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Schön langsam wächst die Awareness“
Aufs Herz gebracht: Transthyretin-Amyloidose mit Kardiomyopathie frühzeitig erkennen und therapieren
Die kardiale Manifestation der ATTRAmyloidose ist in der Vergangenheit aufgrund der Heterogenität der Symptome oft übersehen bzw. erst spät diagnostiziert worden – mit entsprechend negativen Konsequenzen für die Prognose der betroffenen Patientinnen und Patienten. Das hat sich erfreulicherweise in den letzten Jahren verändert. Für die Früherkennung und Begleitung der Patienten ist die Zusammenarbeit zwischen Fachexperten unterschiedlicher Disziplinen essenziell.
HAUSÄRZT:IN: Warum hat die kardiale ATTR-Amyloidose jüngst an Aufmerksamkeit gewonnen?
OA Dr. EBNER: Weil die Diagnostik einfacher wurde und weil uns heute verschiedene Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Grundsätzlich unterscheiden wir ja zwei Formen der Amyloidose, beide sind Eiweißspeichererkrankungen: die AL-Amyloidosen, bei denen krankhafte Plasmazellen im Knochenmark strukturell veränderte Leichtketten produzieren – sie werden von den Kolleginnen und Kollegen der Onkologie behandelt –, und die beiden Manifestationen der ATTR-Amyloidose, bei der es zur Ablagerung von fehlgefaltetem Transthyretin kommt, welches in der Leber gebildet wird: die primär neurologische Form mit Polyneuropathie (ATTR-PN) sowie die kardiale mit Kardiomyopathie (ATTR-CM) – entweder als mutierte (mATTR) oder als WildtypForm (wtATTR). Erstere kann schon in jüngeren Jahren auftreten und vererbt werden. Die Wildtyp-Form hingegen tritt erst im höheren Alter auf, etwa von 70 Jahren aufwärts. Früher hat man sie auch als senile Amyloidose bezeichnet. Wichtig ist zu betonen: Mischformen sind häufig. Die fehlgefalteten Proteine werden auch bei der primär kardialen Manifestation nicht allein im Herz abgelegt, sondern im ganzen Körper – die Amyloidose ist, wenn man so will, eine ubiquitäre Erkrankung. Dass viele Betroffene ein Herzproblem bekommen, hängt oft damit zusammen, dass dieses sie auf der Endstufe der Erkrankung symptomatisch macht.
Auf welche Red Flags können Haus- und niedergelassene Fachärzt:innen achten?
Erkennungszeichen gibt es meist schon lange vor den ersten kardialen Symptomen. Die Verlaufsformen können sehr unterschiedlich sein. Polyneuropathien sind z. B. ein Red Flag, werden aber nicht immer gleich mit einer Amyloidose assoziiert. Das ist verständlich. Denn Polyneuropathien sind für Neurologen keine seltene Erkrankung. Nur ein sehr kleiner Anteil davon tritt im Vorfeld bei Amyloidosen auf. So haben etwa auch unsere kardiologischen Patienten immer wieder Gefühlsstörungen in den Beinen. Ebenfalls ein Red Flag ist das Karpaltunnelsyndrom: Die Gewebe saugen sich bei einer Amyloidose mit den Eiweißkörpern an, ebenso das Bändchen im Handgelenk. So kann ich bei einem 80-jährigen Patienten mit Herzschwäche/Atemnot, der einen deutlich verdickten Herzmuskel im Ultraschall hat, außerdem ein Karpaltunnelsyndrom ein- oder beidseitig, schon darauf tippen, dass eine kardiale Amyloidose vorliegt. Es gibt also Pre-Marker, sie werden aber immer erst im Kontext des Gesamtbildes stimmig. Manche Betroffene haben – eher uncharakteristisch – auch Kopfschmerzen oder Magen-Darm- oder Augen-Probleme, wenn es in diesen Körperbereichen zu Ablagerungen im Gewebe kommt. Theoretisch könnte auch ein Augenarzt die Erstdiagnose stellen. Wichtig ist, dass Haus- und niedergelassene Fachärzte eine gewisse Awareness für die Seltene Erkrankung entwickeln.
Worauf ist bei der Diagnose besonders zu achten?
Bei Verdacht auf Amyloidose ist es wichtig, zuerst die hämatoloonkologische Form auszuschließen. Denn die AL-Amyloidose ist eine sehr gefährliche, rasch fortschreitende Erkrankung. Früher musste man dazu eine Endomyokardbiopsie durchführen. Heute reicht meist die Kombination verschiedener nichtinvasiver diagnostischer Maßnahmen. Ist der Herzmuskel im Ultraschall verdickt, so folgen in der Regel Laboruntersuchungen und parallel eine Knochenszintigrafie. Die Erhöhung des kardialen Biomarkers NT-proBNP ist ein wichtiges Anzeichen für eine ATTR-CM. Die Graduierung der Ergebnisse der Skelettszintigrafie erfolgt nach dem PeruginiScore (Grad 0 bis 3). Bei Patienten mit einer ATTR-Amyloidose sind die kardialen Einlagerungen signifikant höher als bei jenen mit einer AL-Amyloidose. Bei größer/gleich Grad 2 können wir von einer ATTR-CM ausgehen. Bei Grad 1 setzen wir zur Absicherung der Diagnose zusätzlich auf eine Endomyokardbiopsie. Zusätzlich wird eine kardiale Magnetresonanztomografie durchgeführt. Passen die Ergebnisse der drei Untersuchungen zusammen, können wir heute direkt mit der Therapiestrategie starten.
Gibt es einen kurativen Ansatz?
Bei der hereditären Form ja, die Lebertransplantation. Man ersetzt das Organ, in dem das verursachende Protein gebildet wird. Allerdings gibt es viele verschiedene genetische Formen – mit günstiger und weniger günstiger Prognose. Die TTR-Mutationen können vorab durch einen Gentest nachgewiesen werden. Kommt der Patient erst in einer späteren Phase seiner Erkrankung, hat er schlechte Parameter – und ist er bereits malnutriert, dann sind auch durch die Lebertransplantation keine großen Erfolge zu erwarten.
EXPERTE: Dr. Christian W. Ebner
Oberarzt an der 2. Internen Abteilung am Ordensklinikum - Krankenhaus der Elisabethinen in Linz
Bei der genetischen Form sollten auch Verwandte untersucht werden …
Unbedingt! Die hereditäre ATTR-Amyloidose wird autosomal-dominant vererbt. Fällt der Gentest negativ aus, kann man die Verwandten beruhigen. Wird das Gen frühzeitig nachgewiesen, kann man rasch mit einer Therapie beginnen, die es in der Zwischenzeit gibt.
Welche medikamentöse Therapie kommt in Frage?
Von den Genetic Silencers stehen derzeit zwei Präparate zur Verfügung: Patisiran und Inotersen. Beide inhibieren die Produktion von ATTR-CM in der Leber und werden entweder intravenös oder subkutan verabreicht. Die entsprechenden Studien dazu hatten vorrangig neurologische Endpunkte. Bei beiden Präparaten wurden aber auch Untergruppen mit ATTR-Kardiomyopathie angeschaut. Und es zeigte sich, dass die zwei Präparate auch hier wirken. Derzeit sind sie für genetische Varianten zugelassen. Wahrscheinlich würden sie auch gegen den Wildtyp helfen. Das ist natürlich immer auch eine Kostenfrage …
Ein weiteres wichtiges Präparat, das in den letzten Jahren Erfolge gezeigt hat, ist Tafamidis. Was kann es?
Es ist ein sogenannter TTR-Stabilisator. Das Medikament kann also die Krankheit nicht heilen, aber diese zu dem Zeitpunkt einfrieren, zu dem die Therapie begonnen wird. In Studien hat man gesehen, dass es bis zu zwölf Monate dauert, bis sich Erfolge der Therapie gegenüber jenen Patienten zeigen, die das Medikament nicht bekommen. Dann sind sie allerdings signifikant. Je früher die Erkrankung entdeckt wird, umso größer ist also die Chance, dass der Patient das Medikament bewilligt bekommt und noch möglichst lange bei möglichst guter Lebensqualität leben kann.
Worauf ist bei Medikamenten fürs Herz zu achten?
Die üblichen Herzinsuffizienz-Medikamente wie Betablocker und ACE-Hemmer greifen bei unseren Patienten meist nicht bzw. werden sie schlecht vertragen. Auch das kann ein Erkennungszeichen sein. Der Einsatz von Diuretika steht deshalb im Vordergrund.
Worauf kommt es bei der Zusammenarbeit mit niedergelassenen Kolleg:innen an?
Der Zeitfaktor ist sehr wichtig für die Prognose. Die Erstdiagnose kann im Grunde auch der niedergelassene Arzt stellen. Um die innovativen Medikamente ansuchen können allerdings nur von der Kasse auserkorene Zentren. Die niedergelassenen Kollegen weisen uns Verdachtsfälle idealerweise zu. Erfreulich ist: Wir bekommen immer wieder Patienten zugewiesen, die bereits vordiagnostiziert wurden. Nicht zuletzt wissen viele niedergelassene Kollegen mittlerweile um den Wert der Knochenszintigrafie als Diagnostikum. Schön langsam wächst also die Awareness. Die Patienten müssen in der Folge alle drei bis sechs Monate zur Kontrolle ins Zentrum kommen. Wichtig ist für uns, dass sie dazwischen von ihrem Hausarzt/ihrem Internisten betreut werden. Die Betroffenen sind keine einfachen Patienten: Dekompensationen sind häufig. Sie haben viele Komorbiditäten wie Rhythmusstörungen oder Herzklappenfehler. Wir sind also auf die gute Zusammenarbeit mit den Hausärzten angewiesen.
Was erwarten/erhoffen Sie sich von der Zukunft?
Derzeit haben wir Möglichkeiten der Behandlung: bei der hereditären Form die Lebertransplantation und die Medikation, beim Wildtyp hauptsächlich Tafamidis. Auch zu Medikamentenkombinationen und zu innovativen Ansätzen wie In-vivo-Gen- oder Antikörpertherapien wird geforscht. Es gibt also Licht am Ende des Tunnels!
Das Interview führte Mag.a Karin Martin.
Kampagne „Portraits of Progress“...
... startet europaweit
Von der Entdeckung der Hämophilie in den 1940er Jahren1 bis heute wurden unglaubliche Fortschritte im Verständnis und in der Behandlung der Krankheit erzielt. Medizinische Forschung und Innovation sind jedoch nur ein Teil der Geschichte: Die täglichen Auswirkungen auf Patient:innen, ihre Angehörigen und Betreuer:innen sind ebenso wichtig, um das Gesamtbild wirklich zu verstehen. Mit dem Start der europaweiten Kampagne „Portraits of Progress“ möchte CSL Behring Aufmerksamkeit auf die Hämophilie-Gemeinschaft richten und zeigen, wie weit das Wissen zur Erkrankung und die Behandlung der Krankheit in den letzten Jahren gekommen sind. Die Kampagne – in deren Mittelpunkt Porträtaufnahmen von Patient:innen, Pflegepersonal und medizinischen Fachkräften des renommierten Fotografen Rankin stehen – ist ab sofort auf der europäischen Website verfügbar und erzählt die Geschichten von Patient:innen in Fotos und Videos. Dies sind die „Portraits of Progress“ – sehen Sie selbst, wie weit wir bis heute gekommen sind: www.portraitsofprogress.eu.
1 Wolfgang S. The history of haemophilia - a short review. Thromb Research 2014; 134(1): S4-S9.
Quelle: CSL-Behring, September 2022 EUR-OTH-0173 / AUT-GEN-0057