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Kulinarische Nachlese

Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr, v.re.

„Trotz Internet und Fernsehküche – Kochbücher werden immer ein Kulturgut bleiben”, davon sind Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr überzeugt. Die beiden Männer zogen im Januar 2010 aus dem Ruhrpott nach Berlin und betreiben seitdem in einem restaurierten Altbau-Souterrain in Berlin-Mitte, in der Nähe des Rosenthaler Platzes, Deutschlands vermutlich größtes, auf jeden Fall aber Berlins einziges Kochbuchantiquariat.

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Rund 60.000 Titel aus zweieinhalb Jahrhunderten umfasst ihre Bibliotheca Culinaria. Neben bibliophilen Ausgaben, etwa von Auguste Escoffier, stehen büttengedruckte Originale, handgeschriebene Unikate, kulinarische Enzyklopädien, Magazine und Zeitschriften, Promikochbücher von Sophia Loren bis Vico Torriani, Kriegs- und Nachkriegskochbücher. „Das Stöbern in diesem Fundus ist für uns immer auch eine Art besonderer Geschichtsstunde”, sagen die Antiquare.

Nun stöbern Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr sozusagen auch öffentlich. Für Garcon blättern sie in Kochbüchern aus vergangenen Zeiten und notieren, was sie dabei bewegt.

IN ALTEN KOCHBÜCHERN GEBLÄTTERT

VON JOHANNES MOHR UND SWEN KERNEMANN-MOHR

DIE KÜCHE

Zeitschrift für Kochkunst und Tafelwesen, Küchentechnik und -organisation

Halbmonatsschrift des Internationalen Verbandes der Köche Sitz Frankfurt am Main

31. Jahrgang (gebunden) Frankfurt am Main 1927

Preis (antiquarisch): 160,00 Euro

Die Küche ist eine Fundgrube. Wir meinen natürlich nicht den Ort der Speisenzubereitung, sondern DIE KÜCHE.

Dabei handelt es sich um die Zeitschrift für Kochkunst und Tafelwesen, Küchentechnik und -organisation, die vom Internationalen Verband der Köche in Frankfurt am Main einst herausgegeben wurde. Das 24-Seiten-Blatt erschien von 1899 bis 1934 (außer zwischen 1914 und 1918) zweimal im Monat, also 24 Zeitschriften jährlich.

Die konnte man sammeln und zum Preis von 2,30 Reichsmark – eine Ausgabe kostete übrigens 0,50 Reichsmark – ebenfalls beim Frankfurter Köcheverband „in rotem, lichtechtem Leinen” binden lassen.

In der Regel findet man DIE KÜCHE heute meist in diesen gebundenen Jahrgangsausgaben, wobei es – aus welchen Gründen auch immer – seltene und weni-

ger seltene Jahrgänge gibt. In den Regalen unseres Kochbuchantiquariats stehen übrigens sechzehn Jahrgänge und, wie gesagt, sie sind für historisch wie kulinarisch Interessierte tatsächlich eine Fundgrube.

Für diese Kolumne haben wir den Jahrgangsband 1927 herausgesucht. Da gibt es zum Beispiel einen Bericht über das Silvester-Menü im Hotel Adlon. Küchenmeister Alfred Borcke und seine Mannschaft kochten damals für 819 Gäste – Preis pro Menü 40 Reichsmark: „Feinster Malossol Astrachan Caviar; Klare echte Schildkrötensuppe; Helgoländer Hummer kalt mit Sauce Ravigote; Hamburger Stubenküken, gefüllt mit Gänseleber und frischen Périgordtrüffeln; Salat Hedda; Adlon-Eisüberraschung; Feingebäck; Käse; Pfannkuchen.”

Der Autor Franz Carl Mack schrieb einen vielteiligen „Baedeker unserer Süss-Speisen”, Arthur Remmler erklärte die Kunst des Tranchierens und würdigte den Beruf des Trancheuers...

Besonders interessierte uns ein Artikel, der mit „Türkische Spiessbraterei” überschrieben ist und die Abbildung eines Dönerspießes zeigt, wie er 1927 in türkischen Restaurants in Deutschland in Betrieb war.

1927! Bisher wären wir jede Wette eingegangen, dass der Dönerkebap frühestens in den 1960ern mit den ersten türkischen Gastarbeitern nach Deutschland kam.

Das Büchlein „Aufgespießt – Wie der Döner über die Deutschen kam”, erschienen 1996 im Hamburger Rotbuch Verlag, macht uns auch nicht schlauer – einig sind sich alle lediglich darin, dass er in Berlin seine Deutschland-Premiere hatte.

Wann exakt und wo genau, da streiten sich die Geister. „Den ersten Döner-Spieß in Berlin gab es Ende der sechziger Jahre als Tellergericht im vornehmen Restaurant Istanbul in der Knesebeckstraße”, wird beispielsweise Ahmet Yeter zitiert, Besitzer einer Dönerbude in der Görlitzer Straße.

In Betracht kommen aber auch Ibrahim Keyif, der 1969 in der Potsdamer Straße einen Döner-Imbiss eröffnete und KörBilâl, der mit seiner Familie 1971 in der Adalbert-/Ecke Oranienstraße ins KebapGeschäft einstieg.

Wenn da nicht DIE KÜCHE wäre, würden wir sagen: wann exakt und wo genau – frag doch den Döner. Aber weil es die Fundgrube gibt, können wir nun wenigstens eine

dieser beiden weltbewegenden Fragen beantworten. Wann der Döner nach Deutschland kam? 1927! Wo genau seine Wiege stand, das bleibt uns allerdings auch unsere Fundgrube schuldig. Übrigens: Sicher hätte sich vor über 90 Jahren kein Prophet der Welt vorstellen können, welchen Siegeszug der Dönerkebap antreten würde. Inzwischen gab es manches Update in der Gentrifizierung des Döners. Das jüngste: die Dönerbowl, erfunden im Charlottenburger Restaurant Ø27. Aber das ist schon eine andere Geschichte…

BIBLIOTHECA CULINARIA

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