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passiv-villen Die Architektur der Gruppe Sieben

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GRUPPE SIEBEN. Band 1


WHITE SURFACES PASSIV-VILLEN Die Architektur der Gruppe Sieben

Fotos Thomas Keil


Alle Rechte vorbehalten Š 2010 by Surface Book, Darmstadt Herausgeber Planungsbßro Gruppe Sieben, Rimbach, www.gruppe7.de Redaktion Gerd Ohlhauser, Darmstadt, www.surface-book.de Fotos Thomas Keil, Rimbach, www.fotostudio-keil.de Bildkomposition Gerd Ohlhauser, www.surface-book.de Bildbearbeitung Lasertype GmbH, Darmstadt, www.lasertype24.de Gestaltung, Layout und Satz Nikola Schulz, Hausgrafik, Darmstadt, www.hausgrafik.de Umschlag Gerd Ohlhauser/Hausgrafik, Darmstadt unter Verwendung eines Fotos von Thomas Keil Gesamtherstellung Frotscher Druck GmbH, Darmstadt, www.frotscher-druck.de Printed in Germany ISBN 978-3-939855-20-0


www.surface-book.de


Die Häuser haben das Farbschema moderner städtischer Architektur: weiße Baukörper mit sachlich grauen, technisch-konstruktiven Elementen. Aufs Land versetzt aber bekommen sie den Habitus einer Villa.


DIE BAUTEN DER GRUPPE SIEBEN. Städtische Architektur für eine ländliche Region ...Seite 8 PASSIVHÄUSER. Energiesparen zugunsten des Wohnklimas ...Seite 22 DIE VILLA IST WEISS. Zur Geschichte und Farbpsychologie eines Haustyps ...Seite 26 bauten der gruppe sieben fotografiert von Thomas Keil ...Seite 32 Surface Book ...Seite 188 DANKSAGUNG ...Seite 192


DIE BAUTEN DER GRUPPE SIEBEN. Städtische Architektur für eine ländliche Region. Fast alle Häuser, die das Planungsbüro Gruppe Sieben entworfen und gebaut hat, sind weiß, nur gelegentlich ist das Weiß erdfarbig gebrochen. Dieses Weiß idealisiert die elementar einfache Form des Baukörpers, der von klar definierten Flächen gebildet wird. Die kompakte Form mag dem Passivhaus geschuldet sein, worauf das Architekturbüro seit seiner Gründung im Jahre 1998 spezialisiert ist; sie vermittelt ganz stark aber auch das Bergende dieser Architektur. Die in ihrer Kompaktheit fast archetypische Bauform ergibt sich aus ihren geschlossenen Außenflächen. Fenster, waagrecht oder senkrecht in die Wand geschlitzt, reißen sie nicht auf, sondern betonen gar noch ihre Flächigkeit. Und eng aneinander gereihte großflächige Fenster, jalousienverhangen zumal, bilden selbst so etwas wie eine geschlossene Wand. Die großflächigen dunklen Glaswände zum Süden hin sowieso. Die Dächer sind flach gesattelt, zuweilen ist nur eine pultförmig schräge Fläche auf den quaderförmigen oder kubischen Baukörper appliziert. Ebenso wie die anderen Applikationen, wie außen hochgeführte Treppen, Vordächer oder Jalousien, sind sie materialgrau abgesetzt, grau verzinkt, silbern verchromt oder im Grau des Betons. Über diese meist stark konstruktiven Elemente finden die Bauten leicht Bezug zu den Strukturen der Natur, zu Bäumen mit schlankem wie knorrigem Geäst, zu wildwüchsigen wie kultivierten Büschen. Wo sie noch dazu vorhandene Substanz aufgreifen und etwa ein altes Mauerwerk aus Naturstein integrieren, finden sie darüber erst recht die Verbindung zur Landschaft. Die Häuser haben das Farbschema moderner städtischer Architektur: weiße Baukörper mit sachlich grauen, technisch-konstruktiven Elementen. Aufs Land versetzt aber bekommen sie den Habitus einer Villa, eigenständig, in sich ruhend und vornehm repräsentativ. Im


Ursprung war die Villa tatsächlich oft der repräsentative Landsitz des Stadtadels. Sie hatte immer eine Gartenfläche, aber diente in der Regel nicht landwirtschaftlichen Zwecken. Deshalb war sie nach städtischer Art gebaut. So sind auch die Bauten der Gruppe Sieben eher städtische Architektur auf dem Land. Häufig sogar, wie die klassische Villa, erhebend symmetrisch, mit vorgelagertem großen Garten oder gepflegter Wiese, großer Terrasse oder herrschaftlichem Hof. Formal erfüllt diese Architektur alle Anforderungen der gesetzlichen Bauordnung, wonach bauliche Anlagen mit ihrer Umgebung derart in Einklang zu bringen sind, dass sie das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild nicht verunstalten oder beeinträchtigen, bringt aber dennoch moderne Urbanität aufs Land. Sie steht im Einklang mit der Umgebung und dem ländlichen Raum, aber nicht als die übliche Angleichung an die vorgegebene Siedlungscharakteristik. Ein solches Verständnis würde den Status quo ja nicht nur verfestigen. Die weltoffene Architektur der Großstädte ließe ein bewahrendes Bauen auf dem Lande immer mehr hinter sich und hätte schließlich eine dauerhafte Ausgrenzung aus der Zukunft zur Folge. Die Gruppe Sieben passt sich nicht an, sondern übersetzt das Vorgefundene in moderne Formen und Materialien. Bei der Sanierung ihres eigenen Hauses zum Beispiel nehmen die Architekten die traditionellen Fensterlaibungen und den Dachüberstand zurück und verputzen den verbleibenden kompakten Baukörper glatt und weiß. Auf die solchermaßen idealisierte Form applizieren sie additiv Metall- und Glaskonstrukte für das Treppenhaus, den Anbau und die rückwärtige Eingangsüberdachung. In Form ländlicher Schuppen legen sie auf den weißen Kubus ihres neuen Bürotrakts dahinter ein metallisches Pultdach, ebenso als Unterstand und Träger von 8|9 Solarelementen über den Hof dazwischen. Treppenaufgang, Überdachung des um-



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laufenden Laubengangs und so weiter werden wieder nur appliziert. Vereinfachung, Addition, Materialkontrast und -mix sind ihre Mittel der Angleichung. Hergebrachte Integration dagegen würde die Idealisierung gleich wieder aufheben. Auch im Innern idealisiert die Gruppe Sieben mit mehr oder weniger den gleichen Mitteln. Sie nennt es Raumbewusstsein schaffen. Dabei schärft Weiß nicht wie außen die Konturen des Baukörpers, im Gegenteil, es entgrenzt, indem es die Wände gewissermaßen entmaterialisiert. Es schafft Räumlichkeit, es schafft Raum, ohne zu begrenzen. Das Ergebnis ist weniger spektakulär als seriös. Allein die wie zufällig über die Wand verstreuten waagrechten oder senkrechten Fensterschlitze sind ungewöhnlich und, da sie an allen seinen Bauten auftauchen, so etwas wie das Markenzeichen des Architekturbüros auf der Außenfassade. Im Innern zeigen die breit- oder hochgezogenen Schlitze dem Bewohner mehr von draußen denn ein Standardfensterformat. Denn je breiter oder höher der Schlitz, umso mehr wird das Auge das schmale Bild im Fenster ergänzen. Wo schon seine extremen Proportionen den Raumeindruck erhöhen, wird dadurch der gefühlte Raum noch größer. Und so oder so räumen schmale Schlitze auch mehr Stellfläche an den Wänden ein.


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Seiten 10/11: Die Bauten der Gruppe Sieben haben das Farbschema moderner städtischer Architektur: weiße Baukörper mit sachlich grauen, technisch-konstruktiven Elementen. Aufs Land versetzt aber bekommen sie den Habitus einer Villa, wie seit alters her der Landsitz des Stadtadels genannt wird. Seite 13: Das Markenzeichen der Gruppe Sieben – wie zufällig über die Wand verstreute Fensterschlitze. Seiten 14/15: Modernisierung und Idealisierung des Altbaus durch Weglassen der traditionellen Fentsterlaibungen und des Dachüberstands. Seiten 16/17: In Einklang mit der Umgebung – metallisches Pultdach auf dem weißem Büroblock in der tradierten Form ländlicher Schuppen, ebenso als Unterstand und Träger von Solarelementen über dem Hof davor. Seite 18: Addition statt hergebrachter Integration – an den idealisierten Büroblock applizierter Treppenaufgang. Seiten 20/21: Ländlicher Pool – über den Sandstein-Findling verbindet sich die ländliche Um18|19 gebung mit dem Modernen.



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PASSIVHÄUSER. Energiesparen zugunsten des Wohnklimas. Der zugelassene Energieberater und Nachweisberechtigte für Wärmeschutz, Mitglied im Arbeitskreis Kostengünstige Passivhäuser des Passivhausinstituts Darmstadt plant und baut energiesparend. Mit seinem Planungsbüro, der 1998 gegründeten Gruppe Sieben, hat sich Peter Hinz im Passivhausbau einen Namen gemacht. Dabei schätzt er nicht allein die wirtschaftlichen Vorteile und umweltschonenden Aspekte des Passivhauses, sondern vor allem dessen gutes Wohnklima und Luftqualität. Wärmeisolierung, Energierückgewinnung, Wärmetauscher, die der Abluft und dem Abwasser die Restenergie entziehen und wieder in den Heizkreislauf zurückführen, Solar- und Photovoltaikanlagen sind neben anderen die Mittel des Energiespar- und Passivhauses. Dadurch erhöhte Baukosten werden von geringeren Betriebskosten, Nachhaltigkeit, höherer Wertbeständigkeit und am Ende schnellerer Tilgung der Baufinanzierung kompensiert. Klimabelastende fossile Energieträger werden von „passiven“ Quellen, wie Sonneneinstrahlung und Abwärme von Personen und technischen Geräten ersetzt. Das Ergebnis ist nicht nur ein niedrigerer Energieverbrauch, sondern eben auch eine positive Raumwahrnehmung und höhere Behaglichkeit. Das liegt einerseits an der konstanten Innentemperatur des Passivhauses sowohl über alle Räume als auch über das ganze Jahr hinweg. Da sie sich allenfalls nur sehr langsam ändert, bleibt sie so selbstverständlich und unbemerkt wie die Luft zu atmen. Wände und Böden haben dieselbe Temperatur. Also gibt keine „kalten“ Außenwände oder Fußböden. Lästige Zugluft und Schimmelbildung sind somit ausgeschlossen. Im Sommer bleibt das Gebäude ohne Klimaanlage angenehm kühl. Filterung und kontrollierte Lüftung sorgen außerdem für eine bessere Qualität der Raumluft


im Vergleich zur Außenluft. Da im Passivhaus zusätzliches Lüften nicht notwendig ist, lässt sich auch die Luftfeuchte optimieren und relativ konstant halten. Beste Voraussetzungen für Wohlbefinden und Gesundheit. Aber der Energiefachmann ist auch Architekt. Zum behaglichen Wohnklima gehört für ihn gleichermaßen, ein starkes Raumbewusstsein zu erzeugen, in dem Nutzen und Komfort auch sichtbar und erlebbar werden. Wo durchgehend die gleiche Innentemperatur herrscht, kann man Räume ganz anders gestalten und dimensionieren, öffnen, ineinander laufen lassen, verbinden, etagenübergreifend luftige Höhe gewinnen lassen oder sie in Flure und Treppenhäuser ausdehnen. Dem klaren und einfachen, vornehm wirkenden Baukörper außen entspricht die Großzügigkeit der Raumaufteilung mit klar strukturierten intelligenten Detaillösungen im Innern. Auch die Räume zeigen die Erhabenheit klassischer Architektur zuweilen mit ihrer typischen achsensymmetrischen Gliederung, auch wenn es der Grundriss nicht erwarten lässt. Für die Wahrnehmung des Raumes wecken die langen Fensterschlitze auf der ansonsten geschlossenen Nordseite eine Illusion von Weite oder Höhe. Und je nachdem, ob waagrecht oder senkrecht, strecken oder erhöhen sie den Raum optisch. Ebenso öffnet die Reihung der Fenster oder die Glaswand auf der Südseite nach draußen: für den Einfall des wärmenden Sonnenlichts im Winter wie für den freien und befreienden Blick auf das Panorama der Landschaft. Wie auf der Außenfassade, so setzt die Gruppe Sieben auch im Innern auf Weiß. Nicht nur, weil das ausstrahlende Weiß die Räume dehnt und größer erscheinen lässt, sondern weil es die Erdenschwere aufhebt, die Wände gewissermaßen entmaterialisiert. Weiß schafft Raum 22|23 und öffnet zum äußeren Raum. Räumlichkeit, der räumliche Eindruck, ist das Ideal



der Architektur: Raum schaffen, ohne zu begrenzen. – Ein Paradox? Nicht, wenn man, wie die Gruppe Sieben, den Bedeutungsgehalt der Farben einbezieht. Denn farbpsychologisch steht Weiß für eine idealisierte Schein- oder Ersatzwelt, die der bedrückenden Realität enthebt. Weiß stillt gewissermaßen die unbewusste Erwartung an die eigenen vier Wände nach Unabhängigkeit und Uneingeschränktsein.

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DIE VILLA IST WEISS. Zur Geschichte und Farbpsychologie eines Haustyps. Seine Häuser haben immer etwas von einer Villa: in sich ruhende, einfache, reinweiße Baukörper mit flachen Dächern und klaren Außenflächen. Dafür braucht das Planungsbüro Gruppe Sieben keine postmodernen Stilzitate. Die großzügige, gleichwohl kompakte, elementare Bauform des Hauses selbst ist das Zitat, eine moderne Interpretation der klassischen Villa. Auch die Standorte der Häuser entsprechen der Villa, wie man ursprünglich ein freistehendes vornehmes Einfamilienhaus eines wohlhabenden Bürgers auf dem Lande bezeichnete. In der Antike war die Villa oft der repräsentative Landsitz des Stadtadels, sie hatte immer eine Gartenfläche und diente in der Regel nicht landwirtschaftlichen Zwecken. Deshalb war sie nach städtischer Art gebaut. Auch die Architektur der Gruppe Sieben zeigt den Habitus des Stadthauses, hat ebenfalls, wo möglich, einen vorgelagerten großen Garten, befindet sich aber in einer eher ländlichen Siedlungsstruktur. Also liegt es nahe, wenn es um die farbliche Gestaltung des Baus geht, aus der Betrachtung der historischen Farbigkeit dieses Gebäudetyps Hinweise für seine zeitgemäße, formgerechte Farbgestaltung zu bekommen. Bei der Gestaltung der Villa wurde viel Wert auf ein repräsentatives Äußeres gelegt. Als ausschließlich bürgerliche Wohnform – ähnliche Wohnhäuser des Adels sind Schlösser – erreicht sie ihren Höhepunkt in der Renaissance. Die neu entstandene Aristokratie der norditalienischen Stadtrepubliken wetteifert regelrecht um die schönsten Villen, die jetzt zum Inbegriff repräsentativer Wohnkultur und verfeinerter Lebensart werden. Der Architekt Palladio steigt mit klaren klassischen Baukörpern zum bekanntesten Villenbaumeister auf. Nach ihrer Verdrängung durch den Feudalismus taucht die Villa erst wieder als Wohnform der Bürgergesellschaft auf, die mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts entsteht. Sie sieht ihre Vorbilder nicht im feudalistischen Adel, sondern in der bürgerlichen Antike und Renaissance.


Mit wachsendem Wohlstand weiter Kreise des Bürgertums im 19. Jahrhundert nimmt der Bedarf an repräsentativem Wohnraum stetig zu. Die Nachfrage nach Villen, die sowohl den höchsten Status als Wohnraum genießen, wie auch mit ihren großen Wohnflächen genügend Platz für ausgedehnte Familien und umfangreiches Personal bieten, steigt rapide an. In der Mitte des 19. Jahrhunderts erreicht der Villenbau eine solche Ausdehnung, dass in vielen größeren Städten Vororte ausschließlich aus Villen entstehen. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung werden ab Mitte des Jahrhunderts ganze so genannte Villenkolonien auf dem Reißbrett entworfen. Dabei werden neben der Villenbebauung auch repräsentative Platzanlagen, Alleen, Einkaufsbereiche und Parks in passendem Stil mit angelegt. Zum Ende des Jahrhunderts entsteht die neue Bauform der Doppelvilla, die Elemente häufig in die Straßenfront eingebauter Stadtvillen mit der freistehenden Landvilla kombiniert und zum Teil reihenweise in Villenvierteln gebaut wird. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erlebt der seit der Gründerzeit anhaltende Boom des bürgerlichen Villenbaus einen neuen Höhepunkt, um dann mit Ende des ersten Weltkriegs abrupt abzubrechen. In den 1920er und 1930er Jahren setzt sich, bedingt durch die ökonomische Krise, der neue, schmucklose Geschmack der Moderne durch. Die Villa als Bauform spielt nach Ende des zweiten Weltkriegs eine nur mehr untergeordnete Rolle und wird in den 1950er Jahren vom flachen Bungalow abgelöst. Erst mit der Postmoderne in den 1980er Jahren und der Wiederentdeckung der noch erhaltenen historischen Villen (insbesondere in Ostdeutschland) und dem daraufhin einsetzenden Renovierungsboom gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts erlebt die Villa eine neue Blüte. Durch alle historischen Epochen hindurch ist Weiß die Farbe der Villa. Palladios Villen sind 26|27 materialfarbig in weißem Marmor gebaut. Das „Weiße Haus“ in Washington ist


weiß, die Villa Hügel in Essen ist weiß, die Eingangsfassade der Villa Massimo in Rom ist weiß von ihren rosafarbenen Flügelgebäuden abgesetzt. Wenn nicht komplett weiß, so heben sich zumindest die repräsentativen Portalelemente weiß vom Gebäudekörper ab, der selbst nackt im roten Ziegelsteinmauerwerk ausgeführt sein kann. Weiß ist die Materialfarbe des Marmors, mit dem die römische Antike und ihre Wiedergeburt im 15. Jahrhundert, die Renaissance, Wohlhabenheit und Stil demonstriert. Diese Wahrnehmungsgewohnheit ist dafür verantwortlich, dass bei der Wiederentdeckung der bis dahin im osmanischen Reich unzugänglich verschlossenen griechischen Antike im 18. Jahrhundert die polychrome Farbigkeit, die der ausgegrabene weiße Marmor ursprünglich trug, übersehen wird. Die aufklärerischen Ideale der französischen Revolution orientieren sich nicht nur an den Prinzipien der griechischen Demokratie. Sie setzen der absolutistischen Herrschaft mit ihrem ausschweifenden höfischen Stil auch die vermeintliche Einfachheit der griechischen Antike entgegen. Der neue klassische Stil, der Klassizismus, ist einfach, rational, präzise geometrisch und neutral materialfarbig. Er steht gegen die frivole Sinnesbetörung des klerikalen und höfischen Barock und Rokoko für höhere innere Werte. Die nüchterne, verstandesgeleitet pragmatische Haltung des aufstrebenden Bürgertums findet ihre angemessene äußere Form in klaren geometrischen Grundformen, in strenger Rechtwinkligkeit und Symmetrie und im Verzicht auf Ornament und Dekor. Die Farbe des Klassizismus ist weiß, die Materialfarbe des Marmors, oder hell mit dem Weiß nahen Tönen wie „Hechtgrau“ und „Strohgelb“ (Edgar Diehl, Farbzeiten, Klein Jasedow, 2005, S. 200) oder einfach steinfarben entsprechend der Materialfarbigkeit des verfügbaren Bausteins oder Naturputzes. Die irrtümliche Verknüpfung der Farbe der antiken Ruinen mit


der antiken Ideenwelt macht Weiß bis heute zur Farbe der Wissenschaft, Wahrheit, Vollkommenheit und Unschuld, zur Farbe der Sachlichkeit, Rationalität, Klugheit, Konzentration, Einfachheit und Bescheidenheit, zur Farbe der Ruhe, Reinheit und Sauberkeit, aber auch der Festlichkeit und Erhabenheit. Und der klassizistische Stil eignet sich insbesondere zur Darstellung der Erhabenheit einer Villa. – Die klaren Baukörper der Gruppe Sieben stehen in der Tradition des klassizistischen Konzepts. Farbpsychologisch steht Weiß für eine eingebildete, idealisierte Schein- oder Ersatzwelt, die sich der bedrückenden Realität enthebt. Und sie steht, darin entspricht sie ganz den Triebkräften des frühen Klassizismus, für die Auslöschung eines Leitbildes, vor allem dem einer Autorität (nach Heinrich Frieling, Der Frieling-Test, Göttingen 1974, Weiß, S. 91/92) und für das Selbst-Herausragen-Wollen. Die Häuser der Gruppe Sieben sind selbstbewusst. Sie unterwerfen sich weder dem Einheitlichkeitsprinzip aufgereihter Neubausiedlungen noch werden sie folkloristisch von heimeliger oder heimatlicher Romantik verniedlicht. Das selbstbewusste Auftreten der Bauten lässt den Verdacht übertriebener Ordnungsliebe oder mangelnden Mutes zur Farbe, der den Verwendern von Weiß häufig unterstellt wird, gar nicht erst aufkommen. Im Gegenteil, Weiß bewahrt und unterstreicht die Reinheit des klassischen Konzepts. Die kompakte Form des Baukörpers, nicht seine materielle Substanz werden betont. In Kombination mit dem reinen Weiß verlieren auch das Zinkgrau und der Chromglanz der Metallbauteile, mit der die Gruppe Sieben ihre Baukörper konstruiert, an Materialität. Denn diese werden zuallererst in ihrer Farbe wahrgenommen. Wo sich die Architekten auf eine materielle Färbung des Weiß eingelassen haben, verlieren 28|29 die Bauten an Prägnanz und Präsenz. Allenfalls ein helles Gelb, die expansivste


aller Farben, mag noch funktionieren. Vermutlich bekäme die Villa damit eine feine, fast schöpferische Note. Denn als Farbe hat es Gelb viel leichter, mit den Umgebungsfarben und selbst dem metallischen Grau der Konstruktionselemente in Bezug zu treten als das affektlose Weiß. Reines helles Gelb ohne Rot- und Schwarzanteile wirkt in gewisser Weise ebenso immateriell wie Weiß.


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Das Planungsbüro Gruppe Sieben GmbH & Co. KG wurde 1998 von Peter und Luise Hinz in Rimbach im Odenwald gegründet. Inzwischen ist es, auch Dank der Mitarbeit von Joachim Klinger, zum führenden Architekturbüro von Passivhäusern in der Region aufgestiegen. Die Abbildungen entstammen acht von ihm seit 2003 geplanten Häusern. Wir danken deren Eigentümern für die freundliche Abdruckerlaubnis.



Die von der Gruppe Sieben entworfenen Häuser haben das Farbschema moderner städtischer Architektur: weiße Baukörper mit sachlich grauen, technisch-konstruktiven Elementen. Aufs Land versetzt aber bekommen sie den Habitus einer Villa.

ISBN 978-3-939855-20-0


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