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Frauenherzen schlagen anders

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Die Angst wegatmen

Die Angst wegatmen

Warum Gleichbehandlung nicht immer unbedingt erstrebenswert ist

Mitte 30, 85 Kilo schwer, männlich – dies galt lange Zeit als Standard bei Studienteilnehmern in der medizinischen Forschung. Doch lässt sich nicht alles, was man anhand von Untersuchungen von Männern herausfindet, auf Frauen übertragen. Und hier ist nicht die Rede von „Bikini-Medizin“, die sich mit Brust und Unterleib von Frauen beschäftigt. Auch bei vermeintlich geschlechtsneutralen Erkrankungen gibt es vielerlei Unterschiede. Diese zu erkennen und im Hinblick auf Symptome, Diagnose, Therapie, Prävention und Rehabilitation zu berücksichtigen, hat sich die Gendermedizin zur Aufgabe gemacht. Noch ist es nämlich so, dass die Lebenserwartung von Frauen höher ist, allerdings verbringen sie weniger Lebensjahre bei guter Gesundheit. Seinen Ursprung hat dieses relativ neue medizinische Fach in der Kardiologie und Pharmakologie. Bereits seit den 1990er-Jahren ist bekannt, dass sich Herzerkrankungen bei Frauen und Männern unterschiedlich äußern.

EXPERTIN: Univ.-Prof.in Dr.in Margarethe Hochleitner

Direktorin der Gender Medicine & Diversity Unit, Frauengesundheitszentrum, Med Uni Innsbruck

Versuchskaninchen Mann

Bis dahin wurden viele Medikamente, beispielsweise auch Herz-KreislaufMedikamente, nur an Männern getestet. Dennoch wurden aus diesen Forschungen Behandlungsempfehlungen für Männer und Frauen abgeleitet. Dabei wirken nicht alle Pharmazeutika bei beiden Geschlechtern gleich: Acetylsalicylsäure („Aspirin“) etwa schützt >

Dieser Beitrag wurde im Fortbildungs-Fragebogen auf S. 23 berücksichtigt.

Männer eher vor Herzinfarkten, Frauen hingegen eher vor Schlaganfällen. Generell berichten Frauen über mehr Unverträglichkeiten, Nebenwirkungen und Allergien. Auch auf Schmerzmittel reagieren Frauen anders als Männer. Es sind jedoch nicht nur die Hormone, die für die gesundheitlichen Unterschiede verantwortlich zeichnen. „Zwischenzeitlich ist es Frauenaktivistinnen gelungen, Gesetzesänderungen zu erwirken. Derzeit müssen im Zulassungsverfahren für alle Medikamente Daten über Frauen und Männer vorgelegt werden, die auch getrennt ausgewertet sind. Trotzdem bleiben noch diverse Wünsche offen“, berichtet Univ.-Prof.in Dr.in Margarethe Hochleitner, Professorin für Gendermedizin und Direktorin des Frauengesundheitszentrums der Universität Innsbruck. Die Gendermedizin nimmt auch den Einfluss des Sozialverhaltens auf eine Erkrankung unter die Lupe. So zeigen Daten des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens, dass sich Männer zwar ungesünder ernähren, sich jedoch mehr bewegen als Frauen. Andererseits konsultieren Frauen eher einen Arzt als Männer. Zu berücksichtigen sind allerdings auch Bildung, soziales Umfeld und materielle Umstände, die sich auf die individuelle Gesundheit auswirken.

„Die“ Herzinfarkt

Herzinfarkte galten bislang eher als „Männerkrankheit“. „Besonders der Manager schien gefährdet, obwohl seit dem Zweiten Weltkrieg jedes Jahr laut Statistik Austria mehr Frauen als Männer den Herztod gestorben sind“, so Prof.in Hochleitner. Herz-KreislaufErkrankungen stellen in Österreich die Haupttodesursache bei Frauen und Männern dar, dies trifft auf ganz Europa zu. Im Jahr 2020 wurden in Österreich laut statista.com 32.678 Todesfälle infolge von Herz-KreislaufErkrankungen verzeichnet. Von diesen entfallen 17.912 auf Frauen und 14.766 auf Männer. Letztere erleiden Herzinfarkte meist zwischen dem 50. und dem 80. Lebensjahr, Frauen zwischen dem 75. und dem 85. Lebensjahr. Hier kommen wieder die Hormone ins Spiel: Jüngere Frauen haben durch das Östrogen einen gewissen Gefäßschutz. Es verbessert das Verhältnis zwischen dem „bösen“ LDL-Cho-

lesterin und dem „guten“ HDL-Cholesterin. Mit der Menopause, wenn also die Östrogenproduktion nachlässt, nimmt auch dieser Schutz ab, das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, steigt. „Allerdings treten auch bei prämenopausalen Frauen Herzinfarkte auf und diese sind die Gruppe mit dem höchsten Risiko, was den Todesfall beim ersten Herzinfarkt betrifft. Auch sind die Symptome eines Herzinfarkts manchmal anders, sie werden ‚atypische Symptome‘ genannt“, so die Expertin. Bei Männern sind es meist die „typischen“ Beschwerden wie Schmerzen in der Brust, die in andere Körperregionen, etwa in den linken Arm oder in den Kiefer, ausstrahlen. Hinzu kommt ein Druck- oder Engegefühl in der Brust. Bei Frauen äußert sich ein Infarkt hingegen oft durch rechtsseitige Brustschmerzen, Erbrechen, Kraftlosigkeit oder Atemnot. Diese Symptome werden häufig erst spät mit einem Herzinfarkt in Verbindung gebracht. Somit verzögert sich der Therapiebeginn, und dies wiederum vermindert den Behandlungserfolg. Allerdings haben zwischenzeitlich Studien gezeigt, dass Frauen mit und ohne atypische Symptome „längere Wege“ zur Herztherapie haben. In der Medizin wird dies auch als „Yentl-Syndrom“ bezeichnet (siehe Infobox). Wenn Beschwerden – wie oben beschrieben – auftreten, empfiehlt es sich, nach der NAN-Regel vorzugehen: Schmerzen, die zwischen Nase, Arm und Nabel auftreten, die nicht von einem Unfall – etwa einem Sturz – herrühren, und innerhalb von 15 Minuten nicht wieder abklingen, sollten möglichst rasch ärztlich abgeklärt werden. Auch bei Schlaganfällen können sich die Symptome von Frauen und Männern unterscheiden. Während bei Männern eine halbseitige Lähmung als typisch gilt, kommt es bei Frauen öfter zu Schwindel, Verwirrtheit und Sprachstörungen. Bei all den Unterschieden gibt es auch Gemeinsamkeiten. So etwa bei den Hauptrisikofaktoren, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln. Zu diesen zählen Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes, Rauchen, familiäre Belastung, Bewegungsmangel und Stress. Allerdings gilt bei Frauen vor allem Rauchen und Diabetes als gefährliche Kombination, bei Männern hingegen ist es eher das Rauchen zusammen mit einem erhöhten LDL-Cholesterin-

© shutterstock.com/ADragan

DAS YENTL-SYNDROM

Der Begriff „Yentl-Syndrom“ basiert auf einer Novelle von Isaac Singer und dem gleichnamigen Film mit Barbra Streisand, in dem sich eine Frau als Mann ausgeben muss, um studieren zu dürfen. Die amerikanische Ärztin und Direktorin des National Institute of Health, Bernadine Healy, beschrieb dieses Syndrom bereits 1991: Eine Frau müsse von denselben Symptomen wie ein Mann berichten, um dieselbe Behandlung zu erhalten.

Dieser Beitrag wurde im Fortbildungs-Fragebogen auf S. 23 berücksichtigt.

spiegel, was Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems begünstigt. Auch typisch weibliche Erkrankungen wie das polyzystische Ovarialsyndrom, Schwangerschaftsbluthochdruck oder ein vorzeitiges Einsetzen der Menopause sind mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert.

Nicht nur eine Herzenssache

Die medizinischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern beschränken sich jedoch bei Weitem nicht allein auf die Herzgesundheit. Die Gendermedizin fordert, dass alle medizinischen Angebote auf ihre Richtigkeit und Wirksamkeit für Frauen und Männer untersucht werden und bei Unterschieden, das kann Über- und Unterdosierungen, Wirkungslosigkeit, aber auch massive Nebenwirkungen betreffen, entsprechend getrennte Empfehlungen für Frauen und Männer formuliert werden. „Dies ist bis heute nicht lückenlos geschehen und es herrscht eine große Diskrepanz zwischen einzelnen Fachrichtungen, wobei die Kardiologie zu den am besten untersuchten Disziplinen gehört“, gibt Prof.in Hochleitner zu bedenken. Die Liste, wie und warum Frauen und Männer anders krank werden, reicht von A wie Adipositas bis Z wie Zöliakie.

Margit Koudelka

JEDER MAG’S ANDERS

EIN KURZER AUSZUG AUS DEM „UNTERSCHIEDE-ABC“

A wie Asthma:

Buben leiden in ihrer Kindheit häufiger unter Asthma. In der Pubertät ändert sich dies aus organischen Gründen allerdings. Aufgrund ihres stärkeren Lungenwachstums vergrößert sich auch der Durchmesser der Atemwege im Verhältnis zum Lungenvolumen. Das Problem „wächst“ sich bei vielen Buben also wieder aus.

B wie Brustkrebs:

Bei Frauen ist Brustkrebs die häufigste Krebsart. Selten können jedoch auch Männer daran erkranken. Häufig wird dies jedoch übersehen oder das Karzinom erst in einem sehr späten Stadium diagnostiziert, weil man aufgrund der Seltenheit bei Untersuchungen nicht daran denkt: eine Art „umgekehrter Yentl-Effekt“. Betroffene haben deshalb häufig schlechtere Prognosen.

C wie Chromosomen:

Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer nur eines. Dafür haben Männer ein Y-Chromosom. Auf einem X finden mehr als 1.000 Gene Platz, auf einem Y hingegen weniger als 100. Männer sind deshalb häufiger von Erbkrankheiten, etwa der Bluterkrankheit, betroffen, die über das X vererbt werden.

D wie Dosierung:

Nicht nur hinsichtlich des Gewichts müssen Geschlechterunterschiede bei der Dosierung von Medikamenten berücksichtigt werden. So benötigt etwa eine Tablette durch den Verdauungstrakt einer Frau etwa doppelt so lange wie bei einem Mann. Auch werden Wirkstoffe in einer Frauenleber langsamer abgebaut. Deshalb genügt bei Frauen häufig eine geringere Dosis bei bestimmten Medikamenten. Nebenwirkungen sind bei Frauen deshalb häufiger.

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