspektivischen Verkürzung unterstützt. So erscheint das Gebäude wesentlich höher als die vorgegeben 16 Meter. Das „Eick-Haus“ wurde im Inneren durch einen prachtvollen Teppichsaal über zwei Etagen dominiert. Die hölzerne Kassettendecke ließ sich elektrisch zur Hälfte öffnen und erlaubte so als deckenverglaster Lichthof den Einfall von Tageslicht. Im Krieg schwer beschädigt, wurde das Gebäude mit Flachdach und einer zusätzlichen Etage wiederaufgebaut. Seit den 1950er Jahren ist es ein Textilkaufhaus der gehobenen Klasse und wird heute vom Herrenmodehaus „Anson’s“ bewirtschaftet. Metzendorf beschäftigte sich noch mehrmals mit möglichen Ausbauvarianten und entwarf 1928 ein bauliches Ensemble mit dem aufgestockten „EickHaus“ im Zentrum. In einer Symmetrie zwischen der Kettwiger Straße rechts (heute „Haus am Kettwiger Tor“) und der Theaterstraße links (heute „Theaterpassage“) sollten zwei Hochhausbauten städtebaulich eine neue Torsituation erzeugen. Metzendorfs Idee ließ sich finanziell nicht verwirklichen, prägte jedoch sein Sparkassenhaus aus den Jahren 1928–1930, auf das wir nach einem Gang über den ehemaligen Wiener Platz (heute Hirschlandplatz) zurückkommen werden.

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Eick-Haus

Hirschlandbank Wir gehen zunächst vom „Willy-Brandt-Platz“ nach Westen in die Lindenallee. Links der Neubau der Galeria Kaufhof, die in den 1970er Jahren das klassizistisch inspirierte „Defaka“-Kaufhaus ersetzte. Nach etwa vierzig Metern finden wir auf der linken Seite die denkmalgeschützte Front der ehemaligen „Hirschlandbank“, welche heute lediglich als Fassade erhalten ist. Ende der 1990er Jahre wurde das Haus hinter der Fassade abgetragen und als Bürohaus neu aufgebaut. Der alte Bau stammte aus dem Jahr 1910 (Architekt: Carl Moritz) und war Sitz der Simon-Hirschland-Privatbank, einem für die industrielle Entwicklung der Stadt höchst einflussreichen Institut. Hirschlands Kunden waren unter anderem die Industriellen Krupp, Grillo, Dinnendahl und Stinnes. Die Bankiers- und Arzt-Familie Hirschland spielte seit 1850 eine wichtige Rolle im kulturellen und politischen Leben der Stadt. Simon Hirschland (1807–1885) war langjähriger Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, sein Sohn und Nachfolger Isaac Hirschland wirkte als maßgeblicher Stifter der von Edmund Körner gebauten Synagoge. Moses Hirschland (1811–1888), der Bruder des Bankiers war Arzt der Familie Alfred Krupps. Dessen Sohn Fritz Hirschland (1861–1943) trug gemeinsam mit dem Kaufhausbesitzer Gustav Blum (siehe „Blum-Haus“) maßgeblich zum Erwerb der Kunstsammlung von Karl-Ernst Osthaus und damit zum Museum Folkwang in Essen bei. 1938 wurde die Privatbank

Hirschlandbank (Fassade)

durch eine eigens dafür gegründete Tochter der „Deutschen Bank“ „arisiert“. Der Kunstmäzen Fritz Hirschland starb 1943 im KZ Westerbrok/Holland. In den 1980er Jahren wurde der Familie zu Ehren der Wiener Platz zwischen „Deutschlandhaus“ und „Theaterpassage“ in Hirschlandplatz umbenannt.

Deutsche Bank Der Lindenallee folgend begegnen wir am Rondell des „Hans-Toussaint-Platzes“ dem Gebäude der „Deutschen Bank“, errichtet 1901. Bis 1925 firmierte hier die „Essener Creditanstalt“, die 1872 durch den Industriellen Friedrich Grillo gegründet wurde und deren Initialen „ECA“ heute noch über dem Hauptportal sichtbar sind. Der Essener Architekt Peter Zindel entwarf den repräsentativen, kuppelgekrönten Bau im Stil italienischer Stadtpaläste der Renaissance.


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Deutsche Bank (Seitenansicht)

Deutsche Bank

Deutschlandhaus

Die Creditanstalt war 1901 das größte Gebäude der Essener Innenstadt. Zindels Bau erfuhr bereits 1908 eine wesentliche Erweiterung längs der Lindenallee und überstand den Zweiten Weltkrieg fast unbeschädigt. Nach einer Sanierung in den 1970er Jahren ersetzte man 1998 den Bau hinter der denkmalwerten Fassade und unter Erhalt des Kuppelbaus komplett durch einen neuen Baukörper. Es war das erste derartige Sanierungsvorhaben in Essen (Architekt Wilhelm Küker, BDA). Damit blieb einer der wenigen verbliebenen Großbauten der wilhelminischen Zeit in seiner Außenansicht erhalten, was in der Stadt nicht immer gängige Praxis war. Alteingesessene Essener beklagen noch heute die Abrisse des alten Rathauses – auch ein Bau von Peter Zindel – für einen Kaufhaus-Neubau im Jahr 1964 und des gegenüber der Bank gelegenen Grandhotels „Kaiserhof“ 1974. An seiner Stelle steht heute die SEB-Bank.

Deutschlandhaus Mit der Eleganz eines Oceanliners der Zwanziger wurde das „Deutschlandhaus“, das sich klar an der Gestalt amerikanischer Hochhäuser seiner Zeit orientierte, häufig verglichen. Der zweiflügelige, sechsgeschossige Bau folgt dem Straßenverlauf und ist mit einem zehnstöckigen Kopfturm durch seine von zahllosen Fenstern durchbrochene Fassade ein Bauwerk von schwungvoller Leichtigkeit und zeitloser Eleganz. Der Kölner Architekt und Investor Jakob Koerfer errichtete in mehreren Städten des Rheinlands und Westfalens Hochhäuser ähnlichen Typs, u. a. 1924 das Hochhaus am Kölner Hansaring, das lange Zeit als Europas höchstes Geschäfthaus galt. Das „Deutschlandhaus“, in dem heute noch ein Paternoster in Betrieb ist, wurde 1929 als Stahlskelettbau in nur knapp einjähriger Bauzeit errichtet. Im Erdgeschoss finden sich heute elegante Geschäfte und Gastronomie in der „Lindengalerie“, in den oberen Etagen ist der städtische Geschäftbereich für „Planen und Bauen“ untergebracht.


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Haus am Theaterplatz

Lesebrunnen Hirschlandplatz

Haus am Theaterplatz Auf der dem „Deutschlandhaus“ gegenüberliegenden Seite des Hirschlandplatzes präsentiert sich das von Georg Metzendorf 1928 bis 1930 erbaute „Haus am Theaterplatz“ (heute: „Theaterpassage“) als lang gestreckter, fünfgeschossiger Baukörper. Metzendorf konnte mit dem Bau zwar nicht die beabsichtigte Symmetrie zweier Hochhäuser herstellen, doch gilt die Theaterpassage, von der nur noch die Außenansicht unverändert ist, als einer der schönsten Einzelbauten des ungemein produktiven Architekten und Planers. Metzendorf entwickelte 1909–1913 den Stadtteil Margarethenhöhe als Gartenstadt für Kruppsche Angestellte und entwarf mit seinem Partner Jakob Schneider Brücken, Wohnhäuser, Kliniken, Kirchen und Verwaltungsbauten: u. a. auch das Haus des Ruhrverbandes in Essen-Süd und 1929 die im Krieg zerstörte, frühere Stadtbücherei an der Hindenburgstraße. Der Bau zwischen Hirschlandplatz und Rathenaustraße entstand als ein Gemeinschaftsprojekt des Kaufhauses „Eintracht“, des Möbelhauses Kramm, des Vereins „Haus der Technik“ und der Essener Sparkasse, für deren Hauptstelle Metzendorf im Haus auch das Innendesign im Stil der Neuen Sachlichkeit entwarf. Bemerkenswert ist die unterschiedliche Fassadengestaltung je nach Blickrichtung. Ein schlanker Spitzerker prägt den Turmaufsatz der alten Sparkasse, teils zurückspringende Etagen nehmen dem Baukörper auf den Längsseiten die Wucht, die vertikal

strukturierte Fensterfront am Hirschlandplatz mildert die Dominanz der Horizontalen. Zur Kapuzinergasse unterstützen Auskragungen über mehrere Etagen den Eindruck von steil aufragender Höhe. Die Vielteiligkeit folgte dem Bedürfnis der Partner nach individuellem Außenauftritt und ist vom Architekten in einem Bau stimmig zusammengefasst. An der Nordwestecke des Komplexes (Rundturm) wurde ein bestehendes Fabrikgebäude geschickt integriert. Durch seine windgeschützte Weitläufigkeit, eine großzügige Begrünung mit Spielplatz, Terrassen-Gastronomie und das eben beschriebene Architekturensemble ist der Hirschlandplatz eine gern genutzte Freifläche und InnenstadtOase. In seiner Mitte der „Lesebrunnen“ des Plastikers Bernhard Kleinhans. Kleinhans (1926–2004) studierte an der Werkkunstschule in Münster und an der Akademie in München. Sein bildnerisches Material blieb zeitlebens fast ausschließlich Bronze, vor allem im Wachsausschmelzverfahren ausgeführt. Dabei wird die Form zunächst in Wachs modelliert und mit einem feuerfesten Stoff ummantelt. Das Wachsmodell wird ausgeschmolzen und der Hohlraum mit Bronze ausgegossen. Nach dem Abkühlen wird die ummantelnde Form zerschlagen. Die Gussmethode gehört zu den „Verfahren mit verlorenem Modell“, es entstehen Unikate.

Lesebrunnen (Detail)


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Baedekerhaus (Skulpturendetail)

Am Burgplatz

Die Dynamik des neuen Bauens der Zwanziger war nicht nur durch öffentliche Institute, Banken und Aktiengesellschaften getragen. Von privater Seite ist hier in Reinform zumindest noch ein Beitrag zu den „Visionen in Stein“ erhalten: Das „Stein-Haus“ in der Kapuzinergasse. Der Architekt Anton Stein baute 1923 das Geschäfts- und Bürohaus mit seiner sehenswerten, rhythmisch gestalteten Fensterfront als Privatmann mit eigenen Mitteln und Geld von Freunden. Durch privaten Grundstückskauf verbreiterte Anton Stein 1923 die enge Kapuzinergasse und gab damit die Blickflucht in Richtung auf die Creditanstalt vor, die Metzendorf in seinem Sparkassenbau 1928 weiterführte. Das Haus ist noch heute im Familienbesitz.

Am Burgplatz und seiner Westseite an der Kettwiger Straße erwartet uns durch „Baedekerhaus“, „Blum-Haus“ und die „Lichtburg“ ein mächtiger Dreiklang des Architekten Ernst Bode. Ernst Bode (1878–1944) hatte als Baudezernent 1922 in einer Denkschrift den Anstoß für eine großstädtische Bebauung des Burgplatz gegeben und sie von 1925–1928 umgesetzt.

Hinweis: Thematisch bedingt, geht der KULTURPFAD-Finder nach diesem sympathischen Intermezzo direkt weiter zum Burgplatz. Stationen auf dem (Lauf-) Weg dorthin haben wir im Kapitel „Vorhang auf – mehr Licht“ zusammengefasst.

Baedekerhaus und Blumhaus Anstelle der Villenbebauung an der Westseite entstanden „Baedekerhaus“ und „Blumhaus“ als zwei eigene Bauwerke mit unterschiedlicher Geschosshöhe, die durch ihre Fassaden und ihre Fensterproportionen im Gesamtkontext wirken. Die Rustika-Verkleidung aus grob behauenem Muschelkalk orientiert sich an dem für Bode sehr wichtigen Kollegen Paul Bonatz (1877–1956) und dessen Fassade des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Die Bauten sind in Spannbeton-


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Bauweise errichtet, was hallenartige Innenräume über mehrere Geschosse zuließ. Figürliche Akzente an der Fassade Baedeker setzen vier schlanke Plastiken des Bildhauers Josef Enseling: Handel, Wissenschaft, Arbeit und Kunst. Die von 1775 bis 2003 bestehende Buchhandlung Baedeker geht auf die Verleger- und Publizisten-Familie zurück, die auch Essens erste Zeitung und die gleichnamige Reiseführerreihe verlegte. Ab 1929 war die Buchhandlung mit 30.000 Bänden die größte in Westdeutschland. Nach Übernahme zunächst durch „Buch und Kunst“ im Jahr 2003 ist die Buchhandlung heute Teil der Thalia-Kette. Das „Blum-Haus“ war, anders als der Nachbarbau kein städtisches Projekt, sondern private Investition des Kaufmanns Gustav Blum (1870–1934), der hier das größte deutsche Textilkaufhaus errichtete. Der Baukörper erstreckt sich über die Länge des Kurienplatzes und schließt am Kennedyplatz ab. Blum beschäftigte dort 600 Mitarbeiter, war Gründer des Essener Einzelhandelsverbandes, Mäzen und Stifter (Museum Folkwang, Synagoge). Ende 1938 zwang man die Söhne Blums, das Kaufhaus „zu arisieren“, d. h. weit unter Wert zu verkaufen.

Lichtburg Als prägendes Gegengewicht zur Münsterkirche gestaltete Bode 1928 in mehreren abgestuften Baukuben den Komplex der „Lichtburg“. Die mächtige Anlage verzichtete auf historische Anklänge wie die beiden eben genannten Bauten und zeichnet sich durch ihre klaren Proportionen und die strenge Gliederung der Fassade aus. Fensterbänder mit kräftigen Gesimsen am Kopfbau zur Straße, vertikale Akzente der hochrechteckigen Fenster an der Längsseite zum Burgplatz. Die neuzeitliche Form entsprach ganz dem Zweck, hier Deutschlands größtes Lichtspieltheater mit 2.000 Plätzen einzurichten. Der Kinosaal entstand nach Vorbild des Stuttgarter „Metropol-Palastes“ mit geschwungenem Parkett- logen-Balkon und Orchestergraben für die (Stumm-)Filmbegleitung. Am 18. Oktober 1928 eröffnet, war die Lichtburg das modernste Filmtheater in Deutschland.

Lichtburg (Eingang)

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Lichtburg (Innenraum)

Wie die anderen (Kauf-)Häuser im Zentrum Essens (Kaufhaus Blum/Loosen, Schuhhaus Grüterich, Hirschlandbank), stellt auch das Kino ein Beispiel für die „Arisierung“ jüdischen Besitzes in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland dar − eines der ersten noch dazu: Bereits 1933/1934 wurde der jüdische Betreiber, der Berliner Verleger, Unternehmer und Mitbegründer der deutschen Filmpublizistik Karl Wolffsohn durch Druck des Essener NSDAP-Gauleiters Josef Terboven zum Verkauf des Kinos weit unter Wert an die Universum Film AG (UFA) gezwungen. Seit 2006 erinnert eine Gedenktafel an Karl Wolffsohn. Sie wurde im Beisein seines Enkels, des Historikers Michael Wolffsohn enthüllt. Er steht auch der Lichtburg-Stiftung vor, die sich u. a. in Berlin mit einem deutsch-türkisch-jüdischen Kulturzentrum engagiert. Innen 1943 ausgebrannt, blieb die äußere Hülle erhalten. Nach Wiederaufbau war die Lichtburg in den Fünfzigern und Sechzigern das deutsche Uraufführungstheater schlechthin (ca. 100 Weltpremieren, 300 nationale).

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Stars wie Romy Schneider, Zarah Leander, Marika Röck, Gary Cooper, Buster Keaton und Curd Jürgens begeisterten die Massen. Neben den legendären Filmpremieren, fanden Theater-, Kabarettgastspiele und Jazzkonzerte statt. Schauspieler wie Attila Hörbiger, Will Quadflieg, Marianne Hoppe, Martin Benrath, Bernhard Minetti standen hier auf der Bühne. In Hoch-Zeiten des Jazz gastierten Louis Armstrong, Benny Goodman, und Count Basie. Der Ruhm verblasste Ende der 1970er, bis 1991 in Essen ein Kinosterben begann, das auch die „Lichtburg“ bedrohte. Bürgerengagement führte 1999 zum Erhalt der „Lichtburg“ als Kino. Mit einem denkmalgerechten Umbau des Innenraums, technischer Modernisierung der Bühne für Konzerte, mehreren Gastronomien und der Ansiedelung der Volkshochschule im Längstrakt mit einem verglasten Anbau (Architekt Hartmut Miksch, BDB) entstand bis 2004 ein neues kulturelles Zentrum, das für Essens City einen nachhaltigen Impuls geben sollte Der Umbau beendete eine mehrjährige Diskussion, deren Höhepunkt ein öffentliches Hearing im Ratsaal der Stadt war – ein Novum in der Stadtpolitik. In den ersten Schritten wurde zunächst die Lichtburg, mit 1.250 Plätzen der größte und wohl auch schönste Kinosaal Deutschlands, vollständig denkmalgerecht saniert und auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Hinzu kam ein zweiter, kleinerer Kinosaal („Sabu“) im Untergeschoss. Aufgrund einer starken Bürgerbewegung, prominenter Hilfe von außen (Wim Wenders, Wolfgang Niedecken, Gerhard Schröder u. a.) und des Engagement der Kinobetreiber der „Essener Filmkunsttheater“, Hanns-Peter Hüster und Marianne Menze, wurde das Kinojuwel nicht in ein Einkaufszentrum oder ein Musicaltheater verwandelt. Dies erwies sich als Segen für die Stadt und die Kino-Kultur allgemein: Die Lichtburg ist seither wieder eines der Premieren-Häuser in Deutschland und eines der wenigen außerhalb der klassischen Medien-Metropolen Berlin, München, Hamburg oder Köln. Der Trend von der Anonymität der MultiplexKomplexe auf der „Grünen Wiese“ zurück in die Stadt und eine neue Konjunktur in der Kinobranche gab dem städtischen wie dem privatwirtschaftlichen Engagement in den letzten Jahren Recht. Es bleibt abzuwarten − und zu hoffen − dass sich eine solche Trendwende auch im Bezug auf den Einzelhandel und das Leben in der Innenstadt erreichen lässt.


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Volkshochschule (Foyer)

Volkshochschule Die Erwachsenenbildung allgemein und die berufliche Qualifikation auf dem „zweiten Bildungsweg“ zur Hochschule im Speziellen ist eine im Ruhrgebiet der letzten vierzig Jahre traditionell hoch angesiedelte Größe. Entsprechend drängend fiel die Forderung nach einer mutigen Lösung aus, als es um die Frage Neubau oder Sanierung der Volkshochschule in Essen ging. Mit 5.000 m2 Fläche (davon 3.500 in einem Neubau am Burgplatz) fand die bis dahin in einer CityRandlage untergebrachte und außerdem stark Asbest- und PCB-belastete städtische Volkshochschule (VHS) ein neues Domizil − im Wortsinne „in der Mitte der Stadt“ und auf derem ältesten Grund, dem Burgplatz. Ein Ausgrabungsprofil im Untergeschoss macht den historischen mittelalterlichen Grund begreifbar. Die Planung und Ausführung wurde nach einem städtebaulichen Wettbewerb durch das Düsseldorfer Büro Miksch-Rücker-Architekten (Hartmut Miksch) erbracht. Wesentliche Entwurfsidee war es, einen auf schlanken Säulen stehenden, vermeintlich schwebenden Baukubus durch einen zweiten

Volkshochschule

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Volkshochschule

Burgplatz

zu ummanteln, der aus beinahe 1.000 m2 punktgehaltenen Glaseinheiten besteht. Durch die riesige Glasfassade entstand ein Schaufenster der VHS zur Stadt, durch das alle Bewegungen im Gebäude (gläserne Aufzüge, offene Treppen) miterlebt und in andere Blickrichtung eine beeindruckende Aussicht genossen werden kann – auf das Münster, die ALTE SYNAGOGE, das Rathaus und weiter bis zur Zeche und Kokerei Zollverein, die Halden im Norden und die Arena „Auf Schalke“ am Horizont. Im Inneren wurden alle Ausbaudetails einheitlich gestaltet, ohne die jeweilige Raumsituation zu verleugnen. So findet sich innen wie außen ein Lichtkonzept von mikadohaft angeordneten Neonröhren wieder, Flure öffnen sich zu innenliegenden Lichthöfen, die Transit-, Aufenthalts-, Forums- und Gastronomiebereiche sind offen und multifunktional angelegt.

Mit der Investition in eine zentrale Baulichkeit der VHS hatte die Stadt Essen auch in der Zahl der Besucher einen deutlichen Erfolg zu verbuchen. Im Doppeljubiläumsjahr 2009 (90 Jahre VHS und fünf Jahre am Burgplatz) hatte man pro Jahr 87.000 NutzerInnen zu verbuchen, gegenüber 63.000 am alten Standort. Dabei war die zusätzliche „Laufkundschaft“ durch die Burgplatz-Terrasse und die Ausbildungs-Gastronomie „Lernbar“ noch nicht eingerechnet. Mit dem Quartier am Burgplatz kehrte die auf Initiative des damaligen Oberbürgermeisters und späteren Reichskanzlers Hans Luther gegründete Volkshochschule übrigens beinahe an ihren örtlichen Ursprung zurück: Ihr erstes Domizil lag nämlich 1919 in einer Bürgervilla auf dem Grundstück des oben beschriebenen Baedeker-Hauses.


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Vorhang auf – Mehr Licht!

54 Glockenspiel 55 Grillo-Theater 56 Meerlicht 57 Sieben Stelen 58 Keenaa 59 Wilder Garten 60 Zentralbibliothek/Gildehof


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Vorhang auf – Mehr Licht!

Die Kettwiger Straße hat in den letzten Jahren einiges an Leuchtkraft eingebüßt, nachdem Einkaufzentren wie „Limbecker Platz“ und das als „Rathaus-Galerie“ aufgefrischte City-Center aufrüsteten und die Käuferströme der „Einkaufsstadt Essen“ neu lenkten. Dabei hätte „die Kettwiger“ durch ihre Ausrichtung vom endlich erneuerten Hauptbahnhof in die Mitte der Stadt weiterhin Trümpfe − ebenso wie in ihrer Bekanntheit und Tradition, vergleichbar der Frankfurter Zeil oder der Hohe Straße in Köln. Seit den 1920er Jahren war sie auf dem Abschnitt vom Kettwiger Tor bis zur Dellbrügge die erste rein fußläufige Einkaufsstraße in Deutschland, seit den Fünfzigern für Jahrzehnte Essens teuerste Einkaufsmeile − bezogen auf die Quadratmeter-Mietpreise. Wie dringend derzeit eine Neudefinition Not tut, lässt sich am Leerstand des C&A-Komplexes gegenüber der Münsterkirche/Domkirche und dem Abriss des Woolworth-Kaufhauses im Frühjahr 2010 ablesen. Hilfreich könnte da ein gemeinsames Konzept im Sinne eines erstmals in den 1970er Jahren in Kanada erprobten „Business Improvement Districts“ sein. In diesen Bereichen vereinbaren die Besitzer der dort liegenden Immobilien rechtskräftig, gemeinsam zur Verbesserung der Situation beizutragen. Die Idee ist von den Erfolgen von Einkaufszentren inspiriert. Ein hier lange vernachlässigter Struktur-Mix von Kaufen, Arbeiten und Wohnen(!) könnte, vergleichbar dem Neubeginn der Kölner Ehrenstraße mit ganz vergleichbarer Problematik und Geschichte, eine Lösung sein.

Glockenspiel Es lohnt sich beim Bummeln über die blauen Steine allemal der Blick nach oben. Wer als KULTURPFAD-Flaneur auf dem Herzstück der „Kettwiger“ etwas sehen will, das nicht mit Kaufanreiz und Handyvertrag zu tun hat, muss ab und an

Glockenspiel


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den Kopf in den Nacken legen. Zur vollen Stunde wird er nicht der Einzige sein, wenn er sich in Höhe der Quergasse „Am Glockenspiel“ befindet. Mit Westminster-Schlag setzt sich ein Uhrwerk in Gang, das seit 1955 am Uhrenhaus Deiter die Essener zum Stehen bleiben und Hochschauen bringt. Das Glockenspiel ist eine moderne Version historischer Glockenspiele, wie sie in Holland häufig zu finden sind. In Deutschland sind sie vor allem aus München und Nürnberg bekannt. Im Stil Ernst Barlachs zeigen die Kupferfiguren des Hamburger Bildhauers Hermann Diesener und des Folkwanglehrers Adolf Wamper u. a. den Stadtgründer Altfrid, Fürstäbtissin Theophanu, Sachsenkaiser Heinrich III., den Reformator Heinrich von Kempen sowie Bürger und Handwerker des Mittelalters. Das Mosaik des Glockenspielerkers entstand nach Entwürfen von Hermann Schardt, dem Direktor der Folkwangschule von 1947 bis zu deren Eingliederung in die Gesamthochschule 1971. Im Geschäft des Uhrenhauses Deiter ist eine Broschüre zum Glockenspiel zu haben. Wer sich einen nahen Blick auf die Figuren verschaffen möchte, ist eingeladen, sich in die zweite Etage des Cafés gegenüber zu setzen. Das Café Overbeck ist als einziges verbliebenes Innenstadt-Kaffeehaus im Flair der Adenauerzeit ein lebendes Zeitdokument bis in die Details: Eine Wendeltreppe, geschwungene Messinggeländer, ein Flügel, Kellnerinnen mit Spitzenschürzen, der Duft von Kaffee Hag und 4711! Auf dem Weg zum „Grillo-Theater“, dem Essener Schauspielhaus lohnt ein paar Schritte von Café und Glockenspiel, ein weiterer kurzer Blick nach oben: Am ehemaligen Hotel „Zum Ritter“ aus dem Jahr 1906, Architekt Ernst Knoblauch, ist eine der ganz wenigen intakten Fassaden der Gründerzeit zu sehen. Aus Grünsandstein sind zahlreiche ornamentale und figürliche Verzierungen herausgearbeitet: Blumendekor, vollplastische Tierfiguren, hellenisierende Menschenbilder im Relief. Knoblauch wird uns in gänzlich anderer, neuzeitlicher Formensprache von 1928 im Allbauhaus (siehe „Boulevard ins Blaue“) wieder begegnen.

Grillo-Theater Aus gleicher Zeit und Stilistik wie das Hotel zum Ritter stammte ursprünglich das „Grillo-Theater“, das sich uns beim Einbiegen nach links in die „Dellbrügge“ präsentiert. Die heutige Außenansicht ist bestimmt durch einen strengen, von rechteckigen Säulen geprägten Mittelrisalit, flankiert von zwei schlichten, ebenfalls rechteckigen Baukörpern. Die Kargheit des Baus hat in seiner wieder-

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Grillo-Theater

aufgebauten Form der späten 1940er Jahre nichts mehr gemein mit der neubarocken Wucht des Theaters, das 1892 als erstes Stadttheater des Ruhrgebiets eröffnet wurde. Wie im Fall der großen Kirchen der Gründerzeit war es auch hier ein Berliner, der dem neureichen Essen in prunkvoll-wilhelminischer Ästhetik zu einem „Tempel der Kunst“ verhalf. Heinrich Seeling baute ein Theater mit 800 Plätzen, zwei Rängen, Logen und Guckkastenbühne. OB Erich Zweigert sagte zur Eröffnung: „In reinem Kunstgenuss wollen wir nach des Tages Last und Arbeit unser Herz erfreuen in edler Begeisterung für den Kultus des Schönen“. Wie das städtische Museum, Kirchenbauten und die Synagoge, ging auch das Theater auf ein „Sponsoring“ zurück, in diesem Fall die Stiftung einer Einzelperson. Der namensgebende Industrielle Friedrich Grillo (1825–1888) erlebte die Eröffnung „seines“ Theaters allerdings nicht mehr. Schon zur Kaiserzeit war das „Grillo-Theater“ sowohl Schauspiel- wie Opernhaus, ab 1899 mit städtischem Orchester, der heutigen Essener Philharmonie.


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des Essener Theaterarchitekten Prof. Werner Ruhnau (BDA) eine Entkernung und Umbau vom alten Guckkastenprinzip zum variablen Raumtheater. Mit reduzierter Zuschauerkapazität von 400 Plätzen, aber mit wesentlich erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten. Ruhnau, Architekt des 1959 eröffneten „Musiktheater im Revier“ in Gelsenkirchen, steht als international anerkannter Spezialist für ein werkstatthaft-variables Raumkonzept. Hinzu kamen eine (heute nicht mehr existente) Buchhandlung und ein Café mit Programm. Im Jahr 2001 wurde die Vorplatzsituation neu gestaltet und neue multifunktionale KleinbühnenSituationen geschaffen. „Casa“ und „Heldenbar“ dienen sowohl als Studiotheater wie auch als Lounge, Experimentierfeld, Workshop- und Party-Location. Unter der Intendanz von Anselm Weber (2005–2010) zog nicht nur mit Daniel Bösch, Annette Pullen und Roger Vontobel eine neue Generation von Regisseuren ein, sondern es gelang mit Poetry-Slam und anderen offenen Konzepten, die Altersstruktur des Theaters fit für das 21. Jahrhundert zu machen. In einer Situation, die trotz Top-Ranking im nationalen Feuilleton und stabilen zukunftsfähigen Zuschauerzahlen von kommunalen Sparzwängen geprägt ist, wechselt Anselm Weber 2010 nach Bochum. Mit Christian Tombeil übernimmt ein Theatermacher die Intendanz, der sich mit dem Management der Etatverknappung und Kostenoptimierung bestens auskennt: Das fusionierte Theater Krefeld-Mönchengladbach ist seine Referenz, als künstlerischer Betriebsdirektor aus dem Mangel das Beste zu machen. Vorhang auf!

Lichtinstallation „Meerlicht“

Gastdirigenten waren u. a. Gustav Mahler, Max Reger und Richard Strauss. Ende der 1920er Jahre erlebte es unter dem Einfluss der Folkwang-Idee auch im Tanztheater eine Blüte. Der weltberühmte „Grüne Tisch“ von Kurt Jooss wurde hier kreiert und 1932 in Paris uraufgeführt. Das alte Haus wurde 1943 kriegszerstört und bald nach Kriegsende als einer der ersten Großbauten in Essen wiederhergestellt, so dass es schon 1950 erneut den Betrieb aufnahm. Inszenierungen von Erwin Piscator, Jean-Louis Barrault und Heinz Dietrich Kenter erneuerten den guten Ruf des Theaters. Die Doppelfunktion von Schauspielhaus und Oper belastete das Haus unter Intendanten mit unterschiedlicher Gewichtung von Erich Schumacher (1958–1974) bis Hansgünther Heyme (1985–1992). 1988 konnten durch Heymes vehementes Eintreten für den Erhalt als Schauspielhaus Pläne der Stadt, das Haus wegen Baumängeln zu schließen, abgewendet werden. Nach Eröffnung der Aalto-Oper am Stadtgarten 1988 wurde es zum reinen Sprechtheater umgewandelt. 1990 erfolgte nach Plänen

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Meerlicht Die alte „Kinodame“ Lichtburg haben wir bereits bei den „Visionen in Stein“ gewürdigt. Das Thema Licht und Dunkel erwartet uns, wenn wir dem „GrilloTheater“ den Rücken kehren und uns auf der „Dellbrügge“ nach Osten wenden. Der Straßenname zeigt noch an, wo es hier in alter Zeit hinging: zur „Dielenbrücke“, einem Holzsteg, der die sumpfige Senke des Berne-Flüsschens überquerte. Vom sumpfigen Terrain leitet sich auch der Namen der engen, etwas finsteren Gasse ab, die auf der Schattenseite der Kettwiger rechts von der „Dellbrügge“ abgeht: „Schwarze Meer“ – im niederdeutsch „swarte meer“ – bezeichnete als Flurname einen schwarzen, morastigen Teich oder Tümpel. Die Gasse könnte als Kulisse eines Krimis der „Schwarzen Serie“ aus den 1940er Jahren fungieren. Es reizte das Duo Jürgen LIT Fischer und Peter Brdenk, im Vorfeld des Stadtjubiläums 2002 und des damit verbundenen „Bau-Kunst“-Projektes, das


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Sieben Stelen

dunkle Gässchen nicht etwa zu „beleuchten“, sondern in seiner „Schwärze“ als Hintergrund einer Lichtinstallation zu nutzen. „Meerlicht“ spielt mit der Magie des Ortes. 52 durch LED-Technik leuchtende Plexiglasstäbe erzeugen auf 32 m Länge vor einer bereits bestehenden, schwarz gekachelten Wand einen Rhythmus der perspektivischen Verkürzung. Architekt Peter Brdenk (*1959) und Lichtkünstler Jürgen LIT Fischer (1941–2005) verband über Jahre eine künstlerische Zusammenarbeit zum Thema Licht mit Installationen im Stadtraum oder bei temporären Projekten (Lichtparcours Braunschweig zur Expo 2000, „Lichtpunkt“ Herne, Neubau der Siemens-Zentrale München). LIT Fischer gestaltete 1995 die Lichtinszenierung der Landmarke „Tetraeder“ der IBA Emscher Park in Bottrop. Peter Brdenk ist seit 2001 der Koordinator des Projektes Lichtführung der Stadt Essen.

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Sieben Stelen (Detail)

Sieben Stelen Während die Inszenierung von „Meerlicht“ die Anmutung einer Jazzballade vermittelt, so erwartet uns am Varnhorstkreisel das „große Orchester“. Zu beiden Seiten der Gildehofstraße ragen die „Sieben Stelen“ von Heinz Mack in 19 Meter Höhe und bilden ein Portal für den in Nord-Süd-Richtung fließenden Verkehr. Bis zu 40.000 Autos am Tag passieren die Stelen des Künstlers, der seit den sechziger Jahren mit Licht-Inszenierungen (Sahara-Projekt, Arktis-Projekt) an entlegenen Plätzen und spektakulären, großformatigen Plastiken im öffentlichen Raum bekannt wurde. Mack gründete 1957 gemeinsam mit Otto Piene und Günter Uecker die einflussreiche Düsseldorfer Künstlergruppe „Zero“. In enger Verbindung mit dem französischen „Nouveau réalisme“ und der „Op-Art“ definierte sie Licht, Bewegung und serielle Struktur als ihre gemeinsame künstlerische Basis und nahm an der documenta III in Kassel mit dem Gruppenwerk „Lichtraum“, heute im Kunstmuseum Düsseldorf, teil. Mack erwies sich als der am meisten Architektur-Affine der 1966 aufgelösten Gruppe. Er gestaltete 1981 den „Jürgen-Ponto-Platz“ in Frankfurt, 1984 „Columne pro coelo“ am Kölner Dom, 1989 vor der LZB in Düsseldorf.


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Die Mack-Stelen wurden 2000 im Auftrag der seinerzeit am Varnhorstkreisel residierenden und im Jahr 2008 in der Commerzbank/Eurohyp aufgegangenen Essener Hypothekenbank erstellt. Auf der Grundform eines Kreuzes basierend, verjüngen sie sich nach oben und vermitteln so den Eindruck einer gläsernfragilen Eleganz, der noch verstärkt wird durch eine teleskopartige Dreiteilung. In den Kanten der Chromstahlsäulen sind blau scheinende Lichtbänder eingefasst. Sie verwandeln die silbrig-schimmernde Tagesansicht der sieben Stelen während der Nacht in einen Wald von 28 schmalen, blau scheinenden Vertikalen, die sich durch Spiegelung in den Glasflächen der beiden benachbarten Bankgebäude vervielfachen. Keenaa

Keenaa Im Innenhof der ehemaligen Hypothekenbank, an dem heute die Essener Niederlassung der katholischen Pax-Bank arbeitet, findet sich die eindrucksvolle Stahlplastik „Keenaa“ von Pit Kroke (1991), die in ihrer Materialität mit der durch Stahlbeton und Glasfassaden geprägten, in Funktion und Ästhetik streng business-definierten Umgebung zu spielen scheint: Der Werkstoff Stahl, unter Feuer gesetzt, schmilzt. Seine sprichwörtliche „Stahlhärte“ ist nur einem Aggregatzustand geschuldet, der unter „Normal“-Bedingungen herrscht. Kroke hat von den sich aufeinander stützenden Stahlkörpern gleichsam eine Momentaufnahme genommen, in dem die Statik des Stahls in Bewegung gerät. Im repräsentativen Innenhof einer abgewickelten Hypobank dürfen wir schon ins Grübeln kommen, wenn wir die aufeinander gestützten Stahlformen ins Wanken geraten sehen − welch eine Allegorie! Pit Kroke wurde 1940 in Fürstenwalde/Spree geboren und studierte Bildhauerei bei Hans Uhlmann an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Dort arbeitete er auch an experimenteller Fotografie und abstraktem Film, ebenso betrieb er architektonische Studien. 1964 ging er nach Sardinien, wo er anfänglich als Architekt arbeitete. 1981 näherte er sich wieder der freien künstlerischen Tätigkeit, der er sich seitdem ausschließlich widmet. Seit 1993 lebt und arbeitet er in Berlin und Sardinien. Seinen Stahlkörpern im öffentlichen Raum haftet stets eine organisch-belebte, teils spinnenhaft-motorische Anmutung an, die hier durchaus subversiv verstanden werden kann.

Wilder Garten Verwahrlost, zertrampelt, ein Müllhaufen! So zeigte sich über Jahre ein Kunstprojekt an der Schützenbahn, das als „Wilder Garten“ sich selbst überlassen war. Ein Kunstkonzept aus den 1980er Jahren, dessen Elend seither gern von der Tagespresse aufgegriffen wurde und das per künstlerischer Definition streng genommen kein Eingreifen gestattet. Die Essener Künstlerin Monika Günther (*1944) hatte für das Folkwang-Festival 1985 ein Konzept eingereicht, das eine Fläche am Rande der Innenstadt bewusst als nicht-gestaltetes, nicht-kultiviertes Areal definierte. Sie bezog sich in ihrem Konzept auf den niederländischen Künstler und Architekten Louis Le Roy (*1924) und dessen Prinzip der „Ökokathedrale“ − nämlich einen brachliegenden (Stadt-)Raum mit Schutt zu bedecken, auf ihm Pflanzensamen auszusäen und ihn schlicht sich selbst zu überlassen. Gerade in der kriegsbedingt zertrümmerten Stadt Essen, die ihre Freiräume in den Folgejahrzehnten so emsig zubetoniert hatte, mochte dies in den 1980er Jahren durchaus als Provokation wirken. Allein − niemand hat’s gemerkt! Die Stadt widmete ein Stück Verkehrsgrün zum Kunstwerk um. Man verteilte, der künstlerischen Vorgabe folgend, ein paar LKW-Ladungen groben Bauschutt darauf und ließ Wildblumen-, Gräser- und Baumsamen ausstreuen. Es wuchs, nur am Rand für die Verkehrssicherheit gekappt, ein Wäldchen heran, dicht genug um sich darin zu verstecken. Als Unterschlupf wurde das Kunst-Biotop jedoch


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Wilder Garten

nicht von Fuchs und Hase genutzt, sondern von Essens Fixerszene. Während Drumherum der Verkehr brandete, hauste hier zwischen Plastiktüten und Pilsdosen menschliches Elend, das sich so schlecht mit der Optik der Geschäftsstadt verträgt. Als das Grünflächenamt, durch Beschwerden genervt, das Elendswäldchen einebnen wollte, kam es beinahe zum Eklat, denn die Künstlerin drohte mit Klage. Ein Werk ist ein Werk, ein Bagger ist ein Bagger! Ein Bagger, der ein Kunstwerk beseitigt, verletzt Rechte am Werk! Es entspann sich ein Briefund Wortwechsel zwischen Künstlerin, Dezernent, Kulturausschuss und Beirat, schlussendlich mit dem Ergebnis: Aufräumen ja − Weghacken nein! Im Beisein erleichtert lächelnder Amtspersonen markierte die eigens aus der Schweiz angereiste Monika Günther diejenigen Bäume, die nun doch herausgenommen werden durften, damit mehr Licht bleibt für den Rest des „Wilden Gartens“. Inzwischen haben das städtische Gesundheitsamt und auch die Drogenbetreuung neue Standorte gefunden. Der Verkehr brandet weiter um das Insel-Biotop, doch die Hasen haben ihren Frieden.

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Zentralbibliothek (Portal)

Zentralbibliothek/Gildehof Den Frieden konnten die Essener erst im Nachhinein mit einer handfesten Fehlinvestition machen, die heute die zentrale Stadtbibliothek beherbergt. Eigentlich sollte es ein Spaßbad werden, das die Bürger 1987 mitten in der City einweihten. Auf rund 6.500 Quadratmetern sollten die Besucher Alltag und Hektik vergessen. Fünf Jahre später war Politikern und Bürgern der Spaß vergangen: Anstelle der erhofften 1.700 Gäste täglich kamen zum Schluss gerade einmal 500. Nach jahrelangem Hin und Her wurde das Bad geschlossen. Der Rat sah darin noch die günstigste Lösung, doch auch diese kostete die Stadt 1,2 Mio. jährlich, und das für die nächsten zwanzig Jahre; denn 1987 hatte man mit dem Eigentümer, einem Immobilien-Fonds, einen Mietvertrag über 25 Jahre abgeschlossen. Eine pragmatische und baulich gelungene Lösung ergab sich erst durch Umbau und Nutzung für die städtische Zentralbibliothek, realisiert im Jahr 1999 (Architekt Walter von Lom, Köln). Die Licht-Installation im Eingang wurde von Ann Pascual und Markus Heuer unter Professor Andreas Henrich an der Kunsthochschule für Medien in Köln realisiert.


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Mitte der Stadt 61 M端nster 62 Alte Synagoge 63 Friedenskirche 64 Stadtwunde


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Mitte der Stadt Münster Nördlich des Burgplatzes finden wir die Keimzelle, das eigentliche Zentrum Essens, heute nur noch greifbar durch seine Kirchenarchitektur. Das „Münster“ (Domkirche seit 1958) und die westlich vorgelagerte Anbetungskirche St. Johann Baptist ist die einzige erhaltene alte Architektur der Innenstadt. Während im (Alt-)Essener Umland, z. B. in Werden und Rellinghausen, noch Spuren der mittelalterlichen, profanen Architektur erhalten sind, reduzieren sich die Zeugnisse in Essen selbst auf den geistlichen Ausgangspunkt. Das freiweltliche Damenstift Essen existierte an dieser Stelle seit karolingischer Zeit (vermutlich 852) bis zu seiner Auflösung und dem Anschluss der Stadt an das Königreich Preußen (Säkularisierung) 1802. Der hier geborene St. Altfrid, später Bischof von Hildesheim, gründete das Stift auf seinem Gut Astnide (auch „Asnide“, lateinisch: Assindia, der Wortstamm von „Essen“). Essen ist damit älter als Berlin, älter als München und sogar älter als das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“. Seine Schwester Gerswida war erste Äbtissin des Stifts im Grenzland zwischen fränkisch-karolingischem und sächsischem Territorium. Töchter des Hochadels lebten hier nach christlichen Grundsätzen, jedoch ohne klösterliches Gelübde. Sie mussten, bis auf die Äbtissin, kein Keuschheitsgelübde ablegen und durften ihr Eigentum behalten. Von der Glanzzeit des Stiftes in ottonischer Zeit zeugen heute noch der Kirchenschatz und der Westbau des Doms. Ca. 852 begann das Damenstift mit dem Bau der Stiftskirche, die 870 fertig gestellt wurde. Auf ihren Fundamenten steht heute der Essener Dom im Zentrum der Stadt. Trotz mehrerer Brände, Wiederaufbauten und Erweiterungen ist die Kirche auch heute noch in ihrer Grundform als romanisch-karolingische Basilika inklusive des wuchtigen achteckigen Westturmes erkennbar. Der Westchor der Hallenkirche bildete in typischer Bauweise einer romanischen Pfalzkirche die „Herrscherloge“ für die Besuche des beständig im Reich umherreisenden deutschen Kaisers. Die heutige Ansicht der Münster-Stifts-Kirche stammt wie die Pfarrkirche St. Johann aus dem 13. Jahrhundert. Ein Ensemble zweier Kirchen von ländlich anmutender Bescheidenheit, wenn man sie mit den himmelstürmenden Kathedralen der Hochgotik anderswo – z. B. in Freiburg oder Ulm – vergleicht.

Domkirche

Nach schweren Beschädigungen im Ersten Weltkrieg wurde die Kirche unter Berücksichtigung einer behutsamen Denkmalspflege (z. B. Farbgestaltung nach mittelalterlichen Spuren) unter Ägide der Architekten Emil Jung (BDA) und Eberhard Michael Kleffner rekonstruiert. Die Gestaltung der zwangsläufig neuen Bauelemente des Münsters wie die Fenster und Blaustein-Altar mit plastischen Reliefdarstellungen gelten in ihrer modernen Formensprache im Dialog mit der historischen Bausubstanz als beispielhaft. Jung, der den Wiederaufbau des Münsters als seine Lebensaufgabe ansah, zeichnete in Essen außerdem für so markante Bauten wie die EVAG-Hauptverwaltung „Erzhof“ an der Zweigertstraße, die BMV-Schule und in den 1950er und 1960er Jahren für die AOK-Verwaltung und das Heroldhaus am Kennedyplatz verantwortlich. Aus seiner Zeit stammt auch das neue Bischofs-Palais mit dem vergoldeten Engel von Ewald Mataré. Eigenwilliger, doch ebenso stimmig, fügt sich seit 1983 die neue West-Krypta unter dem Atrium zwischen Münster und Johannis-Kirche in


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zahlreiche liturgische Geräte, Königskrone und Prunkschwert Kaiser Ottos III. Vom Essener Publikum kaum beachtet, touristisch wenig bekannt, dämmerte der Schatz, den das junge Ruhrbistum (Gründung erst 1958 unter Papst Pius XII.) von den Äbtissinnen geerbt hatte, unter schlechten konservatorischen Bedingungen. Noch 2000 brauchte es einen dringlichen Aufruf des Ruhrbistums und engagierter Bürger, um die Behausung der einmaligen Sammlung vor akutem baulichen Schaden zu retten. Der Lindenholzkern der Goldenen Madonna etwa war beinahe irreparabel bedroht. Nach Sanierung der Domschatzkammer und neuer museumsdidaktischer Präsentation erlebte der Schatz im Jahr des Stadtjubiläums 2002 eine viel beachtete Renaissance beim Publikum und in den Medien. Dies war Grundlage für ein neues Selbstbewusstsein und für die

Goldene Madonna

Münsterkirche und Rathaus

das Ensemble ein. Der Andachtsraum und Grabstelle der neuzeitlichen Bischöfe (Gestaltung Emil Wachter) bildet sie im Dialog von klassischem polierten Naturstein und neuen Baustoffen (Stahl, Sichtbetonrelief) einen Kontrapunkt zur romanischen Ost-Krypta aus dem 11. Jh. mit den Sarkophagen des St. Altfrid und der Äbtissin Theophanu. Erst in der letzten Dekade in das öffentliche Bewusstsein gelangt ist die gleichrangige Bewertung des Domschatzes aus ottonischer Zeit (ca. 900 bis 1050) im Vergleich zu denen von Aachen, Köln und Paderborn. Nicht allein die Essener Goldene Madonna (um 1000) ist als erste bekannte freistehende Marienplastik nördlich der Alpen von unschätzbarem kunsthistorischen Wert. Die sächsischen Kaisertöchter Mathilde (971–1011) und Theophanu (1039–58) legten als Äbtissinnen den Grundstock einer ungewöhnlichen Pretiosensammlung. In ihrem Auftrag entstanden neben der Madonna Kostbarkeiten wie der siebenarmige Leuchter des Münsters, Vortragekreuze mit reicher Verzierung,


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Domschatzkammer (Außenansicht)

Erschließung des enormen touristischen Potenzials, das lange im Dornröschenschlaf lag. Die Neugestaltung des Domplatzes und die Aufwertung der Domschatzkammer setzten rechtzeitig zum Jahr der Kulturhauptstadtwürde 2010 einen Akzent, dass die Stadt und das (Ruhr-)Land auf eine weit vor die Industrialisierung zurückgehende Geschichte blicken können. Eingedenk des beachtlichen Schatzes und der langen Geschichte einer prominenten Regentschaft (852–1802 „reichsunmittelbar“), stellt sich die Frage, warum die Stadt nicht bereits im Mittelalter zu einem Macht- und Handelszentrum erster Ordnung aufstieg. Der Flecken blieb ein Flecken im Vergleich zu den Hansestädten Duisburg und Dortmund. Dies − wie auch das relativ unbeschadete Überstehen des 30-jährigen Krieges − überrascht umso mehr angesichts einer verkehrsgeografischen Besonderheit. Der west-östliche „Hellweg“ von Nantes in der Bretagne bis ins russische Nowgorod und der Pilgerpfad der „Strada Coloniensis“ in Nord-Süd-Richtung kreuzten sich im Zentrum der Stadt. Beide waren wichtige Achsen im (Pilger-)Straßensystem des europäischen Mittelalters, ausgerichtet auf das spanische Santiago de Compostella, dem nach Rom und Jerusalem heiligsten Ort der Christenheit („Jakobsweg“). Solange die Landesherrschaft in Händen der Fürstäbtissinnen lag, schied Essen als Machtfaktor im Gefüge des in viele geistliche und weltliche Fürstentümer zersplitterten „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ schon per Definition aus:

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Domschatzkammer

Das Stift, in dem die unverheirateten, bzw. nicht-verheiratbaren Töchter der deutschen Könige untergebracht (abgeschoben?) waren, genoss zwar vielfachen Schutz durch mächtige Verwandtschaft und es war nicht einem Landesfürsten, sondern nur Kaiser und Papst direkt unterstellt. Dennoch war eigene Macht für die Äbtissinnen im patriarchalisch gefügten Kosmos des Mittelalters weder gewollt noch durchsetzbar. Die Rivalität zwischen dem feinen, kunstsinnig-katholischen Damenstift und der nach der Reformation protestantischen Bürgerschaft der Stadt – schon im 16. Jh. gab es eine starke Büchsenmachergilde – hemmte zudem die Entwicklung des Städtchens. Bevor nach 1850 Zechentürme und Schornsteine das Stadtbild prägten, hatten sich Ausdehnung und die Silhouette Essens über Jahrhunderte hinweg nur wenig verändert. Wer sich hiervon eine Vorstellung machen will, sollte sich die Johanniskirche von innen anschauen. Auf dem Altarbild der Kreuzabnahme Christi hat der Kölner Maler Bartholomäus Bruyn d. Ä. 1525 im Hintergrund eine Stadt abgebildet: Die älteste Bilddarstellung Essens. Wer einige Stunden auf dem fast einen Hektar großen Areal verbrachte, diesen Besuch mit einer gedanklichen Zeitreise durch 1150 Jahre Essen verbunden hat,

Der siebenarmige Essener Leuchter


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Engel

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Neue Krypta

tritt wieder auf die „Kettwiger“ hinaus, und kann fußläufig zwei weitere spirituelle Orte im Zentrum der Stadt erreichen: Die „Alte Synagoge“ und die altkatholische „Friedenskirche“. Die beiden Gebäude am Fuß der Steeler Straße sind von der Innenstadt durch die an dieser Stelle vielspurige „Schützenbahn“ getrennt. Sie wirken wie in eine Randlage abgedrängt, die ihrer Bedeutung für die Stadt nicht gerecht wird. Alte Synagoge Auf dem Weg zum Eingang der Alten Synagoge überqueren wir eine Fläche, die es so in dieser Form bis 2010 noch gar nicht gab: Der verkehrsberuhigte, neugestaltete Edmund-Körner-Platz (Planung: wbp Landschaftsarchitekten) sorgt heute dafür, dass das Ensemble aus Alter Synagoge, Friedenskirche und Jahrhundertbrunnen wieder als städtebauliches Gesamtkunstwerk wahrgenommen werden kann. Aus historischer, architektonischer, kultureller oder spiritueller Sicht sind sowohl das ehemalige jüdische „Haus der Versammlung“ wie die Kirche der Altkatholiken zentrale Orte der Stadt und deren Geschichte im letzten Jahrhundert. „Synagoge“ und „Friedenskirche“ gehen beide auf Bürgerengagements zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Beide Gemeinden begriffen sich im wilhelminischen deutschen Reich als kaisertreu, staatstragend und von der

Alte Synagoge

preußischen Staatsmaxime der Glaubensfreiheit gestützt. Der mächtige Bau der „Alten Synagoge“, die die jüdische Gemeinde Essen durch Edmund Körner (s. a. „Visionen in Stein“) in den Jahren 1911–1913 errichten ließ, unterschied sich − wie schon die vorherige Synagoge Essens von 1870 − in Größe und Duktus von der Schlichtheit früherer Bet- und Versammlungshäuser. Er dokumentierte, wie tief sich die jüdische Gemeinde zu jener Zeit nach jahrhundertelanger Ausgrenzung in der Mehrheitsgesellschaft verwurzelt sah. Essen beheimatete eine politisch und kulturell engagierte jüdische Kaufmannschaft, ein jüdisches Bildungsbürgertum und die mächtige Bankiersfamilie Hirschland, die sich am Bau der Synagoge beteiligten. Körner suchte mit dem Rabbiner Salomon Samuel eine Synthese aus Tradition und Moderne, byzantinischer und abendländischer Architektur. Reich ausgestattet mit ornamentalen Fresken im Innenraum, feinlinig gestalteten Fenstern, Orgel, einem marmornen Thoraschrein und Leuchten im Jugendstil war der Kuppelbau Mittelpunkt der seinerzeit ca. 4.500 Mitglieder zählenden Essener Gemeinde.


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Die mit der Konsistenz einer romanischen Basilika gebaute Synagoge sollte von 1913 an nur 25 Jahre lang ihrem vorgegebenen Zweck dienen. Nachdem die Juden in der Weimarer Republik bereits Ziel von braunen Attacken auf der Straße und in den Nazi-Medien waren, sahen sie sich nach 1933 einem sich stetig verstärkten psychischen und administrativen Terror ausgesetzt, der nun von Staats wegen legitimiert und verwaltet wurde. Man wehrte sich mit bürgerlichen Mitteln gegen die Ausgrenzung und Verfolgung, schrieb Briefe und Eingaben, zeichnete „mit freundlichen Grüßen hochachtungsvoll“. Während der Novemberpogrome 1938 setzten SA- und SS-Leute die Synagoge in Brand, die Feuerwehr „löschte“ mit Benzin. Der Baukörper jedoch blieb inklusive des Kuppeldachs stehen. Die Verfolgung von Angehörigen der jüdischen Gemeinde spitzte sich zu. Schließlich gipfelte sie im Holocaust, bei dem die Nationalsozialisten über sechs Millionen Juden ermordeten: 1933 hatte die Essener Gemeinde über 4.500 Mitglieder, 1950 waren es nur noch etwa 200. Nach dem Zweiten Weltkrieg ragte die ausgebrannte Ruine der Synagoge fast unversehrt aus der zerstörten Innenstadt, die zu etwa 90% in Trümmern lag. Fotos aus der Nachkriegszeit zeigen den Bau in gespenstischer Majestät inmitten der Trümmerwüste Essen. Die Überreste der Synagoge erwarb 1959 die Stadt, gleichzeitig errichtete die jüdische Gemeinde nach einem Entwurf von Dieter Knoblauch und Heinz Heise (BDA) ihre neue Synagoge in der Sedanstraße. Doch das Potenzial, das die alte Synagoge mit ihrer Vergangenheit für geschichtliche Aufarbeitung bot, wurde zu dieser Zeit ignoriert. Stattdessen diente sie ab 1961 als Ausstellungsfläche für Industriedesign, wo unter anderem Küchenherde und Durchlauferhitzer präsentiert wurden. Später wurde auch noch das „Deutsche Plakatmuseum“ in die Synagoge integriert. Welch eine Fügung, dass 1979 aufgrund eines Kurzschlusses das Gebäude erneut brannte und stark so beschädigt wurde, dass der Rat der Stadt eine neue Zweckbestimmung beschloss: Seit dem 9. November 1980 galt das Haus fortan als „ALTE SYNAGOGE“, die als zentrale Mahn- und Gedenkstätte sowie historisch-politisches Dokumentationsforum zur Aufarbeitung der NS-Zeit dienen sollte. Zwischen 1986 und 1988 wurden umfangreiche Rekonstruktionsarbeiten durchgeführt, wobei auch die Kuppel wieder freigelegt wurde. Nach dieser Umbauphase wurde sie mit der neuen Dauerausstellung „Stationen jüdischen Lebens“ wieder eröffnet. Damit wurde eine Loslösung von Gedenkstättentradition und Museumscharakter eingeleitet. Verstärkt sollten zeitgenössische

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politische Fragestellungen und jüdische Kultur in den Vordergrund rücken. Im Jahre 2008 begann ein weiterer Umbau (Projektausführung: LJA Lothar Jeromin Architekten), der nicht nur das Erscheinungsbild der Synagoge grundlegend veränderte, sondern gleichzeitig eine konzeptionelle Neuausrichtung mit sich brachte: Die ALTE SYNAGOGE wurde zum „Haus jüdischer Kultur“. Der Innenraum ist seitdem heller, offener, einladender, großzügiger und freundlicher – wahrlich ein Raum des kulturellen Austauschs, in dem sich Besucher gerne aufhalten. In fünf neu geschaffenen Bereichen sind vom Sommer 2010 an moderne, multimediale und interaktive (Dauer-)Ausstellungen zu historischen, kulturellen und religiösen Themen zu sehen.

Körnerplatz mit ALTER SYNAGOGE und Friedenskirche (Visualisierung)


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Friedenskirche Aus derselben Bauepoche stammend und stilistisch durchaus verwandt zeigt sich die der Synagoge benachbarte „Friedenskirche“. Sie ist der Mittelpunkt des Gemeindelebens der Essener Alt-Katholiken. Ihr Ursprung liegt in einer katholischen Protestbewegung gegen die beim Ersten Vatikanischen Konzil (1869–70) verkündeten Dogmen von Universalprimat und Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubensfragen. Darin sah sie eine Aushöhlung der alten katholischen Kirche, die besonders die Stellung der Bischöfe betraf. Da sie die Tradition bewahren wollten, nannten sie sich „alt-katholisch“. Allerdings ging es der Protestbewegung nicht nur darum, Strukturen zu bewahren, sondern auch um die Umsetzung von Reformen. Es kam zum Bruch mit der römischen Amtskirche. In Essen gibt es seit 1872 eine alt-katholische Gemeinde. Obwohl die AltKatholiken von Beginn an als christliche Kirche staatlich anerkannt wurden, beschloss der Rat der Stadt erst 1914 den Bau eines eigenes Gotteshauses für die Gemeinde. Architekt Albert Erbe (1868–1922), damals Beigeordneter und Stadtbaurat, übernahm die Planung. Es galt die Proportionen des wuchtigen Körnerschen Baukörpers der Synagoge von 1913 auszugleichen. Auf einer künstlichen Anhöhe entstand die Baugruppe aus Kirche (Tonnengewölbe mit einseitiger Fensterfront), Turm und Gemeindehaus. Stilistisch steht die Friedenskirche in enger Verbindung mit dem monumentalen Klinkerbau der Emschergenossenschaft von Wilhelm Kreis aus dem Jahr 1910 (Südviertel, Richard-Wagner-Straße). Schon nach zweijähriger Bauzeit konnte Bischof Georg Moog 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, die „Friedenskirche“ weihen. Im Zweiten Weltkrieg wurde die bedeutende Jugendstilkirche arg beschädigt, doch bis 1952 von der Gemeinde wieder aufgebaut. Funktion kam dabei notgedrungen vor Ästhetik. Heute ist der Besuch der seit 1985 unter Denkmalschutz stehenden Kirche wieder ein Genuss, denn von 2003 bis 2006 wurde der Innenraum, inklusive der bunt-abstrakten Deckenmalereien Jan ThornPrikkers, weitgehend in seinen Originalzustand versetzt. Im Innenraum findet sich somit ein für Essen seltenes, wichtiges Zeugnis aus der Jugendstilepoche. Im Chor der 1916 erbauten Kirche der alt-katholi-

Friedenskirche (Taufbecken)

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Stadtwunde (Detail)

Stadtwunde

schen Essener Gemeinde gestaltete der niederländische Glasmaler Jan ThornPrikker ein Goldmosaik im klassizistisch orientierten Wiener Jugendstil, das von der Familie Krupp gestiftet wurde. Die Krupps, selbst protestantisch, förderten den an der Gewerbekunstschule lehrenden Künstler und verhalfen damit zu einem kunsthistorisch bedeutsamen Kirchenraum, der bis heute außerhalb der Gemeinde in Essen nur wenigen bekannt ist. Ebenfalls beeindruckend sind die vier Kirchenfenster von Harry McLean (1908–1994), die 1963 als Ersatz für die im Krieg beschädigten Bleiglasfenster eingesetzt wurden. Auch außen soll etwas geschehen: Turm, Turmhaube, Glockenstuhl, Turmuhr und Fassaden haben Reparaturbedarf. Förderverein, Kuratorium und Gemeinde bemühen sich daher unermüdlich um Spenden und Sponsorengelder. Unterhalb der Friedenskirche erinnert der 1907 enthüllte Jahrhundertbrunnen des Bildhauers Ulfert Janssen (1878–1956) an die hundertjährige Besetzung des bis dahin selbständigen Stift Essen durch preußische Truppen in den Jahren 1802 bis 1902.

Stadtwunde Wieder überqueren wir die achtspurige „Schützenbahn“ in Richtung Innenstadt. Es empfiehlt sich nun unbedingt ein kleiner Schlenker in Richtung „RathausGalerie“. Nicht zum Schuhekaufen, zum Sushi-Essen oder Schaufensterbummeln, sondern eine Etage tiefer ins Zwielicht des Untergeschosses − und zwar dorthin, wo es in der Ladezone und der Zufahrt zur Parkgarage alles andere als hübsch und einladend ist, wo es ganz und gar ungepflegt wirkt und es beißend nach Urin und Ammoniak riecht − ein urbaner Unort. Dort installierten die Künstlerin Astrid Bartels und der Architekt Prof. Werner Ruhnau im Rahmen der Ausstellung „Essen erlebt Architektur“ auf der Treppe zur Porschekanzel die „Stadtwunde“ (2002): Eine stilisierte Baumgruppe aus sieben Buchenstämmen, die daran erinnert, dass sich unterhalb des heutigen Einkaufszentrums in der ehemaligen Straße „Schwarze Poth“ während des Zweiten Weltkriegs eine Außenstelle des KZs Buchenwald befand. 150 Häftlinge waren dort eingesperrt. Sie wurden gezwungen, schwerste körperliche Aufräumarbeiten in der Stadt zu leisten. Wer sich widersetzte, wurde nach Buchenwald zurück geschickt – in den sicheren Tod.


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Marktplatz

65 Marktkirche 66 Europahaus/Kennedyplatz 67 Heroldhaus 68 Spirale „Food for Thought“ 69 Ein leichtes Spiel 70 Two Lines Up


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Marktplatz

Marktkirche Die Marktkirche ist als Kirche ohne Gemeinde offen für alle. Ein Ort für meditative Pausen im Zentrum der Stadt. Im Mittelalter war sie Kirche der Handwerker und Reisenden, Mittelpunkt des öffentlichen Lebens und für Essen die Wiege der Reformation. In säkularisierter, „ent-kirchlichter“ Zeit haben sich die Wahrnehmungen verschoben. Da kann es durchaus passieren, dass der Kölner Dom unter nichtrheinischen Zugereisten, die z. B. für ein Bundesligaspiel in der Stadt sind, als „die große Kirche am Bahnhof gegenüber von McDonalds“ geortet wird. Die „Marktkirche“ im Zentrum von Essen ist für viele „die kleine Kirche bei Burger King“. Ein Schicksal, das sie mit vielen anderen Innenstadtkirchen teilt und das religionssoziologisch als „Traditionsabbruch“ bezeichnet wird. Die Marktkirche stand im Stadtraum „herum“, während sich täglich Tausende an ihr vorbeibewegen. Zu Beginn der 1990er Jahre entschied der Stadtkirchenverband, die Stelle eines „City-Pfarrers“ zu schaffen. Zeitgleich schrieb man einen bundesweiten Wettbewerb zur Umgestaltung des Hauses aus, zu dem im Jahr darauf 224 (!) Entwürfe eingingen. Aus der Vielzahl der Vorschläge ging 1995 der Dortmunder Architekt Eckard Gerber (BDA) als Erstprämierter hervor. Sein Entwurf sah den Einschub mehrerer gläsener Ebenen zur Raumteilung in der Horizontalen wie der Vertikalen vor, von denen nach jahrelanger Spenden- und Förderersuche schließlich nur der prägendste Teil verwirklicht wurde. Ein blau-gläserner Kubus ist quasi seitlich

Marktkirche


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Marktkirche (Detail)

in den bestehenden Kirchenraum „hinein geschoben“ worden und ragt nach Westen aus der Kirchenwand in den bisherigen Vorplatz hinaus, wo er als transparenter bzw. transluzenter Quader wahrgenommen wird. 50 blaue Elemente bilden einen Raum aus Glas, der die westliche Wand des Kirchenschiffs durchbricht. Die künstlerische Produktion lag in den Händen der Werkstatt Hein Derix in Kevelaer, wo Klarglasflächen mit blauer Farbe in unterschiedlicher Stärke bestrichen und gebrannt wurden. Auf diese Weise entstand der typische changierende Effekt, der jede Glasscheibe in unterschiedlichen Farbnuancen erscheinen lässt und sie zu einem gleichsam künstlerischen Unikat macht. Jedes Einzelelement des Kubus besteht aus vier einzelnen Glasscheiben im Format 2,20 x 1,60 m. Die durch ihre Vierfach-Verklebung gewaltige Masse des neuen gläsernen Westchores wiegt rund 200 Tonnen. Die Kosten für den Bau des Westchores wurden insbesondere durch Spenden der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, von Essener Unternehmen und aus der Bürgerschaft gedeckt. Nach Beschluss aller am Projekt beteiligten Gremien durften für den Umbau keine Kirchensteuermittel in Anspruch genommen werden. Seit dem Umbau 2006 öffnet sich die Kirche nach Süden. Sie zeigt sich seitdem einladender und offener, dient wie ihr katholisches Pendant Johanniskirche als eine Art „spirituelle Tankstelle“ in der Alltagshektik, aber auch für Andachten wie dem allmonatlichen ökumenischen Gedenken an die in Essen

Marktkirche (Innenraum)

ohne Angehörige Verstorbenen. In dieser Funktion wechselt sich die Marktkirche jährlich mit ihrem Gegenüber am Dom ab. Im Kulturhauptstadtjahr 2010 − und wie man hofft in weiteren Jahren − ist die Marktkirche die Plattform für eine lockere Folge von besonderen Gottesdiensten, Ausstellungen, Performances und Vorträgen, in denen die christliche Verkündigung auf verschiede kulturelle Ausdrucksformen trifft – insbesondere auf Tanz, Musik, Malerei und Bildhauerei. Die Geschichte der Marktkirche reicht fast 1.000 Jahre zurück. Erstmals 1054 urkundlich erwähnt, war sie ursprünglich der Heiligen Gertrud von Nivelles geweiht, die als Schutzpatronin der Reisenden verehrt wurde. Sie war unter Äbtissin Theophanu durch das Stift errichtet worden und fungierte seit Beginn als Volkskirche der Handwerker und Bürger im Norden der Stadt sowie der durchreisenden Händler und Pilger. „Sünte Geert“ oder auch „Geertgen am Hellweg“ war mit dem davor liegenden Markt und der bereits im Abschnitt „Mitte der


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Europahaus Detail

Das Standbild von Alfrid Krupp (1812–1887) von Friedrich Schaper erinnert seit 1889 an den Industriellen, dessen Geburtshaus unterhalb der Marktkirche am Flachsmarkt lag. Die Familie Krupp, die bereits 1587 aus Holland nach Essen gekommen war, wohnte hier bis zum Jahr 1824.

Europahaus am Kennedyplatz

Stadt“ beschriebenen Wegkreuzung „der“ Kreuzungspunkt in Essen. Im Gegensatz zur feudal bestimmten Kurie spielte sich hier öffentliches Leben ab. Es tagte der Stadtrat, von der Kanzel wurden Bekanntmachungen verlesen, an der Südseite stand die städtische Waage. Seit dem 14. Jahrhundert bürgerte sich der Name „Marktkirche“ ein, wurde jedoch erst 1890 zur offiziellen Bezeichnung. Das Verhältnis zwischen Volk und der Stifts-Landesherrlichkeit verschlechterte sich, als sich große Teile der Bürgerschaft zur Reformation Luthers bekannten und die Kirche für sich beanspruchten. 1563 ging der Rat der Stadt zum Protestantismus über und berief den Prediger Heinrich Barenbroich (auch genannt Heinrich von Kempen) zum ersten Essener Pfarrer lutherischen Glaubens. Im Dreißigjährigen Krieg war Essen für sechs Jahre von katholischen spanischen Truppen besetzt, was zu einer Schwächung der Protestantengemeinde führte. Nach ihrem Abzug kam die Kirche endgültig in evangelischen Besitz. Mehrfach umgebaut (zuletzt 1871) wurde sie 1943 schwer beschädigt und 1952 − auf die Hälfte verkleinert − wiedererrichtet.

Europahaus Der heutige „Kennedyplatz“ − bis 1964 „Gildenplatz“ genannt − entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, als man die zerbombte alte Bebauung eines ganzen Häuserblocks einebnete und dort provisorische einstöckige Pavillons für Ladengeschäfte errichtete. Die freibleibende Fläche gab Platz für den Bau des „Amerikahauses Ruhr“ (heute „Europahaus“) durch das US-Außenministerium als erstes und einziges Institut seiner Art im Ruhrgebiet. Vergleichbar dem „British Council“ und den „Maisons de France“ sollten die Amerikahäuser im entnazifizierten (West-) Deutschland durch Bibliothek, Vorträge und Ausstellungen neues kulturelles und politisches Demokratie-Verständnis im Sinne der Alliierten vermitteln. Es wurde vom Essener Architekten Hermann Gehring noch in deutlichen Anklängen auf die heroisierende Architektur vor 1945 gebaut. Mit rein ästhetisch begründeten Säulengängen und heldenhaft-abstrahierten Relieffiguren des Bildhauers Herbert Lungwitz vermittelte das Haus einen


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architektonischen Eindruck, der mit den zu transportierenden Inhalten wenig korrespondierte. Nachdem die Stadt Essen 1964 trotz vieler Proteste das alte, 1887 im neugotischen Stil von Peter Zindel erbaute Rathaus für einen Kaufhausneubau abreißen ließ, amtierten hier die Essener Oberbürgermeister 15 Jahre lang im Provisorium des „Rathäuschens“, wie die Essener es mit einem Anflug von Häme und auch Bitterkeit nannten. Von 1979 an folgte ein Intermezzo als Domizil für das Haus Industrieform (heute „Designzentrum NRW“ auf Zollverein), danach eine komplizierte Suche nach neuer Funktion für das inzwischen aus zeithistorischen Aspekten denkmalgeschützte Gebäude. Im Jahr 1994 fand sich mit Kaufmann und Kulturmanager Christian Stratmann und seinem Bruder Ludger ein Investor mit eigener Konzeptidee: ein privatwirtschaftliches Kulturzentrum mit Theater und angegliederter Gastronomie. Als „Europahaus“ bietet es nun ein Gastspielprogramm von Satire bis Travestie und ist die „Praxis“ des bekannten medizinischen Kabaretts von „Dokkter“ Ludger Stratmann mit heute schon sprichwörtlichen Titeln wie „Hauptsache, ich werde geholfen!“. Das „Häuschen“ auf dem Kennedyplatz steht gleichsam im Schatten eines ebenfalls für das Essen der Nachkriegszeit wichtigen Gebäudes am Platz, dem Heroldhaus. An der Südseite des Kennedyplatzes in der Innenstadt sehen wir das siebengeschossige Gebäude, das 1954/55 nach den Plänen des früheren Regierungsbaumeisters Emil Jung entstand. Das Haus, in dem einst die Sozialverwaltung der Stadt beheimatet war, döste leerstandsbedingt für Jahre im Dornröschenschlaf. Als schon die ersten Rufe nach einem Abriss laut wurden, stellte der Stadtplanungsausschuss das Heroldhaus im Februar 2010 unter Denkmalschutz. Die nächste gute Nachricht für die Zukunft des markanten Bauwerks kam im Mai 2010 aus München: Die Hotelkette „Motel One“ ließ verlauten, dass sie für eine immerhin zweistellige Millionensumme das Heroldhaus zu einem preisgünstigen innerstädtischen Budget-Hotel mit 204 Zimmern und einem schlicht-sparsamen „Motel-Konzept“ umbauen werde. Ein nicht unerklecklicher Teil der Summe wird zunächst in die Instandsetzung der maroden Bausubstanz fließen, danach beginnt der eigentliche Umbau. Häuser dieses Zuschnitts sind ein in vielen anderen großen Städten der Welt bereits erfolgreiches Konzept, um beispielsweise die mobile, aber (noch) nicht in Geld schwimmende Schicht der „Generation Praktikum“ bei ihren Stadtreisen, Praktika, Studienaufenthalten, Jobs, Liebschaften, Klassen- und Communitytreffen zu beherbergen. Ab Mitte 2011 können Geschäftsreisende und Touristen, die ein straffes Preis-Leistungs-Verhältnis schätzen, hier übernachten.

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Spirale „Food for Thought“

Spirale „Food for Thought“ Ihr Blick vom Zimmer wird auf ein Kunstwerk fallen, das seit Mitte der 1990er Jahre die Gemüter erhitzt. Gleich hinter dem „Europahaus“ warten 22 Tonnen nichtrostenden Remanit-Stahls: Die acht Meter hohe Spirale „Food for Thought“ des in New York lebenden rumänischen Künstlers Serge Spitzer (*1951). Spitzer, Biennale-Venedig-Teilnehmer und hintersinnig-ironischer Objektkünstler, ließ 1996 etliche Meter Doppel-T-Träger aus Krupp-Fertigung wie ein Stück Draht auf die Rolle wickeln und platzierte das Ungetüm über der Einfahrt zur Tiefgarage. Nach seiner Aussage symbolisiert das Werk die hiesige Stahlund Kohlevergangenheit in einem „nicht begehbaren Werk voller Geheimnisse“. Der Essener Volksmund, sonst nicht gerade von Berlinerischer Frechheit, taufte das Objekt schnell „Essens größte Mülltonne“, wobei wir darüber nachsinnen, was der Künstler mit den „Geheimnissen“ wohl meinte: Das Ende der Stahl-Rolle, die hier in 150 Jahren abgewickelt wurde? Ein Reststück? Die nächste Rolle der Stadt - ein Glasfiberkabel? Auch im zweiten Jahrzehnt seiner Präsenz im Essener Stadtraum am Kennedyplatz ist „Food for Thought“ nicht nur geistige Nahrung, sondern noch immer für hitzige Debatten über Kunst im öffentlichen Raum gut. Diskussionen im Sinne von „Ist das Kunst − oder kann das weg?“ entzünden sich beinahe jährlich an Spitzers Tonne, doch der Künstler bleibt stahlhart:


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Ein leichtes Spiel

Spirale „Food for Thought“ (Detail)

Er will keinen Park, und sei er noch so schön. Hier für diesen Ort habe er das Objekt geschaffen. Es fällt dabei auf, dass die künstlerische Bearbeitung des Werkstoffs Eisen erst gegen Ende der „Stahlzeit“ begann. Anders als mythisches Gold oder Glas wurde Eisen als rein technischer Stoff lange nur „verarbeitet“, bis es technisch und wirtschaftlich „abgewickelt“ war. Die bis dahin nicht vollzogene Auseinandersetzung überrascht umso mehr, wie die industrielle Epoche mit Begriffen wie „Eiserner Willen“, „Eiserne Treue“ bis „Eiserner Vorhang“ durchsetzt war. Dies zeigt sich auch in der von Bäumen auf dem benachbarten Salzmarkt lauschig überschatteten Arbeit des Kölners Ansgar Nierhoff.

Ein leichtes Spiel Aus der gleichen Altersgeneration wie Richard Serra (*1939) stammend, widmet sich Nierhoff (*1941) dem Stoff Eisen als künstlerischem Material. Am Salzmarkt zeigt er uns als metaphorisches Paradox ein tonnenschweres „Ein leichtes Spiel“. Der Künstler errichtete 1991 die gleichnamige Skulpturengruppe im Auftrag der Sparkasse Essen aus einfachen geometrischen Grundformen: Zwei 8,40 m messende Halbkreise aus 10 cm starkem Walzblech, eine Kugel von 1,34 m, eine zylindrische Rundstele von 44,5 cm Durchmesser und 8,20 m Höhe. Schließlich als Spielfeld eine gegen das leichte Platzgefälle laufende quadratische Fläche, eingefasst in einem 3mm starken Stahlrahmen. Jedes dieser so unterschiedlichen Elemente – gewalzt oder geschmiedet – wiegt jeweils 10 Tonnen. Dennoch ist das Verhältnis der Maße und des Gewichts nicht das einzige Gedanken-Spielerische an Nierhoffs Installation. Er fordert uns auf, die einzelnen Körper als Elemente eines imaginären, von ihm nicht vorgegebenen oder „geregelten“ Spieles miteinander in Beziehung zu setzen.


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Two Lines Up

Two Lines Up Von den tonnenschweren Spielkörpern des „Leichten Spiels“ sind es nur zwanzig Schritte zur Leichtigkeit der vom Wind bewegten „Two Lines Up“, die die Sparkasse Essen zum Neubezug ihrer Zentrale (Architekten Hentrich, Petschnigg & Partner) erwarb: Eine sechs Meter hohe Skulptur des Altmeisters der kinetischen Kunst, dem 1907 geborenen Amerikaner George Rickey (1907–2002). Die mit der Feinheit eines Stiletts proportionierten „Klingen“ schwingen als zwei gegenläufige Pendel und scheinen durch eine fein entwickelte Austarierung „schwerelos“. Rickey begann Ende der 1940er, sich mit kinetischer Kunst zu befassen und behandelt das Thema der „Two Lines“ seit 1965 als immer wiederkehrendes Thema in seinem Werk. Die jetzt in Essen beheimateten „Two Lines Up“ waren 2000 die letzte große Plastik des damals 93jährigen Künstlers.

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Two Lines Up (Detail)

Scheinbar einfachen Konstruktionsprinzipien folgend, bedingen die Objekte in der Entstehung penibelste Ingenieursarbeit und erleben bereits durch kleinste Modifikationen eine Vielzahl von Variationen. Dinge in Bewegung schwerelos erscheinen zu lassen, ist das Leitthema in Rickeys Werk: „Für mich ist die älteste kinetische Tradition der Tanz, und ich finde, dass meine Arbeit eine Art von Choreographie darstellt.“


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Boulevard ins Blaue 71 Wasser, Kohle, Stahl, Handel, Energie 72 Forum Kunst und Architektur 73 Unperfekthaus 74 Gertrudiskirche 75 Kreuzeskirche 76 Ehemaliges Allbauhaus 77 Welcome-Brücke 78 Rathaus 79 Königlich Preussische Maschinenbauschule 80 „Kunst-Stück“ Viehofer Platz


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Boulevard ins Blaue

Die blauen Steine, die uns seit dem Museum Folkwang den Weg zeigten, enden an der Marktkirche, was für uns aber nicht das Ende des KULTURPFADES bedeutet. Von hier führt ein blaues Licht, das sich von den Steinmarken gelöst hat, in eine Straße mit vielen Möglichkeiten: Die „Viehofer“ – künftig vielleicht einmal der „Blue Boulevard“. Die Fortsetzung der Achse Kettwiger Straße leitet in ein Stück Innenstadt, das nach langer Krise heute durch mehrere Ansätze das Potenzial in sich birgt, ein interessantes, urbanes Viertel zu werden.

Wasser, Kohle, Stahl, Handel, Energie Gleich zu Beginn der Viehofer Straße nehmen wir eine allegorische Skulptur wahr, die seit 1994 eine Klammer quer über die Fontänengasse bildet und zugleich bildhaft die Versuche dokumentiert, der Fußgängerzone im Norden die Prosperität einer Einkaufsmeile einzuhauchen: Die „Wasserbögen“ sind eines von fünf Stadtzeichen, mit denen der Oberhausener Architekt Uli Dratz 1994 die architektonisch und wirtschaftlich kränkelnde Viehofer Straße im Auftrag der Stadt ausstattete. Sie sollten im Stadtraum Impulse setzen: „Im Kontext zum Umfeld nachgerade behutsam eingefügt in eine pulsierende Nachbarschaft als ein Domizil, in dem sich verweilen, verschnaufen lässt, ein unaufdringlicher Brückenschlag von Mensch zu Mensch.“ Die Skulpturenserie „Wasser“, „Kohle“, „Stahl“, „Handel“ (eine Litfass-Säule) und „Energie“ erscheint angesichts der komplexen Problematik einer B-Lage allerdings als eher dekorative Geste. Sein Projekt auf der Viehofer Straße stand 1994 für die damalige, wenig vernetzte Suche in der Stadtpolitik, das Viertel zu beleben. Es blieb als Geste zunächst ohne merkbare Folgen.

Wasserbögen


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Wasser

Seit dem Jahr 2000 zeichnete sich ein Weg ab, der nach vielen Stadtmöblierungsversuchen die Innenstadt mit einem durchgängigen und damit erkennbaren Gesamtkonzept auszustatten versprach. Im Rahmen des vom Architekten und Lichtkünstler Peter Brdenk moderierten Masterplans „KULTURPFADLichtführung Stadt Essen“ ließe sich an der Lichtlinie des „Blue Boulevards“ eine Reihe von Projekten „andocken“, die für das Stadtbewusstsein nötig sind. An keiner Stelle wäre die Funktion eines Masterkonzepts greifbarer als eben hier: „Licht an den richtigen Stellen in der richtigen Dosierung schafft Orientierung und Begreifen von Zusammenhängen, also ist Licht auch wichtiger Baustein für eine Stadt … Durch die gemeinsame Stadtleitfarbe werden öffentliche und private Impulse visuell in einem gemeinsamen Nenner gebündelt.“ Auf der „Viehofer“ selbst sollten die im regelmäßigen Abstand gepflanzten Straßenbäume nachts durch blaue Bodenfluter angestrahlt werden, um eine perspektivische Flucht vom Flachsmarkt bis Viehofer Platz und Pferdemarkt zu erzeugen. Das Vorhaben wurde nicht umgesetzt und blieb wie viele andere Ansätze der Milleniumjahre (z. B. eine Initiative der Essener Galeristen zum Kreativquartier) ein schöner Plan. Dabei ist das Nordviertel im Hinblick auf seine Entwicklungsfähigkeit wohl einer der großstädtischsten Bereiche Essens. Es ist wahrlich kein Idyll, aber es ist ein spannender Teil des Stadtgebiets. Das Viertel wurde politisch ebenso oft

Energie

zu Grabe getragen, wie es wieder ins Leben gerufen wurde. Lange Zeit wurde in dem Quartier zwischen Friedrich-Ebert- und Viehofer Straße, Pferdemarkt und Limbecker Straße mal an dieser, mal an jener Ecke investiert, doch ein großes Gesamtkonzept für die Gegend nördlich des Stadtkerns fehlte. Daher wurde der vermeintliche „Problemkiez“ Nordviertel seinen Ruf als „Sorgenkind der Innenstadt“ nie so richtig los. Zu Unrecht, wie ein KULTURPFAD-Wanderer bei einem Abstecher in diese Gegend erleben kann. Denn im Nordviertel ist einiges in Bewegung, und es bietet enormes Potenzial für weitere Entwicklung. Das aktuell wohl nachhaltigste Vorhaben zur Sanierung des Nordviertels legte im Jahr 2009 der Projektentwickler Klaus Wolff vor. Das Gebiet zwischen Rottstraße, Kreuzeskirchstraße, Kastanienallee und Weberplatz soll den Investorenplänen zufolge ein völlig neues Gesicht erhalten. Städtebaulicher, geistiger und kultureller Ankerpunkt wird dabei die zwischen 1894 und 1896 erbaute Kreuzeskirche. In der Zeit des Wachstums der Industriestadt Essen wuchs


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auch die evangelische Gemeinde, die Errichtung eines neuen Gotteshauses in der Innenstadt wurde daher notwendig. Die Planung des stadtbildprägenden Kirchenbaus, im Volksmund „Arbeiterdom“ genannt, übernahm der Berliner Architekt August Orth (1828–1901). Seit 1987 steht das schwer kriegsbeschädigte und seither immer wieder teilsanierte Gebäude unter Denkmalschutz. Bis auf die Kreuzeskirche soll in diesem Bereich des Nordviertels, zu dem auch ein marodes Parkhaus an der Rottstraße gehört, zukünftig beinahe alles abgerissen und anschließend neu bebaut werden. Geplant sind Büroflächen, ein Hotel, ein Boarding-House für Menschen, die für einen begrenzten Zeitraum an der nahe gelegenen Uni forschen, einige Geschäfte, Arztpraxen und Restaurants sowie ein Zentrum für die evangelische Kirchengemeinde. Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, von dem man sich ähnlich positive Auswirkungen auf das gesamte Nordviertel verspricht wie in den 1990er Jahren beim Dortmunder Brückstraßenviertel. Auch hier war eine kriegsbedingt beschädigte, ehedem prosperierende Altstadtlage zum Problemviertel verkommen. Der Bau des neuen Konzerthauses mitten in den Dortmunder Problemkiez hinein wirkte als Initial für einen grundlegenden Neustart des Quartiers. Vom Vorhaben eines Kreuzeskirchen-Karrees lässt sich ein ähnlicher Gentrifizierungs-Schub erwarten − insbesondere durch die neuen Sichtachsen Richtung Norden und die neu gegebene Anbindung der Universität an die Innenstadt. Federführend bei diesem Vorhaben ist der Investor und Projektentwickler Klaus Wolff, dessen Name für die Umsetzung der größten Essener Bauvorhaben der vergangenen Jahre steht. Involviert war er etwa beim Umbau des Saalbaus zur Philharmonie und beim Neubau des Museums Folkwang. Rund 30 Millionen Euro will sein Unternehmen nun in die Aufwertung des Nordviertels stecken. Vieles ist im Nordviertel bereits versprochen, geplant und wieder verworfen worden. Doch, dass das alte Motto „Was lange währt, wird endlich gut“ hier durchaus Gültigkeit besitzt, kann ein paar hundert Meter weiter nördlich be- obachtet werden. Denn dort entsteht nach jahrzehntelangem Stillstand das neue Universitätsviertel. Kulturelle Initiativen sind in der nördlichen Innenstadt bereits mannigfach vorhanden, vor allem, wenn man den Begriff „Kultur“ nicht nur im traditionell

Brunnen am Viehofer Platz

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bildungsbürgerlichen Rahmen fasst, sondern die Jugendkultur und das Entertainment, die Ausgehkultur einschließt: Der Viehofer Platz ist Treffpunkt der jugendlichen Metal- und Gothic-Szene, die sich dort pittoresk in düstere stachelige Schale wirft. An der Rottstraße besteht ein hervorragendes Varieté, das GOP-Theater, seit beinahe zwei Jahrzehnten allen Unkenrufen zum Trotz im früheren „Grand-Filmpalast“. Im ehemaligen Kino „Europa-Palast“ schließlich pflegt man exquisiten Fetish-Chic und Dekadenz-Ästhetik à la Helmut Newton und Ellen von Unwerth im „essence club“. Auch die Tekkno-, Comic- und Manga-Szene lässt bunte Blüten sprießen. An einem Sommertag im Jahr 2007 rollte die erste LOVE-PARADE außerhalb von Berlin mit mehr als 1,2 Mio. Ravern durch den Kiez und machte das Viertel für einen Tag zur Techno-Haupstadt.

Forum Kunst und Architektur Der KULTURPFAD führt durch die Viehofer Straße nach Norden, doch wir machen einen kurzen westlichen Abstecher zum 1858 angelegten Kopstadtplatz, der in seiner Geschichte als Markt- und auch schon als Kirmesplatz diente. Wo sich bis zum Zweiten Weltkrieg noch das 1899 eröffnete prächtige Revue- und Operettentheater „Colosseum“ befand, wurde in den frühen 1960er Jahren das „Haus am Kopstadtplatz“ eingeweiht. Hier residiert das „Forum Kunst und Architektur“, das die Stadt Essen 2002 für den „Bund Deutscher Architekten“, den „Ruhrländischen Künstlerbund“ und den „Werkkreis bildender Künstler“ angemietet hat. Auf 630 Quadratmetern zweier ehemaliger Ladenlokale, die durch ein ebenfalls als Ausstellungsfläche hergerichtetes Kellergeschoss verbunden sind, finden heute bis zu zehn Ausstellungen pro Jahr statt. Ergänzend dazu gibt es in loser Folge Vorträge und Diskussionsrunden zu bildender Kunst, Baukultur und Stadtentwicklung. Das „Forum Kunst und Architektur“, so die Selbstbeschreibung, versteht sich als „Diskussionsstätte zu Stadtgestaltung, als Kunstforum, Informationsstelle, als pädagogischer Richtungsweiser und avantgardistischer Impulsgeber“. Das Ziel sei es, gewohnte Wahrnehmungsmuster zu hinterfragen und innovative Impulse für den öffentlichen Raum freizusetzen. In den puristisch-hellen, großzügigen und ganzverglasten Räumen mit den hohen Decken gelingt dies so gut, dass verwundert, wie an diesem Ort einst Herrenanzüge und Babyartikel verkauft werden konnten. Räumlich und organisatorisch eng mit dem Forum verbunden ist seit 2003 der „Kunstverein Ruhr“ mit einem hochkarätigen Ausstellungsprogramm, das sich in

Forum Kunst und Architektur

seiner Ein-Raum-Lokalität insbesondere auf Rauminstallationen konzentriert. Der Kunstverein Ruhr ist neben dem Kunstring Folkwang der zweite Kunstverein, der sich in Essen der zeitgenössischen bildenden Kunst widmet. Mit etwa 250 Mitgliedern ist er zwar der kleinere von beiden, doch blickt er auf eine 60jährige bewegte Geschichte zurück. Folkwangprofessor Max Burchartz gründete 1950 diese erste Initiative von Kunstinteressierten in Essen nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem programmatischen Namen „Tatkreis Kunst der Ruhr“.

Unperfekthaus Ein Essener Unikum in der soziokulturellen Landschaft Europas ist der persönlichen Initiative eines Essener Software-Unternehmers zu verdanken. Im Unperfekthaus ist die Nicht-Perfektion der angestrebte perfekte Zustand und damit schlägt sich das Off-Projekt tapfer auch im Schatten des massigen Einkaufszentrums „Limbe-


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Unperfekthaus

cker Platz“ an der Friedrich-Ebert-Straße. Die sieben Etagen des 2004 eröffneten Künstlerhauses in der Friedrich-Ebert-Straße 18 gelten (auch überregional) als ein Paradies für Macher. Auf 4.000 Quadratmetern zwischen Keller und Aussichtsterrasse auf dem Dach tummeln sich Kreative. Die dortigen Ateliers, Probebühnen und Besprechungsräume sind mietfrei für die Kreativen, im Gegenzug verpflichten sie sich, ihre Türen jederzeit für Besucher zu öffnen. Diese Strategie soll das Gespräch – und im Idealfall auch das Geschäft – fördern. Besucher entrichten im Unperfekthaus einen pauschalen Obolus, dürfen dafür so lange bleiben, wie sie möchten, und bekommen so viele alkoholfreie Getränke, wie sie wollen. Das inzwischen mehrfach preisgekrönte Konzept geht zurück auf eine Idee des Essener IT-Unternehmers Reinhard Wiesemann, der diese „soziale Erfindung“ gerne als „Kreativzoo“ beschreibt. Das heutige Unperfekthaus nutzten bis 1999 Franziskanermönche als Kloster. Noch immer sind Spuren des geistlichen Lebens zu finden. Strikt getrennt waren die Trakte für Mönche und Nonnen. Die rund 50 ehemaligen Schlafzellen, 15 m2 kleine Räume, nehmen heute die Kreativen in Beschlag. Wer nach dem Besuch des Unperfekthauses seine Wanderung zurück zum KULTURPFAD auf der Viehofer fortsetzt, verspürt vielleicht den Wunsch, anderen von seinen Erlebnissen zu erzählen. Dies kann er seit 2009 unmittelbar vor dem Gebäude in der „Speakers’ Corner 2.0“ tun, die ihr Vorbild im Londoner Hyde Park hat.

Gertrudiskirche

Kreuzeskirche

Gertrudiskirche Die historische Bausubstanz − sofern sie in Resten bei mehr als 90 % Kriegszerstörung noch besteht − verdient Beachtung: Die „Gertrudiskirche“ von August Rincklake entstand als katholische Gemeindekirche der Innenstadt zeitgleich mit der am Webermarkt erbauten evangelischen „Kreuzeskirche“. Mit dem Bau wurde ein mehrhundertjähriges „Provisorium“ der alten Gertrudengemeinde beendet, die seit dem Übergang der alten Getrudiskirche (Marktkirche) an die Protestanten im 17. Jahrhundert in der Johanniskirche am Münster praktizierte. Als dreischiffige, nach Westen gerichtete Hallenkirche mit fünf Querjochen bildete sie durch den heute nur noch als Stumpf erhaltenen Turm bis 1943 einen markanten Akzent am nördlichen Rand der Innenstadt. Der Norden des Stadtkerns war dicht besiedeltes Wohngebiet, traditionell ein Arbeiter- und Handwerkerviertel, das durch die Bombardierung der nahen Krupp-Fabrik fast völlig zerstört wurde. Den Wiederaufbau mit verkleinerten Fenstern und abgehängter Segmentbogendecke besorgte in den 1950er Jahren der DombauArchitekt Emil Jung.


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bis 1996 prägte Kantor Siegfried Scheytt das kirchenmusikalische Leben an der Kreuzeskirche. Er baute einen neuen Chor auf, die Essener Kantorei. Scheytt führte die großen Oratorien auf, widmete sich aber auch verstärkt der zeitgenössischen Musik. 1997 war er Mitbegründer des „Forums Kreuzeskirche“, das auf die Begegnung von Glaube, Wissenschaft und Kunst abzielt und an dem Uni Essen, Folkwang-Hochschule und KWI mitwirken. Kantorei (Johannes Vetter) und Pfarre (Steffen Hunder) geben in der Kreuzeskirchengemeinde der City Impulse, die weit über die Stadtgrenzen hinaus wahrgenommen werden.

Ehemaliges Allbauhaus

Kreuzeskirche Ähnlich schwere Kriegsbeschädigungen erlitt die protestantische „Kreuzeskirche“, 1896 erbaut durch den Berliner Architekten August Orth. Die mit zahlreichen Erkern, einem Querhaus und Chor ausgestattete Kirche entsprach auch im Innenraum wenig dem protestantischen Ritus und wurde daher spöttisch der „evangelische Arbeiterdom“ genannt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die 1896 eingeweihte Kreuzeskirche gemeinsam mit der alten Pauluskirche das religiöse und kulturelle Zuhause für 50.000 evangelische Christen in der Innenstadt. Der Chor der Kreuzeskirche war bis zum Zweiten Weltkrieg der 1894 gegründete Essener Bachchor, der alle großen Oratorien aufführte. In den Kriegsjahren fand er eine neue Heimat an der Erlöserkirche. Nach 1945 wurde die Kreuzeskirche wieder aufgebaut. Ende der 1950er Jahre beschloss man, hier erneut ein kirchenmusikalisches Zentrum entstehen zu lassen. Von 1958

Allbauhaus Das „ehem. Allbauhaus“ am Pferdemarkt ist ein markanter Bau aus dem Jahr 1928, für den ein Architekt verantwortlich zeichnete, der trotz vieler wichtiger Bauten ein wenig im Schatten der drei großen Namen Körner, Bode und Metzendorf steht: Ernst Knoblauch (1868–1955). Er baute vor dem Ersten Weltkrieg u. a. das erwähnte Hotel „Zum Ritter“, das Viktoria-Varieté und das ehemalige Kaufhaus Overbeck am Kopstadtplatz. In den 1920ern entwarf er neben vielen Allbau-Wohnhäusern das seit vielen Jahren leer stehende alte Zeitungsgebäude der NRZ an der Kruppstraße/Ecke Friedrichstraße. Das „Allbauhaus“ im Stil der neuen Sachlichkeit zeichnet sich durch eine klare Gliederung durch Fensterbänder aus und wird gleichrangig mit Verwaltungsbauten wie der Zentrale des Regionalverbandes Ruhr (RVR) von Alfred Fischer-Essen aus dem gleichen Jahr genannt. Das Gebäude, in dem heute die Arbeiterwohlfahrt AWO residiert, war ursprünglich Zentrale einer Institution, die seit 1919 den sozialen Wohnungsbau in Essen mitbestimmte. Die Allbau AG, früher „Allgemeiner Bauverein Essen“, ist heute als rechtlich selbstständige, gemeinnützige Aktiengesellschaft mehrheitlich im Besitz der Stadt Essen. Dem kommunalen Bauträger kam insbesondere beim Wiederaufbau der im Krieg schwer zerstörten Stadt eine entscheidende, für das heutige Stadtbild prägende Rolle zu. Seit 1994 kommen die Erträge auch der neu gegründeten „Allbau-Stiftung“ zugute, die mit einem Teil der erwirtschafteten Gewinne Kultur- und Bildungsprojekte fördert, die selbst nicht aus eigener Rentabilität oder Steuermitteln getragen werden könnten. Für freie Theatergruppen, soziokulturelle Initiativen, Buchprojekte zur Stadtgeschichte, Jugendförderung in den Stadtteilen etc. ist die Stiftung inzwischen „erste Adresse“ mit hoher Verantwortung in der Kultur- und Bildungslandschaft der Stadt.


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Welcome-Brücke Wenn wir vom „ehem. Allbauhaus“ in östlicher Richtung gehen, erwartet uns in der „Welcome-Brücke“ an der Schützenbahn ein Beleg dafür, dass sich der Stadtbauprozess in vielen verzahnten Schritten vollzieht. Vorgaben in der Architektur können durchaus erst nach Jahren und gar Jahrzehnten eine Antwort finden und erweisen sich dann als Vorwegnahme der späteren Proportion. Die Brücke mit Abgang zum U-Bahnhof wurde 1981 durch den Hamburger Architekten Freese als expressives „Z“ über die breite Autostraße „geworfen“. Bei einseitiger Schützenbahn-Bebauung wirkte sie solange disproportioniert, wie das Pendant auf der gegenüberliegenden Seite fehlte. Nach Bebauung beider Seiten wird die Nordbrücke mit neuer Lichtgestaltung heute als Nordtor des Stadtzentrums zum adäquaten Gegenstück der „Folkwangbrücke“ im Süden. Es spricht für die Entwicklungsfähigkeit des Viertels, dass Deutschlands umsatzstärkste Privatbrauerei, die Warsteiner-Gruppe, an der Schützenbahn das erste

Hotel ihrer „Welcome“-Hotelkette in Großstadtlage ansiedelte. Das 4-SterneHaus mit Tagungszentrum wird seit 2002 erfolgreich betrieben und lässt für die Nordstadt die Richtung erkennen.

Rathaus Der Blick geht vom „Z“ der Nordbrücke auf den „Rathausbau“ von Theodor Seifert, das 1979 als höchstes deutsches Rathaus – wenn auch nur für Momente – eine Episode zur Geschichte der Lichtkunst beisteuerte. Ein Laserstrahl sollte das neue Herz von Essen markieren. Die aufwändige, noch unausgereifte Technik versagte jedoch nach wenigen Minuten und wurde bald demontiert. Der im Grundriss Y-förmige Bau mit dem repräsentativen Auftritt im Selbstverständnis der 1970er Jahre spiegelt prototypisch den Geschmack jener seinerzeit


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noch führenden Industrie- und Energiestadt der „alten“ Bundesrepublik wieder, die stolz 750.000 Einwohner beheimatete und in ihrer Infrastrukturplanung die Millionenmarke anpeilte. Im Rats- und Repräsentationstrakt schreitet man in palisandergetäfelten Fluren und Wandelbereichen auf schallschluckendem Teppich-Langflor. Der ebenfalls dunkelholzgetäfelte Ratssaal verströmt Parlaments-Aura der Ära Brandt und Schmidt. Die dunkelbraun eloxierte Fassade wechselt mit spiegelnden Fensterbändern. Selbstverständlich ist der 23-stöckige Turm voll klimatisiert und auch darin ein Zeuge seiner Zeit. Heute würde niemand mehr so planen und bauen; es dauerte bis ins Jahr 2010, bis endlich auch das direkte Umfeld als „Rathaus-Galerie“ einen fußläufigen, überdachten und sturmböen-freien Zugang zu den Behörden und zum politischen Zentrum der Stadt garantiert. Sehenswert ist das durch das mehrstöckige, repräsenta-

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tive Rathausfoyer (Palisander und rotbrauner Granit) erreichbare „Theater im Rathaus“, das seit vielen Jahren solides und anspruchsvolles Tournee- und Boulevardtheater in die Stadt holt und durch eine wohldosierte Star-Präsenz aus Funk und Fernsehen auf ein treues und eifriges Publikum bauen kann.

Königlich preußische Maschinenbauschule Allzu leicht wäre ein Punkt des KULTURPFADES zu übersehen und sei hier abschließend genannt: Die „Königlich preußische Maschinenbauschule“ am Viehofer Platz steht ein wenig verdeckt hinter dem Turm des heutigen Rechenzentrums der Uni Essen. Die erste akademische Einrichtung im Ruhrgebiet stammt aus dem Jahr 1911, also aus einer Zeit, in der man das Ruhrgebiet als Wirtschafts- und Industrieregion politisch freihalten wollte von jeglichem universitären Rebellionspotenzial und nur eine Schule für den Ingenieurnachwuchs errichtete. Es entstand nach den Plänen des Staatshochbauamtes ein schöner, sandstein-verkleideter Bau im Stil des süddeutschen Barock, der uns hier an ganz ungewöhnlicher Stelle an die Architektur berühmter Klosterinternate wie Salem am Bodensee erinnert.

Viehofer Platz, „kunst-stück“ Bevor wir nun über den Innenstadtring, den Schritt in die Zukunft der Uni-Stadt Essen tun, verschnaufen wir unter dicken Platanen am Viehofer Platz. Während wir dort gemeinsam mit teils garstig blickenden, mitunter gruftig-bleichen, aber dennoch freundlichen Menschen aus der Gothic- und Indie-Szene unser Weizenbier schlürfen, erblicken wir auf einer Verkehrsinsel das „kunst-stück“. Umrahmt von vier Fahrspuren dient jene etwa 2.000 m2 große Fläche als urbane Bühne für temporäre künstlerische Gestaltung. Seit im Jahr 2003 unter Schirmherrschaft der Essener Wohnungsbaugenossenschaft „Wohnbau eG“ das „kunst-stück“ an dieser Stelle eingerichtet wurde, fördert Kunst im öffentlichen Raum die Aufenthaltsqualität des zuvor eher unansehnlichen Areals. Im Kulturhauptstadtjahr 2010 ist hier in Anlehnung an die ehemalige Stadtmauer der „Viadukt“ des Essener Künstlerpaares Miriam Giessler und Hubert Sandmann zu sehen. Tagsüber wirkt die äußere Hülle, eine Holzverlattung mit fingerbreiten Schattenfugen, wie mit einer Schraffur gezeichnet. Abends strahlen die hölzernen Torbögen von innen heraus, wobei durch die Fugen eine

Rathaus


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ganz besondere Lichtstimmung entsteht. Die im Kulturhauptstadtjahr wiederbelebte Installation von Giessler und Sandmann eröffnete 2003 die leider nur sporadisch bespielte Fläche. Für Überraschungen im Sinne von mehrdimensionalen Fakes und für Denkanstöße voller Witz war das „kunst-stück“ stets gut: 2004 etwa „versenkte“ Cornelia Konrads (2004) für ihr Projekt „still life“ ein Haus zwischen den Fahrspuren. Nur eine Ecke ragte aus dem Boden, Teile eines Fensters und einer Tür waren zu erkennen. Nachts leuchtete im Inneren ein Schlafzimmerlicht. Es entstand der Eindruck, ein Bewohner würde in dem versinkenden Bauwerk ausharren. Ein weiteres „kunst-stück“ war das Projekt „dressed trees“: Die Künstler Ilka Helmig und Andreas Reichel strickten dafür aus rotem Polyacryl-Stoff warme Pullover für die zwölf Bäume auf der Ausstellungsfläche.

Viadukt


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Blick nach Norden – Blick nach Morgen 81 Entwicklungsprojekt Universitätsviertel 82 Lichtfinger/Steag-Türme


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Blick nach Norden – Blick nach Morgen

Der Blick in die Zukunft des Nordens der Stadt ist gleichzeitig auch ein Blick auf die Zukunft der Essener Universität. Mehr als 30.000 junge Menschen studieren dort. Dennoch hat die Hochschule in der Wahrnehmung der meisten Bürger lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Dass Essen nie zu einer richtigen Studentenstadt geworden ist, liegt auch an der wenig attraktiven Lage der Universität.

Universitätsviertel Das neue „Universitätsviertel“ ist ein viel versprechender Ansatz zur Lösung dieses lange bekannten Problems, denn die ambitionierte städtebauliche Maßnahme verkörpert den Brückenschlag zwischen Campus und nördlicher Innenstadt. Im Dezember 2008 begannen die Bauarbeiten. Auf dem 13,3 Hektar großen Areal zwischen Hochschule, Friedrich-Ebert-Straße und nördlicher Innenstadt entsteht bis 2015 ein modernes, urbanes Quartier. Ein besonderer Akzent ist dabei der neue Stadtgarten: ein 500 Meter langer und bis zu 90 Meter breiter Grüngürtel mit 5.000 m2 Wasserfläche und Promenade, der sich vom Berliner bis zum Rheinischen Platz erstreckt. In direkter Nachbarschaft entstehen 400 hochwertige Innenstadt-Wohnungen, zudem Büros und Gastronomie. Bevor das Areal zum Universitätsviertel aufgewertet wurde, war es über drei Jahrzehnte lang eine weitgehend ungenutzte Fläche. Bis 1981 befand sich hier der Essener Großmarkt. Doch als dieser umgesiedelt wurde, verkam das Ge-


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Forum

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lände zur unansehnlichen Brache. Es verblieben nur die achtgleisigen Anlagen des ehemaligen Güterbahnhofs der Rheinischen Bahn, die für eine zusätzliche Abtrennung des Campus von der Stadt sorgten. Eine mit großer Bürgerbeteiligung durchgeführte „Perspektivenwerkstatt“ formulierte im Jahr 1999 in einem mehrtägigen öffentlichen Partizipations-Workshop die Grundzüge der nun in Angriff genommenen Stadtgestaltung. Doch bis es mit der schönen Perspektive konkret wurde, musste es noch einmal tief bergab ins Elend rutschen. Die Brachfläche entwickelte sich zu einem „Angstraum“ in direkter Innenstadtnähe, den die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ noch 2006 als „Essener Bronx“ betitelte. Im Jahr 2007 rockte die erste LOVE-PARADE außerhalb von Berlin durch das desolate Viertel, und Fernsehbilder von Tausenden tanzenden Ravern vor einer grauen, halbabgerissenen Parkhausruine gingen von hier aus um die Welt. Diese Zeiten sind jetzt vorbei – die Brache blüht! Einen weiteren Aufschwung durch die Aufwertung des Umfelds vermag auch die Universität erfahren. Als im Herbst 1972 der Spatenstich für den Bau der „Universität-Gesamthochschule Essen“ im ehemaligen Arbeiterviertel Segeroth, einer der damals verrufensten Ecken der Stadt, erfolgte, galt dies als deutliche Botschaft: Wenn in Essens „Wildem Norden“, einer im Zweiten Weltkrieg beinahe vollständig zerstörten Gegend, eine Universität/Gesamthochschule entsteht, soll der Hochschulzugang für „ganz normale Leute“ erleich-

tert werden. Bis heute belegen statistische Erhebungen den Erfolg dieser Idee aus der Gründerzeit der Ruhr-Hochschulen unter der Zielsetzung einer Bildungsperspektive für alle Schichten. Eine Befragung der Universität Duisburg- Essen aus dem Jahre 2009 ergab, dass mehr als die Hälfte der Studierenden (53 %) aus Familien kommt, in denen weder Vater noch Mutter studiert haben. Deutschlandweit ist dieses Verhältnis deutlich anders, wie die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, ebenfalls aus dem Jahr 2009, belegt: Aus Familien ohne akademische Tradition finden im Bundesschnitt gerade einmal 24 % den Weg an eine Hochschule. Doch bis die breite Öffentlichkeit die Uni als integralen Teil der Stadt und den Campus als Teil des Stadtzentrums wahrnehmen konnte, dauerte es bis zum Bau des neuen Stadtviertels. Zusätzliche, deutlich sichtbare Öffnung in Richtung Stadt verspricht man sich an der Universität durch das Setzen eines städtebaulichen Akzents in Form eines neuen zentralen Bibliotheksgebäudes. Nach einem Architektenwettbewerb, in dem ein Entwurf des Büros „KSP Jürgen Engel Architekten“ überzeugte, stand im Sommer 2009 fest, dass dieser die Form eines symbolischen, 60 Meter hohen Bücherstapels haben sollte. Der Bau lässt jedoch auf sich warten, denn die Finanzierung des viel versprechenden Vorhabens ist noch nicht gesichert. „Der Bibliotheksturm ist aber eine wichtige Investition in unsere Zukunftsfähigkeit, für die wir jede Unterstützung benötigen, von der öffentlichen


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Bibliotheksgebäude (Visualisierung)

Hand bis hin zum bürgerschaftlichen Engagement“, betont Prof. Ulrich Radtke, Rektor der Universität Duisburg-Essen. Trotz dieses temporären Rückschlags trägt das Universitätsviertel dazu bei, den Campus in der städtebaulichen Wahrnehmung näher an das Stadtzentrum zu rücken. Die Hochschule tut ihr Übriges, um die Attraktivität des Lehr- und Forschungsstandortes zu steigern, damit verstärkt Studenten und Professoren aus anderen Teilen Deutschlands und der Welt ins Herz des Ruhrgebiets gelockt werden. Um das akademische Angebot auszuweiten, rücken die Revier-Unis durch Kooperationen wie die 2007 gegründete „Universitätsallianz Metropole Ruhr“ näher aneinander. In Essen war man zu diesem Zeitpunkt bereits einen Schritt weiter, denn bereits 2003 fusionierte die Gesamthochschule Essen mit der Duisburger GerhardMercator-Universität und wurde damit zur Universität Duisburg-Essen. Zudem findet in Forschung und Lehre eine Konzentration auf so genannte „Profilschwerpunkte“ statt, in denen die Hochschule für Spitzenleistungen sorgen möchte.

Audimax


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Lichtfinger Als wörtlich genommenes „Leucht-Turmzeichen“ wird diese Entwicklung durch die Lichtkunst-Installation „Lichtfinger“ begleitet, das die Steag AG (heute Evonik) hier ganz in der Nähe als Beitrag zum Stadtjubiläum 2002 verwirklicht hat. Sie verwandelte zwei 90 m hohe, doch bis dato „unscheinbare“ Schornsteine nachts in überdimensionale Lichtstelen. Die Zweckbauten des Fernheizwerkes nördlich der City waren schon früher kilometerweit zu sehen, doch niemand nahm sie wahr. Das Heizwerk liefert einen wichtigen Beitrag für Essens Wärmeversorgung im Rahmen der Kraft-Wärme-Schiene des Reviers und verteilt nutzbringend die Abwärme von mehreren Kraftwerken. Dass die Türme durch Licht zudem Orientierung und Identifikation begünstigen, liegt auf der Hand. Kölner Dom und Eiffelturm funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie auch das Leverkusener Bayer-Kreuz und Dortmunds TV-Turm „Florian“. Für die Innenstadt und ihre Öffnung nach Norden lautet die Botschaft: „Hier geht Essen weiter“.

Fazit für KULTURPFAD-Gänger: Dass sich Stadtentwicklung in Dekaden und nicht in Jahren rechnet, liegt auf der Hand. Insofern wird das Kulturhauptstadtjahr 2010 auch als Zwischenbilanz des Strukturwandels zu sehen sein. Zehn Jahre nach der IBA-Emscherpark, die den Begriff der Industriekultur in die Köpfe pflanzte, machten sich „Essen für das Ruhrgebiet“ und die Nachbarn europafein. Sie zeigten sich beim Gastgeben, Fremdenführen, Chorsingen, Bötchenfahren und Ballonsteigenlassen europatauglich. 2011 geht das Leben weiter – mit weniger Geld in alten Töpfen. Entscheidend wird sein, wer nach Essen und in die „Metropole Ruhr“ kommt, um hier zu arbeiten, zu wohnen, zu studieren. Der Wettbewerb um die besten Köpfe geht weiter.

Lichtfinger (Steag-Türme)

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IMPRESSUM / DANKSAGUNG

IMPRESSUM

DANKSAGUNG

Redaktion: Holger Krüssmann, Tobias Appelt Gestaltung: Volker Pecher, Essen Druck: AALEXX Buchproduktion GmbH

Die Autoren bedanken sich bei

1. Auflage Juni 2010 © Klartext Verlag, Essen 2010 alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-8375-0068-4

Alle Angaben in diesem Buch wurden von den Autoren nach bestem Wissen erstellt und vom Verlag überprüft. Dennoch müssen wir im Sinne des Produkthaftungsrechts betonen, dass inhaltliche Fehler nicht vollständig auszuschließen sind. Die Angaben in diesem Band erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie der Autoren oder des Verlags. Alle Genannten übernehmen keinerlei Verantwortung oder Haftung für etwaige inhaltliche Unstimmigkeiten. Wir bitten um Verständnis und greifen Korrekturhinweise selbstverständlich gerne auf.

Bernd Alles Dagmar Assauer Andreas Bomheuer Hendrik von Boxberg Peter Brdenk Darja Kutschera Sven Lorenz Anke Meis Jens Nober Dagmar Pieper Günter Pilger Michael Quadt Claudia Reiss Oliver Scheytt Christiane Schmidt Ralf Schönfeldt Robert Smajgert Andrea Urban Fatma Uzun Ulrike Vetter Frank Vinken Peter Wieler Erwin Wiemer Feride Yaldisli für Unterstützung, Freundlichkeit, Zeit und Geduld.

In besonderer Dankbarkeit für Georg W. Költzsch † h.k.

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BILDNACHWEIS Holger Krüssmann: 17, 18, 19, 20, 29, 30, 34, 45, 46, 47, 54, 55, 56, 57, 54, 61, 73, 74, 75, 79, 80, 82, 83, 105, 106, 122, 124, 125, 127, 128, 136, 169, 180,191 EMG Peter Wieler: 66, 69, 75, 92, 94, 96, 98, 100, 102, 103, 104, 118, 121, 164, 166, 167, 134, 154, 173, 174, 178 Erwin Wiemer: 4, 32, 37, 40, 55, 59, 68, 70, 74, 75, 90, 155, 157, 158, 159, 160, 161 Jens Nober: 11,19, 21, 22, 31, 39, 133 Frank Vinken: 52, 135, 137, 139, 140, 141 Günter Pilger: 23, 24, 25, 89, 101, 129 Dinnebier Architekten: 12, 13, 150, 151, 152, 153 Miksch und Rücker-Architekten: 107, 112, 113, 114, 115 Sven Lorenz: 50, 51 ifm identicom: 34, 35 wikimedia commons: 77, 109 Astrid Bartels: 146, 147 Universität Duisburg-Essen, André Zelck: 186, 188 Harald Reusmann: 63 Nina Rogge-Okon: 62 Thomas Willemsen: 176 Chipperfield Architekten: 16 Lichtburg H.-P. Hüster: 110 Bistum Essen, Kurt Gramer:138 wbp Landschaftsarchitekten: 143 Alt-katholische Kirche Essen:145 Forum für Kunst und Architektur: 171 Unperfekthaus Essen: 172 ksp-architekten Jürgen Engel: 189 scape Landschaftsarchitekten: 184 HH-Vision: 187 Stefan Ziese: Titelfoto

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