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Pho & Co
ASIATISCHE NUDELKÜCHE BOOMT IN BERLIN
VON JÖRG TEUSCHER
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Nudelsuppen sind in Asien ein unverzichtbares Alltagsessen. Man bekommt sie in den Hochhausschluchten der Metropolen ebenso wie in den entlegensten Dörfern, entlang der staubigen Landstraßen oder auf den wuseligen Märkten. In Vietnam heißen sie Pho, in Laos Khao Piek, die Tibeter nennen sie Thukpa, die Koreaner Onmyeon, die Japaner Ramen. Jedes Land hat seine eigenen Zubereitungen und regionalen Zutaten, deren Zahl fast grenzenlos scheint. Die Nudel selbst allerdings ist chinesischen Ursprungs (s. Seiten 46-47).
Viele dieser Asia-Suppen gibt es – mehr oder weniger authentisch – auch in Berlin. Angeboten werden sie zumeist in Bistros und Imbissen, die eine schöne Facette der bunten Hauptstadt-Kulinarik sind. Die meisten der winzigen Läden stehen jetzt allerdings auf der Kippe. Es wäre also nicht nur ein Verlust für ihre Betreiber und deren Gäste, wenn sie die Coronakrise nicht überleben würden.


Herr Wu ist 52, Nudelmeister und eine Berühmtheit in seinem Metier. Ihm gelingt es beispielsweise, mittels artistisch anmutender Dreh- und Schleudertechnik, aus einem armdicken Teigstrang in Minutenschnelle spaghettidünne Nudeln zu zaubern. „Das ist eine uralte Kunst in der Heimat von Herrn Wu“, erklärt die Dolmetscherin ehrfürchtig. Herr Wu stammt aus Lanzhou, der Hauptstadt der Provinz Gansu im Nordwesten Chinas. „Lanzhou war eine wichtige Station auf der historischen Seidenstraße“, fährt die Dolmetscherin fort, „über die auch die Kunst des Nudelmachens einst nach Europa kam.“ Damit war chinesisch-diplomatisch gesagt, was gesagt werden musste. Die Nudel kommt aus China. Punkt. Und wer etwas anderes behauptet, irrt. Punkt.
Lassen wir es also mal so stehen – immerhin blickt China tatsächlich auf mindestens viertausend Jahre Teigwarengeschichte zurück. Etwa genauso lange ist es her, dass der Ort Lajia in der Provinz Qinghai von einem Erdbeben zerstört wurde und in der fol-



genden Flut unterging – ähnlich wie 79 n.Chr. das römische Pompeji. Im Oktober 2005 entdeckten Archäologen bei Ausgrabungen im „Pompeji Chinas“ unter einer zerbrochenen Tonschale Nudeln – fünfzig Zentimeter lang und drei Millimeter dick. Auf den damals veröffentlichten Fotos des Sensationsfunds sahen sie aus wie die Spaghettireste von gestern.
Die ältesten schriftlichen Quellen chinesischer Nudelgeschichte stammen aus der Zeit der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.). Für den ersten Nicht-Chinesen, der über das Reich der Mitte berichtete – der japanische Mönch Ennin – gehörten gekochte Nudeln bereits zum Alltag in China. Das war im achten Jahrhundert. In den folgenden Jahrhunderten übernahm Japan von China viel Alltagskultur – darunter die Nudel. Und sie eroberte nicht nur das Land der aufgehenden Sonne. Nudelgerichte, insbesondere Suppen, prägten schon früh auch die Küchen Koreas, Thailands, Vietnams und anderer südostasiatischer Länder.



UNSERE LIEBLINGSNUDELSUPPEN...

Pho ist das Nationalgericht der Vietnamesen. Die traditionelle Suppe gibt es als Pho Bo: Rinderbrühe, Reisnudeln, dünne Rindfleischscheiben – als Pho Ga: Hühnerbrühe, Reisnudeln, Hühnerbrust – und als Pho Heo: Schweinebrühe, Reisnudeln, Garnelen.
Ganz so simpel wie hier aufgeschrieben funktionieren die drei Zubereitungen natürlich nicht. In allen Fällen sind die Zutatenlisten ellenlang: Fenchel- und Koriandersamen, Nelken, Sternanis, Zimt, Ingwer, Salz und Zucker, Fisch-, Hoisin- und Chilisauce, Bohnensprossen, Frühlingszwiebeln und am besten die drei verschiedenen Koriandersorten Cilantro, Culantro und Rau Ram.
In Berlin gibt es Pho bei jedem Vietnamesen – mal mehr, mal weniger gehaltvoll; mal mehr, mal weniger würzig. Am authentischsten wird die Suppe zweifellos in den Kantinen des Lichtenberger Dong Xuan Centers gekocht – Fotos waren hier allerdings nicht möglich, deshalb mussten wir das Archiv bemühen.
10365 Berlin, Herzbergstraße 128-139
Nach der vietnamesischen Wundersuppe Pho auf Platz zwei unseres Rankings rangiert die japanische Zaubersuppe Ramen. Auch deren Zubereitung klingt ziemlich simpel – Nudeln, Brühe, Topping – aber wie bei ihrer vietnamesischen Schwester liegt das Geheimnis im Detail. Nur wenn die Nudeln Biss haben, die Brühe aromatische Tiefe besitzt und das Topping perfekt zubereitet ist, stellt sich jenes Geschmacksfeuerwerk ein, das irgendwann Ramensüchtig macht.
Für uns am besten gelingt das in Berlin dem Team des Hako Ramen, einem kleinen Restaurant in Friedrichshain. Unser Favorit unter den acht verschiedenen Zubereitungen: Tonkotsu-Ramen aus einer schon fast cremigen Schweinebrühe, hausgemachten Nudeln, mariniertem Schweinefleisch, Frühlingszwiebeln, Bambussprossen und einem wachsweich gekochten Ei (s. Bild oben). Das ist löffelweise Energie, heiß und fein und unglaublich aromatisch.
facebook.com/HakoRamenBerlin | Boxhagener Straße 26




Über seinen Kreuzberger Kiez hinaus bekannt ist das Bistro The Panda Noodle am Lausitzer Platz – natürlich auch wegen der heftigen Medienpräsenz, vor allem aber wegen der Güte der dort angebotenen Nudelsuppen, wobei natürlich eins das andere bedingt.
Daeng Khamlao – Vater Thai, Mutter Chinesin – wurde in Bangkok geboren und kam als Achtjährige nach Berlin. Schulabschluss, Arbeit als Fotografin und Stylistin und im Sommer 2016 Eröffnung des Panda-Noodle-Bistros. Der kleine Laden mit dem weißen Mobiliar, den quietschbunten Asia-Filmplakaten und der offenen Küche machte schnell Furore. Die preiswerten Pandastyle-Variationen hausgemachter Ramen-Suppen passten zu Kreuzberg und trafen den Geschmack der vorwiegend jungen Gäste.
Chicken Miso Ramen (s. Bild oben) und die scharfe Spicy Dan Dan Soup waren bisher die Renner der Saison. Daeng Khamlao hofft, dass es auch nach der Krise wieder so sein wird.
facebook.com/ThePandaNoodle | Lausitzer Platz 12
„Thai-Art: Die besondere Art zu essen“ – mit diesem Slogan wirbt Siliya Rothert für ihr winziges Wilmersdorfer Bistro. Die gelernte Köchin eröffnete es vor anderthalb Jahren und machte sich mit ihren authentischen Thai-Gerichten schnell einen Namen. Die 58-Jährige stammt aus Sukhothai, einer Stadt rund 400 Kilometer nördlich von Bangkok, kam vor 20 Jahren nach Deutschland, heiratete einen Berliner und erfüllte sich mit dem eigenen Laden einen lang gehegten Traum. Ihre Rezepte stehen in der kulinarischen Tradition der kultigen Straßenrestaurants ihrer Heimat: frisch gekocht, heiß serviert und geschmacklich sensationell.
Die Hälfte der zwölf Gerichte sind Nudelsuppen – darunter die berühmte Tom Yam, die salzig, sauer und scharf schmeckt; die nicht minder bekannte Tom Khaa, in der Kokosmilch und Hühnerfleisch die Hauptrollen spielen sowie die aromatische Yen Ta Foh (s. Bild oben), die mit Tintenfisch, Tofu und Wasserspinat punktet.
www.thaiart-berlin.de | Berliner Straße 42a


Inhaberin Daeng Khamlao, Mitte, und ihre Mitarbeiter Tori Rusenko aus den USA und Adeeb Skaf aus Syrien. Inhaberin und Köchin Siliya Rothert.


CHUNGKING NOODLES
ASH LEE SERVIERT IM REICHENBERGER KIEZ HEIMATLICHE SPEZIALITÄTEN
VON JÖRG TEUSCHER


Pop-up-Dinner am 26. Januar 2013: Ash Lee und Kavita Meelu, v. re.



Kennengelernt habe ich Ash Lee vor sieben Jahren – am 26. Januar 2013. Ich weiß das deshalb so genau, weil ich den Speisezettel ihres damaligen Pop-up-Dinners aufgehoben habe – neun Gänge, Gerichte aus der Küche Ihrer Großmutter.
Großartig verändert hat sich die 37-Jährige seitdem kaum, lediglich die Haare sind etwas kürzer und statt Wollmütze ist heute Basecap angesagt. Die größte Veränderung hat Ash Lees Art zu kochen erfahren: Während sie früher häufig die eher milde, zuweilen leicht süßliche Küche ihrer Heimatstadt Shanghai favorisierte, kocht sie heute Chongqing-Style – würzig, feurig und chilirot.
Chongqing, eine von 32 Millionen Menschen bevölkerte Metropolenregion von der Größe Bayerns, liegt rund 1.400 Kilometer westlich von Shanghai und damit deutlich jenseits des 115. Längengrades, der in China auch Chili-Meridian heißt. Wer westlich dieser gedachten Linie lebt (sie verbindet Peking, Wuhan und Kanton), isst scharf. Sehr scharf.




Inhaberin und Küchenchefin Ash Lee.
Das ist keine kulinarische Marotte, sondern Reaktion auf das Klima in Chongqing und der benachbarten Provinz Sichuan. Chili und andere scharfe Gewürze kühlen in den heißen Sommern, indem sie den Schweißfluss auf die Spitze treiben und wärmen in den kalten Wintern, besonders wenn man sie in heißen Töpfen aufkocht.
Das Klima also bringt eine der schärfsten (und pikantesten) Küchen Chinas hervor, die weltweit bekannte Sichuan Cuisine, die mit Slogans wie „Go West – be hot“ für ihre Gerichte wirbt. Eben auch für Chong Qing Xiao Mian, eine Nudelsuppe, die traditionell mit Hackfleisch vom Schwein gekocht, mit Chiliöl und Sichuanpfeffer geschärft und mit Kohl und Lauchzwiebeln serviert wird.
Genau so bereitet auch Ash Lee den Chongqing-Klassiker zu, und sie hätte, jede Wette, auch bei der „Generation Chilischote“ in China Erfolg. Und das will nun wirklich was heißen, zumal sie keine gelernte Köchin ist, sondern diplomierte Industriedesignerin. Neben der Hackfleisch-Variante bringt Ash Lee noch drei weitere

Scott Buchanan, Australier, produziert die Nudeln... ...ausschließlich aus Demeter-Weizenmehl und Wasser.


Täglich frisch: Weizennudeln...

Zubereitungen in die Schüsseln – eine mit Rinderwade, eine vegan mit Shiitakepilzen und Tofu und – unser Favorit – eine mit gekochten Hühnermägen, in die neben den üblichen Scharfmachern zusätzlich noch marinierte Chilischoten kommen. Allerdings gibt es diese Variante nur mittwochs. „Wahrscheinlich, damit man sich bis zum nächsten Mittwoch erholen kann“, so mein Freund und Mitschlürfer Uwe.
Nicht verzichten sollte man auf Ash Lees kleine Vorspeisen, die natürlich auch dem Pepper-High-Effekt gehorchen – ChungKingPotatoes mit Chiliöl, ChunKingSausage von Simon Ellery, dem Sausage Man Never Sleeps, natürlich mit einer Extraprise Chili und ChungKingCucumbers, die allerdings sind süß-sauer.
Übrigens: Zur Zeit bietet Ash Lee von Dienstag bis Samstag, 13.00 bis 16.00 Uhr, eine Abhol-Box an: zwei Portionen hausgemachter Nudeln mit verschiedenen Toppings zum Zu-Hause-Zubereiten. Die Kochanleitung gibt es online.

...und zweimal in der Woche frisch: Chiliöl. CHUNGKING NOODLES

Reichenberger Straße 35 10999 Berlin-Kreuzberg hello@chungkingnoodles.berlin www.chungkingnoodles.berlin