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Das Ziel der antiepileptischen Medikation rückt näher“
Herausforderungen der pädiatrischen Epileptologie bei seltenen Erkrankungsformen
Die seltenen Epilepsieerkrankungen im Kindesalter – Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS), Dravet-Syndrom (DS) und Tuberöse Sklerose (TSC) – weisen eine therapierefraktäre Natur auf. Betroffene, Angehörige, aber auch behandelnde Ärztinnen und Ärzte sind daher mit diversen Herausforderungen konfrontiert. Im Gespräch mit der Hausärzt:in berichtet Priv.-Doz.in OÄ Dr.in Gudrun Gröppel vom Kepler Universitätsklinikum unter anderem über die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten dieser Epilepsieformen und die Einsatzmöglichkeiten von CBD.
welche maßgeschneidert für die zugrundeliegende Ursache der Erkrankung ist. Epilepsien direkt am Entstehungspunkt der Anfälle behandeln zu können – und nicht nur das „Symptom“ –, ist eine spannende Perspektive. Somit rückt das Ziel endlich näher, eine antiEPILEPTISCHE Medikation zu haben – und nicht nur eine AntiANFALLSmediEXPERTIN: Priv.-Doz.in OÄ kation. Zusätzlich ist zu erwarDr.in Gudrun Gröppel ten, dass auf diesem Weg auch Klinik für Neurologie 1 & Universitätsklinik für die Komorbiditäten und vor Kinder- und Jugend- allem die epileptische Enzeheilkunde am Kepler Uniklinikum, Linz phalopathie, welche für die Lebensqualität oft eine deutliche Einschränkung darstellt, hintangehalten werden könnten.
HAUSÄRZT:IN: Welche Fortschritte konnten in den letzten Jahren in puncto Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten in der pädiatrischen Epileptologie erzielt werden? Welche positiven Entwicklungen sind in naher Zukunft in Sicht?
Priv.-Doz.in GRÖPPEL: Der größte Fortschritt ist sicherlich im Bereich der genetischen Diagnostik zu verzeichnen, welche in der Folge eine gezielte Therapie ermöglichen wird. Wir bewegen uns nun auf dem Weg zur Präzisionsmedizin,
Eine frühe Diagnose und somit eine rasche Behandlung sind entscheidend. Wie können Fachärzt:innen für Kinder- und Jugendheilkunde und Allgemeinmediziner:innen dazu beitragen?
Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sind oft die erste Anlaufstelle und somit eine wichtige Verbindung zwischen sogenannten tertiären Zentren wie der Univ.-Kinderklinik und den Familien. Der Beitrag, welchen die Kolleg:innen leisten, ist die Basis für eine adäquate weitere Behandlung. Was können sie tun? Wachsam sein, den Familien zuhören, Videos der Anfälle einfordern und sich nicht scheuen, Kontakt mit einem tertiären Zentrum aufzunehmen.
Was ist bei der Anwendung von und bei Therapiebeginn mit CBD-Fertigarzneimitteln zur Behandlung von Epilepsie bei Kindern zu beachten?
CBD hat sich als äußerst wirkungsvoll in der Behandlung von epileptischen Anfällen bei Dravet-Syndrom, LennoxGastaut-Syndrom und Tuberöser Sklerose herausgestellt. Vor dem Start der Behandlung ist es wichtig, die Familien über mögliche Nebenwirkungen aufzuklären und über eine genaue Anamnese der anderen Medikation inklusive des Medikamentenspiegels zu verfügen. Dies dient dazu, mögliche Wechselwirkungen abschätzen und schon früh auf Schwankungen im Medikamentenspiegel reagieren zu können. Zusätzlich gilt es, die Diagnose zu sichern. Es ist aber anzumerken, dass es sich in diesen Fällen um schwer therapierbare Patienten handelt und somit eine Vorstellung in einem Expertisezentrum vor Etablierung einer Therapie mit CBD-Fertigarzneimitteln wichtig ist.
CBD steht für die Behandlung der seltenen Epilepsieerkrankungen im Kindesalter ab zwei Jahren zur Verfügung. Welche Therapiemöglichkeiten gibt es für jüngere Kinder bzw. Säuglinge?
Für die Behandlung von seltenen Epilepsieerkrankungen stehen glücklicherweise immer mehr Therapien zur Verfügung. Allen ist aber gemeinsam, dass man den genauen Krankheitsmechanismus kennen sollte, um diese auch einsetzen zu können. Da jene Epilepsieformen selten sind, gibt es auch oft wenig Erfahrung mit den einzelnen Krankheiten. Aus diesem Grund ist die Behandlung dieser Kinder in Expertisezentren wie der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde wesentlich.
Wie können Angehörige von betroffenen Kindern unterstützt werden?
Die psychosoziale Versorgung von Familien mit chronisch kranken Kindern ist wichtig und eine Investition in die Zukunft. Es geht nicht nur darum, dass die Patienten eine adäquate Physio-, Ergo- oder logopädische Therapie bekommen, sondern auch darum, den Angehörigen selbst beizustehen, um eventuell die Eltern in der Erwerbstätigkeit zu halten, bzw. psychologische Unterstützung bieten zu können. Leider zeigt uns die Realität, dass dies im Moment kaum oder unzureichend angeboten werden kann. Der Andrang in unsere Spezialambulanzen ist groß und wir können den einzelnen Familien nicht annähernd so viel Zeit widmen, wie wir gerne würden und wie es notwendig wäre. Die Gründung von sozialpädiatrischen Zentren ist eine absolut notwendige Investition, um diesen Bereich abdecken zu können. Leider hängt auch diese Zukunftsperspektive von den Förderungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand ab.
Das Interview führte Mag.a Ines Pamminger, BA.
SELTENE EPILEPSIESYNDROME IM PÄDIATRISCHEN SETTING
Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS)
Das LGS geht mit verschiedenen Anfallstypen in hoher Anfallsfrequenz einher – eine eingehende Anamnese ist daher erforderlich. Bei den meisten Patienten besteht zusätzlich eine Entwicklungsverzögerung. Mit einem prolongierten Video-EEG-Monitoring werden tonische Anfälle im Schlaf festgestellt. Die Ursachen sind verschiedenartig.
Dravet-Syndrom (DS)
Eine rechtzeitige Identifikation von fieberprovozierten Anfällen in hoher Frequenz als Dravet-Syndrom ist wesentlich, diese sollten nicht als unkomplizierte Fieberkrämpfe eingestuft werden. Eine genetische Abklärung ist bei hochfrequent auftretenden fieberprovozierten Anfällen zu bedenken. Komorbiditäten sind zu eruieren. Medikamente, welche hemmend auf Natriumkanäle wirken, sollten vermieden werden, da diese einen Status epilepticus auslösen können.
Tuberöse Sklerose (TSC)
Tuberöse Sklerose ist eine Multiorganerkrankung, welche fast immer mit einer schweren Epilepsie einhergeht. Alle Organe sowie die Haut (Wood-Licht) sind zu untersuchen. Zusätzlich sind jährliche Kontrolluntersuchungen notwendig, um etwaige Organkomplikationen rechtzeitig zu bemerken und behandeln zu können.
Unklare Schmerzen als Schlüssel zu einer Seltenen Erkrankung
Morbus Fabry: Das Leitsymptom Schmerz gehört wohl zum Berufsalltag in jeder hausärztlichen Praxis. Nicht immer sind die Ursachen sofort erkennbar, insbesondere wenn eine Seltene Erkrankung vorliegt.
Dazu zählt die lysosomale Speicherkrankheit Morbus Fabry. Mit einer Inzidenz von etwa 1 : 40.0001 sollte es in Österreich daher etwa 200 Betroffene geben – genauere Zahlen liegen nicht vor. Morbus Fabry geht auf eine X-chromosomal vererbte Mutation im AlphaGalaktosidase-A-Gen (GLA-Gen) zurück. Für den Morbus Fabry gilt, dass nicht nur Männer, sondern auch heterozygote Frauen erkranken können.2 Durch die Mutation geht die Funktion des Enzyms Alpha-Galaktosidase A (α-GAL A) in den Lysosomen ganz oder teilweise verloren. Wegen der daraus resultierenden fortschreitenden intrazellulären Akkumulation des charakteristischen Speichermaterials Globotriaosylceramid (Gb3) kommt es zu Inflammation, Hypertrophie und letztlich Fibrosierung mit progredienten Zell- und Organdysfunktionen sowie irreversiblen Spätschäden.1
Oft Jahrzehnte bis zur Diagnose
Schmerzen können eines der ersten Symptome des Morbus Fabry sein und schon im Kindes- und Jugendalter auftreten.3 Meist werden brennende, stechende oder auch einschießende Schmerzen in Händen und/ oder Füßen beschrieben. Morbus-Fabry-Patienten leiden daher häufig an unspezifischen, nicht zuordenbaren Schmerzen. Oft dauert es Jahre oder gar Jahrzehnte, bis die Erkrankung richtig diagnostiziert und behandelt wird. Richtungsweisend sind daher weitere Fabry-typische Symptome3 (siehe auch Skizze)4: Dazu zählen neben neuropathischen Schmerzen in Händen und Füßen und Hitzeintoleranz in Verbindung mit mangelnder Fähigkeit zu schwitzen auch gastrointestinale Beschwerden. Auffällig können zudem die rötlich-violetten Hautflecken, sog. Angiokeratome, sein. Im Rahmen einer Spaltlampenuntersuchung beim Augenarzt können häufig charakteristische Trübungen der Hornhaut durch winzige feine Ablagerungen, die Cornea verticillata, beobachtet werden.4
MORBUS FABRY
Eine Krankheit - Viele Manifestationen

PSYCHE Depression, Fatigue
AUGEN Cornea verticillata
HERZ Hypertrophe Kardiomyopathie, Myokardinfarkt, Arrhythmien, Herzinsuffizienz
NIERE Mikroalbuminurie, Proteinurie, Niereninsuffizienz
PERIPHERES NERVENSYSTEM Neuropathische Schmerzen als Brennschmerz in Händen und Füßen, episodische Schmerzkrisen, Parästhesien, Temperaturintoleranz ZENTRALNERVENSYSTEM Transitorische ischämische Attacke, Apoplex, Marklagerläsionen OHREN Hörverlust, Tinnitus, Schwindel
LUNGE Dyspnoe bei Belastung, chronisch obstruktive Lungenerkrankung
GI-TRAKT Nausea, Emesis, Diarrhö, Obstipation, Bauchkrämpfe, Bauchschmerzen
HAUT Angiokeratome, Hypohidrose
Abklärung in Spezialambulanz
Bei unspezifischen Schmerzen in Verbindung mit einem oder mehreren typischen Symptomen der chronisch progredienten Multiorganerkrankung Morbus Fabry sollte der Patient umgehend an eine Spezialambulanz zur weiteren Abklärung überwiesen werden. Bei Verdacht auf Morbus Fabry wird mittels Trockenblutkarte die Aktivität des Enzyms α-GAL A in Leukozyten bestimmt und gegebenenfalls eine molekulargenetische Untersuchung durchgeführt. Entscheidende Hinweise bei unerklärlichen Schmerzen kann auch eine genauere Familienanamnese geben: Sind bei Eltern, Großeltern oder Geschwistern Herz- oder Nierenerkrankungen oder ein Schlaganfall in jüngeren Lebensjahren bekannt, sollte Morbus Fabry in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einfließen. Die nachfolgenden Fallbeispiele veranschaulichen die heterogene Symptomatik, die Familienzusammenhänge und den langen Weg zur Diagnose.
Nähere Informationen für Patienten und Angehörige stehen zum Beispiel auch auf der Website der Selbsthilfegruppe Morbus Fabry (https://morbus-fabry.eu) zur Verfügung.
INFO
Morbus Fabry: Behandlungsmöglichkeiten
Für die kausale Therapie des Morbus Fabry stehen zwei etablierte Therapieansätze zur Verfügung: die Enzymersatztherapie als Infusion, die alle 14 Tage verabreicht wird, und für Patienten mit geeigneten Mutationen auch eine pharmakologische Chaperon-Therapie in Form einer Kapsel zur oralen Einnahme jeden zweiten Tag.1
1 Lenders M, Brand E. Fabry Disease: The Current Treatment
Landscape. Drugs 2021; 81:635–645. 2 Germain DP, Fabry Disease,
Orphanet J Rare Dis 2010; 5–30. 3 Politei J et al., Clin Genet 2016; 89: 5–9. 4 Ortiz A et al., Mol Genet Metab 2018; 123: 416– 27.
BETROFFENENBERICHTE*
Laura und ihre Tanten
Die 16-jährige Laura leidet an Morbus Fabry. Ein Jahr zuvor wurde zufällig vom Augenarzt eine Cornea verticillata entdeckt, der zur genaueren Abklärung eines Sehfehlers auch eine Spaltlampenuntersuchung durchführte. Laura weist sonst keine typischen Fabry-Symptome auf, wenngleich sie im Gegensatz zu ihren Freundinnen nicht gerne Sport treibt und als „Stubenhockerin“ gilt, da sie rasch erschöpft ist und daher früh ins Bett geht.
Kurt, der begeisterte Läufer
Kurt wirkt fit und gesund. Ein drahtiger, sportlicher, braungebrannter Anfang-60er mit Energie und positiver Lebenseinstellung. Doch Kurt ist eigenen Angaben zufolge nur „fast gesund“. Denn Kurt leidet an Morbus Fabry, was er allerdings erst seit etwa 15 Jahren weiß. Er weist eine Mutation des GLA-Gens auf, die ihm die Behandlung mit einer pharmakologischen Chaperon-Therapie ermöglicht. Heute lebt Kurt „fast normal“, wie er betont.
Nach Lauras Diagnose an einer Universitätsklinik wurde der Familie empfohlen, sich ebenfalls auf Morbus Fabry untersuchen zu lassen. Tatsächlich wurde bei der Mutter, bei einer Tante und bei der Oma von Laura dieselbe Fabry-Mutation wie bei Laura nachgewiesen. Die Symptome der Familienmitglieder von Laura waren jedoch so heterogen, dass in all den Jahren nicht an einen Zusammenhang oder gar eine Erbkrankheit gedacht wurde.
Mutter Susanne (46 Jahre) leiunklaren und unspezifischen Beschwerden und an TaubFingern und ist inzwischen telschweren chronischen in Behandlung. Bei Tante ihren 50er gefeiert hat, kardiale Komponente. Kardiomyopathie verurnoch keine funktionellen kungen. Bei Oma Erika sind deutliche ZNSerkennbar: Sie klagt seit starke Kopfschmerzen, und leidet an schweren Vor fünf Jahren hatte sie zerebralen Insult. Alle der sowie Laura erhalten eine Fabry-spezifische det seit der Kindheit an gastrointestinalen heitsgefühlen in den wegen einer mit-
Niereninsuffizienz
Anita, die gerade dominiert die
Ihre hypertrophe sacht jedoch
Einschrän(73 Jahre alt) Manifestationen Jahren über wirkt erschöpft
Depressionen. einen leichten
Familienmitglieinzwischen
Therapie.* Die Jahrzehnte bis zur Diagnose waren jedoch von vielen Rückschlägen und Herausforderungen geprägt. Schon als junger Erwachsener wunderte er sich, warum er, der begeisterte Läufer, trotz intensiven Trainings immer wieder unerklärliche physische Einbrüche während des Laufens erlebte. Hände und Füße brannten und juckten immer wieder grundlos, zum Teil bestehen diese Symptome nach wie vor, trotz Therapie. Zahlreiche Un- tersuchungen blieben zunächst ohne Ergebnisse. Die Unge- wissheit, was mit ihm tatsächlich los sei, hat Kurt während seines jahrelangen Leidensweges auch psychisch belastet.
Nach einem EKG, einem Ultraschall MRT an einer kardiologischen Uniklinik bestand der hochgradige auf Morbus Fabry. Die Diagnose schließlich durch weitere Untersueinen Gentest bestätigt. Er nahm zum Anlass, einige Verwandte seits nach vielen Jahren wieder Inzwischen hat sich die bei einigen Angehörigen können behandelt werden.* und einer versitäts-
Verdacht wurde chungen und die Diagnose mütterlicherzu kontaktieren. Diagnose bestätigt, alle
* Namen und biographibeschriebenen Patiendie mediziniauszugsweise
sche Daten der ten wurden verändert, schen Befunde nur zusammengefasst.