Kulturmagazin 2013

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Anniversarium

25 Jahre

Erich Fried

Erich Fried (1921 – 1988) Ein Störenfried?

Alexandra Stolba

D

ie dritte Ehefrau Erich Frieds meinte über ihren Mann, er wäre bei seinen Freunden beliebt wegen seines politischen Scharfsinnes, seines Witzes und einer besonderen Großzügigkeit. Kritiker, besonders aus konservativen Kreisen, bezeichneten ihn als »Störenfried«. Wer war dieser österreichische Lyriker, der im englischen Exil als Übersetzer und Essayist arbeitete?

© Jörg Briese

Erich Fried wird am 6. Mai 1921 in Wien als einziges Kind jüdischer Eltern geboren. Erlebnisse in der Kindheit prägen seine Widerspenstigkeit, eine Skepsis an den Aussagen Erwachsener und deren Autorität. Die Ehe der Eltern ist nicht glücklich. Mutter und Vater gehen bald eigene Wege. Fried spürt zu ihnen, besonders zum Vater, eine eher kühle Distanz. Hingegen baut er eine sehr liebevolle Beziehung zu seinem Kindermädchen auf, was er in einem Erinnerungsband als »Wunderkinderzeit« beschreibt.

Politische Unruhen wie der Justizpalastbrand von 1927, der Bürgerkrieg von 1934 sowie der NS-Putschversuch 1934 formen Frieds frühes Bewusstsein für Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit. Bereits im Alter von sechs Jahren zeigt er politischen Protest, indem er sich weigert, bei einer Weihnachtsfeier ein Gedicht vor dem Polizeipräsidenten Schober aufzusagen. Die Bilder der Massendemonstration vom 15. Juli 1927 waren ihm unvergesslich. Einen Tag davor hatte ein Geschworenengericht die Angeklagten von Schattendorf freigesprochen, die bei einem Aufmarsch des Republikanischen Schutzbundes Schüsse abgaben und dabei ein Kind und einen Kriegsinvaliden töteten. Weite Bevölkerungskreise verstanden dieses Fehlurteil nicht. Es kam zur Demonstration, in deren Folge der Justizpalast ausbrannte und Schober auf die Demonstranten schießen ließ. Die Entscheidung, Schriftsteller zu werden, trifft Fried 1938. Die Unterdrü-

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ckungsmaschinerie der Nazis bringt ihn dazu, sich ein Leben lang mit dem Thema der Entmenschlichung zu beschäftigen. Er gründet mit Freunden eine Widerstandsgruppe. Sein Vater stirbt nach der Verhaftung durch die Gestapo an den Folgen der Folterung. Fried beschließt die Flucht nach England. Durch eine Selbsthilfegruppe kann er einige Gefährdete, darunter seine Mutter, nach England retten. Wien bleibt trotz Vertreibung für Fried seine Heimatstadt. Er behält auch bei der Beurteilung der Ereignisse stets eine differenzierte Haltung. Sein Credo: Aus den grausamen Erlebnissen der Vergangenheit niemals den Bezug zur Gegenwart verlieren und das Bewusstsein für aktuelle Ungerechtigkeit bewahren. Krieg, Vertreibung, Unmenschlichkeit prangert er pausenlos an und scheut dabei auch nicht vor Kritik an der damaligen Palästinenserpolitik der Zionisten. Schriftstellerisch entwickelt er einen eigenen Modus. Er geht der Sprache auf den Grund, er experimentiert mit Worten und deren Bedeutung. Seine Lyrik ist das engagierte Gedicht, das eine poetische Verarbeitung von Unmenschlichkeit zeigt. Nach langjähriger Tätigkeit bei der BBC folgt ab 1968 sein stärkeres politisches Engagement in der linken Bewegung. Er distanziert sich jedoch deutlich von der Radikalisierung einiger linker Kreise. Fried wird eine schillernde, aber auch umstrittene Persönlichkeit. Er ist quasi eine »lyrische Kontrollinstanz« geworden, im andauernden Protest und Ungehorsam. Trotzdem bewahrt er sich Selbstkritik. Seine »Liebesgedichte« überraschen 1979 viele. Sie werden zu einem großen Erfolg besonders das Gedicht »Was es ist«. Nach der Diagnose von Darmkrebs widmet er sich vermehrt dem Sterben und dem Tod. Sein ganzes Leben beschäftigt sich Fried mit den Themen Politik, Liebe, Sprache – ob es Zorn-, Liebesgedichte oder politische Anmerkungen sind, immer behält er Humor und vor allem Selbstironie. Am 22. November 1988 stirbt Erich Fried in Baden-Baden. »Was bleibt?«: Fried – ein Unbequemer, aber friedlich Störender.

Kulturmagazin der Wiener Fremdenführer 2013 25.01.13 12:56


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