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4.4 Interview mit Thekla Huber-Kaiser

THEKLA HUBER-KAISER, HEILPÄDAGOGIN, DIPLOMIERTE ERWACHSENENBILDNERIN, BERATUNG UND COACHING, SUPERVISORIN UND ORGANISATIONSBERATERIN

Thekla Huber hat in Schulen und verschieden stationären und ambulanten Institutionen viele Erfahrungen gesammelt und sowohl mit Kindern als auch mit Erwachsenen gearbeitet. Seit 20 Jahren ist Thekla Huber freiberuflich tätig. Sie arbeitet zusammen mit der Sprachwissenschaftlerin Andrea Alfaré. Gemeinsam betreiben sie die Firma «EFC Effective Communication GmbH». Die Firma bietet Krisenintervention, Schulungen von Teams oder von gesamten Organisationen oder Abteilungen, Trainings mit betroffenen Menschen oder mit deren Umfeld aber auch Expertisen für Gerichtsfälle an. Die Firma ist in der ganzen Schweiz tätig, hauptsächlich aber in der Deutschschweiz.

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WAS INTERESSIERT DICH AN UNTERSTÜTZTER KOMMUNIKATION?

Es ist nicht primär das Interesse an Unterstützer Kommunikation, sondern das Interesse am Gegenüber, an den betroffenen Menschen. Bei Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen sollte uns die Behinderung nicht aufhalten, sondern wir müssen nach Lösungen suchen. Wichtig ist, vom Klienten auszugehen, der partizipative Gedanke sollte immer im Zentrum stehen.

WIE WEIT VERBREITET SIND KOMMUNIKATIONSHILFSMITTEL IN DER PRAXIS?

Es ist sehr unterschiedlich, es gibt Institutionen bei denen gehört die Unterstützte Kommunikation dazu und es ist selbstverständlich, dass den Menschen Kommunikationshilfsmittel zur Verfügung stehen. Aber es gibt auch Institutionen mit der Haltung, dass sie Unterstützte Kommunikation nicht bräuchten. Sie sind der Auffassung, dass sie ihre Leute ausreichend gut kennen würden und dadurch auch ohne Unterstützte Kommunikation verstehen würden. Solche restriktiven Haltungen gibt es leider immer noch.

Dagegenwirken können wir indirekt, indem wir Präsenz zeigen in Netzwerken der Unterstützten Kommunikation, in Blogs oder bei Informationsveranstaltungen. Aber Tatsache ist: So lange in einer Institution bei der Leitung eine solche Überzeugung besteht, gibt es nichts anderes, als zu warten. Manchmal kommen die Institution dann 5-10 Jahre später oder die Eltern machen Druck.

Rechtlich ist es so, dass eine Person, die noch nicht im Pensionsalter ist und über keine funktionale Lautsprache oder keine Handschrift verfügt, das Recht auf ein Kommunikationshilfsmittel hat, das von der IV bezahlt wird.

WELCHE HILFSMITTEL WERDEN AM HÄUFIGSTEN VERWENDET?

Bei den als Erstes eingesetzten Hilfsmittel der Unterstützten Kommunikation handelt es sich meistens um Piktogramme oder um eine Auswahl von Gegenständen. Zu diesem Zeitpunkt werden mehrheitlich analoge Hilfsmittel eingesetzt. Später wird dann oft auch ein iPad mit den Kommunikations- Applikationen eingesetzt.

Wichtig ist, dass man bei den einzelnen Klientinnen und Klienten genau hinschaut und betrachtet, was die betroffenen Personen benötigt und dann die Hilfsmittel entsprechend anpasst.

WELCHE HILFSMITTEL HABEN SICH IN DER PRAXIS BEWÄHRT, WELCHE WENIGER?

Es gibt immer Vor-und Nachteile. Das iPad hat den Vorteil, dass es relativ niederschwellig ist. Mittlerweile gibt es auch sehr gute Applikationen. Vor dem iPad gab es die teuren und schweren Sprachcomputer. Diese werden fast nicht mehr verwendet.

Analoge Piktogramme wird es immer brauchen, zum Beispiel im Schwimmbad. Im Wasser ist es schwierig, mit dem iPad zu kommunizieren. Zwei laminierte Symbole sind auch im Wasser verwendbar.

WAS IST WICHTIG, DAMIT EIN KOMMUNIKATIONSHILFSMITTEL IN DER PRAXIS GEBRAUCHT WIRD UND EINEN NUTZEN HAT?

Sehr oft hören wir die Argumentation, man habe keine Zeit für Unterstütze Kommunikation. Es stimmt, dass die einzelnen Sequenzen Zeit brauchen. Wenn sich jedoch die Betroffenen mit Unterstützter Kommunikation äussern und seine Bedürfnisse mitteilen können, gibt es weniger Krisen oder Eskalationen. Das wiederum spart Zeit. Wenn Unterstütze Kommunikation im agogischen Alltag selbstverständlich wird, ist es eine Grundhaltung, die nicht viel Zeit einnimmt.

Es ist aber auch wichtig, dass die Institution einen gewissen Stellenpool für die Unterstützte Kommunikation zur Verfügung stellt, zum Beispiel für das Vorbreiten des Materials oder für das individuelle Programmieren der iPads.

Bei komplexen, elektronischen Hilfsmitteln ist der ganze Wortschatz vorhanden. Es gibt unterschiedliche Systeme: So können zum Beispiel auf möglichst wenigen Tasten verschiedene Kombinationsmöglichkeiten bestehen. In jedem Fall ist es wichtig, dass man die Fachleute oder Hilfsmittelfirmen miteinbezieht, um zu schauen, was für die betroffene Person am besten ist.

Bei der Wahl vom Hilfsmittel gibt es klientenspezifische Argumentationen. Im Idealfall ist diese entscheidend. Aber es gibt durchaus auch umfeldspezifische Argumentationen. Es ist nicht hilfreich für Betroffene, wenn das Umfeld wie zum Beispiel die Eltern mit einem elektronischen Gerät nicht zurechtkommen. Eventuell muss dann eine andere Lösung gesucht werden. Am wichtigsten ist, dass Kommunikation stattfindet. Ein anderes Beispiel für eine umfeldspezifische Argumentation ist, wenn zwei Schüler schon mit Hilfe der Applikaton «Snap Core First» kommunizieren und ein dritter Schüler neu mit dem iPad kommunizieren möchte und hierzu eine entsprechende Applikation benötigt. In diesem Fall kann es für diesen Schüler sinnvoll sein, auch die Applikation «Snap Core First» zu verwenden, anstelle z.B. der Applikation «MetaTalkDe». Diese beiden Applikationen sind sehr ähnlich in ihren Anforderungen und den Möglichkeiten. Es ist von Vorteil, wenn die Lehrperson nicht allzu viele verschiedene Applikationen bedienen muss.

Das Kommunikationshilfsmittel muss auf das taktile Verhalten der Person angepasst sein. Das heisst, dass für jemand, der sehr nervös seine Finger bewegt und alles anfassen muss, unter Umständen ein iPad nicht das richtige Hilfsmittel sein wird. Hier braucht es eventuell etwas Solides, Ruhiges. Oder für jemanden, der ein extrem feiner Tonus hat, ist es unter Umständen fast nicht möglich, eine Taste auszulösen. Für diese Person ist es aber eventuell möglich, auf ein Piktogramm zu zeigen. Auch hier muss immer eine individuelle Lösung gefunden werden.

Viel wird mit Videoanalysen gearbeitet. Videos werden ausschliesslich zu Ausbildungszwecken verwendet und sind ein sehr gutes Mittel, um das eigene Kommunikationsverhalten zu analysieren. Ein Video gibt auch einen Hinweis auf das Bewegungsmuster der betreffenden Person, zum Beispiel auf die Hand-Augen-Koordination oder auf die Auswirkungen auf den Tonus. Diese Informationen müssen berücksichtig werden bei der Auswahl des Kommunikationshilfsmittels.

WAS SIND FÜR DICH WICHTIGE KRITERIEN FÜR EIN GUTES KOMMUNIKATIONSHILFSMITTEL? ÄSTHETIK, HANDHABUNG, EINFACHHEIT ODER VERSTÄNDLICHKEIT?

Es gibt verschiedene Kriterien, welche auf das Hilfsmittel angepasst werden müssen. Zum Beispiel: Bewegungsmuster, Bewegungsradius oder Sehvermögen.

Beim Hilfsmittel schaut man auf die Funktionalität: Ist ein syntaktischer Aufbau beim Hilfsmittel möglich? Wie weit lässt sich ein Hilfsmittel im Sprachaufbau anpassen?

Grundsätzlich gilt immer, vorausschauend das Hilfsmittel zu wählen. Das heisst, wenn jemand noch viel lernen kann, dann sollte man berücksichtigt, dass der Wortschatz später auch noch genügt.

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