Wirtschaftsmagazin 2016

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Ausgabe 12 โ ข Juli 2016

Eine Sonderverรถffentlichung des


Inhalt Bosch

Bosch in Reutlingen gestaltet die Zukunft mit.....................................2

Advanced Unibyte

Expertentum und gelebte Werte....................................................................6

Pilz

Die Industrie der Zukunft ist sicher .............................................................8

Manz

Maschinenbau – der moderne Maßschneider.................................12

Walter

Werkzeuge mit Ausweis....................................................................................14

Wafios

Produktion von morgen bereits heute erleben .................................16

Prettl

Natur pur?! Industrie 4.0 in der Landwirtschaft ..............................18 18

ElringKlinger

Das perfekte Chaos – moderne Logistik ..............................................20

Eissmann

Big Data im Produktionsprozess.................................................................22

IHK Reutlingen

Digitalisierung überall ........................................................................................26

Wüstenrot&Württembergische

Die Kunden im Blick bei der Digitalisierung .....................................28

Kreissparkasse Reutlingen

Erwartungen der Kunden steigen ..............................................................30

Solcom

Big Data nutzbar machen.................................................................................32

Hochschule Reutlingen

4.0 - Nachgeforscht ..............................................................................................34

SchwörerHaus

Prozesse im Wandel ............................................................................................36

Schüschke

Handwerkskunst trifft industrielle Fertigung ....................................38

Titelbild: Industrie 4.0 Foto: Fotolia

Impressum Sonderveröffentlichung/Advertorial-Magazin von GEA Publishing für die Region Neckar-Alb Ausgabe 12/Juli 2016 Leitung/Koordination/Redaktion: Armin Zimny Anzeigen: Stephan Körting (verantwortl.), Benjamin Senft Graphische Konzeption/Layout/Satz/Gestaltung: Achim Goller Herausgeber: GEA Publishing und Media Services GmbH & Co. KG Persönlich haftende Gesellschafterin: GEA Publishing und Media Services Verwaltungs GmbH, Burgplatz 5, 72764 Reutlingen, Geschäftsführer: Michael Eyckeler, Stephan Körting Druck: Bechtle Druck & Service/Esslingen


GEA-Wirtschaftsmagazin

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Editorial

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as »Internet der Dinge« bzw. »Industrie 4.0« gehört zu den großen Zukunftsthemen von Wirtschaft und Gesellschaft, hieß es in einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag von T-Systems. Das war vor ziemlich genau einem Jahr. Bei näherer Betrachtung kann man heute schon nicht mehr von einem Thema der Zukunft sprechen, denn die Verschmelzung der realen mit der virtuellen Welt hat längst begonnen. Die Entwicklung vollzieht sich mit einer rasanten Geschwindigkeit. Trotzdem ist das Wissen in der Bevölkerung zu diesen Themen noch sehr gering. In der erwähnten Studie sagten 88 Prozent der befragten Personen, sie hörten den Begriff »Internet der Dinge« zum ersten Mal. Beim Begriff »Industrie 4.0« waren es 82 Prozent der Befragten. Das ist insofern erstaunArmin Zimny lich, da Kevin Ashton, Forscher am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) schon 1999 zum ersten Mal vom »Internet of things« sprach. Würde man die Umfrage heute nochmals machen, sähe das Ergebnis sicherlich anders aus, denn inzwischen spielt Industrie 4.0 auf jeder großen Messe in irgendeiner Form eine Rolle. Gleichwohl umschwirren viele Stichworte das Thema – dies deutet auch unser Titelbild an. Dies macht es so schwer, eine kurze knackige Definition zu formulieren. Industrie 4.0 verbindet die heutige klassische Produktion mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik und macht diese schneller, effizienter und deutlich flexibler. Neue Technologien verändern die Produktion, sie stellen quasi alle bekannten und traditionellen Methoden infrage oder gar auf den Kopf. Viele Experten sprechen deshalb bereits von der vierten industriellen Revolution. Es entstehen komplett neue Geschäftsmo-

delle. Ungezählte datenbasierte Dienstleistungen werden entwickelt. Die umfassende Vernetzung – wenn Maschinen, IT-Systeme und Menschen ständig automatisch Informationen austauschen – führt zur Verschiebung der Grenzen zwischen Unternehmen und zwischen Branchen. Manch einer spricht sogar von einer Verschiebung der Grenzen der Vorstellung. Unbestritten verändert die nächste Stufe der Digitalisierung die Rahmenbedingungen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, wenn Maschinen und Gegenstände des Alltags mit Prozessoren, Sensoren und Netzwerktechnik ausgerüstet werden. Industrie 4.0 beeinflusst den Umgang mit Daten und deren Sicherheit. Sie verändert Arbeitsabläufe und Produktionsmethoden und die Art, wie wir Menschen in Zukunft arbeiten werden. Es entstehen neue Herausforderungen für Unternehmen, viel Bewährtes muss vielleicht über Bord geworfen werden. Viele kleine und mittelständische Betriebe stehen erst am Anfang des digitalen Wandels. Doch für alle gilt, sie müssen ihr Angebot an digitalen Diensten und Produkten erweitern, wenn sie im Wettbewerb bestehen wollen. Zahlreiche Betriebe haben jedoch mehr Fragen als Antworten. Das GEA-Wirtschaftsmagazin möchte dazu beitragen, in der digitalen Welt die Orientierung zu behalten. Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen haben ihre Erfahrungen und ihre Herausforderungen hier beschrieben. Mein Dank geht an alle Unternehmen, die zum Gelingen dieses Magazins beigetragen haben. Ich hoffe, dass deren Berichte anderen Unternehmen helfen, eine eigene Digitalisierungsstrategie zu entwickeln bzw. eine vorhandene zu verfeinern. Ich freue mich auf Ihr digitales oder persönliches Feedback. armin.zimny@gea.de Ihr Armin Zimny


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Nur mit offenen Standards ist es möglich, Produkte und Software verschiedener Hersteller in einer Umgebung schnell und einfach zu vernetzen.

Industrie 4.0: Bosch in Reutlingen gestaltet die Zukunft mit Das Internet der Dinge klingt für viele Menschen so virtuell, so fern, so unwirklich. Dabei bestimmt es längst immer mehr Bereiche unseres täglichen Lebens. Auch in der Industrie hält es als Industrie 4.0 Einzug. Bosch ist weltweit ganz vorne dabei. Eine Schlüsselrolle spielen auch die Sensoren aus dem Bosch-Werk in Reutlingen. Von Kirsten Dohmeyer

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elten war der Technologiewandel schneller und tiefgreifender. Das Internet ist gerade einmal seit 20 Jahren für normale Bürger frei zugänglich und das Smartphone hat noch nicht einmal seinen zehnten Geburtstag gefeiert. Doch innerhalb dieser kurzen Zeit hat das mobile Internet unser Leben verändert und prägt die Art und Weise wie wir einkaufen, Reisen buchen oder Informationen finden. Reale Maschinen und die virtuelle Welt der Software und des Internets schienen lange Jahre weit auseinander. Aber das ändert sich mit einem enormen Tempo. Führende Experten aller Disziplinen sind sich einig: Industrie 4.0 ist einer der wichtigsten Hebel, um langfristig Industrie-Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern und neue zu schaffen. Wie beim Fahrzeug ist Bosch auch bei Industrie 4.0 ein Pionier und gestaltet die Zukunft aktiv mit.

Industrie 4.0 nutzt grundsätzlich bereits vorhandene Technologien. Aber die Verbindung der Maschinen mit der Informationstechnologie ermöglicht ganz neue, revolutionäre Geschäftsmodelle. Es gab schon vor dem Internet Mitwohnzentra-

len in großen Städten, aber erst durch Online-Anbieter wie Airbnb ist daraus ein Massenphänomen geworden. Über das Internet können Verbraucher und Unternehmen die verschiedenen Anbieter und ihre Preise so gut miteinander vergleichen wie nie zuvor. Konsumenten stellen sich immer mehr Produkte, von Autos über Möbel bis hin zur persönlichen Müslimischung, individuell zusammen. Für diese und weitere Herausforderungen der Kunden an die Wirtschaft gibt Industrie 4.0 die passenden Antworten: • Fabriken können kleine Serien oder sogar Einzelstücke zu ähnlichen Kosten wie in der Großserie herstellen; • die Herstellung von Produkten wird noch effizienter, sie verbraucht weniger Energie und Rohstoffe.

Die Industrie braucht Antworten auf neue Herausforderungen: volatile Märkte, individuelle Kundenanforderungen, kürzere Lieferzeiten und Produktlebenszyklen, soziale Netzwerke oder neue Formen der Zusammenarbeit. Industrie 4.0 eröffnet Möglichkeiten für höhere Produktivität, Flexibilität und Qualität.


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Intuitive Anpassung: Bediener überwachen den Zustand von Produktionslinien und stellen Module auf neue Aufgaben um, ohne in Maschinensprachen programmieren zu müssen. Bosch Mitarbeiter analysieren in der Fertigung Daten aus der laufenden Produktion mithilfe des Active Cockpit. Es vereint zahlreiche Informationen in Echtzeit.

• Maschinen fallen seltener aus, weil sie vorausschauend melden, dass sich Verschleiß anbahnt, bevor es zu einem Stillstand kommt.

Doppelte Führungsrolle Diese und weitere Vorteile von Industrie 4.0 nutzt Bosch gleich zweifach. Viele der mehr als 250 Werke sammeln in zahlreichen Projekten Erfahrungen mit Industrie 4.0. Erfolgreiche Ansätze werden auf andere Werke übertragen. Dadurch ist Bosch weltweit ein Leitanwender für Industrie 4.0. Gleichzeitig fließen die Erfahrungen in die Bosch-Erzeugnisse ein. So profitieren auch die Kunden. Ob Verpackungsmaschinen, Antriebe und Steuerungen, Industrieroboter, Sensoren oder Software: Als Leitanbieter ist Bosch mit seinen Produkten und Dienstleistungen ganz vorne dabei, wenn es darum geht, Fertigungslinien und ganze Fabriken auf Industrie 4.0 umzurüsten. Die Werkzeugmaschine läuft mit Hoch-

touren. Alle vier Sekunden ist ein Bauteil fertig, pro Stunde 900. Tief im Innern der Maschinen beginnt ein Lager unkontrolliert zu schwingen. Erst ganz leicht, dann immer stärker – aber niemand bemerkt es. Dann frisst es sich fest und die Maschine stoppt. Jetzt läuft die Zeit: Wartungstechniker rufen, das defekte Teil suchen, bestellen, einbauen und die Maschine wieder hochfahren. Jede Stunde werden 900 Teile weniger gefertigt, womöglich steht eine komplette Fertigungslinie. Solche Zwischenfälle führen jährlich in Deutschland zu vielen Millionen Euro Produktionsausfall. Industrie 4.0 ermöglicht einen neuen Weg. Anstatt auf Fehler zu warten und sie dann unter Zeitdruck zu reparieren, wird der Zustand aller kritischen Bauteile ständig überwacht. Sensoren aus dem Bosch-Werk Reutlingen messen Vibrationen, Stöße oder Temperatur an den Maschinen mit mikroskopisch kleinen Silizium-Strukturen in ihrem Inneren. Aus diesen Daten erkennt ein MicroControler über spezielle Algorithmen den Verschleiß. Bei dem Lager aus un-

Das Internet der Dinge ist bereits Wirklichkeit. Die Bosch-Gruppe hat umfassende Kompetenzen in der »Welt der Dinge« ebenso wie für die »Welt der Software und des Internets«. Mit der Praxiserfahrung aus der industriellen Fertigung in weltweit über 250 Werken sieht Bosch die großen Zusammenhänge.

Vom Echaz Valley zum Silicon Valley und zurück Ulrich Behner ist ein Wanderer zwischen den Welten. 1969 geboren, gehört er zur ersten Generation, in deren Kinderzimmern Computer standen. Nach seinem Physikstudium entwickelte er bei Bosch Steuergeräte und bereitete deren Produktion vor. Nach dieser »klassischen« Aufgabe wechselte er für Bosch ins Silicon Valley nach Kalifornien und erlebte als technischer Leiter, welche Möglichkeiten die Vernetzung eröffnet. Zurück in Reutlingen an der Echaz suchte er als Projektleiter neue Geschäftsfelder für den Bereich MEMS-Sensoren. Seit 2014 kümmert er sich ausschließlich um die Einführung von Industrie 4.0 bei Bosch. »Durch die Vernetzung entstehen Möglichkeiten bei Bosch, die ich nie für möglich gehalten hätte!«, betont der Physiker, der von Beginn an die Entwicklung von Sensoren für Industrie 4.0 begleitet hat. Bosch hat ganz bewusst keine riesengroße, zentrale Abteilung aufgebaut. Es gibt das Innovation Cluster Connected Industry, das Methoden, Tools und Kompetenzen entwickelt und die Werke berät. Das Wissen und die Strukturen werden auch in den Werken aufgebaut, die mit den neuen Technologien arbeiten.


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Vom Sensor bis zur Cloud aus einer Hand Der Geschäftsbereich Automotive Electronics von Bosch beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit kleinster und feinster Sensor- und Halbleitertechnik und ist Weltmarktführer für MEMS-Sensoren (mikroelektromechanische Systeme). Ursprünglich nur für Fahrzeuge gedacht, zeigte sich schnell, dass das Internet der Dinge große Mengen preiswerter und robuster Senso-

Jens Knut Fabrowsky

ren benötigt. Von der Theorie zur Praxis ist es bei Bosch nur ein kleiner Schritt: »Wir haben die Sensoren zunächst in unseren eigenen Werken eingesetzt, um schnell zu verstehen, welche Eigenschaften sie mitbringen müssen, damit wir die Effizienz unserer Fertigung steigern können«, erinnert sich Jens Knut Fabrowsky, Mitglied des Bereichsvorstands Automotive Electronics. Zusammen mit Spezialisten für die Industrie 4.0-Technologieentwicklung und -anwendung unter der Leitung von Ulrich Behner (siehe Kasten) hat Bosch damit ein neues Geschäftsfeld für Sensoren in Fabriken erschlossen. Immer mehr Maschinen werden mit Bosch-Sensoren ausgerüstet, die ihre Daten per Internet weiterleiten. Dabei entstehen gewaltige Datenmengen, die in Echtzeit ausgewertet werden müssen.

Dafür hat Bosch unter anderem die Bosch IoT-Cloud geschaffen. Die Hardware dazu steht in Deutschland, wo Daten durch eine besonders strenge und umfangreiche Gesetzgebung gut geschützt sind. In der Cloud läuft eine Bosch-eigene Software, die unter anderem aus riesigen Datenmengen neue Schlüsse ziehen kann und dabei hilft, Verschleiß vorausschauend zu erkennen. Industrie 4.0 unterscheidet sich in einem Punkt besonders von früheren Ansätzen. Der Mensch spielt als Akteur eine zentrale Rolle. Digitale Assistenten unterstützen die Mitarbeiter besser als je zuvor. Intelligente Systeme sammeln viele Daten, filtern hilfreiche Zusammenhänge heraus und stellen sie zur richtigen Zeit den richtigen Personen zur Verfügung. Damit können Menschen bessere Entscheidungen treffen und die Auswirkungen sofort überprüfen. Gleichzeitig werden Mitarbeiter von Routinetätigkeiten entlastet. Der Technologiewandel erfordert ein lebenslanges Lernen. Die Kommunikation und die Art, in der die Mitarbeiter arbeiten, werden immer wichtiger. Das zeigt sich auch in der Aus- und Weiterbildung der Bosch-Mitarbeiter. Das Unternehmen legt bei der Weiterqualifizierung den Schwerpunkt auf Kommunikation und den Umgang mit Informationstechnologien in der Fertigung. Damit erlernen die Mitarbeiter die neuen Arbeitsweisen und sind auf die kommenden Veränderungen vorbereitet. Schon jetzt ist im Ausbildungszentrum von Bosch in Reutlingen eine kleine Fertigungs-

linie aufgebaut, damit die Auszubildenden die neuen Anforderungen von Anfang an mitbekommen.

Vernetzt, produktiv, erfolgreich. Industrie 4.0 bei Bosch In Reutlingen ist die WaferFab eines der Leitwerke für Industrie 4.0 bei Bosch. Wafer sind hochreine Siliziumscheiben, auf denen elektronische Mikroschaltungen aufgebracht werden. Für die Prozessierung der Wafer bedarf es mehrere Monate, in welchen rund 600 Prozessschritte durchlaufen werden. Und genau hier kommt i4.0 zum Einsatz. i4.0-Anwendungen überwachen jeden Prozessschritt und jeden Transport von Fertigungsstücken. Dadurch weiß man zu jedem Zeitpunkt, welches Produkt sich in welchem Zustand in welcher Anlage befindet. Automatische Regeln vermeiden undefinierte Zustände und das System selbst sucht ständig nach einem Fertigungsoptimum bzgl. Durchlaufzeiten, Kundenwün-

Connected Industrial Sensor Solution (CISS) mit den Spezifikationen: Messung von Beschleunigung, Drehrate, Magnetfeld (je 3-achsig), Temperatur, Feuchte, Druck, Licht und Schall.

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serem Beispiel hätten solche Sensoren eine Warnung an die Instandhaltung geschickt. »Achtung Lager XY in spätestens 100 Betriebsstunden auswechseln.« Techniker hätten dann geplant das Verschleißteil ersetzt und dem Werk hohe Verluste erspart.

Die Bosch IoT Cloud wird eine Schlüsselrolle in der Industrie spielen. Sensoren, Software, Dienstleistungen und Cloud ermöglichen neue Geschäftsmodelle für die Industrie.


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marktet intelligente, vernetzbare Sensorgeräte sowie komplette integrierte Lösungen für zustandsabhängige und vorausschauende Wartungskonzepte sowie Transportlogistik.

Region Reutlingen: »Vernetzung bietet enorme Chancen«

schen, etc. Der Mensch als Akteur ist mitten drin und erfüllt den Teil der Produktion, den die IT nicht leisten kann. Sobald Abweichungen auftreten, greifen Mitarbeiter ein und passen die Abläufe wieder an. Auch im Elektronik-Werk Reutlingen in Kusterdingen ist Industrie 4.0 bereits Alltag. Ein digitaler Assistent nimmt die Handbewegungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf und ermöglicht ihnen so, Fehler bei den vielen manuellen Tätigkeiten im Fertigungsprozess zu vermeiden. MEMS-Sensoren aus dem Halbleiterwerk messen Informationen aus der Elektronikfertigung, um Störungen frühzeitig zu erkennen. Bosch Connected Devices and Solutions in Reutlingen entwickelt und ver-

Bosch in der Region Reutlingen hat sich eine gute Startposition für Industrie 4.0 erarbeitet und bestimmt die Entwicklung von Industrie 4.0 aktiv. Das ist nur der Anfang. »Alle produzierenden Firmen in der Region Reutlingen sollten sich intensiv mit IndustBOSCH ALS LEITANWENDER Vorneweg bei Realisierung vernetzter Konzepte mit Ausrüstern

BOSCH ALS LEITANBIETER Technologie- und Lösungslieferant für Automobilhersteller und Endanwender

Halbleiterfertigung im Reutlinger Werk 1, genannt die WaferFab, in der Tübinger Straße. Sie ist immer noch eine der größten Einzelinvestitionen von Bosch.

Fotos: Bosch

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rie 4.0 beschäftigen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen«, so Jens Knut Fabrowsky. Für ihn ist klar, dass Industrie 4.0 nicht an den Werkstoren von Großunternehmen wie Bosch halt machen wird. Hersteller und deren Zulieferer bilden schon heute Wertschöpfungsnetzwerke, in denen sie Daten austauschen. »Das gilt auch und gerade für kleine und mittelständische Unternehmen. Die Vernetzung bietet enorme Chancen, effizienter zu werden und zu wachsen«, bekräftigt Fabrowsky. Dabei geht es oft gar nicht um große Investitionen, sondern um die Offenheit für neue Ansätze in Unternehmen wie auch seinen Mitarbeitern.

Bosch Automotive Electronics Der Geschäftsbereich Automotive Electronics von Bosch mit Hauptsitz in Reutlingen entwickelt und fertigt Mikroelektronik. Das Produktspektrum reicht von Bauelementen wie Halbleitern, Sensoren und MEMS (mikroelektromechanische Systeme) über Steuergeräte – unter anderem für Karosserieelektronik, Bremsregelsysteme und Motorsteuerung sowie deren Auftragsfertigung – bis hin zu nicht-automobilen Anwendungen wie beispielsweise Sensoren für die Unterhaltungselektronik. Die Bosch Connected Devices and Solutions GmbH, Reutlingen, bietet zudem Sensoren, Software und Komplettlösungen für das Internet der Dinge an. Zu Automotive Electronics gehört darüber hinaus der Bereich eBike Systems, der auf dem Gebiet der Antriebs- und Steuerungseinheiten für Fahrräder mit Elektromotor einer der führenden Anbieter in Europa ist. Weiterführende Informationen über Industrie 4.0 finden Sie unter http://bit. ly/1OgboUR. Dort zeigen Videos und Animationen anschaulich, wie die Zukunft in der Industrie aussehen wird.


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Expertentum und gelebte Werte Wo riesige Datenmengen, die Cloud und Industrie 4.0 auf Philosophie und Spaß bei der Arbeit treffen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kein Zufall, sondern Absicht ist – die Advanced UniByte GmbH [AU]. Von Christian Sommer

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ls ich das Firmengebäude der AU zum ersten Mal betrete, werde ich nett begrüßt – von Mitarbeitern in Bermudas und Flipflops. Ich habe schon einiges von diesen »coolen Datensurfern« gehört, aber diese Firma ist ganz offensichtlich und vor allem spürbar anders. Und das gefällt mir. Das IT-Systemhaus Advanced UniByte (AU) ist eine der führenden Adressen in Deutschland, wenn es darum geht, die IT-Infrastruktur einer Organisation maximal sicher zu konzipieren und zu betreiben. »In den vergangenen 20 Jahren war unser Hauptgeschäft, IT-Lösungen für unsere Kunden zu realisieren, mit denen sie ihre Daten zuverlässig speichern und sichern können«, sagt uns Alexander Landgraf, Technischer Leiter bei AU. »In letzer Zeit

wurden die Anforderungen an uns immer komplexer, dazu zählen v.a. die Anbindung internationaler Niederlassungen und die Vorgabe, Informationen – nahezu zeitgleich – überall verfügbar zu halten.« fügt er hinzu. Das Internet-der-Dinge Das Internet-of-Things (IoT) stellt aktuell noch viel größere Anforderungen an die Verfügbarkeit von Daten als bisher. Es vernetzt nun – einfach gesagt – alles mit allem und jedem. Das Handy, das Fitness-Armband, Haushaltsgeräte oder Autos aber auch Maschinen und Werkstücke in Fabriken. Täglich entstehen neue Herausforderungen. Digitalisierung & Industrie 4.0 Die Digitalisierung sorgt in der Produktion für die vierte Industrielle Revolution. Während in der Vergangenheit die Mechanisierung, die Elektrifizierung und in

den 1970er- Jahren die Automatisierung den Wandel auslösten, bildet bei der Vierten dieses Mal die Anwendung von Internet-Funktionen und Technologien den Hauptunterschied zur computergesteuerten Produktion in Stufe 3. Diese Funktionen vernetzen Menschen, Maschinen und Produkte und stellen die Kommunikation dazwischen her. Die Industrie 4.0 wird ähnlich große Veränderungen bringen wie ihre Vorgänger. Das Internet der Dinge bildet dafür die technologische Grundlage. Enormes Wachstum IoT und Industrie 4.0 werden in den nächsten Jahren gewaltige Datenmengen erzeugen. »Keiner kann genau vorhersehen, wie viele Daten entstehen. Wurden Daten früher manuell eingegeben, werden sie nun durch Maschinen, Fahrzeuge, Handys u.v.m. erzeugt. Aktuell geht man davon aus, dass das Volumen bis 2020 – allein durch Sensordaten in der Industrie von 4,4 Billionen Gigabyte auf 44 Billionen Gigabyte wachsen werden. Dies stellt für AU ein enormes Potenzial dar«, sagt Sandro Walker, Gründer und Geschäftsführer der AU. Cloud – Hassliebe des Mittelstandes Um diese Datenmengen zu bewältigen,


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eignen sich Cloud-Services, also »ausgelagerte IT« nahezu perfekt. Doch Unternehmen sind an dieser Stelle besonders sensibel und haben, nicht erst seit den NSA- Skandalen, Sorge um die Sicherheit ihrer wichtigen Daten in der Cloud. Expertentum und Erfahrung Seit 2012 bietet AU ihren Kunden eigene Cloud Services an. Viele nutzen dabei die AU-Cloud als sicherste Stufe im Datensicherungskonzept. Die Daten werden in der deutschen Cloud transparent und jederzeit verfügbar gespeichert, nach deutschem Recht. Im Katastrophenfall sind die Daten im unterirdischen Hochsicherheits-Rechenzentrum bombensicher und jederzeit verfügbar. Dass AU der Initiative »Cloud-Services made in Germany« angehört ist dabei sehr wichtig. Walker sieht jedoch noch weitere Kriterien, warum sich Kunden immer häufiger für die AU-Cloud entscheiden: »Wir sind hochflexibel und passen Lösungen und Verträge stets individuell auf den Kundenwunsch an. Das Ganze in deutscher Sprache und mit deutschem Gerichtsstand. Vollkommen transparent.« Vertrauen ist die Basis Das Wichtigste jedoch ist das über viele Jahre gewachsene Vertrauen in die Expertise und vor allem in die Menschen bei AU. »Für uns ist die AU-Cloud technisch und wirtschaftlich eine herausragende Lösung. Seit fast 20 Jahren kümmert sich AU – mit

Die Kinder aus dem AU-TigeR beim Spatenstich des neuen Gebäudes. Sie erhalten dort viel mehr Platz.

Expertise und Leidenschaft – um unsere sensibelsten Systeme und Daten, da ist die AU-Cloud die logische Konsequenz«, sagt Jürgen Winkler, stellvertretender IT-Leiter beim Fraunhofer Institut FOKUS in Berlin. Diese Vertrauensbasis muss sich ein Unternehmen erst einmal verdienen. Was also macht den Unterschied? Begeisterung im Mittelpunkt »Wir haben eine klare Philosophie, wie wir mit unseren Kunden, Technologiepartnern und Mitarbeitern umgehen. Gelebte Werte sind die Basis dafür. Bereits bei der Auswahl neuer Mitarbeiter achten wir darauf, dass sie, neben der fachlichen Qualifikation auch gesunden Menschenverstand mitbringen«, erklärt uns Michael Born, Vertriebs- und Marketing-Leiter des Unternehmens. Zufriedene Kunden sind dem Unterneh-

Das Führungsteam von Advanced Unibyte: von links Michael Born, Sandro Walker (Gründer und Alleingesellschafter) und Alexander Landgraf. Fotos: AU

men zu wenig. Man will begeisterte Kunden und Fans, will sich als Partner und Marke etablieren. »Das schafft man nur mit begeisterten, motivierten Mitarbeitern. Schauen Sie mal in kununu.com«, ergänzt Walker mit einem Schmunzeln. Zu den AU-Kunden gehören Premium-Unternehmen aus der Region wie Hugo Boss, Wafios, Reiff oder Rieber und große Industrieunternehmen wie KUKA oder Webasto aber auch viele Forschungseinrichtungen sowie öffentliche Kunden wie Landratsämter oder kommunale Rechenzentren. Bereit für den nächsten Schritt Der nächste Schritt kommt mit dem Umzug in das neue Firmengebäude in Metzingen. Großzügige Büros, mehr Arbeitsplätze und Laborräume entstehen und die firmeneigene Kinderbetreuung (TigeR) wird ausgebaut. Deren Räumlichkeiten werden riesig und der Garten wird für Kinder und Mitarbeiter ein Paradies. Für das seit Jahren von zwei Mitarbeiterinnen geführte Restaurant hält Born eine Überraschung bereit: »Mit einer modernen Gastro-Küche und unter Leitung eines Spitzenkochs bieten wir unseren Mitarbeitern und Kunden eine Erlebnisgastronomie. Pausen werden dann zu kulinarischen Urlauben«, schwärmt Born. Der Erfolg gibt den Machern bei AU recht: Rund 120 Mitarbeiter erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2015/16 34,5 Mio Umsatz und sorgten damit für das beste Ergebnis in der 22-jährigen Geschichte der AU. Auch die Ermstäler dürfen sich freuen. Im Atrium des neuen Gebäudes werden kulturelle Veranstaltungen ausgerichtet und damit regelmäßig die Türen geöffnet, um weitere Menschen von und für AU zu begeistern.


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Die sichere Interaktion zwischen Mensch und Roboter erfordert zunehmend neue Techniken und Lösungen.

Die Industrie der Zukunft ist sicher Sicherheit wird vorausgesetzt, aber erst ihre Abwesenheit wird bemerkt. Weil in der intelligenten Fabrik der Zukunft Mensch und Maschine enger zusammenarbeiten, gibt es neue Herausforderungen für die Sicherheit. Von Renate Pilz

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hre Anwesenheit wird stets vorausgesetzt, aber erst ihre Abwesenheit wird tatsächlich auch bemerkt: die Sicherheit hat den Schutz von Mensch, Maschine und Umwelt zur Aufgabe. 1787, mit den von Edmond Cartwright erstmals eingesetzten Webmaschinen, begann mit der Mechanisierung die erste industrielle Revolution. Hauptmotivation damals war die Erhöhung der Produktivität, an die Sicherheit des Webers wurde kaum ein Gedanke verschwendet. Heute dagegen stehen die Effizienz des Produktionsablaufs und die Sicherheit des Werkers gleichermaßen im Mittelpunkt. Weil in der intelligenten Fabrik der Zukunft

Mensch und Maschine noch enger zusammenarbeiten werden, stellt die Industrie 4.0 auch mit Blick auf die Sicherheit neue Herausforderungen. Zuverlässigkeit sowie Effizienz der industriellen Produktion sind untrennbar mit der Automatisierung von Prozessen verbunden. Sie schafft die technischen Voraussetzungen für die intelligente Fabrik der Zukunft.

Die neue Rolle des Menschen Die Industrie-Norm DIN V 19233, die im Jahr 1972 erstellt wurde, definiert die Automation als »Das Ausrüsten einer Einrichtung, sodass sie ganz oder teilweise ohne

Mitwirkung des Menschen bestimmungsgemäß arbeitet«. Das Ideal der Automatisierung bestand lange Zeit darin, den Menschen zu ersetzen und aus den Fabrikhallen zu drängen. Mittlerweile haben sich aber jegliche Planungen in Richtung einer menschenleeren Fabrik als überholt erwiesen. Mit zunehmender Komplexität wird deutlich, dass der Mensch der Maschine in verschiedenen Bereichen überlegen ist. Für eine intelligente Produktion ist der Mensch unerlässlich, da er im Gegensatz zu Maschinen eigenständig Situationen bewerten und beispielsweise autark abwägen und Entscheidungen treffen kann. Wenn der Mensch in der Produktion bleiben soll, müssen Arbeitsplätze an das Alter


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und die Qualifikation der einzelnen Arbeitskräfte angepasst werden. Roboter beispielsweise übernehmen in enger Zusammenarbeit mit dem Werker weitere körperlich anstrengende oder besonders monotone Aufgaben, während der Mensch höherwertige Aufgaben ausführt. Damit kann die Automatisierung Antworten geben auf Fragen, die der demografische Wandel aufwirft.

Der Stärkere gibt nach Statt einer Kooperation geht es künftig um Kollaboration, also nicht nur um eine Zusammenarbeit, sondern im gesteigerten Maße um das Miteinanderarbeiten von Mensch und Maschine. In vielen Bereichen bedeutet das, dass der Mensch näher an die Maschine rückt oder sich Mensch und Maschine gleichzeitig eine Aufgabe und damit einen Arbeitsraum teilen, in dem jeder seine Stärken einsetzen kann. Je enger Mensch und Maschine zusammenarbeiten, desto wichtiger wird die Sicherheit. Nur wenn die Sicherheit zu jeder Zeit gewährleistet ist, wird der Mensch bereit sein, mit »Kollege Roboter« zu arbeiten. Industrieroboter sind eine Erfindung aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts:

In den 50er-Jahren läutete der Amerikaner George Devol mit seinem Patententwurf für »eine programmierte Übergabe von Artikeln« diese Ära ein. 1961 kam mit dem Unimate erstmals ein Roboter in der Fertigung bei General Motors zum Einsatz. Um den Schutz des Werkers zu gewährleisten, setzte man damals auf eine strikte Trennung von Mensch und Maschine. Der Roboter sollte die menschliche Arbeitskraft ersetzen und blieb für die Erledigung seiner Aufgaben eingehaust in einer Zelle. Getrennte Arbeitsräume und keine unmittelbare Interaktion zwischen Mensch und Maschine: Diese Prinzipien blieben für über 50 Jahren unverändert. Den Wunsch, dass Mensch und Roboter sich wie in der Science-Fiction den Arbeits- oder Lebensraum teilen, erfüllten diese Roboterapplikationen nicht.

Der Roboter von heute hat Gefühle Mit einer neuen Art von Robotern, den sogenannten Cobots, soll sich das nun ändern. Der Name Cobots stammt aus der Verbindung der Worte »Collaboration« und »Robot«. Im Unterschied zur Kooperation teilen sich bei der Mensch-Ro-

Um das erforderliche Sicherheitsniveau nachweisen zu können, muss die komplette Sicherheitsfunktion, vom Sensor über die Logik bis hin zum Aktor, betrachtet werden.

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boter-Kollaboration (MRK) Mensch und Roboter einen Arbeitsraum. So werden die Stärken bzw. Vorteile der Maschine wie Zuverlässigkeit, Ausdauer und Wiederholgenauigkeit mit den Stärken des Menschen, also Geschicklichkeit, Flexibilität und Entscheidungsvermögen kombiniert. Bei solchen Mensch-Roboter-Kollaborationen überschneiden sich die Arbeitsräume von Mensch und Roboter räumlich und zeitlich. Für MRK werden sogenannte Leichtbauroboter eingesetzt, die Lasten von etwa 10 kg bewegen können. Als Serviceroboter sollen sie Menschen bei körperlich belas-

Am Ende steht die CE-Kennzeichnung Der Gesetzgeber verpflichtet, wie in anderen Bereichen auch, den Hersteller einer Roboterapplikation zur Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahren mit CE-Kennzeichnung. Die Anbringung der CE-Kennzeichnung bestätigt, dass die Roboter-Applikation alle erforderlichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen erfüllt. Die Herausforderung der zugrunde liegenden »Risikobeurteilung« bei Roboterapplikationen besteht darin, dass sich die Grenzen der beiden Arbeitsbereiche von Mensch und Maschine auflösen. Zusätzlich zu den Gefahren, die vom Roboter ausgehen, müssen die Bewegungen des Menschen berücksichtigt werden. Diese sind jedoch nicht immer kalkulierbar mit Blick auf Geschwindigkeit, Reflexe oder plötzlichen Zutritt zusätzlicher Personen. Es folgen die Schritte »Sicherheitskonzept« und »Sicherheitsdesign« inklusive Auswahl der Komponenten. Diese sind meist eine Kombination aus intelligenten Sensoren, die miteinander verknüpft sind, und Steuerungen, die die notwendigen dynamischen Arbeitsprozesse überhaupt erst möglich machen. Anschließend werden die ausgewählten Sicherheitsmaßnahmen in der Risikobeurteilung dokumentiert und im Schritt »Systemintegration« umgesetzt. Es folgt die »Validierung«, in der die vorangegangenen Schritte nochmals reflektiert werden.


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tenden oder monotonen Arbeiten »zur Hand gehen«. Typische Einsatzgebiete sind »Pick and Place«-Applikationen, das Handling zwischen verschiedenen Produktionsschritten oder »Follow-the-Line«-Anwendungen, bei denen der Roboter eine vorgeschriebene Bewegungsbahn exakt ausführen muss (z.B. beim Nachfahren einer Kontur oder Klebearbeiten).

»Tut’s weh?« Die Kollaboration stellt an die Sicherheit neue Anforderungen. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen »klassischen«, umhausten Roboterapplikationen und MRK ist, dass Kollisionen zwischen Maschine und Mensch ein reales Szenario sein können. Wenn Mensch und Maschine auf Tuchfühlung gehen, muss die körperliche Unversehrtheit trotzdem gewährleistet sein. Voraussetzungen für ein verletzungsfreies Miteinander sind zum einen zuverlässigere Steuerungen und intelligente, dynamische Sensoren am Roboter selbst. Diese neue Formen der Zusammenarbeit und die neu definierte Rolle des Menschen erfordern neue, dynamische Sicherheitsmechanismen. Die erlauben es beispielsweise, dass Roboter nicht gleich hart gestoppt werden müssen, wenn sich ein Mensch in den Arbeitsbereich hinein bewegt, sondern mit reduzierter (und damit weniger gefährlicher) Geschwindigkeit weiterarbeiten können – und künftig sogar sichere Ausweichstrategien beherrschen können. Doch Technologie ist nur ein Baustein zur Sicherheit. So müssen durch normative

Grundlagen verlässliche Sicherheits-Standards gesetzt sein. Eine zentrale Bedeutung spielt dabei die in diesem Frühjahr veröffentlichte Technische Spezifikation ISO/TS 15066 »Robots and Robotic Devices - Collaborative industrial robots«. Als Mitglied in diesem Internationalen Normengremium hat Pilz aktiv an der Ausgestaltung dieser wegweisenden Norm für die Mensch-Maschine-Kollaboration im industriellen Umfeld mitgearbeitet. In der Norm ist ein Körperzonenmodell aufgeführt. Es macht zu jedem Körperteil (z.B. am Kopf, an der Hand, am Arm oder am Bein) eine Angabe zu den jeweiligen Kollisionsgrenzwerten. Bleibt die Anwendung während einer Begegnung zwischen Mensch und Roboter innerhalb dieser Grenzen, so ist sie normenkonform. Diese Schmerzschwellenwerte werden in der Praxis zur Validierung einer sicheren MRK herangezogen. Zur Messung von Kräften und Geschwindigkeiten hat Pilz ein Kraftmessgerät entwickelt und im Automobilbau bereits erfolgreich erprobt. Ausgestattet mit Federn und entsprechenden Sensoren können die einwirkenden Kräfte bei einer Kollision mit einem Roboter exakt erfasst und mit den Vorgaben aus der ISO/ TS 15066 verglichen werden. Die Aufgabe der Automation ist es, dem Menschen den Alltag zu erleichtern, ihn in seinem persönlichen und industriellen Umfeld zu unterstützen und dabei zu helfen, die Komplexität der uns umgebenden Prozesse zu beherrschen. Die Automation wird noch stärker zum Schrittmacher der modernen Industriegesellschaft. Von zentraler Bedeutung ist das Thema Sicherheit: Schließlich wird die Rolle des Menschen in der Smart

Botschafter der Sicherheit Schneller, flexibler, sicherer – mit diesem Ziel schreitet der Automatisierungsgrad von Maschinen und Anlagen in allen Branchen voran. Das stellt neue Anforderungen an Produktionssysteme. Als Komplettanbieter für die sichere Automation bietet das Unternehmen Pilz aus Ostfildern, dessen Name weltweit als Synonym für Sicherheit von Mensch, Maschine und Umwelt steht, Automatisierungslösungen für alle Industrien. Fotos: Pilz

Die sehende Sicherheitstechnologie SafetyEYE von Pilz ermöglicht es, auch Räume sicher, flexibel und effizient zu überwachen. Diese Kamera ist vor allem zur sicheren Überwachung der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine gedacht.

Factory neu definiert, um mit Blick auf die angestrebte Qualität effizienter und besser fertigen zu können. Statt Substitution geht es bei Mensch und Maschine heute um Kollaboration, vorausgesetzt der Schutz des Menschen ist gewährleistet.

Renate Pilz Vorsitzende der Geschäftsführung Pilz GmbH & Co. KG

Vita Renate Pilz, geboren 1940 in Göppingen, war von 1975 bis 1994 im Beirat des Unternehmens tätig. Anschließend übernahm sie als geschäftsführende Gesellschafterin die Leitung der Pilz GmbH & Co. KG. Zusammen mit Tochter Susanne Kunschert und Sohn Thomas Pilz bildet sie heute die Geschäftsführung des Unternehmens. Hier verantwortet die Unternehmerin das Produktmanagement, die Vertriebssteuerung, den Customer Support und das Marketing. Renate Pilz zeichnet auch für die Internationalisierung des Unternehmens verantwortlich, das heute auf allen Kontinenten vertreten ist. Für ihre Verdienste um das Land Baden-Württemberg und seine Bevölkerung wurde Renate Pilz 2015 mit der Staufermedaille in Gold ausgezeichnet.


Unser Patentrezept für die Zukunft. Manche meinen: Wenn ein Unternehmen wie Lechler Erfolg an Erfolg reiht, dann stecke dahinter zwingend ein Geheimnis. Nun, das stimmt nicht ganz. Denn für uns sind Kreativität, höchste Sorgfalt und der Qualitätsanspruch unserer Mitarbeiter längst ein offenes Geheimnis – seit 1879. Dank dieser Leistungsmerkmale sind wir heute die Nr. 1 unter den Düsenherstellern. Nicht nur in Metzingen, sondern in ganz Europa.

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Maschinenbau – der moderne Maßschneider! Die Manz AG ist ein wichtiger Hightech-Partner in der Produktion vieler renommierter Markenunternehmen – und hält sich dabei dezent im Hintergrund. Von Stefan Richter

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amen und Herren kennen es gleichermaßen: Wir sind auf der Suche nach einem Paar ganz bestimmter Schuhe. Sneakers vielleicht, die zu der neuen Jeans passen sollen. Im Internet sind wir nicht fündig geworden und im Sportgeschäft in der Innenstadt steht auch nichts Passendes im Regal. Aber, halt! Da gibt es doch diesen Online-Konfigurator: Sneakers am Bildschirm selbst maßschneidern, produzieren lassen und wenig später beim Händler anprobieren. Egal, welcher Stil: Wir Kunden gestalten selbst mit! Zugegeben, dieses Szenario liegt noch in der Zukunft. Aber die hat ja bekanntlich schon begonnen. Der Hightech-Maschinenbauer Manz bietet seit nun fast 30 Jah-

ren Automatisierungslösungen an, die die Fertigungsabläufe ganz unterschiedlicher Produkte immer effizienter und zuverlässiger machen, zum Beispiel die von Solarmodulen, Displays, Smartphones oder Batterien. Derzeit arbeitet Manz auch daran, die Herstellung immer individuellerer Produkte zu ermöglichen.

Ein Fahrradsattel aus Carbon-Pflastern Das Beispiel Sneakers ist deshalb ganz real für die Ingenieure von Manz. Bereits vor mehreren Jahren waren die Produktexperten von adidas auf die Reutlinger aufmerksam geworden: Manz hatte auf einer Messe eine Anlage vorgestellt, die vollautomatisch ei-

nen Fahrradsattel nach persönlichen Maßen fertigt. Per Scanner werden dabei die Maße des Sportlers erfasst, die Daten werden an eine Maschine weitergeleitet, die etwa sechs Zentimeter lange »Pflaster« aus Carbon, sogenannte Patches, aufeinanderlegt und zu einem extrem leichten und dabei stabilen Sattel verschweißt. Das Material für die Patches, zum Beispiel Kunststoff, Textilien oder Faserverbund-Werkstoffe, läuft dabei von einer Rolle ab. Bei dem Patch Placement genannten Verfahren gibt es fast keinen Materialverschnitt, verschiedene Materialien und Farben lassen sich kombinieren, ohne dass die Maschine aufwendig umgerüstet werden muss. Dieses Prinzip hat adidas interessiert, passte es doch hervorragend zur Idee der Speedfactories, der flexiblen Fabriken, die

In der Speedfactory will adidas künftig Schuhe so individuell, ressourcenschonend und damit wirtschaftlich wie möglich produzieren – mit Produktionstechnologie von Manz.


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Das innovative Patch-Placement Verfahren von Manz eignet sich nicht nur zur vollautomatischen Herstellung eines Fahrradsattels aus Faserverbund-Werkstoffen. Auch in der Herstellung von Sneakers kommt ihm künftig eine zentrale Rolle zu.

Fotos: Manz

überall dort errichtet werden sollen, wo die Kunden sind – in der Vision dann auch direkt in den Sportgeschäften, in sogenannten Storefactories. Der fränkische Sportartikelkonzern will künftig auf diesem Weg Schuhe so individuell, ressourcenschonend und damit wirtschaftlich wie möglich produzieren. Sneakers sind aber nur ein Beispiel für die von Manz entwickelten Fertigungsverfahren, die sich auf nahezu alle Leichtbauteile und Textilien bzw. flexiblen Werkstoffe übertragen lassen. Zum Beispiel auch auf die Herstellung von Skiern und Snowboards, Helmen und Protektoren.

Sneakers bald wieder »Made in Germany« »Für die Konsumenten ist es natürlich sehr reizvoll, ihre Wunschprodukte künftig am Bildschirm selbst zu gestalten und auch die Stationen ihrer Fertigung online zu verfolgen – ähnlich der Sendungsverfolgung der Paketdienste«, erklärt Dr. Martin Steyer, der selbst Sneakers tragende Mitdreißiger, der bei Manz das Geschäftsfeld New Business leitet. Für die Markenhersteller wiederum sprechen vor allem wirtschaftliche Gründe dafür, dezentrale und hochflexible Produktionseinheiten aufzubauen: Gerade im schnelllebigen Lifestyle- und Modegeschäft lassen sich lange Transportwege und Lieferzeiten vermeiden, der Materialverbrauch sinkt dank der eingesetzten sogenannten additiven Produktionstechnologien, die Hersteller können flexibel und schnell auf neue Trends reagieren und produzieren nicht in großen Stückzahlen »am Markt vorbei«.

Es sind Hightech-Maschinenbauer wie die Manz AG, die dafür sorgen, dass viele Produktinnovationen unserer Zeit für einen großen Kundenkreis erschwinglich werden. Maßgeschneiderte und dazu noch persönlich gestaltete Schuhe oder Bekleidung sind nur ein Beispiel dafür – denkbar sind die dafür nötigen vernetzten Produktionsanlagen aber auch in der Luft- und Raumfahrt, im Automobilbau oder in der Medizintechnik. Das Etikett »Made by Manz« wird sich wohl nicht auf mit Anlagen von Manz hergestellten Produkten finden. Deren Hersteller sind allerdings sehr froh, dass sie die schwäbischen Tüftler aus Reutlingen-Altenburg an ihrer Seite – oder dezent im Hintergrund – wissen. Dr. Martin Steyer, der Leiter des Geschäftsfelds New Business bei Manz, erläutert die vier Erfolgsfaktoren der hochindividuellen und vernetzten Produktion von Konsumgütern, bekannt als Industrie 4.0: 1. Über alle Prozesse – von der individuellen Bestellung über die Fertigung bis zum Versand – müssen riesige Mengen Daten lückenlos erfasst werden, per Kamera, Sensor oder Scanner. Dazu gehören die Daten des Kunden, aber auch die Daten, die an jedem einzelnen Schritt der Fertigung ablesbar oder messbar sind. 2. Diese Daten muss man verstehen und richtig interpretieren, um die Maschinen entsprechend programmieren zu können. Das ist eine Sisyphusarbeit, denn an jedem Prozessschritt werden ja durch die Sensoren oder Kameras neue Daten erzeugt. 3. Bei Manz setzen wir mit dem Patch-Placement auch auf additive Fertigungsverfahren, mit denen wir Produkte Schicht für Schicht aufbauen. Ähnlich einem 3-D-Drucker, aber

viel schneller. Bei diesen Verfahren gibt es kaum Verschnitt, der Materialeinsatz sinkt, ebenso wie die Produktionskosten. 4. Für Schneid-, Bohr- oder Schweißverfahren und auch Gravuren setzen wir bevorzugt Laser ein und keine herkömmlichen Werkzeuge, die für jedes andersartige Produkt vielleicht umgerüstet und neu eingemessen werden müssen. Das spart enorm Zeit und senkt die Kosten.

Dr. Martin Steyer leitet den Bereich New Business, der Keimzelle für neuartige und zukunftsweisende Produktionstechnologien bei Manz.

Manz AG Die Manz AG wurde 1987 als Spezialist für die Automatisierung von Produktionsprozessen gegründet. Der Hightech-Maschinenbauer beschäftigt rund 1 900 Mitarbeiter. Entwickelt und produziert wird derzeit in Deutschland, China, Taiwan, der Slowakei, Ungarn und Italien. Anerkannte Kompetenz hat das von Gründer Dieter Manz geführte Unternehmen in sieben Technologiefeldern aufgebaut: Automation, Laserprozesse, Vakuumbeschichtung, Siebdrucken, Messtechnik, nasschemische Prozesse und Roll-to-Roll-Prozesse.


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Werkzeuge mit Ausweis Wenn Bohrer oder Fräser selbstständig mit ihren Werkzeugmaschinen kommunizieren können, sind Lösungen der intelligenten Fabrik des Tübinger Herstellers von Hightech-Zerspanungswerkzeugen Walter AG im Einsatz. Von Stefan Richter

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edreht oder gebohrt werden Werkstücke aus Metall bereits seit mindestens 500 Jahren. Zu Anfang war das eine anstrengende und zeitaufwendige Tätigkeit. Gusseiserne Rohre wurden zum Beispiel mit Muskelkraft ausgebohrt. Etwas leichter wurde es dann im frühen 18. Jahrhundert, als Dampfkraft die ersten Maschinen antrieb. Mit der Industrialisierung zogen elektrisch betriebene Zerspanungsmaschinen in die Werkhallen ein und das Fräsen als neues Fertigungsverfahren kam hinzu. Nun war es möglich, viele der heute alltäglichen Produkte wirtschaftlich und in großer Stückzahl zu fertigen. Zum Beispiel Motoren und Turbinen oder Getriebe. Bei allem Fortschritt hin zu computergesteuerten Werkzeugmaschinen seit den 1970er-Jahren: Noch immer verursacht die spanende Bearbeitung von Bauteilen im Maschinen- und Fahrzeugbau zwischen 40 und 70 Prozent der Kosten für diese Bauteile. Der übrige Anteil entfällt für Gießen, Schmieden und die Materialkosten. Die Zerspanung ist also oft der größte Kostenblock für die metallverarbeitende Industrie. Entsprechend hoch ist das Einsparpotenzial. Die Branche hat deshalb große Erwar-

Modell des neuen Walter Technology Center in Tübingen: Hier entwickeln die Ingenieure von Walter neue Ideen für die intelligente Metallzerspanung.

tungen an die gerade in Gang kommende Digitalisierung und Vernetzung solcher Zerspanungsprozesse als nächsten Innovationssprung.

Vom Werkzeughersteller zum Lösungspartner Die Walter AG als Hersteller von Hightech-Zerspanungswerkzeugen hat die technologische Entwicklung der Branche seit fast 100 Jahren mit vorangetrieben. Richard Walter, der Gründer des Unternehmens, hatte zeitlebens rund 200 Patente angemeldet. Und heute sind es seine geistigen Nachfahren, die mit ihrer Engineering Kompetenz alles daransetzen, die Fertigungsprozesse ihrer Kunden aus der Automobilindustrie, der Flugzeugindustrie oder dem Maschinenbau effizienter und kostengünstiger zu machen. Holger Langhans zum Beispiel, der seit vier Jahren den Geschäftsbereich »Walter Multiply« des Tübinger Werkzeugspezia-

listen leitet. Dieser Geschäftsbereich ist der jüngste von Walter und beschäftigt sich mit Lösungen für »Industrie 4.0« und den damit verbundenen Herausforderungen der Branche. »Wir sind weltweit bekannt für unsere hochpräzisen Werkzeuge. Immer, wenn wir solche bei unseren Kunden zum Einsatz bringen, bekommen wir natürlich tiefe Einblicke in deren Produktionsprozesse. So haben wir über die Zeit viel Erfahrung gesammelt, um gemeinsam mit den Kunden Prozesse noch effizienter zu machen«, erklärt Langhans.

Smart Factory Intelligente Produktion »Walter Multiply« umfasst ein Service-Konzept, das die Werkzeuglogistik, das eigentliche Zerspanen, die Instandhaltung und Wiederaufbereitung der Werkzeuge und eine Software-Plattform mit speziell entwickelten Apps beinhaltet. Eines der Zie-


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le ist, alle im Fertigungsprozess benötigten Werkzeuge lückenlos zu überwachen, um sie optimal einzusetzen. Wenn ein Zerspanungsmechaniker zum Beispiel immer die aktuelle Restlebensdauer eines Werkzeugs kennt, kann er dieses rechtzeitig wechseln. Bei modernen Maschinen ganz einfach auf Knopfdruck. Ein transparenter und digital dokumentierter Fertigungsprozess hilft, Maschinenstillstände durch nicht verfügbare Werkzeuge zu verringern. Für die Statusmeldung eines Werkzeugs an die Maschine haben die Ingenieure von Walter deshalb die Walter Tool·ID entwickelt. Das ist eine Art Ausweis für Werkzeuge, der als Datencode auf das Werkzeug aufgebracht wird und es unverwechselbar macht. »Wenn wir alle Nutzungsdaten erfassen und auswerten, können wir die Effizienz noch einmal deutlich steigern«, beschreibt Langhans den Ansatz von Walter.

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nächsten Schub in der langen Innovationsgeschichte der Metallzerspanung. Hin zur Smart Factory oder intelligenten Fabrik.

Walter AG Holger Langhans leitet seit 2012 den Geschäftsbereich »Walter Multiply«.

Er ist auch überzeugt, dass die Digitalisierung hilft, Fertigungsunternehmen wettbewerbsfähig zu halten. Gerade auch am Hochlohnstandort Deutschland. »Wenn Mitarbeiter alle Daten auf Knopfdruck einsehen, verknüpfen und auswerten, sind sie flexibler angesichts der immer anspruchsvoller werdenden Aufgaben in den modernen Fertigungen«, meint Langhans. Walter setzt also mit »Walter Multiply« auf den

Zerspanungswerkzeuge mit der Walter Tool·ID: Die ID wird abgescannt. Die zugehörigen Werkzeugdaten werden in einer Datenbank gesammelt. Das Werkzeug wird intelligent.

Die Tübinger Walter AG wurde 1919 von Richard Walter gegründet und zählt heute zu den international führenden Unternehmen in der Metallbearbeitung. Rund 3.800 Mitarbeiter entwickeln, produzieren und vertreiben weltweit richtungsweisende Zerspanungslösungen zum Drehen, Bohren, Gewinden und Fräsen. Zahlreiche Tochtergesellschaften und Vertriebspartner gewährleisten die Lösungspräsenz der Produkte und Dienstleistungen entlang der Prozesskette beim Kunden in mehr als 80 Ländern der Welt. www.walter-tools.com


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»Smart Factory 4.0« – Produktion von morgen bereits heute erleben Bei Wafios ist das Thema Industrie 4.0 als zentraler Innovationstreiber unter dem Begriff Smart Factory 4.0 in der Unternehmensstrategie mittlerweile fester Bestandteil. Von Andreas Hoster

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ie Wafios AG hat sich schon sehr früh mit der Weiterentwicklung der Produktion in Richtung Industrie 4.0 beschäftigt. Die nachfolgend exemplarisch angeführten Entwicklungsstufen stellen vereinfacht die aktuelle Herangehensweise von Wafios an das Themenfeld Industrie 4.0 für die Produktion von morgen dar: Stufe 1 ist die Fusion von Software und Mechanik (Cyber Physical Systems): Diese wird gekennzeichnet durch die Kombination von informationsverarbeitenden und physikalischen Prozessen, CPS bilden die Schnittstellen für die vernetzte Kommunikation. Beispiel: Druckfedermaschine, die über das Steuerungsprogramm Federn fertigt und diese Produktionsdaten mittels Schnittstellen für die Überwachung zur Verfügung stellt. Stufe 2 ist durch das »Internet of things« (IoT) repräsentiert: Einzelne Fertigungsein-

Montage der Wafios-Drahtbiegemaschine.

heiten sind lokal aber auch global in der Produktion über das Internet verbunden und interagieren über CPS-Schnittstellen. Beispiel: Für den Produktionsprozess eines Teils werden unterschiedliche Maschinen benötigt, die über einen zentralen Computerleitstand gesteuert werden. Stufe 3 ist die Smart Factory: Vernetzte

Fotos: Wafios

Präsentation auf der Messe »Wire 2016« in Düsseldorf.

Fertigungseinheiten führen durch höhere Flexibilisierung und Automatisierung zu wandlungsfähigen, effizienten, sich selbst steuernden intelligenten Fabriken. Beispiel: Vollautomatisiertes mannloses Logistiksystem zur Materialbereitstellung und/oder automatischer Datenabgleich für die standortunabhängige Gleichteilefertigung mit konstant hoher Prozesssicherheit und Qualität. Stufe 4 ist Industrie 4.0: Ergänzt Smart Factory um neue Geschäftsmodelle z. B durch Kopplung von Produktion und Dienstleistung (Hybridisierung). Erste Lösungen präsentierte Wafios hierzu (siehe iQsmartbend) auf der Wire & Tube in Düsseldorf. Für den Kunden ergeben sich daraus zukünftig folgende Vorteile: die »Flexibilisierung« der Produktion zur Verkürzung der Lieferzeit die »Automatisierung« der Produktion zur Optimierung der Maschinenauslastung die »lokal vernetzte Wertschöpfung« zur Steigerung der Teilequalität

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die »Intelligente Datenanalyse« zur Steigerung der Maschinenverfügbarkeit z. B. durch vorbeugende Warnung vor sich anbahnenden Maschinenstillständen sowie die »globale Vernetzung« zur Vereinfachung standardisierter Prozessqualität, Teile- und Steuerungsdaten stehen dezentral an verschiedenen Produktionsstandorten zur Verfügung.

Entwicklung von Softwarelösungen Der sichere Datentransfer (Cyber Security) ist dabei unabdingbare Voraussetzung für den reibungslosen Betrieb der Produktionsanlagen und zur Gewährleistung des Know-how Schutz. Unter der Bezeichnung iQ-Funktionen entwickelt WAFIOS seit mehreren Jahren Softwarelösungen zur Optimierung von Ausbringungsleistung und Teilequalität. Die dadurch erzielte Produktivitätssteigerung ist gleichermaßen Ziel von Industrie 4.0. Mit iQsmartbend präsentierte WAFIOS eine preisgekrönte sehr innovative Lösung zur Prozessoptimierung beim Draht biegen. Auf Knopfdruck kann der Maschinenbediener die Geometriedaten eines Biegeteils an das Berechnungscluster bei Wafios übermitteln. Innerhalb kurzer Zeit (Dauer abhängig von Teilegeometrie) werden die optimalen Maschinenparameter für den Biegeablauf berechnet und von dort automatisch an die Drahtbiegemaschine übertragen. Neben der deutlichen Verkürzung der Einrichtzeit kann die Stückleistung in Abhängigkeit vom Biegeteil signifikant gesteigert werden unter Beibehaltung oder Erhöhung der Teilequalität. Die vorgestellte Hybridisierung umfasst den Datentransfer, die externe Rechenleistung (Wafios) und

die eigens für die Maschinen entwickelten Optimierungsalgorithmen und wird zukünftig für Wafios-Maschinen aus den Bereichen Draht und Rohr verfügbar sein. Für Wafios-Druckfedermaschinen ist die Echtzeitverarbeitung von Produktionsdaten (in process) mit iQcontrol schon längere Zeit am Markt verfügbar. Dabei wird die Federlänge während des Windeprozesses korrigiert und so geregelt, dass der Ausschuss minimiert werden kann. Aus dem Bereich der vernetzten Systeme innerhalb der Fabrik bieten iQautopitch für Wafios Druckfedermaschinen und iQinspect für Wafios-Draht- und Rohrbiegemaschinen Lösungen zur Verbindung externer Messgeräte mit den Fertigungseinheiten. Einsatzfelder sind die Reduzierung der Einrichtzeiten, die Kosteneinsparung bei Prüfwerkzeugen sowie die Reduzierung von Ausschuss oder die statistische stichprobenartige Prozesskontrolle. iQsmartbend: Patentierte preisgekrönte Softwarelösung zur Optimierung von Biegeprozessen für Draht und Rohr. Um die Produktionsleistung der Maschinen bei mindestens gleichbleibender Qualität zu maximieren, entwickelte WAFIOS mit iQsmartbend ein Verfahren, welches die Achsverfahrwege so optimiert, dass die Schwingungen während des Biegevorgangs signifikant minimiert werden.

Automatische Korrekturen iQcontrol: Misst über zwei hochauflösende Kameramesssysteme die Feder im Windeprozess und korrigiert diese mit dem Effekt, Streuungen der Federlänge und damit Ausschuss und Kosten zu reduzieren. iQautopitch: ermöglicht die automatische Korrektur der Steigung und des

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Durchmessers der Feder. Über ein externes Messgerät werden Steigung und Durchmesser gemessen und mit einer hinterlegten Referenzfeder verglichen. Die daraus resultierenden Korrekturwerte für die Steigung und den Durchmesser werden automatisch berechnet und als Korrekturwerte in die Maschinensteuerung übertragen. Die nachfolgend produzierte Ist-Feder wird so an die hinterlegte Soll-Geometrie angeglichen. iQinspect: Reduzierung des Einrichtaufwands durch automatisiertes Messen und Korrigieren von Bauteilen. Hierdurch können Biegeteile bereits in wenigen Regelschleifen schnell und akurat eingerichtet werden. Für die Zukunft sind weitere Entwicklungen geplant, um bestehende und zukünftige Einzellösungen im globalen Produktionsverbund zu vernetzen.

Wafios AG Die WAFIOS AG zählt weltweit zu den führenden Unternehmen des Spezialmaschinenbaus. Es entwickelt, konstruiert und fertigt technisch anspruchsvolle Maschinen für die draht- und rohrverarbeitende Industrie sowie für die Kaltmassivumformung. Der hohe Standard der Maschinen basiert auf dem Einsatz modernster Antriebs- und Steuerungstechnik und innovativer Software. Weltweit beschäftigt WAFIOS rund 1 000 Mitarbeiter. 2015 wurde WAFIOS im Rahmen der Initiative »100 Orte für Industrie 4.0 in Baden-Württemberg« als eines von dreizehn Unternehmen für die Industrie 4.0 Lösung iQcontrol ausgezeichnet.


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Fotos: Prettl

Natur pur?! Industrie 4.0 hält Einzug in die Landwirtschaft. Dadurch werden Ressourcen besser genutzt und Erträge gesteigert. Von Daniel Stuckert

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as früher bekannte, wenn auch wenig schmeichelhafte Sprichwort »Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln«, muss wohl endgültig umgeschrieben werden. Denn »die mit der Technik gehenden Bauern haben die dicksten Kartoffeln.« wird es zukünftig besser treffen. Der Grund dafür ist einfach. Die Industrie 4.0 beschränkt sich wider Erwarten nicht auf die Industrie. Auch in der Landwirtschaft wird auf die Vernetzung von Technologien gesetzt. Das dabei verfolgte Ziel ist dasselbe: Durch Individualisierung und bessere Vernetzung den Erfolg optimieren. Im Falle der Landwirtschaft bedeutet dies Ressourcen besser nutzen und Erträge steigern. Ein Ansatz, der auch in Baden-Württemberg Anklang finden könnte. Immerhin sind rund 45 % der gesamten Bodenfläche von den statistischen Ämtern als Landwirtschaftsfläche erhoben worden. Diese könnten mit Precision Farming, der differenzierten und zielgerichteten Bewirtschaftung von Flächen, nachhaltig erfolgreicher genutzt werden. Zumal allein im Landratsamt Reut-

lingen Getreide mit 28,6 % die zweitgrößte Kulturanbaugruppe ausmacht, für die der Einsatz der modernen Technologie bereits erprobt ist.

Konzept zur Aussaatplanung So hat beispielsweise die AGRAVIS Raiffeisen AG ein Konzept zur teilspezifischen Aussaatplanung von, dem zu Getreide zählenden, Mais erprobt. Dieses beruht auf der Kombination von erhobenen Daten mit Erfahrungswerten und Beratungs-Know-how, die sich über eine dafür vorgesehene Internetplattform, netfarming.de, leicht verwalten lässt. Für die Anwendung müssen Landwirte zuallererst die Bodenparameter ihrer Flächen erfassen, um teilspezifische Applikationskarten für die jeweiligen Schläge zu erstellen. Mithilfe der Plattform und des dahinter befindlichen Programms werden dann die Einflussfaktoren wie Ertragspotenzial, Wasserversorgung des Standorts, Saatguteigenschaft, Klimaparameter und internes Wissen der Betriebsleiter mitein-

ander verrechnet und zusammen mit den daraus resultierenden Ergebnissen auf maschinenlesbare Aussaatkarten übertragen. Die so aufbereiteten Daten können dann direkt über ein mobiles Gateway an das Schlepperterminal übertragen werden, wo die Maschine entsprechend der hinterlegten Daten die Aussaatmenge und oder auch die Düngemittelmenge zentimetergenau auf den entsprechenden Schlag anpasst. Durch die Genauigkeit und Einbeziehung aller Faktoren können selbst auf ertragsschwachen Zonen bei geringem Saatkorneinsatz Steigerungen des Frischemasseertrags erzielt werden. Wobei in Hochertragszonen durch gesteigerte Pflan-


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zenanzahl auch der Ertrag maximiert werden kann, heißt es in einer Mitteilung der Agarivs. »Testverfahren auf unseren eigenen Versuchsflächen haben dies bestätigt«, sagt Christian Carl, Produktmanager der Agravis Tochtergesellschaft. Und ergänzt: »Mit dieser Anwendung, tragen wir der Entwicklung Rechnung, die Ertragspotenziale der Ackerbauflächen optimal auszunutzen. Die Effizienz der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden, Wasser, Düngung und Saatgut lässt sich dadurch gezielt steigern«.

Technologie aus Pfullingen unterstützt Ertragssteigerung Die Kombination der diversen Faktoren ist nicht neu. Neu sind vielmehr die Präzision der Aussaat und die Arbeitserleichterung für den Landwirt. Dabei spielt auch die Schnittstelle Traktor – Aussaatkarte – Schlepper eine wichtige Rolle. »Es gibt Traktoren verschiedener Hersteller, die bereits über die entsprechende Technologie verfügen«, sagt Frank Wiedenroth, Geschäftsführer der AGRAVIS NetFarming GmbH. Allerdings werden derzeit die Daten in vielen Fällen noch per USB-Stick übertragen. Daraus folgt zum einen, dass der Landwirt selbst am Terminal aktiv werden muss und Fehlerquellen, wie die Verwechslung der Karten, bestehen. Zum anderen muss der Landwirt für jedes seiner Anbausysteme ein separates Terminal im Traktor haben. Um diesen Aufwand geringer zu halten und Fehler zu minimieren, entwickelte die lesswire GmbH, die der Pfullinger UnterDer Landwirt hat bei der Grunddüngung alle Daten von Schlepper aus im Blick.

nehmensgruppe Prettl angehört, eine spezielle Form ihrer Telemetrieplattform, die als sogenanntes Gateway fungiert. Dabei ermöglicht sie den Datentransfer direkt an den

Schlepper, der für die Aussaat zuständig ist. Für den Landwirt entfällt damit die Fehlerquelle USB-Stick, als auch die zusätzlichen Terminals. Die Vereinfachung der Handhabung und die Reduzierung der Fehlerquellen verbunden mit einer sehr hohen Positionierungsgenauigkeit, wie sie durch die Verwendung des differenziellen GPS-Verfahrens erreicht werden kann, ermöglichen eine deutlich exaktere Aussaat. »Mit der präzisen Aussaat sind die Grenzen der Industrie 4.0 in der Landwirtschaft noch lange nicht erreicht«, sagt Rocco Mertsching, Geschäftsführer lesswire. »Unsere Aufgabe wird es sein, gemeinsam mit unseren Partnern die aktuellen Abläufe zu analysieren und sinnvolle ›Use cases‹ zu definieren, die wir dann mithilfe unserer Technologie auf ein deutlich erhöhtes Effizienzpotenzial heben können. Unsere Technik soll neue Mög-

lichkeiten, u.a. in der Kooperation und dem Service, eröffnen.« Mertsching führt als Beispiel die Möglichkeit des GeoTrackings von landwirtschaftlichem Gerät an. »Zu wissen, wo sich das Gerät befindet, welche Strecken es zurück gelegt hat, führt zu Rückschlüssen auf die Nutzungsdauer und damit auf den Servicebedarf oder zur Optimierung des Einsatzes, z.B. bei Sharingmodellen. Beides führt letztlich zu neuen Geschäftsmodellen.« Dabei spielt Mertsching auf den Fakt an, dass eine Erhöhung der Verfügbarkeit, etwa durch ›mote monitoring‹ bei gleichzeitiger Intensivierung der Nutzung einen deutlichen Einfluss auf die Reduzierung der

Betriebskosten für das landwirtschaftliche Gerät haben kann. Diese Beispiele zeigen, dass selbst Naturprodukte nicht mehr ohne Technik auskommen werden und zukünftig Bauernregeln neu geschrieben werden sollten.

Über lesswire Das zur Prettl Electronics gehörende Unternehmen mit Sitz in Berlin hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Produkten seiner Kunden die Fähigkeit zu geben sich zu vernetzen. Dabei fokussiert lesswire als Partner für Telemetrieplattformen und den dazugehörigen Hardware- und Softwareentwicklung das gesamte System. Vom Datenmanagement in der Cloud bis hin zur Steuerungsebene und den Anwendungsfällen bezieht lesswire alles in seine Lösungen mit ein und schafft somit Produkte mit unterschiedlichen Kompetenzen für vielfältige Anwendung, wie beispielsweise im Automobilbereich, der Industrie und Landwirtschaft oder der Medizintechnik. Kennzahlen Prettl Electronics 7 Standorte (Deutschland, Ungarn, Mexiko) Ca. 650 Mitarbeiter Ca. 134 Mio. Umsatz Kennzahlen Lesswire Sitz in Berlin Adlershof Ca. 25 Mitarbeiter Ca. 4,5 Mio. Umsatz

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Das perfekte Chaos Paletten-Hochregallager, Tablar- und Kleinteilelager – digitale Einflüsse finden nicht nur in der industriellen Produktion statt. Auch die Logistik lässt sich mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik vernetzen. Die Warenwirtschaft bei ElringKlinger zeigt, wie man die Digitalisierung erfolgreich vorantreibt und damit erste Schritte in Richtung »Industrie 4.0« geht. Von Luis Zingler

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ie Zentrallogistik beim Dettinger Automobilzulieferer sieht sich seit einiger Zeit immer größeren Herausforderungen gegenübergestellt. »Die zunehmende Individualisierung und Dynamisierung der Nachfrage, die Umkehrung der Warenströme im Sinne der Globalisierung sowie ein zunehmender Wettbewerbs- und Kostendruck fordern auch ein Umdenken im Logistikbereich«, erklärt Dr. Stefan Wolf, Vorstandsvorsitzender von ElringKlinger. Ein vollständig vernetztes Lager ist die Antwort. »Alles ist automatisch gesteuert und Dr. Stefan Wolf, Vorstandsvorsitzender

organisiert sich komplett eigenständig. Unser Logistikzentrum ist eine der modernsten Drehscheiben für Material- und Warenströme«, sagt Wolf.

Gigantische Ausmaße 70 Meter lang, 27 Meter breit, 28 Meter hoch – das 2009 erbaute Hochregallager bietet allerhand Platz für Rohstoffe, Werkzeuge, Verpackungen, Halbfabrikate und Endprodukte. Unterstützung bekommt ElringKlinger vom Softwarehersteller SAP. Das System erfasst die kompletten Bestände sekundengenau, wodurch Warenflüsse besser gesteuert werden können – Tag und Nacht, 24 Stunden, sieben Tage die Woche. »Nach jedem Ein- oder Auslagerungsprozess findet eine Neuberechnung der Kapazitäten statt. Diverse Algorithmen sorgen für eine optimale Platzvergabe«, so Wolf. Statt nach Produktkategorien zu ordnen, wird die optimale Raumausnutzung geprüft. Zusätzlich werden die Verkaufszahlen der Fertigwaren berücksichtigt um so genannte A-Artikel mit mehr Lagerplatz auszustatten. »Bei unserer Entscheidung für den Bau eines neuen Lagers waren zwei Punkte ausschlaggebend: Die digitale Vernetzung sowie den vorhandenen Platz des Lagers bestmöglich auszunutzen«, erklärt der Vor-


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standsvorsitzende. Dies ist auch nötig, denn der Warenumschlag des Unternehmens hat in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen. Kunden ordern in kürzeren Intervallen und kleineren Losgrößen, die just-in-sequence geliefert werden müssen.

Logistik-Neubau steht bevor Rund fünf Kilometer vom ElringKlinger-Stammsitz – dem Werk 2 – wird ab Ende Juni 2016 ein weiteres Logistikzentrum gebaut – Komplettvernetzung aller logistischen Prozesse vom Arbeitsplatz an der Maschine bis zum Lagerplatz im Hochregallager inklusive. »Der Neubau ist nötig, weil in unserem Werk 2 bereits ein Drittel der Produktionsflächen mit Logistik belegt sind. Wir müssen Platz für die Fertigung schaffen und haben uns dazu entschlossen die Logistik in einem separaten Bau unterzubringen.«

Schneller und reibungsloser Vertrieb von Ersatzteilen

Fotos: ElringKlinger

Auch im automatischen Kleinteilelager (AKL) des weltweit agierenden Automobilzulieferers wird die Digitalisierung vorangetrieben. Es gewährt einen schnellen und reibungslosen Vertrieb von Ersatzteilen und besteht aus rund 17 000 Boxen, die bis zu zehn Boxen hoch, aufeinandergestapelt sind. Jeder der Behälter fasst dabei bis zu 30 Kilogramm. Bedient wird das Ersatzteilelager von 36 batteriebetriebenen Robotern, die über den Boxen auf Schienen hin- und herfahren. Wenn bestimmte Teile angefordert werden, sucht ein Roboter den Stapel mit der richtigen Aufbewahrungsbox und befördert Kisten so lange nach oben, bis er zur gesuchten Box vorstößt und transportiert diese anschließend ab. Bis zu 800 Behälter pro Stunde können die Roboter an den neun Kommissionier-Arbeitsplätzen andienen und nach der Kommissionierung wieder zurücklagern. Per SAP-Bildschirmdialog informiert das System den Mitarbeiter am Kommissionierplatz über Artikel und Entnahmemenge zur Lieferung. Per Sprachkommando informiert das System anschlie-

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ßend den jeweiligen Mitarbeiter über Artikel und Entnahmemenge. Die Fehlerquote ist minimal. Bei 150 000 Picks pro Monat liegt die Fehlerrate im Teilezugriff unter 0,05 Prozent. Was sich häufig umsetzt, gelangt eigentlich nie nach ganz unten. So erhält man vom System automatisch eine ABC-Analyse über mehr und weniger nachgefragte Teile. »Erfreulich ist auch, dass der Stromverbrauch für alle Roboterwagen gerade mal einen Verbrauch von zwei haushaltsüblichen Staubsaugern pro Stunde aufweist. Als nachhaltig agierendes Unternehmen, legen wir hierauf besonderen Wert«, sagt Dr. Stefan Wolf.

ElringKlinger ElringKlinger fokussiert seine Kraft auf die Entwicklung zukunftsweisender, grüner Technologien. Diese tragen nicht nur zur CO2-Reduzierung bei, sondern helfen auch, gesundheitsschädigende Stickoxide, Kohlenwasserstoffe und Ruß zu vermindern. Egal, ob für den mittels Downsizing optimierten klassischen Verbrennungsmotor oder für das batterie- oder brennstoffzellengespeiste Elektroauto: Als einer von nur wenigen Automobilzulieferern weltweit entwickelt und produziert ElringKlinger bereits heute technologisch anspruchsvolle Komponenten für alle Antriebsarten. Mit umfassender Leichtbaukompetenz trägt das Unternehmen entscheidend dazu bei, das Fahrzeuggewicht und damit den Verbrauch weiter abzusenken. Partikelfilter und komplette Abgasreinigungssysteme für Anwendungen in Schiffen, Nutzfahrzeugen, Baumaschinen und Stationärmotoren sowie in Kraftwerken runden das Angebot zur Emissionsreduzierung ab. Die ElringKlinger Kunststofftechnik ergänzt das Portfolio um Produkte aus dem Hochleistungskunststoff PTFE – auch für Branchen außerhalb der Automobilindustrie. Das Unternehmen nutzt seine Innovationskraft gezielt für nachhaltige Mobilität und ertragsorientiertes Wachstum. Dafür engagieren sich innerhalb des ElringKlinger-Konzerns über 8 000 Menschen an 45 Standorten rund um den Globus.


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Big Data im Produktionsprozess Die veränderten Anforderungen an die Produktionsprozesse werden von der Eissmann Group Automotive durch wachsende Komplexität und einem steigenden Automatisierungsgrad erfolgreich umgesetzt. Von Luis Zingler

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ür jeden Autofahrer ist er zu einem selbstverständlichen Produkt im Auto geworden. Trotzdem hofft jeder sehr, dass er ihn niemals brauchen wird. Der Airbag ist als Ergänzung zum Sicherheitsgurt ein Lebensretter geworden. Dabei muss er höchsten Anforderungen gerecht werden. So sehr der Autofahrer den Lebensretter schätzt, sichtbar im Innenraum will ihn keiner haben. Es ist also die große Kunst, den Airbag praktisch unsichtbar in der Verkleidung des Innenraums zu integrieren,

sodass es den Designanforderungen der Autohersteller gerecht wird und er trotzdem zuverlässig im Bedarfsfall auslöst.

Anforderungen des Kunden steigen Das hört sich leichter an als es ist. Die Eissmann Group Automotive mit Sitz in Bad Urach hat sich zu einem Spezialisten hierfür entwickelt. Dabei haben sich die Produktionsprozesse gravierend verändert. Vor einigen Jahren wurde bei der Verarbei-

tung von Leder noch viel Hand angelegt, in dem man den Kleber manuell aufbrachte, auf einfachen Vorrichtungen das Leder von Hand kaschierte und die Airbagschwächung durch eine sichtbare Naht in die Produkte nähte. »Die Ansprüche und Anforderungen unserer Kunden sind in den letzten Jahren gestiegen und Eissmann hat seine Kompetenzen im Interieurbereich ausgebaut«, erklärt Norman Willich, Kaufmännischer Geschäftsführer. Ein Naturprodukt wie es Leder nun einmal ist, stellt besondere Herausforderungen an einen automatischen Verarbeitungsprozess. Teilautomatisiert

Interieur eines Pkw: der Airbag ist ohne sichtbare Naht eingebaut.


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wurde es jedoch möglich, Airbagkomponenten prozesssicher mit gleichbleibender Qualität zu fertigen. Mit dem Patent eines neuartigen Schwächungsverfahrens für Oberflächenmaterialien macht Eissmann den Airbag tatsächlich für die Insassen »unsichtbar«. Dies lässt sich mit unterschiedlichen Verfahren umsetzen.

Genaue Dokumentation der Prozesse Bei einem sicherheitsrelevanten Produkt erwarten die Kunden eine genaue Dokumentation der Prozessschritte. In die Produktion von Eissmann hat somit die Automatisierung Einzug gehalten. Kleberoboter oder automatisierte Klebeaufträge sorgen für gleichbleibende Qualität. Bei der Airbagschwächung werden alle Prozessdaten überwacht – auch mithilfe von Kameras. Pressen kümmern sich um eine gleichförmige Verpressung der Lederkleider mit dem Grundträger.

Produktion am Standort in Nyireghaza, Ungarn.

Sicherheitsrelevante Bauteile unterliegen heute einer Vielzahl von gesetzlichen Vorgaben und spezifischen Anforderungen der Automobilhersteller • Unterschiedliche Gesetzesvorgaben und Crash-Tests in Europa und USA (z. B. FMVSS und IIHS) Unterschiedliche Produkthaftungsanfor• derungen, vor allem in den USA • Daraus teils konkurrierende Anforderungen an den Entwicklungsprozess Die Herausforderung für Eissmann ist, konkurrenzfähige Produkte zu entwickeln und die Prozesse so zu steuern, dass alle diese Anforderungen eingehalten werden. Maximale Prozesssicherheit und Rückverfolgbarkeit mit Nachweis für jeden Abschnitt in der Prozesskette steht hier an erster Stelle. Eissmann hat sich durch sein patentiertes Airbagschwächungsverfahren in der Automobilbranche einen Namen gemacht. »Viele namhafte Hersteller weltweit zählen zu unseren Kunden. Diese beliefern wir nicht nur mit unseren belederten Instrumententafeln oder Driverairbags. Zu unserem Spektrum gehören auch Verkleidungsteile, Bedienmodule sowie komplette Fahrzeuginnenräume«, erläutert Willich. Die Dokumentation der Produktionsprozesse mittels Papier bei Hunderten von Parametern aus Maschinen wie z. B. Verfahrwege, Temperaturen, Druck, Zeit, Menge,

Charge und vielen anderen Daten waren nicht mehr zu bewältigen. So hat Eissmann vor 1,5 Jahren begonnen, ein MES System (Manufacturing Execution System) einzuführen, um damit die Rückverfolgbarkeit (traceability) sämtlicher Produkte sicherzustellen.

Bodo Deutschmann Der 58-jährige Dipl.-Ing. (FH) Elektrotechnik ist seit 2010 Bereichsleiter IT bei Eissmann und damit verantwortlich für die weltweite IT des Unternehmens. Er ist der wesentliche Treiber in dem Bestreben das Thema Industrie 4.0 im Unternehmen voranzubringen. Er baute die Abteilung auf und definierte die Aufgaben sowohl für Infrastruktur, Produktionsnetze und das MES-System (Manufacturing Execution System).


Fotos: Eissmann

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Eissmann Group Automotive

Firmengebäude in Bad Urach

»Die größte Herausforderung bestand darin bis zu 250 unterschiedliche Maschinen mit unterschiedlichen Steuerungen und Schnittstellen an unser MES-System anzubinden. Wir entwickelten einen standardisierten Softwarebaustein, der fast überall auf der Welt eingesetzt werden kann und somit eine einheitliche Kommunikation als Basis für die Schnittstelle zum MES-System bildet«, erklärt Bodo Deutschmann, Bereichsleiter der IT.

Lange Archivierungszeit Schließlich musste auch das Problem gelöst werden, wie man in einem Produktionsnetz die Verwaltung der IP-Adressen sicherstellt. Die IT hat die IP-Verwaltung komplett übernommen und Richtlinien zur Vergabe neuer IP-Adressen erstellt. Jede Maschine wird ab sofort durch einen mGuard Router geschützt, über den auch ein abgesicherter Supportzugang für die Maschinenlieferanten garantiert wird. Diese Technik schützt die Maschinen und das Netzwerk vor einer Mehrfachvergabe von IP-Adressen durch SPS-Steuerungen. Daraus resultierte dann die Sicherheitsanforderung an die Produktionsnetze weltweit. Heute sind viele Linien bereits an das MES angeschlossen und produzieren Daten – sehr viele Daten. In den Linien werden pro

speichert werden müssen, des Weiteren müssen diese auch noch in 20 Jahren lesbar sein. Somit muss ein (hoffentlich) auch in 20 Jahren lesbares Format wie PDF-A verwendet werden. Für die IT ist es aber nicht nur die Menge oder das Format, sondern es stellt sich die Frage, wo die Daten abgesichert aufbewahrt werden können. Derzeit werden verschiedene Cloud-Lösungen untersucht, um die Daten dort in ein Langzeitarchiv überführen zu können. Egal wo die Daten später einmal liegen, entstehen hohe Kosten über die gesamte Laufzeit. Big Data ist also nicht nur ein IT-Problem, nein es kostet auch viel Geld.

Teil die einzelnen Prozesse dokumentiert, Bilder erstellt, Maschinenparameter geschrieben, Temperaturen und Druck überwacht und vieles mehr. Hierbei sammelt sich eine gewaltige Menge an Daten an. Erschwerend kommt hinzu, dass diese auch 20 Jahre nach dem Ende der Produktion archiviert werden müssen. Dazu ist ein Dokumenten Management System (DMS) erforderlich, das in der Lage ist, die Daten unveränderbar zu speichern. Mittels einer Akte, in der jedes Teil mit all seinen Parametern, Bildern und Daten gespeichert ist, kann dann jederzeit eine Recherche stattfinden.

4,5 Terrabyte an Daten An einem Beispiel lässt sich leicht erkennen, warum wir hier von Big Data sprechen. »An unserer Beispiellinie produzieren wir jährlich 150 000 Teile. Durch die Prozessdaten von verschiedenen Robotern, Pressen und Kamerasystemen entstehen pro Teil ca. 4,27 Megabyte an Daten. Das entspricht 640 Gigabyte pro Jahr. Eine Produktionslinie läuft durchschnittlich 7 Jahre. Somit entstehen für nur eine Linie 4,5 Terabyte an Daten, die weitere 20 Jahre archiviert werden müssen«, erläutert Deutschmann. Nicht nur, dass diese Daten 20 Jahre ge-

Aus einem kleinen schwäbischen Familienbetrieb ist in über 50 Jahren ein weltweit tätiges Unternehmen mit moderner Management- und Prozessstruktur auf drei Kontinenten gewachsen. Früher bekannt als Zulieferer hochwertiger Lederinnenausstattung ist Eissmann heute ein Entwicklungs- und Wertschöpfungspartner der Automobilindustrie mit Zentrale in Bad Urach und beschäftigt 5 100 Mitarbeiter. Eissmann ist Systemlieferant für Fahrzeuginnenräume im Luxus-Nischenmarkt, entwickelt und liefert Bedienmodule sowie Carbon-Komponenten. Eissmann ist Partner für Automobilhersteller und –zulieferer (Tier1). Eissmann hat im vergangenen Jahr viel Engagement in die Weiterentwicklung des Bereiches Mitarbeiterorientierung gesteckt und wurde im Februar 2016 als Top Employer Automotive Deutschland 2016 ausgezeichnet. Der Preis wird an Unternehmen verliehen, die sich als Vorreiter im Bereich Human Resources durch zukunftsorientiertes Denken in Bezug auf seine Mitarbeiter, kontinuierliche Optimierung des Arbeitsumfelds und stetige Investition in die Mitarbeiterentwicklung zeigen. Fokus lag dabei auf einem internationalen Kultur-Projekt, das Mitarbeiter aller Ebenen weltweit einbezieht, um eine konzernweite Unternehmensvision 2020 zu gestalten.


Digitalisierung? Industrie 4.0? Fachkräftemangel? Disruption? »Wir befinden uns in einer Phase des tief greifenden Wandels. Dafür brauchen wir neue Denkund Handlungsmodelle.« »Gemeinsam Zukunft gestalten. Mit Democratic Design®.« Markus Berger, Unternehmer und Impulsgeber

DEMOCRATIC DESIGN® by b_werk®

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Digitalisierung überall Digital oder nicht digital? Das ist nicht mehr die Frage. Wer nicht dabei ist, wird auf Dauer verlieren. Kaum eine Branche kann sich der Vernetzung entziehen. Damit heimische Betriebe mithalten können, muss aus Sicht der IHK vor allem der Breitbandausbau vorangetrieben werden.

Von Christoph Heise

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at mein Lieblingsrestaurant heute offen? Das Smartphone wird es mir verraten und vielleicht auch die Tageskarte zeigen. Und wo bekomme ich das Spielzeug für den Kindergeburtstag her. Schnell in die Stadt – oder vielleicht doch mal im Web schauen? Sie entscheiden, wie Sie es machen. Aber der Trend ist erkennbar: Kunden verlassen immer häufiger die tradierten Pfade. »Informationsbeschaffung, Entscheidungsvorbereitung und Kauf – in all diesen Phasen ist für den Kunden der digitale Weg nicht mehr wegzudenken«, erläutert Martin Drognitz, der sich bei der IHK Reutlingen um die IT-Branche und das Netzwerkbüro kümmert. Insbesondere der stationäre Handel bekommt das zu spüren und muss für sich Antworten finden. Aber auch im Business-to-Business nimmt die Vernetzung zwischen Unternehmen, Mitarbeitern und ihren Kunden längst immer mehr zu. »Wir

beobachten einen immensen Druck auf die bestehende Geschäftsmodelle«, sagt Drognitz. Soll heißen: Wer nicht mitmacht, muss damit rechnen, den Markt zu verlieren. Dazu kommt: Die neue Technik wird die Geschäftsprozesse, wie sie heute bekannt sind, auf den Kopf stellen. »Die Kunden werden das einfordern, was möglich ist.«

Hohes Tempo Die Nutzer, Endkonsumenten wie Geschäftskunden, sind Gerätefixiert. Mobil ist derzeit Trumpf, Apps liegen im Trend und können ordentlich viel. Aber morgen kann es schon wieder etwas völlig anderes geben. »Das Tempo der Veränderung und die immer wieder neuen Anwendungsfelder machen es für den Mittelstand schwer. Es sind Investitionen nötig und den Firmen ist nicht immer klar, ob sie auf das richtige Pferd setzen«, fasst Martin Drognitz zusammen. Bei der IHK Reutlingen ist die Digitalisierung längst ein Dauerbrenner. Ob In-

dustrie 4.0 im verarbeitenden Gewerbe, Online-Shops im Einzelhandel oder Sicherheitsthemen in der IT-Branche – die Digitalisierung in ihre unterschiedlichen Facetten treibt viele heimische Firmen um. Vor allem in den IHK-Netzwerken, das sind Treffen von Experten aus der gleichen Branche oder dem gleichen Aufgabengebiet, wird intensiv diskutiert, »weil ja alle Unternehmen vor der gleichen Herausforderung stehen. Man tauscht sich aus und überlegt, ob die Lösung des einen nicht auch für einen selber passt«, berichtet Drognitz.

Ausbau zu langsam Doch die schöne, neue Welt hat ihre Schattenseiten. Viele Unternehmen drückt beim Breitband der Schuh. Die Klage: Langsame Netze, Leitungen, die keine Störungen vertragen, oder Breitbandangebote, die schlichtweg teuer sind. Der Druck und der Frust sind hoch. »Gerade in den ländlichen Gebieten sind wir von Bandbreiten von


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Foto: Fotolia

50 Mbit pro Sekunde weit entfernt«, sagt Thorsten Schwäger, der sich bei der IHK Reutlingen um alle Infrastrukturthemen kümmert. Und dabei sollte die Datengeschwindigkeit eher bei 100 als bei 50 Mbit pro Sekunde liegen. Der Ausbau der Netze kann schon längst nicht mehr mit der technischen Entwicklung mithalten. Die neue Landesregierung wird zum Spaten greifen müssen. Ohne Breitband gerade und auch im ländlichen Raum droht die heimische Wirtschaft den Anschluss zu verlieren. »Wir brauchen dringend eine richtige Digitalisierungsoffensive«, so Schwäger.

Faktor Sicherheit Über all dem schwebt das Thema Sicherheit. Auch Mittelständler und Familienunternehmen sind immer häufiger Angriffsziel

von Hackern und Datendieben. Eine kürzlich durchgeführte Blitzbefragung der IHK unter innovativen Unternehmen aus der Region zeigt: Die Hälfte der befragten Firmen musste schon den Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen hinnehmen. Meistens spielte der Faktor Mensch die Hauptrolle. Verantwortlich waren, bewusst oder unbewusst, eigene Mitarbeiter (in zwei Drittel der Fälle) oder Kunden oder Zulieferer. Der Schaden, den Angriffe nach sich ziehen, ist oft immens und so langsam begreifen die Unternehmen, dass sie im digitalen Zeitalter aufrüsten müssen: mit Technik und mit Wissen bei den Mitarbeitern. Schulungen rund ums Thema sind zunehmend gefragt und die ersten Firmen trauen sich sogar, richtig in die Köpfe ihrer Mitarbeiter zu investieren – mit Weiterbildungen zum IT-Sicherheitsbeauftragten oder dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten. »Wer Mitarbeiter im Team hat, die um die Gefahren und die Regeln wissen, sorgt am Ende dafür, dass weniger passiert«, sagt Thorsten Schwäger.

IHK fordert Digitalisierungsoffensive Die IHK Reutlingen hat der Landespolitik das Thema Digitalisierung als Hausaufgabe für die gerade begonnene Wahlperiode mit auf den Weg gegeben. Die regionale Wirtschaft hat sich in ihren Wahlprüfsteinen zur Landtagswahl für eine Digitalisierungsoffensive ausgesprochen und fordert die vorhandenen Förderprogramme des Landes aufzustocken. Zudem muss perspektivisch flächendeckend eine Erhöhung der Bandbreiten auf 100 Mbit pro Sekunde vorgesehen werden. In vielen Bereichen der Region Neckar-Alb mit den Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalb sind selbst Bandbreiten von bis zu 50 Mbit pro Sekunde noch nicht erreicht.


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Die Kunden im Blick: Digitalisierung bei Wüstenrot & Württembergische Finanzdienstleister müssen sich ebenfalls den Herausforderungen der Digitalisierung stellen. Wüstenrot & Württembergische bietet den Kunden Zugang zu den Dienstleistungen auf allen Geräten.

Von Rüdiger Maroldt

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ie hat Einfluss darauf, wie wir einkaufen, wie wir kommunizieren, wie wir arbeiten und leben. Sie verändert das Kundenverhalten und damit auch die Beziehung zu Finanzdienstleistern – und das in einem rasanten Tempo. Wissen Sie, was gemeint ist? Die Rede ist von Digitalisierung. Als Finanzdienstleister haben wir bei der Wüstenrot & Württembergische-Gruppe (W&W) die Aufgabe, im gleichen Tempo Antworten auf diese Entwicklung zu finden. Wir möchten unsere Kunden mit Services und Produkten am Kontaktpunkt seiner Wahl begeistern und für uns gewinnen. Im Verbund mit den regulatorischen Anforderungen sowie des anhaltenden Niedrigzinsniveaus galt es für die W&W eine umfassende Lösung für die neuen Marktgegebenheiten zu formulieren. Diese Antwort ist im Strategiekurs »W&W@2020« gefunden worden. Mit diesem Innovations- und Investitionsprogramm für neue Techniken und eine verbesserte Marktausrichtung, nimmt die W&W-Gruppe Fotos: W&W die notwen-


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digen Weichenstellungen für die nächsten Jahre vor. Das Programm W&W@2020 und seine Umsetzung berühren wesentliche Kernbereiche des Unternehmens, denn die digitale Veränderung hat Auswirkung auf Strategie, Struktur, Kultur und Prozesse, Services und Produkte. Ziel ist und bleibt es, unseren rund sechs Millionen Konzernkunden – und potenziellen Neukunden – im Zeitalter der Digitalisierung als Partner erster Wahl gegenübertreten zu können. Dazu müssen wir zunächst das veränderte Kundenverhalten verstehen. Der Kunde von heute ist hybrid. Das heißt: Er alleine entscheidet, über welchen Weg er mit der W&W kommuniziert und Serviceleistungen in Anspruch nimmt. Das kann analog telefonisch beziehungsweise persönlich über einen unserer 6 000 Berater im Außendienst geschehen, oder aber über digitale Kanäle, wie Website, App oder Social-Media-Auftritte. Um diesen Ansprüchen frühzeitig gerecht zu werden, hat die W&W bereits vielfältige Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt.

Mit Videos in der Beratung Bei der Wüstenrot Bank haben wir beispielweise als eines der ersten Geldhäuser in Deutschland das Thema »Video« in der Investmentfondsberatung fest etabliert. Auch beim Konto ohne Unterschrift sind wir Vorreiter. Wichtig für uns ist außerdem die Fintech-Bewegung zu beobachten, also die zahlreichen, digitalgetriebenen Startups im Finanzumfeld. Über sinnvolle strategische Kooperationen können diese jungen dynamischen Unternehmen sehr wertvoll für die W&W sein und bieten uns neue Chancen. Die reibungslose Zusammenarbeit beispielsweise beim Kontowechselservice mit der Firma Fino GmbH spricht dafür, auch in Zukunft diese geschäftliche Linie zu fahren. Digitalisierung ist nicht nur das Anbieten von Technik, sondern bedeutet vielmehr eine Weiterentwicklung der Unternehmenskultur. Es geht um das tiefere Verständnis, dass sich Verhaltensweisen ändern – sowohl von Kundenseite, als auch bei der

Organisation von Arbeit. Dazu gehören flachere, offenere Führungsstrukturen aber auch agile und kreative neue Arbeitsmethoden wie »Design Thinking« – also der iterative Entwicklungsprozess von Lösungen zusammen mit den Kunden. Zugleich sind alte Tugenden wie Sicherheit, Verlässlichkeit und Qualität Stärken, auf die wir weiterhin setzen.

Eigenes internes Start-up gegründet Mit dem Ziel, digitale Produkte oder Services zu entwickeln, die den Wünschen der Kunden entsprechen und am Markt bestehen können, hat die W&W im Jahr 2015 ein eigenes internes Start-up gegründet. Die »digitale Werkstatt« arbeitete unter der förderlichen Maxime, der Kreativität – losgelöst von Konzernstrukturen – freien Lauf lassen zu können. Dieses Projekt war so erfolgreich, dass es als Spin-off in Berlin als W&W Digital GmbH weitergeführt wurde. Parallel dazu haben sich Anfang des Jahres 2015 die »Digital Citizens« (DC’s) konstituiert. Digital affine Mitarbeiter der W&W-Gruppe haben sich zu diesem Expertennetzwerk zusammengeschlossen und als interne Multiplikatoren ihre Kolleginnen und Kollegen in mehr als 300 Präsentationen über den digitalen Wandel sowie die

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Chancen für die W&W informiert. So wurde eine interne Vernetzung im Rahmen der Digitalisierung befördert und ein kultureller Wandel in Gang gesetzt. Als innovativer Vordenker und Treiber für die digitale Veränderung der W&W im Sinne der Kunden agiert außerdem seit 1. Januar 2016 das Digital Customer Office (DCO). Diese neu gegründete Einheit soll die erforderlichen Veränderungen in der W&W-Gruppe unterstützen. Konzernübergreifende und innovative Digitalisierungsvorhaben setzt das DCO um. Bei anfallenden digitalen Fragestellungen unterstützen die Mitarbeiter der Abteilung ihre Konzern-Kollegen. Außerdem sollen im DCO digitale Vorhaben der W&W konsolidiert werden. In ihrer Rolle als innovativer Vordenker unterhält die Einheit auch einen Think Tank und betreibt Marktbeobachtung, um Innovationsimpulse für den Konzern oder die Geschäftsfelder zu generieren. Bei allen Aktivitäten steht der Kunde immer im Fokus. Klar ist: Die Kundenbedürfnisse ändern sich in der digitalen Welt rasant. Neue Technologien sowie der sich wandelnde Umgang mit Medien beeinflussen die Erwartungshaltung der Kunden an Unternehmen. Für die W&W-Gruppe bedeutet das, wettbewerbsfähige Produkte und Services zu entwickeln, die den Wünschen und Ansprüchen der Kunden gerecht werden.

Zur Person Der Bankfachwirt Rüdiger Maroldt (54) ist seit 2014 Mitglied des Vorstands der Wüstenrot Bank AG Pfandbriefbank und seit Anfang 2016 zusätzlich Leiter des neu gegründeten Digital Customer Office der Wüstenrot & Württembergische AG. Der gebürtige Stuttgarter war bereits für die Deutsche Bank, die Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG Stuttgart, die Advance Bank AG München, die Dresdner Bank AG sowie die Commerzbank AG in verschiedenen Funktionen tätig. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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Erwartungen der Kunden an ihre Sparkasse steigen »Nichts ist so beständig wie der Wandel« – mit diesem vielfach zitierten Ausspruch kann auch die Entwicklung der Bankenund Sparkassenlandschaft der vergangenen Jahre beschrieben werden. Von Dietrich Bauer

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ie Sparkassen befinden sich in einem ständigen Wandel im Umfeld regulatorischer Anforderungen aber auch veränderten Kundenbedürfnissen oder Kundenerwartungen. Aktuell wird dieser Wandel mit dem Wort Digitalisierung (4.0) bezeichnet. Was versteht man jedoch genau darunter? Welche Bereiche einer Sparkasse sind betroffen? Wie reagieren die Sparkassen darauf ? Aus Sicht der Kreissparkasse Reutlingen und somit auch stellvertretend für die meisten Institute der SparkassenFinanzgruppe stellt sich das Thema Digitalisierung wie folgt dar. Durch die Nutzung von Smartphone, Apps, Internet, usw. hat ein Mensch heutzutage die Erwartung, dass nahezu jede Kontaktaufnahme oder Anfrage zeitnah und über alle verfügbaren Kanäle möglich sein sollte. Digitalisierung heißt also umgekehrt für uns als Sparkasse, dass wir jederzeit mit unseren Leistungen ein Teil des täglichen Lebens unserer Kunden sind. Wir begleiten unsere Kunden überall hin, möglichst mit ihren persönlich bekannten Beratern, und ermöglichen jederzeit und überall eine umfassende Analyse und Steuerung der finanziellen Lebenswelt unserer Kunden und schaffen dadurch Mehrwerte. Gemäß unserer Markenpositionierung wollen wir es mit unserem digitalen Angebot den Menschen einfach machen, ihr Leben besser zu gestalten. Im Bereich der Kontoführung ist nicht das Girokonto allein wichtig, sondern unsere Kunden setzen folgende Erwartungen an ein Girokonto in den Vordergrund: Überblick über die eigenen

Finanzen, Sicherheit und Bequemlichkeit in der Abwicklung von Zahlungen, Zugang zu allen anderen Finanzdienstleistungen. Im Internet- und Online-Banking-Bereich sind wir bereits sehr gut aufgestellt. Wir haben über 50 000 Online-Banking-Kunden. Allein im letzten Jahr wurde unser Internet-Auftritt, die sogenannten Internetfiliale, über 3,5 Mio. Mal von unseren Kunden besucht. Viele tausend Dokumente von über 58 000 Konten und Depots liegen schon jetzt als elektronisches Gedächtnis der Kunden im ePostfach. Das elektronische Postfach wird immer mehr zur Kommunikationsdrehscheibe über alle Kanäle, also Internetfiliale, Apps und stationär. Und wir haben nach unabhängigen Bewertungen die beste Banking-App. Über 11 000 Kunden unseres Hauses kommen allein über diese App im Schnitt 20 Mal im Monat zu uns.

Der Digitalisierung gerecht werden Wir steigern die Bequemlichkeit für unsere Kunden durch viele Innovationen wie zum Beispiel, das pushTAN-Verfahren für Smartphones, den GiroCode, der Überweisungsformulare ersetzt, der Kontowecker, der den Kunden aktiv über wichtige Ereignisse auf seinem Konto informiert, oder auch das Klicksparen, das regelmäßige Sparvorsorge digital einfach macht. Hierzu wird auch die Internetfiliale im September dieses Jahres zielgerichtet überarbeitet und ist dann zudem für den Einsatz über alle möglichen Endgeräte optimiert. Über den Online-Produktverkauf können unsere Kunden jeder-

zeit Produkte wie zum Beispiel eine Kreditkarte kaufen oder ein Geldmarktkonto usw. eröffnen. Viele Serviceleistungen oder auch erste Angebotsberechnungen können online durchgeführt werden. Aktuell wird die Einführung eines Text- und Videochat-Angebots sowie der Videolegitimation vorbereitet. Auch im Bereich Payment werden wir den Erfordernissen der Digitalisierung zunehmend gerecht. Durch die Gründung der S-Payment GmbH innerhalb der Firmengruppe des Deutschen Sparkassenverlags sowie die strategische Neuausrichtung der Zuständigkeiten innerhalb der S-Finanzgruppe sind wir sehr gut aufgestellt und kön-


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nen das Thema Digitalisierung im Bereich Payment noch intensiver angehen. Am 27. April 2016 fiel in der S-Finanzgruppe der Startschuss für das Internetbezahlverfahren paydirekt, welches von allen Banken und Sparkassen in Deutschland angeboten wird. Mehr als 35 Millionen Kunden der S-Finanzgruppe können mit dem Verfahren künftig sicher und bequem im Internet einkaufen. Das Verfahren unterliegt hohen Sicherheits- und Datenschutzanforderungen und unterscheidet sich dadurch von den sonstigen Angeboten reiner Zahlungsdiensteanbieter, deren Firmensitz häufig im Ausland liegt. Die Anzahl der anbietenden Internetshops steigt ständig und beinhaltet auch zunehmend große und namhafte Online-Händler. Unser Kartenangebot wird permanent digital ausgebaut. Alle 45 Millionen Girocards der S-Finanzgruppe sind mit der NFC-Technologie ausgestattet und ermöglichen mit dem girogo-Verfahren ein kontaktloses und schnelles Bezahlen an der Ladenkasse und an Automaten. Bereits in diesem Jahr werden die ersten Karten ausgegeben, die auch das weit verbreitete PIN-gesicherte Gi-

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und mit einer entsprechenden Qualität ein Angebot vorhalten, Karten in die mobile Welt – also das Smartphone – überleiten zu können.

Nach wie vor zählt persönlicher Kontakt

Fotos: KSK

rocard-Verfahren kontaktlos abwickeln können. Kunden können bei unseren Girocards und bei unseren Kreditkarten ihre WunschPIN einrichten. Auch unsere Kreditkarten werden ab Mitte des nächsten Jahres mit der NFC-Technologie für kontaktloses Bezahlen ausgegeben. Zudem werden die Verfahren für sichere Kreditkartenzahlungen im Internet, MasterCard Secure Code und Verified by Visa, auf eine neue technische Plattform gehoben, die den sich schnell verändernden Sicherheitsanforderungen gerecht wird. Die Entwicklung zeigt, dass nicht nur der Zahlungsverkehr, sondern auch das Bezahlen immer mehr in mobile Anwendungen übergehen werden. Die zuvor genannten Maßnahmen und eingesetzte Techniken werden als erste Vorbereitungen betrachtet und wir werden zum richtigen Zeitpunkt

Obwohl die Mehrzahl unserer Kunden bereits vielfach online auf unsere Dienstleistungen zurückgreift und daher in den Filialen immer weniger reine Abwicklungsaufgaben getätigt werden, so wünscht dennoch eine große Anzahl unserer Kunden auch einen unmittelbaren, persönlichen Kontakt. Nicht alle Kunden wollen oder können die rasante Entwicklung der Digitalisierung mitgehen. Vor diesem Hintergrund verstehen wir uns als sogenannte Multikanal-Sparkasse, die jedem Kunden – entsprechend seinem Wunsch – eine Kontaktaufnahme oder die Abwicklung einer Dienstleistung über verschiedene Zugangskanäle ermöglicht. Hierzu zählen wir die Filiale mit ihren Beraterinnen und Beratern, den Online-Bereich, den SB-Bereich oder auch unser hauseigenes Service-Center für die telefonische Kontaktaufnahme und Abwicklung von Serviceanfragen oder Terminvereinbarungen. Abgerundet werden diese Kanäle durch ein Informationsangebot in Facebook, Twitter, Google+ oder auch YouTube. Ganz wichtig war und ist für unser Haus die »Mitnahme und Vorbereitung« unserer Mitarbeiter auf die Veränderung der Digitalisierung im Rahmen von regelmäßigen Schulungen. Unsere Mehrwerte können wir nur dann gegenüber unseren Kunden klar aufzeigen, wenn auch alle unsere Mitarbeiter mit diesen Themen sehr eng umgehen. Es ist uns als Sparkasse durchaus bewusst, dass wir nur bestehen können, wenn wir uns den Herausforderungen der Digitalisierung stellen und eventuell auch Wege beschreiten, die bislang als nicht »umsetzbar« angesehen wurden. Hier kann die S-Finanzgruppe sicherlich auch von den sogenannte FinTechs lernen, da diese häufiger »anders« denken und neue Wege aufgrund geringerer Reglementierung oftmals schneller beschreiten können. Die Kreissparkasse Reutlingen ist auf jeden Fall auf die absehbaren Veränderungen sehr gut vorbereitet.


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Big Data nutzbar machen Branchenübergreifend ist Big Data der wichtigste Trend der Digitalisierung. Daten sind der Rohstoff der Zukunft, diese gilt es sinnvoll zu nutzen. Moderne IT in Form von semantischen und kognitiven Technologien hilft, die Datenflut zu bewältigen und die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine zu verbessern. Von Thomas Müller

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er Begriff »Big Data« beschreibt die Nutzung, Analyse und Zurverfügungstellung von komplexen, riesigen Datenmengen auf Basis von IT-Systemen und Algorithmen. Dies bedeutet, dass nicht nur die Erhebung der riesigen Datenmengen entscheidend ist, sondern auch deren Auswertung. Gerade für die hiesigen Unternehmen ist dies unerlässlich: Um in der globalisierten Wirtschaft wettbewerbsfähig zu bleiben, ist die Beherrschung, Auswertung und Nutzung dieser Daten unerlässlich. Denn Geschäftsinformationen werden, neben Boden, Arbeit und Kapital, zum vierten

Produktionsfaktor. Der wichtige Rohstoff »Daten« wird so zu einer kritischen Erfolgs-Komponente und die Geschwindigkeit bei deren Bereitstellung wird zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Schnell und lernfähig Doch nur ein Bruchteil dieser Datenmenge ist systematisch geordnet und abgelegt. Daher sind Informationen vielfach nur schwer auffindbar, beziehungsweise können nicht sinnvoll genutzt werden. An dieser Stelle setzen semantische und kognitive Technologien mit Fähigkeiten an, über die

bisher nur Menschen verfügten: Sinnzusammenhänge zu erkennen und selbstständig Schlüsse aus Informationen zu ziehen. Moderne Big Data-Systeme beinhalten daher die Auswertung der Daten teilweise auch schon in Echtzeit. Nur wenn diese in kurzer Zeit ausgewertet werden, können sie auch als Entscheidungsgrundlage dienen. Denn die Analyse komplexer Datensätze und die Interpretation der Ergebnisse setzen geschäftsstrategische Entscheidungen auf eine breitere empirische Basis als bisher und können diese somit verbessern.

Zentraler Helfer im Alltag Schon seit geraumer Zeit werden Systeme angeboten, die bei der Erfassung, Speicherung und Abfrage dieser Informationen unterstützen, zum Beispiel schlagwortgestützte Datenbanken. Semantische Technologien hingegen ersetzen diese starre Art der Wissensverwaltung. Die Technik ist darauf ausgelegt, nicht nur unsere Sprache zu verstehen, sondern auch die Wörter und deren


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Kontext zu analysieren. Die daraus entstehenden Informationen werden verarbeitet und an den Nutzer im richtigen Zusammenhang wiedergegeben. Sogar komplexe Fragen in ganzen Sätzen können gestellt werden. So kann die Technik beispielsweise aus dem Kontext heraus ein Dokument finden, ohne dass der genutzte Suchbegriff als Schlagwort darin enthalten oder indiziert ist. Gleichzeitig sind diese Technologien lernfähig und in der Lage, auf Basis der vorliegenden Informationen, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Eine solche Fähigkeit ist eine wichtige Grundlage für automatisierte Fabriken, auch bekannt unter dem Begriff »Industrie 4.0«.

Voraussetzungen Sinnvolle Big Data-Projekte sind dabei so aufgebaut, dass die Software- und IT-Prozesse im Hintergrund ablaufen, also für die Nutzer – die Mitarbeiter – keine besonderen Kenntnisse in diesem Bereich nötig sind. Jedoch müssen sie ein gewisses Grundverständnis von technischen und rechtlichen Vorgängen mitbringen. Sie müssen die Fähigkeit entwickeln, den zur Verfügung gestellten Informationen die notwendigen Antworten zu entlocken und diese entsprechend einzusetzen.

Fotos: Solcom

Thomas Müller, Geschäftsführer

Durch die große Menge der (teilweise personenbezogenen) Daten sind die Gefahren, die sich aus deren Nutzung ergeben, nicht zu unterschätzen. Menschen achten zunehmend auf die Sicherheit ihrer Daten. Somit ist die Gewährleistung von Datensicherheit ein weiterer wichtiger Punkt für Unternehmenserfolg – nicht nur deren Nutzung. Gerade deutsche Unternehmen haben hier einen Vorsprung, da Management und Mitarbeiter besonders sensibilisiert sind. Ein Vorteil, der dringend bewahrt werden sollte. Ein weiteres Risiko besteht auch darin,

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Entscheidungen nur auf Grundlage der maschinellen Auswertungen zu fällen. Zahlen und Fakten vereinfachen oft die Realität und lassen wichtige Faktoren, wie sozio-ökonomische Gegebenheiten, außen vor. Das wiederum birgt die Gefahr, bei Entscheidungen sich zu sehr auf die vom Computer ausgegebenen Daten zu verlassen. Menschliche Eigenschaften wie Kreativität oder auch eine gewisse Risikobereitschaft – ein zentraler Punkt für Innovationen – bleiben außen vor. Somit ist die Gewährleistung von Datensicherheit ein weiterer wichtiger Punkt für Unternehmenserfolg – nicht nur deren Nutzung. Gerade inländische Unternehmen haben hier einen Vorsprung, da Management und Mitarbeiter sensibilisiert sind. Ein Vorteil, der dringend bewahrt werden sollte.

Mensch bleibt unerreicht Die menschliche Intelligenz und Kreativität wird auch in Zukunft unerreicht bleiben. Denn Fortschritt und Innovation erfordern auch weiterhin die Art von Fähigkeit bei der Bewertung von Informationen und Zusammenhängen, die Maschinen auch in ferner Zukunft nicht leisten können. Trotzdem tragen diese Technologien bereits heute einen erheblichen Teil zur Wertschöpfung bei.

Über SOLCOM: SOLCOM gehört zu den führenden Technologiedienstleistern in den Bereichen Softwareentwicklung, IT und Engineering. Als Partner verhilft SOLCOM Unternehmen mit schnellen, präzisen High-Tech-Lösungen zu echten Wettbewerbsvorteilen.


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4.0 - Nachgeforscht an der Hochschule Reutlingen Wie vielfältig die Entwicklungen im Bereich 4.0 sein können, zeigt sich an den Forschungsprojekten der Hochschule Reutlingen.

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er Begriff »4.0« hat sich inzwischen zu einem Schlagwort für die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft entwickelt. Ursprünglich leitet sich »4.0« aus der Bezeichnung »Industrie 4.0« und der damit verbundenen vierten industriellen Revolution ab – gemeint ist in erster Linie die digitale Vernetzung physischer Produktionssysteme. Digitale Technologien spielen inzwischen jedoch in allen Lebensbereichen eine wesentliche Rolle – so auch an der Hochschule Reutlingen. An der Fakultät Informatik wird das Thema »4.0« aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Die Fakultät setzt auf allgemeine Lösungen und demonstriert diese in

spezifischen Anwendungsszenarien. Dabei liegen die Herausforderungen oft in der Interdisziplinarität, stets stellen jedoch moderne Informationstechnologien (IT) einen zentralen Baustein für innovative Lösungen dar. So entstand zum Beispiel das Management Cockpit aus langjährigen Forschungsaktivitäten im Forschungsbereich »Enterprise Performance Management & Business Intelligence« unter der Leitung von Prof. Armin Roth. Mit dem Management Cockpit kann man erforschen, wie der Managementprozess der Planung, Steuerung und Kontrolle durch Analyse- und Visualisierungsmöglichkeiten besser unterstützt und effizienter gestaltet werden kann. Aktuell wird untersucht, inwiefern durch Industrie

4.0 generierte Datenströme mittels Echtzeitdatenanalyse dem Management in Entscheidungsprozessen behilflich sein können. Neue Methoden des künstlichen Sehens werden auch intensiv im Forschungsbereich »Kognitive Systeme« unter der Leitung von Prof. Dr. Cristóbal Curio entwickelt. Die Entwicklungen konzentrieren sich im Rahmen eines öffentlich geförderten BMBF Projekts »Offene Fusions-Plattform« im Bereich Elektromobilität auf das autonome Fahren im städtischen Verkehr. Zusammen mit beteiligten Institutionen wie dem DLR oder der Streetscooter GmbH stellen sich die Reutlinger Forscher der Herausforderung, neue Logistikkonzepte auf den innerstädtischen Bereich auszudehnen und erweiterte Wahrnehmungsfunktionen in der

So sieht der intelligente OP der Zukunft aus: Digitale Systeme erfassen und optimieren die Vorgänge.

Fotos: Hochschule

Von den Professoren der Hochschule


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Blick ins Management Cockpit an der Fakultät Informatik der Hochschule Reutlingen.

Analyse des Fußgängerverhaltens für die autonomen Transportmittel zu entwickeln. Zudem wird im Labor Internet-of-Things unter der Leitung von Prof. Dr. Natividad Martínez ein adaptives Fahrassistenzsystem entwickelt, das Echtzeitrückmeldungen über das Fahrverhalten mit dem Ziel des sicheren und energieeffizienten Fahrens gibt. Im »Intelligenten Operationssaal« werden optimierte, prozessunterstützende Systeme vor allem wegen der hohen Variabilität der Eingriffe sowie der notwendigen Flexibilität im OP-Umfeld erforderlich. Prof. Dr. Oliver Burgert, Sprecher der Forschungsgruppe Computer-Assistierte Medizintechnik, arbeitet daher an der Qualitäts- und Effizienzsteigerung im OP-Umfeld durch prozessunterstützende Maßnahmen. Es wird erforscht, wie die komplexe und schwer vorhersehbare Situation im Operationssaal und im OP-Umfeld angemessen erfasst und ausgewertet werden kann.

Neue Geschäftsmodelle für Unternehmen Im Lehr- und Forschungszentrum für Wertschöpfungs- und Logistiksysteme der Fakultät ESB Business School entwickeln Prof. Dr. Vera Hummel und Prof. Dr. Daniel Palm in Kooperation mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation IAO, Stuttgart neue Geschäftsmodelle im Kontext von Industrie 4.0 für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Da es bislang für das produzierende Gewerbe und unternehmensbezogenen Dienstleistungen an validen Methoden zur individuellen Potenzialermittlung, Trans-

parenzbildung und insbesondere Risikoabschätzung bei der Umstellung auf 4.0 fehlt, soll das Projekt GEN-I 4.0 an dieser Stelle unterstützen. Durch GEN-I 4.0 wird das Wissen, welches zur Bewertung und Selektion von Lösungen und Ansätzen für die Überführung in Geschäftsmodelle erforderlich ist, durch nationale und internationale Analysen und Interviews gewonnen und konkretisiert. Es fließt gemeinsam mit dem Know-how der Projektpartner zu Industrie 4.0 und zur Geschäftsmodellentwicklung in zwei Online-Tools ein, mit denen KMU online durch eine Selbstbewertung (Self-Assessment) einerseits das Potenzial durch Industrie 4.0 für ihr individuelles Geschäftsmodell und einen strukturierten, konkreten Pfad zur Erschließung ermitteln können und andererseits ihr individuelles Risiko aufgezeigt bekommen.

Auf dem Weg zur netzfernen Energieversorgung An einer Lösung für die Energieversorgung von Orten, die weit von infrastrukturell ausgebauten Industrieregionen entfernt liegen, arbeitet derzeit Prof. Dr. Antonio Notholt aus der Fakultät Technik. Diese Orte haben oft keinen Anschluss zum Stromnetz und werden deshalb mittels Diesel-Stromerzeuger versorgt. Die Einbindung von Erneuerbaren Energien wäre zwar eine kostengünstige Alternative, stellt sich jedoch noch als sehr komplex in Planung und Betrieb heraus. Daher forschen Prof. Notholt und sein Team an einer Möglichkeit, eine Vernetzung zwischen Solarstromerzeugern, Dieselstromerzeugern und Betreibern zu schaffen,

sodass das System eigenständig und optimal arbeiten kann. Ziel ist, dass der Betreiber jederzeit genau weiß, was mit seinem System passiert und wie er bei Problemen verfahren soll. Darüber hinaus gibt es eine virtuelle Inbetriebnahme und Support des Systems, damit notwendige Unterstützung innerhalb von Minuten aus Deutschland in die abgelegensten Regionen gewährleistet werden kann.

Technologie-Roadmap für Prozesssensoren Prof. Dr. Karsten Rebner von der Fakultät Angewandte Chemie hat an der Entwicklung einer Technologie-Roadmap für »Prozesssensoren 4.0« der VDI/VDE-Gesellschaft mitgearbeitet. Diese Roadmap fokussiert sich auf die Erfassung von physikalischen und chemischen Messgrößen mittels spezifischer und unspezifischer Sensoren, die der Steuerung und dem Verständnis von Prozessen dienen. Sie zeigt die nötigen Anforderungen an smarte Prozess-Sensoren auf – vom einfachen Temperatursensor bis über heute in Entwicklung befindlichen Mess-Systeme hinaus. Wichtige smarte Eigenschaften sind beispielsweise die Konnektivität und Kommunikationsfähigkeit nach einem einheitlichen Protokoll, die Instandhaltungs- und Betriebsfunktionen oder die Interaktionsfähigkeit. Eine ausführliche Übersicht dieser und weiterer Projekte zu 4.0 finden Sie hier


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»Prozesse im Wandel – Planung, Produktion und Logistik 4.0« Wenn man an Industrie 4.0 denkt, mag einem nicht sofort die Fertighausindustrie einfallen. Doch sie befasst sich nunmehr seit über 20 Jahren mit diesem Thema und treibt es immer weiter voran. Von Luis Zingler

E

ines der Kernelemente der Industrie 4.0 ist, in einer Smart Factory die Möglichkeit zu schaffen, zu wirtschaftlichen Bedingungen individuelle Einzelstücke mit moderner Fertigungstechnik in der Fabrik herzustellen. Dies wurde möglich, als mit CAD-Programmen Daten generiert wurden, mit denen in der Produktion die Fertigungseinrichtungen Millimeter genau gesteuert wurden. Dadurch konnten beliebige Bauteile produziert werden, die dann in einer Plausibilitätsprüfung kontrolliert wur-

den, um diese dann letztlich auf der Baustelle passgenau zusammenzufügen. Dadurch besteht seit über 20 Jahren die Möglichkeit maßgeschneiderte, hochwertige Ein- und Zweifamilienhäuser in jedem Architekturstil zu fertigen. Ist das wirklich schon über 20 Jahre her? Auf diese Frage antwortet Johannes Schwörer: »Ja in der Tat, was ich allein schon deshalb so genau weiß, weil früher unsere Fertigungseinrichtungen noch mit MS Dos-Befehlen gefüttert wurden und der gute alte Norton Commander als Eingabehilfe dienen musste. Windows war graue Vorzeit

und seit diesem Zeitpunkt wurden die Steuerung und diverse Fertigungsstraßen schon drei bis fünf Mal überholt und ausgetauscht. Fakt ist auch, durch diese Entwicklung gingen die bis dahin gültigen Rastermaße verloren, sodass Individualisierung möglich wurde, ohne dass damit erhebliche Kostensteigerungen für den Kunden entstanden. Wichtig in diesem Zusammenhang sind hierfür bei SchwörerHaus die kompletten CAD-Hausdaten von der Raumaufteilung/ Grundrisse, Wand- und Dämmstärken, Elektro-Planung, Fußbodenheizung etc., die in der Konstruktionsabteilung erstellt wer-

Fotos: SchwörerHaus

Am Firmensitz in Hohenstein-Oberstetten werden geschützt vor Wind und Wetter die individuellen Häuser auf modernsten Fertigungsanlagen produziert.


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Beispielhaft, ein Schwörer Kundenhaus – so individuell wie die über 39 000 Bauherren des Unternehmens.

den und anhand derer in der Fertigung im Werk Hohenstein-Oberstetten die individuellen Kundenhäuser gefertigt werden. Industrie 4.0 ist natürlich nicht nur die Individualisierung in der Fabrik. Im Kern wirkt die digitale Transformation im Bau, besonders über 4 Hebel: 1. Digitaler Kundenzugang Homepage, soziale Netzwerke, Infotainment 2. Automatisierung im Werk 3. Warenlogistik auf die Baustelle 4. Digitale Daten für die Nachbetreuung und Steuerung des Hauses Die Punkte müssen – auch wenn man sie bereits gut beherrscht – ständig ausgebaut und verbessert werden. Es geht auch darum, die Fertigungs- und Logistikideen auf den mehrgeschossigen Bau, auf die Nachverdichtung und auch die Modernisierung zu übertragen, hier hat die Holzbaubranche noch ein riesiges Wachstumspotenzial. Industrie 4.0 mit den oben genannten Punkten zeigt, dass die Vorfertigung im Werk entscheidende Vorteile gegenüber der konventionellen Bauweise hat. Denn auf der Baustelle mit dem oftmaligen Einsatz zahlreicher Subunternehmer sind diese komplexen Aufgabenstellungen so nicht garantiert. Der industrielle Holzbau und Holzsystembau wird sich weiterentwickeln und dadurch werden sich Chancen für die Unternehmen eröffnen. Am Arch_Tec_Lab der

ETH Zürich ist es zum Beispiel gelungen, 168 verschiedene Holzträger durchgängig digital herzustellen. Diese Holzträger umfassten 45 000 Einzelteile mit 820 000 Nägeln und 65 000 verschiedenen Knotenausführungen, die direkt aus dem Architekturmodell abgeleitet und an Roboter übermittelt wurden. Schlagworte wie »Building Information Modeling« für Kostensicherheit, »3-DDruck« zum Ersatz aufwändiger Verbindungen zeigen auf, welche gewaltigen Veränderungen in den nächsten Jahren die Branche beschäftigen werden.

Johannes Schwörer, Geschäftsführer

SchwörerHaus Die SchwörerHaus KG ist ein Familienunternehmen, gegründet 1950 mit Stammsitz in Hohenstein/Oberstetten. Es verfügt über sieben Standorte in Deutschland und 1 700 Mitarbeitern. Jährlich werden 800 bis 1 000 Häuser verkauft und in Deutschland, der Schweiz und den europäischen Nachbarländern schlüsselfertig errichtet – 39 000 Referenzobjekte. Alle Planungen erfolgen über CAD, die Fertigung unterliegt einer ständigen Güteüberwachung, der PEFC-zertifizierte Rohstoff Holz stammt aus nachhaltiger Forstwirtschaft und wird im eigenen Sägewerk zu hochwertigen Bau- und Werkstoffen veredelt und weiterverarbeitet. Das Online-Portal für Kunden bietet: · Kunden, die sich in der Bauphase befinden, sehen eine Übersicht zum Status ihres Bauvorhabens. · Das Ampelsystem zeigt an, welche Schritte bearbeitet werden und welche bereits abgeschlossen sind. · Kontaktdaten der Ansprechpartner/ Kundendienst/Modernisierungsservice · Pflegehinweise für die Zeit nach dem Hausbau · Tipps & Tricks rund um Ihr Haus. www.schwoererhaus.de


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Vom flüssigen Mineralwerkstoff Varicor® zum fliegenden Waschtisch Handwerkskunst trifft industrielle Fertigung. Wie Schüschke Solid Solutions beide Welten miteinander verbindet.

Von Judith Kaltarar

W

aschtische in Hülle und Fülle – kleine, große, einfarbige, mehrfarbige. Mit oder ohne Abfallklappe, Einfach- oder auch Mehrfachanlagen. Sie werden gefräst, beschnitten, verklebt, poliert und verpackt. Über 1 300 Varianten von Waschtischen für Lavatories sind im Bereich der zivilen Luftfahrt vorzufinden. Hinzu kommt eine fast endlose Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten im öffentlich-gewerblichen Sektor. Etwa 70 Waschtische verlassen wöchentlich die Produktionshallen. Eigentlich kann man kaum noch von einem Handwerksbetrieb sprechen – aber die Herstellung der Waschtische ist und bleibt mit sehr viel Handwerkskunst verbunden. Was für eine Rolle spielt das von vielen Wirtschaft 4.0-Propheten verbreitete Postulat in solch einem Unternehmen? Sprechen wir von Wirtschaft 4.0, Industrie 4.0 oder Handwerk 4.0? Schon hier ist kein eindeutiger Terminus vorzufinden. Ganz zu schwei-

gen von der Frage, was versteht man eigentlich genau unter 4.0 und wie wird das viel diskutierte Thema in klassischen klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) umgesetzt? Im Fokus aller Begrifflichkeiten steht die Weiterentwicklung von Geschäftsprozessen mithilfe digitaler Werkzeuge. Den Einsatz leistungsfähiger Computer und das Internet gibt es schon seit Langem. Mittlerweile ist man an einem Punkt angelangt, an dem man regelrecht von Datenexplosionen reden kann. Doch wer ist letztendlich Gewinner oder Verlierer dieser gesellschaftspolitischen Entwicklung? Zum jetzigen Zeitpunkt ist alles nur spekulativ. Allerdings ist für das Unternehmen Schüschke klar, dass sich gewisse handwerkliche Produktionsverfahren verändern werden bzw. schon verändert haben. Ein Beispiel aus dem öffentlich-gewerblichen Bereich veranschaulicht wie dieser Entwicklungsprozess auch bei Schüschke Einzug hält: Auf der Baustelle wird zum Aufmaß nicht mehr nur der herkömmliche Me-

Lavatory mit einem Schüschke-Waschtisch


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terstab genutzt, sondern via Laser kann die Distanz von Wand zu Wand vermessen werden. Mithilfe eines Handscanners können maßstabgetreue Aufnahmen der noch in der Rohbauphase befindlichen Räumlichkeit gemacht werden. Der Datensatz lässt sich in kürzester Zeit mithilfe eines Smartphones oder Tablets an den zuständigen Konstrukteur im Fertigungsunternehmen versenden. Die Konstruktion des Waschtisches kann beginnen. Allerdings verlassen sich einige immer noch häufig auf den guten alten Meterstab, da sie der Technologie noch nicht bedingungslos vertrauen, getreu dem Motto »ich mach’s lieber selbst«. Was allen bewusst ist, 4.0 führt zu innovativen Problemlösungen und einer völlig veränderten Arbeitskultur.

Zukunftsmusik Auch das Unternehmen Schüschke wird sich diesem schnell voranschreitenden Digitalisierungsprozess nicht entziehen. Die Kombination von Handwerk und industrieller Fertigung ist aber kein Selbstläufer: Ein klassisches Industrieunternehmen versucht der Forderung nach individuellen Produkt-

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CNC-Bearbeitung eines Waschtisches

lösungen ebenso gerecht zu werden, wie nach der Serienfertigung. Die Einzelfertigung sollte möglichst günstig angeboten werden. Der Handwerksbetrieb hingegen versucht mit 4.0 standardisierte Prozesse zu erreichen, um somit gegenüber der konventionell organisierten Fertigung Kosten einzusparen. Um das mit 4.0 zu erreichen, müssen Investitionen getätigt werden. Das angestrebte Ziel wird sein, dass die Schleifmaschine dem Lager kommuniziert: Achtung, ich benötige in Kürze eine neue Schleifscheibe. Das Bauteil sagt der Schleifmaschine: Schleif mit Körnung 120. Im Anschluss wird es in die Abteilung Finish gebracht, wo der Poliermaschine gesagt wird, in welchem Glanzgrad poliert werden soll. Bei all diesen Interaktionen treffen Maschinen, Transport- und Lagertechnik, Daten und Menschen aufeinander. Um diese Vernetzung zu realisieren, bedarf es Zeit und vor allem qualifiziertes Personal.

Status quo Wo stehen wir nun heute bei Schüschke? Sagen wir mal so, hier ist das Thema eigentlich schon in abgespeckter Form seit vielen Jahren angekommen. Genau gesagt im Jahre 1995, mit der Anschaffung eines 5-Achs-CNC-Bearbeitungszentrums. Mittlerweile sind im Unternehmen zwei große Bearbeitungszentren und eine kleinere CNC-Maschine zu finden. Betritt man die Produktionshallen, steht

man direkt vor den riesigen Maschinen: Die CNC-gesteuerten Fräsen sind schon am Waschtisch-Rohling zu Werke. Einen Zwei-Grad-Radius oder eine Materialabtragung von 9 mm stellt kein Problem für die Fräse dar. Doch woher weiß die Fräse was zu tun ist? Die Waschtisch-Lösungen werden am Computer konstruiert, hochauflösende 3-D-Rechner lassen einen detaillierten Blick auf die Konstruktion zu. Die Programme werden per Knopfdruck an die Maschine übermittelt und der Fräsvorgang kann starten. Selbst über Nacht läuft das Programm, es wird gefräst ohne menschliches Zutun. Wartezeiten werden somit vermieden. Geht man ein paar Schritte weiter, begegnet man Handwerk pur: Hier werden Glasfaserschnitte unter das Bauteil geklebt, Schürzen angebracht, mit Schleif- und Poliermaschinen geben die Mitarbeiter den Waschtischen den letzten Schliff. Echtes Handwerk wird verbracht. Schwer vorstellbar, dass diese kreative und teilweise auch filigrane Arbeit von Maschinen verrichtet werden kann.

Luftfahrt und 4.0 Wie für den Lieferanten Schüschke, ist es für das hoch technologisierte Kundensegment der Luftfahrt unumgänglich, sich bei der Entwicklung und Fertigung neuer Modelle mit dem Thema zu befassen. Aber auch in diesem Sektor liegt die Zukunft der digitalen Fertigung noch im Unklaren. Allen


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Fotos: Schüschke

Echte Handarbeit: Schleifen eines Waschtisches

ist bewusst, dass die Weichen auf Digitalisierung stehen müssen, um auch zukünftig erfolgreich am Markt agieren zu können. Im Zentrum der Überlegungen steht die Fragestellung, wie die Daten miteinander verkettet werden können, um eine Verbesserung im Fertigungsprozess zu erzielen? Industrie 4.0 macht nur Sinn, wenn die Arbeit leichter und effizienter für den Mitarbeiter gestaltet werden kann. Im Gegensatz zur Automobilbranche gibt es in der Flugzeugfertigung keine klassische Fließbandfertigung, die nur allein von Robotern durchgeführt werden kann. Hier gilt es zukünftig Synergien zwischen Mensch und Maschine zu schaffen. In diesem Bereich ist die Luftfahrtindustrie jedoch noch am Anfang.

Anders sieht es bei der 3-D-Druck-Technik aus: Beim Additive Layer Manufacturing (ALM) entstehen jetzt schon Bauteile, die bereits im Einsatz sind. Hierbei werden aus Metallpulver Werkstücke gefertigt. Im Augenblick sind die Kosten für diese Technologie noch viel zu hoch und sie ist noch nicht zuverlässig genug. Außerdem benötigen die Maschinen zu viel Zeit und der Rohstoff ist zu teuer. Je mehr Unternehmen diese Technologie zukünftig nutzen, umso günstiger wird sie. Mit der Eröffnung der Forschungslandschaft ZAL TechCenter im März 2016 gibt die Hamburger Luftfahrtindustrie aber auch eine klare Richtung vor: An dem Thema 4.0 wird intensiv gearbeitet, damit es nicht nur Schlagwort bleibt, sondern Realität wird.

Der Mensch Neue Technologien setzen qualifiziertes Personal voraus. Bestehende Mitarbeiter müssen entsprechend den Anforderungen geschult werden. Darüber hinaus muss an Universitäten und im Ausbildungsbereich dafür gesorgt werden, dass das Thema 4.0 auch dort ankommt. Im Augenblick herrscht eher ein Fachkräftemangel, der viele Entwicklungsprozesse bremst. Bei Schüschke wird großen Wert auf Weiterbildung gelegt. »Wir müssen die Belegschaft mitnehmen. Gezielte Qualifizierung ist notwendig um die Mitarbeiter auf die Anforderungen der Digitalisierung vorzu-

bereiten, damit diese konstruktiv mit den Fertigungsprozessen und den Veränderungen umgehen können«, so Uwe Schüschke, Geschäftsführer der Schüschke GmbH & Co. KG. Das setzt natürlich voraus, dass es für die Mitarbeiter selbstverständlich ist am Ball zu bleiben und sich weiter zu qualifizieren. Auf der anderen Seite findet man im Unternehmen eine Geschäftsführung vor, die den Weg dafür ebnet, in Form von Freiräumen schaffen und Förderung individueller Stärken. Innovationen können nur entstehen, wenn man ihnen gegenüber offen ist. Das Bewusstsein für lebenslanges Lernen muss geweckt werden. Das Unternehmen bietet individuelle Karrieremodelle unter anderem in Form von unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen, attraktive Sozialleistungen, Familienfreundlichkeit, mit denen erfahrenes Personal gewonnen und gehalten werden kann. Technischer und digitaler Fortschritt in Verbindung mit exzellentem Können und Kreativität stellt die Kernkompetenz in den kommenden Jahren dar. Nicht jedes Unternehmen muss alles nutzen was möglich ist, man sollte sich allerdings die Frage stellen, ob sich in den einzelnen Arbeitsprozessen, wie Produktentwicklung, Konstruktion, Produktion, Vertrieb und Marketing Handlungsfelder für Wirtschaft 4.0 erkennen lassen.

Schüschke GmbH & Co. KG CNC-Gravurmaschine: Gravur der Abfallklappen für die Luftfahrt

Schüschke Solid Solutions ist ein internationales, mittelständisches Unternehmen mit Sitz im baden-württembergischen Kirchentellinsfurt. Aus einem kleinen Handwerksbetrieb ist mittlerweile der Industriebetrieb SCHÜSCHKE SOLID SOLUTIONS gewachsen. Schüschke sieht sich heute als ganzheitliches Unternehmen mit einem breiten Spektrum an Produktions- und Dienstleistungen. Dazu gehört Beratung, Konstruktion, Produktentwicklung, Produktion und Realisierung. Mit über 65 Mitarbeitern wird sich den Anforderungen der Kunden aus den Bereichen zivile Luftfahrt, Design, Architektur, Planung und Sanitärfachhandel, gestellt.



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In du st ri e 1. 0: In du st ri e 2. 0: In du st ri e 3. 0: In du st ri e 4. 0:

de n ni si er un g du rc h ha ec M e di en tz H an dw er ke r se m as ch in en um . pf am D B au vo n se nnd er fü r di e M as bä ß ie Fl e di n le en . H an dw er ke r st el ek tr oi ns ta lla ti on El e di r fü en rg d so fe rt ig un g he r un to ba hn fü r di e an de r D at en au n ue ba r ke er H an dw sp ro ze ss e. de r In fo rm at io ns D ig it al is ie ru ng et ze n H om e un d ve rn tar m S s da n ue hk uh . H an dw er ke r ba ra nk m it de r M ilc ch ls üh K n de en de n sp re ch ro n al lt äg lic he n P re de an le al um , t no ch . A be r ke in e S or ge ch in de r Zu ku nf au s un ir w n er bl em e kü m m


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