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Fokus Hirn

Dr. med. Tobias Lindig ist nicht nur Facharzt für Radiologie und Neurologie, sondern auch Unternehmer. Als Geschäftsführer von AIRAmed entwickelt er zusammen mit seinen beiden Mitgründern Dr. med Benjamin Bender und Christiane Lindig sowie einem mittlerweile 20-köpfigen Team, KI-basierte Anwendungen, um neurodegenerative Erkrankungen früh und sicher zu erkennen.

Mit der Software AIRAscore structure ist es dem schnell wachsenden Start-up gelungen, eine KI-Lösung zu entwickeln, die in der Lage ist, MR-Scans quantitativ auszuwerten und exakte Messwerte aller relevanten Hirnstrukturen zu generieren. In nur wenigen Minuten werden globale und regionale Hirnvolumina anhand neuronaler Netze quantifiziert und in einem übersichtlichen Auswertungsbericht ausgegeben.

Als neuroradiologische Spezialisten beobachteten die beiden Oberärzte des Universitätsklinikums Tübingen schon lange, wie unterschiedlich die Befundqualität bei der Alzheimer- und Demenzdiagnostik ist. Mit der Software AIRAscore structure wollen die beiden Experten eine Lücke schließen und ihre ärztlichen Kolleg:innen mit einem maßgeschneiderten Werkzeug unterstützen, das die Detektion von Atrophien bereits in einem Stadium ermöglicht, in dem konventionelle Sichtprüfungen oft noch keine zuverlässigen Ergebnisse liefern können.

Automatisiert und strukturiert

Mit AIRAscore structure gelingt es, den Befundungs-Workflow zu beschleunigen und gleichzeitig die Qualität der Befunde zu steigern. „Wir möchten unsere Expertise aus der Klinik und der universitären Spitzenforschung auch anderen Kolleg:innen zur Verfügung stellen und dies in Form von maßgeschneiderten Applikationen, die aus der Anwendung kommen“, so Lindig. „Von Neuroradiolog:innen für Neurolog:innen und Radiolog:innen sozusagen.“

„Bereits als wir 2012 anfingen, forschungsbasiert die ersten eigenen Lösungen zu entwickeln, war uns klar, dass die Zukunft für eine frühe und differenzierte Abklärung neurodegenerativer Erkrankungen in der quantitativen Analyse liegen muss“, beschreibt Tobias Lindig die Motivation für die Unternehmensgründung und Produktentwicklung. „Damals war die Computertechnologie noch nicht so weit, um die notwendigen Datenmengen auch in annehmbaren Zeiten zu verarbeiten. Dies hat sich glücklicherweise geändert und uns die Entwicklung unserer innovativen KI-Software ermöglicht.“ Für eine Auswertung mit AIRAscore werden die MR-Bilddaten direkt vom MR an einen lokal installierten Client übergeben, pseudonymisiert in die Cloud geschickt, von den AIRAscore Algorithmen analysiert und gelangen in weniger als fünf Minuten zurück ins PACS.

Für die Einhaltung des Datenschutzes werden Bild- und Patientendaten vor der Weiterleitung in die Cloud voneinander getrennt. Sobald die Bilder das System vor Ort verlassen, kann niemand mehr erkennen, zu welchen Patient:innen die Bilddaten gehören. Erst nachdem der fertig analysierte Datensatz zurück im PACS angekommen ist, finden Bild- und Patient:innendaten erneut zusammen. Bereits unmittelbar nach der Untersuchung können die Radiolog:innen auf den fertigen Bericht zugreifen und die Ergebnisse mit den Patient:innen vor Ort besprechen. Für den Workflow ist es sehr wichtig, dass weder Patient:innen noch Zuweiser:innen lange auf das Ergebnis warten müssen.

Dr. Tobias Lindig, Geschäftsführer AIRAmed, Facharzt für Radiologie und Neurologie

Dr. Tobias Lindig, Geschäftsführer AIRAmed, Facharzt für Radiologie und Neurologie

„Mit AIRAscore structure lässt sich bei Verlaufskontrollen neurodegenerativer Erkrankungen eine Abweichung vom normalen Alterungsprozess auch bereits vor dem Vorliegen einer über das altersentsprechende Maß hinausgehenden Atrophie erkennen.“

AIRAscore stellt die genauen Auswertungsergebnisse in einem ausführlichen und anwenderfreundlichen Bericht zur Verfügung. Alle Messwerte werden im Vergleich zu einem großen Referenzkollektiv angezeigt, so dass leicht zwischen altersentsprechenden und pathologischen Veränderungen differenziert werden kann. „Wir wollten eine Anwendung entwickeln, die einfach zu installieren ist und mit geringem Aufwand stets auf dem aktuellen Stand gehalten werden kann und haben uns deshalb für eine Cloudlösung entschieden“, so Lindig.

AIRAscore analysiert MR-Scans und gleicht die Bilddaten mit einem alters- und geschlechtsspezifischen Referenzkollektiv ab. So wird die Detektion von Atrophien bereits in einem Stadium möglich, in dem konventionelle Sichtprüfungen noch keine zuverlässigen Befunde liefern.

AIRAscore analysiert MR-Scans und gleicht die Bilddaten mit einem alters- und geschlechtsspezifischen Referenzkollektiv ab. So wird die Detektion von Atrophien bereits in einem Stadium möglich, in dem konventionelle Sichtprüfungen noch keine zuverlässigen Befunde liefern.

Ohne zusätzliches Plug-in bekommen die Anwender:innen den fertigen Auswertungsbericht einschließlich der zugrunde liegenden Segmentierungen als DICOM (Sekundary-Capture), beziehungsweise PDF, im PACS zur Verfügung gestellt – angehängt als zusätzliches Bild der Studie. Das hat den Vorteil, dass der dedizierte Auswertungsbericht an der Workstation in einer eigenen Kachel, direkt neben den Scans, geöffnet werden kann, so dass die Radiolog:innen jederzeit in der Lage sind, jede einzelne Segmentierung und Volumetrierung nachzuvollziehen und zu validieren.

Exakte Informationen für Therapieplanung und Verlaufskontrolle

„Unsere Messwerte werden als 3D-Overlay auf den Original-Datensatz zurückgespielt. Die Radiolog:innen können im Grunde jeden einzelnen segmentierten Bildpunkt prüfen und die automatisierte Analyse nachvollziehen“, erklärt Tobias Lindig. „Bei der Produktentwicklung war es uns einerseits wichtig, dass wir nicht nur sagen Alzheimer „ja“ oder „nein“. Wir wollten aber auch nicht alles zeigen, was wir grundsätzlich messen können. Unser Ziel war es, eine Palette von sinnvollen Parametern auszugeben, die für die Befundung neurodegenerativer Erkrankungen tatsächlich relevant sind und die einen Mehrwert für eine bessere Differentialdiagnose, für die Therapieplanung und für Verlaufskontrollen liefern. Es ist uns sehr wichtig, dass wir unseren ärztlichen Kolleg:innen ein Tool zur Hand geben, das ihnen das tägliche Leben ein wenig erleichtert“, betont Lindig.

Deshalb umfasst AIRAscore structure nicht nur die Hirnlappen, sondern auch die tiefe graue Substanz, Aussagen zum Hippocampus, zum Hirnstamm und dem Kleinhirn. So ist auch die Differentialdiagnose anderer neurodegenerativer Krankheitsbilder, wie Parkinson, Multiple Sklerose, Ataxien, Kleinhirnerkrankungen und weiterer möglich. Der Auswertungsbericht selbst ist so aufbereitet, dass man sich nicht erst einlernen muss. Vielmehr wurde eine Darstellung gewählt, die an ein Blutlabor erinnert – Messwerte, Balkendiagramme, Piktogramme und eine Darstellung in Ampelfarben: möglichst einfach und intuitiv.

Neben einer frühen und eindeutigen Differentialdiagnose geht es auch darum, in kurzen Zeitabständen beobachten zu können, ob Medikamente wirken oder eine Anpassung der Medikation notwendig ist. Ob beispielsweise bei MS die Anzahl an Läsionen zu- oder abnimmt oder zu verfolgen, ob es sich um einen progredienten Krankheitsverlauf handelt und welcher Schweregrad vorliegt. Mithilfe der KI-Algorithmen von AIRAmed haben Radiolog:innen und Neurolog:innen künftig eine Möglichkeit zur Hand, mit der sie sich zusätzliche neuroradiologische Expertise ins Haus holen können und ihre eigenen Befundungs- und Diagnosemöglichkeiten im neurodegenerativen Bereich wesentlich unterstützen können. „Und das Beste an der Kombination aus Arzt und KI: Am Schluss profitieren alle unsere Patient:innen,“ so Lindig, „von einer höheren Wahrscheinlichkeit der Früherkennung, individuell angepassten Therapien und im besten Fall, von mehr Lebensqualität.“

AIRAscore structure stellt individuelle Messwerte intuitiv interpretierbar dar – ähnlich wie bei einem Laborbefund. Hirnareale und Gewebeklassen werden präzise quantifiziert.

AIRAscore structure stellt individuelle Messwerte intuitiv interpretierbar dar – ähnlich wie bei einem Laborbefund. Hirnareale und Gewebeklassen werden präzise quantifiziert.

Bild: AIRAmed GmbH

www.airamed.de