Kompetenzen

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Thema Kompetenzen


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EDITORIAL

Schnell sein

„Es sind nicht die stärksten, die überleben, nicht die intelligentesten, sondern die, die am schnellsten auf Veränderungen reagie­ ren können.“ Diesen Ausspruch von Charles Darwin hört man in diesen Tagen öfter – vor allem auf Konferenzen und Tagungen, wo es um Themen wie Digitalisierung und Agi­ lität geht. Dass Schnelligkeit ein wichtiger Wert an sich ist in der Wirtschaftswelt, das haben vor allem die Unternehmen aus dem Silicon Valley deutlich gemacht. Der Anspruch zur Perfektion und all­ umfassenden Betrachtung eines Problems rückt auch im Arbeitskontext in den Hin­ tergrund – das merke ich im eigenen Job selbst immer häufiger. Sich in ein Thema eingraben, zwei, drei Tage nur recherchie­ ren, das geht nicht. Mails, Anrufe, Twitter, Facebook, interne Besprechungen mit un­ terschiedlichen Teams – Ruhe gibt es nicht, alles muss im Blick behalten werden. Und wenn man, wie ich, ab und an auch noch in anderen Projekten mitmischt, die mit dem eigentlichen Job nichts zu tun haben, wird deutlich, wie wichtig Flexibilität ist. Und dann gibt es in einem Bereich wie HR auch noch ständig neue Entwicklungen. Nur wer in der Lage ist, schnell zu lernen, hat da die Chance am Ball zu bleiben.

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Es sind also insbesondere Kompetenzen, die man als Persönlichkeitskompetenzen bezeichnet, die von großer Bedeutung sind. Damit sind Fähigkeiten und Einstellungen gemeint, in denen sich die individuelle Hal­ tung zur Welt und zur Arbeit widerspiegelt. Eigenverantwortlich zu handeln, selbst­ ständig Anforderungen zu realisieren und auf diese zu reagieren, gehören ebenfalls dazu. Persönlichkeit ist auch das, was viele Ar­ beitgeber bei Schul- und Uniabsolventen vermissen – nicht fachliche Fähigkeiten. Zu selten noch verlassen eigenständige, freigeistige Typen die Bildungseinrichtun­ gen. Das Problem ist bekannt. Der Wissen­ schaftsrat, der im vergangenen Jahr „Emp­ fehlungen zum Verhältnis von Hochschul­ bildung und Arbeitsmarkt“ abgegeben hat, stellt in seinem Bericht beispielsweise fest, dass Hochschulabsolventen auf dem Arbeitsmarkt vor allem aufgrund von sol­ chen Kompetenzen Erfolg haben, die nur mittelbar an spezifische fachliche Inhalte geknüpft sind. Wichtiger seien Methodenkompeten­ zen wie das Verstehen komplexer Zusam­ menhänge. Der Wissenschaftsrat nennt ebenfalls: Durchhaltevermögen, Frustra­ tionstoleranz sowie kommunikative Fähig­ keiten. Solche Kompetenzen eignet man sich nicht an, wenn man über sie liest. Sich immer wieder den Situationen stel­ len, dem Leben, den anderen, Erfahrungen sammeln, so gewinnt man an Persönlich­ keit. Reisen soll ja da eine gute Sache sein, zum Beispiel ins Silicon Valley. Jan C. Weilbacher Chefredakteur jan.weilbacher@humanresourcesmanager.de

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02  16 PRAXIS

3 Editorial 6 Kolumne: Home Office Jan C. Weilbacher über Leidenschaft 8 Zahlen und Zitate 12 Eigeninteresse Es ist Zeit, dass HR zur Marke wird 14 Kümmert euch! Eine miese Candidate Experience ist nicht mehr zu entschuldigen 16 Echte Dialoge Pro und Contra: Marc Schlette und Matthias Hanitsch über Mitarbeitergespräche 18 Deutsche Manager im Ausland Anke Schmalzbauer ist für Bosch in Midrand, Südafrika

45 S marte Personalentwicklung Bei Roche Diagnostics steht in Sachen Lernen eine App im Zentrum 47 Ungewisse Zukunft Die Energiebranche ist im Umbruch. Für HR ist das oft Fahren auf Sicht 51 Systematisch und flexibel Im Corporate Learning ist viel in Bewegung. Zwölf Trends 55 Eine Bank hinterfragt sich GLS-Vorstandssprecher Thomas Jorberg über Erfolg, Wandel und den Mitarbeiter als Führungskraft 59 Mit Hilfe der Kollegen Warum sich nicht von den Kollegen coachen lassen? Peer Coaching hat viele Vorteile 60 Epilog

TITELTHEMA: KOMPETENZEN

IM FOKUS

VERBAND

21 Prolog 24 Im Aufbruch In Schulen läuft viel schief. Eine, die das ändern will, ist Margret Rasfeld. Ein Interview 29 Nicht mehr zeitgemäß Warum viele Kompetenzmodelle eine Modernisierung brauchen 32 Grandseigneur und Vordenker John Erpenbeck hat die Kompetenzmessung und -entwicklung maßgeblich geprägt. Ein Gespräch 37 Vernetzt Neues Talentprogramm: Bertelsmann setzt auf besondere Lernarchitektur 40 Unternehmerisches Handeln Personalentwickler sollten multidirektionale Karrieren fördern 42 Verflixt komplex Problemlösungskompetenz lässt sich nur schwer messen

62 I mmer am Ball Wie Politikerin Dagmar Schmidt die großen Themen und ihre Familie zusammenbringt 66 Der Klick zum Job Bei Online-Bewerbungen ist Nutzerfreundlichkeit alles

90 R ückblick aufs BPM Forum Zuwanderung: Zwischen Chance und Herausforderung 92 BPM auf Tour Eindrücke von der Roadshow 94 Neumitglieder 95 Personalmanagementkongress Neues zu Programm und Thema 96 CEB Insights Fünf Wege, die Produktivität der Mitarbeiter zu steigern

ANALYSE

80 B ücher Lesenswertes rund um HR 82 Sieben Gedanken Führen in Teilzeit 83 Meine digitale Welt Sara Lindemann lauscht gern TED-Vorträgen

RECHT 84 M ehr als nur Etikett Wie Unternehmen ihren Wertekanon durchsetzen können 85 Impressum 88 Aktuelle Urteile

68 S cheitern an der Realität Eine an individuelle Zielvereinba- rungen gekoppelte Vergütung erzeugt oft Frust. Das muss nicht sein 72 Das Beste aus beiden Welten Warum beim Feedback analog und digital kombiniert werden sollte 76 Gesundheit 4.0 Die digitale Arbeitswelt erfordert ein modernes Gesundheitsmanagement

Foto: jochenrolfes.de

MEINUNG

98 Fragebogen Rob Schokker, 3M 4

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KOLUMNENTITEL

Wer oder was hat Ihnen in Ihrem Berufsleben am meisten geholfen? Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen beantworten diese Frage in unserem Schwerpunkt Kompetenzen ab Seite 20.

Margret Suckale, Managerin

Ulrich Weber, Manager

Foto: DB AG / Max Lautenschlaeger; BASF SE; Felix Mayr; Mediengruppe RTL Deutschland / Stefan Gregorowius; Nehberg; Julia Baumgart

Wolfgang Bosbach, Politiker

Anke Schäferkordt, Managerin

Rüdiger Nehberg, Survival-Experte

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Margot Käßmann, Theologin

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MEINUNG

HR benötigt eine emotionale Markenaufladung Seit Jahren versucht HR über neue Organisationskonzepte endlich einen gleichberechtigten Platz am Tisch des Top Managements zu erhalten und dort ein gewichtiges Wort mitzureden. Warum gelingt das nur in wenigen Fällen? Welche Stellschrauben sind relevant? Von Philipp Hölzle

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ie Diskussion zur Positionierung von HR ist mittlerweile ermüdend. Fast zwei Jahrzehnte nach den Überlegungen des Übervaters Dave Ulrich lassen sich kaum neue Konzepte erkennen. Wenn wir ehrlich mit uns ins Gericht gehen, hat die Diskussion zum HR Business Partner oder auch Strategic HR Partner nicht wirklich zur Neupositionierung von HR in den Unternehmen beigetragen. Mit professionellen HR Shared Services verabschieden wir uns aus der Fläche, die transaktionale Arbeit ist hoch effizient geworden, muss aber nicht mehr das Label HR tragen und kann eben so gut auch von Externen erbracht werden. Was bleibt für HR? HR sollte positive Erlebnisse seiner Kunden bestärken Wollen wir uns weiter als Partner positionieren? Welche Partner fallen durch besondere Gestaltungsfähigkeit auf? Kaum ein Prinzgemahl – der Partner der Königin – ist in die Geschichte eingegangen. Ist die abendliche geschäftliche Einladung „mit Partner“ nicht eher so zu verstehen, dass es nicht ums Business geht? Wollen wir uns 12

weiterhin von Trendstudien treiben und ins Stammbuch schreiben lassen, welche Themen wir schnellstmöglich aufgreifen müssen, weil alle anderen diese auch verfolgen und HR sich ansonsten vorwerfen lassen muss, Trends verschlafen zu haben? Meines Erachtens sollte HR nicht versuchen, sich über seine Organisationsform oder das Besetzen von Trendthemen zu positionieren, sondern folgende zwei Dimensionen ausgestalten: 1) Ein auf Kundenerlebnisse fokussiertes Business Model schaffen; 2) Den Aufbau einer Marke für HR aktiv steuern. Erfolgreiche Geschäftsmodelle befriedigen Kundenbedürfnisse mit erlebnisbasierten Wertangeboten. Nehmen wir als Beispiel Starbucks: Mehr als 19 Milliarden Dollar Erlöse bei einem durchschnittlichen Umsatz von 5 US-Dollar pro Kunde werden wohl nicht alleinig deshalb erzielt, weil der Kaffee so vorzüglich schmeckt, sondern weil mit dem Kaffee ein besonderes Erlebnis, ein positives Gefühl verkauft wird. Warum beschäftigt sich HR so wenig mit dem Kundenerlebnis? Sucht man im Internet nach HR-Geschäftsmodell, erhält

man als Ergebnis vorrangig HR-Organisationsmodelle (die fast immer auf drei Säulen fußen), Prinzipskizzen zu Rollenmodellen oder HR-Prozesslandkarten. Was ich vermisse: Modelle die HR so beschreiben, wie erfolgreiche Business-Pläne aufgebaut sind. Es fehlt zumeist die Beschäftigung mit der Kundensegmentierung, die Analyse der Aufgaben, denen sich unsere Kunden Tag ein Tag aus stellen müssen: fachliche Aufgaben, Führungsaufgaben, administrative Aufgaben, soziale und emotionale Aufgaben. Und es fehlt das Ergründen, welche positiven und negativen Erlebnisse im Alltag unserer Kunden entstehen. Wie kann HR hier andocken, um in der täglichen Berufspraxis der Kunden positive Erlebnisse zu bestärken sowie negative Erlebnisse zu reduzieren oder auch ganz abzustellen? Welche Beziehungsebene muss geschaffen werden, um aus dem Erleben der Kunden eine positive Aufladung für HR generieren zu können? Wie sollte ein auf dieser Basis ausgerichteter, kundenzentrierter HR-Produktkatalog aussehen? Ein solcher ist deutlich hilfreicher als eine HR-Prozesslandkarte. Die Kunden des Personalmanagements interessiert es weniger, wie HR Leistungen www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


MEINUNG

erbringt, sondern ob sie für die eigenen Handlungsfelder Unterstützung bekommen, der zugesicherte Nutzen eintritt, der Preis stimmt und dann noch ein positives Erleben mit der Leistungserbringung einhergeht. Schaffen wir es, kundenzentrierte Produkte zu liefern, steigern wir damit auch die positive Markenaufladung HR. Die Marke ist ein Qualitätsversprechen und erfüllt eine Vertrauensfunktion. Emotionale Bindung fällt über eine starke Marke deutlich leichter, als über die reine Produktqualität. Die Beziehung wird in den Mittelpunkt gestellt, der Kunde auf emotionale, nützliche, teilnehmende, ja menschliche Weise involviert.

Foto: Privat

Drei Hebel, um das Kundenerlebnis und die HR-Marke positiv zu gestalten Wie steht es aber heute um die Marke HR? Auch Sie haben eine Marke: Die Marke HR ist das, was über HR gesagt wird, wenn HR nicht im Raum ist. Wenn es ein Karrieresprungbrett ist, einen Job im Personalbereich zu bekleiden, spricht das für eine starke Marke. Wenn Projektmanager darum kämpfen, auf jeden Fall auch Kollegen aus HR in ihre Projekte zu bekommen, da es den Projekterfolg deutlich fördert, gilt dasselbe. Ich sehe insbesondere drei Hebel, wie wir das Kundenerlebnis, das mit unseren HR-Produkten einhergeht, und die Marke von HR positiv gestalten.

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1) Die Art der Interaktion mit unseren Kunden ist der erste Hebel. Hier ist es wesentlich, an den Einstellungen und dem gezeigten Verhalten von HR zu arbeiten. Wirkt „mein Personaler“ wie ein unterwürfiger Service-Erbringer oder wie der ordnungspolitische „schwarze Sheriff“ der Organisation? Oder aber erlebe ich in der Interaktion mit HR aufgeschlossene Kollegen, die frühzeitig auf mich zukommen, die mit innovativen Methoden spannende Formate gestalten, meine Bedarfe erkennen, hinterfragen und entsprechende Angebote formulieren? Erlebe ich einen Mehrwert, weil mir nicht nur inhaltlich geholfen wird, sondern ich mit jedem Kontakt inspiriert werde und mir Tipps und Tricks, Arbeitsmethoden und Ideen für die eigene Anwendung abschauen kann? 2) Die Botschaften, die wir vermitteln, ob nun gewollt oder ungewollt, bieten ebenfalls enormen Gestaltungsspielraum. Welche Inhalte und Informationen werden vermittelt, welche nicht? Habe ich die Chance, den Sinn hinter der Aufforderung zu verstehen, warum ich jetzt folgendes Formular bis zum Stichtag ausfüllen muss? Wird mit Governance-Strukturen und Vorstandsbeschlüssen argumentiert oder erkenne ich selbst, ohne viele Worte, den Mehrwert, der gegebenenfalls auch erst langfristig eintreten wird.

3) Und schließlich die Artefakte, die „Verdinglichung“ der Personalarbeit: Wie sind die Tools beschaffen, mit denen wir auf unsere Kunden zugehen? Wie einfach sind die Instrumente und Prozesse? Fühlt sich die HR-Arbeit gut an? Finde ich mich auch als Gelegenheits-User sofort mit der Bedienung zurecht? Ist HR mein Vorbild für das Thema Usability? Macht die Anwendung vielleicht sogar Spaß, regt mindestens aber zum Nachdenken an, sodass ich froh bin über die Intervention? Meine Vision für eine erfolgreiche Markenaufladung HR sieht wie folgt aus: HR ist die Karrierestation im Unternehmen, denn • dort wird Kundenorientierung aktiv gestaltet, Co-Creation mit dem Kunden gelebt und auf das Nutzererlebnis fokussiert. Die Form der Zusammenarbeit ist immer wieder inspirierend und impulsgebend. • dort lernt man, wie erfolgreiche Führung in divers aufgestellten Teams funktioniert und wie • dynamische, flexible Organisationen gebaut und erfolgreich gemacht werden. Die Leitung einer solch inspirierenden Einheit hat man gerne mit im Top-Management-Team. Ob dies allerdings für diese Person reizvoll ist, werden wir dann sehen.

Philipp Hölzle ist Partner und Gründer der HR- und Organisationsberatung HRpepper und beschäftigt sich intensiv mit der Ausgestaltung der HR-Arbeit in agilen Organisationen.

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TITEL

Vernetzt lernen und Neues entwickeln

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Das Corporate Center von Bertelsmann bietet vielversprechenden Talenten ein neues Kompetenzentwicklungsprogramm. Es setzt vor allem auf eine besondere Lernarchitektur.

rüfer mögen weder Risiken noch Überraschungen, und Jens Grünenberger bildet da keine Ausnahme. Er arbeitet in der internen Revision des Bertelsmann Corporate Center, der Zentrale des internationalen Medienkonzerns in Deutschland. Wie man mit Überraschungen umgehen kann, auch wenn man sie nicht mag, hat Grünenberger im Development Circle gelernt, einem Entwicklungsprogramm für Talente im Corporate Center. Letztes Jahr ist es in die erste Runde gegangen. „Im Rahmen des Circles haben wir unter anderem an einem Improvisationstheater-Kurs teilgenommen. Seither weiß ich: Man kann sogar Improvisation trainieren“, erzählt Grünenberger. Grünenberger gehört zu den ersten, die das neue Entwicklungsprogramm im Bertelsmann Corporate Center durchlaufen haben. Das Angebot richtet sich ausdrücklich nicht nur an zukünftige Führungskräfte, sondern auch an Mitarbeiter mit Potenzial für eine Expertenrolle, sagt Personalreferentin und Projektbetreuerin Juliane Lemke: „Wir wollen damit persönliche Kompetenzen von High Potentials fördern.“ Damit meint sie nicht nur Talente, die Führungsaufgaben übernehmen wollen. Sondern eben auch Fachleute, die das Zeug dazu haben, sich im Unternehmen als Experte für ein bestimmtes Thema zu positionieren. „Horizontale Entwicklung“ nennt die Personalexpertin diesen Ansatz. Im Development Circle absolvieren zwölf High Potentials aus unterschiedlichen Fachbereichen des Corporate Center ein Jahr lang neben der Arbeit ein Entwicklungsprogramm mit intensiven Feedback-Gesprächen, Lernmodulen, Workshops und einer Lernreise. Abgerundet wird das Ganze durch ein Projekt, das die Teilnehmer während des Jahres gemeinsam bearbeiten.

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Von Klara Walk

Der große Unterschied zu anderen Entwicklungsprogrammen: Im Development Circle entwickeln die Teilnehmer ihre persönlichen Kompetenzen nicht nur in den Lernmodulen, sondern vor allem während der Arbeit am gemeinsamen Projekt: Kreativität und Innovationsfähigkeit, Wirkung und Auftreten, Kommunikationsfähigkeit und Empathie sollen sie gemeinsam trainieren. Spezielle Fachkenntnisse vermittelt das Programm bewusst nicht: „Wer seine Excel-Kenntnisse verbessern will, sollte besser ein Excel-Seminar machen“, sagt Dominique Schaefer, Senior Consultant bei der Saaman AG – von dort kommt das Grundschema des Programms. Schaefer begleitet gemeinsam mit einer Kollegin den Development Circle bei Bertelsmann. „Wir wollen mehrere Ziele miteinander vereinen: Die individuellen Kompetenzen der Mitarbeiter fördern, sie gleichzeitig an das Unternehmen binden und neue Ideen für die gesamte Organisation erarbeiten lassen“, erklärt Schaefer.

Intensive Kommunikation Auf diese Art will Bertelsmann Schlüsselqualifikationen seiner Mitarbeiter fördern. Den Kompetenzkatalog hat die Personalabteilung des Corporate Center gemeinsam mit den Beratern von der Saaman AG festgelegt. „Wir haben uns an den Kompetenzen orientiert, die die Basis für unsere HR-Instrumente, zum Beispiel Mitarbeitergespräche, bilden – aber natürlich auch daran, was der Development Circle überhaupt leisten kann“, sagt Personalmanagerin Lemke. Kompetenzentwicklung ist für die Personalabteilung des Bertelsmann Corporate Center nichts Neues. Ein entsprechendes Programm gab es schon vor dem Development Circle. Doch auch Entwicklungsprogramme müssen sich weiterentwickeln – da waren sich Teilnehmer, Führungskräfte und Personalmanager einig. Juliane Lemke und ihre Kollegen stellten deshalb fest: Hier ist jetzt die Personalabteilung gefragt. Anfang 2014 überprüften sie das alte Programm gründlich. Sie sprachen mit Führungskräften, ehemaligen Teilnehmern und Mitarbeitern, die von einem neuen Programm profitieren könnten. Und sie fragten sich: Wie soll

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TITEL

Personalentwicklung im Bertelsmann Corporate Center künftig aussehen? Ein wichtiges Ergebnis: Das alte High-Potential-Programm war weder den Teilnehmern noch den Führungskräften tief genug in die gesamte Personalentwicklung eingebettet. „Den Leuten war einfach nicht klar: Was passiert nach den Seminaren?“, erzählt Lemke. Um das zu ändern, sprechen sowohl Mitarbeiter als auch Vorgesetzte im neuen Programm viel intensiver miteinander – vor allem vor und nach der eigentlichen Lernphase. Der Development Circle besteht hauptsächlich aus drei Abschnitten: Einem Vorprozess, in dem zwei Diagnostiker der Saaman AG sowie im späteren Verlauf auch Teilnehmer und Vorgesetzter zunächst herausfinden, wie stark die relevanten Kompetenzen bei dem Teilnehmer schon ausgeprägt sind. Darauf folgt der eigentliche Lernprozess mit den Präsenzmodulen, der Lernreise und der Projektarbeit – inklusive einer Präsentation der Ergebnisse vor der Geschäftsleitung. Der Development Circle endet mit einem Feedback-Gespräch, in dem Berater, Vorgesetzte und Teilnehmer gemeinsam besprechen, ob der Mitarbeiter sein Lernziel erreicht hat. „Die Vorgesetzten sollen aber nicht nur im Vor- und im Abschlussprozess Feedback geben, sondern über das ganze Jahr hinweg den Mitarbeiter beobachten und am Ball bleiben“, betont Personalmanagerin Lemke. Im Vorprozess geht es vor allem um Selbst- und Fremdeinschätzung der Teilnehmer: Was können die Teilnehmer bereits, an welchen Kompetenzen sollten sie noch arbeiten? In zwei Gesprächen, eines mit den Beratern der Saaman AG, eines mit dem Vorgesetzten, legen sie ein Kompetenzprofil an und halten Lernziele fest, bevor der eigentliche Lernprozess beginnt. Diese Gespräche beeinflussen natürlich auch die Module des Programms selbst, sagt Berater

„ Wir haben einen viel besseren Eindruck davon, was unsere Talente benötigen.“

Schaefer: „Wenn wir sehen, dass mehrere Teilnehmer das gleiche Lernziel haben, Juliane Lemke, Bertelsmann dann richten wir selbstverständlich die Trainings danach aus.“ Deshalb wird im Idealfall kein Development Circle aussehen wie der andere. Die Lernphase besteht aus Präsenzveranstaltungen, in denen Trainer zum Beispiel die Wirkung und das Auftreten der Teilnehmer analysieren und ihnen Tricks und Kniffe der Kommunikation beibringen. Dabei helfen Rollenspiele, Simulationen, Diskussionen in der Gruppe und hin und wieder auch eine Videokamera und ein Mitglied der Geschäftsleitung als Feedback-Geber. Einzel-Coachings sind ebenfalls möglich. Danach geht es an die Projektarbeit: Jeder Jahrgang bekommt eine neue Aufgabe. Der Development Circle 2015 hat sich um die Innovationsfähigkeit bei Bertelsmann gekümmert. Welche Prozesse und Strukturen unterstützen gemeinsames Arbeiten an Innovationen, welche bremsen sie? Und welche Neuerungen könnte man einführen? „Die Idee dazu hatte ein Kollege, der sich intern mit Innovationsstrategien beschäftigt“, erzählt Juliane Lemke. Dieser Experte stand den Teilnehmern während des Projektes als inhaltlicher Begleiter zur Seite.

Der Development Circle im Überblick Von der Analyse bis zur Abschlusspräsentation

Vorprozess Kompetenz- und Lernfeldanalyse (Fremd-/ Selbsteinschätzung + Interview) 1 Stunde je TN Perspektivendialog 1,5 Stunden je TN

Lernprozess

Abschlussprozess

Modul 1 Laterale Führung und Kommunikation

bLENDED lEARNING

Modul 2 Eigene Wirkung und prof. Auftreten

Modul 3 Lernreise

Modul 4 Persönliche Fallberatung

2 Tage

4 Stunden

2,5 Tage

2,5 Tage

2 Tage

Projekt

Individuelles Coaching Teilnehmer und Vorgesetzte

AbschlussPräsentation zum Projekt

Abschlussdialog 1 Stunde je TN

Lernzielvereinbarung Personenbezogene Förderung

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Projektbezogenes Erfahrungslernen

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IFoto: Katrin Biller

Programmstart Kick-off 2 Stunden


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Zur Inspiration schickte das Corporate Center seine High Potentials auf eine dreitägige Lernreise nach Berlin. Dort trafen die Teilnehmer Zukunftsforscher, nahmen an einem Improvisationstheater-Workshop teil und besuchten Startups. Alles um herauszufinden: Wie geht Kreativität? Wie beginnt man etwas völlig Neues, von dem noch niemand so recht weiß, was daraus werden kann? Wie geht man mit unvorhergesehenen Situationen um? Teilnehmer Jens Grünenberger aus der internen Revision war vor allem von seinen Gesprächspartnern bei den Berliner Startups beeindruckt. Er selbst sei grundsätzlich eher risikoavers, erzählt er, wäge Für und Wider sorgsam ab, rechne immer erst einmal alles durch – wie ein typischer Prüfer eben. Umso bereichernder sei es für ihn gewesen, mit dem CEO eines Startups zu sprechen: „Er hat sich ganz am Anfang für die Rechnerei überhaupt nicht interessiert. Wie hoch das Risiko war, war ihm egal – er hat seine Idee einfach umgesetzt und war erfolgreich.“ Das hat dem Prüfer imponiert: „Manchmal hindert zu viel Analyse vielleicht auch am Weiterkommen.“

Zeit zu handeln!

Ein Konzeptpapier - und sogar eine App Mit solchen neuen Erkenntnissen gerüstet, ging es für Grünenberger und seine Kollegen daran, das Corporate Center auf seine Innovationsfähigkeit hin abzuklopfen. Unterstützen die Kommunikationsprozesse den Austausch neuer Ideen? Gibt es überhaupt genügend Anreize für einzelne Mitarbeiter, kreativ zu werden und innovative Ideen zu entwickeln? Mit solchen Fragen beschäftigte sich die Gruppe. Was Grünenberger daran besonders spannend fand: „Wir kamen alle aus unterschiedlichen Fachbereichen. Aber wir wurden während der Projektphase immer mehr zu einem Team – jeder konnte etwas beitragen.“ Am Ende des Prozesses stand nicht nur ein Konzeptpapier mit Handlungsvorschlägen, sondern sogar die Demoversion einer App, mit der sich Innovatoren im Unternehmen vernetzen und gegenseitig unterstützen sollen. Eine Überraschung auch für die Projektbetreuerin in der Personalabteilung: „Dass ein so konkretes Produkt daraus hervorgeht, hätten wir nicht erwartet“, sagt Lemke. Das greifbare Ergebnis habe für sehr viel Aufmerksamkeit bei der Geschäftsleitung gesorgt. Ein High-Potential-Programm wie der Development Circle funktioniert allerdings nur mit viel Arbeitseinsatz der Personalabteilung und der Vorgesetzten. Obwohl der Aufwand für Konzeption und Begleitung des Programms hoch war, zieht Personalreferentin Lemke ein positives Fazit: „Unser Kontakt zu den Mitarbeitern ist enger geworden. Wir haben einen viel besseren Eindruck davon, was unsere Talente benötigen und wie wir sie in ihrer Entwicklung auch nach dem Programm unterstützen können.“ Hinzu kommt, dass auch die Führungskräfte die Arbeit der Personalmanager wertschätzen. „Keine schlechte Ausgangsposition für weitere Personal-Projekte“, findet Lemke. •

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TITEL

Kompliziert

komplex?

ode

Das Lösen komplexer Probleme ist die wichtigste Kompetenz in der heutigen Arbeitswelt. Dafür braucht es Könner. Aber messen lässt sie sich nicht so einfach.

W

enn von den großen Herausforderungen für die Unternehmen die Rede ist, fällt dieser Begriff ziemlich schnell: Komplexität. Alles wird komplexer und damit weniger beherrschbar – zu viel Dynamik, zu viel hängt miteinander zusammen. Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, Finanz- und Flüchtlingskrise – die Entwicklungen scheinen über uns hinein zu brechen und wir müssen irgendwie damit umgehen. „Die Komplexität der Gesellschaft wächst sogar noch schneller als die Rechenleistung der Supercomputer“, sagte der Soziophysiker Dirk Helbing kürzlich der Schweizer Sonntagszeitung. „Die Vorstellung, man könnte ein globales System dieser Komplexität noch zentral steuern, ist einfach falsch. Die Größe der Herausforderung übersteigt die Möglichkeit klassischer Lösungsansätze.“ Nötig seien eine kollektive Intelligenz und Selbstorganisation. „Wir müssen möglichst gute Ideen mit an Bord nehmen, damit wir klügere Entscheidungen treffen können.“ Wohlgemerkt: klügere, nicht richtige. Der Berater Niels Pfläging wird nicht müde, aufgrund der zunehmenden Komplexität den Untergang des klassischen Managements und hierarchischer Strukturen in Unternehmen zu prophezeien. Er, der auch schon mal als „führender Management-Exorzist“ bezeichnet wird, plädiert für Dezentralisierung und ein Höchstmaß an Autonomie sowie Entscheidungshoheit bei den Einheiten und Mitarbeitern, die an der Peripherie innerhalb der Organisation das Geld verdienen; die am Markt lernen und sich schnell und intelligent anpassen können. Aber nicht nur die Organisation als Ganzes, auch die Menschen müssen mit der Komple-

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Von Jan C. Weilbacher

xität zurechtkommen. Der Umgang mit ihr, ist für unser Leben entscheidend. Laut des diesjährigen Reports The Future of Jobs des World Economic Forum ist das Lösen komplexer Probleme heute die wichtigste Kompetenz in der Arbeitswelt – mit weitem Abstand vor den sozialen Fähigkeiten. Und das werde in fünf Jahren ebenso der Fall sein, heißt es in der Studie. Also nicht emotionale Intelligenz, nicht Kommunikationsfähigkeit, Selbstreflexion oder Konfliktfähigkeit, sondern komplexe Problemlösung. Für die braucht es Könner. Reines Wissen reicht nicht. Denn mit Wissen kann man allenfalls komplizierte Aufgaben lösen, Probleme, die kompliziert sind wie das Bedienen einer Maschine. Komplexität ist mehr. Komplexe Problemsituationen sind zum Beispiel dynamisch. Das heißt, die Situation ändert sich von selbst mit der Zeit ohne das Einwirken der Person. Zudem herrscht eine gewisse Intransparenz bei komplexen Herausforderungen. Es liegen also nicht alle erforderlichen Informationen vor. Es gibt wechselseitige Abhängigkeiten, nicht nur einfache Kausalitäten und in der Regel existieren mehrere Ziele, die miteinander in Konflikt stehen können.

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D a s t s c

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L e b b e r e h w i e r

e n i t s i g

Das alles klingt erst einmal abstrakt. Aber man braucht heutzutage nur auf das eigene Leben schauen, um zu verstehen, was Komplexität heißt: Lebenspläne, die sich in kurzer Zeit aufgrund eines Jobwechsels oder Ähnlichem wieder ändern können; oder der vergebliche Versuch Beruf und Familie zu vereinbaren. Das Leben ist ziemlich komplex.

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senschaft

Erkenntnisse (S.3-21), Verlag für Polizeiwis-

kritischen Situationen: Neue Perspektiven und

der, Harald Straub (Hrsg.) „Entscheiden in

Fehler“ in: Rudi Heimann, Stefan Strohschnei-

komplexen Situationen – Anforderungen und

Quelle: Gesine Hofinger: „Entscheiden in

Übergeneralisierung: Früher erfolgreiche Denkmodelle werden auf neue Simulationen übertragen, ohne strukturelle Passung.

Es werden nur Informationen zur Kenntnis genommen und bearbeitet, die zur eigenen Meinung passen.

Planungsoptimismus: Man rechnet nicht damit, dass das eigene Vorgehen auch schief gehen könnte, Antizipation erfolgt nur selektiv. Man wird vom Misslingen überrascht. Es gibt keine Alternativplanung.

Es werden einfache Wirkmodelle und Erklärungen bevorzugt; das lineare Denken vereinfacht Prognosen.

Typische Fehler im Umgang mit Komplexität

er

Die Zielbildung geschieht ohne Prioritätensetzung. Man löst immer nur die gerade anstehenden Probleme.

TITEL

Wir alle müssen in der Lage sein, Prioritäten zu setzen – im israelisch-palästinensischen Konflikt nachzudenken. Man spielt Privaten wie im Job. Wir müssen Informationen beschaffen, diese entweder in der Rolle des israelischen Premierministers oder in der strukturieren und auf deren Basis Entscheidungen treffen – manchFunktion des Palästinenserführers mit dem Ziel, die Konfliktlage mal ziemlich schnell und auch dann, wenn klar ist, dass wir nicht zu entspannen (peacemakergame.com). Man hat es also mit einer alle Informationen bekommen werden. Manche können das besser wirklich komplexen Herausforderung zu tun. Auch über die Spielals andere. Aber warum? Ist es eine Frage der Intelligenz? App Wasabi Waiter wurde zuletzt viel berichtet, bei der man als Ob Intelligenz und komplexe Problemlösung gleiche Konstrukte Kellner eine wachsende Anzahl an Gästen bedienen muss. Das sind, ist umstritten. Allerdings kann man sagen, dass Menschen, die Problem bei solchen Spielen wie auch bei wissenschaftlichen Siin der Lage sind, komplexe Probleme zu lösen, in der Regel intellimulationen ist jedoch wiederum, dass eine vergleichende Aussage gent sind. Allgemeine Intelligenz scheint also eine bedeutende Rolle – im Gegensatz zu Tests – kaum möglich ist. Will man solche Spiele zu spielen, wie Nicolas Becker, Matthias Stadler und Samuel Greiff also zum Beispiel bei der Personalauswahl einsetzen, braucht es in einem Aufsatz in The Inquisitive Mind feststellen. „Komplexes noch weitere Instrumente. • Problemlösen und Intelligenz sind Verwandte ersten oder zweiten Grades. Aber keine eineiigen Zwillinge“, schreiben die Autoren. Zusammenhänge zwischen Intelligenztests und dem komplexen Problemlösen bestehen also durchaus. Zum Teil wurden sogar starke Zusammenhänge festgestellt in der Forschung. Ergebnisse von Tests lassen demnach Rückschlüsse in Bezug auf die wichtigste Kompetenz in der Arbeitswelt zu. Doch wirklich messen können sie die Fähigkeit des komplexen Problemlösens nicht. Die Aufgaben in Intelligenztests sind zu statisch. Komplexe Probleme lassen sich aber als Computersimulationen, die im Vergleich zu Intelligenztests dynamische Umfelder bieten, darstellen. Dabei muss der Nutzer viele Aspekte gleichzeitig beachten, er hat unzureichende Informationen und die Auswirkungen des Handels sind nicht ganz klar.

Schon mal versucht, den Nahost-Konflikt zu lösen? Rückschlüsse können nach Meinung einiger Experten auch richtige Computerspiele geben. Es gibt zum Beispiel ein Spiel mit Namen Peacemaker, das von einer Gruppe engagierter Studenten in Pittsburgh entwickelt wurde, um über Lösungsmöglichkeiten im

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IM FOKUS

Ein paar Mal klicken, fertig! Online-Bewerbungssysteme beschleunigen Prozesse f端r Unternehmen und Bewerber. Nutzerfreundlichkeit steht dabei im Mittelpunkt, ebenso die Ber端cksichtigung individueller Systemanforderungen.

Foto: www.thinkstock.com

Von Sven Lechtleitner

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B

ewerbermanagementsysteme mit Online-Anbindung sind im Recruiting vieler Unternehmen kaum mehr wegzudenken. Auf Kandidatenseite sorgt die ideale Anwendung mit Mobilfähigkeit für simples Übermitteln der eigenen Bewerbung. Nutzerfreundlichkeit entscheidet im Sinne einer positiven Candidate Experience darüber, ob Kandidaten ihre Online-Bewerbung abbrechen oder bis zum Ende fortführen. Auf Unternehmensseite spielen optimierte Prozesse eine wesentliche Rolle: von Multiposting der Stellenanzeigen über die Bewerberkommunikation bis hin zum Managen zahlreicher Kandidatenprofile. Was ein gutes Online-Bewerbungssystem ausmacht, zeigt der Gesundheitskonzern Fresenius. Das Unternehmen belegt im Ranking des Marktforschers Potentialpark den ersten Platz für die beste Online-Applikation Deutschlands. „Wichtig ist uns, dass es schnell, einfach und mobil komfortabel einsetzbar ist“, sagt Markus Olbert, Personalchef bei Fresenius. „Interessierte können sich bei uns mit wenigen Klicks bewerben – das funktioniert mobil wie am Rechner. Wir fragen ein paar Kernthemen per DropDown-Menü ab. So kann man sich ohne Probleme in fünf bis zehn Minuten bei uns bewerben.“ Müssten Bewerber erst jede einzelne Station ihres Lebenslaufs in ein System übertragen, wäre das zu zeitaufwendig, findet Olbert. Seit sieben Jahren nutzt Fresenius die Anwendung Taloom des Anbieters Softgarden. Die einstige Basisvariante entwickelt der Gesundheitskonzern kontinuierlich weiter. So verfügt das System heute über eine Schnittstelle zum Business-Netzwerk Xing. Kandidaten können ihre Daten aus ihrem Profil heraus übertragen – und sich noch einfacher bewerben.

Foto: Privat

Anforderungsprofil erstellen „Vor allem bei größeren Bewerberzielgruppen erleichtert die automatisierte Vorauswahl anhand diverser Kriterien den Recruiting-Prozess“, weiß Ingolf Teetz, CEO bei milch & zucker. Die Entwickler von Talent-Acquisition- und Talent-Management-Lösungen sind auf das Handling hoher Bewerberzahlen spezialisiert. Das kleinste Kundenunternehmen erhält jährlich etwa 2.500 Bewerbungen, beim größten sind es rund 150.000. „Möglichkeiten für automatisierte Abfragen gibt es viele: Dies können einfache Kriterien wie Schulnoten sein, oder physische Voraussetzungen bei sehr beliebten Berufen wie zum a p r il   /  m ai 20 1 6

IM FOKUS ner und Excel-Tabellen nicht mehr zu Rande kommen. Auch wenn es auf individuelle Anforderungen ankommt: Es gibt durchaus Basisfunktionen, Beispiel Flugbegleidie ein modertern. Ebenso sind nes Online-Bewerbungssystem aber auch komplexere Kriterien beinhalten sollte. Kirchner zählt dazu wie der Ausgleich automatische Eineines fehlenden gangsbestätigunStudiums durch Berufserfahrung in gen, Kommunikaeiner bestimmten tion mit Kandidaten, Konfiguration Branche möglich“, unterschiedlicher sagt Teetz. Darüber hinaus gebe es Textbausteine, Mobilfähigkeit für AnUnternehmen, die wender, Abbilden setzen in ihrem von Talentpools Online-Fragebogen geografische und Absagen großer BewerbermenFilter wie die Entfernung zum ArJan Kirchner, Wollmilchsau gen. „Wichtig ist beitsort ein, auch aber auch, dass die um eventuell nähere Angebote automatisch Kollegen der Fachabteilung digital mit einvorzuschlagen. Die Tücken dabei: Angaben bezogen werden. Alle Beteiligten sollten in im Anschreiben über eventuelle Umzugseinem System arbeiten können. Dauert das bereitschaft bleiben – wie der Kandidat Feedback aus der Fachabteilung zu lange, selbst – vom System unberücksichtigt. Solbeschleunigen standardisierte Reminder den Prozess und erleichtern Recruitern die che Mechanismen seien nur ratsam, wenn Arbeit“, sagt Kirchner. Fresenius setzt hier man sehr viele Bewerber auf eine Position vor allem auf unkomplizierte Handhabung. hat, so Teetz. Welche konkreten Funktionen ein On„Fachabteilungen sind nur selten auf die line-Bewerbungssystem abdecken muss, ist HR-Systeme geschult. Die Kommunikation pauschal nicht festzulegen, sagt Jan Kirchzwischen HR und Fachabteilung deckt unner, Geschäftsführer bei Wollmilchsau. Die ser System auf Basis von E-Mails ab. Erhält Hamburger Digitalagentur für Personalder Fachverantwortliche eine Mail, kann er marketing berät Unternehmen ab rund 250 darin direkt eine Aktion eintragen, die dann Mitarbeitern. „Die Systeme unterscheiden vom System aufgenommen wird“, so Olbert. sich gravierend je nach individuellen An„In den letzten Jahren hat sich viel geforderungen. Eine Software sollte über die ändert, was Bewerbermanagementsysteme Funktionen verfügen, die das Unternehmen angeht“, sagt Teetz. Hintergrund sei der steifür sein Bewerbermanagement benötigt.“ gende Nutzen von Smartphones, die mittEine Herausforderung sieht Kirchner allerlerweile fast jeder besitzt. Unternehmen dings darin, dass die Verantwortlichkeiten bleibe überhaupt keine andere Wahl, sich über Webseite und Recruiting oftmals auf darauf einzustellen. Und damit meint der unterschiedliche Bereiche verteilt sind. „So CEO nicht primär die Mobilfähigkeit von entscheidet in vielen Fällen die IT-Abteilung Systemen. „Die Bewerbung per Smartphoüber die Neuanschaffung eines Systems, ne unterscheidet sich von der klassischen Online-Variante. Bewerber verfügen auf ohne die HR-Anforderungen, die eigentlich wichtig sind, näher zu berücksichtigen. ihrem mobilen Endgerät nur selten über Die Folge ist dann, dass eine Lösung zum Anschreiben und Lebenslauf, möchten sich Einsatz kommt, die theoretisch alles kann, aber dennoch bewerben. Das bedeutet für aber nach der Implementierung gar nichts“, Unternehmen: Sie sollten zielgerichtet ein sagt Kirchner. Wichtig sei daher, dass alle paar Skills abfragen, um sich von KandiBeteiligten gemeinsam ein richtiges Anfordaten ein erstes Bild machen zu können“, derungsprofil erstellen, um das passende so Teetz. Nachgelagerte Schritte seien OnSystem zu finden. line-Test oder Telefoninterviews. Hier müsFür den Agentur-Geschäftsführer macht se das System entsprechend einspringen. • ein Online-Bewerbungssystem immer dann Sinn, wenn Unternehmen mit Inbox-Ord-

„ Wichtig ist aber auch, dass die Kollegen der Fachabteilung digital mit einbezogen werden.“

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ANALYSE

Essay Zielvereinbarung... und dann? Aufwändige Zielableitungsprozesse, abweichendes Bewertungsverhalten der Vorgesetzten, kaum Variabilität in den Auszahlungen: Die Unzufriedenheit mit individuellen Zielvereinbarungen im Rahmen der variablen Vergütung ist groß. Unternehmen haben jedoch mehrere Optionen gegenzusteuern. Was auf jeden Fall in den Fokus gehört, ist die Führungskultur.

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ie Ankündigung von Bosch, den Bonus der Fach- und Führungskräfte zukünftig nicht mehr an die individuelle Zielerreichung koppeln zu wollen, hat im vergangenen Jahr große Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden. Gänzlich neu ist das Vorgehen aber nicht. Infineon verzichtet beispielsweise seit 2010 auf eine solche Verknüpfung von individuellen Zielen und Vergütung. Und auch andere Unternehmen sind diesen Schritt bereits gegangen. Sie stellen nunmehr den Gesamterfolg der Organisation in den Mittelpunkt ihrer variablen Entlohnungssysteme. Das heißt aber nicht, dass Zielvereinbarungen dann automatisch der Vergangenheit angehören. Beispiel Infineon: Trotz der Umstellung wird weiter mit Zielen geführt (Management by Objectives), ein Konzept, das in den 50er Jahren von Peter F. Drucker entwickelt wurde und auch heute noch als State of the Art gilt. Lediglich der Bezug zur Vergütung wurde aufgegeben.

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Motivation nicht (nur) über die Karotte vor der Nase Argumente, die dazu bewegen können, die individuelle Zielerreichung nicht mehr separat vergüten zu wollen, gibt es viele. Und sie liegen – man denke an Reinhard K. Sprenger und seinen Bestseller Mythos Motivation – zumeist seit langem auf dem Tisch. Am gewichtigsten erscheint dabei das Argument, dass Ziele in Verbindung mit Geld das Potenzial haben, die intrinsische Motivation der Mitarbeiter zu verdrängen. Wenn die Belohnung für den Mitarbeiter im Mittelpunkt steht, dann kann der Anreiz für die Tätigkeit verloren gehen. Die gewünschte Kreativität bei der Arbeit und die erhoffte Identifikation mit der Arbeit bleiben auf der Strecke. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn Zielvereinbarungen eigentlich Zielvorgaben gleichen und so zu einer Entmündigung des Mitarbeiters führen anstatt unternehmerisches Denken zu fördern.

Und mehr noch. Individuelle Boni können bis zu einem gewissen Grad als Ausdruck eines tiefen Misstrauens wahrgenommen werden. Die Annahme hinter diesem Misstrauen ist, dass ein Mitarbeiter ohne finanzielle Anreize nicht den vollen Arbeitseinsatz leistet und letztlich das Unternehmen um einen Teil der bezahlten Arbeitskraft bringt. Der Mitarbeiter als potenzieller Betrüger. Aus einer solchen Perspektive heraus kann Motivation nur schwer gelingen. Aber auch wenn man den Einsatz von auf individuellen Zielen basierenden Bonuszahlungen grundsätzlich befürwortet, birgt deren Anwendung das Risiko, dass auf Seiten der Mitarbeiter das Gefühl fehlender Gerechtigkeit entsteht. Unterschiedliche Anspruchsniveaus in den Zielen, unzureichende Messbarkeit der Zielerfüllung gerade bei eher qualitativen Zielen, abweichendes Bewertungsverhalten der Vorgesetzten, exogene Einflüsse – die individuelle Zielerreichung erscheint vielen nicht als hinreichender Leistungsmaßstab.

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Illustration: www.thinkstock.com

Von Michael Bursee und Heiko Wälz


ANALYSE Es droht ein Gefühl der Willkür, obgleich man Objektivität anstrebt. Kein Wunder also, wenn bei Befragungen von Arbeitnehmern, was sie bei der Arbeit motiviert, die variable Vergütung in der Regel nicht einen der vordersten Plätze belegt.

Unzufriedenheit auf Seiten der Unternehmen In der Praxis treten in den meisten variablen Vergütungssystemen bei den individuellen Komponenten Probleme zum Beispiel bei der Sicherstellung von Konsistenz und Fairness auf. Und die Unternehmen nehmen in diesem Zusammenhang wahr, dass das bisherige Vorgehen nicht mehr zu den Anforderungen passt. Ein Grund hierfür liegt darin, dass jährliche Zielvereinbarungen als Basis der Vergütungsfindung die Steuerungsanforderungen in komplexen Geschäftsmodellen und einem volatilen Umfeld nur unzureichend widerspiegeln. Die Jahresplanung ist dann oftmals keine belastbare Grundlage mehr, weil Szenarien schnell hinfällig werden können. Starre Zielvereinbarungen gewähren bei sich ändernden Rahmenbedingungen nicht die notwendige Flexibilität. Die Folge: revidierte Ziele oder sogar das Festhalten an nicht mehr relevanten Zielen. In Matrix- oder Projektorganisationen zeigen sich außerdem zunehmend komplexe Tätigkeiten, für die sich nur schwer die richtigen Ziele und auch die richtige Anzahl an Zielen definieren lassen, weil Spezialisten in hohem Maße eigenverantwortlich, problembezogen und innovativ arbeiten. Für solche Mitarbeiter ist sowohl die Definition von Zielen als auch die Definition der Messkriterien zu Beginn eines Jahres schwierig. Das falsche Austarieren von Zielen kann fatale Folgen haben. Eine Fixierung auf individuelle Ziele – insbesondere bei einer Übergewichtung gegenüber Unternehmenszielen – kann eine Zusammenarbeit über Bereiche hinweg behindern und führt im schlimmsten Fall zu Manipulationen und einem Verhalten, das nicht im Einklang mit dem unternehmenseigenen Verhaltenskodex oder dem Gesetz steht. Und auch mit Blick auf das gewünschte Risikoverhalten zeigt sich ein mögliches Problem: Ist die Zielerreichung in weiter Ferne, steigt die Risikobereitschaft potenziell über

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das angestrebte Maß. Sind die eigenen Ziele bereits erreicht, droht ein „Zurücklehnen“ beziehungsweise das Schieben von Erfolgen in die nächste Periode. Auswertungen der Zielerreichungen aller Mitarbeiter machen oft ein weiteres Phänomen sichtbar. Unabhängig von der tatsächlichen Unternehmensperformance liegt die durchschnittliche Zielerreichung in aller Regel über 100 Prozent. Über Jahre konstant. Dies steht dem Ziel der meisten Unternehmen entgegen, die mit einer variablen Vergütung auch ein „Atmen“ der Personalkosten mit der wirtschaftlichen Situation anstreben – nach oben, aber eben auch nach unten. Die Ursache einer solchen rechtsschiefen Verteilung kann im unbewussten Bewertungsverhalten liegen. Teilweise zeigt sich aber auch, dass Führungskräfte die Festlegung der Individualzielerreichung dafür nutzen, schlechte Unternehmensergebnisse und damit einen geringeren Unternehmensbonus über die individuelle Komponente zu kompensieren. Die Beurteilung wird dann zum Bindungsinstrument, aus einem Leistungsbonus wird ein Retention-Bonus. Was bedeutet dies alles im Sinne einer Kosten-Nutzen-Betrachtung? Der Nutzen eines zielbasierten Performance-Management-Systems und der Berücksichtigung in der Vergütung lässt sich zumeist nicht präzise berechnen. Zu unklar sind die jeweiligen Wirkungszusammenhänge. Bei den Kosten verhält es sich anders. Diese sind in der Regel deutlich besser zu bestimmen. Und vor dem Hintergrund eines häufig großen administrativen Aufwands rund um individuelle Boni kommt nicht selten der Verdacht auf, dass die Kosten den Nutzen des Systems (deutlich) übersteigen.

Festhalten an individuellen Boni Was aber bewegt viele Unternehmen nun dazu, an den bestehenden Systemen festzuhalten? Warum sind Meldungen wie die von Infineon und Bosch nicht an der Tagesordnung? Ein Grund dürfte in einer verspürten Alternativlosigkeit liegen. Unternehmen tendieren dazu, auf „die Marktpraxis“ zu

schauen und scheuen einen Weg abseits der ausgetretenen Pfade. Auch wenn dies dem Unternehmensinteresse dienen würde. Dies gilt insbesondere bei einem so sensiblen Thema wie der Vergütung. Doch gerade das Performance Management oder die Vergütung bieten Chancen, sich auf dem Bewerbermarkt zu differenzieren. Ein One size fits all-Ansatz verbietet sich unter dieser Prämisse geradezu. Ein tiefer Eingriff in ein lang praktiziertes System erfolgt jedoch meist nur bei einem hohen Leidensdruck. Denn nicht zuletzt birgt ein solches Projekt auch immer (Reputations-)Risiken für den federführenden Bereich, in der Regel die HR-Abteilung. Unternehmensführungen befürchten meist, ein Abschaffen individueller Boni könnte von den Mitarbeitern als falsches Signal interpretiert werden. Eine High-Performance-Kultur ohne individuelle Anreize – das passt für viele einfach nicht zusammen. In die gleiche Richtung zielt das Argument, dass sowohl Aktionäre als auch Leistungsträger im Unternehmen eine individuelle variable Vergütung fordern würden. Dem kann allerdings entgegen gehalten werden, dass auch weiterhin leistungsdifferenzierende Entscheidungen, zum Beispiel bei Gehaltsentwicklungen und Karriere, getroffen werden. Und anstelle der Abkehr von einer Leistungskultur kann durch den Verzicht auf eine Honorierung von Individualzielen oftmals sogar das Gegenteil erreicht werden, weil man einem Silo-Denken und einer Mentalität der Selbstoptimierung nicht weiter Vorschub leistet. Das Führen über Ziele erfährt zudem eine neue Qualität, weil Beurteilungsgespräche ohne Bonuskopplung weniger den Charakter einer Gehaltsverhandlung haben, sondern stärker auf die Entwicklung der Mitarbeiter und damit auch der Organisation insgesamt fokussieren. Zuletzt dürfte viele Unternehmen aber vor allem eines abschrecken: die Entkopplung der Zielvereinbarungen von der Entlohnung stellt höhere Anforderungen an die Führungskräfte. Sie müssen ihre Führungsaufgabe stärker inhaltlich ausfüllen und können sich nicht auf einen formalisierten Zielvereinbarungsprozess berufen. Dies erfordert eine gewisse Reife, sowohl

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ANALYSE

Handlungsoptionen: Optimieren, Ersetzen oder Entkoppeln Trotz des Beharrungsvermögens: Die Beispiele Infineon und Bosch zeigen, dass die Diskussion um das Verhältnis von Motivation und Vergütung in der Praxis angekommen ist. Es soll an dieser Stelle aber auch nicht der Eindruck entstehen, dass auf Zielvereinbarungen basierende Boni grundsätzlich ein Auslaufmodell wären. Nach wie vor sind sie in vielen Unternehmen ein bewährtes und gemeinhin akzeptiertes Instrument. Und gut ausgestaltete Systeme können durchaus positiv wirken. Im Vertrieb sind klassische Bonus- und Tantiemesysteme oft ein unverzichtbares Führungsinstrument. Es gilt jedoch, die bestehende Praxis zu hinterfragen, um die Anforderungen an das Performance Management und die Vergütung adäquat abzubilden. Als Startpunkt einer Diskussion über individuelle Boni in den Unternehmen eignen sich einige Leitfragen: • Welche positiven und negativen Erfahrungen haben wir bisher mit individuellen Boni gemacht? • Passen individuelle Boni vor dem Hintergrund des Geschäfts- und Organisationsmodells und damit der unterschiedlichen Tätigkeiten sowie der (angestrebten) Unternehmenskultur zu uns? • Wie können und wollen wir unsere Mitarbeiter motivieren? Änderungen an der Steuerungslogik und an variablen Vergütungssystemen müssen im Kontext der Gesamt- und HR-Strategie sowie der übrigen Instrumente und Systeme gesehen werden. Ein Patentrezept, das für alle Organisationen gilt, existiert nicht. Es bedarf einer kritischen Reflexion des Status quo, eines Ableitens von als notwendig erkannten Maßnahmen sowie deren konsequente Umsetzung. Am Ende eines solchen Prozesses können – sofern Handlungsbedarf vorliegt – verschiedene Optionen stehen, die sich stets an den spezifischen Anforderungen der Unternehmen orientieren sollten.

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Option 1: Optimieren Das Ergebnis der Überprüfung kann zunächst eine Optimierung des bestehenden Performance-Management-Systems und der Vergütungslandschaft sein. Dies bietet sich insbesondere an, wenn an der grundsätzlichen Logik der individuellen Anreizsetzung und Vergütung nicht gerüttelt werden soll. Im Fokus sollten dann Verbesserungen einzelner Elemente stehen, wie zum Beispiel konkretere Vorgaben im Zielvereinbarungsprozess oder die Sicherstellung einer einheitlichen Anwendung des Systems, die beispielsweise über Schulungen der Führungskräfte erreicht werden kann.

Option 2: Ersetzen Bei einer zunehmenden Zahl von Unternehmen lässt sich beobachten, dass starre Zielbonussysteme durch (diskretionäre) Performance Ratings ersetzt werden, die die Höhe des individuellen Anteils an der variablen Vergütung bestimmen. Diese ganzheitliche Form der Leistungsbeurteilung bietet mehr Flexibilität für den Vorgesetzten oder das beurteilende Führungsteam und wird komplexen Organisationen dadurch vielfach besser gerecht. Ein solches System muss sich allerdings häufig dem Vorwurf aussetzen, eine zu hohe Subjektivität zu etablieren und eher einem „Nasenfaktor“ zu gleichen. Bei näherer Betrachtung besteht in der Praxis aber oft kein Unterschied zwischen der (vermeintlichen) Subjektivität von Performance Ratings und der (scheinbaren) Objektivität von Zielvereinbarung und -messung, zumindest wenn man die Ergebnisse vergleicht.

Option 3: Entkoppeln Die dritte Option entspricht dem Vorgehen von Infineon und Bosch – die Entkopplung von individuellen Zielen und variabler Vergütung. Dieser Weg stellt einen radikalen Bruch mit der gegenwärtigen Marktpraxis dar und erfordert in gewisser Hinsicht ein Ausbrechen aus bisherigen Denkmustern. Das Ergebnis ist eine Änderung der Philosophie in der Steuerung durch eine Konzentration auf den Gesamterfolg unter Beibehaltung eines Managements by Objectives.

Eine individuelle Leistungsdifferenzierung – zuvor über die variable Vergütung hergestellt – kann dann beispielsweise über die Entwicklung der Grundgehälter abgebildet werden. Und herausragende individuelle Leistungen können weiter gesondert honoriert werden – über zeitnahe Sonderprämien, die direkten Bezug zu diesen Leistungen haben oder über nicht-monetäre Belohnungen. Wenige Unternehmen beschreiten diesen Weg bislang. Vieles spricht aber dafür, dass sich dies in naher Zukunft ändern wird.

Führung muss immer den Rahmen schaffen Aber unabhängig davon, welcher Weg eingeschlagen wird: Neben Veränderungen an den Systemen braucht es einen stärkeren Fokus auf die Führungskultur. Die Motivation, also „das Wollen“, hängt auch immer am „Dürfen“. Führung muss die Rahmenbedingungen schaffen, dass Motivation auch tatsächlich gelingen kann. Mitarbeiter brauchen ein Umfeld, in dem sie Vertrauen und Wertschätzung für ihre Arbeit verspüren. In dem sie Gestaltungsmöglichkeiten haben und dafür auch finanziell angemessen honoriert werden. Das ist Voraussetzung für Motivation und damit für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg – unabhängig von individuellen Bonuszahlungen.

Michael Bursee ist Partner bei der Unternehmensberatung EY im Bereich People Advisory Services und Honorarprofessor an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management. Er berät Unternehmen bei der Gestaltung von Vergütungssystemen und des Performance Managements für Mitarbeiter und Führungskräfte.

Heiko Wälz ist Manager bei der Unternehmensberatung EY im Bereich People Advisory Service. Er berät Unternehmen bei der Gestaltung von Vergütungssystemen und des Performance Managements für Mitarbeiter und Führungskräfte.

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der Führungskräfte als auch der Unternehmenskultur, die sich manche Organisationen offenbar selbst nicht attestieren.


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„ Interne Mobilität wird wichtiger“ Rob Schokker General Manager Human Resources 3M

Mein erstes eigenes Geld verdiente ich als… Küchenhilfe in einem Restaurant in s-Hertogenbosch. 3M ist ein guter Arbeitgeber, weil… wir unseren Mitarbeitern breite Karrieremöglichkeiten bieten. Es gibt nur wenige Unternehmen, bei denen man innerhalb des Konzerns in unterschiedlichen Branchen Karriere machen kann – von Health Care bis Automobil. Und das ist nur ein Aspekt. Wer innovativ sein will, muss heute… Trends antizipieren und sich ständig selbst neu erfinden. Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit sind die Schlüsselwörter. Ein Rat, der mir oft weitergeholfen hat, ist… „Nimm Dir Zeit, um die Gründe für Change-Prozesse zu erklären, statt Dich nur dem Wie und Was zu widmen“. Wenn ich nicht Manager geworden wäre, dann… wäre ich Individualreiseanbieter für exotische Ziele. Ein guter HR-Manager sollte vor allem… eine Brücke zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeitern schlagen und diese erfolgreich durch Change-Prozesse führen.

Ein HR-Thema, das in Unternehmen noch immer zu kurz kommt, ist… Mitarbeiter zu ermutigen, neue Herausforderungen und Rollen anzunehmen. Als Unternehmen müssen wir kontinuierlich auf ein sich veränderndes Umfeld reagieren. Dadurch ändern sich auch die Anforderungen an die Mitarbeiter. Interne Mobilität wird immer wichtiger. Die Monarchie in den Niederlanden ist… was ein kleines Land verbindet. Sie steht für konstante Werte in einer Zeit immer schnellerer Veränderung. Es ist natürlich auch ein bisschen Nostalgie und eine Visitenkarte für die Niederlande. Die holländische Arbeitskultur unterscheidet sich von der deutschen… nicht so sehr, wie manche vielleicht denken. Deutsche streben vielleicht etwas mehr nach Perfektion – Holländer neigen dazu, flexibler zu sein. Deutschland ist bekannt für seine Ingenieurskunst. Holland ist traditionell eher eine Handelsnation. Eine perfekte Kombination. Ein Vorbild meiner Jugend war… John F. Kennedy. Neuss ist nicht der Nabel der Welt, aber… für mich schon! Mein erstes Musikalbum war… Weekend von Earth and Fire.

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Ein guter Morgen beginnt für mich… mit den Stimmen meiner drei Kinder. Performance Management sollte… wichtigste Führungsaufgabe sein und kontinuierlich gelebt werden. Ein Buch, das mich inspiriert hat, ist… Multipliers von Liz Wiseman. Ein tolles Buch für Manager. Es beschreibt, wie das eigene Verhalten die Leistung von Mitarbeitern beeinflusst. Post-it-Zettel braucht man auch im digitalen Zeitalter, weil… das Mobiltelefon nicht am Kühlschrank klebt.

Rob Schokker begann seine Laufbahn bei 3M vor 16 Jahren in den Niederlanden. Nach verschiedenen Positionen in Sales, Marketing und Business Development übernahm er 2010 die Verantwortung für das Personalwesen von 3M in der Benelux Region. Heute ist er als General Manager Human Resources bei 3M verantwortlich für rund 7.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der 47-jährige Vater von drei Kindern hat International Business & Languages studiert und hält einen MBA der Henley University of Reading.

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