Labhart/Zehnder, Steine Berns

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Einleitung

Dieses Werk befasst sich mit den Gesteinen der Stadt Bern. «Warum die Mehrzahl?» wird man vielleicht fragen, Bern besteht doch einfach aus Sandstein! Natürlich dominiert in der Stadt dieses traditionelle, einheimische und für die Altstadt in der Bauordnung vorgeschriebene Material, und wir werden ihm auch die gebührende Aufmerksamkeit schenken. Aber wer mit offenen Augen und Interesse (sowie Grundkenntnissen im Ansprechen von Gesteinen) durch die Stadt geht, wird überrascht sein von der Gesteinsvielfalt in den Gassen, an Brunnen und Brücken, am Äusseren und im Inneren öffentlicher und privater Bauten. Und man wird erstaunt feststellen, in welchem Masse Steine unterschiedlichster Art weit über den Berner Sandstein hinaus den Charakter des UNESCO Welterbes Bern und seiner Umgebung prägen. Wir kennen an Berns Bauten über 150 Gesteinsarten und -varietäten (bzw. -sorten). Etwa hundert davon stammen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Sie sind es, die das Gesicht der Stadt nachhaltig prägen, und ihnen, den stadtspezifischen Steinen, gilt denn auch unser vorrangiges Interesse. Die meisten stammen im Übrigen aus der Schweiz, wobei Material aus allen geologischen Einheiten des Landes und aus 22 der 26 Schweizer Kantone vertreten ist. Wenigstens in dieser Beziehung ist Bern die steinreichste Stadt der Schweiz! Diese Mannigfaltigkeit erfreut natürlich Gesteinskundige. Aber die Steine einer Stadt sind weit mehr als eine interessante Gesteinssammlung: Es sind wichtige, in ihrer Bedeutung oft unterschätzte Kulturzeugen. Denn wer auch immer ein Gestein für ein Bau- oder Kunstwerk auswählt, tut dies aus einem bestimmten Grund. Die Kriterien sind vielfältig: technische Eignung, behördliche Vorschriften, Verfügbarkeit, Preis, Schönheit, Modetendenzen, Repräsentationswert usf. So ist der Stein nicht einfach totes Baumaterial, sondern zuverlässiger, wenn auch stummer Zeuge der Entwicklung einer Stadt. Wer seine Sprache versteht, dem berichtet er vom Können und vom Stand der Technik der Steinhauer, Steinmetzen und Bildhauer; von Verkehrsverbindungen, Transportwegen und Handelsbeziehungen; von Zeitgeschmack, Mode- und Architekturströmungen; von Prosperität und Stagnation, von Baugesetzen und -vorschriften; von Grosszügigkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Hand. Das vorliegende Werk soll Ihnen helfen, die Sprache der Steine Berns verstehen zu lernen. Es wirbt aber auch um Verständnis für den sorgsamen Umgang mit dem nur scheinbar unzerstörbaren Material Stein. Im 19. und 20. Jahrhundert waren es – abgesehen von der bewussten Zerstörung bei Um- und Neubauten – hauptsächlich die schwefelsauren Gase der verschmutzten Luft, die dem Stein zusetzten. Heute bilden die fast nicht wiedergutzumachenden Schäden durch Farbspray und ihre Behebung Anlass zur Sorge. Wir nähern uns den Steinen Berns von vier verschiedenen Seiten: von der historischen (Kapitel 2), von der gesteinskundlichen (Kapitel 3), von der anwendungsorientierten (Kapitel 4) und von der Anschauung vor Ort im separaten Exkursionsführer mit acht Routen zu 113 ausgewählten Steinobjekten. Inhaltlich basiert das Werk auf einer Inventarisierung der Gesteine Berns durch Toni Labhart in den vergangenen Jahrzehnten. Sie ist in jüngster Zeit in Zusammenarbeit mit Konrad Zehnder gezielt ergänzt worden. Die Bestandesaufnahme

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Steine Berns


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