erlesen Sommer 2022 - LG Buch

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n Literatur/Unterhaltung

Jenseits aller Vorstellung Gerda Blees hat einen unkonventionellen, einzigartigen Debütroman geschrieben. Die Geschichte einer ­stillen Radikalisierung wurde in den Niederlanden bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

© Bartjan de Bruijn

Die Wohngruppe „Klang und Liebe“ lebt in einer eigenen Welt, die von außen nur schwer nachvollziehbar und kaum erreichbar ist. Wie sehen Sie die politische Dimension Ihres Romans? Als das Buch in den Niederlanden erschien, befanden wir uns mitten im ersten Covid-Lockdown, und ich hatte Angst, es könnte irgendwie irrelevant geworden sein, weil wir als Gesellschaft eine so große Krise zu bewältigen hatten. Aber mit der Zeit ist mir klar geworden, dass der Roman sehr anschaulich vor

Gerda Blees

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Augen führt, wie sich Menschen eine eigene Realität schaffen, ein Problem, das uns während der CovidKrise sehr beschäftigt. In meinem Buch sind die Ursachen eine Kombination aus sozialer Isolation auf der einen und dem unbegrenzten Zugang zu sehr viel (Des-)Information auf der anderen Seite. Die Geschichte zeigt, wie schwer es ist, Menschen von ihren Überzeugungen abzubringen, selbst wenn für die Außenwelt ganz klar ist, dass sie sich mit dieser Denkweise Schaden zufügen. Jedes Kapitel Ihres Romans ist aus einer anderen Perspektive erzählt. Wie kommt man auf die Idee, den Tatort oder den Entsafter erzählen zu lassen? Ich habe zunächst damit begonnen, den Roman aus verschiedenen menschlichen Perspektiven zu schreiben, aber dann habe ich gemerkt, dass mich manche von diesen Sichtweisen nicht besonders interessierten. Es gibt ein Lied, das die Gruppe oft singt, es heißt „Wir sind Licht“. Ich habe mich gefragt, was das Licht selber zu dieser Situation sagen würde, und dann habe ich begonnen, auch anderen Objekten und Konzepten eine Stimme zu geben. Der Tatort, also das Haus, in dem die Gruppe lebte, und der Entsafter sind der Gruppe sehr nahe Objekte, weshalb sie im Besitz vieler Informationen über die Hauptfigu­ren sind, gleichzeitig nehmen sie eine Art Außenperspektive ein. Unterschiedliche Perspektiven einzunehmen hat mir ermög­­­licht, die Geschichte aus vielen Blickwinkeln zu betrachten. Gerda Blees Wir sind das Licht übersetzt von Lisa Mensing Zsolnay, 240 Seiten, geb. 23,- € (D), 23,70 € (A) ISBN 978-3-552-07274-9

Interview gekürzt, © Bettina Wörgötter, Zsolnay Verlag

E

ine Wohnung, drei Frauen, ein Mann. Eine der Frauen ist tot. Der Notarzt stellt fest: Sie ist verhungert – vor den Augen ihrer Mitbewohner, die sich von Licht­energie ernähren. Was sich­ ­innerhalb der Gruppe richtig anfühlt, ist für Außenstehende nicht zu begreifen. Die Polizei ordnet eine Untersuchung an ... Gerda Blees gibt im Interview zu ihrem außergewöhnlichen und höchst aktuellen ­Romandebüt aufschlussreiche Antworten:


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