Bavaria FilmMag 01/2016

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„ICH BIN MEHR ODER WENIGER IM RETTUNGSWAGEN AUFGEWACHSEN“ ans Set. Dort wurde er gleich zusätzlich als Set-Medic angefragt, da amerikanische Produktionen nie ohne medizinische Betreuung drehen. „Ich habe erst gar nicht gewusst, was das ist. Aber dann fand ich es sehr spannend und habe sofort drei Wochen Urlaub eingereicht. Das war mein erster Job beim Film.“ Innerhalb dieser drei Wochen, in denen er die Produktion medizinisch absicherte, sprach sich sein Organisationstalent schnell herum. Fortan organisierte er neben seiner Arbeit als Rettungsdienstleiter medizinische Geräte für Filmproduktionen. Zu Gute kommt ihm dabei sein diplomatisches Geschick. Erik Herz kann mit Menschen umgehen. Schon das erste Gespräch mit ihm lässt das Gefühl aufkommen, ihn bereits ewig zu kennen. Auch als er am Drehort des Münchner „Tatorts“ ankommt, ist es wie ein Treffen unter guten Freunden. Den Rettungswagen, den sein Kollege Alberto Lucchetta hierher manövrierte, weist er in eine Parklücke am Straßenrand ein. Auf die Durchsage der Aufnahmeleitung, Münzen für ein Parkticket zu besorgen, entgegnet er mit einem Augenzwinkern: „Uns wird schon keiner abschleppen.“ Nach dem obligatorischen Kaffee am Catering steigt er ins Maskenmobil. Während dort seine Haare nach hinten gegelt werden, damit sie ihm später nicht ins Gesicht fallen, bespricht er sich mit Alberto, der mit ihm gleich vor der Kamera stehen wird. „Ich würde sagen, wir haben sie schon auf der Trage, oder?“, fragt er, unterbrochen vom lauten Getöse des Föns. 50 000 MEDIZINISCHE ARTIKEL IM LAGER Alberto arbeitet hauptberuflich als Rettungssanitäter in derselben Dienststelle, in der Erik Herz früher tätig war. Vor zwei Jahren kam er auf Erik zu, da er von seinen Jobs bei Filmproduktionen erfuhr. „Grundsätzlich setze ich auf geschulte Kräfte. Man sieht vor der Kamera sofort, ob jemand schon einmal ein EKG in der Hand hatte“, erklärt Herz. Deshalb sucht er Leute, die wissen, was sie tun. Mittlerweile

besteht sein Team aus knapp 100 meist freien Mitarbeitern. Seine Firma Herz Medicalgroup versteht sich als KomplettDienstleister, der für Produktionen alles Medizinische aus einer Hand liefert. Das beginnt schon bei der Drehbuchberatung. „Mitunter rufen Autoren bei uns an und fragen, welches Krankheitsbild sie am besten in ihre Geschichte einbauen“, erzählt er. „Dann erarbeiten wir gemeinsam den Krankheitsverlauf und liefern die korrekten medizinischen Begriffe.“ Dabei will er so realistisch wie möglich arbeiten – sowohl beim Personal vor der Kamera, bei der Schauspielerberatung, als auch bei den fachspezifischen Requisiten. Anfangs fragte er bei Krankenhäusern nach ausrangierten Geräten an. Doch schon bald setzte er auf neuwertiges, zeitgemäßes Equipment. Die gewünschte Authentizität ließ er sich einiges kosten. „Von den Produktionen bekam ich oft zu hören: Wir machen einen Film und keine Dokumentation! Aber es ist mein Anspruch, Realismus und Dramaturgie in Einklang zu bringen.“ Und er setzte sich damit durch. Weit mehr als 50 000 medizinische Artikel umfasst sein Lager heute, das auf inzwischen 1 200 Quadratmeter angewachsen ist. Zu seinem Fuhrpark zählen neben vielen medizinischen Fahrzeugen, Feuerwehrautos, Leichenwagen und ein variabel einsetzbarer Großraum-Bus. „DER WICHTIGSTE MANN AM SET“ Am „Tatort“-Set fahren Herz und sein Kollege Alberto ihren Rettungswagen auf Position, an eine Straßenbahn-Haltestelle direkt neben dem historischen Justizpalast. Regisseur Markus Imboden begrüßt ihn kumpelhaft und scherzt: „Der wichtigste Mann hier!“ Herz muss lange auf seinen Auftritt warten, die Dreharbeiten im Großstadtgetümmel sind aufwändig. Vorweihnachtlich gestresste Menschen mit vollen Einkaufstüten fotografieren die Szenerie im Vorbeigehen. Aus dem Hintergrund ertönt Weihnachtsmusik der alljährlich betriebenen Eislaufbahn am Stachus, von deren Empore alle Blicke auf das Drehteam gerichtet sind. Dazu gesellt sich betörender Verkehrslärm, und immer

wieder kreuzen Straßenbahnen das Kamerabild. Es scheint nahezu unmöglich, an diesem Ort konzentriert zu drehen. Doch Markus Imboden bleibt gelassen. Und Herz erklärt: „Das ist das A und O. Wenn der Regisseur entspannt ist, überträgt sich das aufs gesamte Team“. Während ein Ansteckmikrofon in das Innere seiner Jacke platziert wird, bespricht er sich kurz mit dem Regisseur. „Was machen wir mit der guten Frau?“, wird er gefragt und schlägt vor: „Ich denke, wir haben sie bereits auf der Trage und messen den Blutdruck.“ Beide finden nach kurzem Ideenaustausch einen Kompromiss zwischen Knappheit und Authentizität. „Die häufi gste Frage der Regie, die ich bekomme, lautet ganz simpel: Geht‘s schneller?“, erzählt er. „Aber manche Dinge brauchen einfach Zeit, wie etwa der elektrische Tragetisch am Rettungswagen.“ Dass diese Frage nun tatsächlich gestellt wird, als bei einer ersten Probe die Abläufe koordiniert werden, kommentiert er mit einem breiten Grinsen. Herz bewegt sich vor der Kamera routiniert. Beim „Tatort“ ist er seit vielen Jahren ein gewohntes Gesicht, wenn es um Patientenversorgung auf dem Bildschirm geht. In seiner Ausstatter-Vita finden sich zudem zahlreiche weitere Bavaria-Produktionen wie etwa der Kinofilm „Die geliebten Schwestern“ oder Serien wie „Dr. Klein“, „Herzflimmern“ und „Sturm der Liebe“. STARTPUNKT BAVARIA „Die Bavaria ist ...“, sagt Herz und hält kurz inne, „... schon mein Anfang.“ Hier ging es erst richtig los mit der Erfolgsgeschichte der Firma Herz Filmservice, die er mittlerweile aufgrund vermehrt nicht-filmischer Aufträge in Herz Medicalgroup umbenannt hat. Doch zuvor galt es, einen herben Rückschlag zu verdauen: Um die Jahrtausendwende klopfte die ZDF-Serie „Jenny & Co.“ an. Sie benötigte einen automatisierten Operationsroboter. Davon gab es in Deutschland nur ganze drei Exemplare in Dauereinsatz, mit einem Stückpreis von 7,5 Millionen Mark. „Eigentlich unmöglich, so etwas zu besorgen, doch dann habe ich


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