Berliner Zeitung: Bilder der globalen Religionsindustrie.

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Berliner Zeitung - Bilder der globalen Religionsindustrie

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Kultur - 04.12.2013 AUSSTELLUNG IM HAUS DER KULTUREN DER WELT

Bilder der globalen Religionsindustrie Von Irmgard Berner Im Berliner Haus der Kulturen der Welt hat der niederländische Biennale-Künstler Aernout Mik Video-Installationen aufgebaut, in denen er die neuen „Gottesdienste“ der globalen Religionsindustrie vorführt: Und siehe da, es wir sehr ökonomisch. Sie sitzen auf Yoga-Matten oder Gebetsteppichen, manche stehen, alle klatschen. Langsam fährt die Kamera durch den Raum, knapp über die Den Marketing-Guru mimt im Mik-Video der

Menschengruppe hinweg. Viele bleiben auf dem Boden sitzen. Steht eine Person auf, klatscht sie noch heftiger, verlässt schließlich ihren Platz und

Schauspieler Lars Eidinger.

dann den Raum, scheinbar selig durchdrungen vom eben erfahrenen Heil.

Foto: Haus der Kulturen der Welt/Florian Braun

Es ist eine merkwürdige Gesellschaft, die sich in Aernout Miks Videoinstallation „Speaking in Tongues“ zeitlupenhaft sammelt und bewegt: Geschäftsleute in Anzügen und Business-Kostümen, Personal beim kollektiven Psychotraining zur Selbstoptimierung in einer Art corporate exercise. Milchiges Licht flutet durch die Fensterfront in den Seminarraum, fast magisch füllt er sich von Neuem mit Menschen. Die Kamera streift den Rücken eines Mannes im weißen Hemd. Er lächelt und spricht theatralisch zu den Anwesenden. Sie beklatschen ihn. Er ist ihr Anführer, der Guru. Die Arme hoch haltend, in Händen sein iPhone filmt er die Menge. All das sieht man, aber man hört: nichts. Stumm laufen die Filme des Niederländers Mik im Studio des Hauses der Kulturen der Welt, tonlos bewegen sich die lebensgroß projizierten Menschen auf der rahmenlosen Bildfläche. Interessant ist, wie dabei die Besucher mit dem filmischen Raum verschmelzen, so als gehörten sie selbst zum Szenario. Wenn sie weitergehen zur nächsten, sich über zwei Flächen ausbreitenden Großrauminstallation, werden sie sogartig in das weite Auditorium des HKW gezogen mit seiner typischen Fünfzigerjahre Holzverkleidung. Auch hier scannt die Kamera über eine sektenhafte, in kultische Verehrung verfallene Menschenmenge. Den messianischen Marketing-Guru mimt auch hier der Schauspieler Lars Eidinger. DIE "SCHWANGERE AUSTER" ALS TEMPEL Die Kamerafahrten sind schwindelerregend, das Gesamtbild schwankt und, als säße man im Bauch eines Schiffs, scheint sich der Raum in Erlösungsversprechen zu wiegen. Die „Schwangere Auster“, einst als Kongresshalle errichtet, transformiert zum Tempel. Die ausladende Inszenierung bildet den vorläufigen Abschluss von „Global Prayers“, einem Projekt, das fünf Jahre lang neue Erscheinungen des Religiösen im Stadtraum untersuchte. Aernout Mik, 51, Biennalekünstler, verquickt darin neuartige religiöse mit säkularen Gemeinschaften der Geschäftswelt wie etwa Aktionärs-Versammlungen. Er macht Prozesse der Kollektiv-Suggestion sichtbar, indem er das Weltkulturen-Haus als Fakt mit der Fiktion einer Massenfeier durchwirkt. Denn er ist überzeugt: „Die Eventisierung von Gottesdiensten ist ein Produkt der Globalisierung“. Aber auch davon, dass „die Gefühle der Menschen echt sind.“ Eine Religionsindustrie, sagt er, erschaffe Glaubenssysteme, zu denen Religion genauso zählt wie Kunst oder Ökonomie. Genau das reflektiert und hinterfragt er in seiner stumm-sprechenden Videoarbeit. Dafür hat er sich zu den religiösen Bewegungen pfingstkirchlicher Gemeinden in Rio de Janeiro, Belo Horizonte und in Nigerias Hauptstadt Lagos begeben. Deren Massenfeiern mit den Erweckungspraktiken des „Zungenredens“ finden in Garagen, Markthallen oder riesigen Stadien statt. Drei Jahre hat er dort recherchiert und gefilmt. Nun flimmern die Dokumentationen im Foyer vor dem Ausstellungsraum über zehn Bildschirme. Menschen tanzen wie Derwische, singen sich in Trance, strecken die Arme zum Prediger hoch oder fallen hypnotisiert auf den Boden. Miks Kamera zeigt die bizarren Orte in der Totalen und zoomt nah an die betenden Männer und Frauen, an deren

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Rücken oft kleine Kinder klammern, an die Geistlichen und Seminarleiter, an die kamera- und markttauglichen Massen voller Glauben. Im HKW goss Mik seine Beobachtungen in eine große filmische Performance mit dreihundert Statisten zu einem eindringlichen Sittenporträt. Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten. Täglich 10–19 Uhr, Mi–Mo 11–19 Uhr. Bis zum 12. Januar 2014.

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