100 Jahre
Josef Meinrad
Josef Meinrad (1913 – 1996) Priester nur in Film und Fernsehen … osef Meinrad war ein erklärter Liebling des Wiener Publikums. Oberflächlich betrachtet erschien er vor allem liebenswürdig und gemütvoll. Beim genaueren Hinsehen erinnert man sich an einen vielschichtigen, differenzierten Schauspieler, der zahlreiche Herausforderungen annahm. Er wurde vor hundert Jahren geboren, seit 1997 trägt der Platz rechts vom Burgtheater, das seine künstlerische Heimat war, seinen Namen. Er war ein »echter Wiener«: Sein Vater lenkte die Straßenbahn, die damals noch »Tramway« hieß, als Josef Mouckaw am 21. April 1913 geboren wurde – ein Kind, dessen erste Lebensjahre von einem Weltkrieg überschattet wurden. Der »echte Wiener«, gebürtig aus Hernals, hatte aber nichts Proletarisches an sich – später würde er auf der Bühne die Gewänder von Herrschern und geistlichen Würdenträgern so selbstverständlich anlegen wie jene der »einfachen Leut’«, wie Raimund und Nestroy sie erdachten. Als Schauspieler war er unverkennbar, und das ist wichtig: Meinrad, lang und dürr, oft mit fröhlich-komischem Gesichtsausdruck, immer mit einer schrillen, kratzigen Stimme, entsprach absolut keinerlei Schönheitsidealen wie O.W. Fischer oder Curd Jürgens. Beide waren zwei Jahre jünger als er und noch eine Zeit lang seine »Wiener Kollegen«. Sie verfügten über den optischen Helden- und Liebhaber-Zuschnitt, der sie zu großen Filmstars machte. Meinrad hingegen war dafür geboren, vom Publikum geliebt zu werden, denn wenn er auf der Bühne stand, vermittelte er unendlich viel Echtheit und Spontaneität hinab in den Zuschauerraum. Es war unmöglich, nicht von ihm gefesselt zu sein. Und das, obwohl er als Schauspieler keiner der großen »Verwandler« war, die in Maske und Habitus jeweils einen völlig anderen Menschen auf die Bühne stellen. Meinrad war immer Meinrad, holte aber die innere Wahrheit jeder seiner Gestalten tief aus sich selbst heraus. Der Zweite Weltkrieg unterbrach die Karriere des jungen Mannes, bevor sie noch richtig begonnen hatte: Nach Anfängen in Wien fand er während des Krieges im Theater von Metz (die Stadt wurde nach
der deutschen Eroberung Deutschland angeschlossen) Unterschlupf. Hier lernte Meinrad das Handwerk zwischen Klassiker und Klamotte, und dort fand er auch seine Gattin Germaine, mit der er ein glückliches Eheleben teilte. Die sprichwörtliche Bescheidenheit des Stars kam nur kurz ins Wanken, als die Presse in späteren Jahren einmal feststellte, dass er einen Rolls-Royce fuhr … Und Kollegin Adrienne Gessner legt man das Bonmot in den Mund: »Seit der Pepi den RollsRoyce hat, ist er noch viel bescheidener.« Im Nachkriegs-Wien verbrachte Meinrad aufstrebende Jahre in der »Insel« von Leon Epp, die für das damalige Theaterleben so wichtig war, bis er dann 1947 ans Burgtheater kam. Hier diente er sich brav mit Nebenrollen hoch, bis man zuerst seine besondere Eignung für die Stücke von Nestroy und Raimund entdeckte: 1955 war der »Verschwender« eine der Eröffnungspremieren des nach den Kriegszerstörungen neu eröffneten Burgtheaters, und viele Theaterbesucher meinen, das philosophische »Hobellied« nie so schlicht, eindringlich und geradezu existenziell gehört zu haben wie von Meinrad. So war Meinrad auch von den fünfziger bis in die siebziger Jahre die Inkarnation des Nestroy-Darstellers des Burgtheaters, im »Jux« unvergesslich an der Seite von Kollegin Inge Konradi. Betrachtet man seine Karriere, stellt sich allerdings heraus, dass es sich Meinrad nie in der Position des Publikumslieblings leicht gemacht hat, sondern immer neue Herausforderungen suchte: Dass er in einer Nebenrolle in allen drei »Sissi«-Filmen eine unvergessliche Charge lieferte, zeigte nur einen Teil seines überbordenden (komischen) Könnens. Er war ein hinreißender Frosch in der »Fledermaus« (der den Dirigenten Herbert von Karajan in der Staatsoper »in Ketten« vor den Vorhang schleppte), er fand für sich die Welt des Musicals und galt als bester »Mann von La Mancha« deutscher Sprache. Er überzeugte als Molnars »Liliom«, obwohl er nicht der Typ des Frauenhelden war, er war ein nachdenklicher Heinrich VI. in Lindtbergs Inszenierungen von Shakespeares gleichnamigem Königsdrama, er gab 1965 – schon etwas zu alt für die Rolle
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Einen Jux will er sich machen, Burgtheater, 1956
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Heiner Wesemann
– den Peer Gynt und einen skurrilen Einstein in Dürrenmatts »Die Physiker«. In früher Jugend wollte Meinrad Pfarrer werden, entschied sich aber für den Schauspielerberuf. Er trug das Priestergewand sowohl in dem kritischen Film »Der Kardinal«, in dem Regisseur Otto Preminger u.a. die Position von Kardinal Innitzer im Dritten Reich thematisierte, wie auch – heiterer und leichtfüßiger – als kriminalistischer Pater Brown von Gilbert K. Chesterton in 39 erfolgreichen Fernsehfolgen. Es war Josef Meinrad, dem Werner Krauss den Iffland-Ring hinterließ, die größte Ehrung für einen Schauspieler deutscher Zunge (Meinrad gab ihn an Bruno Ganz weiter). Es hat Meinrad bis zu seinem Tod am 18. Februar 1996 an Ringen, Medaillen, Titeln und anderen offiziellen Respektbezeugungen für seine Kunst nie ermangelt. Aber wie jedem echten Schauspieler ging es ihm vor allem um die Liebe des Publikums. Hatte er diese – und er hatte sie immer – konnte er wie der Theodor im »Unbestechlichen«, eine seiner Glanzrollen, feststellen: »Demgemäß ist alles in schönster Ordnung.«
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