Kg 1980 gruene

Page 1

DISKUSSION UM DIE "GRÜNEN" GEHT WEITER:

Klaus Gilgenmann antwortet Rolf Wortmann

Die Ökologiebewegung ist keine Aktionseinheit! Geschrieben vor dem Gründungsparteitag der Grünen in Karlsruhe. Bemerkungen zum Programmentwurf fielen red. Kürzung zum Opfer. neue Freie Presse Nr. 1o. Jan. 1980

Rolf Wortmann hat in seinem Kommentar (in nFP 9, Dez. 79) sich gegen die Parteigründung der Grünen mit dem Argument ausgesprochen, daß diese nur auf Kosten der Stärke der Bewegung erfolgen könne. Nach seinem Verständnis besteht diese Stärke in der Aktionseinheit. Das heißt: Er kann sich nicht vorstellen, daß die Ökologiebewegung etwas anderes als eine Sammlung verschiedener Gruppen darstellen könnte, deren Interessen letzten Endes unvereinbar sind und deren Gemeinsamkeit sich nur in ihren Aktionen darstellt. Er sieht zwar die Breite der Bewegung, nicht aber ihrer möglicherweise epochale Bedeutung: Ausdruck eines kulturell tiefgreifenden Einstellungswandels zu den Wirtschafts- und Lebensformen der Industriegesellschaften zu sein. Wenn die Ökologiebewegung sich heute in vieler Hinsicht widersprüchlich und diffus darstellt, so muß dies nicht daran liegen, daß ihre Ziele letzten Endes unvereinbar wären und nur ein so schmaler Nenner wie "Umweltschutz" sie vorübergehend zusammenhalten könnte. Es könnte doch sein, daß ein so grundlegender Einstellungswandel, wie er für das Überleben der Menschheit notwendig ist, in sich selbst einen widersprüchlichen Prozess darstellt und daß der Konflikt zwischen den zerstörerischen und den eher komfortablen und faszinierenden Seiten des Industrialismus auch durch die Mitglieder der Ökologiebewegung selber geht. Viele, die heute begreifen, daß der in den entwickeltsten Industriegesellschaften erreichte Lebensstandard nicht mehr steigerbar und nicht verallgemeinerbar ist, wollen vielleicht noch nicht so genau wissen, welche schmerzhaften Schritte notwendig sind, damit aus den negativ bestimmten Positionen eine tragfähige gesellschaftliche Alternative werden kann. Die weitverbreitete Annahme, daß hinter einer Politik der Ökologiebewegung sich im Grunde unvereinbare Positionen verbergen, stützt sich darauf, daß ihre theoretischen Auffassungen historische Vorläufer in zumindest zwei - durchaus verschiedenartigen politischen Traditionen haben: Das sind zum einen die rückwärtsgewandte Industriekritik des politischen Konservatismus und zum anderen die Genossenschafts- und Selbstverwaltungsideen der Arbeiterbewegung. Die Verteidigung natürlicher und' sozialer Umwelt gegen das Vordringen des industriellen Sy-

stems befindet sich in einer romantischantikapitalistischen Tradition, die - zumindest in Deutschland - durch ihre Verwendung in der Blutund Bodendemagogie des Nationalsozialismus kompromittiert wurde. Allerdings hat der politische Konservatismus heute keine Verwendung mehr für die Idealisierung vorindustrieller Lebensweisen, umso mehr hingegen für die Stilisierung industriegesellschafflicher Wachstumszwänge zum technisch und bürokratisch rationalisierten Schicksal des modernen Menschen. Das Thema Natur ist unbrauchbar geworden für eine auf die Erhaltung bestehender Herrschaftsstrukturen in den Industrieländern gerichtete Politik und frei geworden für deren theoretische und praktische Kritik. Sie wird von den UmweltschutzBürgerinitiativen als Teil einer ökologischen Neuorientierung, für die es in der Arbeiterbewegung keine relevante Tradition gibt, auf einer historisch veränderten Grundlage ausgedrückt. Ihre Berufung auf Grenzen des technisch und politisch Machbaren in der Beziehung des Menschen auf seine natürliche und soziale Umwelt stellt keine rückwärtsgewandte Orientierung mehr dar. Die Tradition der Arbeiterbewegung, innerhalb der Industriegesellschaften alternative Wirtschaftsund Lebensformen zu entwickeln, wurde weitgehend verdrängt durch eine Politik der individuellen Teilhabe an ökonomischer Prosperität und staatlichen Wohlfahrtsgarantien. Damit wurde auch eine Erfahrung der Genossenschaftstradition verdrängt, die von der Alternativbewegung heute wieder entdeckt wird: daß nämlich die ökonomisch-soziale Gleichheit nicht das Ziel, sondern materielle Voraussetzung ist für eine nichtzerstörerische Entfaltung von Individualität, für die Wiederherstellung eines tragfähigen Bandes zwischen den Generationen und für eine Versöhnung in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Die Wiederbelebung des Genossenschafts- und Selbstverwaltungsprinzips findet heute eher an den Rändern der traditionellen Arbeiterbewegung - und in Abgrenzung von ihren beiden politischen Hauptrichtungen, die sich gleichermaßen der Wachstumsutopie verschrieben haben - dort statt, wo relativ hochqualifizierte Arbeitskräfte aus dem System hierarchisch gestufter Lohnarbeit und bürokratischsozialer Sicherung herausfallen. Beim Zusammentreffen von Umweltschutzbewegung und Alternativbewegung handelt es sich nicht um vorübergehende Aktionseinheit, sondern um zwei Formen derselben ökologischen Bewegung, die trotz ihrer verschiedenartigen Vorgeschichte auf der gegenwärtigen Stufe industriegesellschaftlicher Entwicklung zusammengehören und überhaupt erst im Zusammenwirken politische Bedeutung entfalten können. Die Bewegung der Bürgerinitiativen bliebe für sich genommen fixiert auf ihre Forderungen an


den Staat. Erst über die Entwicklung alternativer Wirtschafts- und Lebensformen in kleinen, selbstorganisierten Einheiten gewinnt die Ökologiebewegung eine gesellschaftsverändernde Perspektive, die über die aktuelle Beziehung auf den Staat und seine Institutionen hinausreicht. Andererseits ist eine reale Veränderung auch nicht ohne Bezug auf den Staatsapparat möglich. Der bloße Bezug der Alternätivbewegung auf ihre Projekte, auf sich selbst, wäre entpolitisierend: Die Alternativen könnten allenfalls noch Nischen im zerfallenden System der Industriegesellschaften, eine "zweite Kultur" ohne Rückwirkung auf die Entwicklung der Ersten bilden. Die politische Bedeutung der Ökologiebewegung besteht nicht in ihren allgemeinen Zielen. Ihr allgemeinstes Ziel - das Überleben der Menschheit drückt nur aus, daß hier kein Heilsversprechen einer höheren oder besseren Welt gegeben wird. Die politische Bedeutung der Ökologiebewegung muß sich jenseits allgemeiner Prinzipien und konkreter Einzelforderungen in der programmatischen Entwicklung möglicher Schritte für die ökologisch orientierte Transformation und humane Weiterentwicklung gegebener Gesellschaftsstrukturen erweisen. Dazu bedarf es der organisatorischen Zusammenfassung ihrer politischen Kräfte in einer eigenen Partei. Die Aktualität einer solchen Parteigründung für die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland hat wenig zu tun mit der Tatsache, daß in diesem Jahr Bundestagswahlen stattfinden (und diese sich zu öffentlichkeitswirksamer Darstellung eignen). Sie wäre ebenso notwendig, wenn z.B. nur Kommunalwahlen - stattfänden: Auch Kommunalpolitik kann vom ökologischen Standpunkt nicht partikularistisch betrieben, kann nicht mehr sinnvoll von Weltpolitik getrennt werden. Es kann sein, daß diese Parteigründung für die Ökologiebewegung in der BRD zu früh kommt - so wie es auch sein kann, daß sie für bestimmte politische Rückwirkungen auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD bereits zu spät kommt. Es gibt jedoch wenig Grund zu der Annahme, daß die Ökologiebewegung durch die Parteigründung gespalten und durch parlamentarische Beteiligung umgebracht werden könnte. (Sie ist kein so zartes Pflänzchen wie offenbar gerade orthodoxe Linke annehmen!) Die für eine Spaltung angeführte Abgrenzungsdiskussion gegenüber Vertretern von Gruppen mit leninistisch-zentralistischem Partei- und Staatsverständnis ist kaum geeignet, auf eine Schwächung der Ökologiebewegung zu schließen. Die Abgrenzung ergibt sich hier aus dem Inhalt der ökologischen Orientierung selbst. Die Partei der Ökologiebewegung sollte den Mitgliedern dieser Gruppen die Möglichkeit zur ökologischen Neuorientierung nicht durch formal-

organisatorische Ausgrenzung verschließen. Sie muß jedoch jeden Versuch der Instrumentalisierung ihrer Arbeit für Positionen ausschließen, die - sei es theoretisch auch nur zu vorübergehenden Zwecken - die Herrschaft einer Partei- und Staatsmaschinerie befürworten, wie sie in den sozialistischen Ländern real existiert und mit deren Hilfe noch jede freie Produzentenassoziation und Selbstverwaltungsdemokratie abgewürgt wurde. Insbesondere darf sich die Ökologiebewegung auch nicht von den Anhängern einer heroisch-lebensverachtenden Theorie der politischen Machtergreifung das Prinzip der Gewaltfreiheit zerreden lassen. Da sie ja wissen, daß die Machtstrukturen in den entwickelten Industrieländern am allerwenigsten mit Waffengewalt aufzulösen sind, muß der wirkliche Grund ihrer Orthodoxie darin liegen, daß sie selbst nicht daran glauben, daß ihre politischen Auffassungen jemals mehrheitsfähig und ohne Gewalt zu verwirklichen wären. Ein relevanter Teil der demokratischen Öffentlichkeit in der BRD sieht die eigentliche Gefahr der Parteigründung der Grünen in der Schwächung der Wahlchancen von SPD und FDP. In einer regierungsfähigen SPD wird immerhin eine Garantie rechtsund sozialstaatlicher Errungenschaften gesehen, die zugleich Bedingungen für jede humane Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD darstellen. Tatsächlich ist jedoch mit der Parteigründung der Grünen weder eine Spaltung der SPD eingetreten noch ist dadurch eine Schwächung ihrer Regierungsfähigkeit wahrscheinlich geworden. Der Berliner Parteitag der SPD dokumentiert ja nicht nur die Entschlossenheit der SPD, die Diskussion über alternative Positionen zur Wachstumsutopie ihrer Regierungsfähigkeit zu opfern, sondern auch die Absicht, die angesichts der Herausforderung von Rechtsaußen in der Mitte freiwerdenden Wählerschichten an sich zu ziehen. Sie gibt damit - auch wenn dies die SPD-Linken noch nicht wahrhaben wollen - Wählerschichten auf der Linken auf, die sie schon lange nicht mehr zu repräsentieren versuchte, aber über das Argument der Übelverkleinerung noch immer hinter sich brachte. Es besteht also die Chance, in der BRD zu einer "Parteienlandschaft" zu kommen, die einen adäquateren Ausdruck der politischen Einstellungen darstellt, ohne dadurch die SPD im Hinblick auf ihre konservativen Funktionen zu schwächen.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.