hanns #5

Page 24

24

hanns 05

hauptstadt - erstaunlich

stolpern über die vergangenheit erinnerungen für die zukunft —

text: ninon katschmarz; foto: mirja zentgraf

In Hannover gibt es zahlreiche Stolpersteine. Vor allem in Mitte und der Calenberger Neustadt bringen sie nichts ahnende Passanten zum Stolpern. Doch handelt es sich hier nicht etwa um wirr herumliegende Steine oder gar eine schlechte Asphaltierung der Gehwege. Die Stolpersteine sollen uns daran erinnern, dass wir nicht vergessen dürfen.

Gehe ich durch Hannover, blicke ich meist in den Himmel oder bleibe stehen und betrachte Häuserfronten. Mein Vater nennt mich deshalb auch Traumtänzerin. Und vereinzelt rufen mir auch verärgerte Passanten entgegen: „Mädchen, guck nach vorn!“ Vergangene Woche blickte ich jedoch weder nach oben noch geradeaus, denn mein Fahrrad hatte mal wieder einen Platten. Wie das eben so ist, wenn man durch die glasbespickten Straßen der Nordstadt fährt. Verärgert beugte

ich mich nach unten, um mir die Sache genauer anzuschauen, als ich direkt vor mir auf dem E-Damm einen kleinen goldenen Stein sah, der mitten auf dem Gehweg in den Asphalt eingelassen war. Ich stellte mein beschädigtes Gefährt an die Seite und las: „Hier wohnte Familie Becher. Im Dezember 1941 wurde sie deportiert“. Hier wohnte also eine jüdische Familie, die von den Nazis ins KZ gebracht wurde. Da stand ich nun, umgeben vom Alltagstrubel, und dachte daran, wie

schlimm es gewesen sein muss, nicht nur verfolgt und denunziert, sondern auch von einem Tag auf den anderen plötzlich aus seinem Umfeld gerissen zu werden. Wegen seiner Religion, seiner Herkunft oder wegen seiner sexuellen Vorlieben. Nachdem ich mein Fahrrad bei der nächsten Fahrradwerkstatt abgegeben hatte, machte ich mich auf den Weg nach weiteren vergoldeten Steinen in Hannover. Gegen meine Gewohnheit blickte ich nun stets nach unten und suchte vor


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.