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Disproportionales Wachstum
1. November ist Welt-Akromegalie-Tag: frühe Diagnose und Management im Fokus
Die Schuhe sind zu klein, der Ring passt nicht mehr, der Hemdkragen ist zu eng und die Gesichtszüge wirken gröber ... Auf den ersten Blick mögen jene Symptome harmlos erscheinen, allerdings können sie Ausdruck einer ernstzunehmenden Erkrankung sein. Die Akromegalie ist durch einen Überschuss an Wachstumshormon (GH, Somatotropin) gekennzeichnet, der wiederum zu einer gesteigerten Produktion von IGF-1 („Insulin-like growth factor 1“) in der Leber führt – verantwortlich ist dafür fast immer ein GH-sezernierendes Hypophysenadenom. In der Folge entstehen zahlreiche Beschwerden und Komorbiditäten. Die seltene Erkrankung schreitet langsam voran und wird häufig erst Jahre nach dem retrospektiv ermittelten Krankheitsbeginn diagnostiziert. Zwar können die Behandlungsoptionen eine Heilung oder gute Kontrolle erzielen, aber die Progredienz assoziierter Erkrankungen ist frühestmöglich zu drosseln, um Folgeschäden zu verhindern.
Wegweisende Klinik
Anders als beim Gigantismus, welcher in der Kindheit durch eine GH-Hypersekretion entsteht, tritt im Erwachsenenalter kein Längenwachstum auf, dafür aber die namensgebende Vergrößerung der Akren. Auffällig sind bei Akromegalie-Patientinnen und -Patienten beispielsweise größere Hände und Füße, ein Wachstum der Mandibula und der Nase sowie Gelenkveränderungen. Zudem kann es zu einer Vergrößerung der inneren Orga-
ne kommen. Assoc. Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Greisa Vila, Oberärztin an der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der MedUni Wien, schildert typische durch den Hormonexzess verursachte Probleme: „Besonders im jungen Alter stehen etwa Hypogonadismus und seine Folgen wie Hyperhidrose, Libidoverlust oder extreme Müdigkeit im Vordergrund. Bei Frauen kommt EXPERTIN: es oftmals zu Menstruationsstörungen. Assoc. Prof.in Priv.-Doz.in Orthopädische Beschwerden sind sehr Dr.in Greisa Vila Klinische Abteilung häufig und viele Betroffene klagen über für Endokrinologie und Kopfschmerzen. Große Adenome könStoffwechsel, MedUni Wien nen zudem Gesichtsfeldausfälle hervorrufen. “ Im Durchschnitt werde die Erkrankung zwischen dem 40. und dem 50. Lebensjahr diagnostiziert. Umso älter die Betroffenen, desto häufiger seien Komorbiditäten wie Hypertonie und Diabetes mellitus. Weitere Begleiterkrankungen (siehe Infobox, S. 14) stellen zum Beispiel >
das Karpaltunnelsyndrom, Schilddrüsenknoten oder kardiovaskuläre Komplikationen wie Kardiomyopathien, Herzinsuffizienz, Arrhythmien oder Herzklappenerkrankungen dar. Prof.in Vila zufolge geht die Akromegalie auch mit einer hohen Anfälligkeit für Tumorerkrankungen einher, außerdem mit einem erhöhten Risiko, Frakturen zu erleiden, da sich die Knochenstruktur verändert. „Die Häufigkeit und Schwere von Komorbiditäten hängt einerseits von der Ausprägung des Wachstumshormonüberschusses ab, andererseits davon, wie lange die Erkrankung unerkannt und somit unbehandelt geblieben ist“ , gibt die Endokrinologin zu bedenken.
Diagnose sichern
Aufgrund der weitreichenden Pathologie betrifft die Akromegalie eine Bandbreite von Medizinerinnen und Medizinern, die bereits bei der Diagnosestellung gefragt sind – etwa Internisten, Endokrinologen/ Schilddrüsenspezialisten, Augenärzte und Orthopäden. „Den Verdacht auf Akromegalie können auch Zahnärzte äußern, wenn eine Malokklusion durch vergrößerte Zahnlücken besteht“ , erläutert die Expertin und weist darauf hin, dass typische Symptome nicht bagatellisiert werden sollten. „Erstaunlich oft wird zum Beispiel das Wachstum der Füße als eine Alterserscheinung verkannt. Natürlich stimmt es, dass die Füße im Alter größer werden, aber nur minimal. “ Prof.in Vila betont zudem die zentrale Rolle von Hausärztinnen und Hausärzten. „Idealerweise initiiert der Allgemeinmediziner nach einer ausführlichen Anamnese bei Verdacht auf Akromegalie die Labordiagnostik. “ Sie umfasst die Bestimmung der Nüchternspiegel von Wachstumshormon und IGF-1 im Serum sowie die Überprüfung der GH-Suppression im oralen Glukosetoleranztest. „Wenn die Biochemie eine Akromegalie bestätigt, sollte eine Hypophysen-MRT veranlasst werden“ , so Prof.in Vila.
Therapiemöglichkeiten ausschöpfen
In erster Linie wird die Akromegalie mittels transsphenoidaler Entfernung des Hypophysenadenoms behandelt. Der Erfolg hängt maßgeblich von der Größe des Tumors ab – bei Mikroadenomen, also jenen Adenomen mit einer Größe von < 1 cm, liegt die Heilungsrate bei über 80 Prozent. Im Falle größerer Tumoren und unvollständiger Resektion oder wenn eine Operation nicht möglich ist, bedarf es einer medikamentösen Therapie. Hierfür stehen zunächst Somatostatinanaloga wie Octreotid oder Lanreotid zur Verfügung, bei nur gering erhöhten IGF-1-Konzentrationen außerdem der Dopaminagonist Cabergolin. Wachstumshormon-Rezeptorantagonisten wie Pegvisomant stellen die SecondLine-Therapie dar, mit zusätzlicher positiver Wirkung auf den Glukosehaushalt. Prof.in Vila führt aus:„Wenn sich der IGF-1Spiegel durch Somatostatinanaloga nicht normalisiert, ergänzen wir die Behandlung um Pegvisomant oder wir stellen den Patienten bei Nebenwirkungen oder Komplikationen auf eine Monotherapie mit den Wachstumshormon-Rezeptorantagonisten um. “ Die medikamentöse Behandlung ist in den meisten Fällen lebenslang fortzuführen. U. a. aus diesem Grund kann letztendlich auch eine radiochirurgische Intervention sinnvoll sein.
IM ÜBERBLICK
Symptome (Auswahl)
charakteristisches akrales Wachstum:
Hände, Füße, Stirnhöhlen, vergröberte
Gesichtszüge mit größerer Nase und prägnanten Wangenknochen, mandibuläre
Vergrößerung mit Auseinanderweichen der Zähne, Malokklusion Makroglossie, tiefere Stimme Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen,
Müdigkeit, Hyperhidrose, Menstruationsstörungen, Libido- und Potenzstörungen etc. bei großen Hypophysenadenomen bitemporale Hemianopsie durch
Komprimierung des Chiasma opticum
Assoziierte Komorbiditäten (Auswahl)
arterielle Hypertonie Diabetes mellitus sekundärer Hypogonadismus kardiovaskuläre Komplikationen Karpaltunnelsyndrom Arthropathie Schlafapnoe Struma Malignome Kolon-, Gallenblasenpolypen
Interdisziplinäre Nachsorge
„Ist der Patient nach der Operation geheilt, sollte er einmal pro Jahr endokrinologisch kontrolliert werden. Betroffene, die medikamentös eingestellt sind und wieder normale IGF-1-Werte aufweisen, benötigen alle sechs bis zwölf Monate eine Kontrolle im Zentrum, beim Allgemeinmediziner alle drei Monate“ , erklärt Prof.in Vila. Die Hausärztin, der Hausarzt überprüft nicht nur die Laborwerte – z. B. Blutzuckerwerte, Leberwerte –, sondern unterstützt die Patienten auch beim Management der Nachsorge. Neben der Behandlung von etwaigen bereits manifesten Komorbiditäten benötigen Akromegalie-Patienten der Expertin zufolge regelmäßig eine MRT der Hypophyse und wesentlich früher diverse Vorsorgeuntersuchungen, beispielsweise eine Koloskopie, als es für die Normalbevölkerung empfohlen ist. Auch ein Röntgen der Wirbelsäule sei indiziert, um versteckte Frakturen auszuschließen. „Im Zentrum der MedUni Wien gehen wir bei der jährlichen Kontrolle eine Checkliste mit dem Patienten durch und halten fest, welche Untersuchungen durchgeführt wurden und welche ausständig sind. Die Nachsorge bei den Fachärztinnen und -ärzten organisiert der Patient, natürlich mithilfe des Hausarztes. Der Endokrinologe behält den Überblick und bekommt alle Befunde.“ Abschließend thematisiert Prof.in Vila die Auswirkungen der Akromegalie auf die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten: „Ein Hypogonadismus kann zum Beispiel Beziehungsprobleme verursachen. Beruflich entstehen mitunter zeitliche Konflikte aufgrund der großen Anzahl von ärztlichen Untersuchungen, feinmotorische Tätigkeiten sind zum Teil nicht mehr ausführbar, wenn die Finger ‚bamstig‘ sind. “ So könne in manchen Fällen eine psychologische Betreuung empfehlenswert sein. „Aber wenn die Erkrankung adäquat behandelt wird, führt der Großteil der Betroffenen meiner Erfahrung nach ein normales Leben.“