«Ich bin ein notorischer Angsthase, das weiss jeder, deswegen kenne ich mich mit diesem Gefühl so gut aus», sagt Dario Argento über sich selbst. Fast als exorzistischer Befreiungsschlag versucht er in seinen Filmen, diese Angst ins Unermessliche zu steigern, mit allen ästhetischen Kniffen herauszukitzeln. Der Maestro des Schauderns riss so den Giallo, den italienischen Thriller, aus den Fugen des braven Genrekinos, die Zuschauer:innen aus den Sitzen und Bewunder:innen und Nachahmer:innen weltweit in seinen Bann. In einer selbstbewussten, avantgardistischen Begeisterung für das Medium erwürgen schwarze Handschuhe erzählerische Logik, zerschneiden blitzende Messer die Gewissheiten unserer Sinneseindrücke, ertrinken Träume in blutenden Farben und krabbeln Insekten in unserer Psyche herum. Unsere fesselnde, (be)stechende und doch furchtlose Hommage vereint zu Argentos 85. Geburtstag nicht nur seine wichtigsten Werke, sondern stellt auch Querverbindungen zu seinen Vorbildern und Weggefährten her. Und nicht zuletzt wird uns der Maestro selbst am 4. Oktober im Abendgrauen besuchen, um mit Johannes Binotto in die Gründe und Abgründe, aber auch in die pure Poesie und Schönheit seines Werks einzutauchen. Keine Angst, es wird grossartig!
Essay von Johannes Binotto
Eine blaue Wand, die sich wölbt und durch die plötzlich blutende Finger dringen. Ein Paar vor Angst weit aufgerissener Augen, unter die Hände in schwarzen Lederhandschuhen ein Band aus Nadeln klebt. Eine graue Wolke aus Fliegen, die surrend ein Haus umhüllt. Ein Rasiermesser, das im Dunkel der Nacht aufblitzt, und dazu ein Klang, der uns ins Ohr schneidet. Eine Tänzerin, die tot an einem Kabel aufgehängt in der korallrot gestrichenen Halle einer Villa baumelt, und ein Wohnzimmer unter Wasser, durch das ein verwesender Leichnam treibt. Wer sich die Filme von Dario Argento ins Gedächtnis ruft, erinnert sich nicht an deren Storys und Figuren, sondern an Momente wie diese. Es sind die schieren Farben und Formen dieser Filme, die sich uns einprägen, ihre verwirrenden Räume, in denen wir uns verlieren, und die mysteriösen Bewegungen der Kamera, von denen wir nicht wissen, wo sie uns hinführen. Es sind die pulsierende Musik, in deren Rhythmus unser Herz zu pochen be-
ginnt, und die klirrenden Sounds, die uns zusammenzucken lassen wie der Stich einer Nadel. Das Kino von Dario Argento ist ein Destillat – die filmischen Ausdrucksmittel sind hier so sehr verstärkt, bis sie ihre erschreckendste Form erreicht haben und nichts mehr bleibt als reine Atmosphäre, pure Angst.
Kino der Atmosphäre
Als Argento sich in den 1960ern noch als junger Drehbuchautor zusammen mit Bernardo Bertolucci und Sergio Leone die Geschichte für C’era una volta il West ausdachte, soll Leone seinen beiden Kollegen erklärt haben, dass es im Western meist nicht um Figuren, sondern vielmehr um Landschaften und Stimmungen gehe. Am Ende sollte von den dreien wohl niemand diese Lektion eines atmosphärischen Kinos so radikal ernst nehmen wie Argento. Darum geht auch der gängige Vorwurf, dass seine blutrünstigen Horror- und Kriminalgeschichten lauter Löcher aufweisen oder dass die Verhaltensweisen seiner Personen jeglicher Psychologie spotten, letztlich ins Leere. Argentos Bruch mit klassischen Erzähllogiken ist gar kein Unvermögen, sondern nur eine Konsequenz daraus, dass
zurückkehrt. Noch sein jüngster Film, Occhiali neri (2022), beginnt mit einer allgemeinen Wahrnehmungsstörung: Menschen stehen auf Wiesen und Plätzen und starren gebannt in den Himmel, wo sich eine Sonnenfinsternis ereignet. Doch wenn sich in Grossaufnahme die schwarze Scheibe des Mondes vor die Sonne schiebt, bis nur noch ein gleissender Ring bleibt, werden wir unsicher, ob in diesem Moment nicht auch unsere eigenen Augen unrettbar verbrannt werden. Wer in die Sonne starrt, brennt sich ein schwarzes Loch in die Netzhaut. Dafür strahlt umgekehrt ein Film wie Tenebre (1982) – der im Titel benannten Dunkelheit zum Trotz –neongrell. Solche optischen Verwirrungen haben bei Argento System, und wir verstehen darum auch, warum er in all seinen Filmen so exzessiv mit Farbe operiert. Denn Farbe ist unweigerlich immer auch Augentäuschung. Statt einer stabilen Eigenschaft der Dinge entsteht Farbe vielmehr immer nur als momentane optische Täuschung, als Brechung des Lichts auf unterschiedlichen Texturen und wird auch von jedem Lebewesen anders wahrgenommen. So wie die Insekten, die Argento besonders liebt, ultraviolettes Licht sehen können, blenden uns auch Argentos Filme mit ganz ungewohnten Tönungen: Die labyrinthischen Räume von Suspiria (1977) sind abwechselnd in rotes, grünes und blaues Licht getaucht – Farben, die nicht aus der vertrauten Realität, sondern aus einer grellen Fabelwelt zu stammen scheinen wie Walt Disneys Snow White and the Seven Dwarfs (1937), und tatsächlich hat der Regisseur sich auch von diesem Film und seinen Farben direkt inspirieren lassen und zog die Filmkopien von Suspiria auf einer der letzten italienischen Technicolor-Maschinen.
Endlose Gänge
seine Filme keiner anderen Regel folgen als der des eigenen audiovisuellen Mediums. Eine stringente Geschichte zu erzählen und psychologisch runde Figuren zu kreieren, das können andere Medien wie der Roman bereits bestens. Das Kino hingegen kann mit seinen Bilderwelten und Klanglandschaften unsere Sinne direkt in Beschlag nehmen, ohne Umweg übers analytische Denken. Das hatten schon die Surrealisten am Kino geliebt, und Argento reizt diese Möglichkeiten weiter aus. Sogar scheinbare Fehler wie etwa die Tatsache, dass bei Argento nicht nur in der englischen Fassung, sondern auch im italienischen Original die Figuren oft nachsynchronisiert werden und ihr Text folglich nie ganz zur Bewegung ihrer Lippen passen will, erweist sich als Vorteil: Das Spiel der Schauspielenden wirkt dadurch nur noch entrückter. Und wir im Publikum beginnen unseren eigenen Ohren und Augen immer weniger zu trauen.
Brennende Augen
Dieser Zweifel an der eigenen Wahrnehmung befällt dabei nicht nur uns im Saal, sondern auch die Figuren auf der Leinwand. Bereits in seinem ersten Film, L’uccello dalle piume di cristallo (1970), muss ein ahnungsloser Passant zusehen, wie des Nachts im hell erleuchteten Schaufenster einer Kunstgalerie ein Mordversuch geschieht, und wird danach bis zum Ende des Films das Gefühl nicht los, eigentlich etwas ganz anderes wahrgenommen zu haben. Auch die Hauptfigur aus Profondo rosso (1975) erinnert sich an ein Bild von einem Tatort, das es gar nicht gibt. Ausgerechnet von David Hemmings wird diese Hauptfigur gespielt, jenem Schauspieler, der neun Jahre zuvor mit Michelangelo Antonionis Blow-up berühmt geworden war. Dort war Hemmings ein Fotograf, der auf einem seiner Bilder eine Leiche entdeckt, die später nicht mehr zu finden ist. Bei Argento ist es umgekehrt: Die getöteten Körper liegen offen da, die Bilder aber beginnen vor unseren Augen zu zerfliessen, sie lösen sich auf und wir uns mit ihnen – so wie im späteren Meisterwerk La sindrome di Stendhal (1996), wo eine Polizistin von den Gemälden in den Uffizien von Florenz gleichsam verschluckt wird und für immer verändert aus ihnen
Die grell erleuchteten Kammern von Argentos Filmen blenden dabei nicht nur unsere Augen, sondern lassen uns auch sonst unrettbar in die Irre gehen. Dass die Tanzschule, an der sich aller Horror von Suspiria entfaltet, an der Escher-Strasse liegt, hätte uns warnen sollen. Denn wie auf den Bildern von M. C. Escher, wo das Ende einer Treppe nur wieder an deren Anfang führt, gibt es auch aus Argentos Architekturen der Angst keinen Ausweg, weil ihre Bauweise keinen statischen Gesetzen gehorcht. In Tenebre dringt ein Killer auf der einen Seite in ein Haus ein und tritt dann doch von der anderen vor sein hilfloses Opfer. In Inferno (1980) befindet sich zwischen den Wänden eines Hauses ein ganzes anders Bauwerk, und wer in den Keller steigt, findet in diesem nur ein Loch, das in einen weiteren Keller führt, ad infinitum. Aus Kerkern, die wie eine Möbiusschlaufe auf sich selbst zurückgebogen sind, kann es kein Entrinnen geben. Wo wir einen Ausweg erhoffen, geraten wir noch tiefer hinein. Es braucht gar keine Killer und Gespenster mehr, um uns zu ermorden – der Raum selbst vernichtet uns, frisst uns auf. Schritt für Schritt. In seiner Autobiografie beschreibt Dario Argento als eine seiner frühesten Ängste den langen Gang in seinem Elternhaus. «Ins Bett zu gehen, war mein Albtraum. Ich hatte keine Angst vor der Dunkelheit wie andere Kinder. Nein, ich fürchtete mich vor dem Gang in unserer Wohnung, an dessen Ende mein Zimmer war. Dieser Gang voller Vorhänge und Fenster, schummrig beleuchtet, erschreckte mich. Ich stellte mir keine Monster, keine Hände vor, die mich packen wollten. Es war eine reine Form der Angst, absolut pur. Dieser Gang, den ich hinunterrannte.» Es scheint, als habe Argento mit seinen Filmen immer wieder genau diesen Gang neu gebaut. Diesen endlosen Gang, wo nicht die Dunkelheit den Tod bringt, sondern die leuchtenden Farben, und wo keine Monster uns verschlingen, sondern der Raum selbst. Sich in Dario Argentos Kino zu bewegen, heisst, diesen Gang hinunterzurennen. Und niemals anzukommen.
Johannes Binotto, Ko-Kurator dieser Reihe, ist Kultur- und Medienwissenschaftler, Videoessayist und Filmpublizist. Seine Spezialgebiete sind die Phänomene des Unheimlichen und die Schnittstelle zwischen Filmtheorie, Technikgeschichte und Psychoanalyse.
DARIO ARGENTO, 1983
C’ERA UNA VOLTA IL WEST
ONCE UPON A TIME IN THE WEST
Sa 11.10. 15:00 Sa 8.11. 20:00
Italien/USA 1968, Farbe, 35 mm, E/d/f, 175 REGIE Sergio Leone DREHBUCH Sergio Leone, Sergio Donati, Mickey Knox (englische Dialoge), nach der STORY von Dario Argento, Bernardo Bertolucci, Sergio Leone KAMERA Tonino Delli Colli MUSIK Ennio Morricone SCHNITT Nino Baragli MIT Claudia Cardinale, Henry Fonda, Charles Bronson, Jason Robards.
«Ein namenloser Mundharmonikaspieler kommt in das entlegene Städtchen Flagstone und mischt sich in die Auseinandersetzungen zwischen dem skrupellosen Chef der Eisenbahngesellschaft und einer irischen Farmerfamilie ein. Der Farmer und seine Kinder werden aus dem Hinterhalt brutal ermordet. Übrig bleibt die junge Witwe, unterstützt vom mysteriösen Fremden, der sich für den lange zurückliegenden Tod seines Bruders rächen will. Es kommt zum entscheidenden Machtkampf zwischen dem Killer und dem Mundharmonikaspieler mit seiner Todesmelodie.» (Kino Cameo, 2021)
« C’era una volta il West gemeinsam mit Bernardo Bertolucci zu schreiben, war eine fantastische Erfahrung, aus der später ein wunderschöner Film entstanden ist; ich kann sagen, dass ich von Sergio seine Angewohnheit übernommen habe, immer über Kino zu sprechen, darüber, wie Kino gemacht wird, über Einstellungen, über Kamerabewegungen: Leone sprach ausschliesslich darüber. Wir waren beide mit Bernardo befreundet, trafen uns häufig, gingen zusammen ins Kino. Dann trafen wir uns eines Tages bei ihm zu Hause und tauschten die Drehbücher aus, die wir gerade geschrieben hatten, sein Il conformista und mein L uccello dalle piume di cristallo Wir setzten uns in zwei verschiedene Zimmer und tauschten dann unsere Meinungen über unsere Arbeit aus. Ehrlich gesagt war keiner von uns so überzeugt, dass beide Filme ein grosser Erfolg werden würden, aber das Schicksal entschied für uns.» (Dario Argento, Museo Nazionale del Cinema Torino, 2022)
L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO
Mi 1.10. 20:45 Mi 15.10. 18:30
Italien/BRD 1970, Farbe, 35 mm, I/e, 98
REGIE und DREHBUCH Dario Argento, lose nach dem Roman «The Screaming Mimi» von Fredric Brown
KAMERA Vittorio Storaro MUSIK Ennio Morricone
SCHNITT Franco Fraticelli MIT Tony Musante, Suzy Kendall, Eva Renzi, Mario Adorf, Enrico Maria Salerno, Renato Romano, Dario Argento.
«Ein amerikanischer Schriftsteller wird in Rom zufällig Zeuge eines Mordversuchs. Der Polizei kann er zwar keine Hinweise zur Ergreifung des Schuldigen liefern, aber sie immerhin so weit überzeugen, dass sie nicht ihn für den möglichen Täter halten. Er beginnt, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Das Regiedebüt von Dario Argento, dem ‹König des Spaghetti-Slasher-Films›, thematisiert Voyeurismus, Schizophrenie, Sadismus – alles wiederkehrende Komponenten seiner späteren Filme.» (Filmpodium, Jul/Aug 2007)
«In den Filmen von Dario Argento trügt der Schein. Seine Figuren sind häufig gezwungen, an ihrem eigenen Verstand zu zweifeln und etwas infrage zu stellen, das sie gesehen oder gehört haben. Erinnerungen vermischen sich wie Farben und ergeben eine Vielzahl von Nuancen. Mit seinem trendigen Produktionsdesign, der eingängigen Filmmusik von Ennio Morricone, den eindrucksvollen Kompositionen von Vittorio Storaro und den Farben und geometrischen Mustern, die direkt aus einem Mondrian-Gemälde stammen könnten, ist Argentos Debüt ein Thriller, der mit der Vergangenheit bricht und einen Blick in die Zukunft wirft. Sein Erfolg belebte das italienische Giallo-Genre (Mystery-Thriller) neu und führte alles ein, was der Regisseur von diesem Zeitpunkt an ästhetisch und thematisch verfolgen würde, darunter auch den codierten Freudianismus als Erklärung für Mord und Chaos.» (Martyn Conterio, BFI, 24.4.2023)
QUATTRO MOSCHE DI VELLUTO GRIGIO
So 19.10. 18:00 Do 30.10. 20:45 Italien/Frankreich 1971, Farbe, DCP, I/e, 128 REGIE Dario Argento DREHBUCH Dario Argento, Luigi Cozzi, Mario Foglietti KAMERA Franco Di Giacomo MUSIK Ennio Morricone SCHNITT Françoise Bonnot MIT Michael Brandon, Mimsy Farmer, Jean Pierre Marielle, Aldo Bufi Ladi, Calisto Calisti, Marisa Fabbri, Oreste Lionello.
«Der Rock-Schlagzeuger Roberto wird von einem Unbekannten verfolgt, den er in einer Auseinandersetzung unabsichtlich ersticht. Die Tat wird beobachtet – und fotografiert. Bald erhält Roberto Drohbotschaften und wird von Alpträumen geplagt, was auch seiner labilen Frau so zusetzt, dass sie ihn schliesslich verlässt. Im Abschluss seiner ‹Tier›-Trilogie, zu der auch L’uccello dalle piume di cristallo gehört, lässt Argento die Handlung am abstraktesten gleiten – immer wieder scheitert die Wahrnehmung am Versuch, die Wahrheit zu entschlüsseln, und nur Bud Spencer als ‹Gott› weiss Rat …» (Gary Vanisian, Arsenal Berlin, 2021)
«Ich wollte die Geschichte eines Paares erzählen – Ehemann und Ehefrau –, das zwar unter einem Dach lebt, aber nichts voneinander weiss, vielleicht sogar schreckliche, unaussprechliche Geheimnisse hütet. In diesem Film habe ich alles eingesetzt, was ich bis dahin gelernt hatte, und versucht, das Maximum herauszuholen – mit ungewöhnlichem Equipment. Für die letzte Sequenz benutzte ich die Pentazet-Kamera der Universität Leipzig, die eigentlich zur Untersuchung von Metallschmelzen dient. Sie war weltweit die einzige, die theoretisch bis zu 30.000 Bilder pro Sekunde aufnehmen konnte. Wir schafften 12.000 mit einem Spezialverfahren. Das Ergebnis ist eine wunderschöne, unglaublich flüssige Zeitlupenaufnahme.» (Dario Argento, 1996)
«Adriano Celentano sieht sich in Dario Argentos selten gewürdigter Komödie Le cinque giornate mit den Wirren der sogenannten ‹Fünf Tage von Mailand› konfrontiert: ein fünftägiger Volksaufstand, der nach der Märzrevolution 1848 stattfand, bei dem die Österreicher unter Feldmarschall Radetzky vertrieben wurden. Celentano spielt einen Dieb, der mit einem Freund durch ein chaotisches Mailand taumelt zwischen selbsternannten Freiheitskämpfern, dekadenten Adeligen (u.a. Marilù Tolo als nymphomanische Contessa), verlassenen Schwangeren und einem Volk, das Blut sehen will. Le cinque giornate ist einzigartig sowohl in Argentos Filmografie als auch im filmischen Schaffen seines Hauptdarstellers Celentano: 68er-Allegorie, KryptoRevolutionswestern, Commedia all’italiana und Historienlustspiel in einem.» (DFF, Jul 2022) «Ich habe Le cinque giornate vor ein paar Jahren wieder gesehen und ich muss sagen, das ist ein guter Film, sogar sehr gut gemacht. Celentano war wie gewohnt grossartig, ein echtes Phänomen: Er lebt seine Rollen, verwandelt sie, dreht sie um, mit Eleganz und Stil. Hervorragend, ein grossartiger Sänger, ein grossartiger Schauspieler und auch Komponist. Ich mochte ihn sehr. Und dann ist da noch die wunderbare Musik, dirigiert von Giorgio Gaslini, aufgeführt vom Orchester der Scala in Mailand, von unglaublicher Feinheit und Schönheit.» (Dario Argento, Museo Nazionale del Cinema Torino, 2022)
Argento, Nanni Balestrini KAMERA Luigi Kuveiller MUSIK Giorgio Gaslini SCHNITT Franco Fraticelli MIT Adriano Celentano, Enzo Cerusico, Marilù Tolo, Luisa De Santis, Glauco Onorato, Carla Tato, Sergio Graziani.
L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO
QUATTRO MOSCHE DI VELLUTO GRIGIO
PROFONDO ROSSO
INFERNO
PROFONDO ROSSO
Sa 4.10. 20:45 Sa 15.11. 20:45 Italien 1975, Farbe, 35 mm, I/e, 128 REGIE Dario Argento DREHBUCH Dario Argento, Bernardino Zapponi KAMERA Luigi Kuveiller MUSIK
Giorgio Gaslini, Goblin SCHNITT Franco Fraticelli MIT David Hemmings, Daria Nicolodi, Gabriele Lavia, Macha Méril, Eros Pagni, Giuliana Calandra.
«Ein telepathisch begabtes Medium (Helga Ullmann) spürt eine mörderische Präsenz –wenige Stunden später wird die Frau brutal in ihrer Wohnung ermordet. Marcus (David Hemmings), ein englischer Musiker, wird mit einem Kollegen zufällig Augenzeuge des Verbrechens. Zusammen mit der Journalistin Gianna (Daria Nicolodi) versucht er, dem Täter auf die Schliche zu kommen, und verstrickt sich dabei in einem undurchsichtigen Netz aus Gefahren und Geheimnissen …» (Florian Widegger, Filmarchiv Austria, 2025)
«Wie der Titel schon andeutet, sind es die Farben selbst, in welche die Figuren abstürzen und ertrinken. (…) Alles ist nur Bild. Doch das Bild ist tödlich: ein Kokon, in den die Figuren eingesponnen, mumifiziert werden. Dabei ist es gewiss kein Zufall, dass mit David Hemmings hier ausgerechnet jener Schauspieler die Hauptrolle übernimmt, der mit Michelangelo Antonionis Blow-up berühmt geworden ist. Am Ende von Blow-up verpufft die Hauptfigur im Filmbild, Profondo rosso macht mit allen seinen Opfern nichts anderes. Sie alle gehen ein in todesstarre Gemälde, aus denen es kein Entrinnen gibt – und wir mit ihnen. Die würgenden Bilder des Giallo geben uns nicht frei.» (Johannes Binotto, Stadtkino Basel, Feb 2014)
UNTIEFEN – DARIO ARGENTOS UNHEIMLICHE TRÄUME
Mi 8.10. 18:30
Vortrag von Johannes Binotto, 60' Ein Korridor, an dessen Ende ich am Anfang stehe; eine ferne Stimme, die mir ganz nah ins Ohr flüstert: Unheimlich ist es dort, wo die Gegensätze zusammenfliessen, wo das Vertraute fremd erscheint und das Fremde merkwürdig bekannt. Und nirgends ist es so unheimlich wie in Dario Argentos traumartigen Filmen. Anhand zahlreicher Filmausschnitte und anhand von Vorbildern und Inspirationen betreten wir mit dem Medienwissenschaftler Johannes Binotto diese unheimlichen Kammern von Argentos Filmen, um gemeinsam rauszufinden, wie sie uns gefangen nehmen.
SUSPIRIA
Fr 3.10. 20:45 Fr 17.10. 20:45
DISNEY VS. ARGENTO 18:30 (S. 10)
Italien 1977, Farbe, 35 mm, I/d*, 98
REGIE Dario Argento DREHBUCH Dario Argento, Daria Nicolodi, nach Motiven aus «Suspiria de profundis» von Thomas De Quincey KAMERA Luciano Tovoli MUSIK
Dario Argento, Agostino Marangolo, Massimo Morante, Fabio Pignatelli, Claudio Simonetti SCHNITT Franco Fraticelli MIT Jessica Harper, Udo Kier, Stefania Casini, Flavio Bucci, Miguel Bosé, Alida Valli, Joan Bennett.
MAESTRO DER ANGST –GESPRÄCH MIT DARIO ARGENTO
Sa 4.10. 19:00
In Italienisch mit deutscher Übersetzung, Moderation: Johannes Binotto, ca. 80' Der legendäre Filmemacher, der auch mit 85 noch nicht ans Aufhören denkt, erzählt im Gespräch mit Johannes Binotto von seinem Werk, von seinen Obsessionen und Ängsten. Von den Anfängen als Filmkritiker und Drehbuchautor, davon, wie er zum Erneuerer des italienischen Kriminalfilms, des sogenannten Giallo wurde, und warum seine übersinnlichen Horrorfilme bis heute die Filmschaffenden rund um den Globus inspirieren. Für die Unterstützung danken wir:
«Die junge Amerikanerin Suzy Banyon reist nach Freiburg im Breisgau, um an einer renommierten Ballettschule zu studieren. Schon in der regnerischen Nacht ihrer Ankunft wird sie mit einem Schreckensbild konfrontiert: Eine Frau rennt in panischer Angst durch den dunklen Wald. Kurz darauf wird sie ermordet. Es ereignen sich weitere Vorfälle, die darauf hindeuten, dass unheilbringende Mächte in der Ballettschule wohnen. Argentos berühmter Film verwebt Elemente des Gothic Horrors, der literarischen Schauerromantik sowie Hexenmythen zu einem Kaleidoskop unvergesslicher Bilder und Farbekstasen, angetrieben von dem mit verschiedenen Instrumenten und Klängen arbeitenden Soundtrack der Band Goblin.» (Gary Vanisian, Arsenal Berlin, 2021)
«Der Film ist nicht nur wegen seiner rauschhaften Farbwelt bemerkenswert – Farben, mit denen Argento das Kino aus der Strenge des SchwarzWeiss-Neorealismus der 1950er- und 1960er-Jahre löste –, sondern auch wegen des komplexen Zusammenspiels ständiger Reflexionen und poröser Oberflächen, die suggerieren, dass hinter den Grenzen unseres behüteten Lebens Qualen und Schrecken lauern, die jederzeit hereinbrechen können. (…) Argento wechselt genussvoll zwischen schauderhaftem Camp und bizarrer Schönheit und badet blasse Frauenkörper in grellem Kunstblut.»
(Ela Bittencourt, Viennale, 2018)
INFERNO
Di 7.10. 20:45 Mi 22.10. 18:30 Italien 1980, Farbe, 35 mm, E/f/niederl., 107 REGIE und DREHBUCH Dario Argento KAMERA Romano Albani MUSIK Keith Emerson SCHNITT Franco Fraticelli MIT Eleonora Giorgi, Gabriele Lavia, Veronica Lazar, Leopoldo Mastelloni, Irene Miracle, Daria Nicolodi, Sacha Pitoëff, Alida Valli, Leigh McCloskey, Feodor Chaliapin.
«Inferno ist nach Suspiria der zweite Teil von Argentos ‹Mütter›-Trilogie, deren Mythos auf einem 1845 veröffentlichten Essay des britischen Schriftstellers Thomas De Quincey beruht. Der Film setzt in New York ein: Die junge Rose liest in einem Buch, dass sie vermeintlich im Haus der Mater Tenebrarum lebt, einer von drei todbringenden Hexen, die zusammen die Welt beherrschen wollen. Kurz bevor ihr Bruder Mark aus Rom eintrifft, den sie über ihre Entdeckung informiert hat, wird sie ermordet.» (Gary Vanisian, Arsenal Berlin, 2021)
« Inferno bleibt einer der schillerndsten Höhepunkte in Argentos Werk: ein barocker Alptraum in flüssigem Glas, ein Art-NouveauInferno, in dem archetypische Bilder aus dem kollektiven Unbewussten lodern wie Buntglas im Flammenlicht. Keith Emerson, britischer Prog-Rock-Titan, liefert einen opernhaften Klangrausch, während Horrorlegende Mario Bava im Hintergrund mit technischen und visuellen Zaubern das Übernatürliche greifbar macht. Dazu gesellen sich Heerscharen von Hauskatzen, ein unheilvoller Atemzug des Todes – ein Film, der eher träumt als erzählt.»
(Film at Linocln Center)
TENEBRE
Sa 18.10. 20:45 Fr 31.10. 18:30
Italien 1982, Farbe, DCP, I/e, 101 REGIE und DREHBUCH Dario Argento KAMERA Luciano Tovoli MUSIK Goblin SCHNITT Franco Fraticelli MIT Anthony Franciosa, Christian Borromeo, Mirella D’Angelo, Veronica Lario, Ania Pieroni, Eva Robin’s, John Steiner, Lara Wendel, John Saxon, Daria Nicolodi, Giuliano Gemma.
«Anthony Franciosa verkörpert den typischen Amerikaner im Ausland: Schriftsteller Peter Neal, der nach Rom reist, um seinen neuen Thriller Tenebre zu promoten. Kaum angekommen, wird er nicht nur von seiner labilen Verlobten Jane (Veronica Lario) verfolgt – auch ein Mörder mit schwarzen Handschuhen streift durch die Stadt, stopft seinen Opfern Seiten aus Neals Roman in den Mund und hinterlässt eine blutige Spur. Doch nichts ist, wie es scheint – und vielleicht ist der Täter nicht allein ... (…) Ästhetisch vollzieht Tenebre einen radikalen Bruch: weg vom übernatürlichbunten Rausch früherer Werke, hin zu einer kristallinen, fast sterilen Bildsprache. (…) Argento und Kameramann Luciano Tovoli schaffen eine ultramoderne, entvölkerte Vision Roms – ganz ohne klassische Ruinen oder pittoreske Gassen. Alles wirkt fremd, leer, geometrisch – fast wie ein architektonischer Albtraum. (…) Der visuelle Stil des Films ist ein Fest für das Auge – klar, präzise, manchmal grell. Die Düsternis liegt nicht im Bild, sondern in den Figuren. Die wahre ‹Tenebrae› – die Dunkelheit – wohnt in der Seele des Menschen.» (Kevin Lyons, eofftvreview.wordpress. com, 27.10.18)
SUSPIRIA
PHENOMENA
So 12.10. 20:45 Di 4.11. 20:45
Italien/Schweiz 1985, Farbe, DCP, I/e, 116 ' REGIE Dario Argento DREHBUCH Dario Argento, Franco Ferrini KAMERA Romano Albani MUSIK Simon Boswell, Goblin SCHNITT Franco Fraticelli MIT Jennifer Connelly, Daria Nicolodi, Fiore Argento, Federica Mastroianni, Florenza Tessari, Dalila Di Lazzaro, Patrick Bauchau, Donald Pleasence, Alberto Cracco, Kaspar Capparoni, Mario Donatone, Antonio Maimone.
« Phenomena ist, man verzeihe den Kalauer, ein Phänomen. Gering geschätzt unter Argento-Fans, ist es des Meisters liebster unter seinen Filmen. Hart, brutal und gleichzeitig sehr ruhig und spirituell, und alle ArgentoIngredienzen sind da, eine jugendliche Heldin, ein Mädcheninternat, unheimliche Morde, glänzend-schneidende Klingen, viel Blut und viele grauslige Maden. ‹Man nennt diese Gegend das Transsilvanien der Schweiz›, heisst es immer wieder, als die 15-jährige Jennifer Corvino, Tochter eines berühmten Schauspielers, in Zürich im Mädcheninternat ‹Richard Wagner› (die Villa Wesendonck, heute Museum Rietberg) ankommt. Ihre Mitschülerinnen himmeln ihren Vater an, während Jennifer selbst ihnen eher seltsam vorkommt, da sie scheinbar telepathisch mit Insekten kommuniziert. Gleichzeitig treibt ein gesichtsloser Serienmörder sein Unwesen. Als er im Rieterpark zuschlägt, wird die schlafwandelnde und albträumende Jennifer Zeugin des Mordes und somit zu seinem nächsten Zielobjekt. Mithilfe eines alten Professors, dessen Schimpansin und ihrer sechsbeinigen Freunde versucht sie dem Monster auf die Schliche zu kommen.» (Primo Mazzoni, Filmpodium, Nov/Dez 2022)
OPERA
Sa 11.10. 20:45 Fr 7.11. 20:45
Italien/USA 1987, Farbe, DCP, I/e, 107 ' REGIE Dario Argento DREHBUCH Franco Ferrini, Dario Argento KAMERA Ronnie Taylor MUSIK Claudio Simonetti SCHNITT Franco Fraticelli MIT Cristina Marsillach, Ian Charleson, Urbano Barberini, Daria Nicolodi, Coralina Cataldi-Tassoni, Antonella Vitale, William McNamara, Barbara Cupisti, Antonino Iuorio.
«Als die Hauptdarstellerin einer avantgardistischen Inszenierung von Verdis ‹Macbeth› von einem Auto angefahren wird, übernimmt die vielversprechende Zweitbesetzung Betty (Cristina Marsillach) die Rolle. Doch ein besessener, maskierter Mann beginnt, sie zu verfolgen, tötet ihren Freund, ihren Kostümbildner und alle anderen Menschen in ihrem Umfeld. Ist es der Fluch von ‹Macbeth›? Der Film wurde inspiriert durch Argentos gescheiterten Versuch, eine Bühnenversion von Verdis ‹Rigoletto› zu inszenieren.» (Wexner Center of the Arts, 20.7.23)
«Wenn das Auge als (s)ein Objekt des Sehens ein klassisches Sujet von Argento ist, so lässt er in Opera dieser Obsession in verschiedenen Formen und Wendungen freien Lauf. Der Film beginnt mit dem Theatersaal, der durch die Reflexion im Auge eines Raben aufgenommen wird; die junge Sopranistin hat einen wiederkehrenden Albtraum, (…) in dem ihr ihre Mutter, Opfer und Henkerin zugleich, in einem Spiegel erscheint, während sie ihrem jungen Liebhaber dabei zusieht, wie er in einer Art Folterkammer andere Mädchen quält. Die Blickwinkel vervielfältigen sich und werden immer komplizierter: Ferngläser, Balkone, Schlupflöcher, Luftschächte bis hin zum Guckloch in der Tür, das eine besondere Dimension eines Fensters des Grauens annimmt.» (Alessandro Boriani, nocturno.it)
LA SINDROME DI STENDHAL
Mi 8.10. 20:00 So 9.11. 20:45
Italien 1996, Farbe, 35 mm, I/e*, 107 REGIE und DREHBUCH Dario Argento KAMERA Giuseppe Rotunno MUSIK Ennio Morricone SCHNITT Angelo Nicolini MIT Asia Argento, Thomas Kretschmann, Marco Leonardi, Luigi Diberti, Julien Lambroschini, John Quentin, Franco Diogene.
«Argentos Tochter Asia in einer grossartigen Hauptrolle: Anna, eine Polizeidetektivin, die nach Florenz geschickt wird, um den Vergewaltiger und Mörder Alfredo (verkörpert vom jungen Thomas Kretschmann) zu jagen. Doch statt die Geschichte zu einem blossen Katz-und-Maus-Spiel zwischen Ermittlerin und Täter verkommen zu lassen, inszeniert Argento zu Beginn eine Szene, in der Anna von einem atemberaubenden Gemälde überwältigt wird. Als Alfredo bemerkt, dass die Frau, die ihn fassen soll, so tief erschüttert ist, dass sie sich selbst kaum noch erkennt, nutzt er ihren Zustand gnadenlos aus.» (Dominic Griffin, spectrumculture.com, 28.05.2020)
«Argentos Film funktioniert somit selbst als gewalttätiges Museum. Neben dem zahlreichen Erscheinen bekannter Kunstwerke inszeniert Argento seine eigenen Filmbilder als Imitationen berühmter Gemälde von John Everett Millais, Giorgio de Chirico bis René Magritte. Wie sich der Zuschauer in diesem unheimlichen Museum verirrt, so verläuft sich auch die Hauptfigur in Bildern. Buchstäblich geschieht dies in einer Szene, in der die verwirrte Polizistin über den Bilderrahmen in das Gemälde einer Grotte mit Wasserfall hineintritt und sich darin bewegt. Wenn die Kamera aus dem Inneren der Grotte filmt, wie die Protagonistin langsam durch die Wasserwand tritt, sieht es aus, als gehe ihr Körper in diese liquide Fläche ein und werde zum Bild.» (Johannes Binotto, Tat-Ort, 2013)
«Im fast menschenleeren, sommerlichen Rom, über dem die hypnotische Stimmung einer Sonnenfinsternis liegt, tötet ein mysteriöser Serienmörder Edelprostituierte. Eine der Frauen, Diana, wird beim verzweifelten Versuch, dem Killer zu entkommen, Opfer eines schweren Verkehrsunfalls und verliert dabei ihr Augenlicht. Nach langer Rehabilitation erfährt sie, dass ausser ihr nur ein Mensch den Unfall überlebt hat: Chin, ein Junge mit chinesischen Wurzeln. Sie beschliesst, sich des Waisenkinds anzunehmen. Zwischen den beiden (…) entsteht eine ganz besondere Bindung. Gemeinsam setzen sie sich gegen den Rachedurst des Serienmörders zur Wehr. Dario Argento meldet sich nach zehn Jahren mit einem Film zurück, der atmosphärisch an seine frühen Thriller erinnert – mit jenem legendären Horror-Touch, für den er bekannt ist und den er diesmal mit messerscharfer Ironie verbindet. Occhiali neri ist ein atemloser Wettlauf zwischen Stadt und Land und zeigt die sozialen Spannungen zwischen Roms reichen Vierteln und seiner Chinatown. Der Blick des Altmeisters formt den Albtraum in reine Geometrie um und den Klassenkonflikt in eine metaphysische Architektur, die an Antonioni erinnert.» (Berlinale 2022)
VORTEX
Di 28.10. 18:00 Fr 14.11. 15:00 Frankreich/Belgien/Monaco 2021, Farbe, DCP, F/d, 135 ' REGIE und DREHBUCH Gaspar Noé KAMERA Benoît Debie SCHNITT Denis Bedlow MIT Dario Argento, Françoise Lebrun, Alex Lutz, Kylian Dheret, Kamel Benchemekh, Corinne Bruand, Eric Fourneuf.
«Eine ehemalige Psychiaterin (Françoise Lebrun) und ein Filmhistoriker (Dario Argento) erleben die Dämmerung ihres altgedienten Glücks. Ihre Demenz schreitet rasend voran und die gemeinsame Wohnung verwandelt sich in ein Minenfeld. Das beengte Idyll der Bücherregale und Lebenszeugnisse wird zu einem Labyrinth, in dem sie verloren geht. Er sucht Ausflucht in einer anderen, aufgebrauchten Liebe. Der ratlose Sohn (Alex Lutz) vermag keine Verantwortung zu tragen. (…) Noé filmt den banalen, ungeheuer spannungsvollen Alltag des Paares im Split-Screen-Ver-
fahren, das jeden Moment aus unterschiedlichen Blickwinkeln einfängt. Die Furcht ist gross, dass irgendwann einer der zwei Bildkader leer bleiben wird.» (Gerhard Midding, epd-film. de, 26.4.2022)
«Das ewige Enfant terrible Gaspar Noé zeigt sich hier von einer unbekannten, zärtlichen Seite und zeichnet das unaufhaltsame Voranschreiten seiner Protagonisten auf den Tod mit rührender Empathie nach. Die Meta-Besetzung mit den Filmlegenden Françoise Lebrun und Dario Argento spielt auf die abgenutzte Redewendung vom Tod des Kinos an; am Ende des Films mögen die Grabsteine die echten Namen und Geburtsdaten der Schauspieler tragen, aber wir wissen, dass sie noch am Leben sind und sich bewegen. Und es bewegt sich auch das Kino, wie Vortex belegt.» (Giovanni Marchini Camia, Viennale, 2021)
Argento KAMERA Matteo Cocco MUSIK Arnaud Rebotini SCHNITT Flora Volpelière MIT Ilenia Pastorelli, Asia Argento, Andrea Gherpelli, Mario Pirrello, Maria Rosaria Russo, Gennaro Iaccarino, Xinyu Zhang, Paola Sambo, Ivan Alovisio, Giuseppe Cometa.
PHENOMENA
OPERA
SECRET BEYOND THE DOOR
So 5.10. 20:00 Mi 22.10. 20:45 USA 1947, sw, 35 mm, E, 99 '
REGIE Fritz Lang DREHBUCH Silvia Richards KAMERA
Stanley Cortez MUSIK Miklós Rózsa SCHNITT Arthur Hilton MIT Joan Bennett, Michael Redgrave, Anne Revere, Barbara O‘Neil, Natalie Schaefer.
«Mark, den Celia nach kurzer Bekanntschaft geheiratet hat, pflegt ein schauriges Hobby: Er baut Zimmer nach, in denen Morde geschehen sind, überzeugt, die Architektur eines Raums bestimme, was in ihm geschieht. Der siebte, wie bei Blaubart verschlossene Raum sieht exakt aus wie Celias Zimmer … Ein nebelumwogtes Schloss, eine enigmatische Sekretärin und ein neurotischer Protagonist mit einem dunklen Geheimnis sind weitere Ingredienzien zu Langs bemerkenswerter Variante des psychoanalytischen gothic thriller.» (Viennale 2021)
«Fritz Lang hatte einen grossen Einfluss auf mein Filmschaffen. (…) Obwohl er sehr unterschiedliche Filme gedreht hat, hatte er immer einen ganz eigenen Stil: die Schatten, die seltsame Atmosphäre. Ich finde, dass sein Einfluss besonders in Suspiria zu spüren ist. Die Art, wie die Geschichte erzählt wird, die
Kompositionen, die Nahaufnahmen – all das ist sehr von Lang inspiriert. Ich habe sogar seine Muse und ehemalige Geliebte Joan Bennett als eine der Hexen besetzt.» (Dario Argento, Sight and Sound, May 2023)
35mm preservation print courtesy of the UCLA Film & Television Archive; preservation funding provided by The Film Foundation
REGIE Mario Bava DREHBUCH Marcello Fondato, Giuseppe Barilla, Mario Bava KAMERA Ubaldo Terzano
MUSIK Carlo Rustichelli SCHNITT Mario Serandrei MIT Cameron Mitchell, Eva Bartok, Thomas Reiner, Ariana Gorini, Dante DiPaolo, Mary Arden, Franco Ressel.
«Mario Bavas (…) zweiter Pionierstreich in Sachen Giallo: Eine Gruppe von makellosen Models wird von einem maskierten Killer auf grausame Weise ermordet. Tödliches Delirium in detailliertem Dekor, ekstatischem Eastmancolor und grandiosen Kamerakaskaden, in denen Schönheit und Schrecken, Verlangen und Vernichtung (…) hoffnungslos und hypnotisch ineinander verrinnen wie das Blut auf den Luxuskörpern und Designerkleidern.» (filmmuseum.at)
«Mein Kino war neu im Vergleich zu dem, was man bis dahin gesehen hatte. Die Autoren, die mich inspiriert haben, sind Fritz Lang und Alfred Hitchcock, und ich mochte auch Godard sehr. Unter den italienischen Regisseuren habe ich immer die Filme von Mario Bava mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt, weil es in visueller Hinsicht niemanden gab, der seine Fähigkeiten hatte. Sei donne per l assassino verwendet Farben auf aussergewöhnliche Weise, es ist ein perfekter Film. Deshalb habe ich Mario Bava gebeten, an einigen meiner Filme mitzuarbeiten.» (Dario Argento, Centro Sperimentale di Cinematografia, 2023)
BLOW-UP
Sa 4.10. 15:00 Sa 25.10. 20:45
Di 4.11. 18:15
GB/Italien 1966, Farbe, DCP, E/d, 112 REGIE Michelangelo Antonioni DREHBUCH Michelangelo Antonioni, Tonino Guerra, Edward Bond KAMERA
Carlo Di Palma MUSIK Herbie Hancock SCHNITT
Frank Clarke MIT David Hemmings, Vanessa Redgrave, Sarah Miles, John Castle, Jane Birkin, Gillian Hills, Peter Bowles, Veruschka von Lehndorff.
«London 1966: Der gefragte Modefotograf Thomas ist der Arbeit mit hübschen Models überdrüssig. Er lässt alles stehen und liegen und streift in seinem Rolls-Royce durch die Stadt. Mehr als die experimentierfreudige Kunst-, Musik- und Partyszene der Swinging Sixties und der überall erhältliche Sex reizen ihn die Fotos eines Liebespaares, die er während dieses Ausflugs heimlich im Park aufgenommen hat. Auf einem der Abzüge entdeckt er einen rätselhaften Fleck in einem Busch und vergrössert den Ausschnitt so lange, bis er eine Pistole erkennt. Thomas ist überzeugt, dass er einem Mord auf der Spur ist.» (Marguerite Seidel, bpd.de, 23.10.14)
DISNEY VS. ARGENTO
Double Feature
Walt Disneys Schneewittchen-Verfilmung (1937) ist nicht nur beim Biss in den Apfel giftig – sie ist furchteinflössender und schauriger, als so manche:r von uns vielleicht in Erinnerung hat. So erging es wohl auch Dario Argento, der vor allem im schrillen Farbkonzept und im Hexenmotiv Inspiration für seinen Suspiria fand. Ein guter Grund, Walt Disneys Märchenklassiker im Spieglein des italienischen Horrorkönigs neu zu betrachten.
SNOW WHITE AND THE SEVEN DWARFS
Fr 17.10. 18:30
USA 1937, Farbe, DCP, E, 83 ' REGIE David Hand, William Cotrell, Wilfred Jackson, Larry Morey, Perce Pearce, Ben Sharpsteen DREHBUCH Ted Sears, Richard Creedon, Otto Englander, Dick Rickard, Earl Hurd, Merrill De Maris, Dorothy Ann Blank, Webb Smith, nach dem Märchen von Jacob Grimm, Wilhelm Grimm MUSIK Frank Churchill, Leigh Harline, Paul J. Smith SCHNITT Bill Melendez, Ben Sharpsteen MIT Adriana Caselotti, Lucille La Verne, Harry Stockwell, Moroni Olsen, Stuart Buchanan, Roy Atwell, Pinto Colvig, Otis Harlan, Billy Gilbert, Scotty Mattraw.
«Da seine kurzen Beiprogrammfilme nicht genügend einspielten, wagte sich Walt Disney 1934 an seinen ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm, eine freie Umsetzung der Grimm’schen Märchenvorlage. Die Königin will ihre Stieftochter Schneewittchen aus Eifersucht über deren Schönheit ermorden lassen. Der Jäger, der die Tat ausführen soll, lässt das Mädchen davonkommen. Im Wald findet Schneewittchen Unterschlupf bei den sieben Zwergen, wo sie aber bald von der Königin wieder aufgespürt wird …» (Roger Ebert, rogerebert.com, 14.10.2001)
«Während der Vorbereitungen zu Suspiria bat Dario Argento seinen Kameramann Luciano Tovoli, sich Walt Disneys Meilenstein der Animationskunst, Snow White and the Seven Dwarfs , anzusehen. Das TechnicolorVerfahren und seine leuchtenden Farben waren für die einzigartige Bildsprache, die Argento vorschwebte, wie geschaffen. Suspiria ist ein Farbenrausch – getränkt in kräftigen Tönen –, doch ebenso bedeutend ist der kunstvolle
«Von allen italienischen Regisseuren ist Antonioni für mich der grösste (…). Seine Art, Orte darzustellen, Geschichten zu erzählen, indem er Plätze und Strassen zeigt. Seine Entscheidungen waren voller Fantasie, inspiriert von den grossen italienischen Malern des 20. Jahrhunderts. (…) Später habe ich David Hemmings in Profondo Rosso besetzt, aber ich weiss nicht, ob das eine Hommage oder ein Zufall war. Man könnte sagen, es war eine Hommage, da er in Blow-up mitgespielt hatte, aber auch ein Zufall, denn als ich ihn besetzte, hielt ich ihn ehrlich gesagt nicht für einen grossartigen Antonioni-Darsteller.» (Dario Argento, Sight and Sound, May 2023)
Einsatz von Schatten und samtigen, tiefschwarzen Flächen. Tovoli fertigte einige fotografische Tests an, und das Ergebnis beeindruckte den Regisseur derart, dass – so berichtet der Kameramann nicht ohne Stolz –Argento wie gebannt auf die Leinwand zuging und sie ehrfürchtig berührte.» (Martyn Conerio, BFI, 1.2.2017)
SUSPIRIA
Fr 17.10. 20:45
Dario Argento, Italien 1977, Farbe, 35 mm, I/d*, 98'
«Die junge Amerikanerin Suzy Banyon reist nach Freiburg im Breisgau, um an einer renommierten Ballettschule zu studieren. Schon in der regnerischen Nacht ihrer Ankunft wird sie mit einem Schreckensbild konfrontiert: Eine Frau rennt in panischer Angst durch den dunklen Wald. Kurz darauf wird sie ermordet. Es ereignen sich weitere Vorfälle, die darauf hindeuten, dass unheilbringende Mächte in der Ballettschule wohnen. Argentos berühmter Film verwebt Elemente des Gothic Horrors, der literarischen Schauerromantik sowie Hexenmythen zu einem Kaleidoskop unvergesslicher Bilder und Farbekstasen, angetrieben von dem mit verschiedenen Instrumenten und Klängen arbeitenden Soundtrack der Band Goblin.» (Gary Vanisian, Arsenal Berlin, 2021)
SNOW WHITE AND THE SEVEN DWARFS
3 × HORROR
L’universo di Dario Argento
Horror gehört nicht aufs Sofa. Er lebt erst, wenn er geteilt wird –in der Dunkelheit eines Kinosaals, unter Menschen, die zusammenzucken, lachen, sich mit schwitzenden Händen an den Arm ihrer Begleitung klammern. Am 1. November – in der Nacht auf Allerseelen –erweitert das Filmpodium die Argento-Retrospektive um ein dreiteiliges Programm des Schreckens. Zusammengestellt vom Kurationskollektiv Never Watch Alone und präsentiert mit den Studierendenkinos Filmstelle ETH / UZH, dem Klub Kuleshov ZHdK und CUT! Fachverein Filmwissenschaft beginnt der Abend überdreht, gleitet in düstere Gefilde und endet schliesslich in einem entfesselten Rausch. Ab 19 Uhr gibt’s Speis und Trank, und in unserem historischen Tickethäuschen liest die legendäre Tarot-Meisterin Madame Selma aus den Karten – für alle, die wissen wollen, was der Abend sonst noch so zu bieten hat.
19:00 Eröffnung des Abends mit Tarot-Meisterin
Madame Selma im Foyer
20:00 PHANTOM OF THE PARADISE
Klub Kuleshov Selection
21:40 Pause (ca. 20')
22:00 DELIRIA (STAGEFRIGHT)
23:40 Pause (ca. 20')
24:00 DÈMONI Filmstelle Selection
PHANTOM OF THE PARADISE
Sa 1.11. 20:00
USA 1975, Farbe, DCP, E/d*, 92 ' REGIE und DREHBUCH Brian De Palma, lose inspiriert von literarischen Vorlagen von Gaston Leroux, Oscar Wilde und Goethe KAMERA Larry Pizer MUSIK Paul H. Williams SCHNITT Paul Hirsch MIT William Finley, Paul Williams, Jessica Harper, George Memmoli, Gerrit Graham.
DELIRIA STAGEFRIGHT
Sa 1.11. 22:00
Italien 1987, Farbe, Digital HD, I/e, 90 ' REGIE Michele Soavi DREHBUCH Lew Cooper (Luigi Montefiori, auch bekannt unter dem Pseudonym George
KAMERA Renato
Mainetti SCHNITT Kathleen Stratton (Rosanna Landi) MIT Barbara Cupisti, David Brandon, Clain Parker, Giovanni Lombardo Radice. Ein narzisstischer Regisseur nutzt einen Mord als Bühne für die mediale Aufmerksamkeit rund um die Premiere seines Musicals. Das muss dann aber auch sitzen: Damit niemand die Proben verlässt, sperrt er sein Ensemble über Nacht im Theater ein. Doch verborgen in den Schatten und unter einer unheimlichen Eulen-Maske lauert bereits ein entflohener Serienkiller mit einem Arsenal tödlicher Werkzeuge … Deliria verzichtet auf falsche Fährten und bizarre Twists. Stattdessen entfaltet sich eine erbarmungslos durchkomponierte Dezimierung der Figuren. Soavis Inszenierung verwebt die brutale Slasher-Mechanik mit der stilisierten Bildsprache des Giallo und kulminiert in einem Finale, das wie ein makabres Tableau erstarrt – eine surreale, traumartige Komposition des Todes (lb)
«Ich habe alles von Dario gelernt. Ihn bei der Arbeit zu beobachten war wie ein Universitätsstudium in Film – zu sehen, wie er die Kamerafahrten organisierte, die Filmsprache im Schneideraum zu entdecken, zu verstehen, wie man Zeit hinauszögern und die Spannung bis zum finalen Schock aufbauen konnte. (…) Dario lehrte mich, dass Film nichts weiter als ein verlängertes einfaches Satzgefüge ist – es sind die Kommas, die Atmosphäre formen und die Spannung wachsen lassen, genau wie die Sprache im Baukastenprinzip des Alphabets.» (Michele Soavi in «Dario Argento: The Man, the Myths & the Magic», 2012)
DÈMONI
Sa 1.11. 24:00
Italien 1985, Farbe, Digital HD, I/e, 88 REGIE Lamberto Bava DREHBUCH Lamberto Bava, Dario Argento, Franco Ferrini, Dardano Sacchetti KAMERA Gianlorenzo Battaglia SCHNITT Piero Bozza, Franco Fraticelli MIT Urbano Barberini, Natasha Hovey, Bobby Rhodes, Geretta Geretta, Karl Zinny, Fiore Argento.
Programm: Never Watch Alone –das Kurationskollektiv hinter dem Erfolgsevent 8 Hours of Horror.
In Kooperation mit Never Watch Alone, Filmstelle ETH / UZH, Klub Kuleshov ZHdK und CUT! Fachverein Filmwissenschaft.
Triple-Feature-Ticket: CHF 27.— Für Legi-Inhaber:innen ETH/UZH und ZHdK: CHF 5.—/Film
«Winslow, ein junger, naiver Komponist (William Finley), schliesst einen Pakt mit Swan (Paul Williams), dem mysteriösen und bösartigen Direktor von Death Records, der ihm seine Musik und die Frau (Jessica Harper, Suspiria), die er liebt, stehlen wird. Nachdem er verjagt, entstellt und beinahe getötet wurde, kehrt Winslow zurück, um sich zu rächen (…) ‹Man muss dieses kleine Juwel wiedersehen – ein skurriles, fantastisches ‹Musical›, zugleich düster und funkelnd. Schon allein wegen seines grossartigen Soundtracks, einer bunt zusammengewürfelten Sarabande sämtlicher Strömungen der damaligen Zeit (…) Als Parabel auf die Gnadenlosigkeit der Unterhaltungsindustrie ist dieses Vintage-Märchen kein bisschen gealtert. Und hinter all dem Glamour kündigte dieses ‹Phantom›, von verzweifeltem Pessimismus und einem Hauch Nihilismus getragen, bereits die Krise an. Das Ende der Illusionen.› (Cécile Mury, Télérama, 2015)» (Cinémathèque suisse, Sep/Okt 2022)
51 Jahre nach seinem Kino-Release zu Halloween geniesst die Musical-Horror-Drama-Filmgroteske Phantom of the Paradise Kultstatus und bleibt ein einflussreiches Vermächtnis, dem Dario Argento mehrfach seine Liebe bekundet hat. (lb)
Ein geheimnisvoller Fremder – Michele Soavi, Regisseur von Deliria – tritt, halb verborgen hinter einer Maske und mit schwarzen Lederhandschuhen, aus dem Schatten der Berliner U-Bahn. Er überreicht der Musikstudentin Cheryl zwei Freikarten für das Kino Metropol. Dort findet sie sich schon bald mit ihrer Freundin in einem Horrorfilm wieder. Doch der Horror bleibt nicht auf der Leinwand. Er bricht aus. Er schneidet in die Wirklichkeit –und macht Jagd auf sein Publikum. Lamberto Bava drehte Dèmoni in Berlin und Rom, tränkte den Film in blutrotes und tiefblaues Licht; die Kamera liess er mittels eines eigens angefertigter Dollys ruhelos durch das Geschehen tragen. «Ich wollte, dass jede Einstellung den Zuschauer nervös macht», erklärt Bava. Dazu kommen ein treibender Soundtrack und bissiger Humor. Dèmoni entfacht mit Dario Argentos Einfluss als Produzent und Ko-Autor sowie Sergio Stivalettis bahnbrechenden Spezialeffekten eine fiebrige Intensität und manifestiert sich als ein kompromissloses Gore-Kino von grotesker Körperlichkeit. Der Filmverleih Titanus hob Argentos Namen strategisch hervor – auf dem Kinoplakat dreimal grösser als Bavas – und machte ihn neben der Altersfreigabe 18+ zum zentralen Verkaufsargument. (lb)
Eastman)
Tafuri MUSIK Simon Boswell, Guido Anelli, Stefano
DELIRIA
PHANTOM OF THE PARADISE
BOOM! ELIZABETH TAYLOR & RICHARD BURTON
RICHARD ELIZABETH
PORTRÄT EINER RASENDEN LIEBE
Sie waren das bekannteste Ehepaar ihrer Zeit, geliebt vom Publikum, verdammt vom Papst. Elizabeth Taylor und Richard Burton standen im Film und in ihrem Privatleben für schillernde Figuren, mitreissende Dramen und ausschweifenden Glamour. Als sie 1963 für Cleopatra erstmalig zusammen in einem Film auftraten, waren sie bereits etablierte Stars. Dass es sofort auch neben dem Set funkte, freute die Boulevardpresse und war zugleich skandalös, denn beide waren verheiratet. Zehn weitere gemeinsame Filme, zwei Hochzeiten, Alkoholexzesse, wilde Zänkereien, grosse Versöhnungen und noch grössere Diamanten säumten danach ihren Weg. Anlässlich des 100. Geburtstages von Richard Burton widmet das Filmpodium dem Paar eine umfassende Retrospektive, die neben einer Auswahl gemeinsamer Filme auch solche umfasst, in denen sie getrennt auftreten. Hollywoodglanz trifft dabei auf britische Theatertradition, Exzesse der 1960er-Jahre auf Pop-Art. Der Blick wird so freigegeben auf zwei herausragende Schauspieler:innen, die überaus kühne künstlerische Produktionen schufen. Ganz besonders freuen wir uns auf den Besuch des deutschen Filmemachers Dominik Graf, der sein neuestes, dem Filmschauspiel gewidmetes Buch «Sein oder Spielen» in einer Lesung vorstellen wird. Eine wunderbare Gelegenheit, um gemeinsam mit ihm über das Schauspiel nachzudenken.
1941. Elizabeth Taylor ist gerade neun Jahre alt, als ihre Familie von England in die Vereinigten Staaten zieht. Das Ziel ist Hollywood, wo ihre Mutter, eine ausgebildete Schauspielerin, fest entschlossen ist, ihrer Tochter die Karriere zu ermöglichen, die sie selbst nie hatte: Das Mädchen unterschreibt ihren ersten Vertrag beim Studio MGM, und kurz darauf brilliert sie auch gleich in einer Reihe von Familienfilmen, in denen sie als jungfräuliches Mädchen dargestellt wird: Lassie Come Home (1943), National Velvet (1944) oder Little Women (1949). Nach Shirley Temple wird Liz Taylor zum neuen Lieblingskind Amerikas. Taylor – die Jahre später gestehen wird, dass das Kino ihr die Kindheit geraubt habe –wächst vor den Augen von Millionen von Zuschauer:innen auf und entwickelt sich bald zu einer jungen Frau mit sicherem Auftreten. In den 1950er-Jahren verkörpert sie vom Leben verwöhnte Heldinnen und wird dabei von den Filmemachern mit Argusaugen beobachtet. Zwei ihrer grössten Rollen bietet ihr George Stevens an: In dem prächtigen Film noir
A Place in the Sun (1951) verliebt sich ein mittelloser Arbeiter (Montgomery Clift) in eine junge Frau aus der High Society. Den sozialen Aufstieg möchte er um jeden Preis schaffen, selbst vor Straftaten schreckt er nicht zurück. Die von Taylor gespielte Frau wird dabei von Stevens wie ein unerreichbarer Traum gefilmt. Fünf Jahre später folgte Giant (1956), ein ambitioniertes Epos, das den Siegeszug der Ölindustrie in Texas anhand des Porträts eines Paares nachzeichnet. Taylor ist so gut wie in jeder Einstellung zu sehen und hat in den mehr als drei Stunden Filmdauer alle Lebensalter in der sich über mehrere Jahrzehnte erstreckenden Geschichte zu durchlaufen. Bereits in diesem Werk zeigt sich ein wiederkehrendes Motiv ihrer Filmografie: die Ehe als strukturierendes Ereignis im Leben einer Frau. Die Beherrschung der in Giant eindrücklich gezeigten Naturelemente wird dabei zu einer Metapher für die Herausforderungen der Ehe.
Verdammt vom Vatikan Der Rückgang der strengen Zensurvorgaben ermöglichte es Hollywood, die provokanten Stücke von Tennessee Williams zu verfilmen.
zu entkommen. Richard studierte in Oxford, stieg die soziale Leiter empor und wurde ein anerkannter Theater- und Filmschauspieler –und nahm den Namen seines geistigen Vaters an. In den 1950er-Jahren trat er in einer Reihe von ernsten Filmen auf, darunter Tony Richardsons Look Back in Anger (1959), eine Produktion über einen jungen, überaus wütenden Mann, der für die Gesellschaft wie für seine Frau nur Verachtung übrighat. Als Burton auf Taylor traf, musste er als gestandener Schauspieler zwar nichts mehr beweisen, doch Taylor verhalf ihm zu weltweiter Berühmtheit. Eine Seltenheit in der Branche: Der Mann profitierte vom hohen Bekanntheitsgrad der Frau.
Und Hollywood nutzte dies aus. Burton und Taylor, die 1964 zum ersten Mal heirateten, mussten ihre Liebe in speziell für sie geschriebenen Drehbüchern ausleben. Ihre elf gemeinsamen Filme können fast als Dokumentarfilme über die Intimität des Paares gelesen werden. In Who’s Afraid of Virginia Woolf? (1966) verkörpern sie ein überaus explosives Paar, das uns seine schönsten Eskapaden präsentiert: gemeinsamer Alkoholismus, titanische Streitigkeiten, explosive sexuelle Spannung. Das Paar inspirierte sowohl grosse historische Adaptionen wie die ShakespeareVerfilmung The Taming of the Shrew (1968) als auch kleine, intime Filme, die an den Experimentalfilm grenzen. Exemplarisch steht dafür Boom! (1968) von Joseph Losey, eine weitere Adaption eines Stücks von Tennessee Williams, in der Taylor eine unermesslich reiche Frau spielt, die sechsmal geschieden ist (die Schauspielerin selbst wird achtmal geschieden) und Besuch von einem Todesengel bekommt, gespielt von Burton. The Sandpiper (1965) von Vincente Minnelli ist schliesslich ohne Zweifel ihr schönster gemeinsamer Film, ein schmerzliches Melodram, in dem aussereheliche Leidenschaft zu einer genuin spirituellen Berufung wird.
Experimentelle Arbeiten
Taylor war eine der wiederkehrenden Schauspieler:innen in dessen Adaptionen wie Cat on a Hot Tin Roof (1958) oder Suddenly, Last Summer (1959), und sie nutzte diese Filme, um ihre Sinnlichkeit voll zur Geltung zu bringen. Gleichzeitig wird ihr Spiel zunehmend von einer neuen Garde von Schauspieler:innen beeinflusst, die sich dem MethodActing verpflichteten, wie Marlon Brando (mit dem sie 1968 zusammen in Reflection in a Golden Eye auftritt), Paul Newman oder ihr enger Freund Montgomery Clift. Immer wieder geht es in den Filmen dieser neuen Generation nicht nur um die Institution der Ehe, sondern sie nehmen auch die Sexualität der Amerikaner:innen gnadenlos unter die Lupe. 1962 verstrickte sich Joseph Mankiewicz in die Dreharbeiten zum damals teuersten Hollywoodfilm aller Zeiten, dem grossen historischen Epos Cleopatra . Die Rolle der Kleopatra ist die Rolle ihres Lebens – und die 30-jährige Elizabeth Taylor handelt ein für damalige Verhältnisse unerhörtes Gehalt von einer Million Dollar aus. Die Dreharbeiten sind ebenso turbulent wie gigantisch und bringen das Studio Twentieth Century Fox an den Rand des Bankrotts. Cleopatra verändert auch das Leben der Schauspielerin grundlegend. Während der sechsmonatigen Dreharbeiten in Rom entwickelt sich eine Romanze zwischen der Schauspielerin und ihrem Filmpartner, dem walisischen Schauspieler Richard Burton, der die Rolle des Marcus Aurelius, Kleopatras Liebhaber, spielt. Das Problem dabei: Beide sind bereits verheiratet. Als die Affäre publik wird, kommt es zum grössten Skandal, den Hollywood je erlebt hat. Die aussereheliche Beziehung wird in der gesamten Presse breitgetreten und Taylor und Burton werden von Paparazzi verfolgt. Sogar der Vatikan verurteilt die beiden scharf und bezichtigt sie der «erotischen Herumtreiberei». Währenddessen dokumentiert Regisseur Mankiewicz auf der Leinwand und vor dem Hintergrund eines historischen Freskos, in dem Leidenschaften politische Entscheidungen im historischen Rom und Ägypten beeinflussen, das Aufblühen einer Liebe.
Heirat des Jahrhunderts
Richard Burton, geboren als Richard Walker Jenkins Jr., wuchs in Wales in einer Bergarbeitergemeinde auf. Dank der Hilfe seines engagierten Literaturlehrers Philip Burton gelang es ihm, seinem ursprünglichen Milieu
Das Paar lässt sich 1974 ein erstes Mal scheiden, heiratet im Jahr darauf erneut – um sich 1976 ein zweites Mal scheiden zu lassen. Währenddessen erneuert sich das Starsystem, und beide setzen im Laufe der 1960er- und 70erJahre ihre jeweiligen Karrieren in teils seltsamen, teils unausgewogenen Filmen fort, die jedoch immer durch kraftvollen Wagemut bestechen. In dem überaus erstaunlichen Identikit (1974) beispielsweise schleppt Taylor ihre Einsamkeit durch die Strassen Roms, während Burton in Equus (1977) von Sidney Lumet einen Psychiater spielt, der einen jungen Mann behandelt, der sich zu Pferden hingezogen fühlt.
Burton litt unter Schlaflosigkeit, Alkoholismus und Depressionen und starb 1982 im Alter von 58 Jahren in den Nähe von Genf an den Folgen seines exzessiven Lebenswandels. Taylor setzte ihre Karriere im Fernsehen fort und blieb weiterhin eine zentrale Figur des internationalen Jetsets. Sie starb 2011 im Alter von 79 Jahren. Zu guter Letzt muss noch auf ein besonderes, geradezu geheimnisvolles Werk verweisen werden: Die Tagebücher von Richard Burton stellen den perfekten Kontrast zur Karriere des Paares dar. Sie sind nicht nur ein grossartiges literarisches Werk, sondern zeichnen auch das Porträt eines gequälten, depressiven Mannes, der seinen Ruhm und Reichtum immer mit den spöttischen Augen des Arbeitersohnes betrachtete, der er zeitlebens geblieben war. In dem Tagebuch berichtet er von seiner leidenschaftlichen Liebesgeschichte mit Taylor, und fern der Schlagzeilen der Boulevardpresse lässt sich in diesen Einträgen eine verzehrende Leidenschaft erahnen, wie zum Beispiel in diesem Satz: «Ich wachte um 4.30 Uhr auf und wartete darauf, dass der Rest der Welt aufwachte. Der Rest der Welt war Elizabeth.»
Murielle Joudet ist eine französische Filmkritikerin. Sie hat Bücher über Isabelle Huppert, Gena Rowlands und Catherine Breillat veröffentlicht sowie «La Seconde Femme, ce que les actrices font à la vieillesse».
Essay von Murielle Joudet
WHO’S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF?
CLEOPATRA
So 5.10. 15:00
So 9.11. 15:00
GB/USA/Schweiz 1963, DCP, E/d*, 250
REGIE Joseph L. Mankiewicz DREHBUCH Joseph L. Mankiewicz, Ranald MacDougall, Sidney Buchman, nach der Biografie «The Life and Times of Cleopatra» von Carlo Maria Franzero KAMERA Leon Shamroy MUSIK Alex North SCHNITT Dorothy Spencer MIT Elizabeth Taylor, Richard Burton, Rex Harrison, Roddy McDowall, Pamela Brown, George Cole, Hume Cronyn, Martin Landau, Cesare Danova, Richard O'Sullivan, Kenneth Haigh, Andrew Keir.
«Joseph L. Mankiewicz’ kolossales vierstündiges Spektakel ist ein persönliches wie künstlerisches Projekt von höchstem Rang. Gleichzeitig ist Cleopatra allerdings auch ein herzzerreissendes Melodrama, das von der Chemie zwischen Elizabeth Taylor und Richard Burton lebt. Mankiewicz stellt die Königin als selbstbeherrschte politische Strategin und buchstäbliche Diva dar, die behauptet, die Göttin Isis zu sein. Taylor spielt diese Rolle mit einer ungehemmten Herrschsucht, etwa wenn sie Kleopatras Einzug in Rom an Bord einer riesigen rollenden Sphinx zum ultimativen Fototermin auf dem roten Teppich macht. (…) Der analytische Intellekt des Regisseurs – mit einem Schwerpunkt auf den diplomatischen Manövern des Imperiums, der taktischen Komplexität der antiken Kriegsführung und dem psychologischen Druck romantischer Beziehungen an den Hebeln der Macht – wird durch die erotische Leidenschaft von Antonius und Kleopatra und die skandalträchtige Affäre zwischen Taylor und Burton angeheizt, die auf der Leinwand so mitreissend ist wie während den Dreharbeiten im Rom der frühen 1960er-Jahre.» (Richard Brody, The New Yorker, 18.12.2017)
Die Filmvorführung erfolgt in zwei Teilen mit einer 15-minütigen Pause; die Gesamtdauer der Vorstellung beträgt 265 Minuten.
THE V.I.P.S
Di 21.10. 18:15
GB 1963, Farbe, E, 119
REGIE Anthony Asquith
Mo 3.11. 18:15
DREHBUCH Terence Rattigan KAMERA Jack Hildyard MUSIK Miklós Rózsa SCHNITT Frank Clarke MIT Elizabeth Taylor, Richard Burton, Louis Jourdan, Orson Welles, Rod Taylor, Margaret Rutherford, Maggie Smith, Dennis Price, Richard Wattis, Martin Miller, Stringer Davis, Michael Hordern.
Die Arbeiten an Cleopatra waren noch nicht beendet, da drehte das Liebespaar BurtonTaylor bereits seinen zweiten Film: Wegen starken Nebels müssen an einem Flughafen in London alle Flüge abgesagt werden. Unter den gestrandeten Passagieren befindet sich auch Frances Andros (Elizabeth Taylor), die fest entschlossen ist, ihren Mann Paul (Richard Burton) zu verlassen. Als dieser von ihrem Vorhaben erfährt, nutzt er die Flugausfälle, um seine Frau umzustimmen. Mit einem im Studio nachgebauten Flughafen und neben Burton-Taylor mit diversen anderen Stars bestückt (Maggie Smith, Orson Welles, Margaret Rutherford, Rod Taylor), ist The V.I.P.s «eine kaum verdeckte Verfilmung vom turbulenten Leben des Paars, dieses Mal mit der Fokussierung auf Elizabeth Taylors Vorliebe für aufsehenerregende Juwelen. Und wir sehen, wie Burton eine von Taylors grundlegenden Anforderungen an ihre Liebhaber erfüllt: der Wille und die Möglichkeit, sie mit Juwelen zu beschenken.» (Sam Kashner, Nancy Schoenberger, in: Furious Love) (hb)
THE SANDPIPER
Sa 18.10. 18:15 Mo 27.10. 20:45
USA 1965, Farbe, 35 mm, E/sp, 117 ' REGIE Vincente Minnelli DREHBUCH Louis Kamp, Michael Wilson, Irene Kamp, Dalton Trumbo KAMERA
Milton Krasner MUSIK Johnny Mandel SCHNITT
David Bretherton MIT Elizabeth Taylor, Richard Burton, Eva Marie Saint, Charles Bronson, Robert Webber, James Edwards, Torin Thatcher, Tom Drake, Douglas Henderson, Morgan Mason.
«From the Beginning They Knew It Was Wrong. Nothing Could Keep Them Apart», verkündete die reisserische Werbekampagne für Vincente Minnellis The Sandpiper . Ob der Film nun die skandalöse Beziehung der beiden Superstars ausbeutet oder Taylor sehr genau wusste, was das Publikum von ihr verlangte, The Sandpiper war in jeder Hinsicht der perfekte Film für das berühmte Ehepaar. Taylor spielt darin eine alleinerziehende Mutter, deren unehelicher Sohn in die Mühlen der Schulbürokratie gerät und auf ein Internat muss. Dieses wird von einem Pastor (Burton) geführt, der sich unweigerlich in die freigeistige Taylor verliebt. (hb)
« The Sandpiper , das Meisterwerk des Ehepaars Burton-Taylor, schwankt zwischen zwei Hollywoods: Das eine wird von Tradition und Tabu zusammengehalten, das andere begrüsst die Wahrheit über die Sexualität der Amerikaner:innen, ohne dabei den Blick abzu-
wenden. Die aussereheliche Leidenschaft ist nicht länger ein streng verurteiltes Fehlverhalten, sondern eine echte spirituelle Berufung, der man nur nachgeben kann. (…) Leidenschaft als befreiende Unordnung ist das Motiv, das sich durch die gesamte Schauspielkarriere von Elizabeth Taylor zieht. Minnelli filmt und entfesselt ihre sexuelle Energie, die in ihr pulsiert, fängt den Enthusiasmus und die Freude ein, die sie in ihr Frausein legt.» (Murielle Joudet, Cinémathèque française, Dez 2021)
WHO ’ S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF?
Do 9.10. 20:30 Sa 25.10. 18:00
So 2.11. 18:00
USA 1966, sw, DCP, E/d, 131 REGIE Mike Nichols DREHBUCH Ernest Lehman, nach dem Theaterstück von Edward Albee KAMERA Haskell Wexler MUSIK Alex North SCHNITT Sam O’Steen MIT Elizabeth Taylor, Richard Burton, Sandy Dennis, George Segal.
«‹What a dump!› Mit diesem Ausruf gibt Martha (Elizabeth Taylor), nach einem langen und alkoholschweren Abend kaum zu Hause angekommen, den Ring frei für eine weitere Runde des erbitterten Schlagabtauschs mit ihrem Mann (Richard Burton). Ihr ‹Drecksloch› wird zu Bühne / Sprungbrett / Katalysator für Anfeindungen, Beschuldigungen und Erniedrigungen in beide Richtungen, befeuert vom anwesenden «Publikum», einem jungen, nichts ahnenden Paar, das Martha eingeladen hat. Basierend auf dem gleichnamigen erfolgreichen Kammerspiel-Bühnenstück von Edward Albee inszeniert Mike Nichols die verbale Tour de Force als zwanghafte Ehehölle, als Kriegsfilm.» (Arsenal Berlin, Feb 2014)
«Die Figuren haben keinen Humor, keine Ironie, nur Kräfte und Herausforderungen. Sie versuchen, sich gegenseitig wütend zu machen. Obwohl bewusst höflich, findet sich Verachtung in ihren Wortwechseln – und Taylor und Burton blühen inmitten von all dem Zigarettenrauch und der Müdigkeit komplett auf. Es ist ihre gesamte Ehe, gezwängt in einen einzigen Film.» (Roger Lewis, in: Erotic Vagrancy)
CLEOPATRA
THE SANDPIPER
1. OKT — 15. NOV 2025
DARIO ARGENTO
ALLE FARBEN DER ANGST
ELIZABETH TAYLOR & RICHARD BURTON
PORTRÄT EINER RASENDEN LIEBE
VITALY MANSKY
FILM ALS DEMOKRATISCHES ENGAGEMENT
Premiere
In Anwesenheit von Cast/Crew
35-mm-Film-Kopie
Kino-Konzert
X/x Gesprochene Sprache/Untertitel
x* Elektronische Untertitel vom Filmpodium erstellt
OV Mehrere Originalsprachen
6 (8) Freigegeben ab 6 Jahren, empfohlen ab 8 Jahren
Vitaly Mansky, Lettland/Deutschland/Estland/ Ukraine 2016, DCP, Russ+Ukr/e, 112 20:45 ELIZABETH TAYLOR & RICHARD BURTON BOOM!
Joseph Losey, GB 1967, Digital HD, E, 110
Di 14
18:30 VITALY MANSKY PRIVATE CHRONICLES. MONOLOGUE
Vitaly Mansky, Russland/Finnland 2000, DCP, Russ/e, 90 20:45 ELIZABETH TAYLOR & RICHARD BURTON THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD
Martin Ritt, GB 1965, 35 mm, E/d/f, 112
Mi 15
15:00 VITALY MANSKYW PATRIA O MUERTE
Vitaly Mansky, Russland 2011, DCP, Sp/e, 99 18:30 DARIO ARGENTO L’ UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO
Dario Argento, Italien/BRD 1970, 35 mm, I/e, 98 20:45 ELIZABETH TAYLOR & RICHARD BURTON CAT ON A HOT TIN ROOF Richard Brooks, USA 1958, DCP, E/d*, 108 Do 16
16:15 VORLESUNGSREIHE
DIE KAMERA IST KEIN AUGE: RUDOLF ARNHEIM UND «FILM ALS KUNST» Vorlesung von Prof. Dr. Daniel Wiegand, 90', Eintritt frei
18:30 VORLESUNGSREIHE KINO-KONZERT
THE DOCKS OF NEW YORK Josef von Sternberg, USA 1928, Digital HD, Stummfilm mit e Zw titeln/d*, 75 Live-Musik: Frank Bockius (Schlagzeug), André Deponds (Piano)
20:45 ELIZABETH TAYLOR & RICHARD BURTON EQUUS
Sidney Lumet, GB 1977, DCP, E/d*, 137
Fr 17
15:00 ELIZABETH TAYLOR & RICHARD BURTON THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD
Martin Ritt, GB 1965, 35 mm, E/d/f, 112 DISNEY VS. ARGENTO – DOUBLE FEATURE 18:30 SNOW WHITE AND THE SEVEN DWARFS
Giuseppe Patroni Griffi, Italien 1974, DCP, I/e, 102
Mo 20
18:00
ELIZABETH TAYLOR & RICHARD BURTON THE NIGHT OF THE IGUANA
John Huston, USA 1964, DCP, E/d*, 125 Einführung von Elisabeth Bronfen (10') zu den Tennessee-Williams-Verfilmungen von Elizabeth Taylor und Richard Burton
Am 24.10. ist das Global Science Film Festival im Filmpodium zu Gast.
Das gesamte Programm finden Sie auf der Website des Festivals; Tickets sind nur dort erhältlich.
Wer ein Filmpodium-GA oder -Halbtax-Abo besitzt, bekommt an der Kinokasse Gratistickets zu allen Veranstaltungen – herzlichen Dank an die Festivalleitung!
Sa 25
15:00 FAMILIENFILM
ROBOT DREAMS
Pablo Berger, Spanien/Frankreich 2023, DCP, ohne Dialog, 102 ' 6 (8)
Anschliessend: FILM-WORKSHOP FÜR KINDER mit Stefanie Schlüter, Filmvermittlerin, 30'
18:00 ELIZABETH TAYLOR & RICHARD BURTON WHO ’ S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF?
Rob Epstein, Frankreich/GB/Deutschland/USA 1995, 35 mm, E/d/f, 102
18:30 DARIO ARGENTO TENEBRE
Dario Argento, Italien 1982, DCP, I/e, 101
20:45 ELIZABETH TAYLOR & RICHARD BURTON A PLACE IN THE SUN
George Stevens, USA 1951, DCP, E/d*, 122 '
NOV
Sa 1
15:00 ELIZABETH TAYLOR & RICHARD BURTON REFLECTIONS IN A GOLDEN EYE
John Huston, USA 1967, 35 mm, E, 108 L UNIVERSO DI DARIO ARGENTO 3 × HORROR
19:00 Eröffnung des Abends mit Tarot-Meisterin Madame Selma im Foyer
20:00 PHANTOM OF THE PARADISE
Brian De Palma, USA 1975, DCP, E/d*, 92 '
22:00 DELIRIA (STAGEFRIGHT)
Michele Soavi, Italien 1987, Digital HD, I/e, 90
24:00 DÈMONI
Lamberto Bava, Italien 1985, Digital HD, I/e, 88 Triple-Feature-Ticket: CHF 27.— Mit Legi ETH/UZH und ZHdK: CHF 5.— / Film In Kooperation mit Never Watch Alone, Filmstelle ETH/UZH, Klub Kuleshov ZHdK und CUT! Fachverein Filmwissenschaft
George Stevens, USA 1956, 35 mm, E/d*, 201 ' + 15 Pause (Gesamtdauer 216 )
Sa 15
15:00 FAMILIENFILM ROBOT DREAMS
Pablo Berger, Spanien/Frankreich 2023, DCP, ohne Dialog, 102 ' 6 (8) Anschliessend: FILM-WORKSHOP FÜR KINDER mit Stefanie Schlüter, Filmvermittlerin, 30'
SCHNITT Reginald Beck MIT Elizabeth Taylor, Richard Burton, Noël Coward, Joanna Shimkus, Michael Dunn, Romolo Valli, Fernando Piazza, Veronica Wells, Claudye Ettori, Howard Taylor.
Auf einer Vulkaninsel lebt zurückgezogen eine Milliardärin (Elizabeth Taylor), die unter einer seltsamen Krankheit leidet und dem Tode geweiht ist. Wie eine Tyrannin herrscht sie über ihre Untergebenen, doch eines Tages taucht ein Mann (Richard Burton) auf, der behauptet, sie von früher zu kennen. Boom! ist bis heute der wohl verkannteste Film von Burton-Taylor, ein zutiefst exzentrisches Werk, das nicht zuletzt von John Waters gefeiert wird: « Boom! ist schön, grauenhaft und perfekt. Es ist ein perfekter Film.» Dabei galt das von Tennessee Williams geschriebene Theaterstück lange als unverfilmbar, bis sich Burton dafür einsetzte: «Er war überzeugt, dass Elizabeth Taylor die perfekte Besetzung für die Rolle war, und unter der Regie von Joseph Losey entstand so ihre denkwürdige siebte Zusammenarbeit. Losey, den es in seinem Werk immer wieder zu zerstörerischen Frauenfiguren hinzog, setzt die Worte von Williams in Szene, indem er seinem Schauspielerpaar eine völlig neue Partitur vorlegte. Um die Symbolik und Poesie des Textes zu betonen, filmte Losey die letzten Zuckungen eines Lebens genau in dem Moment, in dem seine Heldin dem Engel des Todes begegnet.» (Cinémathèque française, Jan 2022) (hb)
THE TAMING OF THE SHREW
Fr 10.10. 15:00 Mi 29.10. 18:15
Italien/USA 1967, Farbe, DCP, E/d*, 121 ' REGIE Franco Zeffirelli DREHBUCH Paul Dehn, Suso Cecchi D‘Amico, Franco Zeffirelli, nach dem Theaterstück von William Shakespeare KAMERA Oswald Morris MUSIK Nino Rota SCHNITT Peter Taylor MIT Elizabeth Taylor, Richard Burton, Cyril Cusack, Michael Hordern, Michael York, Alfred Lynch, Alan Webb, Victor Spinetti, Natasha Pyne.
The Taming of the Shrew, die erste Produktion, für die sich Elizabeth Taylor und Richard Burton auch um die Produktion kümmerten, war ein grosser Erfolg beim Publikum und ist wohl ihr lustigster und unterhaltsamster Auftritt als Paar vor der Kamera. In der von Franco Zeffirelli rasant und opulent inszenierten Shakespeare-Adaption kommt im Italien des 16. Jahrhunderts Petruchio (Burton), ein cholerischer und armer Landbesitzer aus Verona, auf der Suche nach Reichtum und einer Frau nach Padua. Dort verkündet ein reicher Kaufmann, dass er seine Tochter Bianca erst heiraten lässt, wenn seine ältere Tochter, die widerspenstige Katherina (Taylor), einen Mann findet. «Wenn in Who’s Afraid of Virginia Woolf? Taylor und Burton sich selbst spielten, so taten sie dies erst recht in The Taming of the Shrew , denn es ist eine Art Fortsetzung – Menschen, die sich anschreien und miteinander kämpfen, sich Gegenstände an den Kopf schmeissen, streiten, kurz: Liebe, die sie in Verrückte verwandelt.» (Roger Lewis, in: Erotic Vagrancy) (hb)
ELIZABETH TAYLOR
A PLACE IN THE SUN
Mi 1.10. 18:15 Do 9.10. 15:00 Fr 31.10. 20:45
USA 1951, sw, DCP, E/d*, 122
REGIE George Stevens DREHBUCH Michael Wilson, Harry Brown, nach dem Roman «An American Tragedy» von Theodore Dreiser KAMERA William C. Mellor MUSIK Franz Waxman SCHNITT William Hornbeck MIT Elizabeth Taylor, Montgomery Clift, Shelley Winters, Anne Revere, Keefe Brasselle, Fred Clark, Raymond Burr, Herbert Heyes, Shepperd Strudwick, Frieda Inescort, Kathryn Givney.
«‹The greatest movie ever made about America›, so Charles Chaplin über A Place in the Sun Ein Film darüber, wie die Gier nach dem Erfolgsversprechen des American Dream mit Noir-Konsequenz zur tödlichen Tragödie führt. George Eastman (Montgomery Clift) will in der Fabrik seines Onkels den armen Verhältnissen entfliehen, beginnt eine unerlaubte Affäre mit seiner Kollegin Alice (Shelley Winters) und arbeitet sich hoch zu den ersehnten besseren Kreisen. Als er sich in die reiche Tochter Angela (Elizabeth Taylor) verliebt, nimmt das Unglück seinen Lauf. George Stevens inszeniert den Sündenfall mit minutiöser Ausgewogenheit und unerschütterlicher Ruhe, aber unter der makellosen Oberfläche brodeln Sexual- und Klassenneid. Zwischen Clift und Taylor – beide atemberaubend schön – entbrennt die Chemie unbändigen Verlangens, um vom Schicksal in Gestalt einer langsam, unaufhaltsam zuklappenden (Gesellschafts-)Falle so unbarmherzig wie herzzerreissend ausgelöscht zu werden.»
(Christoph Huber, Filmmuseum Wien, Mrz 2018)
GIANT
So 19.10. 14:00 Fr 14.11. 18:30
USA 1956, Farbe, 35 mm, E/d*, 201 REGIE George Stevens DREHBUCH Fred Guiol, Ivan Moffat, nach dem Roman von Edna Ferber KAMERA William C. Mellor MUSIK Dimitri Tiomkin SCHNITT William Hornbeck MIT Elizabeth Taylor, James Dean, Rock Hudson, Carroll Baker, Jane Withers, Chill Wills, Mercedes McCambridge, Rod Taylor, Dennis Hopper, Judith Evelyn, Sal Mineo.
Ein pompöses Haus, inmitten einer endlos scheinenden Ebene: Hier lebt der texanische Rancher Jordan «Bick» Benedict Jr. (Rock Hudson) mitsamt Schwester und unzähligen Rindern. Und hierher bringt er seine junge Frau Leslie (Elizabeth Taylor) nach der Hochzeit – doch schon bald kommt es zu Streitigkeiten. Als dazu noch der Eigenbrötler Jett (James Dean) zu einem Konkurrenten wird, eskaliert der Konflikt. (Andreas Furler, Filmpodium, Okt/Nov 2006)
«Sechzig Jahre nach dem Erscheinen wirkt George Stevens’ intimes Epos Giant immer noch wie eine wundersame Entdeckung: eine mitreissende Saga über den amerikanischen Wohlstand, die dessen rassistische Schattenseiten offenlegt, ein glorreiches Staraufgebot, das starre Geschlechterrollen auf den Kopf stellt.» (Serena Donadoni, The Village Voice, Sep 2016)
Die Filmvorführung erfolgt in zwei Teilen mit einer 15-minütigen Pause; die Gesamtdauer der Vorstellung beträgt 216 Minuten.
CAT ON A HOT TIN ROOF
Fr 3.10. 15:00 Mi 15.10. 20:45 Mi 5.11. 20:15
RE:VISION 18:30 (S. 21)
USA 1958, Farbe, DCP, E/d*, 108 '
REGIE Richard Brooks DREHBUCH Richard Brooks, James Poe, nach dem Theaterstück von Tennessee Williams KAMERA William Daniels MUSIK Charles Wolcott SCHNITT Ferris Webster MIT Elizabeth Taylor, Paul Newman, Burl Ives, Judith Anderson, Jack
In einer feudalen Villa tief im amerikanischen Süden versammelt sich anlässlich des 65. Geburtstags des todkranken Plantagenbesitzers Big Daddy (Burl Ives) seine Familie: seine Frau, der ältere, erbschleichende Sohn Gooper (Jack Carson) mit seiner sieben-, bald achtköpfigen Familie, der jüngere, alkoholumnebelte Lieblingssohn Brick (Paul Newman) und dessen heissblütige Frau Maggie (Elizabeth Taylor), die leidenschaftlich um die Liebe ihres frustrierten Mannes kämpft. Die jahrelange Heuchelei endet in heftigen Auseinandersetzungen. (Filmpodium 2018)
«Ein theatralisches Sujet mit beispielhafter Dramaturgie und geschliffenen Dialogen (nach Tennessee Williams). Und exzellente Stars: Paul Newman und Elizabeth Taylor zwischen intellektuellem Method-Acting und glamouröser Präsenz. (…) In Cat on a Hot Tin Roof arbeitet Brooks mit harten Brüchen und gedehnten Rhythmen, bevorzugt Schnitte gegen den blossen Genuss am Schauen – und kleine Pausen, in die hinein seine provozierenden Bilder nachklingen können. Anders als Tennessee Williams wählte Brooks ein Happy End, aber das so subversiv wie in der Zeit nur bei Douglas Sirk.» (Norbert Grob, Der Standard, 31.7.2005)
Carson, Madeleine Sherwood, Larry Gates, Vaughn Taylor, Patty Ann Gerrity, Rusty Stevens, Hugh Corcoran, Deborah Miller.
A PLACE IN THE SUN
GIANT
SUDDENLY, LAST SUMMER
Di 7.10. 18:15 Mi 22.10. 15:00
So 26.10. 20:45
USA/GB 1959, sw, DCP, E/d*, 114
REGIE Joseph L. Mankiewicz DREHBUCH Gore Vidal, Tennessee Williams, nach dem Theater-Einakter von Tennessee Williams KAMERA Jack Hildyard MUSIK Malcolm Arnold, Buxton Orr SCHNITT William Hornbeck, Thomas Stanford MIT Elizabeth Taylor, Katharine Hepburn, Montgomery Clift, Mercedes McCambridge
Die reiche Südstaatlerin Mrs. Venable, deren einziger Sohn während eines Urlaubs unter rätselhaften Umständen ums Leben kam, will verhindern, dass ihre unter Schock stehende Nichte Catherine, Augenzeugin des Vorfalls, unangenehme Wahrheiten berichtet. Sie lässt Catherine in eine Nervenanstalt einweisen und verspricht dem dortigen Hirnchirurgen eine grosszügige Spende, wenn er sich bereit erklärt, an Catherine eine riskante Lobotomie vorzunehmen. (Andreas Furler, Filmpodium, Mai/Jun 2011)
«Taylor ist eine wunderbare Märtyrerin, die in der Irrenanstalt umherwandert und Unruhe provoziert, der gezeichnete Clift ist ein zwiespältiger Idealist in der Rolle des anständigen Mannes, der zu einem schrecklichen Verbrechen verleitet wird, und die meisterhafte Hepburn, die (…) von der Brillanz ihres verstorbenen (und offensichtlich geistesgestörten) genialen Dichtersohns schwafelt und hinterhältig ein wahrhaft grässliches Verbrechen ausheckt. Das Mysterium, das in einer sonnendurchfluteten Rückblende aufgedeckt wird, ist eine William-S.-BurroughsFantasie, in der es um Homosexualität, Inzest, Sadismus, Klassenausbeutung, eine zähnefletschende Natur und uralte Rituale geht.» (Kim Newman, Empire, Mrz 2007)
REFLECTIONS IN A GOLDEN EYE
Sa 11.10. 18:30 Di 28.10. 20:45
Sa 1.11. 15:00
USA 1967, Farbe, 35 mm, E, 108 '
REGIE John Huston DREHBUCH Chapman Mortimer, Gladys Hill, John Huston, nach dem Roman von Carson McCullers KAMERA Oswald Morris, Aldo Tonti MUSIK Toshiro Mayuzumi SCHNITT Russell Lloyd MIT Elizabeth Taylor, Marlon Brando, Brian Keith, Julie Harris, Zorro David, Robert Forster, Fay Sparks.
«Einer der geheimnisvollsten und faszinierendsten Filme von John Huston. Huston adaptiert eine Erzählung von Carson McCullers, einer aussergewöhnlichen, heute etwas in Vergessenheit geratenen Schriftstellerin, und konstruiert ein geschlossenes System von hinterhältiger Gewalt: In einem Militärstützpunkt im Süden der USA beobachtet ein hilfloser Kommandant einen Soldaten, wie dieser nackt auf einem Pferd reitet. So entsteht eine erotische Faszination. Andere Personen sind darin verwickelt, ein Oberstleutnant, der mit einer depressiven Frau ver-
heiratet ist, ein philippinischer Diener, eine Ehefrau von seltener Schönheit (…) Nach und nach vermischen sich Eifersucht, Voyeurismus, Homosexualität und Erinnerungen. Reflections in a Golden Eye ist ein wahrer Fiebertraum und ein erstaunliches Schauspielerballett: Marlon Brando als eitler und staubiger Kommandant, Elizabeth Taylor als verlassene und möglicherweise nymphomanische Ehefrau, Brian Keith als verbitterter Liebhaber, Julie Harris als unterwürfige Frau, die sich selbst verstümmelt... (…) Der Film ist ein Wunder.» (François Forestier, Le Nouvel Obs, 11.9.2019)
SECRET CEREMONY
So 12.10. 18:30 Fr 7.11. 18:15
GB 1968, Farbe, DCP, E, 109 REGIE Joseph Losey DREHBUCH George Tabori, nach einer Kurzgeschichte von Marco Denevi KAMERA Gerry Fisher MUSIK Richard Rodney Bennett SCHNITT Reginald Beck MIT Elizabeth Taylor, Mia Farrow, Robert Mitchum, Peggy Ashcroft, Pamela Brown, Michael Strong, Robert Douglas.
Die Prostituierte Leonora (Elizabeth Taylor) hat vor einigen Jahren ihre Tochter verloren. Als sie der emotional instabilen Cenci (Mia Farrow) begegnet, ist sie verblüfft, wie sehr das Mädchen ihrer ertrunkenen Tochter ähnlichsieht. Cenci geht es mit Leonora ähnlich, denn diese sieht ihrer Mutter ähnlich, deren Tod sie noch nicht verarbeitet hat. Die beiden Frauen entwickeln eine symbiotische Beziehung, in der sie sich immer wieder der Illusion hingeben, die jeweils andere sei das verlorene Liebesobjekt. (Andreas Furler, Filmpodium, Mai/Jun 2011)
Taylor ist in diesem Psychodrama «als ‹Schmuddel-Madonna› sehr gut: eine gottesfürchtige Prostituierte, die eine Erholungspause von ihrem Strassenleben erhält, als eine Kindfrau sie als Ersatzmutter adoptiert und sie in ein Herrenhaus voller Art-décoGlanz einzieht. Kein Wunder, betet sie dort leidenschaftlich, dass niemand sie aus diesem Himmel jemals wieder wegholen soll. Loseys manierierte Regieführung ist völlig passend und sorgt für einen unvergesslichen Film.»
(Jane Clarke, Time Out Film Guide)
IDENTIKIT
So 19.10. 20:45 Do 6.11. 20:45 Italien 1974, Farbe, DCP, I/e, 102 ' REGIE Giuseppe Patroni Griffi DREHBUCH Raffaele La Capria, Giuseppe Patroni Griffi, Maxence Mailfort, nach dem Roman «The Driver’s Seat» von Muriel Spark KAMERA Vittorio Storaro MUSIK Franco Mannino SCHNITT Franco Arcalli MIT Elizabeth Taylor, Ian Bannen, Guido Mannari, Mona Washbourne, Luigi Squarzina, Andy Warhol, Anita Bartolucci, Cino Giuseppe, Marino Masè, Bedy Moratti, Dino Mele, Cino Perrella, Quinto Parmeggiani, Nadia Scarpitta Pernice, Federico Martignoni, Maurizio Bonuglia.
«Eine einsame Frau, Lise (Taylor), fliegt von ihrem Zuhause in einer kalten, nordeuropäischen Stadt nach Rom, um einen Mann zu finden. Wer dieser Mann ist oder was sie von ihm will, ist unklar. Während sie sich durch die schwülen Strassen Roms bewegt, Terroranschlägen ausweicht und in leeren Kaufhäusern einkauft, weist Lise Sexangebote und -drohungen zurück. Als klar wird, was sie mit diesem Mann vorhat, fügen sich die einzelnen Teile der Geschichte elegant zu einem Puzzle zusammen.
Taylor liefert eine Darbietung von kaum kontrolliertem Wahnsinn, und es ist vielleicht eine der bizarrsten ihrer Karriere, die an John Waters’ Star Divine aus den 70ern in einem grellen, bunten Kleid erinnert. Es ist, als würde sie schlafwandeln, aber ihre Augen sind auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, was ihre zielstrebige Suche verdeutlicht. Wenn sie es mit lästigen Hindernissen zu tun hat, wird sie zu einer schreienden Dragqueen, die sich austobt. Das ist sowohl atemberaubend als auch urkomisch.» (David Savage, Screenslate, Mrz 2015)
RICHARD BURTON
LOOK BACK IN ANGER
Do 2.10. 20:45 Di 11.11. 20:45
GB 1959, sw, DCP, E, 98
REGIE Tony Richardson DREHBUCH
dem
«Der Protagonist Jimmy Porter ist (…) der Prototyp der für die New Wave so charakteristischen ‹angry young men›, die in den späten 50ern und frühen 60ern mit ihren proletarischen Porträts das britische Kino und sein Publikum aufrüttelten. Porter ist ein Akademiker, der sein Geld als Süssigkeitenverkäufer auf dem Markt einer nordenglischen Industriestadt verdient und der seiner aus der Upperclass zu ihm herabgestiegenen Frau eine Klassenkühle unterstellt, derentwegen er sie unablässig erniedrigt. Look Back in Anger schildert das menschliche Zusammenleben, unterschiedlicher sozialer Herkunft zumal, als emotional verlustreichen Kampf.» (filmkuratorium.de)
«Burtons Jimmy ist ein fieser Geselle, und das Subversive an ihm ist seine schlichte, endlose, richtungslose und fast grundlose Unhöflichkeit: Er wäre ein Held für die fröhlich plätschernde Welt der sozialen Medien des 21. Jahrhunderts. Jimmy ist nicht gewalttätig, aber seine Art von obsessiver, selbstschädigender Wut ist beunruhigend.» (Peter Bradshaw, The Guardian, Mrz 2018)
THE NIGHT OF THE IGUANA
Fr 10.10. 20:45 Mo 20.10. 18:00
Sa 8.11. 15:00
USA 1964, sw, DCP, E/d*, 125 REGIE John Huston DREHBUCH John Huston, Anthony Veiller, nach dem Theaterstück von Tennessee Williams KAMERA Gabriel Figueroa MUSIK Benjamin Frankel SCHNITT Ralph Kemplen MIT Richard Burton, Ava Gardner, Deborah Kerr, Sue Lyon, Skip Ward, Grayson Hall, Cyril Delevanti, Mary Boylan, Gladys Hill, Billie Matticks, Emilio Fernández.
Mo 20.10. 18:00
Einführung (10') von Elisabeth Bronfen zu den TennesseeWilliams-Verfilmungen von Elizabeth Taylor und Richard Burton.
«Reverend Shannon (Richard Burton), der wegen einer Affäre von seinem Amt suspendiert wurde, ist als Reiseführer in Mexiko tätig. Er begleitet eine Gruppe amerikanischer Lehrerinnen in einem Reisebus und bringt sie in das Hotel, das von Maxine Faulk (Ava Gardner), einer freien und ungestümen Frau, geführt wird. Drei Jahre nach The Misfits versammelte John Huston erneut eine grosse Riege Stars, um das gleichnamige Stück von Tennessee Williams zu verfilmen. Als grosser Liebhaber der Literatur transzendiert er den Originalstoff in einen leidenschaftlichen Film über die Unausweichlichkeit des Schicksals und die menschlichen Triebe. Inmitten einer paradiesischen Kulisse in Mexiko liefern sich von ihren Wünschen gequälte Charaktere ebenso sinnliche wie fieberhafte Wettkämpfe. Zwischen Richard Burton, Ava Gardner und Deborah Kerr brannte es sowohl auf der Leinwand als auch in der Stadt lichterloh (und hinter der Kamera wachte Elizabeth Taylor über ihren Mann). Der Regisseur beschloss schelmisch, jedem von ihnen einen goldenen Revolver mit eingravierten Kugeln zu schenken.» (Cinémathèque française, Okt 2021)
Nigel Kneale, John Osborne, nach
Theaterstück von John Osborne KAMERA Oswald Morris MUSIK Chris Barber SCHNITT Richard Best MIT Richard Burton, Claire Bloom, Mary Ure, Edith Evans, Gary Raymond, Donald Pleasence, George Devine, Chris Barber and His Jazz Band.
SECRET CEREMONY
SUDDENLY, LAST SUMMER
THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD
Di 14.10. 20:45 Fr 17.10. 15:00
Di 11.11. 18:15
GB 1965, sw, 35 mm, E/d/f, 112 '
REGIE Martin Ritt DREHBUCH Paul Dehn, Guy Trosper, nach dem Roman von John le Carré KAMERA Oswald Morris MUSIK Sol Kaplan SCHNITT Anthony Harvey MIT Richard Burton, Claire Bloom, Oskar Werner, Sam Wanamaker, Rupert Davies, Peter van Eyck, George Voskovec, Cyril Cusack, Bernard Lee, Michael Hordern, Robert Hardy.
«Ein britischer Geheimagent lässt sich in Ostberlin als Doppelagent anwerben und wird bald zum Opfer der strategischen Winkelzüge östlicher und westlicher Geheimdienste. Eine tiefgründige Spionagegeschichte nach dem Roman von John le Carré, von Martin Ritt (…) an Berliner Originalschauplätzen spannend inszeniert.» (3sat)
«Eine Atmosphäre der Angst, der Furcht und der Wut, die jede Pause in der Handlung und jede Geste der Schauspieler intensiviert und den Zuschauer an jedem Wort der manchmal kryptischen, manchmal wortgewandten Dialoge hängen lässt. (…) Burtons Ausdrücke der Ironie, des Stolzes, der Verachtung und des Schreckens tun etwas, das in einem Spionagefilm selten ist: Sie geben dem Film ein komplexes Bewusstsein. (…) Burton bescheinigte seiner zweiten Frau Elizabeth Taylor oft, dass sie ihm den Unterschied zwischen Bühnen- und Filmschauspiel beigebracht hatte. Doch die häufige Anwesenheit Taylors am Set von Ritt trug zu den Spannungen bei. Claire Bloom und Burton waren in den frühen 1950er-Jahren am Old Vic ein Liebespaar gewesen, und (...) hier war Burton, im zweiten Jahr seiner Ehe mit Taylor, in der Hauptrolle mit Bloom zu sehen, die nun das Objekt seiner Begierde spielte.» (Michael Sragow, Criterion, Sep 2013)
EQUUS
Do 16.10. 20:45 Mo 10.11. 20:45
GB 1977, Farbe, DCP, E/d*, 137 '
DREHBUCH Peter Shaffer
REGIE Sidney Lumet
KAMERA Oswald Morris MUSIK Richard Rodney
Bennett SCHNITT John Victor-Smith MIT Richard Burton, Peter Firth, Colin Blakely, Joan Plowright, Harry Andrews, Eileen Atkins, Jenny Agutter, Kate Reid, Ken James, Elva Mai Hoover.
«Richterin Hester Saloman (Eileen Atkins) möchte, dass der Psychiater Dr. Martin Dysart (Richard Burton), der ein fortschrittliches Krankenhaus für psychisch kranke Jugendliche leitet, den 17-jährigen Alan Strang (Peter Firth) behandelt, einen Stallburschen, der eines Nachts in seiner Wut sechs Pferde in einer Scheune (...) mit einem Metalldorn erblindet liess. Mithilfe der Freud’schen Methode erforscht er die dunklen Geheimnisse im Leben seines verstörten Patienten: Dazu gehören Besuche bei Alans religiöser Mutter und seinem abweisenden Vater, um den Beziehungen des Jungen zu den Pferden sowie seiner Beziehung zu dem Stallmädchen Jill auf den Grund zu gehen.» (Dennis Schwartz, Aug 2019)
«Auf dem Spiel steht nichts weniger als eine schonungslose Diagnose von Kultur: Was wiegt schwerer, die Einhegung der Leidenschaft zugunsten einer (weitgehend) schmerzbefreiten Gesellschaft oder das Recht auf Passion als (selbst geschaffenes) Leidensdispositiv? Lumet übersetzt das preisgekrönte gleichnamige Theaterstück von Peter Shaffer mit der Unerbittlichkeit einer griechischen Tragödie in verstörenden Bildern auf die Leinwand: Gott werden, Tier werden, eins werden.» (T. W., Filmmuseum Wien, Sep 2023)
RE:VISION
Vortragsreihe mit Thomas Binotto
Genau hinschauen, erneut hinschauen, anders hinschauen eröffnet unerwartete Perspektiven. In Kooperation mit der Volkshochschule und dem Publizisten Thomas Binotto lädt das Filmpodium bereits zur siebten Staffel der Vorlesungsserie «Re:vision».
RE:VISION 7 / 01
Mi 5.11. 18:30
Online sind Tickets zu Film und Vorlesung separat erhältlich; vergünstigte Kombitickets gibt es nur an der Kinokasse.
Die 1950er-Jahre waren das Jahrzehnt, in dem Elizabeth Taylor zum Superstar aufstieg. Und es war auch das Jahrzehnt des Dramatikers Tennessee Williams, der seiner Zeit mit fiebrigen Psychogrammen auf den Zahn fühlte. Ihre Rolle in Cat on a Hot Tin Roof wird für Taylor zu einem schauspielerischen Meilenstein und Wendepunkt. In seiner «Re:vision» konzentriert sich Thomas Binotto darauf, wie Taylor sichtbar macht, was Williams geschrieben hat.
Eine Kooperation von Filmpodium und Volkshochschule Zürich.
CAT ON A HOT TIN ROOF
Fr 3.10. 15:00 Mi 15.10. 20:45
Mi 5.11. 20:15
Richard Brooks, USA 1958, Farbe, DCP, E/d*, 108
In einer feudalen Villa tief im amerikanischen Süden versammelt sich anlässlich des 65. Geburtstags des todkranken Plantagenbesitzers Big Daddy (Burl Ives) seine Familie: seine Frau, der ältere, erbschleichende Sohn Gooper (Jack Carson) mit seiner sieben, bald achtköpfigen Familie, der jüngere, alkoholumnebelte Lieblingssohn Brick (Paul Newman) und dessen heissblütige Frau Maggie (Elizabeth Taylor), die leidenschaftlich um die Liebe ihres frustrierten Mannes kämpft. Die jahrelange Heuchelei endet in heftigen Auseinandersetzungen. (Filmpodium 2018)
FILM IN WORTEN
Neue Bücher zum Kino
BUCHPRÄSENTATION: «SEIN ODER SPIELEN» VON DOMINIK GRAF
Mi 12.11. 18:30 Lesung und Gespräch, 60'
Dominik Graf ist einer der wichtigsten deutschen Filmemacher der vergangenen vierzig Jahre. Seine Filme wie der Thriller Die Katze, die Erich-Kästner-Verfilmung Fabian oder die bahnbrechende Serie Im Angesicht des Verbrechens setzten Massstäbe im deutschen Kino wie Fernsehen. Alle seine Filme bestechen durch ihre Drehbücher sowie eine Inszenierung, die Bilder erschafft, die lange nachhallen. Und nicht zuletzt begeistern seine Filme dank ihren Schauspieler:innen. Stars wie Götz George, Matthias Brandt, Martina Gedeck oder Ronald Zehrfeld, aber auch Nachwuchsschau-
spieler:innen – stets liefern sie vor der Kamera von Dominik Graf Bestleistungen ab. In seinem neusten Buch «Sein oder Spielen» legt er nun die genauso rücksichtslos offene wie hochempathische Summe seiner Erfahrungen als Regisseur und Filmbegeisterter vor und benennt seine künstlerischen Einflüsse wie beispielsweise George Stevens’ Giant mit Rock Hudson, Elizabeth Taylor und James Dean in den Hauptrollen. Es ist eine temporeiche Künstlererinnerung und ein präziser Werkstattbericht in einem und nicht zuletzt eine Huldigung aller Schauspieler:innen, mit denen er zusammengearbeitet hat und denen er auf der Kinoleinwand begegnet ist.
Für die Unterstützung danken wir:
THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD CAT ON A HOT TIN ROOF
FILM ALS DEMOKRATISCHES ENGAGEMENT
Vitaly Mansky ist ein begnadeter Beobachter und Fragesteller. Sein filmpolitisches Schaffen versteht er als gesellschaftlichen Auftrag und als demokratischen Beitrag. In seinen rund 40 Regiearbeiten hat Mansky sich mit politischen Systemen, geografischen Verwerfungen, gesellschaftlichen Bewegungen und Biografien vor allem in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion auseinandergesetzt. Seine präzise Kamera richtet sich auf einfache Menschen, findet aber auch den Zugang zu den obersten Machtkreisen. In Gorbachev. Heaven etwa widmet er dem grossen Politiker ein feines, vielschichtiges Porträt – während er in seinem zentralen Werk Putin’s Witnesses scharfsichtig den Weg des Autokraten Putin in den Kreml nachzeichnet und (auch) seine eigene Zeugenschaft hinterfragt. Vitaly Mansky, der viele Jahre in Russland lebte und arbeitete, befindet sich seit 2014 im lettischen Exil. Seiner bedrängten Heimat Ukraine hat er vier Filme gewidmet. Mit Time to the Target , dem aktuellen Werk, begibt sich Mansky in seinen Geburtsort L’viv und hält dort präzise die Auswirkungen und Einschläge des Zermürbungskrieges fest, den Russland gegen die Ukraine führt: Das Filmpodium präsentiert im Rahmen der ersten grossen Retrospektive von Manskys Werk in der Schweiz auch die Premiere von Time to the Target und lädt am 6. Oktober zur Begegnung mit dem aussergewöhnlichen Filmemacher.
im zunehmend autoritären Russland stellt innerhalb der (kultur)politischen Grabenkämpfe im gesamten östlichen Europa einen unschätzbaren Wert für die Demokratiebewegung dar – wider den Druck, die Zensur und die administrativen sowie schliesslich die legalen Hindernisse, die auch gegen ihn persönlich ins Spiel gebracht wurden – von gezielten medialen Schmutzkampagnen inklusive Diffamierung als «ukrainisch-jüdischer Abschaum» bis hin zur «Ernennung» zum «ausländischen Agenten» («inoagent») 2023.
An Manskys europäischem Kurs und seinem Eintreten für die ukrainische FilmCommunity in Form eines Offenen Briefes 2014 stiessen sich im zunehmend nationalpatriotischen Klima Russlands politische Würdenträger und Kulturgrössen – wie ExKulturminister Vladimir Medinski, der einen Bann der staatlichen Subventionen für mit dem ArtDocFest assoziierte Projekte erliess, oder «Film-Zar» Nikita Michalkov, der ehemalige «Grosse Vorsitzende» des Film-Verbandes. Mansky tritt konsequent gegen den Angriffskrieg Russlands ein – und setzt verschiedentlich Zeichen gegen den Staatsterror jenes Landes, von dem sich mittlerweile Millionen von Zivilbürger:innen, darunter zahlreiche künstlerisch und kulturell tätige Menschen, verabschiedet haben.
zahl privater Amateuraufnahmen unterschiedlicher Familienarchive, montiert zu einer fiktiven «Durchschnittsbiografie des sowjetischen Menschen» von 1961 bis 1986, mit grosser Musik von Aleksey Aygi. Ein früher Baustein in einem Œuvre, das das Politische nie jenseits des Privaten (und umgekehrt) sah, sondern stets in der Verschränkung. Ein Essay in kultureller Verständigung, wofür er prädestiniert scheint. Mansky ist Mediator, Vermittler, Kommunikator. Und: begnadeter Beobachter und Fragensteller – egal ob er seinen Familienmitgliedern oder unbekannten Menschen gegenübersteht, in Kuba etwa (Patria o muerte, 2011) oder in Nordkorea (Under the Sun, 2015), am Schwarzen Meer ( Broadway. The Black Sea , 2002) oder entlang des Baus der Transsibirischen Pipeline (2013). Selbst zu den grossen Polit-Kalibern des Kremls hat er Zugang gefunden, wie etwa zu Michail Sergejewitsch Gorbatschow. Gorbachev. Heaven ist die im Detail aufschlussund kenntnisreiche, politisch weite Bögen schlagende Antwort auf Werner Herzogs «Gorbi-Film». Mansky gelang ein überaus nachdenkliches Porträt des Wegbereiters für das Ende des Kalten Krieges. Zwei Jahre später verstarb Gorbatschow – ein halbes Jahr nachdem Vladimir Putin den Befehl zum Grossangriff Russlands gegen die Ukraine gegeben hatte.
Dass Mansky in Putin. Leap Year (2001) auch diesen Potentaten aus der Nähe porträtiert hat, ihm durch die Hinzuziehung einer besonderen Protagonistin (der Grundschullehrerin des späteren Herrschers nämlich) ein menschliches Antlitz verpasst hat und damit intellektuellen Putin-Kritikern gewissermassen die Zweifel austrieb, nahm ihm so mancher übel. Putin’s Witnesses (2018) setzt sich damit als Selbstbefragung direkt auseinander, ein zentraler Film, der die eigene Involviertheit ebenso kritisch reflektiert wie den Anteil der medialen Repräsentation an der politischen Geschichte des postsowjetischen Russland. Fast ein Akt der Reue, treibt der Film auf die Spitze, was Mansky in einem Interview als den Kern seiner filmischen Arbeit bezeichnet hat: «eine Art politischsoziale Anthropologie».
Sein Œuvre ist so umfangreich wie sein visuell-anthropologisches, geografisches und politisches Interessensspektrum breit gefächert, weshalb es gar nicht so einfach ist, die Gemeinsamkeiten, die Eigenheiten oder gar eine Handschrift von Vitaly Manskys filmischen Arbeiten genauer herauszudestillieren. Mansky, Jahrgang 1963, wuchs im sowjet-ukrainischen L’viv auf, erlebte die grauen Ausläuferjahre der UdSSR ebenso wie die Perestrojka-Stimmung in der Hauptstadt Moskau, machte in Jelzins Russland Karriere, setzte sie bei stetigem internationalem Erfolg unter Putin fort, kehrte seiner Wahlheimat 2014 im Zuge der russischen Krim-Annexion schliesslich den Rücken und lebt und arbeitet seither im lettischen Riga.
Seit knapp vier Jahrzehnten stehen Dokumentarfilme im Zentrum seines künstlerischen Wirkens. Er konzipiert sie, dreht sie, führt Regie, produziert sie (meist gemeinsam
mit Gattin Natalia Manskaya). Zudem erfand Mansky ganze Non-Fiction-Programmreihen für die russischen Fernsehsender der neunziger und nuller Jahre, und noch heute zeigt und promotet er Dokumentarfilme: als Gründer und Präsident des ArtDocFest, eines internationalen Dokumentarfilmfestivals, das von 2007 bis 2019 in der Russischen Föderation und seit 2014 zunächst parallel, später nur noch in Riga stattfindet und seit Kurzem auch in zahlreichen Regionen der ehemaligen Sowjetunion Gastauftritte feiert. Als er 2017 Artdoc.Media lanciert, die weltweit grösste Streamingplattform für (lizensierte) Dokumentarfilme des Ex-UdSSR-Kulturraums mit (unzensierten) Inhalten, ist das ein weiterer Schritt der Forcierung einer liberalen, antidiktatorischen medialen Öffentlichkeit für den Dokumentarfilm, jene Gattung, die für Mansky wohl am genuinsten mit dem ästhetischen und politischen Auftrag des Filmemachens verbunden ist.
Das engagierte Eintreten für sein Festival, für dessen zahlreiche Partner (Kinobetreiber:innen, Medienvertreter:innen, Festivalarbeiter:innen etc.) und renommierte Gäste
Politische Systeme zu analysieren, diskursive Landschaften zu vermessen, gesellschaftliche Bewegungen zu beobachten, Grenzbereiche zu ertasten, biografische Lebensläufe zu erforschen, die eigene Wahrnehmung und Haltung darin zu befragen – das sind die zentralen Leitlinien von Vitaly Manskys Regiearbeiten.
Mediator, Vermittler, Fragesteller An die 40 Filme sind in den knapp 40 Jahren seit seinem Kamerastudium am Moskauer VGIK entstanden. Es sind, mit einer Ausnahme, ausschliesslich Dokumentarfilme, «real’noe kino», «real cinema». So hiess auch das erfolgreiche Programm mit international herausragenden Dokumentarfilmen, das er für das russische Fernsehen konzipiert hatte, bevor es 2018 zur «ausländischen Propaganda» erklärt und abgesetzt wurde. Den internationalen Durchbruch feierte Mansky mit Bliss (1995), einer ruhigen, ländlichen Beziehungsstudie. Das herausragende Werk der frühen Jahre aber ist Private Chronicles. Monologue (1999), ein Found-Footage-Film aus einer Viel-
Eastern Front Stets kommt Mansky auf von ihm selbst gelegte Fährten zurück – und blickt weit voraus. Was ihn interessiert, sind Menschen und Systeme und das, was sich dazwischen ereignet, sich als ideologische Ablagerungen oder schlicht als Lebens(ver)lauf zeigt. Themenfelder wie die Einflusszonen des Kommunismus auf den Alltag werden sichtbar, ebenso politische, soziale und geografische Hierarchien. Er ist am Puls der Zeit, Post (1990) über den Berg-Karabach-Krieg und nicht zuletzt alle vier Filme, die sich der Ukraine widmen – Gagarin’s Pioneers (2005), Close Relations (2016), Eastern Front (2023) und Time to the Target (2025) –, zeugen davon. Mansky hört genau hin, wenn es um die sowjetische Vergangenheit geht, um geplatzte Träume oder die Revision von historischen Ereignissen, die über Biografien entscheiden. Besonders deutlich wird das in Close Relations, in dem er den zur Tagespolitik gewordenen russisch-ukrainischen Grenzverlauf innerhalb seiner eigenen Familie erkundet. Trotz Schwere und Komplexität des Themas ist das ein hochsensibler Film, der von Glück und Unglück wie von Diskriminierung und Dominanz erzählt. Und vom so unwahrscheinlichen neuerlichen Kriegsbeginn. Eastern Front , gemeinsam mit Yevhen Titarenko im Jahr nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine realisiert, ist gleichzeitig Frontbericht aus der Perspektive eines Sanitätsbataillons und Nachdenken über den Krieg: verstörend roh und doch aufklärend, empathisch und sachlich. Ein Film, der hautnah zeigt, wie eine Nation ums Überleben kämpft. Die Schweiz-Premiere von Time to the Target schliesslich ist schon ein leises Requiem für die vielen verlorenen Leben in drei Jahren aufgezwungenen Kriegs. Mansky ist dabei nach einem halben Leben im Zentrum der Macht zurück in seiner Heimatstadt. Peripherie für die einen, Herz des Empfindens für andere.
Barbara Wurm ist Kuratorin, Kulturwissenschaftlerin und Filmexpertin mit dem Schwerpunkt Osteuropa. Seit 2024 leitet sie das Forum der Berlinale.
Essay von Barbara Wurm
Vitaly Mansky am Set von UNDER THE SUN
PRIVATE
CHASTNYE KHRONIKI. MONOLOG
Mi 8.10. 15:00 Di 14.10. 18:30 Russland/Finnland 2000, sw, DCP, Russ/e, 90 REGIE Vitaly Mansky DREHBUCH Vitaly Mansky, Igor Yarkevich KAMERA Vitaly Mansky MUSIK Aleksey Aygi SCHNITT Igor Jarkevich
«Mansky untersuchte das kollektive Leben der Generation, die geboren wurde, als Juri Gagarin als erster Mensch ins All flog, und arbeitete mit über 5000 Stunden Heimvideos, um eine einzigartige Chronik des Alltagslebens in der Sowjetunion zu erstellen. Über dieses Archiv legt Mansky den fiktionalen Rahmen einer erfundenen Biografie eines Russen, der 1961 geboren wurde und mit seinen Kommentaren aus dem Off alles zusammenwebt. Das Ergebnis ist ein bewegendes Dokument des fiktionalen, aber dennoch wahren Lebens einer Generation, die in dieser Zeit grosser Veränderungen und Umbrüche aufgewachsen ist.» (dochouse.org)
«Von frühen Aufnahmen russischer Panzer, die 1967 in Prag einrollen, über die Feierlichkeiten zum 21. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1970 bis hin zu den ersten sowjetischen Astronauten, die sich auf die Eroberung des Weltraums vorbereiten: Manskys Dokumentarfilm bietet einen umfassenden Einblick in das soziale und politische Leben während der letzten Zuckungen des Kommunismus – und beides ist untrennbar miteinander verbunden. Er beschreibt den sowjetischen Staat als ‹gefrorenen Speichel an der Oberlippe, der sich ohne Lötkolben nicht entfernen lässt›.»
(Meredith Taylor, filmuforia.com, Aug 2023)
GAGARIN ’ S PIONEERS NASHA RODINA
Mi 29.10. 15:00 Sa 15.11. 18:30 Russland/Deutschland 2005, Farbe, DCP, OV/e, 100 REGIE und DREHBUCH Vitaly Mansky KAMERA Ivan Makarov, Vitaly Mansky MUSIK Aleksandr Pantjuchin SCHNITT Daria Danilova.
«Die Reise des Regisseurs auf der Suche nach seinen Klassenkamerad:innen aus der Schule 52 in L’viv, mit denen er in der Sowjetzeit zusammen war. Heute leben nur noch wenige von ihnen dort. Der Rest hat sich über die ganze Welt verstreut. Was verbindet die ehemaligen Pionier:innen der Gagarin-Gruppe Anfang der Nullerjahre noch? Was bedeutet für sie das Vaterland, dem sie im Frühjahr 1973 bei ihrem Beitritt zu den Pionieren Treue geschworen haben?» (artdocfest.com, Mrz 2014)
«Ich reiste durch die ganze Welt und traf meine Klassenkameraden, und wir sprachen so indirekt wie möglich über die Frage der Heimat – ich mag das überhaupt nicht, das direkte Sprechen. Der Blick auf die Ukraine fiel damals ziemlich kritisch aus, unter den Leuten gab es kein einheitliches Heimatgefühl. Die Frage der Heimat stand irgendwie nicht auf der Tagesordnung, auch ich habe sie mir nicht gestellt – ganz anders als heute. Damals lebte ich in einem kosmopolitischen Raum, aber seit dem Ausbruch des Krieges 2014 spürte ich ganz deutlich, dass ich eine Heimat hatte, die in Gefahr war. Es klingt nach Pathos, aber es ist ernst gemeint.» (Interview mit Barbara Wurm, Arsenal, Feb 2025)
PATRIA O MUERTE RODINA ILI SMERT
Mi 15.10. 15:00 Mi 29.10. 20:45
Russland 2011, Farbe, DCP, Sp/e, 99
REGIE Vitaly Mansky, Julia Galochkina DREHBUCH Vitaly Mansky KAMERA Leonid Konovalov, Vitaly Mansky SCHNITT Maxim Karamishev. «Was kommt Ihnen bei Kuba in den Sinn, insbesondere wenn Sie noch nie dort waren? Wahrscheinlich ein Cabrio mit fröhlichen, blondierten jungen Männern in bunten Hemden und Cocktails in den Händen. Umgeben von tanzenden Mulatten, deren Augen den weiten Ozean widerspiegeln. Von all dem besteht in Wirklichkeit nur der weite Ozean, der die Insel vom Rest der Welt trennt. Es gibt wahrscheinlich kein anderes Land, in dem der Unterschied zwischen Vorstellungsbild und Realität so gross ist wie in Kuba. Seit mehr als 50 Jahren lebt der Staat unter dem Motto der siegreichen Revolution: ‹Vaterland oder Tod›. Seit 50 Jahren ist dieser Slogan für mehrere Generationen von Kubanern ein quälendes Dilemma. Der Film erzählt die Geschichte der Generation, die vor der Revolution geboren wurde und sich dem Ende ihres Lebens nähert, während es sich für sie abzeichnet, dass die traurige Gleichsetzung von ‹Heimat› und ‹Tod› immer wahrscheinlicher wird.» (manski-doc.com)
«Vitaly Mansky, einer der wichtigsten Dokumentarfilmer der Gegenwart, bereiste Kuba mit dem Vorwand, einen Film über die Choreografien des kubanischen Gruppentanzes Salsa Rueda zu drehen, und kehrte mit einem überzeugenden Zeugnis über ein Land in der Krise zurück, das seiner Meinung nach der Sowjetunion vor Stalins Tod sehr ähnlich ist. Patria o muerte verdichtet mehr als 200 Stunden Dreharbeiten auf 90 Minuten, und das Ergebnis ist wenig schmeichelhaft für diejenigen, die seit mehr als einem halben Jahrhundert die Macht auf der Insel innehaben. Mansky sagte in einem Interview, dass er in Kuba Hunde sah, die in einem Zustand verzweifelten Hungers Steine frassen, und dass er sich wie in einer Zeitmaschine fühlte, eingetaucht in die nahe Vergangenheit des eigenen Landes.» (Cubaencuentro, Madrid 2012)
PIPELINE TRUBA
Sa 18.10. 15:00 Do 13.11. 20:45 Russland / Deutschland / Tschechien 2013, Farbe, DCP, Russ+D/e, 116 ' REGIE und DREHBUCH Vitaly Mansky KAMERA Alexandra Ivanova MUSIK Dmitry Nazarov SCHNITT Pavel Mendel-Ponamarev.
«Der Bau der Pipeline Urengoi–Pomary–Uschgorod, die 1983 die Erdgasvorkommen Westsibiriens mit den europäischen Verbrauchern verband, wurde zu einem entscheidenden Meilenstein für die russische Gasindustrie. Der renommierte ukrainische Regisseur Vitaly Mansky unternahm für diesen vielfach ausgezeichneten Film eine Reise entlang der Pipeline, um herauszufinden, wie durchschnittliche Menschen in unmittelbarer Nähe der Leitung leben. Ein gefrorener sibirischer Fluss voller toter Fische; eine Hochzeit in einem abgewrackten Wohnblock in Chabarovsk; eine orthodoxe Messe in einem abgestellten Waggon (…) : All dies illustriert eloquent die –oft absurde – Alltagsrealität des heutigen Russlands. (…) Der ‹Star› des Films ist die elegante und schnörkellose Kameraführung von Alexandra Ivanova, die die (manchmal) klirrende Kälte und die schiere Weite des Landes spürbar macht und gleichzeitig visuell einfängt, was jeden Ort auszeichnet.» (IDF Institute of Documentary Film, Filip Šebek)
«Ich möchte es auf eine etwas rüde Art und Weise ausdrücken. Ich wollte verstehen, warum in Russland die Leute in die Eingänge ihrer Gebäude pinkeln. Warum können wir nicht ein normales, zivilisiertes Leben führen? Warum bringen wir uns selbst in Schwierigkeiten? (...) Je näher wir Europa kamen, desto frischer waren die Pipelines gestrichen. In Russland waren sie überhaupt nicht gestrichen, sie waren schwarz. In der Ukraine kann man sehen, dass sie vor fünf Jahren gestrichen wurden. In Polen vielleicht vor zwei Jahren. Und in Deutschland waren sie frisch lackiert.» (Mansky in: Lydia Papadimitriou, festivalists.com, März 2017)
PIPELINE
PATRIA O MUERTE
UNDER THE SUN
Do 9.10. 18:15
Do 23.10. 20:30 Russland/Deutschland/Tschechien/Lettland/ Nordkorea 2015, Farbe, DCP, Kor+E/d, 106 ' REGIE und DREHBUCH Vitaly Mansky KAMERA Alexandra Ivanova, Mikhail Gorobchuk MUSIK Kārlis Auzāns SCHNITT Andrej Paperny. Aus mehreren vom Regime vorgeschlagenen Mädchen wählte Vitaly Mansky die achtjährige Zin-mi aus, die er nun mit seiner Kamera während eines Jahres durch «das beste Land der Welt» – so die nordkoreanische Selbstbeschreibung – begleiten durfte. Doch auch der Regisseur wurde begleitet: von regimetreuen Aufpassern, die ihm genaue «Vorschläge» machten, wie der ach so erbauliche Alltag von Zin-mi am besten in Szene gesetzt werden könne. (tb) «Wie nun aber eine gesellschaftliche Realität abbilden, die vorsätzlich in ein fiktives Narrativ gepresst werden soll? Regisseur Vitaly Mansky geht formal in die Offensive. Ein Kommentar weist auf die restriktiven Drehbedingungen hin. Zwischen dem im Bild Gezeigten und dem auf der Tonspur Geschilderten entsteht nach und nach eine irritierende Diskrepanz, die Mansky schliesslich ins Absurde steigert. Statt den Kinozuschauern die exemplarischen Szenen aus Zin-mis Leben zu präsentieren, macht Mansky die Entstehung dieser Szenen zu seinem filmischen Gegenstand. Die Kamera läuft auch zwischen den Takes. Was in einem regulär entstandenen Dokumentarfilm dem Schneidetisch zum Opfer fiele, entlarvt bei Mansky ein politisches Programm. Jedes auf den ersten Blick noch so natürlich wirkende Verhalten entpuppt sich beim zweiten Hinsehen als einstudiert.» (Falk Straub, kino-zeit.de, Mrz 2016)
CLOSE RELATIONS RODNYE
Mo 13.10. 18:30 Fr 7.11. 15:00 Lettland/Deutschland/Estland/Ukraine 2016, Farbe, DCP, Russ+Ukr/e, 112 REGIE und DREHBUCH Vitaly Mansky KAMERA Alexandra Ivanova MUSIK Harmo Kallaste SCHNITT Peteris Kimelis, Gunta Ikere.
«Nach der Revolution in der Ukraine im Jahr 2013 beschliesst der Filmemacher Vitaly Mansky, durch die Region zu reisen und seine Familie zu besuchen. Er spricht vor der Kamera mit Familienmitgliedern in der Ukraine, auf der Krim und in Donezk, um zu verstehen, wie die politischen Ereignisse die Menschen beeinflussen. Mansky nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise von Mai 2014 bis Mai 2015 und bringt Mutter, Grossvater oder Tanten dazu, sich über die Situation vor Ort zu äussern. Wo und mit wem man zusammenleben möchte, sind wichtige Fragen, die dabei gestellt werden. Daneben die Nachrichten globaler Ereignisse, wie etwa der Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs 017. Manskys persönliche Reise zeigt, wie die brenzligen Bezie-
REGIE, DREHBUCH und KAMERA Vitaly Mansky MUSIK Kãrllis Auzãns SCHNITT Gunta Ikere.
«Vitaly Mansky hat mit Putin’s Witnesses eine intensive Doku geschaffen, in der er die ersten Schritte Vladimir Putins zu seiner tyrannischen Herrschaft über Russland nachzeichnet. Die Aufnahmen stammen aus den Anfängen Putins und aus Manskys eigenem Archiv. Der nun im Exil in Lettland lebende Filmemacher hatte die einzigartige Möglichkeit, den Präsidenten in einem persönlichen Projekt aus nächster Nähe zu filmen, bevor dieser immer mehr den Mantel des Schweigens um sich hüllte. Herausgekommen ist retrospektiv nicht nur eine bittere Abrechnung mit dem Mann selber, sondern auch mit der eigenen Rolle im ‹Mythos Putin›. (…) Mansky kommentiert bitter aus dem Off, unterstreicht seine Rolle in dieser Kampagne, wie etwa das kamerataugliche Wiedersehen Putins mit einer alten Lehrerin, dem er trotz den medientauglichen Vorzeichen mit einem aschfahlen Gesicht begegnet. Das Voice-over ist hart, kritisch und emotionalisiert. (…) Die schiere Einzigartigkeit des historischen Materials, die den einen oder anderen tragischen Moment voraussagt, wird sowohl für Zuschauer als auch für Historiker lange von Faszination sein. Das System Putin würde heutzutage solch teilweise intimen Einblicke nie wieder zulassen.» (Susanne Gottlieb, uncut.at, Nov 2019)
GORBACHEV. HEAVEN
Mo 27.10. 18:30 Mi 12.11. 15:00 Lettland/Tschechien 2020, Farbe, DCP, Russ/e, 100 REGIE Vitaly Mansky DREHBUCH Alexander Gelman, Vitaly Mansky KAMERA Mikhail Gorobchuk, Alexandra Ivanova MUSIK Kārlis Auzāns SCHNITT Yevgeny Rybalko.
hungen zwischen Russland und der Ukraine auch zu privaten Spannungen zwischen seinen Tanten führen: Je länger er unterwegs ist, desto enger verflicht sich die Geschichte seiner Familie mit den politischen Ereignissen – und desto mehr beginnt sie ihn unweigerlich zu erschüttern.» (IDFA, Nov 2016)
«Von Lemberg nach Odessa, vom Donezkbecken zur Krim – Vitaly Mansky zeichnet das nuancenreiche Porträt der Ukraine nach dem Maidan, zerrissen von widersprüchlichen Zielen. Von diesem Regisseur ukrainischer Herkunft, der in der Sowjetunion geboren wurde und heute als russischer Staatsbürger im politischen Exil in Riga lebt, wird die jüngste Geschichte als eine ‹persönliche Tragödie erlebt›.» (Mourad Moussa, Visions du Réel, Apr 2017)
«Michail Gorbatschow, einst der mächtigste Mann der Sowjetunion, hat mit seiner Politik der Öffnung den Verlauf der Weltgeschichte entscheidend verändert. Doch in seiner russischen Heimat ist es um ihn sehr still geworden, er lebt mittlerweile ziemlich einsam in seinem Haus am Rande Moskaus. Dort hat Vitaly Mansky ihn aufgesucht, um mit Gorbatschow über dessen Leben zu sprechen. Der fast 90-Jährige, von Krankheit und Alter gezeichnet, erweist sich als kluger, witziger, aber auch immer wieder grantiger, widerborstiger Gesprächspartner. Seine persönlichen und politischen Erinnerungen erscheinen dabei gleichzeitig als faszinierende Bilanz und elegisches Vermächtnis.» (Jörg Schiffauer, Crossing Europe Film Festival Linz, Apr 2025)
«Mansky, der aus dem Off spricht, verfolgt eine kämpferische und beharrliche Befragungsstrategie, die in starkem Kontrast zu der schmeichelhaften Bewunderung steht, mit der Werner Herzog den grossen Mann in seinem sanftmütigen Meeting Gorbachev (2018) behandelt. Mansky drängt seinen Gesprächspartner wiederholt zu schwierigen Themen und weist auf dessen gelegentliche Ausweichmanöver hin. Insbesondere betont er, dass Gorbatschow es vermeide, über den Zusammenbruch der UdSSR zu sprechen –‹Ich habe für den Erhalt der UdSSR gekämpft›, darauf beharrt Gorbatschow immer wieder.»
REGIE Vitaly Mansky, Yevhen Titarenko DREHBUCH Vitaly Mansky KAMERA Yevhen Titarenko, Ivan Fomichenko MUSIK Václav Flegl SCHNITT Andrey Paperny.
«Kiew, 24. August 2022, Unabhängigkeitstag der Ukraine. Ein ausgebrannter Panzer auf einer menschenleeren Strasse. Eine Stimme aus dem Off kommentiert: ‹Das ist die zentrale Achse der Hauptstadt der Ukraine. Das ist russisches Militärgerät. Das ist noch nicht der Sieg.› Ein halbes Jahr ist vergangen, seitdem Russlands Angriffskrieg für die ganze Welt sichtbar wurde. Begonnen hat er 2014. Nur dass ihn damals viele nicht als solchen wahrgenommen haben. Auch das erzählt die Stimme, die Vitaly Mansky gehört. Der andere Regisseur, Yevhen Titarenko, dreht Bilder aus der Innenperspektive, die zeigen, was (dieser) Krieg konkret bedeutet. Seit 2014 ist er beim freiwilligen Sanitätsbataillon Hospitaliter, mittlerweile im Volleinsatz. Mit seiner achtköpfigen mobilen Brigade trifft er auf im Schlamm versinkende Kühe, auf wild gewordene Hunde und Menschen im Angesicht des Todes. Der Wechsel von Frontszenen im Osten und Auszeiten im Westen des Landes, bei der Familie, wo Fragen gestellt und Gespräche geführt werden (…), lässt die realen Einsätze beinahe wie Erinnerungen erscheinen.» (Berlinale, Feb 2023)
«Zu Beginn des Dokumentarfilms fährt die Besatzung eines Rettungswagens wörtlich um das Leben des Patienten, den sie im Wagen versorgen. ‹Kurve!›, kündigen die Fahrer Strassensperre um Strassensperre nach hinten an (…). Die nervenaufreibende Sequenz ist ein kluger Auftakt zu einem Film über einen Krieg, über den alle überall immer schon alles zu wissen glauben. (…) In Eastern Front sind keine Kampfszenen zu sehen. Der Krieg ist vor allem durch die Zerstörungen sichtbar, die er hinterlässt. Während der Fahrten des Sanitätsteams richtet sich die Kamera Titarenkos auf Wohnblöcke, die durch den wahllosen Beschuss durch russische Artillerie komplett zerstört sind, und Landschaften, die von Granateinschlägen zerfurcht sind. Eastern Front zeigt die Sanitäter als Soldaten wider Willen. Hätte Russland ihr Land nicht überfallen, hätten sie Besseres zu tun.» (Fabian Tietke, Die Tageszeitung, Feb 2023)
REGIE und DREHBUCH Vitaly Mansky KAMERA Roman Petrusyak, Aleksey Leskov, Vitaly Mansky MUSIK Jan Čeněk SCHNITT Matvey Troshinkin.
WERKSTATTGESPRÄCH MIT VITALY MANSKY
Mo 6.10. 18:15
In Ukrainisch mit deutscher Übersetzung, Moderation: Jean Perret, ca. 80' Anschliessend an TIME TO THE TARGET Wie gelingt es Vitaly Mansky in seinen bewegenden, aufwühlenden Filmen persönliche Geschichten und politische Ereignisse in Bildern einzufangen, die uns die Welt in ihrer Tiefe und Komplexität verstehen lassen? Wie kann man denkreativen Werdegang dieses intensiv in der Gegenwart engagierten und verankerten Filmemachers nachvollziehen? Jean Perret, ehemaliger Leiter der Visions du Réel lädt zum Werk stattgespräch mit einem der wichtigsten zeitgenössischen Filmemacher.
« Time to the Target bezeichnet die Zeit, die eine Rakete braucht, um ihr Ziel zu erreichen. Auch fern der Front ist die ukrainische Bevölkerung nicht vor militärischen Angriffen sicher. Nicht sicher vor Tod, Zerstörung und den gesellschaftlichen Folgen eines Zermürbungskrieges. Das westukrainische L’viv, Geburtsort von Regisseur Vitaly Mansky, kämpft um Normalität, ohne dabei die täglichen Kriegsverluste zur Gewohnheit werden zu lassen. In das frühlingshafte Treiben der historischen Altstadt zwischen Berufsverkehr, Stadtführungen und Versammlungen, Schulunterricht und Kaffeehauslärm brechen Totenglocken und Gedenkminuten ein. Wieder und wieder. Der
städtische Friedhof füllt sich mit Flaggen und Holzkreuzen. Über ein Jahr begleitet der Film Musiker eines Militärorchesters, Veteranen und Zivilist:innen bei ihrer Alltagsbewältigung – mit Herz, Witz und dem Mut, sich einer gnadenlosen Realität zu stellen. Einen Frühling und ein weiteres Kriegsjahr später: Neue Rekrut:innen werden in den Einsatz geschickt. Der Kreis schliesst sich. Und es wird schmerzhaft klar, dass Frieden manchmal nichts als die Zeit bezeichnet, bevor eine Rakete einschlägt.» (Irina Bondas, Berlinale 2025)
«Mansky setzt auf eine strenge Filmsprache. Kein Off-Kommentar, keine erklärenden Texte. Er lässt die Bilder sprechen, nur ab und zu hört man die Stimmen der Orchestermitglieder. (…) Die Beerdigungen nehmen nicht ab. Der Soldatenfriedhof auf dem Marsfeld wächst immer weiter. Besonders eindringlich ist die posthume Ehrung gefallener Soldaten: Mütter, Witwen und Kinder nehmen Ehrenabzeichen entgegen. Ihre Trauer ist greifbar, doch der Regisseur filmt sie mit Zurückhaltung, ohne ins Voyeuristische abzurutschen.»
(Markus Solty, film-rezensionen.de, Feb 2025)
«Ich dachte, ich kenne meine Stadt sehr gut. Nach Ausbruch des Krieges war ich oft dort und dachte, ich würde vertrauten Gesichtern begegnen. Aber jedes Mal sah ich andere Menschen bei den Beerdigungen, die ich besuchte – ausser diesen Musiker:innen. Das waren die einzigen Gesichter, die sich nicht änderten. Selbst die Soldaten, die die Särge trugen, wechselten. Ich dachte, es muss unmöglich sein, emotional zu verkraften, Hunderte Beerdigungen zu besuchen. Auf diese Weise begann ich, mich für die Musiker:innen zu interessieren und mit ihnen zu sprechen.»
(Inga Dreyer, nd-aktuell.de, 17.2.2025)
Für die Unterstützung danken wir:
LANDKARTEN FÜR WANDERER DER KUNST
Vorlesungsreihe des Seminars für Filmwissenschaft, Universität Zürich
Die Vorlesungsreihe des Seminars für Filmwissenschaft (Universität Zürich) findet auch in diesem Jahr als öffentliche Veranstaltung im Filmpodium statt. Daniel Wiegand und Gäste behandeln bis Mitte Dezember jeweils am Donnerstagnachmittag Filmtheorien von den Anfängen bis in die 1960erJahre. Anhand von zahlreichen Text- und Filmbeispielen diskutieren sie Fragen wie: Was ist Film? Wie grenzt er sich von anderen Kunstformen ab? Wie verhält er sich zur Wirklichkeit? Und wozu überhaupt Filmtheorie? Ist sie wirklich eine Art «Landkarte für den Wanderer der Kunst», wie Béla Balázs 1924 schrieb?
Do. 2.10. 16:15
Die Macht der Grossaufnahme: Béla Balázs und die «physiognomische Filmtheorie» gefolgt von DER LETZTE MANN
Do. 16.10. 16:15
Die Kamera ist kein Auge: Rudolf Arnheim und «Film als Kunst» gefolgt von THE DOCKS OF NEW YORK
Do. 23.10. 16:15
«Photogénie»: Französische Filmtheorie der 1920er-Jahre gefolgt von CŒUR FIDÈLE
Do. 30.10. 16:15
Montage, Dialektik und Bisexualität: Film denken mit Sergei Eisenstein gefolgt von DIE GENERALLINIE
Do. 6.11. 16:15
Musik, Sprache, Geräusche: Die Tonfilm-Debatte um 1930 gefolgt von DIE DONBASSSINFONIE – ENTHUSIASMUS
Do. 13.11. 16:15
Edgar Morin: Der Mensch und das Kino gefolgt von CHRONIQUE D’UN ÉTÉ
Alle Vorlesungen werden von Daniel Wiegand gehalten (90 Minuten, Eintritt frei) und ergänzt durch anschliessende Filmprogramme (übliche Eintrittspreise)
Eine Kooperation mit dem Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich.
DER LETZTE MANN
KINO-KONZERT
Do 2.10. 18:30
Live-Musik: Alexander Schiwow (Piano)
Deutschland 1924, sw, DCP, Stummfilm mit d+e Zw ' titeln, 90 ' REGIE Friedrich Wilhelm Murnau DREHBUCH Carl Mayer KAMERA Karl Freund MIT Emil Jannings, Maly Delschaft, Max Hiller, Emilie Kurz, Hans Unterkircher, Hermann Vallentin, Georg John, Emmy Wyda.
«Die Geschichte vom sozialen Abstieg des stolzen Portiers vor dem Hotel Atlantic zum Toilettenwärter, der mit seiner Uniform auch die Achtung seiner Familie und Umwelt verliert. (…) Weder die Tatsache, dass Der letzte Mann fast ohne erklärende Zwischentitel auskommt, noch die ‹entfesselte Kamera› Karl Freunds sind neu in diesem Film. Aber wie Murnau die drehende, schwebende oder schwingende Kamera einsetzt, ist einzigartig.»
(Joachim Paech, in: Metzler Film Lexikon)
Der letzte Mann erschien im selben Jahr wie Béla Balázs’ breit rezipierte Filmtheorie «Der sichtbare Mensch», in der der menschlichen Physiognomie und ihrer Darstellung in Grossaufnahmen eine Schlüsselrolle zukommt. In seinem Sozialdrama macht Murnau ausgiebig Gebrauch von Emil Jannings’ Gesichtsausdruck – vor allem wenn es darum geht, uns die Gefühlswelten der tragischen Figur vor Augen zu führen. (dw)
THE DOCKS OF NEW YORK
KINO-KONZERT
Do 16.10. 18:30
Live-Musik: Frank Bockius (Schlagzeug), André Deponds (Piano) USA 1928, sw, Digital HD, Stummfilm mit e Zw titeln/d*, 75 ' REGIE Josef von Sternberg DREHBUCH Jules Furth man, nach einer Story von John Monk Saunders KAMERA Harold Rosson SCHNITT Helen Lewis MIT George Bancroft, Betty Compson, Olga Baclanova, Clyde Cook, Mitchell Lewis, Gustav von Seyffertitz.
«Eine der feinsten Studien in Schwarzweissfotografie der Filmgeschichte und eine der packendsten Liebesgeschichten. Betty Compson spielt eine heruntergekommene Frau, die ein Heizer (George Bancroft) widerwillig vor dem Selbstmord im Hafenbecken rettet. Nirgends, auch nicht in seinen besten DietrichFilmen, beherrscht Sternberg das dramatische Tempo, den Wechsel von Actionszenen und fast bewegungslosen Tableaus besser – dazwischengeschnitten das Aufeinanderprallen der Emotionen. Das Ende ist von fast mythologischer Magie, bodenhaftig nur durch die poetische Alltäglichkeit gewöhnlicher Leute.» (Janet Bergstrom, Il cinema ritrovato, Bologna 2008)
Den Filmtheoretiker Rudolf Arnheim faszinierte an The Docks of New York , wie Sternberg sein Ausgangsmaterial mit den Mitteln der Kamera und der Lichtsetzung zu formen weiss. So kann die präzise Bildbegrenzung Wichtiges in den Fokus rücken, Unwichtiges ausschliessen oder mittels Spiegelung wieder ins Bildfeld holen. (dw)
CŒUR FIDÈLE
KINO-KONZERT
Do 23.10. 18:30
Live-Musik: Isabelle Duthoit (Stimme, Klarinette), Biliana Voutchkova (Violine) Frankreich 1923, sw, DCP, Stummfilm mit f Zw titeln/e, 87 REGIE Jean Epstein DREHBUCH Marie Epstein, Jean Epstein KAMERA Léon Donnot, Paul Guichard, Henri Stuckert MIT Léon Mathot, Gina Manès, Edmond Van Daële, Claude Bénédict, Madame Maufroy, Marie Epstein.
« Cœur fidèle erzählt die melodramatische Liebesgeschichte von Marie, die ihre Eltern verloren hat und nun von ihren Adoptiveltern schamlos ausgenützt wird. Marie wird von Petit Paul geliebt, liebt aber insgeheim den Hafenarbeiter Jean. Als es zwischen den beiden
zur Auseinandersetzung kommt, wird ein Polizist erstochen. Petit Paul kann fliehen, aber Jean landet im Gefängnis. Nachdem er seine Strafe abgesessen hat, sucht er wiederum die Nähe zu Marie, die unterdessen für ihr krankes Baby sorgt und mit dem alkoholsüchtigen Petit Paul unglücklich zusammenlebt. Es kommt zu einer weiteren Konfrontation zwischen Jean und Petit Paul, diesmal jedoch mit anderem Ausgang …» (Filmpodium, Apr/Mai 2013)
Epstein, der in diesen Jahren auch erste filmtheoretische Schriften veröffentlichte, erprobt in seinem Frühwerk Cœur fidèle ausgiebig die Bildwelten der Photogénie: Gesichter und rhythmisches Wellenkräuseln überlagern sich, Konturen zerfliessen in den Drehbewegungen eines Karussells. Doch was genau ist die Photogénie? «Man fällt aufs Maul, wenn man sie definieren will», so Epstein selbst 1921 in seiner Textsammlung «Bonjour cinéma» – es macht also vielleicht Sinn, sich dem Phänomen eher aus der Praxis zu nähern (dw)
Fondation Jérôme Seydoux-Pathé. 2K restoration by the Cinémathèque française.
DIE GENERALLINIE
/ DAS ALTE UND DAS NEUE GENERALNAJA LINIJA / STAROJE I NOWOJE
KINO-KONZERT
Do 30.10. 18:30
Live-Musik: Anton Ponomarev (Altsaxophon, Elektronik), Frédéric Minner (E-Bass, Sopransaxophon, Elektronik)
UdSSR 1929, sw, 35 mm, Stummfilm mit russ. Zw'titeln/d*, 108 ' REGIE Sergei Michailowitsch Eisenstein DREHBUCH Sergei Michailowitsch Eisenstein, Grigori Alexandrow KAMERA Edouard Tissé, Vladimir Popow SCHNITT Sergei Michailowitsch Eisenstein MIT Marfa Lapkina, Wasja Busenkow, Neschnikow, Tschuchmarew, Iwan Judin, M. Iwanin, Kostja Wassiliew.
« Generallinie oder Das Alte und das Neue , wie der Film später getauft wurde, bezeichnet den Übergang Eisensteins von den Anschauungen der frühen Stummfilmzeit zu einer mehr realistischen, erzählenden Ästhetik. Das lag aber auch am Thema des Films. Die in der UdSSR eben beginnende Sozialisierung der Landwirtschaft liess sich nicht ohne Weiteres als dramatischer Konflikt darstellen: Eine Geschichte musste erfunden, eine Zentralfigur ersonnen werden. Diese Rolle gab Eisenstein, der Verwendung von Berufsschauspielern abhold, einem einfachen Bauernmädchen. Die Handlung des Films formiert sich in einzelnen Sequenzen, die jede für sich wie die Strophen eines Gedichts anmuten. (…) Den Grundton des Enthusiasmus hält der Film bis zum Schluss durch.» (Ulrich Gregor, Enno Patalas, in: Geschichte des Films)
Kaum ein Filmregisseur hat ein so umfangreiches, vielschichtiges und schillerndes Theoriewerk hinterlassen wie Sergei Eisenstein. Dabei entwickelte der Verfechter der filmischen Montage seine theoretischen Konzepte laufend weiter, stets im Dialog mit eigenen Filmprojekten. An der Schwelle zum Tonfilm – der sich 1929 in den USA längst durchgesetzt hatte – erprobte er in seinem letzten grossen sowjetischen Stummfilm das Prinzip der visuellen Oberton-Montage. (dw)
In Kooperation mit:
CŒUR FIDÈLE
DIE DONBASSSINFONIE –ENTHUSIASMUS
SIMFONIJA DONBASSA –ENTHUSIASM
Do 6.11. 18:30
UdSSR/Ukraine 1930, sw, DCP, Ukr/d/f, 67 REGIE und DREHBUCH Dsiga Wertow KAMERA Boris Zejtlin MUSIK N. Timofejew.
«In seinem ersten Tonfilm – einem der ersten in der UdSSR überhaupt – versuchte Dsiga Wertow, die neuen Möglichkeiten der filmischen Tonaufzeichnung gleichsam im Wochenschau-Kontext zu nutzen, d. h., statt im isolierten Tonstudio zu arbeiten, natürliche Geräusche vor Ort aufzunehmen. Der in mehrere Episoden unterteilte Film über den Fünfjahresplan im Schwerindustriegebiet des Donbass feiert die Errungenschaften der sozialistischen Gesellschaft und die Überwindung von Kapitalismus und Religion. Zu den beeindruckendsten Beispielen der TonDramaturgie zählt die Parallelmontage von Arbeitern in einer Fabrik und einem Demonstrationszug, wobei die Bilder des einen jeweils mit den Geräuschen des anderen gekoppelt werden. In der Sowjetunion erntete Wertow heftige Kritik an seiner ‹Kakofonie›; im Westen begeisterte der Film u. a. Charles Chaplin.» (Filmpodium, Mrz 2001)
CHRONIQUE D ’ UN ÉTÉ
Do 13.11. 18:30
Frankreich 1960, sw, DCP, F/e, 85
REGIE und DREHBUCH Jean Rouch, Edgar Morin
KAMERA Raoul Coutard, Roger Morillière, Michel Brault, Jean-Jacques Tarbès MUSIK Pierre Barbaud
SCHNITT Françoise Collin, Nina Baratier, Jean Ravel MIT Marceline Loridan Ivens, Mary Lou Parolini, Angélo, Régis Debray.
«Rouch und Morin fragten eine Reihe von Parisern: ‹Sind Sie glücklich?› und gelangten so zu einem fesselnden Gesellschaftsbild Frankreichs zu Zeiten des Algerienkriegs, obwohl von diesem Krieg kaum einmal die Rede war. Dieser Cinéma-vérité-Klassiker bereitete kurz darauf der Nouvelle Vague den Weg.» (Ulrich Kriest, film-dienst, 7/2004)
Edgar Morin, der nur fünf Jahre zuvor sein filmtheoretisches Hauptwerk «Le cinéma ou l’homme imaginaire» («Der Mensch und das Kino») vorgelegt hatte, beteiligte sich mit Chronique d’un été erstmals selbst an einem Filmprojekt. Auch wenn das dokumentarische Werk zunächst weit entfernt von Morins Ideen vom Kino als «magischer Vision» und «Auferstehung der archaischen Weltschau» zu sein scheint, zeigt sich in ihm doch sein soziologisch und anthropologisch fundiertes Interesse am Film. (dw)
UND AUSSERDEM
KARAOKE IN DER FILMPODIUM-LOUNGE
Sa 11.10. 21:00 Eintritt frei
Vom dunklen Kinosaal direkt in die funkelnde Welt des Karaokes? Gemeinsam mit Freund:innen Lieblingssongs zum Besten geben? Am 11. Oktober schmeisst das Filmpodium die Karaokeanlage an und lädt ein, bis tief in die Nacht zu singen und zu tanzen. Ob legendäre Filmsongs oder kultige 80s-Hits: Unsere Playlist hat für jeden Musikgeschmack etwas auf Lager. Für Verpflegung sorgt unsere Bar Clemens – im Foyer.
FAMILIENFILM
Vergnügen für Gross und Klein
ROBOT DREAMS
Sa 25.10. 15:00 Sa 15.11. 15:00 Spanien/Frankreich 2023, Farbe, DCP, ohne Dialog, 102 ' , 6 (8)
REGIE und DREHBUCH Pablo Berger AUTOR Sara Varon MUSIK Tom Howe, Alfonso de Vilallonga
SCHNITT Fernando Franco. Oscarnominiert und Europäischer Filmpreis als Bester Animationsfilm 2023!
«Hund lebt in Manhattan. Eines Tages beschliesst er, um seiner Einsamkeit zu entfliehen, einen Roboter zu bestellen. Die beiden werden zu den besten Freunden der Welt!
Unzertrennlich geniessen sie die Freuden von New York und beschliessen, an einem schönen Sommertag an den Strand zu gehen. Doch nach der Freude am Baden ist Robot völlig verrostet und gelähmt! Was soll das? Hund beschliesst sich neue Freunde zu suchen, doch schliesslich erkennt er, was wahre Liebe ist
… Eine berührende Geschichte über Freundschaft und Loyalität, die (fast) ganz ohne Worte auskommt.» (Polyfilm.at)
WORKSHOP FÜR KINDER
25.10. und 15.11. ca. 30 ' , Eintritt frei, ohne Voranmeldung Leitung: Stefanie Schlüter, Filmvermittlerin
Im Anschluss an die beiden Vorstellungen bietet das Filmpodium einen FilmWorkshop f ü r Kinder an. Die Kinder werden auf eine Entdeckungsreise durch die Welt der Filmsprache mitgenommen und an einzelne Szenen und Themen des Films herangeführt.
«Robot Dreams ist ein Film über Freundschaft. Über einen Hund, der plötzlich wieder vergnüglich mit dem Schwanz wedelt. Über einen Roboter, der lernen muss, den mechanischen Griff seiner Metallhand zu lockern, wenn die beiden nebeneinander durch New York spazieren.» (Anke Leweke, Die Zeit, 7.4.2024)
SE LECTION LUMIE RE
Der Wunschfilm unseres Fördervereins
THE CELLULOID CLOSET
So 26.10. 18:30 Fr 31.10. 15:00 Mo 10.11. 18:30
Frankreich/GB/Deutschland/USA 1995, Farbe + sw, 35 mm, E/d/f, 102
REGIE Rob Epstein, Jeffrey Friedman DREHBUCH Rob Epstein, Jeffrey Friedman, Sharon Wood, Armistead Maupin, nach dem Buch von Vito Russo KAMERA
Nancy Schreiber MUSIK Carter Burwell SCHNITT
Jeffrey Friedman, Arnold Glassman.
Hollywood war schon immer ziemlich queer! Doch bis 1968 verbot ein konservativer Produktionscode die offene Darstellung von Schwulen und Lesben auf der Leinwand. Kreative Filmemacher:innen schafften es trotzdem immer wieder, schwules und lesbisches Begehren auf die Leinwand zu bringen –
mal verschlüsselt und nur für Eigeweihte erkennbar, mal beeindruckend direkt und eigentlich unübersehbar. The Celluloid Closet ist die Geschichte dieser Lesben- und Schwulendarstellung im Film, ein kaleidoskopähnliches Porträt, das mit einem frühen EdisonAusschnitt zweier tanzender Männer beginnt und uns bis zu Philadelphia Story und dem New Queer Cinema führt. Beachtlich an diesem Film ist die Zusammenstellung der von Epstein und Friedman engagierten Schriftsteller, Produzenten, Regisseure und Schauspieler:innen, u.a. Tom Hanks, Shirley MacLaine, Susan Sarandon, Gore Vidal, Armistead Maupin und Arthur Laurents. Jeder Einzelne spricht ganz offen von seinen Erfahrungen, von Vidals urkomischer Erzählung über die Ben-Hur-Produktion von 1959 bis hin zu ernsthaften Diskussionen über die Einschränkungen durch die grossen Hollywoodzaren. (Filmpodium)
DIE DONBASS-SINFONIE – ENTHUSIASMUS
IMPRESSUM
PASSPORT TO PIMLICO
GREAT EXPECTATIONS
BRITISCHES NACHKRIEGSKINO 1945–1960
VÍCTOR ERICE
MICHEL PICCOLI
Aardvark Film Emporium, Biel; American Genre Film Archive, Austin; Artdocfest, Moskau; Cinematek, Brüssel; Cineteca di Bologna; Cineteca Nazionale, Rom; Classic Films Distribución, Barcelona; Compass Film, Rom; DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Wiesbaden; Goodfellas, Paris; Kinemathek Le Bon Film, Basel; Les Amis de la Cinémathèque suisse, Lausanne; MA. JA. DE. Filmproduktions GmbH, Leipzig; Vitaly Mansky; MK2, Paris; Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden; Österreichisches Filmmuseum, Wien; Park Circus, Glasgow; Intramovies, Rom; Pathé Distribution, Paris; Plaion Pictures, Planegg / München; PraesensFilm, Zürich; Rai Cinema, Rom; Salzgeber Medien, Berlin; Tamasa Distribution, Paris; trigon-film, Ennetbaden; UCLA Film & Television Archive, Santa Clarita; Variety Distribution, Rom; Videa, Rom; Xenix Filmdistribution, Zürich.
BILDNACHWEIS
Cover: TENEBRE, Dario Argento
Backcover: Collage mit THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD, Martin Ritt, und GIANT (Set-Bild), George Stevens